Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke - Susanne Thiele - E-Book

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke E-Book

Susanne Thiele

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Beschreibung

Bakterien, Viren und Pilze erfolgreich in Schach halten!
Wir können sie nicht sehen und doch leben wir mit Milliarden von ihnen zusammen: Mikroben. Sie bevölkern unser Bad, richten es sich kuschelig in unserem Schlafzimmer ein und lassen es sich in unserer Küche schmecken. Wie wir Bakterien, Viren und Pilze erfolgreich in Schach halten und welche uns und unserer Gesundheit sogar nützen, erzählt die Mikrobiologin Susanne Thiele so fundiert wie unterhaltsam.
Mit vielen Tipps für die richtige Hygiene im Alltag und für ein gesundes Leben mit unseren »Untermietern«.

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Seitenzahl: 325

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Wie bekämpfen Zimmerpflanzen Schimmelpilze und halten unsere Räume gesund? Wie schaffen es Katzen, ein Gen zu deaktivieren, das Asthmaerkrankungen befördert? Dank Mikroben! Unsere kleinsten Mitbewohner haben zwar oft einen schlechten Ruf, aber sie erledigen im Haushalt viel Nützliches: Sie reinigen unser Wasser, filtern unsere Luft und trainieren unser Immunsystem. Wir leben mit Milliarden von Bakterien, Viren und Pilzen zusammen, und das meist sehr friedlich. Nur wenn ihre Anzahl überhandnimmt, kann es gefährlich werden. Dann könnten wir uns in unserer Küche eine Salmonellenvergiftung oder unter der Dusche eine »Bademeisterlunge« holen, eine Form der Lungenentzündung. Auf einem informativen und unterhaltsamen Rundgang durch Küche, Bad, Schlaf-, Kinderzimmer und Co. erklärt die Mikrobiologin Susanne Thiele, welche Mikroben mit uns in unseren Wohnräumen leben und wie wir die kleinen Untermieter in Zaum halten. Sie zeigt, warum zu viel Sauberkeit schadet, und gibt Tipps für die richtige Hygiene im Alltag.

Susanne Thiele

Zu Risiken und

Nebenwirkungen

fragen Sie Ihre

Türklinke

Wie Mikroben unseren Alltag bestimmen – Neues und Erstaunliches über unsere vielseitigen Mitbewohner

Illustrationen im Innenteil von Isabel Klett

Wilhelm Heyne Verlag

München

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 2/2019

Copyright © 2019 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Michael Schmidt

Umschlaggestaltung: Martina Eisele, Eisele Grafik Design

unter Verwendung eines Motives von: Bigstock/Hvostik; Shutterstock/Ivan_Nikulin

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-22567-4V001

www.heyne.de

Inhalt

Ein paar Worte vorweg

Erster Teil Unsichtbare Welten

1 Ein Planet der Mikroben

Was sind Mikroben? • Small, small World – ein unsichtbarer Mikrokosmos • Latein für Keime • Haben Bakterien Sex? • Happy Birthday, Leben! • Überall Bakterien – vom Anfang bis zum Ende • Der Mensch – nur ein Klecks in einer mikrobiellen Welt • Rekordverdächtige Mikroben • Kooperation ist alles

2 Gute Mikroben, böse Mikroben

Mikrobenjäger – unsere Angst vor Keimen • Lernende Immunzellen • Verlorene Freunde – wie unsere Mikrobiome verarmen • Generation Keimfrei – die Erfindung der Allergie

3 Letzte Wildnis in unseren Häusern

Das große Krabbeln – wer hat die Macht in unserer Wohnung? •

Sie sind nicht allein – Ihre persönliche Mikrobenwolke

Zweiter Teil Unser heimischer Mikrobenzoo

1 Unser Tor zur Welt – Haustür und Flur

Blinde Passagiere auf Türklinken • Pumps, Sneakers & Co. – Keime auf leisen Sohlen • Auf der Suche nach dem Geheimnis der Käsefüße • Der Mikrokosmos in unseren Handtaschen und Einkaufsbeuteln • Dirty Money – Taler, Taler, du musst wandern!

2 Die Küche – von Schwämmen und Schneidbrettern

Verkehrsregeln auf der Arbeitsplatte • Untermieter in Spülbürsten, Schwämmen und Schwammtüchern • Warum Geflügel nicht geduscht wird • Coole Keime im Kühlschrank • Freundliche Mikroben auf Grünzeug • Gute Keime aus der Wasserleitung • Von Kaffee liebenden Bakterien • Natürliches Aufräumkommando im Bioeimer

3 Das Wohnzimmer – von Teppichvölkern und TV-Mikroben

Wer kuschelt auf dem Sofa mit mir? • Grippe beim Zappen – TV liebende Bakterien und Viren • Hilfe, der Teppich lebt! •

Bakterienkarussell im Staubsauger • Grüne Zimmerpflanzen – prima Klima mit guten Mikroben

4 HomeOffice – fleißige Mikrogesellen auf Computer und Handy

Winzige Kollegen auf Tasten und PC-Mäusen • Smartphone – jedes Handy erzählt eine Geschichte

5 Expedition ins Badezimmer

Von der Latrine zum Wellnesstempel • Mikroben-Paradies im modernen Bad • Nichts ist so sauber wie eine Toilette! • Von Duschen und Bakterien im Nebel• Tückische Legionellen

• Badematten und Handtücher mit Eigenleben • Lady in Pink – schimmliges Leben in der Fuge • Beauty-Mikroben – Keime, die Cremes und Bürsten mögen • Alles clean mit Seife? • Haariges: Bewohner in Zahnbürsten und anderen Borsten

6 Das Schlafzimmer – wer schläft denn da mit mir?

Der Regenwald in der Matratze • Allerhand los im Kopfkissen! • Mit oder ohne Pyjama? – Schlafen wie Marilyn

7 Mikrobenzoo im Kinderzimmer

Baby an Bord – Nestschutz und erste Infektionen • Hausstaub unter der Lupe – von Krabbelrobotern und Babybetten • Boxenstopp am Wickeltisch • Schnuller – abkochen oder nicht? • Teddybär, Plastikauto und Quietscheentchen – Spielzeug als Shuttle für Keime & Co.

