Zen-Buddhismus Schritt für Schritt - Harry Misho Teske - E-Book

Zen-Buddhismus Schritt für Schritt E-Book

Harry Misho Teske

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Beschreibung

Schritt für Schritt führt Harry Misho Teske, Zen-Meister in Kiel, in den Zen-Buddhismus ein. Es geht dabei um echtes, authentisches Zen in der Tradition der japanischen Rinzai-Schule.Zen bedeutet Üben, fortwährendes, nicht nachlassendes Üben; das Ziel ist die vollständige Erleuchtung. Der Weg dahin ist nicht leicht, aber einfach: Zazen, das Sitzen in Stille. Was dabei zu beachten ist, wo Gefahren lauern, wie Hindernisse überwunden werden können, das erläutert Harry Misho Teske. Illustriert ist das Buch mit farbigen Bildern von Christian Meier, der den klassischen Zyklus der zehn Ochsenbilder, die den Weg des Zen-Schülers veranschaulichen, neu interpretiert hat.

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Seitenzahl: 349

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Harry Mishō Teske

Zen-BuddhismusSchritt für Schritt

Eine Einführung

Mit 22 Illustrationen von Christian Meier

Reclam

2018 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: Christian Meier

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961328-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011153-6

www.reclam.de

Inhalt

1 Wie alles anfängt2 Zazen – nichts Besonderes machen3 Drei Voraussetzungen, um zur Erleuchtung zu gelangen4 Der Geist, der auf dem Wind reitet5 Fünf Arten des Zen6 Die fünf Hindernisse7 Skandha – die fünf Bereiche der Anhaftung8 Die drei Welten – oder eine Welt mit drei Aspekten9 Acht Versenkungsstufen10 Endgültiger Tod oder Wiedergeburt11 Erleuchtung oder die Freiheit von den zehn niederen Fesseln12 Die Grundlagen der Achtsamkeit13 Sieben Glieder der Erleuchtung14 Mahāyāna oder Hīnayāna – Großes oder Kleines Fahrzeug15 Die drei Körper eines Buddha16 Das Herz-Sūtra – Maka Hannya Haramita ShingyōEinschub: Die Lehre von den vier edlen Wahrheiten17 Lobgesang des Zazen – Hakuin Zenji Zazen-wasan18 Zehn Ochsenbilder19 Die fünf Phasen der Erleuchtung20 Zehn Tugendempfehlungen21 Weitergabe von Herzgeist zu Herzgeist22 Siebenhundert Kōan23 Wie alles weitergeht24 Dankesworte

1 Wie alles anfängt

Ja, also … wo und wie fange ich an? Um Ihnen das Thema Meditation, und speziell die Zen-Meditation, näherzubringen, gibt es schier unendlich viele Möglichkeiten, und ich werde es wohl nicht schaffen, für jeden Leser die richtige Gangart zu finden. Aber ich werde mein Bestes tun, und wenn es mir gelingt, den einen oder die andere für die Meditation zu gewinnen, dann habe ich mehr erreicht, als ich mir vor über 30 Jahren vorstellen konnte.

Um es gleich vorweg zu sagen, gibt es zwei Arten der Meditation: buddhistische und nicht-buddhistische Meditation. Und da ich buddhistischer Zen-Priester bin, sollte man vermuten, dass ich Ihnen auch buddhistische Meditation vermittele. Weit gefehlt! Die buddhistische Meditation wird sogar den weitaus schmalsten Platz in diesem Buch einnehmen, und das aus gutem Grund: Wir Europäer, und wahrscheinlich die meisten Menschen aus der westlichen Hemisphäre, haben es satt, einen Glauben gegen einen anderen einzutauschen. Wir sind Christen oder auch Atheisten, und plötzlich sollen wir Buddhisten werden?

Nein, Sie brauchen überhaupt nichts zu werden, um vollständige Erleuchtung zu erreichen. Absolut nichts, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Erleuchtung erfordert es sogar, dass Sie jeden »-ismus« in Frage stellen, und das gilt genauso und ohne Abstriche für den Zen-Buddhismus.

Ich gehe jetzt einmal ganz einfach davon aus, dass Sie dieses Buch gekauft haben, damit ich Ihnen etwas über die Lehre des Zen erzähle.

Fangen wir also mit der grundlegenden Praxis, dem Zazen, dem Sitzen in Stille, an und beschäftigen uns mit dem, was im Zazen getan werden soll: gar nichts. Ja, Sie haben richtig gelesen, Sie sollen im Zazen wirklich gar nichts machen, einfach nur »sitzen«. Aber weil uns das aller Erfahrung nach am schwersten fällt, werde ich Sie vorher mit einigen Informationen füttern. Es lohnt sich:

Es gibt in dieser Welt der Unbeständigkeit und Orientierungslosigkeit keine größere Befriedigung als die sichere Gewissheit, angekommen zu sein. Dies ist der Beginn des Zen-Weges.

Im Buddhismus ist es im Allgemeinen nicht üblich, dass ein Priester, ein Mönch oder ein buddhistischer Lehrer mit seiner Weisheit »hausieren« geht, und eben aus diesem Grund hat es im Buddhismus niemals eine Missionsbewegung gegeben. Es wurden die Lehren erst erteilt, nachdem man förmlich darum gebeten und den Lehrenden dazu eingeladen hat. Die Wahrheit, oder besser: die Wirklichkeit, um die es besonders zu Beginn der Praxis des Zen-Buddhismus vorrangig geht, ist eine Wirklichkeit, die von Natur aus unmöglich mit Worten und Begriffen zu beschreiben ist. Jede Definition ist eine Begrenzung der allumfassenden, um nicht zu sagen: absoluten Wirklichkeit und damit von eben diesem absoluten Standpunkt aus ein Widerspruch in sich. Der Weg der Stille und des Schweigens ist der Einstieg in den Zen-Weg.

Und vor allem für moderne Menschen der westlichen Welt eine enorme Herausforderung, da die Kultur der Stille und der Achtsamkeit noch immer in krassem Widerspruch zum bisher gepflegten Lebensstil dieser Gesellschaft erscheint.

Das nimmermüde Bestreben aller Meister der Vergangenheit bis zum heutigen Tag ist es immer wieder, den leidenden Wesen in Samsāra, damit ist gemeint: der Welt der Unzufriedenheit und der immer wieder auftretenden Trübsal, einen Ausweg zu weisen.

