Zimt und ewig - Dagmar Bach - E-Book
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Dagmar Bach

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Beschreibung

Stell dir vor, dein Leben gibt es doppelt ... Vicky ist im siebten Himmel: Endlich wird sie fünfzehn, sie hat Sommerferien und ist schwer verliebt in Konstantin. Allerdings kann sie ihr Glück kaum genießen, denn plötzlich taumelt sie wieder völlig unerwartet in eine neue Variante ihres Parallellebens. Und diesmal scheint ihr Parallel-Ich einen ganz bestimmten Plan zu verfolgen – dessen Gelingen Vicky um jeden Preis verhindern muss! Doch da taucht auch noch Konstantins Exfreundin Lara auf. Und die scheint definitiv etwas im Schilde zu führen … Alle Bände der »Zimt«-Trilogie: Band 1: Zimt und weg Band 2: Zimt und zurück Band 3: Zimt und ewig Sequel: Zimt und verwünscht

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Seitenzahl: 416

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Dagmar Bach

Zimt und ewig

Die vertauschten Welten der Victoria King

FISCHER E-Books

Inhalt

Für Martin – für alles!Vickys Sommerferien-To-do-Liste1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.*** WhatsApp-Chat Zimtfreunde ***20.21.22.23.24.25.26.27.Epilog – drei Tage späterLiebe Leserinnen und Leser,Danksagung

Für Martin – für alles!

Vickys Sommerferien-To-do-Liste

Konstantin treffen

Konstantin küssen

Mit Konstantin schwimmen gehen

Ausschlafen

Mum im B&B helfen

Noch mehr ausschlafen

Noch mehr Konstantin treffen & küssen

Pauline treffen

Pauline fragen, was mit ihr und Nikolas ist

Pauline und Nikolas eventuell verkuppeln

In der Bäckerei aushelfen

Aber nicht zu oft, siehe Punkt 4)

Möglichst NICHT in eine Parallelwelt springen

Und wenn doch, dann dort sofort Konstantin suchen, um zusammen etwas über unsere Sprünge heraus- zufinden

Vielleicht noch mal mit Pauline durchgehen, was hinter den Sprüngen stecken könnte

Tante Polly und Franz im neuen Café helfen

Danach gleich wieder ausschlafen

Dad sehen, so oft wie möglich

Den Bürgermeister dafür umso weniger

Bürgermeister von Mum fernhalten bzw. rausekeln

Kein schlechtes Gewissen haben wegen der letzten beiden Punkte

Und noch mal Konstantin küssen – weil es so schön ist!

1.

Die rosa Leuchtziffern meines Weckers zeigten 23.58.

Zum ungefähr hundertsten Mal an diesem Abend schlich ich auf Zehenspitzen zu meinem offenen Fenster und schaute in den dunklen Garten. Doch von Konstantin fehlte jede Spur. Ob er vergessen hatte, welchen Tag wir gleich hatten? Nein, bestimmt nicht.

Vielleicht stand er ja vor der Haustür? Aber er würde sicher nicht klingeln und das ganze B&B aufwecken, mitten in der Nacht. Selbst wenn ich um Mitternacht …

»Vicky!«, zischte da jemand von draußen, und im nächsten Moment flog ein kleiner Kieselstein durch die Luft und landete klackernd auf meinem Parkett.

Sofort lehnte ich mich aus dem Fenster.

»Komm zur Hintertür, da hört uns niemand!«

Ich zupfte mein Schlaf-T-Shirt und die süßen Shorts zurecht, die ich natürlich rein zufällig heute Abend angezogen hatte, lief über den Flur durch die Küche und schlüpfte hinaus.

Eine Gestalt lehnte am Geländer unserer überdachten Veranda, und mein Herz fing wie wild an zu klopfen. Konstantin und ich waren nun schon sechs Wochen zusammen, und ich war immer noch aufgeregt wie am ersten Tag.

Er kam zu mir herüber, nahm mich an der Hand und zog mich zu unserer Hollywoodschaukel. Die Luft war selbst jetzt um Mitternacht noch schwülwarm. Na ja, vielleicht lag es auch an Konstantins Gegenwart, dass mir ganz heiß wurde.

Das Licht der Straßenlampen reichte kaum in unseren Garten, aber der Mond schien so hell, dass ich sein Lächeln erkennen konnte, als er einen raschen Blick auf die Uhr warf.

»Noch zehn«, sagte er leise. »Neun, acht, sieben …«

Ich fühlte, wie mein Herz einen kleinen Sprung machte.

Auf das hier hatte ich mich seit Tagen gefreut.

»Fünf, vier, drei …«

Er beugte sich vor.

Es war einer dieser Momente, die ich am liebsten für die Ewigkeit eingefangen hätte. Vor mir Konstantin, seine Lippen fast an meinen, während irgendwo ein Käuzchen schrie und um uns herum die Blätter im lauen Nachtwind raschelten, der – hm – irgendwie komisch roch.

So ein ganz kleines bisschen nach –

»Eins!« Seine Augen glitzerten, als er mich federleicht auf den Mund küsste.

»Herzlichen Glückwunsch zum –« Konstantin hielt irritiert inne. »Vicky, kann es sein, dass …«

Ja – es konnte sein.

O Mann, war ja klar, dass das genau jetzt passieren musste!!!

»Viiiccc!«, kreischte im nächsten Moment jemand in mein Ohr, ehe ich von den Füßen gerissen wurde und unsanft auf meinem Hintern landete. Mit besagter Person um meinen Hals hängen. Die mir irgendwie bekannt vorkam.

»Alles Guuuhuuuhuuute zum Gäääbuuurtstaaag!«, säuselte Claire da auch schon, während mir ihre langen blondierten Haare ins Gesicht hingen.

Also, die ihres Parallel-Ichs.

In der Parallelwelt, in die ich gerade gesprungen war.

»Öh, danke«, sagte ich und tätschelte ihr automatisch den Rücken.

»Claire, du Schnapsdrossel, jetzt reiß dich mal zusammen, du zerquetschst Vic ja noch. Außerdem bin ich endlich dran mit Gratulieren!« Die Parallelversion meiner besten Freundin Pauline zog Claire unsanft von mir herunter und hielt mir die Hand hin, damit ich aufstehen konnte.

»Heute kann es regnen, stürmen oder schnei’n, denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein«, lallte Parallel-Claire währenddessen und hangelte sich wenig damenhaft auf Knien vom Teppich aufs Sofa, wo sie sich in die weichen Polster plumpsen ließ. »War meine Hose eigentlich immer schon so eng? Das hält ja kein Mensch aus«, murmelte sie und fummelte ihren Knopf samt Reißverschluss auf. »Ah, besser.«

»Claire, zieh dich wieder an«, zischte Pauline und drückte ihr vorsorglich ein Kissen auf den Schoß. »Wenn deine Eltern dich so sehen, sperren sie dich ein.«

»Ach, soll’n se doch. Die Pralinen waren’s jedenfalls wert. Saulecker, die Dinger.«

»Die hättest du gar nicht essen dürfen!«

»Aber es waren doch Liebeszauberpralinen! Und wenn einer hier so was brauchen kann, dann ja wohl ich. Wo ihr alle so ekelhaft glücklich seid! Vor allem du, Pauline!«

Pauline verdrehte die Augen, und ich sah mich panisch um, in der Hoffnung, dass ich auch in dieser Welt ekelhaft glücklich mit Konstantin war. Denn ein anderer Freund könnte megapeinlich werden.

Ich wusste, wovon ich sprach, denn ich hatte inzwischen reichlich Erfahrung in dieser Parallelspringerei, die immer mit einem intensiven Zimtgeruch einherging. Angefangen hatte das Weltentauschen mit meinen diversen anderen Ichs, als ich zwölf gewesen war, aber erst in der letzten Zeit waren die Sprünge länger geworden. Und während vermutlich mein armes verwirrtes Parallel-Ich in meiner echten Welt gerade nicht wusste, wie ihm geschah, handelte ich mittlerweile fast schon abgebrüht.

