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2022. Sam und Nikki haben Glück gehabt. Sie leben immer noch. In einem Deutschland, das zu weiten Teilen untot ist. Aber es schleicht sich immer häufiger die Frage ein, ob die Welt sie vergessen hat. Thorsten Neuhaus macht Nachrichten. Zumindest war das sein Job, bevor die Zombies das Land übernahmen. Und er hat nicht vor, damit aufzuhören. Material gibt es genug, aber können die drei lange genug überleben, um damit auf Sendung zu gehen? Zombie Zone Germany: Unsere Städte wurden Höllen. Sie kamen über Nacht. Ihr Hunger war unstillbar. Sie fielen wie Heuschreckenschwärme über die Lebenden her. Zerrissen sie, fraßen, machten aus ihnen etwas Entsetzliches. In den Straßen herrscht verwestes Fleisch. Zwischen zerschossenen Häusern und Bombenkratern gibt es kaum noch sichere Verstecke.In Deutschland ist der Tod zu einer seltenen Gnade geworden. Hohe Stahlbetonwände sichern die Grenzen. Jagdflieger und Kampfhubschrauber dröhnen darüber. Es wird auf alles geschossen, was sich (noch) bewegt. Deutschland wurde isoliert – steht unter Quarantäne. Die wenigen Überlebenden haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen, oder agieren auf eigene, verzweifelte Faust. Gefangen unter Feinden. Im eigenen Land. Doch ist der Mensch noch des Menschen Freund, wenn die Nahrung knapp wird und ein Pfad aus kaltem Blut in eine Zukunft ohne Hoffnung führt? Bisher in der Reihe erschienen: ZZG: Die Anthologie ZZG: Trümmer (Simona Turini) ZZG: Tag 78 (Vincent Voss) ZZG: Letzter Plan (Jenny Wood) ZZG: Zirkus (Carolin Gmyrek) ZZG: Blutzoll (Matthias Ramtke) ZZG: Fressen oder gefressen werden (Thomas Williams) ZZG: XOA (Lisanne Surborg) ZZG Anthologie: Der Beginn ZZG: Hoffnung (Hanna Nolden)
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Seitenzahl: 145
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Zombie Zone Germany
Auf Sendung
Lea Baumgart
Herausgegeben von Claudia Rapp
© 2021 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein17/2021
Idee: Torsten Exter
Herausgeberin der Reihe: Claudia Rapp
Lektorat: Claudia RappUmschlaggestaltung: Christian Günther Atelier Tag Eins - tag-eins.de
Alle Rechte vorbehalten
ISBN TB – 978-3-95869-396-8ISBN E-Book – 978-3-95869-397-5Printed in the EU
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
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Beunruhigt blickte Sam auf das Display seines Smartphones. Der Balken in der rechten oberen Ecke, der den Ladestand seiner Batterie anzeigte, war bereits auf einen äußerst dünnen Strich zusammengeschrumpft. Und der Zombie kam immer näher.
»Los, was soll ich nehmen? Das Beil oder den Spaten?«, wiederholte er seine Frage ungeduldig und blickte auf die beiden Gegenstände hinab.
Der Spaten war rostig, während am Griff der kleinen Axt noch getrocknetes Blut klebte. Die beiden Gegenstände lagen nebeneinander auf den Pflastersteinen, zwischen deren Fugen sich ein kümmerlicher Löwenzahn emporkämpfte.
Sie waren hinter einem Auto in Deckung gegangen. Ein schwarzer Familienwagen wie aus einem Werbespot für junge Eltern, der die Auffahrt zu einem gemütlich wirkenden Einfamilienhaus blockierte. Der Vorgarten zu ihrer Linken mochte einmal grün und gepflegt ausgesehen haben, doch die eine Hälfte des Rasens wucherte wie verrückt und schien überwiegend aus Unkraut zu bestehen. Die andere Hälfte war bereits vollkommen verdorrt. Neben dem eingegangenen Rosenstrauch lag eine angebissene Niere. Sie lag da wie die angefaulten Äpfel, die früher unter dem Baum im Garten seiner Eltern gelegen hatten, wenn sich lange niemand mehr die Mühe gemacht hatte, sie aufzusammeln. Vom Rest ihres Besitzers war nirgendwo eine Spur zu entdecken.