8Hund und Katz – zu Hause mit Stubentiger & Co.

Bello als natürlicher Mikroben-Lieferdienst • Wohngemeinschaft mit Stubentiger • Mit Hund und Katz ins Bett?

Dritter Teil Schöner Wohnen mit Mikroben

1 Mit »guten« Keimen leben

Wie unsere Häuser unsere Mikrobiome formen • Wie uns unsere Heime gesünder machen könnten • Die Welt von morgen ist mikrobiell • Herzlich willkommen, ihr Keime!

2 Ein paar letzte Worte …

Werden Sie Mikrobenliebhaber!

Dank

Literatur

»We shape our homes and

then our homes shape us.«

(Wir formen unsere Häuser und

danach formen unsere Häuser uns.)

Winston Churchill1

»We are a touch generation.

We are sharing more surfaces

than people ever have in history.«

(Wir sind eine Touch-Generation.

Wir teilen uns mehr Oberflächen,

als es die Menschen je getan haben.)

Charles Gerba, Mikrobiologe2

Ein paar Worte vorweg

Mögen Sie Mikroben? Oder lässt Sie allein schon der Gedanke an solche winzigen Lebensformen zur Desinfektionsflasche greifen? Bakterien, Pilze, Viren & Co. – diese ganze Mikrobenschar hat ein furchtbar schlechtes Image. Tägliche Nachrichten über Epidemien und abscheuliche Krankheiten machen Mikroben zu unseren Angstgegnern. Jedes Kind wächst mit den Geschichten von den zerstörerischen Zahntrollen Karius und Baktus auf. Ganze Heerscharen von Mikrobenjägern sind zum Kampf gegen die Bakterien angetreten. Koch, Pasteur oder Virchow konnten wichtige Etappensiege im Wettrennen mit den Erregern erzielen. Trotzdem sitzt unsere Angst vor Keimen immer noch so tief, auch wenn Pest und Cholera Europa schon lange nicht mehr heimsuchen.

Die meisten von uns sind heute sehr gut über krank machende Erreger informiert. Hygiene wird großgeschrieben. Selbst Privathaushalte rüsten zur Schlacht gegen Mikroben auf, und manche sind sogar keimärmer als ein OP-Saal! Moderne Waffen wie Desinfektions- und Badewannenspray töten alles, was da kreucht und fleucht – frei nach dem Motto »Nur eine tote Mikrobe ist eine gute Mikrobe«. »Antibakteriell« klingt für die meisten Menschen positiv. Gern greifen sie nach den so beworbenen Seifen, Hautlotionen und Reinigungsmitteln. Haben die meisten Haushalte nicht eher ein Problem mit Mehlmotten als mit Keimen?

Mikroben haben wunderbare Eigenschaften. Sie sind die kleinste und erfolgreichste Lebensform auf der Erde und besiedeln die unwirtlichsten Lebensräume. Sie sorgen für eine ordentliche Verdauung in unserem Darm und räumen die Umwelt auf, indem sie organische Substanzen verwerten und Abwasser reinigen. Viele Bakterien und Pilze machen Lebensmittel erst schmackhaft und haltbar. Joghurt, Käse oder Bier gäbe es nicht ohne unsere mikrobiellen Helfer. Sind Sie aber trotzdem der Meinung, Badezimmer, Küche, Kühlschrank und Spüle sollten immer völlig keimfrei sein?

Erst in den letzten zehn Jahren hat sich unsere Einstellung zu Mikroben gewandelt. Seit Wissenschaftler das menschliche Mikrobiom, vor allem im Darm, erforschen, rückt die positive Beziehung zwischen uns und unseren winzigen Mitbewohnern immer mehr in den Vordergrund. Und das Interesse an den Mensch-Mikroben-Wechselwirkungen steigt. Seit 2014 gibt es den ersten Mikrobenzoo »Micropia« in Amsterdam, wo sich große und kleine Besucher den faszinierenden Mikrokosmos näher anschauen können – vor Jahrzehnten noch unvorstellbar. Im Mai 2017 hatte ich Gelegenheit, »Micropia« mit meiner Familie zu erkunden – sozusagen auf Recherche vor Ort. Eine der Inspirationen für dieses Buch fand ich in einer mannshohen meterlangen Leuchtwand, die über und über mit Petrischalen in den unterschiedlichsten Farben bedeckt war – bewachsen mit Mikroorganismen aus unserem täglichen Leben: mit Bakterien, die auf unseren Zahnbürsten sitzen, von Türklinken grüßen oder in unserem Staubsauger hausen, mit Schimmelpilzen, die mit uns duschen oder abends mit uns ins Bett schlüpfen. Die bunte Artenvielfalt unserer alltäglichen Begleiter ist unglaublich. Die Forscher kennen bisher nur einen Bruchteil der um uns herum lebenden Mikroorganismen und wissen oft auch nicht genau, wie diese winzigen Lebewesen in ihrem Ökosystem funktionieren.

Mikroorganismen also sind allgegenwärtig in unserem Leben. Absolute Keimfreiheit gibt es unter normalen Umständen nicht. Sie ist auch gar nicht nötig. Ich kann Sie jetzt schon beruhigen: Nur die allerwenigsten im Haushalt vorkommenden Keime führen zu Infektionen. Natürlich gibt es ein paar schwarze Schafe. Es sind aber nur 0,1 Prozent der mikrobiellen Arten auf der Erde, die überhaupt Infektionen beim Menschen verursachen können. Die Mehrheit der unzähligen Mikroben in unserer Umwelt schadet uns nicht. Die Winzlinge bereichern sogar Ihr Leben.

Werfen Sie in diesem Buch gemeinsam mit mir einen mikroskopischen Blick auf einen unsichtbaren Mikrokosmos in Ihrem Zuhause! Im ersten Teil mache ich Sie mit der Mikrobenwelt bekannt – sie ist voller wogender Flagellen, blubbernder Gase und einiger rekordverdächtiger Mikroorganismen. Wir gehen unserer historisch begründeten Angst vor Keimen auf den Grund und klären, warum Mikroben so lebenswichtig für uns sind. Sie erfahren, wer im Laufe der Geschichte mit uns in unsere Häuser eingezogen ist und sich prächtig mit uns weiterentwickelt.

