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Wien im Jahr 2004 - eine nicht mehr ganz junge Nachwuchsband erlebt die Höhen und Tiefen des Rock'n'Roll Life Styles. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Sigi Pfisterer, der Held der Geschichte und gleichzeitig Lead-Sänger einer Band, die sich ZOFF nennt, "die böseste Form der Gewissenlosigkeit". Eine Geschichte über die "erbärmlichen Bedingungen", unter denen man auftreten muss, gleichzeitig eine Ansammlung unterhaltsamer Anekdoten aus der Wiener Beisl-Szene mit dem Lokal-Kolorit von so extrem gegensätzlichen Welten wie Kaisermühlen und der Josefstadt. Daneben finden sich in diesem Buch GESCHICHTEN AUS WIEN UND DEM WALD, einige ITALIENISCHE SKIZZEN, die im Rahmen von Reisen in Südeuropa entstanden sind, sowie das Romanfragment PENTECOSTE.
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Seitenzahl: 219
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Über den Inhalt:
Wien im Jahr 2004 – eine nicht mehr ganz junge Nachwuchsband erlebt die Höhen und Tiefen des Rock’n’Roll–Life-Styles. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Sigi Pfisterer, der Held der Geschichte und gleichzeitig Lead-Sänger einer Band, die sich ZOFF nennt, „die böseste Form der Gewissenlosigkeit“.
Eine Geschichte über die „erbärmlichen Bedingungen“, unter denen man auftreten muss, gleichzeitig eine Ansammlung unterhaltsamer Anekdoten aus der Wiener Beisl-Szene mit dem Lokal-Kolorit von so extrem gegensätzlichen Welten wie Kaisermühlen und der Josefstadt.
Daneben finden sich in diesem Buch GESCHICHTEN AUS WIEN UND DEM WALD, einige ITALIENISCHE SKIZZEN die im Rahmen von Reisen in Südeuropa entstanden sind sowie das Romanfragment PENTECOSTE.
Über den Autor:
Leo K., Jahrgang 1962, ist freier Schriftsteller und Musiker und genießt es nach wie vor, „nicht von der Kunst leben zu müssen“.
Neben seinem Hauptberuf als Techniker schreibt Leo K. für diverse Print- und Internet-Medien im Musik- und Politikbereich und ist seit seinem siebzehnten Lebensjahr (mit Unterbrechungen) als Bassist mit diversen Bands in Österreich und im benachbarten Ausland unterwegs.
ZOFF (Ein Rock’n’Roll Schundroman)
GESCHICHTEN AUS WIEN UND DEM WALD
ITALIENISCHE SKIZZEN
PENTECOSTE
Ein Rock’n’Roll Schundroman
Leo K. (2006-2013)
Wir schreiben das Jahr 2013: Von einer anstrengenden Tournee mit meiner Band kehre ich heim nach Wien. Ich möchte meine Bank-Konten ordnen und ein paar Dinge besorgen, die ich für mein Heim-Studio in meiner Villa auf dem Semmering brauche.
Auf dem Weg zu einem Musik-Geschäft im 21. Bezirk verspüre ich das dringende Bedürfnis nach einem kleinen Braunen in einem dieser furchtbaren Wiener Tschocherln. Es verschlägt mich dabei ins Kaffee „Falk“ in der Wagramer Straße, dort fällt mir neben der grell und ordinär geschminkten Kellnerin ein auf gelbes Papier kopiertes Plakat auf:
SIGI PFISTERER SINGT DIE GRÖSSTEN HITS DER 60ER UND 70ER
Also noch immer!
So lasse ich denn diese ereignisreichen Tage vor zehn Jahren Revue passieren, die mein Leben so grundlegend verändern sollten. Vieles, von dem ich erzählen werde, ist tatsächlich passiert, freilich vielleicht nicht immer genau in der Reihenfolge, wie hier nachzulesen. Manches MUSSTE einfach dazu erfunden werden. Die Namen der handelnden Personen und der Lokale habe ich natürlich teilweise verändert, weil ich ja nicht unbedingt Schmutzwäsche waschen will.