Das Paradoxe an diesem Bestreben ist, dass wir alle einen Meister brauchen, der uns immer wieder darauf hinweist, dass die letztendliche Wahrheit nicht in den Worten der alten Meister zu finden ist. Und auch nicht in ihrer körperlichen Erscheinung, sondern schließlich und endlich nur auf dem Grund unseres eigenen Geistes. Aber selbst diesen Grund des Geistes finden wir nicht dadurch, dass wir ihn bei einem anderen Menschen suchen, nicht einmal bei unserem eigenen Meister. Die einzige Möglichkeit besteht darin, dass wir mit der Suche außerhalb unseres Geistes Schluss machen und unsere geistige Blickrichtung nach innen wenden. Meditation ist nichts anderes als diese Verinnerlichung. In der Anfangszeit der Meditationsübung ist es normalerweise nicht möglich, diesen Grund des Geistes in der Meditation zu erreichen, da wir uns so sehr daran gewöhnt haben, uns lediglich mit den Inhalten des Geistes zu beschäftigen statt mit dem Geist selber. Deswegen ist es für die allermeisten einfacher, sich auf eines der zahlreichen Meditationsobjekte zu konzentrieren und dadurch den wild umherirrenden Affengeist langsam, aber stetig zur Ruhe zu bringen. Dann endlich sind wir in der Lage, den Grund unseres Geistes direkt zu erkennen, der stets und zu aller Zeit da war und immer sein wird. Es ist unser großes Verhängnis, dass dieser grundlegende Geist uns so nahe ist, dass wir ihn genau deswegen nicht erkennen. Wir machen uns lieber außerhalb auf die Suche nach vermeintlichen Wahrheiten, die doch nur Wahrheiten aus zweiter Hand sein können. Uns immer wieder darauf hinzuweisen ist die eigentliche Aufgabe aller Meister. Wie kommen wir aber zum Grund unseres Geistes?

Die erste Frage, die wir uns stellen sollten, ist, wo sich unsere eigentliche Heimat befindet. Den wenigsten Menschen wird es sonderlich schwerfallen, eine Heimatadresse anzugeben; wenn einem jedoch von einem Zen-Meister die Frage nach dem eigenen Herkunftsort bzw. nach der eigenen Heimat gestellt wird, so ist damit in den seltensten Fällen ein geographischer Ort gemeint. Es ist damit vielmehr nach der geistigen Heimat, um nicht zu sagen: nach dem Erkenntnisstand gefragt. Um eine solche Frage treffend beantworten zu können, gibt es nur eine einzige Möglichkeit, und zwar zu klären, wo sich der eigene Geist befindet.

Eine Zeile aus einem populären Lied lautet »home is where you lay your head«. Menschen, die keine besonders feste Bindung an einen bestimmten Wohnort haben, werden dieser Zeile ohne weiteres beipflichten können, und eine der ersten spirituellen Übungen im historischen Buddhismus war der sogenannte Gang in die Hauslosigkeit. Das heißt, jeder buddhistische Mönch und jede Nonne waren aufgerufen, den angestammten Heimatort zu verlassen und ohne festen Wohnsitz zu leben. Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes Unsui, was so viel bedeutet wie »Wolken und Wasser«. Wie sehr unsere persönliche Befindlichkeit von unserem ständigen Aufenthaltsort geprägt wird, kann man leicht erahnen, wenn man nach einer langen Zeit des Wohnens an einem Ort gezwungen wird, sich einen neuen Wohnort zu suchen. Neben der Bindung an bestimmte Personen sind die Bindung an einen Ort und vielleicht auch noch an eine berufliche oder gesellschaftliche Position diejenigen Faktoren, die uns im Leben eine vermeintliche Sicherheit bieten, die unseren Platz im Leben bestimmen. Fällt auch nur einer dieser Sicherheit bietenden Faktoren ungewollt fort, geraten wir verständlicherweise in eine mehr oder minder starke Krise, und viele Menschen haben die größten Schwierigkeiten, sich danach wieder neu zu orientieren. In mehreren spirituellen Traditionen wird ein bewusster und freiwilliger Verzicht auf eine oder mehrere dieser Sicherheit bietenden Bindungen als Übung praktiziert, um dadurch im wahrsten Sinne des Wortes Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit zu entwickeln. Oder, um es mit anderen Worten auszudrücken, nach der körperlichen Reife auch geistig, seelisch und emotional erwachsen zu werden.

Sie werden jetzt vielleicht fragen, ob dazu der Gang in die Hauslosigkeit notwendig ist und ob diese Reifung nicht auch zu Hause und in gewohnter Umgebung stattfinden kann. Natürlich kann sie das, und bei den allermeisten ist dies auch der ganz normale Entwicklungsweg. Wir sollten uns jedoch im Klaren darüber sein, dass wir es beim buddhistischen Erleuchtungsweg mit einem geistigen Schulungsweg zu tun haben, an dessen Ende das höchste Ziel auf uns wartet, das einem menschlichen Wesen zu erreichen überhaupt möglich ist. Und ob wir dieses Ziel noch in diesem Leben und in dieser körperlichen Gestalt erreichen oder nach wer weiß wie vielen Wiedergeburten in allen möglichen körperlichen und unkörperlichen Gestalten, hängt einzig und allein von unserem Entschluss und unserer eigenen Anstrengung ab. Und wer es gern bequem und einfach möchte, dessen Erfolg wird natürlich auch sehr einfach und bescheiden sein.

Ich möchte Sie damit in keiner Weise auffordern, Heim und Herd zu verlassen, die Familie im Stich zu lassen, die sichere Arbeitsstelle zu kündigen und sich auf den Gang in die Hauslosigkeit zu machen. Dieser Gang würde wahrscheinlich sowieso nur in die Obdachlosigkeit führen. Auch die Wanderschaft als buddhistischer Bettelmönch ist keine Garantie dafür, dass Sie diesen Weg auch nur ansatzweise erblicken.

In der nordischen Mythologie gibt es für diesen Menschen auf dem Weg einen sehr symbolträchtigen Archetyp, und zwar den des Gottes Odin, dessen Name wörtlich bedeutet »Mensch des Atems«. Odin ist der ewige Wanderer, der in zahllosen Gestalten in allen Welten erscheint, um dort nach den jeweiligen Gegebenheiten seine große Aufgabe zu erfüllen. Wenn Ihnen bei diesem Bild der Name Ahasver, der ewige Jude, einfällt, so sollten Sie bedenken, dass der eine freiwillig und der andere äußerst unfreiwillig auf die Wanderschaft gegangen ist. Der entscheidende Unterschied, und das gilt genauso für unsere alltäglichen Handlungen, liegt stets in der Motivation, das heißt, es ist gar nicht so entscheidend, was wir tun, sondern warum wir es tun, und dann natürlich, wie wir es tun. Als kleiner Hinweis schon einmal an dieser Stelle: Achten Sie auf Ihren Atem!

Ich habe das Buch so aufgebaut, dass ich im ersten Teil von Kapitel 6 (Die fünf Hindernisse) bis zu Kapitel 13 (Sieben Glieder der Erleuchtung) die Lehre darlege, aus der Zen entstanden ist. Ich erkläre in diesem Teil also die Grundlagen überwiegend aus der Sichtweise des orthodoxen Buddhismus, wohingegen Zen dem sogenannten Großen Fahrzeug des Buddhismus angehört und hierin eine besondere Stellung einnimmt. Diese Informationen sollen hauptsächlich dazu dienen, Ihr Interesse an dieser Lehre zu wecken.