Mit diesem Rüstzeug gehen wir im zweiten Teil auf eine Expedition durch den heimischen Mikrobenzoo: Wir beginnen im Flur, durchwandern Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer und enden im Kinderzimmer. Auch unsere tierischen Familienmitglieder – Hund und Katze inklusive ihrer mikrobiellen Gäste werden Thema sein. Bei der Tour durch Ihr Heim lernen Sie Ihre kleinen Mitbewohner besser kennen und werden viel Neues darüber erfahren, wie Sie gesund mit ihnen leben können.

Ich lade Sie herzlich ein zu einer abenteuerlichen Reise durch Ihr Zuhause und durch das Reich der kleinsten und doch so mächtigen Kreaturen. Treten Sie ein in diese unsichtbare Welt, und erleben Sie fantastische Geschichten mit einzelligen Helden in den Hauptrollen. Erwarten Sie interessante Anekdoten und Überraschungen. Starten wir direkt von Ihrem Sofa aus!

Erster Teil

Unsichtbare Welten

1 Ein Planet der Mikroben

Wir leben in einer Welt der Mikroben. Sie sind uns fremd, weil wir sie nicht sehen können und sie sich damit unserer Vorstellung entziehen. Wir können sie aber riechen und schmecken – und sie wohnen in uns und in unserer Umgebung. Fast alles auf diesem Planeten dreht sich um diese Winzlinge. Denn sie waren schon lange vor uns da, und sie beeinflussen fast jeden Vorgang auf der Erde.

Bevor ich Ihnen ein paar Geschichten über Mikroben in Ihrem Zuhause erzähle, möchte ich Sie noch ein wenig auf die Expedition in diesen Mikrokosmos in einem kleinen Schnellkurs »Was Sie schon immer über Mikroben wissen wollten« vorbereiten. Und das ist viel spannender, als Sie vielleicht glauben.

Was sind Mikroben?

Und schon geht es mit einer Begriffsdefinition los: Was ist überhaupt eine Mikrobe? Wissenschaftlich gesehen ist das ein unscharfer Begriff, denn wir verwenden ihn für jedes kleine Lebewesen, das wir mit bloßem Auge nicht sehen können. Das schließt viele ganz verschiedenartige Lebewesen ein: die Bakterien (die Gruppe, an die wir meist zuerst denken, wenn wir das Wort »Krankheitskeime« hören), die Archaeen (die oberflächlich den Bakterien ähneln, aber eigentlich ganz anders sind), niedere Pilze (wie die Hefen) und Protisten (primitive Algen, Amöben, Schleimpilze und Protozoen). Auch Viren werden oft zu den Mikroben gezählt.

Mikroben sind einzellige Lebewesen – anders als Menschen oder auch Flöhe, die aus verschiedenen Zelltypen aufgebaut sind, die zusammenarbeiten und zum Überleben aufeinander angewiesen sind: Vereinzelte Gehirnzellen, Leberzellen oder Herzzellen sind allein zu nichts zu gebrauchen. Eine einzelne Mikrobenzelle dagegen ist ein eigenständiges Lebewesen, das ohne die Hilfe anderer Zellen überleben und sich fortpflanzen kann.3 Weil der Begriff »Mikroorganismen«, den Sie bestimmt auch schon gehört haben, im engeren Sinne nur die Bakterien bezeichnet, verwende ich überwiegend den Sammelbegriff Mikrobe, ob wir nun von Bakterien, Viren oder Pilzen sprechen.

Manche Bakterien sind unheimlich faul und rühren sich nicht von der Stelle, andere bewegen sich mithilfe eines kleinen eingebauten »Bakterien-Motors« aus fadenförmigen Geißeln und Flagellen mit traumhafter Geschwindigkeit durch Gewässer oder Nährlösungen. Und es gibt Bakterien natürlich in allen Formen: kugelförmig, als Stäbchen oder Spirale oder manchmal sogar quadratisch wie das halophile (salzliebende) Bakterium Haloquadratum walsbyi. Es misst 40 Mikrometer, ist platt wie eine Briefmarke und kann sich dank eingebauter Gasbläschen auf einer Salzlake gemütlich treiben lassen.

Für viele Aktivitäten müssen Bakterien und andere Mikroben auch miteinander kommunizieren – natürlich anders als wir. Sie produzieren winzige Signalmoleküle, die ihre Nachbarn in der Umgebung wahrnehmen können. Abgeleitet vom römischen »Quorum« (bestimmte Anzahl, die zur Abstimmung nötig ist), wird diese Art der Bakteriensprache als »Quorum sensing« bezeichnet: In Versammlungen ist somit eine bestimmte Anzahl von mikrobischen Teilnehmern für eine Entscheidung erforderlich. Dank dieser Kommunikation sind Bakterien sogar zu Handlungen in Gruppen fähig, um zum Beispiel Biofilme zu bilden. Überraschenderweise gibt es viele »Sprachen« in der Bakterienwelt, sogar »Esperanto-Moleküle«, die viele Bakterien verstehen. Entdeckt wurde der Quorum-sensing-Prozess beim Tintenfisch, der ein Leuchtorgan hat, das mit symbiotischen Vibrio-fischeri-Bakterien angefüllt ist. Nur wenn genug Bakterien vorhanden sind, entsteht ein Signal unter den Mikroben, und das Organ beginnt zu leuchten – wie eine Taschenlampe.