Obwohl – warum nicht? Damals war die Musik-Szene in Wien in einem erbärmlichen Zustand, wie sich noch zeigen wird. Vor allem die Bedingungen, unter denen wir auftreten mussten, waren erbärmlich, die meisten Gastronomen und Veranstalter waren erbärmlich; trotzdem glaubten wir an den Rock’n’Roll. Auch Sigi Pfisterer glaubte daran. Er ist eigentlich ein netter Kerl, hat viele Schwänke geliefert und kriegt hier vielleicht mehr Fett ab, als er verdient. Sorry, my friend!
Dies sind also die Abenteuer von Sigi Pfisterer, der besser daran getan hätte, das Singen bleiben zu lassen, und gleichzeitig die Erlebnisse einer nicht mehr ganz jungen Nachwuchs-Rockband im Wien des Jahres 2004...
Sigi Pfisterer war kein schöner Mensch – aber er hatte eine starke Ausstrahlung. Mit seiner quäkenden Stimme und der angestrengten und übertriebenen Mimik wirkte er ein wenig wie der Komiker und Schauspieler Jerry Lewis. Der war einst kongenialer Partner des genialen Sängers und Säufers Dean Martin in zumeist tragikomischen Rollen: Dino war der strahlende Held, Jerry der Dumme – Doppelkonference der Marke Qualtinger und Bronner oder Pat und Patachon auf amerikanisch und ohne besonderen Tiefgang. Besagter Jerry Lewis war jedoch nicht verwandt mit dem Rock’n’Roller Jerry LEE Lewis. Und trotzdem, oder besser gesagt, gerade deswegen, war Sigi Pfisterer sozusagen der Jerry Lewis des Rock’n’Roll – ein Ausspruch, der leider nicht von mir stammt, der aber Sigi Pfisterer hervorragend charakterisiert. Meine erste Begegnung mit ihm hatte ich in einer üblen Kaschemme in Wien 5., namens „Memphis“. Das im „FALTER“ angekündigte Duo „Sigi Pfisterer & Tim Trash“ gab sich die Ehre eines Auftritts. Es war ein bitterkalter Dezember-Abend im Jahr 2003, ich war gerade frisch geschieden und auf der Suche nach einer Band, um meinem unerwarteten Single-Dasein wieder einen Sinn zu geben. Im „BAZAR“ war mir ein Inserat aufgefallen, in dem „ein Bassist im Stile von John Entwhistle und John Bonham“ (Nur so nebenbei: John Bonham war der SCHLAGZEUGER von Led Zeppelin!) gesucht wurde – genau meine Kragenweite also! Ich hatte ein paar Jahre Erfahrung als Bassist einer Blues-Rock Band und wollte es nach einer Zeit des Rückzuges ins Ehe- und Privatleben sozusagen noch einmal wissen. Ich hatte die angegebene Telefon-Nummer angerufen und Sigi Pfisterer am Rohr gehabt. Er sprach selbstbewusst davon, es ginge darum, den gerade aktuellen Trend von „Rock mit deutschen Texten“ zu nutzen. Es würden nur eigene Songs gespielt, sie wären also „keine Cover-Band, beherrschten aber dafür die einzigartige Kunst des Rip-Offs“, etc, etc, etc
(Anmerkung: Rip-Off bedeutet einen Song so nachzuspielen, dass er nicht als Cover-Version bezeichnet werden kann, und trotzdem eine gewisse Publikumsschicht befriedigt).
Ich solle mir also das ganze mal anhören und mir eine Meinung über das Projekt bilden. Soweit, so gut! Ich betrat also das schon erwähnte „Memphis“, außer mir waren offenbar Sigi Pfisterer und Tim Trash anwesend, weiters ein unfreundlich dreinblickender Wirt, eine etwas freundlicher dreinblickende Kellnerin und noch zwei oder drei Gäste. Einer war dabei, der wie der Manager der Band wirkte, mit seinen Goldketten versprühte er den Charme eines Zuhälters aus mediterranen Gefilden. Er war ein Freund von Sigi, wie sich wenig später herausstellte, der als billige Franko Adolfo-Kopie des Öfteren in Casinos und ähnlichen Etablissements Herz-Schmerz-Oldies zum Besten gab und damit die Herzen der Frauen von 17 bis 70 zum Schmelzen brachte.