Im zweiten Teil des Buches ab Kapitel 14 werde ich das Große Fahrzeug näher vorstellen und auch erläutern, woher der Zen-Buddhismus seine besondere Stellung ableitet.

2 Zazen – nichts Besonderes machen

Das große Problem unserer Zeit besteht darin, dass alle Menschen ihr Heil und ihr Glück außerhalb von sich selber suchen. Und im Laufe dieser Suche allen möglichen Modeerscheinungen, Lehren, Übungssystemen, Gurus und sogenannten verwirklichten Meistern hinterherlaufen, ohne dabei zu erkennen, dass das eigentliche Problem die Suche nach einer Wahrheit außerhalb des Suchenden selber ist. In dem Augenblick, in dem der Mensch seine Blickrichtung ändert und sich im wahrsten Sinne des Wortes er-innert, statt sich weiter zu veräußern, hat er seine verlorene Heimat wiedergefunden. Die erste Ursache und der letzte Sinn des Lebens sind in jedem Menschen und in jedem fühlenden Wesen immer vollständig vorhanden und aktiv. Diese, nennen wir sie ruhig: absolute Wirklichkeit erscheint in unserem Geist als Gedanke an die universelle Vollkommenheit, in unseren Gefühlen als reine Freude und Glückseligkeit und in unseren Körpern als fundamentale Gewissheit der Einheit aller Lebewesen.

In unserer hektischen und vorwiegend erfolgs- und gewinnorientierten Wirklichkeit erscheinen Gedanken jedoch viel häufiger als eine sehr chaotische Affenhorde. Und diese Affenhorde wird umso wilder, je mehr wir versuchen, sie unter Kontrolle zu bringen. Die Gefühle werden von unangenehmer Wut, selbstsüchtigem Egoismus, unbefriedigtem Verlangen und Sehnsüchten, zermürbender Konkurrenz und Eifersucht sowie Angst, Depressionen und Selbstabwertung bestimmt und sind häufig alles andere als glückselig. Unsere Körper sind äußerst anfällig für alle möglichen Krankheiten, werden bei kleinsten Unfällen schon teilweise erheblich verletzt, und Zeiten der vollkommenen Beschwerdelosigkeit sind eher die Ausnahme als die Regel. Einmal ganz abgesehen davon, dass unser irdisches Dasein auf jeden Fall tödlich enden wird. So hoffnungslos präsentiert sich unsere Situation, wenn wir unter dem Einfluss des mächtigen Dämons »Unwissenheit« stehen.

Die frohe Botschaft des Zen besagt nun aber glücklicherweise, dass es einen Ausweg aus diesem Jammertal des Leidens und der Unzufriedenheit gibt, und mehr noch, dass jeder von uns diesen Weg aus eigener Kraft beschreiten kann. Das Großartige an diesem Weg ist außerdem, dass er keine Flucht aus dieser Welt des Leidens erfordert, sondern dass das endlose Glück des Nirvāna mitten in dieser Welt der Unzulänglichkeiten zu finden ist. Ja selbst die Vorstellung, dass es erforderlich wäre, einen Weg zu gehen, um dieses Nirvāna zu erreichen, ist nur ein notwendiger Kunstgriff, um endlich unsere Augen zu öffnen für die uns allen innewohnende grundlegende Weisheit, in der wir alle schon vollkommen erleuchtete Buddhas, also vollkommen erleuchtete Menschen sind. Die eigentliche Veränderung findet nicht in der Außenwelt statt, sondern in unserem eigenen Geist, und aus diesem Grund ist es unbedingt erforderlich, dass wir unsere Blickrichtung ändern. Wir sollten endlich damit aufhören, die Erlösung außerhalb von uns selber zu suchen, sondern sie genau dort finden, wo sie schon seit ewiger Zeit auf uns wartet.

Erst ab dem Augenblick, in dem wir die Freiheit in uns selber gefunden haben, sind wir wirklich in der Lage, auch anderen Menschen und Lebewesen zu dieser endgültigen Freiheit zu verhelfen. Das heißt, wenn wir in der Welt und der Gesellschaft wirklich etwas verändern wollen, müssen wir bei uns selber anfangen und uns selber verändern. Woran es uns allen noch fehlt, ist das felsenfeste Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten. Dieses Vertrauen bedeutet das Ende aller Ängste. Solange man nicht die universelle, strahlende und von Grund auf beglückende Natur des eigenen Geistes erkannt hat, der identisch ist mit der Natur des gesamten Universums, braucht man ein Arbeitsziel, auf das hin man die eigene Entwicklung ausrichtet. Dieses Planziel ist eben die Erleuchtung bzw. das Erwachen (Sanskr. Bodhi) und der Zustand der vollkommenen Befreiung (Sanskr. Nirvāna) von sämtlichen Hindernissen, Schwierigkeiten und leidverursachenden Emotionen, wohlgemerkt nur der leidverursachenden.

Hat man diesen Zustand auch erst einmal nur ansatzweise erreicht, erkennt man zweifelsfrei, dass es im Grunde nie etwas anderes gegeben hat als diese allumfassende und stets anwesende vollkommene Wirklichkeit, in der nie etwas gefehlt hat und vor der sich Bezeichnungen wie »Bodhi« und »Nirvāna« ausnehmen wie der Schein einer Haushaltskerze vor der leuchtenden Sonne. Für einen erleuchteten Menschen gibt es keine Erleuchtung mehr, für einen befreiten Menschen gibt es keine Freiheit mehr, und für einen erwachten Buddha gibt es den Zustand des Erwachens nicht mehr. Weil eben jeder vollständig in diesen Zuständen aufgegangen ist und nichts anderes mehr existiert außerhalb dieser Freiheit, dieser Erleuchtung und dieses Erwachens. Sich in diesem Zustand noch an begrenzenden Begriffen und beschränkten Definitionen wie »Erleuchtung« und »Nirvāna« festzuhalten, würde genau das Gegenteil einer befreiten Geisteshaltung bewirken.

 

Wir beginnen unsere Praxis damit, dass wir anfangen, unsere Atemzüge zu zählen, und zwar nicht irgendwie und mit zerstreutem Geist, sondern völlig konzentriert.

Der Atem wird an einem Punkt ungefähr drei Zentimeter unterhalb des Nabels beobachtet, und in diesen Punkt atmen wir auch hinein, natürlich nur in der Vorstellung. Dieser Punkt trägt den Namen Hara, und er ist der Punkt, an dem der Mensch die meiste Kraft ansammeln kann.