Small, small World – ein unsichtbarer Mikrokosmos

Die meisten Mikroben sind für unser Auge unsichtbar. Während tierische oder menschliche Zellen eine Größe von bis zu 30 Mikrometern haben, sind Bakterienzellen um ein Vielfaches kleiner. Millionen von ihnen haben sogar auf einer Nadelspitze Platz. Die einzige Bakterienart, die mit bloßem Auge sichtbar ist, ist die Schwefelperle Thiomargerita namibiensis, die in den 1990er-Jahren in Namibia entdeckt wurde. Sie kann bis zu einem halben Millimeter groß werden. Eine durchschnittliche Zelle des Darmkeims Escherichia coli (E. coli) ist nur etwa zwei Mikrometer lang – erst rund 50000 Zellen ergeben hintereinandergelegt eine Kette um Ihren kleinen Finger.4Schon in einem Milliliter Darminhalt können daher mehr Bakterien vorkommen, als es Menschen auf der Erde gibt.

Dass wir von der Welt des Kleinen und Kleinsten überhaupt wissen, haben wir der Erfindung des Mikroskops zu verdanken und einem sehr klugen Mann – Anthoni van Leeuwenhoek. Bis 1676 hatten es die Bakterien geschafft, unentdeckt zu bleiben. Aber dann schaute van Leeuwenhoek in jeder freien Minute in seinen selbst gebauten Vergrößerungsapparat und stöberte sie auf. Er war eigentlich kein Biologe, sondern städtischer Beamter und Tuchhändler. Als Autodidakt hatte er sich eine Linsenkonstruktion gebastelt, um die Qualität seiner Stoffe besser beurteilen zu können. Aus Interesse schaute er sich auch andere Dinge an: Wasser aus dem Teich oder seinen Zahnbelag. Die beste Linse, die er schliff, schaffte eine 500-fache Vergrößerung. So entdeckte er die »Animalcules« – ein Gewimmel von tierischen und pflanzlichen Einzellern, aber auch großen Bakterien.

So also wurde eine neue, bisher unsichtbare Welt entdeckt. Die meisten Bakterien haben einen Durchmesser von etwa 0,6 bis 1,0 Mikrometer (µm) und sind noch mit einem normalen Lichtmikroskop zu sehen. Noch um eine weitere Zehner-Potenz kleiner sind die Viren. In einen hohlen Stecknadelkopf passen bis zu 500 Schnupfenviren, die nur noch unter dem Elektronenmikroskop zu erkennen sind. Die Viren müssen aber sowieso immer eine Extrawurst haben. Sie werden meist gar nicht zu den Lebewesen gezählt, da ihnen jegliche Form der Selbstorganisation und Ernährung fehlt – sie haben gar keinen Stoffwechsel. Viren sind auch viel einfacher gebaut als Bakterien. Eigentlich sind sie nur winzige Kapseln mit etwas Erbinformation drin. Unstrittig ist aber, dass sie unglaublich effizient darin sind, eine Zelle für ihre Vermehrung wie ein Pirat zu kapern und deren komplette Maschinerie umzukrempeln, damit sie letztendlich nur noch kleine Viren produziert. Sie sind eben sehr clevere Kerlchen.

Mikroorganismen sind zwar unfassbar klein, aber dafür unglaublich zahlreich. Allein die Anzahl der Bakterien auf unserer Erde beträgt geschätzt eine Nonillion, eine 10 gefolgt von 30 Nullen – mehr, als es Sterne in der Galaxis gibt. Die Anzahl der Viren ist sogar noch zwei Größenordnungen größer. Ein unglaublicher Fakt ist außerdem, dass alle diese unsichtbaren Mikroorganismen das sichtbare Leben auf der Erde um den Faktor 100 Millionen überwiegen. Zusammen sind sie schwerer als alle Pflanzen und Tiere, die wir sehen können. Allein in den Meeren lebt eine unvorstellbare Anzahl an Arten: Hochrechnungen zufolge kommen Forscher auf 10 hoch 30 Mikrobenzellen. Um das Gewicht der Mikroorganismen allein in den Weltmeeren aufzuwiegen, müssten 240 afrikanische Elefanten auf einer Waage stehen.5

Latein für Keime

Es gibt allein mehr als 12000 bislang bekannte Arten von Bakterien. Darüber hinaus werden täglich neue Mikroorganismen entdeckt. Sie haben sich bestimmt schon gewundert über die komischen Namen, die die Mikrobiologen den Bakterien, Pilzen oder Viren gegeben haben. In der Biologie sprechen die Wissenschaftler meist Lateinisch – eine universelle Möglichkeit, die Arten auseinanderzuhalten. So heißt der Apfel Malus domestica, der Hund Canis familiaris oder der Mensch Homo sapiens. Auch jedes neu entdeckte Bakterium bekommt einen lateinischen Namen. Meist bezieht er sich auf eine Eigenschaft im Stoffwechsel oder bezeichnet einen Ort, an dem sich die Mikrobe aufhält. So verwandelt zum Beispiel das Stäbchenbakterium Lactobacillus den Milchzucker, die Laktose, in Milchsäure, das Laktat. Zuweilen wird im Namen der Entdecker gewürdigt – wie beim Darmkeim Escherichia coli, der von Theodor Escherich zuerst beschrieben wurde. Manchmal geht es bei der Namensgebung auch etwas märchenhaft, ja, bizarr zu. So stand Rumpelstilzchen Pate für den Bakteriophagen Mycobacterium phage Rumpelstiltskin, ein Virus, das Bakterien den Garaus machen kann. Und Curvibacter delicatus ist keineswegs die Pamela Anderson unter den Bakterien – nein, nur ein schwach gekrümmtes Stäbchenbakterium aus Japan.

Haben Bakterien Sex?

Was tut so eine Mikrobe den ganzen Tag? Sie ist vor allem damit beschäftigt, genügend Energie und Materie zu sammeln, um sich immer wieder durch Teilung zu verdoppeln. Fortpflanzung ist das Lieblingsthema der Winzlinge: Mikroorganismen sind unglaublich vermehrungsfreudig, und das bringt ihnen große Vorteile bei der Eroberung neuer Lebensräume. Aus einer E. coli-Zelle können unter Idealbedingungen innerhalb von 20 Minuten zwei Zellen werden. Die Rekordhalter unter den Mikroben bringen in knapp zehn Minuten eine neue Generation von Nachkommen hervor. Dazu gehört auch Clostridium perfringens, der unangenehme Erreger des Wundbrandes, der sich in neun Minuten verdoppeln kann. Bei ausreichender Nährstoffzufuhr ist eine Bakterienzelle in der Lage, an einem einzigen Tag 280 Milliarden Nachkommen zu produzieren, sagt der belgische Biochemiker und Nobelpreisträger Christian de Duve.6 Eine menschliche Zelle ist dagegen langsam wie eine Schnecke – sie schafft in der gleichen Zeit gerade mal eine Zellteilung.