Well, da es sich also beim „Memphis“ um eine Art Blues- und Country-Pub handelte, würde ich an diesem Abend wohl mein Heil im Whisky suchen. Ich bestellte zum Aufwärmen den ersten von mehreren Johnny Walker Red-Label und lauschte ergriffen dem Gerede des Typen mit den Goldketten, der sich selbstgefällig „Sergio“ nannte. Sigi war laut eigenen Angaben des Öfteren mit Sergio durch Bratislava auf der Suche nach One-Night-Stands flaniert, wobei Sigi den Schüchternen gemimt hatte und Sergio den Draufgänger. Über die Erfolge dieses Gespanns weiß die Chronik jedoch wenig zu berichten…
Derweilen Tim Trash seine Gitarre stimmte, machte der Wirt den Jungs unmissverständlich klar, dass die von den beiden mitgebrachten Verstärker nicht zum Einsatz kommen würden, sondern die „Band“ über seine Stereo-Anlage spielen müsse, damit „das ganze nicht zu laut“ wird. Was für ein Witz! Die beiden Mini-Amps von Sigi und Tim gingen bei mir gestandenem Rocker gerade mal als Würstelkocher durch. Von wegen laut – der Typ hatte doch keine Ahnung! Na ja...
Tim Trash war mir gegenüber vorerst reserviert, wahrscheinlich wirkte ich auf ihn ein wenig abgehoben in meinem Metal-Outfit und mit dem Spiegel von nun mehr bereits mehreren Johnny Walker Red Label, dafür aber war Sigi Pfisterer umso begeisterter – zumindest hatte ich diesen Eindruck. Sie würden mich kontaktieren, nach Weihnachten sollte ich auf eine Session vorbeikommen.
Einige Wochen später...
Ich betrat eine Sub-Standard-Wohnung in einem Gemeindebau in Wien 22: Sie befand sich im obersten Stock des Hauses. Im Wesentlichen bestand die Wohnung aus einem 25 Quadratmeter großen Wohn-Schlafraum mit Stockbett, davor standen ein paar Gitarren-Amps, gegenüber befanden sich die Stereo-Anlage, ein Fernseher und ein Video-Rekorder sowie ein Stapel Musik- und Porno-Videos. In der Abwasch türmte sich Geschirr, das offenbar seit Wochen aufs Spülen wartete, und von verkrusteten Speiseresten strotzte. Auf dem Tisch lag eine Motorrad-Jacke, die gerade mit dem Öl vom Spaghetti-Carbonara-Kochen eingefettet worden war (um sie wetterfest zu machen, wie mir Sigi später erklärte). An einer weiteren Wand hingen Formel 1 – Fotos und astrologische Motive und was-weiß-ich-was-für Humbug! Inmitten dieses Chaos lärmte Sigi Pfisterer auf seiner Gitarre und plärrte sich die Seele aus dem Leib, wie ich schon im Stiegenhaus beim Betreten des Hauses hatte hören können: „In Dich verliebt, in Dich verliebt, in Dich verliebt...“ und immer wieder „Oh Yeah! Uuuuuh Yeah!“
Tim Trash war in jener leicht gereizten Stimmung, die ich später noch öfter an ihm beobachten sollte. Irgendwo zwischen Ärger und Wohlwollen beobachtete er Sigi’s Treiben und wies ihn dann und wann auf Arrangement-Fehler und Text-Lücken hin. Ich packte meinen Bass aus dem Koffer und stöpselte mich in meinen mitgebrachten Ampeg-Verstärker. Ich versuchte einfach mit den beiden mitzuspielen, nachdem mir Tim Trash die Grundzüge von einigen Songs erklärt hatte, und ich so zumindest ein paar Töne treffen konnte. Notenlesen hatte ich nämlich nie gelernt, das hätte mir in dieser Situation allerdings auch nicht viel genützt...
Anyway – irgendwie konnte ich an diesem Abend auch Tim Trash überzeugen, der übrigens mit richtigem Namen Tobias Rabenschwarz heißt, was aber nix zur Sache tut, und so hatte ich also den Job. Schlecht für Sigi’s Freund Franz Gutmann übrigens, der schon ein halbes Jahr zuvor von Sigi genötigt worden war, eine Bass-Gitarre und einen Verstärker zu kaufen, um in der zu gründenden Band als Bassist einzusteigen – alleine: Franz konnte nicht Bass spielen und würde es auch nicht lernen! Das einzige, was er konnte, war die Stereo-Anlage einschalten - der Bass und der Verstärker verstauben vermutlich heute noch in seinem Keller...