Mein kurzer Check ergab, dass ich mitten im Wohnzimmer meines Parallel-Ichs gelandet war oder, besser gesagt, meiner Parallelfamilie. Es hatte kaum Ähnlichkeit mit dem in unserem B&B, weil es um einiges größer war und das Haus moderner, aber den englischen Touch hatte es trotzdem. Eine riesige cremefarbene Couchlandschaft stand mitten im Zimmer mit passenden Brokatkissen (und einer immer noch lallenden Claire darauf), dazu grünrote Vorhänge, Bücherregale und zwei Sessel vor einem breiten Kamin. Alles in allem nicht so plüschig wie im Bed & Breakfast, in dem ich mit meiner Mum in meiner Welt lebte, aber dennoch klar erkennbar von ihr eingerichtet. Was allerdings viel wichtiger war – in diesem Wohnzimmer feierten wir offensichtlich in meinen Geburtstag hinein.

»So, Pauline, mach Platz, ich will jetzt auch!«

Das war Leonard aus meiner Klasse, der mich so fest an sich drückte, dass ich mit den Beinen vom Boden abhob. »Alles Gute, Vic. Und danke, dass du Claire diese Pralinen gegeben hast. Das hätte ich auf gar keinen Fall verpassen wollen«, feixte er und schaute zum Sofa hinüber. Wo Claire sich gerade nicht sehr vornehm die Nase an ihrer Bluse abwischte und dann versuchte, die Flecken, die ihre Schminke dabei in unserem Kissen hinterlassen hatten, herauszurubbeln. Herrje.

Nach Leonard kamen noch Claires Freundinnen Charlotte und Chiara zum Gratulieren, außerdem Steffi, Susa, Xaver und natürlich Nikolas, Konstantins bester Freund. Und ganz eindeutig der Freund von Pauline in dieser Welt!

Mein kleines romantisches Herz schmolz sofort dahin, als ich sah, wie er sie an sich zog und sie ihn nicht wegschubste. Claire bemerkte das anscheinend auch, denn sie fing schon wieder an zu schluchzen. Noch lauter, als auf einmal David vor mir stand und mir die Hand hinhielt.

»Herzlichen Glückwunsch, Vic!«

»Äh, danke.« Oje, David. Ein anderer Freund von Konstantin – in den ich vor hundert Jahren mal in meiner Welt verknallt gewesen war.

»Ich hab dir als Geschenk einen Gutschein vom Elektronikmarkt mitgebracht. Wir können gerne zusammen hingehen, wenn du was brauchst.«

»Ich, äh –«

»Sie kann mit mir hingehen, wenn sie was braucht.«

Als ich die Stimme hinter mir hörte, bekam ich eine Gänsehaut.

Das war er.

Unverkennbar.

Ich wirbelte herum, und tatsächlich kam da gerade Konstantin durch das fremde Wohnzimmer, direkt auf mich zu.

Er grinste übers ganze Gesicht und zwinkerte verschwörerisch – und das war mir Hinweis genug. Das hier war mein Konstantin. Der, der seit Neuestem mit mir den Parallelsprungwahnsinn mitmachen musste.

Ehe ich etwas anderes tun konnte, als ihn anzuschmachten (was ich zugegeben oft machte, egal in welcher Welt), schob er mich sanft in die entgegengesetzte Ecke des Raumes, in der ein riesiger, glänzender Flügel stand. Wer von uns hier wohl Klavier spielen konnte? Mich juckte es direkt in den Fingern, es auszuprobieren. Ob meine Parallelhände die Bewegungen gespeichert hatten? Oder war es eine Sache des Kopfes?

Was genau passiert eigentlich bei den Sprüngen? Tauschen mein anderes Ich und ich nur die Körper, bis auf die Gehirne? Dazu hatte ich in all der Zeit keine Antworten gefunden. Ich fand das Ganze einfach nur schrecklich kompliziert. Aber immerhin war ich jetzt nicht mehr allein damit.

»Ist das cool oder was?«, zischte Konstantin in mein Ohr, während er seinen Blick durch unser Parallelwohnzimmer schweifen ließ. Seine Augen leuchteten dabei vor Aufregung wie zwei Gletschereisbonbons. Für ihn war die Springerei der Oberknaller.

»Hm, cool, ja. Aber ehrlich gesagt, war ich gerade sehr zufrieden in unserer echten Welt.« In der ich mit Konstantin allein gewesen war. Küssend. Aber das war nun mal mein Leben. Ewig diese Zimtunterbrechungen.

Ich sah mich vorsichtig um. »Und was machen wir jetzt?«

»Na, so viele Informationen sammeln wie möglich. Wir fragen die Leute einfach ganz unauffällig aus.«

»Okay, gut, aber … wir müssen aufpassen. Damit wir unsere Parallel-Ichs nicht in Schwierigkeiten bringen, du weißt schon … so wie ich neulich.«

Ich wollte immer noch im Boden versinken, wenn ich daran dachte, in was für peinliche Situationen ich meine unfreiwillige Tauschpartnerin gebracht hatte.

»Wir sind ganz diskret und vorsichtig. Keine Sorge.« Konstantin zwinkerte mir zu. »Du kennst mich doch.«

Hm, ja, ich kannte ihn. Mitsamt seiner Neugier und Abenteuerlust. Nicht unbedingt die beste Kombination, wenn es darum ging, sich unauffällig zu verhalten. Aber da mussten wir jetzt durch.

»Ich bin so froh, dass du seit Neuestem auch springst.«

»Und ich erst«, sagte Konstantin und beugte sich zu mir herunter, um mir einen sanften Kuss auf den Mund zu drücken. »Und jetzt entspann dich und lass dich ein bisschen feiern. Schließlich hast du Geburtstag!«

Ja, das war eine gute Idee. Außerdem wurde man nur einmal fünfzehn, oder? Und irgendwie fühlte ich mich tatsächlich gerade ziemlich erwachsen, als wir Hand in Hand zurück zu den anderen gingen, die vor der Couch standen.

Und die uns allesamt mit aufgerissenen Augen musterten.

Schräg.

Als ob wir uns in kleine grüne Männchen mit langen Antennen auf dem Kopf verwandelt hätten.

»Was ist los?«, fragte ich Pauline, deren Blick von meinem Gesicht langsam zu unseren verschränkten Fingern glitt.

»Wieso hast du nichts gesagt?« Sie starrte mich an.

»Was gesagt?«

»Na, dass es jetzt offiziell ist.«

»Hä?«

Sie rollte mit den Augen. »Dass du und Konstantin zusammen seid.«

»Wir, äh –«

O Gott, nein!

Das durfte echt nicht wahr sein!

Wie hatten wir einfach so annehmen können, dass unsere Parallelversionen genau wie wir ein Paar waren? Ich tat es schon wieder – ich brachte mein Parallel-Ich in eine unmögliche Situation!

Konstantin allerdings schien das völlig kalt zu lassen. Er nahm meine Hand, die immer noch in seiner lag, führte sie zu seinem Mund und hauchte einen sanften Kuss darauf.

»Ich weiß gar nicht, was ihr alle habt. War schließlich nur eine Frage der Zeit. Ich meine, jeder weiß doch, dass Vicky und ich füreinander bestimmt sind.«

Nachdem er das gesagt hatte, geschahen mehrere Dinge auf einmal.

Erstens: Pauline verdrehte die Augen. Schon wieder.

Zweitens: Meine Beine verwandelten sich in Yorkshire-Pudding, während mein Blutdruck gleichzeitig durch die Decke schnellte. Das war ja so lieb von ihm!

Drittens: Claire fing an zu heulen. Ebenfalls schon wieder.