Niemand ist perfekt, auch nicht Bakterien, und so passiert bei einer von einer Million Zellteilungen natürlich auch mal eine »Fehlproduktion« – eine sogenannte Mutante. Oft hat diese Zelle einfach Pech gehabt – Experimente gehen nicht immer gut aus. Aber manchmal, wenn die Bakterien mit einem nützlichen Vorzug ausgestattet sind, beispielsweise einen neuen Nährstoff verwerten können, geschieht etwas anderes, was ihnen in der Evolution einen unglaublichen Vorteil verschafft: Die Bakterien können diese Informationen und Fähigkeiten untereinander austauschen, von Zelle zu Zelle, und sogar über Artgrenzen hinweg werden diese Stückchen genetischer Information übertragen.

Dass Bakterien auf diese Art auch Sex haben können, ist seit etwa 70 Jahren bekannt – wenn wir dafür den Begriff »Sex« weit genug fassen. 2001 haben amerikanische Forscher Bakterienzellen mit Hamsterzellen in flagranti erwischt: Die Bakterien hatten Teile ihres Erbguts auf die Tierzellen übertragen, indem sie Eigenschaften über den sogenannten »horizontalen Gentransfer« austauschten.

Viele Bakterien enthalten neben ihrem herkömmlichen ringförmigen Chromosom noch weitere kleine DNA-Ringe, sogenannte Plasmide. Darauf befinden sich häufig Anlagen für Fähigkeiten, die unter besonderen Umweltbedingungen Vorteile bieten – zum Beispiel für Antibiotika-Resistenzen. Um diese Eigenschaften weitergeben zu können, haben Bakterien eine besondere Technik entwickelt: Beim Kontakt mit einer anderen Bakterienzelle können sie das Plasmid verdoppeln, einen schlauchartigen Fortsatz – die »Sex-Pili« – bilden und darüber die Plasmid-DNA übertragen. Dieser »rohrpostartige« Vorgang heißt auch ganz unromantisch »Konjugation«.

So können Bakterien Daten austauschen und schwimmen damit sozusagen in einer Art gemeinsamem Genpool. Jeder Anpassungsvorteil, der gerade sinnvoll erscheint, kann sich überallhin ausbreiten. Stellen Sie sich das einfach so vor: Sie stehen vor einem großen Fluss und bräuchten ein paar Flügel, um ihn zu überqueren. Dann fragen Sie schnell mal bei der entfernten Verwandtschaft an, und zack! könnten Sie fliegen oder grün leuchten oder Fotosynthese betreiben. Damit sind die Bakterien aus genetischer Sicht ein kommunizierender Riesenorganismus – winzig klein, sehr schnell und damit unbesiegbar.

Inzwischen also sind Sie schon richtig fit in der Mikrobenkunde, und wir können uns an ein kleines Experiment wagen. Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Erdentwicklung – ohne die Mikroben wäre dieser Planet nicht unsere Erde geworden, und wir Menschen wären gar nicht entstanden.

Happy Birthday, Leben!

Vor unvorstellbar langer Zeit, vor 3,85 Milliarden Jahren – unser Planet war gerade etwas abgekühlt und hatte eine feste Kruste bekommen –, entstand das erste Leben auf der Erde, und schon da mischten die Mikroben kräftig mit. Es ist bis heute noch eine der großen unbeantworteten Fragen der Biologie, wie das genau funktionierte, dass sich ein paar umherschwirrende Chemikalien zusammenlagerten und plötzlich Proteine – die Bausteine des Lebens – daraus entstanden.

Stellen Sie sich vor, wir könnten gemeinsam mit einer Zeitmaschine reisen, um diesen Moment der Geburt unseres Lebens mitzuerleben. Sie würden unsere heutige Erde nicht wiedererkennen – sie war ein eher ungemütlicher Planet, auf dem von der Sonne nicht viel zu sehen war, wohl eher eine fremdartige Landschaft mit Feuer speienden Vulkanen, einem roten Himmel und einem kupferroten Meer. Ihnen würde auch die Luft knapp, denn Sauerstoff gab es fast noch nicht.

Als Charles Darwin, der Vater der Evolutionslehre, über die Entstehung des Lebens sinnierte, stellte er sich einen warmen Gezeitentümpel am Meeresstrand unter der gleißenden Sonne vor. In dieser »Ursuppe« wurden seiner Meinung nach alle Bausteine des Lebens wie ein Cocktail gut verrührt und geschüttelt, und es bildete sich neues Leben.

Heute glauben die Forscher zu wissen, dass sich die Anfänge des Lebens in einem brodelnden Inferno abspielten – unter ständigem Meteoriten-Bombardement, extremen Temperaturen, intensiver UV-Strahlung und einer dünnen, mit Methan, Ammoniak und anderen für uns giftigen Gasen angereicherten Atmosphäre. Als die heißesten Kandidaten für den Ursprungsort des Lebens gelten brodelnde Schlote auf dem Meeresboden. In diesen Geysiren, den sogenannten »Schwarzen Rauchern« (»Black Smoker«) im Mittelozeanischen Rücken, waren die organischen Strukturen und neuen Zellen vor der tödlichen ionisierenden Strahlung der Sonne geschützt. Diese Quellen wimmeln auch noch heute vor Leben. Besiedelt sind sie insbesondere von sehr ursprünglichen einzelligen Lebensformen wie den Archaebakterien, wie die Urbakterien genannt werden, die dort die Basis der Nahrungskette bilden.