Tim Trash verriet mir an jenem Abend, wie die Band heißen sollte: „ZOFF – die böseste Form der Gewissenlosigkeit“ – das gefiel mir! Wir würden als die „Sportfreunde Stiller für Erwachsene“ Geschichte machen (Deren Album „Burli“ brachte der ehemaligen Fußballer-Fan-Band 2004 den endgültigen Durchbruch). 2004 würde also unser Jahr werden, 2004 sollte aber auch MEIN Jahr werden, wo ich es nach meiner Scheidung wieder so richtig laufen ließ!
Die Suche nach dem Schlagzeuger für ZOFF gestaltete sich sodann sehr schwierig und dauerte mehrere Wochen. Zuletzt hatten wir die Wahl zwischen einem überpünktlichen und absolut uncoolen Loser, der an einen traurigen, zweitklassigen Kabarettisten erinnerte, sowie einem lockeren Sunnyboy namens Andi Staberl. Andi erschien mit oranger Hose zum „Casting“ (=Vorspielen) und das gab letztlich den Ausschlag – mir gefiel er sofort: bunt, geschmacklos und gerade deswegen gediegen! Das war unser Mann! Als Zeugler hatte er es natürlich mit der Time: Wenn er um zwölf da sein sollte, kam er um 1/2 eins, und wenn er anrief, dass er in sieben Minuten da sein würde (was sehr oft vorkam), dann dauerte es noch eine Viertelstunde. Dafür war er ein genialer Drummer und ein Genießer vor dem Herrn. Andi’s Wohnung verströmte die köstlichsten Küchendüfte, die man sich vorstellen konnte, und es war klar, dass er der Band-Koch werden würde, wenn wir dereinst groß auf Tour gehen würden. Nebenbei konnte er beinahe kein weibliches Wesen vorbeiziehen lassen, ohne dass er zumindest versuchte, diesem schöne Augen zu machen.
Der uncoole Loser hätte es Sigi ja eher angetan, weil er so ein bisschen wie John Bonham von Led Zeppelin spielte, wohingegen Andi Staberl aus der Jazz- und Samba-Ecke kam – und darin lag wohl von Anfang an der Wurm bei ZOFF, aber davon später. Der Wurm bei ZOFF lag nämlich viel tiefer, und zwar in der ambivalenten „Beziehung“ zwischen Sigi Pfisterer und Tim Trash, wovon wir noch einiges hören werden. Vorweg sei so viel gesagt: Tim war nicht unbedingt begeistert von Sigi’s Vorliebe für Musik der Marke „Vintage“ (Anmerkung: Vintage ist ein anderes Wort für Mode bzw. Musik der 50er bis 70er Jahre, vor allem wenn diese durch „Stromgitarren“ geprägt ist…), er versuchte vielmehr, für wirklich ALLES offen zu sein, und das imponierte mir.
Wie dem auch sei, die Dinge nahmen ihren Lauf: Wir hatten unseren Drummer gefunden, die Band war somit komplett. Ich war mit Abstand der Älteste von den Vieren und fühlte mich ein wenig wie der „Bon Scott aus der Josefstadt“ (Anmerkung: Meine Wohnung befand sich damals im achten Bezirk, der auch Josefstadt heißt – übrigens eine begnadete Beisl- und Aufriss-Gegend! Anmerkung für die Rock’n’Roll Nachzügler: Bon Scott war der erste und gleichzeitig einzig ernst zu nehmende Sänger von AC/DC, und er war so viel älter als die anderen Musiker, dass er durchaus der Vater von Angus Young und den restlichen Buben hätte sein können. Er starb im Februar 1980 nach einem seiner zahllosen Alkoholexzesse. Ironischerweise wurde der Song „Hells Bells“ (1980) aus dem posthum Bon Scott gewidmeten Album „Back in Black“ in der großen Heavy-Metal-Zeit, Anfang der Achtziger Jahre zur Trademark der Band – eingesungen von Bon Scotts Nachfolger Brian Johnson, der nie an die Qualitäten seines Vorgängers anknüpfen konnte). Sei’s drum - ich sah jedenfalls alles als Herausforderung (wie so vieles in meinem Leben) und dachte mir, dass ich mit ZOFF mich und meine Einstellung jung erhalten könne.