Wir fangen am besten damit an, dass wir das Ausatmen mit »Eins« zählen, das Einatmen mit »Zwei«, das nächste Ausatmen mit »Drei« und so weiter, bis wir bei »Zehn« sind. Dann ist es ganz entscheidend, wieder von vorn anzufangen und das nächste Ausatmen wieder mit »Eins« zu zählen. Sollten Sie sich dabei ertappen, mit den Gedanken schon beim Abendessen zu sein oder beim nächsten Jahresurlaub, fangen Sie sofort wieder bei »Eins« an. Dasselbe machen Sie, wenn Sie beim Zählen merken, dass Sie über »Zehn« hinaus gezählt haben und, sagen wir mal, bei »Dreizehn« sind. Das ist das sichere Anzeichen dafür, dass Sie nicht mehr beim Zählen der Atemzüge waren, sondern ganz woanders mit Ihren Gedanken. Aber machen Sie sich keine Sorgen, dieses Problem haben nicht nur Sie, sondern jeder Mensch, egal welchen Alters und welchen Geschlechts. Entscheidend dabei ist, nicht die Flinte ins Korn zu werfen, sondern sanft, aber beharrlich weiterzumachen. Darin liegt das Geheimnis des Zen, denn nichts verwandelt den Menschen mehr als dauerhafte Praxis, und der Wert einer beharrlichen Übung ist nicht mit Gold aufzuwiegen.

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Die körperliche Haltung, die Sie bei dieser Praxis einnehmen sollten, wird dadurch bestimmt, dass der Rücken gerade zu halten ist (Bild 1). Und das über die gesamte Dauer der Übung, das heißt 25 Minuten lang. In vielen Büchern ist zu lesen, dass die Haltung der Beine eine entscheidende Rolle in der Meditation einnimmt. Die Haltung der Beine dient ausschließlich dazu, den Körper während des Zazen, also während der Meditation in Stille, zu stabilisieren. Und ob das Ganze sitzend auf einem Stuhl geschieht oder im vollen Lotossitz auf dem Boden, spielt dabei die geringste Rolle. Zunächst einmal suchen Sie sich also eine Haltung aus, in der Sie bequem mit aufrechtem Rückgrat sitzen können. Setzen Sie sich im Schneidersitz auf ein Sitzkissen am Boden und legen Sie eine zusammengefaltete Decke unter das Sitzkissen. Hierbei beachten Sie bitte, dass möglichst beide Knie den Boden berühren, im Bedarfsfall legt man ein oder mehrere Bücher unter die Knie. Idealerweise benutzen Sie hierfür ein Zabuton und ein Zafu, also eine Sitzmatte und ein Sitzkissen, aber zu Beginn tun es auch ein zusammengelegtes Kissen und eine Wolldecke als Unterlage.

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Der Viertel-Lotossitz (Bild 2) ist eine andere mögliche Sitzposition, die man dadurch einnimmt, dass man einen Fuß aus dem Schneidersitz auf den gegenüberliegenden Unterschenkel legt, entweder den rechten Fuß auf den linken Unterschenkel oder den linken Fuß auf den rechten Unterschenkel, außerdem kann man diese Sitzhaltung nach einer Sitzperiode ohne weiteres wechseln. Der halbe Lotossitz sieht fast genauso aus, nur dass der eine Fuß nicht auf dem Unterschenkel, sondern auf dem Oberschenkel liegt, auch diese Sitzposition können Sie nach einer Meditationsrunde ohne weiteres wechseln. Sie sollten darauf achten, dass Sie sich während der Sitzrunde so wenig wie möglich bewegen.

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Die ausgewogenste Sitzweise ist der volle Lotossitz (Bild 3), obwohl er für die meisten Menschen vor allem in unserem Kulturkreis am schwierigsten einzunehmen ist. Der Name »voller Lotossitz« rührt daher, dass in dieser Sitzposition auf beiden Knien dieselbe »volle« Spannung ruht. Diese Sitzposition bewahrt den Praktizierenden davor, beim Einschlafen umzufallen, aber sind Sie schon einmal bei der Meditation eingeschlafen? Wie dem auch sei, der volle Lotossitz wird eingenommen, indem man den rechten Fuß auf dem linken Oberschenkel ablegt und dann den linken Fuß auf dem rechten Oberschenkel. Um es noch einmal zu betonen, benötigen Sie auf jeden Fall bei diesem wie auch den anderen Sitzen, die auf dem Boden bzw. einer Sitzmatte ausgeführt werden, ein Sitzkissen. Dieses Kissen kann in der Höhe variieren, und zwar von 5 cm bis zu 25 cm.

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Wenn diese Sitzweise aufgrund begrenzter körperlicher Beweglichkeit nicht möglich ist, dann gibt es noch verschiedene andere Möglichkeiten des Sitzens. Die nächste Alternative ist, sich das Sitzkissen hochkant zwischen die Beine zu schieben und im Fersensitz zu sitzen (Bild 4), wie vielleicht aus dem Karate- oder Judotraining bekannt sein dürfte. Auch diese Sitzart ist sehr bequem. Sie können auch nach jeder Sitzperiode problemlos den Sitz wechseln, wobei darauf geachtet werden sollte, dass nach einer Eingewöhnungszeit von mehreren Tagen die Dauer einer Meditationsrunde mindestens 20 Minuten betragen soll. Die nächste Möglichkeit ist ein Meditationsbänkchen, und welche der unterschiedlichen Ausführungen Sie wählen, bleibt Ihnen überlassen. Aber auch hier sollten Sie eine zusammengelegte Wolldecke oder ein Zabuton als Unterlage verwenden. Als weitere Möglichkeit können Sie sich auch auf einen Stuhl bzw. einen Hocker setzen, wobei Sie Abstand davon nehmen sollten, sich hinten anzulehnen. Der Körper soll von allein aufrecht und in einer geraden Position sitzen, und die Füße stehen schulterbreit auseinander (Bild 5).

5

In einer von diesen Sitzpositionen nehmen Sie jetzt Platz und lassen die Hände ineinander ruhen, der linke Daumen berührt die Wurzel des rechten Ringfingers leicht. Die rechte Hand ist um den linken Daumen geschlossen, und zum Schluss schließt sich die linke Hand um die rechte. Der Punkt, wo der linke Daumen die Wurzel des rechten Ringfingers berührt, wird jetzt 3–4 cm unterhalb des Nabels gehalten (Bild 6).