Happy Birthday! Sie waren gerade live als Geburtshelfer beim Schöpfungsmoment des Lebens dabei, und ich darf Ihnen Ihren Urahnen vorstellen: LUCA. Der Name hat nichts zu tun mit dem bekannten Song von Suzanne Vega, sondern ist die Abkürzung für »last universal common ancestor« – den ersten gemeinsamen Verwandten und Vorfahren aller Lebewesen auf der Erde. Nun seien Sie bitte nicht enttäuscht, dass er nicht so unheimlich spektakulär gebaut ist: ein kleiner Beutel Leben, ein Gebilde aus Membranen und Proteinen, das sich ernähren konnte, sich weiterentwickelte und Nachkommen hervorbrachte. LUCA enthält nicht mehr als etwas RNA (Ribonukleinsäure) als Erbinformation, zusammengehalten durch Zytoplasma, die flüssige Grundsubstanz der Zelle, und bestenfalls eine dünne Membran. Einen Zellkern konnte er sich auch noch nicht leisten. Deshalb werden diese frühen Urbakterien auch als »Prokaryonten« bezeichnet – abgeleitet von der griechischen Bezeichnung für »bevor« und »Kern«. Alle anderen Lebewesen, auch wir Menschen, haben Zellen mit Zellkernen und gehören zu den Eukaryonten (griechisch für »echt« und »Zellkern«). Doch wir höheren Lebewesen kommen erst viel später ins Spiel!

Die einfachen Urbakterien hatten überhaupt kein Problem damit, jede nur mögliche Nische zu besiedeln. Erst dann liefen sie richtig zur Hochform auf und werden deshalb auch als »extremophil« bezeichnet. Die ersten Bewohner der Erde leben und überleben bis heute an den kältesten und heißesten Orten unserer Erde, an Land und auf See. Die Archaebakterien unter ihnen gehören zu den noch »extremeren« Typen. Sie können sogar in Säure überleben, lieben ätzende Gase oder siedendes Wasser und fühlen sich auf Vulkanen oder am Grund von Sümpfen wohl. Die frühesten Spuren des Lebens fanden Forscher in den ältesten Gesteinen, dem 3,8 Milliarden alten Isua-Serpentinit aus Grönland.

Wer heute anschaulich erleben möchte, unter welchen extremen Bedingungen unser Leben entstanden ist, muss von Deutschland aus etwas reisen. Der Yellowstone Nationalpark oder die isländischen und neuseeländischen Geysir-Landschaften sind die bekanntesten Orte. Aber auch schon in Italien bei Sasso Pisano in der Toskana oder am Solfatara bei Neapel können Sie sie an heißen und nach faulenden Eiern stinkenden Schlamm- und Schwefelquellen finden, die bunten Krusten in Gelb, Rostrot und Giftgrün – schleimige, von Mikroorganismen gebildete Ablagerungen. Der Mikrobiologe Thomas D. Brock von der Indiana University in Bloomington isolierte daraus 1969 ein »thermophiles« (hitzeliebendes) Bakterium, »Thermus aquaticus«. Diese Bakterien leben übrigens auch in unseren Heimen, in Geschirrspülmaschinen, Heißwasserbereitern und Waschmaschinen.

Überall Bakterien – vom Anfang bis zum Ende

Würden wir uns die Erdgeschichte bildlich als 24-Stunden-Tag vorstellen, so wären die Urbakterien die absoluten Frühaufsteher. Schon um 4:30 Uhr ist mit ihnen das erste Leben auf der Erde entstanden. Doch so richtig spannend und vielfältig war es zu dieser Zeit auf der Erde noch nicht. Die ersten einzelligen Mikrotierchen und Algen tauchten erst am Nachmittag gegen 16 Uhr auf. Ab 21 Uhr waren auf der Erdkugel auch einfache Tiere zu finden. Als unsere frühen Vorfahren, die Affen, entstanden, waren es gerade noch etwa 90 Minuten bis Mitternacht. Und wir selbst, die Angehörigen der Gattung Homo sapiens, entwickelten uns gerade mal zwei Sekunden vor zwölf.

Wir Menschen haben also bisher nur einen sehr winzigen Teil der Erdgeschichte miterlebt. Es ist kaum zu glauben, aber zwei Milliarden Jahre lang waren die unsichtbaren Mikroorganismen die alleinigen Eigentümer der Erde, und das haben sie auch ordentlich für sich ausgenutzt. Sie schufen unsere Biosphäre und die gesamten wichtigen Kreisläufe von Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel und Phosphor. Sie bildeten den Boden und den Humus. Und last, but not least schufen sie so ganz nebenbei auch die Basis für die Entwicklung des mehrzelligen Lebens – der Pflanzen und Tiere und von uns.

Irgendwann lernten einzellige Cyanobakterien, umgangssprachlich auch Blaualgen genannt, eine reichliche Ressource auf der Erde anzuzapfen – den Wasserstoff, der im Wasser in ungeheuren Mengen vorkommt –, und gaben den Sauerstoff als Abfallprodukt frei. Die Fotosynthese war zweifellos die wichtigste biochemische Neuerung, und sie wurde nicht von den Pflanzen erfunden, sondern von Bakterien. Der größte Teil des Luftsauerstoffs auf der Erde stammt von Mikroorganismen, unter ihnen die heutigen Formen der Cyanobakterien. Algen und Kleinstlebewesen aus dem Meer blasen jedes Jahr rund 150 Milliarden Kilo davon in die Luft.

Zuerst sammelte sich der neue Sauerstoff noch nicht in der Atmosphäre, sondern verband sich mit Eisen zu Eisenoxid, das auf den Boden der urzeitlichen Meere sank. Mehrere Millionen Jahre rostete unsere Erde buchstäblich vor sich hin.

Nicht für alle damals lebenden Organismen war der Sauerstoff toll – für einige eher eine richtige Katastrophe: Sie waren nicht an ihn angepasst. In einer anaeroben (also sauerstofffreien) Welt wirkte er regelrecht giftig. Die neuen Lebewesen, die den Sauerstoff nutzen konnten, hatten zwei große Vorteile auf ihrer Seite. Er ermöglichte ihnen eine schnellere Energieproduktion und zerstörte gleichzeitig konkurrierende andere Organismen. Auf der Erde gab es nun aerobe Organismen, die Sauerstoff vertrugen, und anaerobe, die Sauerstoff wie der Teufel das Weihwasser mieden. Dazu zogen sie sich in den Schlamm der tiefsten Tümpel zurück, oder sehr viel später auch in unsere Organe wie z.B. Darmbakterien in den Darm. Unzählige Arten schafften die Anpassung nicht und gingen zugrunde.