Wir probten das ganze Frühjahr 2004 in den stundenweise mietbaren Proberäumen des „t-On“ in der Linken Wienzeile. Wir plauderten jeweils nachher im nebenan befindlichen „Cortez“ (die anderen tranken meistens ein Bier, ich meistens den einen oder anderen Grappa) und malten uns unsere großartige Zukunft im Rock’n’Roll-Geschäft aus, aus dem ich die Jungs „ganz groß rausbringen würde“ (Har Har!). Im „Cortez“ gab es eine ganz süße italienische Kellnerin. Sigi meinte nur altklug: „Bei der brauchst gar net bratn, bei den Italienerinnen ist das sinnlos, da brauchst du als Mann Knieschützer!“ Er selbst probierte dann irgendwann einmal, sie auf ein Getränk einzuladen. Kleinlaut kam er wenig später zu uns und meinte, sie habe abgelehnt, weil es „dem Chef nicht recht sei...“ Abgeblitzt war er also, der Gute, stellte ich schadenfroh fest!
So manche Probe fand aus Kostengründen in Andi’s Wohnung statt, wo wir halt ein bissl leiser spielen mussten (was der Genauigkeit der Performance dient und alle Spiel-Mängel deutlich werden lässt), wo wir uns aber auch an den Köstlichkeiten aus Andi’s Küche labten und uns am Anblick der Kalenderbilder mit den Palmers-Wäschemodels erfreuten, die Andi kunstvoll an seinen Wänden drapiert hatte. So hatten wir alle unsere kleinen Freuden in diesen Tagen...
Irgendwann nach ein paar fruchtlosen Proben mit ebenso fruchtlosen Diskussionen über dies und das begann es aber Tim erstmals zu stinken. Es ging nix weiter, die Suppe war einfach zu dünn. Es musste bei den Proben härter gearbeitet werden, nicht einfach nur „gejamt“! Tim beutelte den Sigi ordentlich her, wies ihn an, vor dem Singen Stimm-Übungen zu machen, beim Singen gefälligst genau zu intonieren, die Gitarre ordentlich zu stimmen und vor allem es nicht mit der Lautstärke zu übertreiben. Darauf lief Sigi’s Gesicht rot an, er hob die rechte Hand hoch mit dem noch höheren Zeigefinger und sprach seinen legendärsten Satz: „REDE NICHT IN DIESEM TON MIT MIR!!!“ Sigi war nämlich in seinem Hauptberuf Schauspieler („wegen des Geldes und wegen der Hasen“, wie er zu sagen pflegte. Er sagte dies einst der Regisseuse eines Österreichischen B-Movies, in dem er als Statist mitgewirkt hatte – sie erwiderte darauf sinngemäß bezüglich künftiger Engagments: „Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an…“). Sigi neigte also aufgrund seiner Schauspielerei, wie wir noch öfter sehen werden, zu darstellerischen Übertreibungen.
Das wurde übrigens auch jedem klar, der einmal Sigi’s Stimme auf der mailbox seines Mobil-Telefons (ich hasse das Wort „Handy“!) gehört hatte. Mit aufgesetzter Stimme nuschelte er etwas, das sich mit viel Phantasie etwa anhörte wie: „Dies ist die Sprachbox von ’Iggy Fitzgerald’ – sie können mir eine Nachricht auf Band hinterlassen.“
Sigi’s Blasiertheit relativierte sich ganz von selbst, wenn er sich persönlich und laut polternd mit „Pfistara! Hallo?!“ meldete...