6

Die Augen sind leicht geöffnet und blicken in Richtung der Nasenspitze auf den Boden, ohne diesen Fleck besonders zu fixieren. Auch sollten sich die Augen nicht ständig hin und her bewegen, da das Bewusstsein sich so schneller von der optischen Wahrnehmung hin zur geistigen Wahrnehmung wenden kann. Dann beginnt man mit dem Zählen der Atemzüge und weicht möglichst nicht mehr von dieser Übung ab, bis die Sitzperiode zu Ende ist. Im Laufe der Zeit werden Sie die Erfahrung machen, dass es immer häufiger gelingt, mit der Aufmerksamkeit völlig beim Atem zu bleiben. Aber das ist nicht einmal so entscheidend, denn ob es Ihnen gelingt, häufig oder die ganze Zeit die Atemzüge zu zählen, oder ob Sie häufig abgelenkt werden, bestimmt nicht den Wert Ihrer Meditation. Vielmehr entscheidet die Beharrlichkeit darüber, ob Sie Erfolg in der Meditation haben oder nicht. Es gibt im Buddhismus die Lehre von den sechs vollkommenen Eigenschaften eines Menschen, der sich auf dem Weg zur Erkenntnis befindet, und eine dieser Eigenschaften ist die Geduld. Von Schnelligkeit ist hier nicht die Rede.

3 Drei Voraussetzungen, um zur Erleuchtung zu gelangen

Sie benötigen laut Meister Hakuin, dem japanischen Zen-Meister Hakuin Ekaku Zenji, der vor rund 300 Jahren der große Reformator des Zen in Japan war, drei Eigenschaften, um zur Erleuchtung zu kommen: den großen Zweifel, die große Anstrengung und das große Vertrauen. Der japanische Name für die drei Eigenschaften ist Dai-Gidan für den großen Zweifel, Dai-Shinkon für das große Vertrauen und Dai-Funshi für die große Anstrengung.

Das hört sich sehr schwierig an, ist aber im Grunde ziemlich einfach, denn wenn das Vertrauen auch nur ansatzweise da ist, folgen die beiden anderen Eigenschaften daraus. Sie sind sozusagen die zwangsläufigen Nachfolger des Vertrauens. Das Vertrauen, um das noch einmal zu betonen, ist die wichtigste Eigenschaft auf dem Weg, der aus der Unzufriedenheit und dem Missmut herausführt. Und unter der Unzufriedenheit leiden wir alle, ohne Ausnahme.

Sie müssen jeglichen Glauben ablegen und einen großen Zweifel entwickeln, Sie müssen wirklich alles anzweifeln, was Ihnen bis jetzt als Wirklichkeit erschienen ist. Das ist die erste wichtige Voraussetzung für Ihren weiteren Weg: der große Zweifel.

Die zweite Voraussetzung, die große Anstrengung, ist, dass Sie bereit sind, ziemlich alles dafür zu tun, die vollkommene Erleuchtung zu erlangen. Ich benutze das Wort »vollkommene Erleuchtung« in Ermangelung einer geeigneten Übersetzung des Begriffes Satori, der die japanische Umschreibung eines Sachverhaltes ist und sich jeder Definition widersetzt. Darum lassen wir es erst einmal bei »vollkommene Erleuchtung«. Die vorbehaltlose Entschlossenheit brauchen Sie also ebenso auf Ihrem Weg wie einen Zweifel, der vor absolut gar nichts haltmacht. Sie müssen zumindest für einmal im Leben nichts anderes mehr wollen, als Satori zu erlangen; je länger Sie diesen Wunsch haben, desto besser. – Jetzt haben wir schon zwei von drei Voraussetzungen, von denen Hakuin Ekaku Zenji behauptet hat, dass sie für den Erkenntnisweg unabdingbar sind.

Die zweite Voraussetzung ist also die große Anstrengung bzw. die große Entschlossenheit.

Und die dritte Voraussetzung, die meiner Meinung nach die entscheidende ist: das große Vertrauen.

Dieses Vertrauen ist nach buddhistischer Sichtweise von überragender Bedeutung für den Weg hin zur Erleuchtung. Im Buddhismus wird es als Saddhā bezeichnet, und der japanische Name dafür ist Dai-Gidan. Es ist im Anfänger erfahrungsgemäß erst als Wurzel vorhanden, nimmt aber im Laufe wachsender Erfahrung unweigerlich zu. Es ist die Gewissheit, dass die Fähigkeit zur vollständigen Erleuchtung in allen Menschen angelegt ist und somit auch in Ihrem Geist zum Vorschein gebracht werden kann. Mehr noch ist es die Gewissheit, dass bei entsprechender Übung Ihr Geist gar nicht anders kann, als die Erfahrung von Satori zu machen. Aber dazu später mehr.

4 Der Geist, der auf dem Wind reitet

Eine ganz entscheidende Aufgabe auf dem Weg der spirituellen Entwicklung ist die Kontrolle und Beherrschung der Körperenergien oder Winde, wie sie im Buddhismus auch bezeichnet werden.

Lassen wir einmal alle unsere Vorurteile und Meinungen beiseite und gehen davon aus, dass die Welt, in der wir uns befinden, nicht von Natur aus gut oder schlecht, glückselig oder leidbehaftet, gerecht oder ungerecht ist.

Wir haben schon die Erfahrung gemacht, dass in Zeiten unserer eigenen Zufriedenheit und unseres eigenen Glücks auch die ganze uns umgebende Welt als Ort der Zufriedenheit und des Glücks erscheint. Dann ist uns sicherlich auch schon aufgefallen, dass eine der Hauptursachen für die Unzufriedenheit eine mehr oder weniger vage Empfindung des Zweifels ist. Dieser Zweifel reicht von einem sehr leichten Gefühl des Getrenntseins vom wirklichen Leben bis hin zu schweren Formen der vollkommenen Verzweiflung. Dieser Zweifel darf nicht verwechselt werden mit dem großen Zweifel, dem Dai-Gidan, von dem Meister Hakuin im vorigen Kapitel gesprochen hat.

Nach buddhistischer Vorstellung ist dieser Zweifel eine zwangsläufige Begleiterscheinung der menschlichen Existenz, die herrührt aus einer angeborenen sowie einer erworbenen Ursache, und diese Ursache besteht letztendlich in der unvollkommenen Erkenntnis der Wirklichkeit. Die letzte, also die erworbene Variante der mangelhaften Erkenntnis manifestiert sich in der menschlichen Entwicklung etwa um das dritte Lebensjahr. In dieser Zeit ist die Selbstidentifikation, also das Ich-Bewusstsein, weitgehend ausgeprägt, und der Mensch nimmt sich als selbständiges und unabhängiges Individuum wahr.

Für die normale und gesunde Entwicklung eines heranwachsenden Menschen ist diese Persönlichkeitsbildung ein äußerst wichtiger und notwendiger Schritt. Nur ist damit eben auch die zwangsläufige Trennung bzw. Unterscheidung zwischen Innenwelt und Außenwelt, Ich und anderen, Subjekt und Objekt verbunden. Diese Trennung führt früher oder später unausweichlich zu einer Empfindung der Unzufriedenheit und des Mangels und der zunehmenden geistigen Heimatlosigkeit.

Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Fähigkeit zum rationalen Denken, und glücklicherweise liegt hier auch der Schlüssel verborgen, der uns den Zugang öffnen kann zum Weg aus dieser unangenehmen und anstrengenden Lage.