»Ihr seid so-ho-ho-oooo süüüß«, schluchzte sie und drückte sich das verschmierte Sofakissen vors Gesicht. »Und ich wäre auch gerne so-ho-ho verliebt. Aber ich kann überhaupt nicht neidisch sein, weil ich euch so-ho-ho lieb hab.«

Jetzt war es beinahe an mir, die Augen zu verdrehen, wobei ich zugeben musste, dass ich diese Claire hier ziemlich drollig fand. Mit ihrem praktisch nicht mehr vorhandenen Make-up, der aufgeknöpften Hose und den glasigen, verheulten Augen sah sie ihrem affektierten Parallel-Ich nämlich so ähnlich wie ein Pfau einer Seegurke.

Doch plötzlich fesselte etwas anderes meine Aufmerksamkeit: Meine Eltern standen an der Schiebetür zur Terrasse und beobachteten mich. Sie mussten alles mitbekommen haben, was da gerade zwischen Konstantin und mir passiert war. Allein das jagte mir einen Adrenalinstoß durch die Adern – in meiner Welt war das genauso gewesen, als die beiden Konstantin kennengelernt hatten. Doch dann entdeckte ich noch etwas: Mum hatte einen Arm um Dads Taille gelegt! Und jetzt beugte Dad sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr, so dass sie lächeln musste!

Ich schluckte. Ganz offensichtlich waren Mum und Dad in dieser Welt zusammen. Glücklich zusammen!

Mein Herz machte gleichzeitig einen Hüpfer und zog ein bisschen – ganz so, als ob es sich nicht für eine Emotion entscheiden konnte. Pures Glück, meine Eltern als Paar zu sehen, oder Trauer, weil die Situation bei mir zu Hause eine andere war. Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – musste ich mir die beiden unbedingt aus der Nähe ansehen.

Konstantin hielt immer noch meine Hand, deswegen zog ich ihn einfach hinter mir her. Außerdem war ich froh, dass er bei mir war – vielleicht musste er mich gleich auffangen, weil ich vor lauter Aufregung in Ohnmacht fiel.

»So, Konstantin«, sagte mein Dad und streckte ihm die Hand hin. »Werden wir dich nun öfter sehen?« Nicht, ohne ihn von oben bis unten mit seinem überaufmerksamen Anwaltsblick zu mustern.

»Na, das ist wirklich mal eine Überraschung«, mischte sich jetzt Mum ein, ehe sie mich kurz drückte. »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Auch zum Geburtstag«, flüsterte sie und warf dabei Konstantin genau wie Dad einen neugierigen Blick zu. »Dann ist es morgen wohl Zeit für ein Mutter-und-Tochter-Gespräch, du weißt schon. Die Sache mit den Bienen und den Blumen –«

»Mum!«

»Na ja, ich mein ja nur, wir haben darüber doch noch gar nicht richtig gesprochen, und –«

»Mum, wir haben schon hundert Mal darüber gesprochen«, zischte ich und drehte mich ein wenig von Konstantin weg, damit er nicht sah, wie rot ich wurde.

»Ach, wirklich? Na ja, einmal mehr schadet ja nicht, weißt du, als ich in deinem Alter war, da –«

»Meg, jetzt lass endlich deine Tochter los, damit ich ihr auch gratulieren kann!« Die unerwartete Hilfe kam von Tante Polly. Also, Parallel-Polly natürlich, aber sie hätte in keinem besseren Moment kommen können.

Erleichtert ließ ich mich von ihr in die Arme nehmen.

»Du bist meine Rettung!«, flüsterte ich ihr ins Ohr, und sie kicherte.

»Ich weiß. Alles Liebe zum Fünfzehnten, Vic. Und Glückwunsch zu deinem Freund.« Sie schob mich ein Stück von sich, um über meine Schulter zu linsen. »Der sieht ja wirklich niedlich aus. Vielleicht solltest du doch mit deiner Mutter sprechen, über –«

»Tante Polly! Jetzt fang du nicht auch noch an!«

»Schon gut, war nur Spaß.« Sie machte sich wieder los und gab den Blick frei auf jemanden, der gerade durch unseren Garten kam. Jemand, den ich definitiv nicht sehen wollte.

»Wer hat denn den Bürgermeister eingeladen?«

»Niemand«, seufzte Polly. »Er hängt schon seit Stunden hier herum, nachdem er von Hennie in der Bäckerei gehört hat, dass ihr eine Party schmeißt. Wenn du mich fragst, hat er es nur aufs Büfett abgesehen. Oder er will Freunde finden. Oder um Wählerstimmen werben, was weiß ich. Deine Großeltern sind hin und weg von ihm. Findest du nicht auch, dass er ein bisschen zwielichtig rüberkommt?«

Wenn du wüsstest!, schoss es mir durch den Kopf, aber ich hielt meinen Mund. Solange in dieser Welt meine Eltern zusammen waren, störte der Bürgermeister mich nicht. Sollte er doch rumschleimen, wie er wollte – Hauptsache, er ließ Mum in Ruhe.

Allerdings trabten nach dem Bürgermeister noch weitere Gäste heran. Und die waren nun wirklich der Supergau: die Cloppenburgs, Claires Eltern. Ausgerechnet!

Wie aufs Stichwort ertönte hinter mir aus dem Wohnzimmer ein herzzerreißendes Wimmern. Und ich brauchte nicht einmal nachzusehen, was die Ursache dafür war. Die Schnaps- pralinen hatten aus Claire ein rührseliges Häufchen Elend gemacht. (Gedankliche Notiz an mich selbst: keinen Alkohol trinken. Niemals. Wer weiß, was ich alles Peinliches anstellen würde!)

Blöderweise hatte Claires Mutter ziemlich gute Ohren, denn sie fragte, mit hochgezogenen, perfekt gezupften Augenbrauen: »Himmel, was war denn das?«

Mum reagierte am schnellsten. »Unser Meerschweinchen«, sagte sie. »Es hat sich in den Staubsauger verliebt, aber der will nichts von ihm wissen.« Sie hielt Clarissa das Tablett unter die Nase. »Eine Praline, meine Liebe? Streng limitierte Produktion, ich habe sie aus einer Brüsseler Manufaktur, die nur an Kunden auf Empfehlung verkauft.«

Es funktionierte prompt. »Die sind ja wirklich köstlich«, säuselte Claires Mutter und knabberte an einem Eckchen Konfekt, das ganz eindeutig meine Tante Polly hergestellt hatte. »Du musst mir unbedingt den Kontakt geben, vielleicht können die nächstes Jahr was zu unserer Party machen.«

Mum lächelte unverbindlich, legte den Arm um sie und bugsierte Claires Mutter unauffällig zurück zur Sitzgruppe auf der Terrasse, wo sie sie mit dem Rücken zum Wohnzimmer auf einen Stuhl drapierte. Und mir dann wild zufuchtelte, damit wir Claire verstecken sollten.

Das brauchte sie mir nicht zweimal zu sagen.

»Claire«, zischte ich. Ich hockte mich vor die Couch, auf der sie rumlümmelte. »Du musst jetzt mitkommen.«

»Meine Mutter darfmichnichsosehn …«, nuschelte Claire. »Sonst darf ich bis zum Abi niemals nichmehr vor die Tür.«

»Sag ich doch! Du musst schleunigst von der Bildfläche verschwinden. Pauline, hilf mir mal!« Ich schaute mich nach meiner Freundin um, die sich (unwillig – ha!) von Nikolas losmachte. Konstantin entdeckte ich allerdings nirgendwo.

»Wir bringen sie erst mal in mein Zimmer, dann sehen wir weiter«, sagte ich, nachdem wir Claire zwischen uns genommen hatten. Zum Glück war die Luft rein. Meine Mum plauderte angeregt mit Claires Mutter, und Tante Polly hatte Herrn Cloppenburg ein Glas Bowle in die Hand gedrückt. Neben ihr entdeckte ich Franks hochgewachsene Gestalt und musste lächeln. Offensichtlich war Tante Polly auch in dieser Welt mit ihrem Traummann zusammen – vom Aussehen her ein Verschnitt aus diversen Filmstars, vom Wesen her der begnadetste Konditor der Welt.

»Dasistotalliebvoneuch«, nuschelte Claire, während wir sie durch das Wohnzimmer hinaus in den Flur und die breite Holztreppe hochschleppten.