»Woher soll ich das wissen? Du willst doch kämpfen.«
Erneut warf er einen kurzen Blick auf seinen Akkustand. Von Wollen konnte eigentlich keine Rede sein. Die Worte »wollen« und »kämpfen« wären früher in dieser Kombination niemals im Zusammenhang mit Sam gefallen. Aber ihnen lief die Zeit davon. Außerdem konnten sie nicht riskieren, dass bald noch Bekannte ihres untoten Freundes auftauchten. Sam konnte an einem guten Tag vieles sein, aber ein besonders geschickter Kämpfer war er nie gewesen, und nicht einmal der Ausbruch der Apokalypse hatte daran etwas ändern können.
»Was wird auf den Bildern eindrucksvoller aussehen? Du solltest das doch wissen. Du hast früher auch gebloggt.«
»Sam«, sagte Nikki und verdrehte überdeutlich die Augen. »Mein Blog hat sich mit Beauty und Ernährung beschäftigt. Ich könnte dem Zombie da drüben erklären, dass sein Outfit sowas von 2020 ist und dass die Farbe ›Schmutz‹ bei einem so ungesunden Teint eindeutig unvorteilhaft ist.«
Sie strich sich über das blonde Haar, obwohl es sie kaum stören konnte. Wie gewöhnlich trug sie es zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, und ein hellblaues Stirnband stellte sicher, dass es ihr unter keinen Umständen in die Augen fallen konnte. Ein kurzer Moment der Ablenkung reichte in der heutigen Zeit bereits vollkommen aus, um in einem tödlichen Unfall zu enden. Die meisten Unfälle wurden 2022 statistisch gesehen durch Zähne verursacht und waren nicht angenehm.
Sie verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln, als wäre ihr plötzlich noch etwas eingefallen, und dabei zeigte sie die beiden etwas schiefen Schneidezähne in ihrem sonst sehr ebenmäßigen Gesicht.
»Außerdem könnte ich darlegen, warum seine Ernährung zu einseitig ist und wie sich das ausschließliche Verzehren von rohen Menschen auf lange Sicht negativ auf seine Gesundheit auswirken wird, aber da er tot ist, wird ihn das wenig interessieren. Was das optisch ansprechende Zerhacken von Untoten angeht, habe ich leider nicht die geringste Qualifikation.«
Sam schnaubte und griff nach dem Spaten. Was seine Qualifikationen anging, konnte er auch nicht mehr glänzen als Nikki. Er hatte auf seinem Blog Videospiele rezensiert. Noch vor zwei Jahren waren die einzigen Zombies, die er je zerhackt hatte, virtueller Natur gewesen. Aber als die Toten dann aus ihren Gräbern stiegen, hatte sich alles verändert. Jetzt bestand sein Alltag darin, gegen ziemlich reale Leichen zu kämpfen, und wenn er dabei versagte, würde es keinen Neustart für ihn geben. Oder eben doch, aber das wäre dann mit lethargischem Stöhnen und ungewöhnlichem Hunger auf Frischfleisch verbunden.
Wie aufs Stichwort knurrte der Zombie. Es war ein Geräusch, das jedes Mal dafür sorgte, dass sich die Haare auf seinen Unterarmen aufstellten und er das Bedürfnis verspürte, über die Schulter zu blicken. Das Stöhnen kam aus halb zerfetzten Kehlen oder feuchten Gräbern und klang wie eine Mischung aus dem Fauchen eines Raubtieres und dem Knarren eines Sargdeckels.