Unsere Denkfähigkeit ist nun so weit fortgeschritten, und in uns steigt nach gründlicher Überprüfung der Situation die Erkenntnis, dass es jetzt an der Zeit ist, den nächsten Schritt zu tun und auch das rationale Denken zu überschreiten. Und das ist genau der Zeitpunkt, einen spirituellen oder religiösen Weg zu gehen.

Auf den Zen-Weg bezogen bedeutet das, dass nach einer gewissen Zeit der Vorbereitung, in der Meister und Schüler sich gegenseitig prüfen, die eigentliche Zen-Ausbildung beginnen kann. Der Schüler oder die Schülerin übt bzw. trainiert sich darin, die Körperenergien zu konzentrieren und an einer bestimmten Stelle im Körper in den sogenannten mittleren Kanal einzuleiten.

Diese Körperenergie trägt unterschiedliche Bezeichnungen: In Indien wird sie Prāna genannt, in China oder Japan Qì (ältere Transkription: Ch’i) bzw. Ki, und bei uns in Europa trägt sie den Namen Odem oder Pneuma.

Im asiatischen Kulturraum, und hier besonders in der Himalaya-Region, sagt man, dass der Geist auf dem Wind reitet. Gemeint ist damit nicht der Wind als Naturphänomen oder Wettererscheinung, sondern als Synonym für diese geheimnisvolle Körperenergie, also der innere Wind, den man auch genauso treffend als Lebensenergie oder Lebenskraft bezeichnen kann. Mit dieser Redensart, dass der Geist auf dem Wind reitet, wird auch die enge Verbindung zwischen körperlichen und mentalen Vorgängen deutlich.

Sie erklärt auch, warum in allen buddhistischen Meditationssystemen Körper und Geist als eine Einheit oder zumindest als gleichwertig betrachtet werden. Die Fähigkeit, diese Lebensenergie zu konzentrieren und in verschiedenen Körperregionen, den sogenannten Chakras, den Energiezentren, zu sammeln, ist also gleichbedeutend mit der Konzentration und Sammlung des Bewusstseins. Sie stellt unter der Bezeichnung Samādhi in manchen nicht-buddhistischen Yoga-Systemen das höchste Ziel des spirituellen Weges dar.

Im Buddhismus, und besonders im Zen-Buddhismus, wird die Übung des Samādhi nicht als letztendliches Ziel angesehen. Vielmehr ist sie eine äußerst nützliche Vorbereitung auf die eigentliche und endgültige Befreiung von jeglichem Zustand der Unzufriedenheit bzw. des Leidens. Dieser Akt der Befreiung ist allerdings immer ein Akt der Erkenntnis und der direkten unmittelbaren Wirklichkeitsschau.

Im Licht dieser Wirklichkeitsschau verblasst sogar der vermeintliche Weg hin zur Erleuchtung als illusionär und lediglich von vorläufiger Natur, sozusagen ein nützliches und geschicktes Mittel als zeitweiliger Notbehelf. Vom endgültigen und absoluten Standpunkt der Wirklichkeit aus betrachtet, ist und war diese Wirklichkeit schon immer perfekt, vollkommen und makellos. Auch Erscheinungen wie Erkenntnis oder Nicht-Erkenntnis, Erleuchtung oder Verblendung sind gleichermaßen nur unterschiedliche Erscheinungsformen dieser allumfassenden Wirklichkeit. Eine derartige Wirklichkeitserkenntnis, vor allem wenn sie einhergeht mit den extrem freudvollen und Glückseligkeit spendenden Begleiterscheinungen der Sammlung und Konzentration von Lebensenergie in den Energiezentren, ist das zwangsläufige Ende jeglicher Illusion und jeder nicht wirklichkeitsgemäßen Vorstellung. Gleichzeitig ist sie auch das Ende der bis dahin nahezu permanenten unterschwelligen Zweifelsucht und Unzufriedenheit, denn an dieser allumfassenden Wirklichkeit gibt es nichts zu zweifeln, sie ist einfach so, wie sie ist.

5 Fünf Arten des Zen

Lassen Sie uns aber zunächst einmal bei den Zielen bleiben, denn zu welchem Zweck betreiben wir eigentlich Meditation bzw. Zen-Meditation? Es gibt fünf Arten des Zen, und so gibt es auch fünf Ziele, die man durch die Zen-Meditation erreichen kann. Welche fünf Ziele sind das? Da gibt es zum Ersten das Zen für die geistige und körperliche Ertüchtigung, für das Wohlbefinden und die Gesundheit. Dieses Zen bzw. diese Meditation dient dazu, unsere Konzentration und die Achtsamkeit zu fördern, und ihr Ziel ist die zunehmende Steigerung unseres Glücksgefühls auf geistiger und körperlicher Ebene. Hier betreiben wir die Meditation mit dem klaren Ziel, uns besser auf die Dinge des täglichen Lebens zu fokussieren und dem ganzen Leben eine größere Tiefe zu geben. Diese Meditation hat noch keinen religiösen Hintergrund und wird frei von jeder Weltanschauung durchgeführt. Mit ihr wird nicht das Ziel von Erleuchtung oder Wiedergeburt in einen höheren Daseinsbereich verfolgt. So weit, so gut.

Als Nächstes kommt das Zen, das zwar einen religiösen Inhalt hat, aber nicht buddhistisch ist. Das ist praktisch jede Meditation, die mit anderen Göttern oder himmlischen Daseinsbereichen in Verbindung steht und deren Ziel es ist, sich diesen Wesen oder Orten anzunähern. Ebenfalls wird in dieser Meditation der Zustand verwirklicht, der das Ziel der ersten Art der Meditation ist, also das Glück und das Wohlbefinden, aber im Vordergrund steht die Gottheit oder der himmlische Bereich. Obwohl sich die Anhänger dieser Übung meistens gar nicht dessen bewusst sind, wird ihre Meditation doch nur in die zweite von fünf Arten des Zen eingeordnet.

Die dritte Stufe in der Hierarchie ist die erste Meditation, die sich ausdrücklich mit buddhistischen Inhalten beschäftigt. In ihr geht es darum, sich mit Themen des sogenannten Kleinen Fahrzeugs des Buddhismus zu befassen und eine Meditation zu betreiben, die als Ziel hat, die eigene Erleuchtung zu erreichen. Auf dieser Stufe der Meditation beschäftigen wir uns auch mit religiösen Inhalten und betreiben eine Meditation, die das eigene Wohlergehen im Auge hat. Es wird jetzt klar, dass die jeweils höhere Stufe der Meditation die Ziele der davor liegenden Stufen mit beinhaltet. Ihr Ziel ist schon die Erleuchtung, allerdings wird die Erleuchtung auf dieser Ebene als »kleine Erleuchtung« bezeichnet, da sie sich nur auf die Person des Übenden bezieht.