Obwohl nicht gerade der beste Augenblick dafür war, schaute ich mich reflexartig um, schließlich war ich hier in einer Parallelwelt, und zwar in einer, in der ich vorher noch nie gewesen war. Ich musste darauf bauen, dass sich wenigstens Pauline in diesem riesigen, modernen Haus auskannte.

»Komm schon, Claire, jetzt beweg mal deine Füße, das wirst du doch schaffen«, sagte sie jetzt und stöhnte.

»Diesindabersoschwer«, murmelte Claire und ließ ihren Kopf an meine Schulter sinken. »Du riechst gut, Vic.«

»Öh, danke.« O Mann. Keinen Alkohol, wiederholte ich innerlich mein Mantra. Wirklich niemals!

Oben angekommen, zögerte ich kurz. Ich hatte schließlich null Ahnung, wo das Zimmer meines Parallel-Ichs war, doch Pauline zog uns schon energisch den langen Flur entlang bis zu einer Tür auf der rechten Seite.

»Und jetzt legst du dich hin und ruhst dich aus. So lange, bis deine Eltern wieder nach Hause gegangen sind, okay?«

»Hmmm …«, machte Claire und ließ sich auf das breite Bett plumpsen, das mitten im Raum stand.

»Aber nachher schlafe ich bei Vic im Bett. Du hast deine Matratze da unten!«, sagte Pauline und deutete auf eines der Polster, die überall auf dem Boden ausgebreitet waren.

Wie cool! Eine Übernachtungsparty! Darauf hätte ich bei mir zu Hause kommen sollen. Ob die Jungs wohl auch hierblieben?

»Wo ist noch das Gästezimmer, in dem die Jungs schlafen?«, fragte in dem Moment Claire, als ob sie meine Gedanken gelesen hatte, während sie versuchte, sich ihre halsbrecherisch hohen Riemchensandalen von den Füßen zu streifen.

Pauline verdrehte die Augen. Das machte sie in dieser Welt fast noch öfter als bei mir zu Hause. »Gegenüber. Und wage es ja nicht, dich später heimlich rüberzuschleichen.«

»Aber wenn ich doch weiß, dass ER da liegt!«

»Wer er?«, fragte ich und biss mir im nächsten Moment auf die Zunge. So eine doofe Frage, zumindest für mein Parallel-Ich! Die wusste sicher, in wen Claire hier verknallt war.

»Jetzt streu nicht auch noch Salz in meine Wunden!«, heulte sie sofort auf und warf sich in einer theatralischen Bewegung auf den Bauch, um ihr Gesicht in meine Bettdecke zu drücken. Wo sie wahrscheinlich den letzten Rest ihres Make-ups loswurde.

»Claire, jetzt reiß dich zusammen. Du bist in David verknallt, schön. Aber der mag nun mal blöderweise Charlotte. Und sie ihn, glaub ich, aber sie traut sich wegen dir nicht, sich mit ihm zu treffen, was zwar überaus löblich ist, aber ziemlich doof. Und außerdem weißt du doch, wer in dich verliebt ist, oder?« Pauline grinste.

»Wer?«, schniefte Claire und lugte unter ihrem Arm zu uns herüber.

»Na, Leonard.«

»Waaas?«

»Yep. Weiß doch jeder.«

Tja, bis auf mich. Eigentlich passte es jedoch, wenn ich darüber nachdachte. Sogar in meiner eigenen Welt.

»Aber Leonard ist … ist … Leonard!«

»Und er ist sehr nett. Und lustig. Und kann über etwas anderes reden als Computer, im Gegensatz zu David.«

Ja, diese Erfahrung hatte ich auch schon machen müssen. Ich verstand heute überhaupt nicht mehr, was ich an David gefunden hatte. Mit dem ständigen Technikgeschwafel hätte er sich von vornherein disqualifizieren müssen. Hatte er sich ja auch, als Konstantin aufgetaucht war.

Plötzlich bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Konstantin! Was genau trieb er eigentlich gerade unten? Warum war er nicht in meiner Nähe geblieben? Ich musste dringend zu ihm.

»Pauline, ich –«

»Ja, geh nur wieder runter, Geburtstags-Vic. Ich ziehe unserer Schnapsdrossel hier noch die Schuhe aus und komme dann nach. Sag mal, schnarcht die etwa schon?«

Claire lag mittlerweile reglos in meinem Bett, während sie in regelmäßigen Abständen ziemlich undamenhafte Grunzlaute von sich gab.

Ich kicherte und versuchte, das Bild möglichst detailgetreu abzuspeichern. In meiner Welt ließ Claire keine Gelegenheit aus, mich in irgendeiner Weise zu schikanieren. Aber das hier machte so einiges wett.

Das Kichern verging mir allerdings sofort, als ich zurück ins Wohnzimmer kam. Dort saßen nämlich meine Mum und Konstantin zusammen auf der Couch, auf der gerade noch Claire gelegen hatte, und hatten die Köpfe verräterisch tief über ein Buch gebeugt.

Und es war nicht irgendein Buch – das erkannte ich sogar aus zehn Meter Entfernung. Es war eins unserer Familienfotoalben. Mit jeder Menge peinlicher Babybilder von mir.

»Konstantin, könntest du kurz mal mitkommen?« Meine Stimme war eher ein Krächzen. »Ich, äh, bräuchte dich sofort bei einer … Sache …«

Gott sei Dank wurde Mum in diesem Moment von meiner Tante gerufen, die mit dem Tablett wedelte, auf dem ihre Liebespralinen gelegen hatten.

Ja, genau. Hatten. Irgendjemand hatte die Dinger (und es waren viele gewesen) komplett aufgefuttert, und den glasigen Augen von Claires Vater nach zu urteilen, war er daran nicht ganz unbeteiligt gewesen.

Tja, dann konnte er heute Nacht gemeinsam mit seiner Tochter seinen Rausch ausschlafen.

Konstantin war mittlerweile aufgestanden und nahm meine Hand. »Was ist los?«, fragte er, als er mich weg von den anderen in die Küche nebenan schob. Er schien sich im Haus inzwischen besser auszukennen als ich.

Wenigstens waren wir hier ungestört.

»Wir sind in dieser Welt noch keine Stunde zusammen«, zischte ich. »Und du lässt dir von Mum schon die Babyfotos zeigen? Ist das nicht ein bisschen … ein bisschen …« Mir fehlten die Worte.

Konstantin grinste selbstbewusst. »Komm schon, Vicky, das war doch eine Superidee! Ich hab jede Menge coole Sachen herausgefunden. Zum Beispiel, dass du mit drei Jahren die Spitzenunterwäsche deiner Mutter als Schleier auf dem Kopf getragen hast. Und mit sechs Jahren hast du die Sigismund-Statue auf der Gemeindewiese als Sternenglitzer-Barbie verkleidet. Und mit acht, da –«

»Schon gut!« Herrje, musste er das alles wissen? Auch wenn es sich hier genau genommen um die Schandtaten meines Parallel-Ichs handelte, waren meine eigenen sehr ähnlich gewesen. Ähnlich peinlich. »Meinst du nicht, dass das ein bisschen wirkt, als ob du, na ja –«

»Als ob ich total verliebt in dich bin?« Seine Grübchen wurden tiefer. »Als ob ich alles, aber auch wirklich alles über dich erfahren möchte?«

»Äh, also –«

Hach.

Hatte er das echt gerade gesagt?

»Und pass auf – um mein Parallel-Ich hab ich mich auch schon gekümmert. Ich hab ihm ein paar Nachrichten hinterlassen. Per E-Mail, im Notizprogramm und als Post-it auf dem Display seines Handys.« Er zog ein Smartphone aus der Hosentasche, auf dem ein orangefarbener Zettel pappte, der ziemlich vollgekritzelt war.