Im Grunde hatte Sam Glück gehabt, dass er in der Vorstadt wohnte. Das Spielen von Videospielen brachte in der Regel wenig sportliche Betätigung mit sich und erforderte auch kaum echten Mut. In der Großstadt hätte er keinen Tag überlebt. Die Zombies wälzten sich dort zu Tausenden durch die Straßen, und die wenigen Überlebenden hatten eigentlich von Anfang an keine Chance gehabt. Hier draußen auf dem Land hingegen verbreitete sich die Infektion langsamer. Es gab nur eine begrenzte Zahl an Einwohnern, die einen fressen konnten, und es war leichter, sich zu verstecken. Als die große Panik ausbrach, hatten viele Menschen versucht, in die Stadt zu gelangen und den nächsten Flughafen zu erreichen. Die Dörfer blieben verlassen zurück, und es gab kein Futter, sodass die meisten Toten einfach weiterzogen. Sie waren nicht intelligent genug, um Türen aufzubrechen, und die wenigen, die sich in ihren Wohnungen eingeschlossen hatten, statt die kopflose Flucht anzutreten, hatten letztendlich die besseren Überlebenschancen. Sam war damals schlicht zu feige gewesen, das Haus zu verlassen, und einzig diesem Umstand verdankte er jetzt sein Leben. Hier in der Gegend traf man nur hin und wieder mal auf ein einzelnes, umherstreifendes Exemplar wie das, das nun die Straße entlang auf sie zu wankte.
Hastig drückte er Nikki das Handy in die Hand und wies sie an, so viele Fotos zu schießen, wie sie nur konnte, während er selbst den Griff des Spatens fester umklammerte. Das Werkzeug fühlte sich angenehm schwer an in seiner Hand; ein Gefühl, von dem er zu Beginn gedacht hatte, er würde sich niemals daran gewöhnen können, doch nun beruhigte ihn die Gewissheit, etwas zur Verteidigung zu besitzen.
Dann trat er auf die offene Straße.
Vielleicht war es leichtsinnig. Aber es war ja nur einer, rief Sam sich in Erinnerung, nur ein einzelner Zombie. Und der würde gutes Bildmaterial liefern.
Den Spaten hatte er in erster Linie gewählt, weil er über eine größere Reichweite verfügte als das Beil. Wenn Sam eines besaß, so war es ein ausgeprägter Überlebensinstinkt. Er war sich schmerzlich bewusst, dass er kein guter Kämpfer war, und das Einzige, was ihn überhaupt dazu bringen konnte, dieses Risiko einzugehen, war die Hoffnung auf ein gutes Bild. Der Blog war wichtiger als alles andere, denn es gab nicht mehr viel anderes. Dafür nahm Sam sogar die Feindseligkeit in Kauf, die ihm im Lager entgegenschlug. Niemand verstand, warum er den kostbaren Strom, den ihr Generator produzierte, benutzte, um regelmäßig sein Handy aufzuladen. Niemand außer Nikki vielleicht, aber auch bei ihr war er sich nicht immer sicher. Sie hatten nie darüber geredet, warum sie das hier eigentlich taten. Nach einigen Gesprächen im Lager hatte sie sich ihm auf seinen Streifzügen durch die umliegenden Straßen einfach angeschlossen. Erst war es Sam unangenehm gewesen, in ihrer Gegenwart Fotos zu schießen, aber bei ihrem dritten Ausflug waren sie auf eine kleine Horde Zombies gestoßen, die jemand mit einem Springseil an einen Baum gebunden hatte. Sam hatte einfach Bilder davon machen müssen – das Springseil war neon-pink gewesen und hatte einen grandiosen Kontrast zu der fahlen Haut der Untoten gebildet –, und Nikki hatte es unkommentiert gelassen. Sam glaubte, dass sie von Anfang an gewusst hatte, warum er das Lager überhaupt verließ. Er hatte ihr von seinem Blog erzählt.