Dann war da noch diese Party, bei der ich mich sehr intensiv mit einer gewissen Brigitte unterhalten hatte, bis der Sigi völlig betrunken zu später Stunde noch auf der Bildfläche erschien. Er fiel plump in unser Gespräch und pöbelte Brigitte mit den Worten an: “Wos is, fahr’ ma zu mir z’Haus, oder? Eh wurscht...“. Brigitte, die uns möglicherweise einen Gig bei einem Burg-Open-Air hätte verschaffen können – eine Connection, die natürlich von Tim Trash eingefädelt worden war - hatte sich somit ihre Meinung von ZOFF gebildet. Sie ließ den Sigi einfach stehen, fuhr mich dann noch mit Ihrem Auto bis zu mir nach Hause, ließ mich aussteigen (womit sich mein Anbaggern auch erledigt hatte) und ward nie mehr gesehen. Aus dem Auftritt bei dem Burg-Open-Air ist selbstredend nie etwas geworden.
Während all dieser Vorkommnisse arbeitete Sigi übrigens auch an seiner „Solo-Karriere“. Im Mai 2004 spielte er daher einen seiner berüchtigten „unplugged“-Auftritte: Im Cafe „Alt-Hietzing“ in Wien 13 gab er an einem Samstag Abend „die größten Hits der 60er und 70er“ zum Besten. Ich war als einziger seiner ZOFF-Band-Kumpane anwesend. Für mich speziell spielte Sigi Led Zeppelin’s „Tangerine“ (einer meiner Lieblingssongs vom legendären „Dreier“-Album der Zeps aus dem Jahr 1970) – sehr ambitioniert, doch auch grenzwertig, was das Stimmvermögen von Sigi anbelangte. Die meisten Leute im Publikum blickten irritiert drein. Bei „Bad Moon Rising“ schrie einer der anwesenden, der mit seinen zum Zopf gebundenen Haaren wie ein Biker aussah: „Au weh!“. Er hielt sich die Ohren zu und begab sich demonstrativ auf die Toilette. („Bad Moon Rising“ ist übrigens einer der fröhlicheren Songs von CCR und deren Gitarrero John Fogerty, und stammt aus der Woodstock-Zeit, viel besser gefiel mir ja „Sweet Hitch Hiker“, das bis Mitte der Siebziger Jahre noch in den Charts präsent war, doch das nur so nebenbei…)
Zurück zu Sigi: Nach der früher als geplant angesetzten „kurzen Pause“ verzichtete Sigi auf den zweiten Teil des Sets. Er widmete sich vorzeitig seiner Gage, nämlich den Gratis-Bieren. Seine Freundin Nina, die etwas später gekommen war, errette uns aus diesem Desaster und organisierte ein Taxi. Andernfalls hätte unser Wegkommen vom Cafe „Alt-Hietzing“, das irgendwie den Charakter einer Flucht hatte, möglicherweise problematisch geendet. Nachher gestand Sigi mir kleinlaut ein, dass ihm dieser „Auftritt“ peinlich gewesen war. Er sah ein, dass die 60er und 70er längst vorbei seien, wir im hier und jetzt lebten usw. Er würde sich ab jetzt nur noch auf ZOFF konzentrieren...
Nach Wochen des Probens und Plauderns über unsere große Zukunft war es dann an der Zeit, dass wir die Bretter, die bekanntlich die Welt bedeuten, entern sollten. Für den ersten Gig mit ZOFF hatte ich das „e.t.c.“, mein Stammlokal, auserkoren. Das „e.t.c.“ in der Laudongasse war gewissermaßen mein Wohnzimmer, befand es sich doch im Nebenhaus meines Wohnhauses. Von dort konnte ich zu jeder Tages- und Nachtzeit sozusagen trockenen Fußes heimkehren. Mit dem Reinhard, seines Zeichens Geschäftsführer vom „e.t.c.“ (leider weilt er nicht mehr unter den Lebenden), vereinbarte ich also unsere Live-Premiere. „Zahlen kann ich Euch natürlich nix...“ hatte er gesagt, „dafür könnt’s Essen und Trinken so viel Ihr wollt’s, und nachher mit dem Hut absammeln gehen...“ So lief das halt, wenn „man“ ein „Newcomer“ war. Als Termin vereinbarten wir den 3. Juni 2004 – welch denkwürdiger Tag sollte das werden!