Rund 40 Prozent der Erdgeschichte mussten vergehen, damit die Atmosphäre der Erde in etwa ihren heutigen Sauerstoffgehalt hatte. Dann entstand aber sehr plötzlich ein neuer Typ von Zellen mit einem Zellkern und anderen kleinen Körperchen, die wir als Organellen bezeichnen (griechisch für kleine Werkzeuge) – die Eukaryonten waren geboren.

Die Organellen wie Mitochondrien und Chloroplasten sind nach heutiger Ansicht übrigens dadurch entstanden, dass ein abenteuerlustiges Bakterium in ein anderes einwanderte oder einfach aufgenommen wurde. Diese Wohngemeinschaft stellte sich später als sehr clever heraus, und beide hatten Vorteile davon. Nach dieser »Endosymbionten-Theorie« entwickelten sich die eingefangenen Bakterien zu Mitochondrien in tierischen Zellen zur Energiegewinnung und bei Pflanzenzellen zu Chloroplasten. Ohne diesen raffinierten Kunstgriff der Evolution wäre das Leben auf der Erde beim Schleim aus einfachen Mikroorganismen geblieben.

Schließlich lernten die Eukaryonten noch ein weiteres großes Kunststück – nämlich sich zu komplizierten, vielzelligen Lebewesen zusammenzulagern. Erst durch diese Neuerung wurden große und komplex gebaute, mit bloßem Auge sichtbare Organismen wie Sie und ich überhaupt möglich.

Der Mensch – nur ein Klecks in einer mikrobiellen Welt

Nach aktuellen Schätzungen gibt es auf der Erde etwa eine Trillion Arten von Mikroben, und davon sind 99,999 Prozent noch gar nicht entdeckt. Bis zum Beginn der Raumfahrt spielten die Mikroorganismen in den Schulbüchern überhaupt keine Rolle. Das Leben auf der Erde wurde hübsch eingeteilt in zwei Kategorien – Pflanzen und Tiere. Sehr lange ordneten die Biologen die Mikroorganismen den Pflanzen zu, obwohl jeder wusste, dass sie dort nicht hingehörten. Was war der Grund?

Viele Mikroben wachsen einfach nicht im Labor in Petrischalen. Sie vermehren sich nicht, und die Forscher können nichts über sie lernen. Daher haben viele Mikroorganismen bisher keinen Namen, und wir kennen ihre Funktionen und Aufgaben nicht.

Das wurde um 1980 anders, dank einer revolutionären Erfindung von Carl Woese, einem US-amerikanischen Mikrobiologen und Evolutionsbiologen. Er glaubte, dass in den Genen der Bakterien die Verwandtschaftsverhältnisse versteckt liegen. Also entwickelte er mit Kollegen eine elegante molekulargenetische Methode, bei der er die Bakterienarten mithilfe des Gens für die sogenannte 16S-ribosomale RNA auseinanderhalten konnte. Das ist ein wichtiger Baustein in den Proteinfabriken der Zellen, der Ribosomen. Mit diesen Molekülen können die Forscher genauso wie mit der DNA problemlos auch in der sauerstoffhaltigen Umgebung eines Labors arbeiten. Jede Mikrobenart besitzt eine individuelle Version dieses Gens als unverwechselbares Merkmal, und es ist möglich, ganze Stammbäume damit aufzubauen – weit besser als mit jeder mikroskopischen Analyse.

Carl Woese stellte fest, dass die Archaebakterien, die bisher ganz normal den Bakterien zugeordnet wurden, eigentlich in ein eigenes Reich gehören. Sie ähneln zwar den Bakterien, unterscheiden sich aber in wichtigen molekularbiologischen Details. Die Unterschiede beziehen sich auf Eigenschaften, von denen Sie noch nie gehört haben und die Sie jetzt bestimmt auch nicht zu blanken Begeisterungsstürmen ausbrechen lassen. Da fehlen irgendwelche kleinen Lipide und eine Verbindung namens Peptidoglucan. In der Praxis hat das aber unglaubliche Konsequenzen – zwischen den Gruppen der Bakterien und den Archaebakterien liegen plötzlich Welten: Sie unterscheiden sich voneinander stärker als Sie und ich von einer Spinne oder einem Krebs.

Diese Erkenntnis veränderte den evolutionären Stammbaum. Große Aufregung in der Wissenschaft! Alles musste umgeschrieben werden – 100 Jahre mikrobiologische Systematik. Und das Ergebnis gefiel nicht allen. Da, wo wir in den 1990er-Jahren noch fünf Organismenreiche im Stammbaum kannten: Tiere, Pflanzen, Protisten (Einzeller), Pilze und Bakterien, gab es auf einmal 23 Hauptäste. Woese teilte den neuen Stammbaum in nur drei Domänen ein: Bakterien, Archaebakterien und Eukaryonten, zu denen auch die Tiere, die Pflanzen und wir gehören. Diese Domänen sind radikal unterschiedlich, genetisch weiter voneinander getrennt als Menschen von einem Tintenfisch oder von einem Pinienbaum.

So sah der Stammbaum des Lebens natürlich sehr ungewöhnlich aus. Er besteht fast nur noch aus Bakterien und Urbakterien. Der überwiegende Teil der Vorfahren im Baum unseres Lebens sind die Mikroben. Die Artenvielfalt auf unserer Erde liegt also nicht bei den Insekten oder Pflanzen, wie Sie vermuten könnten, sondern im mikroskopisch Kleinsten! Wir sind umgeben von einer dunklen geheimnisvollen Macht der Mikroben.