»Da steht alles, was er wissen muss. Dass er und Parallel-Vic gerade in einer Parallelwelt waren, dass das ab und zu passiert, und dass man während dieser Sprünge unbedingt verantwortungsvoll handeln soll.«

»Streber! Das hast du in der kurzen Zeit geschrieben?«

Er grinste. »Na ja, ich hab es ein bisschen anders formuliert.« Er hielt mir die Nachricht hin, die er auf den Zettel geschrieben hatte.

 

Parallelweltsprung.

Zusammen mit Vicky King.

Ihr beiden seid bei uns ein Paar.

Seit heute Abend auch hier.

Bitte benehmen.

Danke.

 

»Und? Was sagst du jetzt?« Er sah mich stolz an.

»Ist das nicht ein bisschen, also, sehr forsch?«

»Wieso? Dann wissen sie wenigstens sofort, womit sie es zu tun haben. Du hättest doch auch gerne früher kapiert, was los ist, oder?«

»Ja, schon. Ich hoffe nur, sie verstehen –« Ich riss die Augen auf. »Zimtschneckenalarm!«

Genau. In diesem Moment stieg mir der dezente Zimtgeruch in die Nase, und im nächsten Augenblick waren Konstantin und ich – oder zumindest unsere Seelen – aus der Küche in diesem tollen großen Haus verschwunden.

2.

Ich hätte nicht das Geringste dagegen gehabt, in meiner wirklichen Welt genau dort weiterzumachen, wo wir kurz vor unserem Verschwinden um eine Sekunde vor Mitternacht aufgehört hatten. (Nur zur Erinnerung: mondhelle Nacht, Hollywoodschaukel, inniger Kuss …) Aber wie so vieles in meinem Leben war mir das selbstverständlich nicht vergönnt.

Wir sprangen zwar zurück in unsere Welt – klar, so war es ja bisher immer gelaufen. Und das Gute an der Sache war tatsächlich, dass wir wieder gemeinsam landeten. Nicht so gut war allerdings, dass unsere Parallelversionen nicht auf der Veranda geblieben waren, sondern scheinbar mitten in der Nacht eine Entdeckungsreise durchs B&B unternommen hatten. Und das war offensichtlich nicht unbemerkt geblieben.

»Keine Bewegung, du mieser Schurke!«, rief Mum nämlich in genau diesem Moment und fuchtelte mir mit einem Federballschläger vor der Nase herum.

Erschrocken stolperte ich zurück und prallte gegen Konstantin, der mich gerade noch auffing.

»Du mieser Schurke?«, fragte ich und musste zweimal blinzeln, ehe ich kapiert hatte, was hier los war. Vor uns stand tatsächlich Mum, den Schläger im Anschlag, und neben ihr meine Tante Polly. Auch mit Schläger. Beide trugen Nachthemden und knautschige Schlaffrisuren, und Mum hatte sogar noch eine Taschenlampe in der Hand. Unsere Parallel-Ichs mussten sie aus dem Schlaf gerissen haben.

»Wer gewinnt?«, fragte ich in dem verzweifelten Versuch, das Ganze etwas aufzulockern, und deutete auf die Federballschläger.

Mum atmete schnaubend aus, und Tante Polly ließ die Hand sinken und rieb sich über die Stirn.

»Siehst du, Meg, ich hab doch gesagt, dass es keine Einbrecher sind. Wer will schon was aus eurem Keller klauen?«

»Was zum Kuckuck treibt ihr zwei hier unten?«, fragte jetzt Mum und pfefferte den Schläger in eine Ecke, wo er gegen einen Stapel ausrangierter Brettspiele krachte.

Das würde ich auch gerne wissen.

Wir standen direkt vor der alten, großgeblümten Couch in Mums ehemaligem Partykeller. (Mit der Betonung auf ehemalig. Seitdem es sich eine handtellergroße Spinne zwischen Mum und mir auf eben dieser Couch bequem gemacht hatte, während wir einen Film anschauten, war uns hier unten nicht mehr nach Party zumute. Inzwischen hielten wir uns lieber oben in unserem Wohnzimmer mit den Gästen auf. Die waren zwar manchmal auch gruselig, aber wenigstens hatten sie nur zwei haarige Beine statt acht.)

»Ich, äh, kam zufällig vorbei und wollte Vicky schon mal zum Geburtstag gratulieren«, sprudelte Konstantin los. »Und dann haben wir darüber gesprochen, wie cool ich das B&B finde, und daraufhin wollte Vicky mir unbedingt das ganze Haus zeigen, und weil wir oben niemanden stören wollten, haben wir im Keller angefangen.«

Ich warf Konstantin einen Seitenblick zu. Was war das denn für ein ausgemachter Schwachsinn? Das übertraf ja sogar meine beklopptesten Parallelweltausreden.

Fand Mum anscheinend auch. Sie zog eine Augenbraue hoch (sie und mein Dad waren die einzigen Menschen, die ich kannte, die das mit annähernder Perfektion beherrschten). »Mein lieber Konstantin«, sagte sie tadelnd, »du kannst dir morgen gerne tagsüber das Haus zeigen lassen, aber nicht mitten in der Nacht. Auch wenn Vicky Geburtstag hat. Ich schlage vor, du fährst jetzt nach Hause, und wir sehen uns bei Tageslicht wieder. Und wir beide« – sie deutete mit dem Finger auf sich und mich – »unterhalten uns gleich noch.«

Och nö.

Ich warf Konstantin einen flehenden Blick zu, aber der lächelte Mum nur an, und ich bemerkte, wie sich ihre Gesichtszüge langsam entspannten. Diese Wirkung hatte Konstantin einfach auf Frauen in jeder Altersklasse. Er musste nur lächeln, und alle lagen ihm zu Füßen.

»Na kommt. Morgen müsst ihr fit sein!«, sagte Mum und schob uns Richtung Treppe.

»Damit ihr es gleich wisst, ich werde ausschlafen und nicht zum Geburtstagsfrühstück erscheinen«, maulte Tante Polly, ehe sie nach oben in ihr Gästezimmer im ersten Stock schlurfte, das sie seit einem Brand in ihrem Haus bewohnte.

Mum begleitete uns noch bis zur Haustür. Und weil es mir immer noch peinlich war, meinen Freund vor meiner Mutter zu küssen, konnte ich mich gar nicht richtig von Konstantin verabschieden.

»Okay, also dann – bis morgen!«, sagte ich, hielt meine Hand hoch und winkte schwach.

Konstantin schien es ähnlich zu gehen, denn auch er grinste nur ein letztes Mal, ehe er durch unseren Garten sprang und in der dunklen Nacht verschwand.

»Ihr seht euch ja in ein paar Stunden«, sagte Mum und tätschelte mir die Schulter, weil ich ihm nachstarrte und aufseufzte. Eine seltsame Angewohnheit. Sie betraf offenbar alle, die frisch verliebt waren, denn genauso seufzte Tante Polly, wenn ihr Blick auf Frank, ihren Traumtypen, fiel. Und weil die beiden seit drei Wochen ein Paar waren, seufzte sie in letzter Zeit ziemlich oft. Mum dagegen seufzte praktisch gar nicht. Aber die war ja mit dem beknackten Bürgermeister zusammen. Da wäre mir auch nicht nach Seufzen gewesen.

Neben mir hörte ich ein leises Kichern.

»Was?«

Jetzt brach meine Mum offen in Gelächter aus. »Ihr habt einfach zu süß ausgesehen, wie ihr eben so ertappt im Keller gestanden habt.« Sie zog mich in ihre Arme. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, meine Große«, sagte sie liebevoll und gab mir einen dicken Schmatz. »Und denk das nächste Mal dran, wenn du heimlich mit Konstantin in den Keller schleichst: Die Spinne ist immer noch da. Und sie petzt alles weiter!«

Jetzt musste ich auch lachen. »Danke, Mum!« Dann murmelte ich an ihrer Schulter: »Tut mir leid. Das war eine ziemlich blöde Idee.«

Weil es genau genommen ja gar nicht meine war.