Was auch immer Nikkis Gründe sein mochten, Sam war es das Risiko wert. Deutschland war abgeschottet, kein Wort drang hinaus oder herein. Beinahe. Diejenigen, die in der Lage wären, Bericht zu erstatten, hatten keinen Internetzugang, kein Handy oder keinen Verstand mehr. Sam verdankte es einzig und allein der Tatsache, dass er so nah an der Grenze lebte, dass er Zugriff auf das Netz ihrer Bewacher hatte. Hinter den riesigen Betonwänden rund um das Land saßen sie, tranken Kaffee, schossen, wenn ihnen irgendjemand oder irgendetwas zu nahekam, und zockten, um sich die Zeit zu vertreiben. Sam konnte sie sich nur allzu gut vorstellen, mit ihren schicken Uniformen, ihren bequemen Betten und ihrem fließenden Wasser. Fairerweise musste er zugeben, dass er an ihrer Stelle wahrscheinlich genau das Gleiche getan hätte. Er war kein Idealist. Zumindest hatte er keine Ideale, die er nicht gegen eine Espressomaschine und Highspeed-Internet eingetauscht hätte.
Nachdenklich wog er den Spaten in Händen, um sein Gewicht ausbalancieren zu können. In den ersten Tagen hatte er sich jedes Mal fast selbst umgebracht, wenn er eine Waffe in die Hand nahm, doch mittlerweile wusste er zumindest einigermaßen, wie er sich zu halten hatte, wie man angriff und auswich. Andernfalls wäre er längst tot.
Der Zombie vor ihm taumelte näher. Er war langsam, und sein Körper bestand hauptsächlich aus Fetzen und unstillbarem Hunger. Sie hatten ihn in Stücke gerissen, bevor er starb. Gedärme hingen aus seinem aufgeplatzten Magen, und er hatte offensichtlich Probleme, das Gleichgewicht zu halten, da seine Mitte viel schmaler war als der Rest seines Körpers. Es sah aus, als könne er jeden Moment entzweibrechen. Außerdem stank er nach Verwesung, Sam konnte es sogar auf die Entfernung von einigen Schritten riechen.
Zombies wie diese waren Sam am liebsten. Sie machten auf den Bildern ordentlich etwas her, mit ihrem fahlen Fleisch und ihren blutigen Eingeweiden. Zudem bewegten sie sich so unbeholfen, dass es leichter war, sich nicht von ihnen erwischen zu lassen. Die schnellen Zombies waren gefährlich. Viele seiner Bekannten waren ihnen schon zum Opfer gefallen.
Er trat einen Schritt näher und hob den Spaten. Am vernünftigsten war es, die Angreifer mit einem schnellen, gezielten Hieb auszuschalten, aber erfahrungsgemäß wusste er, dass das nicht besonders eindrucksvoll aussah. Also tänzelte er stattdessen ein wenig um den Zombie herum, immer knapp außerhalb seiner Reichweite, damit Nikki die Gelegenheit bekam, ein paar gute Fotos zu schießen. Erst nach fast einer Minute ließ er die flache Seite des Spatens auf den Kopf des Untoten niedersausen und vernahm daraufhin ein befriedigendes Knirschen. Die Schädeldecken der Leichen barsten schnell, und nach einem zweiten Schlag sah er graue Gehirnmasse hervortreten. Der Anblick erinnerte ihn an einen aufgeweichten Schwamm.
Hastig machte er einen Schritt zurück, als der Zombie langsam in sich zusammensackte und nach vorne kippte. Die Knie gaben zuerst nach, doch gleich darauf verlor er das Gleichgewicht, und der Oberkörper schlug deutlich vor den Oberschenkeln auf dem Pflaster auf. Irgendetwas schien zu platzen – ein bereits halb verfaultes Organ möglicherweise – und faulige Körperflüssigkeiten spritzen einige Zentimeter in die Höhe.
Vorsichtshalber machte Sam noch einen Schritt rückwärts. Zombie wusch sich nur äußerst schwer wieder aus Kleidung heraus, und er hasste die Flecken.
»Gut gemacht«, lobte Nikki und trat hinter dem Auto hervor.