Im Hinterzimmer des „e.t.c.“ befanden sich an die dreißig „geladene“ Gäste. ZOFF hatten den Soundcheck mit Hindernissen überstanden. Zuerst mal war der Andi fast eine Stunde zu spät gekommen, dann kannte sich keiner von uns mit dem völlig desolaten Mischpult des Lokales aus. Irgendwie koppelte das Gesangsmikrophon, egal was wir auch versuchten. Sigi zischte zwecks „Atemübungen“ irgendwelche grauenvollen Töne ins Mikrophon, worauf die Besitzerin des „e.t.c.“ fluchtartig den Raum verließ. Ich entschuldigte mich später bei ihr und spendierte ihr den einen oder anderen Metaxa, da ich es ohnedies schon die längste Zeit darauf angelegt hatte, mit ihr anzubandeln...
Schließlich legten wir los: Ein gewaltiger Tusch, dann der erste Song „Ergo A there Go“. Sigi’s Mutter saß im Auditorium. Sie rief noch während Sigi’s ersten Gitarren-Solos: “Sigi, es ist so schade um Eure schönen Texte – man versteht nichts...“ – darauf Sigi: „Gusch!“. Bei der zweiten Nummer wagte sein Freund Franz Gutmann zu rufen „Ihr seids zu laut!“, darauf Sigi: „Geh Scheissn!“, Franz ging beleidigt hinaus an die Bar.
In Wahrheit war der ganze Soundcheck ad absurdum geführt worden. Sigi hatte das „I feel like Jimi Hendrix“-Syndrom bekommen, und kaum, dass wir begonnen hatten, seine Gitarre und den Amp bis zum Anschlag aufgedreht. Er war lauter als alles andere im Raum, lauter vor allem, als der Musik gut tat.
Dieser Gig gehörte sicher nicht zu unseren, vor allem aber auch nicht zu meinen Glanzleistungen. Zum Einen lag von Anfang an eine böse Stimmung zwischen Sigi und Andi wegen dessen Zu-spätkommen in der Luft, und ich hatte diese nicht gut verdaut. Einer der Kellner vom „e.t.c.“ war schon um Achtzehn Uhr beim Soundcheck ein wenig „erfrischt“ gewesen, er war aus diesem Grund unabsichtlich über mein Gitarrenkabel gestolpert. Dadurch wurde das Kabel aus der Buchse von meinem Bass gerissen, wodurch derselbe nachhaltig beschädigt wurde - die Reparatur würde mich eine Stange Geld kosten...
Die von mir persönlich eingeladenen Freunde erlebten meine Rückkehr auf die Bühne nach mehrjähriger Pause mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Ich musste mir nachher Dinge anhören wie: „Such’ Dir eine andere Band, oder zumindest einen anderen Sänger!“ Mein Freund und Musikerkollege Joe war eigens für diesen Event aus Salzburg angereist. Er sagte nach dem Konzert: „Der Sänger ist der Knackpunkt. Er polarisiert – der gehört entweder auf die Bühne oder in die Klapsmühle...“
Wie wahr!
Ein paar Tage später fand in meiner Wohnung eine „Lagebesprechung“ statt. Ich lernte an diesem Tag erstmals Sigi’s Mutter näher kennen. Sie führte das große Wort, während ich den Schriftführer machte. Tim hielt sich merkwürdig zurück, Andi und Sigi nickten zu allem stumm und verloren immer mehr die Konzentration. Ich hatte den Fehler gemacht, für einen entsprechenden Vorrat an Bierdosen zu sorgen...
Sigi’s Mutter war eine opulente Erscheinung von bestimmendem Wesen. Sie hatte gewisse Tendenzen, sich als die Mutter der Band zu fühlen und das Management zu übernehmen. Tim hatte mir im Vertrauen schon berichtet, dass er ihre Fähigkeiten sehr wohl zu schätzen wusste, aber nicht in allem mit ihr übereinstimmen würde.