Aber Mum tätschelte mir nur den Rücken, ehe sie mich los ließ. »Die Bienchen- und Blümchenrede erspar ich mir, okay?«, sagte sie. »Das hatten wir schon oft genug. Also ab ins Bett – du willst doch zu deiner Party fit sein!«

Tatsächlich war es nicht Tante Polly, die zu spät zu meinem Geburtstagsfrühstück kam, sondern ich. Nach all der Aufregung verschlief ich den halben Vormittag und wachte erst auf, als Mum, Tante Polly und meine Großeltern mir das schiefste Happy Birthday ins Ohr grölten, das die Welt je gehört hatte. Und zwar direkt vor meinem Bett.

Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, um die verpassten Stunden betrogen worden zu sein, denn genau genommen hatte ich ja schon ziemlich viel von meinem Geburtstag erlebt – inklusive Party.

Meine eigentliche Geburtstagsparty sollte allerdings nicht wie in der Parallelwelt im B&B steigen, sondern am Badesee. Das hatten Pauline und ich uns ausgedacht, denn dort hatte eine neue Wasserskianlage eröffnet. Und da ich nichts mehr liebe als Schwimmen und Wasser, freute ich mich seit Wochen wie verrückt darauf. Trotzdem machte ich mir eine geistige Notiz, die Übernachtungsparty meines Parallel-Ichs an meinem sechzehnten Geburtstag nachzuahmen. Die hatte nämlich nach jeder Menge Spaß ausgesehen. (Von Parallel-Claire mal abgesehen.)

Da Mum noch auf neue Gäste des B&B warten musste und erst später nachkommen konnte, holte mein Dad mich gegen Mittag ab. Am See angekommen, führte er mich zu unserem Stammliegeplatz, der festlich mit Luftballons und einer riesigen Geburtstagsgirlande geschmückt war – und von dem eine ganze Horde von Menschen auf mich zustürmte. Fast alle meine Freunde warteten schon.

Pauline, Nikolas, Leonard, Susa und Steffi und noch ein paar andere empfingen mich mit großem Hallo, gratulierten mir und reichten mich herum wie ein Hundebaby.

Konstantin war als Letzter dran. Er begrüßte mich vor allen anderen mit einem Kuss auf den Mund, und es machte mir praktisch überhaupt nichts mehr aus. Ich war wirklich seit gestern erwachsener geworden, fand ich, und küsste ihn dank meines neu gewonnenen Selbstvertrauens gleich mal zurück.

Nur mein Dad sah plötzlich merkwürdig angespannt aus. Ich wusste, er mochte Konstantin, aber es war ihm anscheinend wohler, wenn wir nur Händchen hielten. Er räusperte sich. »Ich hole schon mal die Tickets für die Wasserskirunden.« Und schon war er in Richtung Kiosk verschwunden.

Ich warf einen Blick auf den See. »Hoffentlich stelle ich mich nicht zu blöd an!«, sagte ich zu Konstantin. Ich deutete auf den Steg, der ein Stück weiter rechts lag und von dem aus die Leute versuchten, einen Start auf den beiden Skiern hinzulegen. Betonung lag auf versuchen. Es sah, zugegeben, ziemlich komisch aus – und nicht gerade einfach.

»Vergiss mal einen Moment den See. Gestern Nacht bin ich gar nicht mehr dazu gekommen …«, murmelte Konstantin und zog mich ein Stück von den anderen weg, bevor er mir ein kleines Päckchen überreichte.

Mein Herz begann, hektisch zu klopfen. Das erste Geburtstagsgeschenk meines Freundes! Ich war so aufgeregt, dass meine Finger ein bisschen zitterten, als ich die kleine Schleife löste. Was es wohl war? Sah ja fast aus wie ein Schmuckkästchen – hoffentlich hatte er nicht zu viel Geld ausgegeben!

Gespannt hob ich den Deckel ab. Und musste blinzeln. Zweimal.

»Was ist das?«, fragte ich, als ich das Figürchen aus der Schachtel nahm. Es war ein kleiner, türkisfarbener Plastikfisch, gerade so groß wie meine Handfläche, mit einem silbernen Ring daran.

»Das ist ein USB-Stick als Schlüsselanhänger. Damit kannst du deine Daten von deinem Computer immer gleich sichern, du weißt schon, die ganz wichtigen Sachen. Und der Fisch, ich meine, du schwimmst ja schließlich fast so gut wie einer, deswegen dachte ich, es passt gut zu dir.«

»Äh, danke!«, stotterte ich und biss mir auf die Unterlippe. Ich wusste zwar nicht, was ich erwartet hatte – aber zumindest nicht so etwas, na ja, praktisches.

»Gefällt’s dir nicht?«, fragte Konstantin, und er guckte tatsächlich irgendwie unsicher. Was mich sofort dahinschmelzen ließ. Ich riss mich zusammen, lächelte ihn strahlend an und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

»Doch, ich find’s super. So sind meine Daten viel … sicherer.«

Ich bewahrte meine und Paulines Aufzeichnungen über die Sprünge auf meinem Computer auf, und einmal hatte Konstantin meine Festplatte retten müssen.

Er entspannte sich wieder. »Cool, da bin ich froh«, sagte er. Er schaute über meine Schulter zu den anderen, die es sich unter der Geburtstagsgirlande auf ihren Decken und Handtüchern bequem gemacht hatten. »Komm, Geburtstagskind, du darfst deine Gäste nicht warten lassen.« Er nahm meine Hand. »Und ich will dir auch noch Lara vorstellen.«

Ach ja. Die hatte ich ganz vergessen. Konstantin hatte mich schon vor ein paar Tagen gefragt, ob er die kleine Tochter von Freunden, die in den Sommerferien bei ihnen zu Besuch waren, zu meiner Party mitbringen könnte. Konstantin wohnte erst seit einem Jahr bei uns im Ort, die Freunde waren ehemalige Nachbarn von ihnen.

»Wie alt ist Lara denn eigentlich«, fragte ich, als wir schon fast beim Liegeplatz waren. Ich hoffte, die Kleine konnte schon schwimmen, sonst würden wir die ganze Zeit auf sie aufpassen müssen. Oder trug sie vielleicht noch Schwimmflügel?

»Wieso … äh …?« Konstantin sah mich verwirrt an.

In diesem Moment sprang ein fremdes Mädchen von einem der Handtücher auf. Sie war älter als ich, hatte wunderschöne schwarze Haare und ein herzförmiges Gesicht. Und gerade, als ich mich fragte, was Selena Gomez auf meiner Geburtstagsparty machte, sprach sie mich an.

»Hallo, du musst Vicky sein, ich bin Lara, Konstantins Ex. Super, dass ich mitkommen durfte. Ach ja, und natürlich alles Gute zum Geburtstag.«

Ehe ich etwas erwidern konnte, fand ich mich in ihren Armen wieder. Weil sie größer war als ich, konnte ich gerade so über ihre Schulter gucken, wobei mir ihre seidige Mähne in der Nase kitzelte.

»Wücks«, sagte ich. Oder so etwas Ähnliches. Sie roch nach Kokos und Vanille, hatte riesige, mandelförmige Augen und winzige Poren. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

Lara.

Von wegen kleine Tochter der Exnachbarn!

Sondern Konstantins Exfreundin.

»Oh, ist das dein Geschenk von Konstantin?«, zwitscherte sie mit glockenheller Stimme und deutete auf den USB-Fisch, den ich in der Hand hielt. »Der ist ja total süß. Und vor allem praktisch.« Sie schaffte es, das praktisch zu betonen, als meinte sie es auch so. »Also, mir hat er ja zu meinem letzten Geburtstag ein Armband geschenkt. Ich trage es übrigens immer noch!« Sie hob demonstrativ ihren Arm in die Höhe, an dem ich ein schickes Lederarmband mit einem winzigen Porzellananhänger entdeckte.

Hilfesuchend schaute ich zu Pauline, aber die zuckte nur leicht mit den Schultern und machte ein unglückliches Gesicht. So klug sie sonst war, in Beziehungssachen kannte sie sich leider noch weniger aus als ich. Allerdings hatte sie es so gewollt, im Gegensatz zu mir.