Die jetzt kommende Stufe ist die Phase, die normalerweise mit Zen in Verbindung gebracht wird, und es ist die Meditation bzw. sind die Übungen, die zum sogenannten Großen Fahrzeug des Buddhismus gehören. Diese Meditation wird nicht mehr nur zum eigenen Nutzen betrieben, sondern sie bezieht das Wohl aller fühlenden Wesen mit ein. Genau aus diesem Grund wird zum Beispiel im Zen vor jedem Tag der Meditation das Bodhisattva-Gelübde rezitiert, in dem der Übende gelobt, allen fühlenden Wesen zu helfen. Dieses Gelübde ist schon fast zum Markenzeichen des Zen geworden, und das ist nicht verwunderlich, denn das Bodhisattva-Gelübde ist die entscheidende Äußerung, den Weg nicht nur zum eigenen Wohl zu beschreiten. Ab dieser Phase der Meditation kann man also von authentischer Zen-Meditation sprechen, und zusammen mit der folgenden Stufe bildet sie das System des regulären Zen-Buddhismus. Ihr Ziel ist die »große Erleuchtung«, die gleichbedeutend mit dem Satori des Zen ist.

Die fünfte Ebene der Meditation ist gleichzeitig die letzte der fünf Stufen und wird die Meditation eines Buddha genannt. Ihr Ziel ist ebenfalls die große Erleuchtung, also das vielbeschworene Satori, aber diesmal ist es die Erleuchtung eines Buddha. Es mag vielleicht erstaunen, dass es zwei Arten von Satori gibt, aber es ist eine Frage der Motivation, ob man die Aufgabe auf sich nimmt, die Lehre auch an andere weiterzugeben. Von der Erleuchtung her ist kein Unterschied vorhanden.

Die fünf Meditationsstufen tragen die japanischen Namen Bonpu-Zen für die erste Art der Meditation, dann Gedō-Zen, Shōjō-Zen, Daijō-Zen und schließlich Saijōjō-Zen für die fünfte Art der Meditation.

Dies sind in aller Kürze die fünf Arten der Meditation und die Ziele, die mit der Meditation erreicht werden können, aber wir werden uns erst einmal dem ersten Ziel widmen. Es ist das Bonpu-Zen oder die gewöhnliche und »unerleuchtete« Meditation, die für die allermeisten von uns den Einstieg in die Welt der Meditation bildet. »Unerleuchtet« bezieht sich hier auf die letzten drei Stufen der Meditation, in denen es besonders darum geht, die letzte Grundlage der Wirklichkeit zu erkennen, aber dazu später mehr. Zuerst wollen wir uns mit dem persönlichen Wohlergehen bis hin zu auftretenden Glücksgefühlen beschäftigen, die das oberste Ziel in der ersten Art der Meditation sind. Dieses Wohlergehen wird schon nach einer relativ kurzen Phase der Anstrengung erreicht, in der der Körper gegen die Untätigkeit und scheinbar erzwungene Ruhe aufbegehrt. Wir gewöhnen uns sehr schnell an die geistige und körperliche Stille und kommen dann schon dazu, diese Stille zu genießen. Dieser Zustand tritt in der Regel nach sieben Tagen der Übung das erste Mal auf und wird nach einer Zeit von ungefähr drei Wochen so stabil, dass wir davon sprechen können, dass dieser Zustand zu einem Teil unserer Persönlichkeit geworden ist. Das bleibt er aber natürlich nur, wenn wir mit dieser Praxis fortfahren, und zwar für mindestens 25 Minuten am Tag.

Wir sind immer noch beim ersten Ziel der Meditation, der Glückseligkeit und dem Wohlergehen, und die große Frage, die sich uns jetzt stellt, ist, was verstehen wir unter Glückseligkeit überhaupt? Normalerweise interpretieren wir den Begriff »Glück« so, dass wir bestimmte Bedürfnisse haben, und wenn diese Bedürfnisse voll erfüllt werden, sprechen wir von Glück. Das ist auch eigentlich in Ordnung, aber man sollte in diesem Fall nicht von Glück sprechen, sondern von Saturierung. Wirkliches Glück tritt dann ein, wenn die menschlichen Bedürfnisse nach Nahrung, materiellem Wohlstand, sinnlicher Befriedigung und so weiter zur Ruhe gekommen sind und ein Zustand der Bedürfnislosigkeit eintritt. Wenn wir einen Zustand erlangen, in dem wir völlig frei sind vom normalen menschlichen Verlangen und auch nicht mehr nach neuen sinnlichen Eindrücken gieren, dann tritt gleichzeitig damit ein Gefühl des Glücks auf. Das ist ein ganz anderes Glück, als wir es bis dahin gewohnt sind. Unser gewöhnliches Glücksgefühl beruht auf der Erfüllung von Wünschen, die mehr oder weniger bewusst unserem Sehnen und unserer Begierde entspringen, wohingegen diese Art von Glück gerade die Abwesenheit von Gier und Sehnen bedeutet.

Einmal ganz abgesehen von der enormen Zunahme an Achtsamkeit mit allen daraus erwachsenden Wohltaten für Körper und Geist hat die Meditation einen nicht unerwünschten Nebeneffekt auf unsere Beziehung zu den Mitmenschen. Während wir als Person, die gar nichts mit Meditation zu tun hat, häufig in Situationen geraten, in denen wir von den Werturteilen der Menschen betroffen sind, können wir uns durch die Meditation langsam aus dieser Abhängigkeit befreien. Durch die Konzentration auf uns selbst gewinnen wir immer mehr Selbstbewusstsein und werden dadurch unabhängiger von der Meinung anderer. Unser Selbstvertrauen steigt mit jeder Meditationsrunde an, und im gleichen Maß nimmt auch die Achtung und Sicherheit unser Persönlichkeit zu. Außerdem wirkt sich die Meditation äußerst günstig auf die Reduktion von Stress aus, und sämtliche Symptome der Burn-out-Erkrankung werden positiv beeinflusst. So kann man durchaus sagen, dass die Meditation wie eine medizinische Behandlung wirkt ohne jegliche Nebenwirkungen von Drogen und Medikamenten.

Obwohl uns dies noch nicht bewusst ist, machen wir das erste Mal Bekanntschaft mit einem Bereich, der uns bis dahin völlig unbekannt war. Es ist der Bereich der reinen Form, und wir verlassen vielleicht zum ersten Mal überhaupt den Bereich der Begierde.