Obwohl sie fast einen Kopf kleiner war als er, schaffte sie es trotzdem, ihm irgendwie gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen. Hätte er so etwas wie Stolz besessen, hätte ihn das vermutlich gekränkt, aber Sams einziger Stolz waren inzwischen die Fotos. Und die hatte er ja bekommen.
»Du hast auf mich gehört und die flache Seite benutzt.«
Natürlich hatte er das, denn es war ein guter Ratschlag gewesen. Wenn man mit der Kante auf das Gehirn eines Zombies zielte, lief man Gefahr, dass diese im Schädel stecken blieb und man plötzlich ohne Waffe dastand. Noch vor zwei Jahren hätte er niemals gedacht, dass er solche Tipps einmal brauchen könnte. In den amerikanischen Computerspielen besaßen immer alle Schusswaffen. Sam fand das ein wenig unfair und höchst irreführend. Mit einer Schusswaffe hätte er sich deutlich wohler gefühlt als mit einem Spaten.
Hinter ihnen stöhnte es.
Beinahe genervt drehte Sam sich um. Seine Ruhe hatte man inzwischen kaum noch irgendwo. Früher, als die Städte voller Menschen gewesen waren, hatten alle nur auf ihre Handys geblickt und einander in Frieden gelassen. Heute konnte man kaum noch einen Fuß vor die Tür setzen, ohne dass jemand etwas von einem wollte. Einen kurzen Imbiss deiner Innereien zum Beispiel.
Zwischen den ordentlichen Reihenhäusern strauchelten zwei Zombies die Straße entlang auf sie zu. Bei dem Zustand ihrer Verwesung war es schwer zu sagen, ob sie einmal männlich oder weiblich gewesen waren; dem kleineren von ihnen klebten jedoch einige lange Haarsträhnen am Kopf, und Sam stellte mit Beunruhigung fest, dass die Leiche noch weitgehend intakt war. Der Größere schleifte sein Bein in einem seltsamen Winkel hinter sich her, doch der andere sah aus, als könne er seine Bewegungen bei Bedarf womöglich noch beschleunigen. Und Bedarf würde wahrscheinlich eintreten, sobald er die Witterung von zwei frischen Snacks aufnahm, was auf diese Entfernung nicht mehr lange dauern konnte.
»Ich übernehme den Großen und du den Schnellen?«, schlug Sam nach einer kurzen, aber realistischen Betrachtung seiner kämpferischen Fähigkeiten vor.
»Ich bitte dich«, schnaubte Nikki und drückte ihm das Smartphone in die Hand.
Der Bildschirm blieb auch unter seiner Berührung schwarz, und Sam nahm an, dass der Akku sich nun endgültig verabschiedet hatte. Eigentlich war das ziemlich schade, denn er wusste, dass Nikki immer für ein Foto gut war.
Entschlossen schritt sie nun auf die beiden Untoten zu, das Beil lässig auf ihre Schulter gestützt.
Sie trug ein schwarzes Top und sehr massive Stiefel. Sam konnte nicht umhin zu denken, dass er sich vor der ganzen Zombie-Sache niemals mit einem Mädchen wie Nikki angefreundet hätte. Er hatte Mädchen, die sich mit Mode und ausgewogener Ernährung beschäftigten, immer für langweilig und austauschbar gehalten. Er war ganz schön naiv gewesen.
Die beiden Untoten hoben nun gleichzeitig den Kopf. Es war keine fließende Geste mehr, überspannt von Muskeln und Haut, sondern das abrupte Zurechtrücken von Gelenken. Es wirkte umso unheimlicher, da nichts Menschliches in der Bewegung lag. Unwillkürlich überkam ihn das Bedürfnis zurückzuweichen, doch Nikki überbrückte die letzte Distanz zu der tödlichen Gefahr blitzschnell, bevor sich die beiden darüber klarwerden konnten, woher der Geruch nach warmer Mahlzeit rührte.