»Puh, echt total heiß!«, sagte Lara und tupfte sich mit ihrem T-Shirt die Stirn trocken – wobei sie ihren halben Bauch entblößte. Der perfekt flach und gebräunt war. »Ich brauche bald eine Abkühlung.«

Okay. Das musste ich jetzt erst einmal klären. Diesmal war ich es, die Konstantin hinter den nächsten Baum zog. »Hattest du mir nicht gesagt, du würdest die kleine Tochter eurer ehemaligen Nachbarn mitbringen?«, fragte ich halblaut.

Er schaute mich mit großen Augen an. »Ich hab gesagt, die jüngere Tochter. Lara hat noch eine ältere Schwester, aber die ist zu Hause geblieben.«

Ich biss mir auf die Lippen.

»Und die Tatsache, dass sie deine Ex ist, wolltest du mir wohl lieber verschweigen?«

Konstantin sah mich verdutzt an. »Nein, das wollte ich nicht. Aber wir haben vor über einem Jahr Schluss gemacht. Sogar schon eine ganze Weile, bevor wir überhaupt hierhergezogen waren. Was ist denn groß dabei?«

Ja, was war groß dabei? Ganz viel war dabei! Dass Konstantin vor mir eine Freundin gehabt hatte, wusste ich. Was ich nicht wusste, war, dass sie so aussah. Perfekt wie eine Disney-Prinzessin.

Offenbar konnte Konstantin meine Gedanken lesen, denn in seinem Blick funkelte es plötzlich. »Bist du etwa eifersüchtig?«, fragte er grinsend.

Na, das würde ihm wohl so passen!

Ich straffte meine Schulter. »Nein, natürlich nicht«, presste ich so hoheitsvoll wie möglich heraus. Was hätte ich sonst auch tun sollen? Ihm sagen, dass ich gerade im Begriff war, den größten Minderwertigkeitskomplex in der Geschichte der Teenager zu bekommen?

Niemals! So tief würde ich nicht sinken. Zumindest nicht heute, an meinem Geburtstag.

Pauline rettete mich. Sie wedelte von ihrem Platz mit ihrem Handtuch. »Konstantin, Vicky, kommt mal rüber! Dein Dad hat die Ausrüstung fürs Wasserskifahren organisiert.«

Ich zog Konstantin mit mir, und gemeinsam mit den anderen liefen wir zum Kiosk, wo mein Dad schon vor einer Kiste wartete, in der kurze Neoprenanzüge und Sturzhelme bereitlagen. Leonard stürzte sich darauf, und wenig später prusteten wir alle los, als er sich in einen Anzug mit Leopardenmuster zwängte und sich den Helm verkehrt herum aufsetzte. Was für ein Kindskopf! Aber eigentlich mochte ich genau das an ihm.

Ich erwischte zum Glück noch einen einfachen blau-schwarzen Anzug, fand dafür allerdings keinen passenden Helm in meiner Größe.

»Hier, probier den mal«, sagte ein Mitarbeiter der Anlage und hielt mir ein rosafarbenes Etwas hin.

»Ist das etwa Prinzessin Lillifee?«, rief ich und starrte entsetzt auf den Helm.

Entschuldigend zuckte er mit den Schultern. »Ohne Helm darfst du leider nicht fahren, tut mir leid.«

Na toll. Da konnte ich ja von Glück sagen, dass ich keinen Käpt’n-Sharky-Anzug erwischt hatte. Mein Blick fiel auf Lara. Sie sah sogar in Neopren super aus.

»Wo gab es denn die coolen Helme?«, fragte ich sie und deutete auf das schwarzglänzende Teil in ihrer Hand.

»Das ist mein eigener, vom Longboarden. Konstantin hat mich zum Glück vorgewarnt, so dass ich ihn noch einpacken konnte. Wäre ja schrecklich gewesen, wenn ich auf einen Leihhelm angewiesen wäre. Wer die schon alles aufhatte!«

Der rosafarbene Kinngurt meines Leihhelms brannte sich förmlich in meine Handfläche, und ich spürte, wie ich rot wurde. Hauptsächlich vor Verlegenheit. Und ein bisschen vor Wut.

»Aber deiner ist echt niedlich!«, säuselte sie weiter. »Schade, dass der mir nicht passt, sonst würde ich sofort mit dir tauschen!«

»Du hältst nichts von körperlicher Gewalt«, flüsterte mir Pauline zu. Gerade im richtigen Moment.

Also drehte ich mich nur wortlos um, in der Überzeugung, dass ich auf Lara gut und gern verzichten konnte. Und dieser Eindruck sollte sich hartnäckig im Lauf des Nachmittags halten.

Ich mach’s mal kurz: Unsere tolle Wasserskiidee war der Reinfall des Jahrhunderts – obwohl Wasser eigentlich mein Element war. Wie waren Pauline und ich auf den hirnverbrannten Einfall gekommen, das könnte Spaß machen, ohne es vorher heimlich auszuprobieren?

Prinzessin Lillifee hätte es mit Sicherheit besser gemacht als wir beide, denn weder Pauline noch ich schafften eine einzige Runde. Von zwanzig Starts plumpste ich drei Mal direkt nach den ersten Metern ins Wasser, und bei den nächsten drei Malen musste ich die Zugstange spätestens vor der ersten Kurve loslassen, weil ich das Gleichgewicht verloren oder keine Kraft mehr in meinen Armen hatte. Pauline war noch schlimmer dran, bei ihrem dritten Mal legte sie eine Bauchlandung hin und wurde, da sie sich an die Stange klammerte, als ginge es um ihr Leben, einmal quer durch den See gezogen.

Weitere Male gab es nicht. Nach Paulines Rückkehr wechselten wir einen Blick, pfefferten gleichzeitig unsere Neoprenanzüge in die Ecke, ließen uns zum Trost von Dad einen Monster-Schokoladeneisbecher spendieren und verzogen uns damit auf den Bootssteg.

Von hier aus hatten wir wenigstens einen guten Blick auf Konstantin und Nikolas, auch wenn die kichernde, kreischende und perfekt aussehende Lara das schöne Bild trübte. Überflüssig zu sagen, dass sie ein Naturtalent im Wasserskifahren war.

Pauline nahm einen großen Löffel von der Schlagsahne und musterte Miss Perfect Body, die Xaver gerade den Vortritt ließ. »Ich bin ja froh, dass sie jetzt noch Spaß hat! Sie sollte es genießen.«

»Wieso?«, fragte ich leicht sauer. Normalerweise hielt Pauline anstandslos zu mir. Sie hatte doch mitbekommen, dass Lara für mich ein eher schwieriges Thema war.

»Einfache Psychologie, Vicky. Weißt du nicht, dass es ein totaler Entwicklungsnachteil ist, wenn einem mit sechzehn alles in den Schoß fällt? Dann ist man nicht gezwungen, die in diesem Alter eigentlich so notwendige aktive Integrationsarbeit zu leisten. Was wiederum gar nicht gut für die Persönlichkeits- und Identitätsbildung ist und manchmal sogar zur Isolation im Erwachsenenalter führt.«

Mein Mund blieb offen stehen. »Hä?«, fragte ich.

Pauline kicherte. »Soll heißen, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Baywatch-Lara hier später die ganze Zeit um sich selbst kreist, im Alltag versagt und kein Schwein sie mag.« Sie hob dozierend die Hand. »Laut Forschung greifen solche Leute oftmals verstärkt zu schlechten, kurzkettigen Kohlenhydraten, manchmal auch zu Alkohol, während sie sich immer mehr von ihrer Außenwelt zurückziehen. Gleichzeitig steigt die Anzahl ihrer Haustiere auf durchschnittlich achtzehn Komma zwei – dann sind sie zwar nicht mehr ganz so einsam, riechen aber dafür nach Katzenklo.«

Ich musste lachen und umarmte meine Freundin. Pauline fand einfach immer die richtigen Worte, um mich aufzuheitern.