Immerhin brachte diese Besprechung die für alle gemeinsame Erkenntnis, dass bis zu unserem nächsten Auftritt in einem Monat im „Davis“ noch viel zu tun sei. Das betraf nicht nur die Musik und die Performance derselben, sondern auch die Werbemaßnahmen. „ZOFF, die böseste Form der Gewissenlosigkeit“ spielten „blues-infizierte Rockmusik mit deutschen Texten“ – diese Botschaft musste in alle Welt hinausposaunt werden, auf dass unsere Karriere ins Rollen komme! Sigi’s Mutter würde uns bei den Presse-Aussendungen für allfällige Ankündigungen in Zeitschriften wie dem „FALTER“ helfen. Tim hatte im Vorfeld Flyer drucken lassen, denn es waren insgesamt vier Konzerttermine fixiert worden. Der Auftritt im „Davis“ in Wien 21., war der zweite unserer kurzen „Sommer 2004“-Tournee.
Sigi und Tim hatten im „Davis“ letztes Jahr schon als Duo gespielt und wir wussten, dass es schwer sein würde, in diese entlegene Gegend Leute zu locken – das „Davis“ lag nämlich am Rande der Stadt in der Großfeldsiedlung. Also ging es darum, vor allem im 21.Bezirk fleißig Flyer zu verteilen. Auch am Donauinselfest, das eine Woche vorher stattfinden würde, musste geflyert werden.
Wir hatten die Aufgaben klar aufgeteilt: Tim flyerte in den Lokalen in Gürtelnähe, Andi und ich am Donauinselfest, Sigi bei ihm zu Hause in Transdanubien. Das Wochenende des Donauinselfestes war wie so oft verregnet. Trotzdem kämpfte ich mich tapfer durch die matschigen Wiesen und versuchte, so viel Flyer wie möglich an den Mann und (vor allem) an die Frau zu bringen. Der Andi war bei der Ega-Bühne hängen geblieben, denn er hatte dort ein Mädchen kennengelernt. Er war also an diesem Tag keine große Hilfe für mich...
Immerhin wurde ich für meine Mühen zu später Stunde noch durch ein grandioses Konzert der „Classic Whitesnake“-Formation mit Mickey Moodie, Bernie Marsden und Neil Murray belohnt, wobei sich wieder mal zeigte, dass auch die großen Bühnen soundtechnisch ihre Meriten haben, insbesondere die Planet-Bühne schien nicht von gutem Bühnensound gesegnet zu sein. Neil Murray deutete während der ersten Hälfte des Auftrittes ständig mit dem Finger nach oben, um zu signalisieren, dass er sich nicht im Monitor hörte. So hatten also auch die internationalen Bands ihre Probleme…
Zwei Tage später, an einem Montag um 11 Uhr - ich war gerade bei meinem Chef in einer Besprechung, schließlich hatte ich ja einen „Brotberuf“ um von etwas zu leben, von der Musik ging das nicht - es ertönte der Gong der Rundrufanlage und sodann die rachitische Stimme der Telefonistin, die meinen Namen rief: „Melden Sie sich bittääh – Telefon für Sie!!!“
Es war der Sigi: „Hallo, hast’ grad Zeit? Könntest Du mir helfen, die Flyer in der Großfeldsiedlung zu verteilen?“ – Ich darauf entgeistert, denn darauf war ich nicht gefasst: „Du, ich ARBEITE unter Tags, das weißt Du doch, ich bin jetzt grad im Büro, und ich kann jetzt nicht weg“ – „Ah so, ich dachte nur. Na gut, kein Problem. Tschau!“ – Weg war er, er hat wohl die Flyer alleine in der Großfeldsiedlung ausgeteilt, keine Ahnung. Vielleicht ist es ihm auch zu blöd geworden und ein großer Teil ist in irgendeinem Mistkübel gelandet – ich hätte ihm sowas zugetraut, aber was soll’s!
Nur so nebenbei hatten wir den Monat zwischen den beiden Auftritten natürlich auch für Proben genutzt. Es gab ja, wie gesagt, viel zu tun. Vor allem Sigi wurde immer wieder nachdrücklich angewiesen, nur ja nicht wieder seine Gitarre zu laut aufzudrehen.
Ich spielte bei den Proben auf meinem alten Fender-Precision-Bass, während die Kabelbuchse auf meinem „Alembic“ von einem Gitarrenliebhaber des Hauses „Stelzhammer“ repariert wurde (Leider ist dieses Musikaliengeschäft bereits Geschichte). Zwei Tage vor dem nächsten Gig konnte ich den Bass abholen – Glück gehabt!