Geübt riss sie den Fuß nach oben und trat den größeren Zombie so gezielt gegen das Becken, dass er zurücktaumelte. In der Zwischenzeit hatte sie das Heft des Beils bereits tief in den Schädel des anderen gegraben, der daraufhin vor ihr zusammensackte. Auch die schnellen von ihnen waren nicht so schnell wie die Lebenden – solange die sich wirklich beeilten. Den größten Teil der Bevölkerung hatten sie durch bloße Überzahl und unerschöpfliche Ausdauer kleingekriegt, doch wenn man sie direkt angriff, war es relativ einfach, sie zu überrumpeln. Natürlich kannte er außer Nikki kaum jemanden, der einen direkten Angriff auf einen Zombie für eine gute Idee hielt, aber bei ihr hatte es bisher immer funktioniert.
Der andere Untote hatte sich jetzt wieder gefangen und stolperte erneut auf sie zu. Da er jedoch Probleme mit seinem Bein hatte und sich dadurch fast in Zeitlupe bewegte, konnte sie das Beil abermals ohne besondere Eile schwingen.
Sam hatte nicht einmal genug Zeit darüber nachzudenken, ob er ihr vielleicht hätte helfen sollen, dafür hatte sie die beiden bereits zu schnell ausgeschaltet. Im Gegensatz zu ihm war Nikki von Anfang an sehr sportlich gewesen. Damals an der Uni hatte sie einen Yoga-Kurs besucht, hatte sie ihm erzählt. Yoga. Nun ja, man lernte nie aus.
Jetzt drehte sie sich grinsend zu ihm um, aber erst, nachdem sie einige Schritte von den nun wirklich leblosen Leichen zurückgetreten war. Das war noch so eine goldene Regel. Niemals einem am Boden liegenden Zombie den Rücken kehren, solange man sich noch in seiner Reichweite befand. Bei den Toten heutzutage wusste man nie; sie waren einfach nicht mehr so tot wie früher.
»Eigentlich habe ich diesen Selbstverteidigungskurs ja gegen Arschlöcher gemacht, aber gegen Zombies ist er auch ganz nützlich«, verkündete sie amüsiert und sah dabei sehr zufrieden aus.
Im Lager wirkte sie nie so glücklich wie auf offener Straße, und manchmal sorgte Sam sich deshalb. Ihm machte es nicht viel aus, eingesperrt zu sein. Auch vor den Zombies hatte er die Wohnung nicht öfter als nötig verlassen, aber er konnte erkennen, dass viele der anderen Überlebenden seine Einstellung nicht teilten. Wie Nikki wurden sie leichtfertig und etwas zu risikofreudig, aus dem Drang heraus, sich zu bewegen und frei zu sein. Für Sam ähnelte das schon fast einer Art Todessehnsucht, aber er hütete sich, das Thema anzuschneiden.
»In dem Kurs haben sie euch bestimmt nicht beigebracht, eine Axt zu verwenden«, stellte er trocken fest, während sie zu ihm aufschloss.
Gelassen zuckte Nikki mit den Schultern. Wie immer schien sie sich seine Worte nicht allzu sehr zu Herzen zu nehmen.
»Und was machen wir jetzt?«, wollte sie stattdessen wissen.
Sam blickte auf das Smartphone, das er immer noch in der Hand hielt. Der Bildschirm blieb schwarz, obwohl das Plastik in seiner Hand sich sehr warm anfühlte.
»Wir sollten zurück zum Lager, Fotos können wir heute eh keine mehr schießen.«
Scheinbar resigniert seufzte Nikki auf.
»Schon? Und ich dachte wir wären hier, um Spaß zu haben.«
Je näher sie dem Lager kamen, desto gepflegter wirkte die Gegend. Weniger Schutt lag umher, und sämtliche Häuser sahen aus, als hätten ihre Bewohner sich nur auf einen längeren Urlaub begeben.
Natürlich hatte es militärische Maßnahmen gegeben, als die Seuche ausbrach, doch konzentrierten sich diese vornehmlich auf das Landesinnere. Explosionen und Zerstörung hatten Häuser niedergerissen und im Kampf gegen die Zombies auch viele Möglichkeiten, sich zu verbarrikadieren, vernichtet.