Mit einem deutlich leichteren Gefühl ums Herz schwiegen wir einen Moment und widmeten uns unseren kurzkettigen Kohlenhydraten – den Eisbechern.

Und dann doch wieder dem guten Ausblick. Denn gerade war Nikolas an der Reihe, der mit seinem vom Rudern perfekt gestählten Oberkörper wirklich ziemlich anbetungswürdig aussah. Entgegen seiner sonst so lockerleichten Art hatte er allerdings vor dem Start die Augenbrauen zusammengezogen und schien sich total zu konzentrieren.

Wenn da mal nicht jemand gerade einen perfekten Start hinlegen wollte! Aber Jungs waren, glaube ich, einfach so. Sobald sie in eine Situation kamen, die auch nur im Entferntesten nach Wettbewerb roch, entflammte ihr Ehrgeiz.

Neben mir hörte ich Pauline leise seufzen.

»Was ist los?«, fragte ich meine beste Freundin, die die letzten Schokosplitter aus ihrem Becher kratzte. Ich konnte es mir natürlich denken, aber fragen wollte ich trotzdem.

»Wieso ist Nikolas nur so komisch zu mir?«, fragte sie dann und starrte auf den See, der in der Sonne schimmerte.

Konstantins bester Freund war halb Grieche und halb Teddybär (zumindest äußerlich), und seit etwa zwei Wochen hatte sich sein Verhalten gegenüber Pauline radikal geändert. Davor hatte er jede Gelegenheit ergriffen, sie anzuflirten, doch Pauline hatte ihn eiskalt abblitzen lassen. Inzwischen hatte sich die Situation eher umgekehrt.

»Was macht er denn?«, erkundigte ich mich mitfühlend.

»Nichts«, sagte sie prompt. »Er ärgert mich nicht mehr. Und läuft mir nicht mehr hinterher.«

»War es nicht das, was du die ganze Zeit wolltest?«

»Hm …« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, als lautes Kreischen unsere Köpfe herumfahren ließ. Gerade noch rechtzeitig sahen wir, dass Lara der Länge nach ins Wasser gefallen war. Endlich! Allerdings tauchte sie filmreif wieder auf. Ich hatte es ja gesagt – Arielle meets Pocahontas. Konstantin, Xaver und Nikolas halfen ihr – selbstverständlich! – fürsorglich heraus, und sie warf ihnen eine Kusshand zu.

Pauline und ich schwiegen.

»Alkoholikerin mit spätestens zwanzig«, sagte Pauline nach einer Weile düster.

Ich nickte, so fest ich konnte. »Und mit dreißig hat sie dreiundsiebzig Katzen und riecht nach Raubtierhaus.«

Wenig später tauchte meine Mum auf, die Tante Polly und ihren neuen Freund Frank im Schlepptau hatte. Während meine Tante Polly mit ihren bodenlangen, dunklen Kleidern an die fiese Bellatrix-Hexe aus Harry Potter erinnerte, war ihr Freund Frank eher der Typ lässiger Cowboy-Superheld-Verschnitt. (Polly hatte mal versucht, sein Gesicht aus diversen Promi-Körperteilen zusammenzusetzen, und tatsächlich hatte er irgendwie eine Mortensen-Pitt-Clooney-Gyllenhaal-Ähnlichkeit – zumindest, wenn man wusste, wonach man suchte.)

Am meisten an den beiden fiel allerdings auf, dass sie von innen heraus strahlten, als ob jemand in ihnen ein Licht angeknipst hatte, sobald sie sich gemeinsam in einem Raum aufhielten. Bei meiner Mum war es genauso – ihre Ausstrahlung rührte jedoch nicht daher, dass sie frisch verliebt war (ich weigerte mich, an solche Dinge zu denken, solange sie mit dem Bürgermeister zusammen war), sondern bei ihr war das schon immer so gewesen. Und auch heute guckten ihr wieder ganz viele Leute nach, als sie über die Liegewiese zu uns herüberkam. Auch weil sie in ihrem Outfit echte Ähnlichkeit mit Herzogin Kate hatte – und das nicht nur wegen ihrer ausgemachten England-Affinität. An diesem Tag trug sie ein knielanges, himmelblaues Kleid und einen passenden Hut mit kleinem Federaufsatz dazu. Trotzdem schaffte sie es, nicht overdressed zu wirken, sondern einfach nur sehr, sehr hübsch. (Ihre schicken Klamotten hinderten sie übrigens nicht daran, noch mal gemeinsam mit Pauline und mir in den See zu springen. Schneller, als wir gucken konnten, hatte sie Hütchen und Kleidchen an die Zweige eines Baumes gehängt, war in ihrem Bikini an uns vorbeigeschossen und mit lautem Gekreische ins Wasser gehüpft.)

Am frühen Abend lud Dad alle meine Freunde, Mum, Tante Polly und Frank zum Barbecue im Lokal am See ein, und im Laufe des Abends stieg mein Stimmungsbarometer glücklicherweise wieder auf den morgendlichen Stand, wie es sich für einen Geburtstag gehörte. Leonard und Tante Polly übertrafen sich mit ihren urkomischen Imitationen von Promis, die wir erraten mussten, und bald brüllten alle vor Lachen. Konstantin hielt die ganze Zeit meine Hand (wenn ich sie nicht gerade für meine Gabel brauchte), und die Krönung war, dass Lara, die ich geistesgegenwärtig ans andere Ende des Tisches zwischen Xaver und Steffi verfrachtet hatte, schon ziemlich am Anfang ihre Sparerips auf ihr blütenweißes Top fallen ließ und kurz darauf verschwand – ha! Die Zukunft begann vielleicht schneller, als ihr lieb war.

Und Konstantin sah ihr nicht mal hinterher, als sie abzog. Sondern lächelte nur mich an.

Als ich abends im Bett lag, wusste ich gar nicht mehr, was am Nachmittag in mich gefahren war. Wie hatte ich mich so kindisch verhalten können? Konstantin hatte recht. Er hatte diese Lara seit seinem Umzug nicht mehr gesehen, und überhaupt war er ja mit mir zusammen! Mit fünfzehn Jahren stand man über so etwas, schließlich war ich jetzt schon beinahe erwachsen.

Abgesehen davon musste man sich bei mir keine Sorgen machen, dass mir alles in den Schoß fiel – das war nämlich definitiv nicht der Fall. Noch dazu hielt ich mich ja zumindest zeitweise in mehreren Welten auf, so dass ich doppelt und dreifach Integrationsarbeit leisten musste – oder wie Pauline das genannt hatte. Mit ziemlicher Sicherheit würde ich deswegen mit zwanzig sexy und selbstbewusst sein, und jeder würde mir zu Füßen liegen.

Und mit diesem beruhigenden Gedanken schlief ich ein.

3.

»Ich werde mich auf gar keinen Fall von meinem Kopfkrauler trennen!«, rief Tante Polly, während sie versuchte, ein uralt aussehendes Didgeridoo abwechselnd mit einem Tuch und dem Zipfel ihres bodenlangen Rocks vom Staub der letzten Jahre zu befreien.

Aber Mum schüttelte nur den Kopf. »Den Kopfkrauler hast du bestimmt seit Ewigkeiten nicht mehr angerührt!«

»Gar nicht wahr, ich benutze ihn quasi täglich!«

Ich verdrehte die Augen und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. So ging das schon den ganzen Tag zwischen Mum und Tante Polly hin und her, und ein Ende war nicht abzusehen.

Mum war heute früh aufgestanden, weil die neuen Gäste im B&B für diesen Tag einen Tagesausflug geplant und Lunchpakete bei ihr bestellt hatten. Ich allerdings hatte das Frühstück und damit die Familie verpasst, die sich für zwei Wochen bei uns eingemietet hatte, weil Mum mich hatte ausschlafen lassen. Erst gegen elf waren wir gemeinsam zu Tante Pollys altem Laden aufgebrochen, wo wir nun bis über beide Ohren in der Entrümpelungsaktion steckten.