Ich werde später noch näher auf diese drei Bereiche eingehen, jetzt sei nur so viel dazu verraten: Dieser Bereich hält ein Glück für uns bereit, das weit über das menschliche Maß hinausgeht, und beheimatet eine geistige Landschaft, die dem Alltagsmenschen nicht ohne weiteres zugänglich ist. Wir müssen uns erst einmal auf das Wagnis Meditation einlassen, bevor wir überhaupt Zugang zu diesem Bereich finden. Wir können uns zwar vorher Gedanken über diesen Bereich machen, aber wer noch nie Meditation und vor allem Zen-Meditation, also Zazen, geübt hat, weiß in Wahrheit nichts von wahrer Glückseligkeit. Wirkliches Glück erleben wir erst dann, wenn unser normales menschliches Verlangen gestillt ist und wir ein geistiges Gebiet betreten, das uns bis dahin vollkommen unbekannt war. Niemand kann sich die Zufriedenheit und das Glück dieses Meditationsbereiches durch bloßes Nachdenken darüber vorstellen, es sei denn, er oder sie hat es schon selbst erlebt. Kein Mensch, es sei denn, es ist ein Kind unter drei Jahren, kann sich in diesen Zustand des Nicht-Denkens hineindenken. Es ist genauso, als ob ich Sie jetzt auffordere, nicht an einen blauen Elefanten zu denken. Je mehr Sie es versuchen, desto mehr werden Sie scheitern.

Man muss sich diesen Zustand erarbeiten, und zwar durch die Meditation, aber wenn er einmal erlangt ist, dann kommt er immer öfter. Anfangs versucht man noch, ihn mit Gewalt zu erreichen, aber genau dann tritt er nicht ein. Und langsam kommt man hinter den Trick, denn statt sich anzustrengen, muss man loslassen, und zwar alle Inhalte des Geistes. Das heißt nicht, dass man nicht denken darf, nur soll man die Gedanken sofort wieder aus dem Geist entlassen, wenn sie erst einmal aufgetaucht sind. Versuchen Sie es jetzt einmal, es ist gar nicht so einfach, oder? Wir sind es gewohnt, die Gedanken weiter fortzuspinnen, und erlauben ihnen kaum, einfach zu kommen und wieder zu verschwinden, obwohl das ihr eigentliches Wesen ist.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Begebenheit aus der Zeit meiner Wanderschaft als zünftig reisender Zimmermannsgeselle einfügen, und zwar aus der Zeit, als ich das erste Mal vom Zen-Buddhismus erfuhr und noch nicht ahnte, wie sehr er mein ganzes späteres Leben verändern würde. Ich war ungefähr dreiundzwanzig Jahre alt, hatte von der Zen-Meditation so gut wie keine Ahnung und bekam ein Buch in die Hand, das sich dem Zen-Buddhismus eher von der philosophischen Seite her näherte. Es war von Daisetsu T. Suzuki und trug den Titel Die große Befreiung.

Ich verstand vom Inhalt nicht sehr viel, war jedoch von der darin geschilderten Möglichkeit fasziniert, der normalen menschlichen Unzufriedenheit zu entkommen, und das Ganze noch dauerhaft und unumkehrbar, wenn man wollte. Aber wie war das anzustellen, und was müsste man tun, davon stand nicht viel in diesem kleinen Buch. In einem anderen Buch über das gleiche Thema las ich dann die Empfehlung, einen der in Deutschland zur damaligen Zeit noch sehr raren Zen-Meister aufzusuchen. Meine Wahl fiel auf einen Meister, der zu der Zeit in Bremen tätig war und gerade in diesen Jahren von dem in Japan sehr bekannten Meister Saidan Ōi Rōdaishi seine Lehrbefugnis erhalten hatte. Es war der Rechtsanwalt und Notar Wolf-Dietrich Nolting, der mit offiziellem Namen Rei Shin Bigan Rōshi heißt, und es war im Jahr 1987, als ich meine Ausbildung bei ihm anfing. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre auf eigene Faust meditiert und war an dem Punkt, an dem es ohne Anleitung nicht weitergeht. Auch zu mir kommen jetzt viele Schüler, die sich an dieser wichtigen Wegscheide befinden und merken, dass sie über ein Stadium der Selbstberuhigung nicht ohne fremde Hilfe hinauskommen. Es ist genau dieser Punkt, der darüber entscheidet, ob der Schüler mit seiner Meditation mehr oder weniger enttäuscht aufgibt oder ob seine Meditation immer mehr an Tiefe gewinnt. Auf jeden Fall habe ich zu diesem Zeitpunkt meinen sogenannten Honshi, meinen Wurzelmeister, getroffen und habe ihn nicht mehr verlassen, bis ich meine Zen-Ausbildung vollständig abgeschlossen hatte. Diese Ausbildungszeit dauert insgesamt 15 Jahre. Von alldem hatte ich damals noch keine Ahnung, ich hatte nur die vage Ahnung, dass es so mit meiner Meditation nicht weitergehen würde. Aber wie gesagt hatte ich schon zwei Jahre Meditationserfahrung hinter mir und war kein gänzlich unbelecktes Blatt in Bezug auf das Sitzen in Stille.

Wir sind in unserer Aufzählung aber noch bei der ersten Stufe des Zen und haben auch schon den ersten Meditationshimmel zumindest ansatzweise kennengelernt. Und außerdem haben wir auch schon Ebenen der Meditation erlebt, die über das normale Maß des menschlichen Erlebens hinausgehen. Allerdings fallen wir aus diesem Himmel immer wieder heraus, wir finden uns im haftenden Sumpf der menschlichen Emotionen wieder und wissen gar nicht, wie das passieren konnte. Dies ist eine weitere Falle auf dem Weg der Meditation, und es sind nicht wenige, die diesem Hindernis zum Opfer fallen. Auf die Hindernisse, von denen es im Ganzen fünf gibt, komme ich später zu sprechen, es sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass es vor allem die Gier ist, die hierfür verantwortlich ist.

Auf jeden Fall bemerken wir immer häufiger diesen Rückfall in sogenannte niedere Daseinsbereiche, und das liegt nur daran, dass unsere Achtsamkeit in beträchtlichem Maß zugenommen hat. Es kommt uns zwar so vor, als ob diese Abstürze immer häufiger werden, aber das ist definitiv nicht der Fall. Die Beobachtung unseres Geisteszustandes während der Meditation hat dazu geführt, dass jede Abweichung vom Idealzustand, so könnten wir es einmal bezeichnen, wie der Fall vom Himmel in die Hölle empfunden wird. Wir haben jetzt wie immer die beiden Möglichkeiten, aufzuhören oder weiterzumachen. Allerdings rate ich Ihnen sehr, an dieser Stelle nicht die Flinte ins Korn zu werfen, denn damit hätten die Hindernisse unweigerlich gewonnen, und man rennt ein Leben lang mit der Ahnung herum, die Meditation nicht zu Ende gebracht zu haben. Wenn man also das erforderliche Rückgrat aufgebracht hat und weiter bei der Meditation geblieben ist, dann entspringt daraus auch schon die zweite Stufe der Meditation, das sogenannte Gedō-Zen.