Für uns Menschen blieb gerade mal ein mickriger kleiner Seitenast im dritten Bereich der Eukaryonten. Während zwischen dem Darmkeim E. coli und dem Bakterium Clostridium plötzlich Welten liegen, ist ein Weizenkorn fast ein enger Verwandter von uns! Das war wirklich schwer zu verstehen. »Die Menschheit macht nur einen winzigen Klecks aus in der massiv bakteriellen Welt«, sagte der New Yorker Mikrobiologe Martin J. Blaser. »Das ist eine Tatsache, an die wir uns erst noch gewöhnen müssen!«7

Der 2012 im Alter von 84 Jahren verstorbene Carl Woese ging jedenfalls in die Geschichte ein als der »Mann, der den Stammbaum des Lebens umschrieb« – das ist in etwa so bedeutend wie die Erkenntnisse von Albert Einstein für die Physik.

Rekordverdächtige Mikroben

Mikroben sind einfach überall! Es ist wirklich unterhaltsam, sich einmal anzuschauen, wo sich diese Winzlinge überall ansiedeln. Sie sind Eroberer, Pioniere und richtige Stoffwechselkünstler. Es gibt viele Höchstleistungen in diesem Mikrokosmos.

Mikroben wurden auch in den tiefsten Minen der Welt gefunden. Sie können Gold fördern wie Liliput-Minenarbeiter. Hin und wieder ist Gold an bestimmte Mineralien gebunden. Die Mikroben unterwerfen die Mineralien dann ein paar Oxidationsvorgängen, verwandeln sie in lösliche Ionen und legen ganz nebenbei das Gold frei – ohne einen Hammer zu schwingen oder schwere Maschinen zu nutzen. Pseudomonas stutzeri kann beispielsweise im Wasser schwimmende Gold-Ionen oxidieren und in festes Gold umwandeln. Reich werden wie Dagobert Duck können Sie damit aber nicht – die Goldmengen sind nur winzig klein.

Mikroorganismen können auch Retter in der Not sein. Nach Umweltkatastrophen sind Bakterien oft die ersten, die mithelfen, den Schaden wieder zu beheben. Nachdem die Bohrinsel »Deepwater Horizon« im April 2010 explodierte und damit die schwerste Ölpest der US-Geschichte auslöste, tauchte dort eine bislang unbekannte Mikroben-Art auf (verwandt mit Oleispirea antarctica), die extrem gut an diese Umweltbedingungen in 1100 Meter Wassertiefe im Golf von Mexiko angepasst war und die Ölwolke mit rasender Geschwindigkeit wieder verspeiste.

Es gibt sogar Bakterien, die sich unseres Plastikproblems in den Meeren annehmen. Mehr als acht Millionen Tonnen Plastikmüll werden jedes Jahr in den Ozean geschüttet. Jedes Stück Plastik braucht bis zu 450 Jahre, um zu zerbröseln. Viele Landzungen quellen daher über von Bergen von Polyethylen-Terephthalat, dem Kunststoff, aus dem die meisten Plastikflaschen hergestellt werden. Das Bakterium, das diesen Kunststoff besonders mag und verwertet, heißt Ideonella sakiensis – dazu benötigt es aber etwa 70 Jahre.

Auch die Leibspeisen anderer Bakterien sind sehr ungewöhnlich. Das säureliebende Bakterium Thiobacillus concretivorans favorisiert zum Beispiel eine Schwefelsäurekonzentration, die uns Löcher in die Hose frisst und Metalle zersetzt. Micrococcus radiophilus lebt vorzugsweise in Abwassertanks von Kernreaktoren und ernährt sich von Plutonium und anderen Metallen. Auch radioaktives Uran ist begehrt. Es wird verschmaust vom winzigen Stäbchenbakterium Geobacter metallireducens. Es baut Uran so um, dass hinterher eine ungefährliche unlösliche Uranform entsteht, die einfach mit den Bakterien zusammen eingesammelt werden kann. Selbst der Himmel und die Luft sind vor Mikroben nicht sicher. Einige Keime können sogar in bis zu 60 Kilometer Höhe leben und helfen dabei mit, Wolken oder Schnee und auch den Regen zu bilden.

Ja, auch im Weltraum können Mikroben überleben. Sie reiten auf Space Shuttles mit und bevölkern die internationalen Raumstationen. Wissenschaftler setzten Bakterien von der Erde dem Weltraum aus, und diese überlebten das Experiment 553 Tage ganz ohne Raumanzug. Einige Bakterien sind sogar fast unzerstörbar, wie Deinococcus radiodurans – auch bekannt als »Conan das Bakterium«. Es ist fast immun gegen Radioaktivität. Wird seine DNA mit Strahlung bombardiert, lagern sich die Stücke sofort wieder zusammen und reparieren sich selbst, wie die beweglichen Gliedmaßen eines Untoten.

Die bisher erstaunlichste Überlebensleistung haben aber Bakterien der Gattung Streptococcus vollbracht. Die bakterielle Reisegesellschaft aus etwa 100 irdischen Ausflüglern wurde aus einer luftdicht abgeschlossenen Kamera isoliert, die mehr als zwei Jahre lang auf dem Mond gestanden hatte. Den Himmelskörper hatten die Einzeller offenbar 1967 als blinde Passagiere erreicht: in einem Kameragehäuse an Bord der US-Sonde Surveyor 3. Vielleicht hatte ein Techniker kurz gehustet, als er die Kamera zusammenbaute. Streptococcus kommt auch in unserer Mundhöhle vor. Zur Verblüffung der Wissenschaftler hatten die Winzlinge Vakuum, harte kosmische Strahlung, Temperaturen um minus 250 Grad Celsius und vollständigen Nahrungsmangel offensichtlich unbeschadet überstanden. Seit jener Entdeckung treibt die Wissenschaftler die Frage um, ob auch andere Bakterien unter Weltraumbedingungen überleben können – und wenn ja, wie lange.

Kooperation ist alles

Genau wie unsere Erde ihr eigenes Mikrobiom hat – überall im Boden, in der Luft, im Wasser, in Wäldern, Industrieanlagen oder in unseren Haushalten –, haben auch Tiere, wir selbst oder unsere Kinder ein eigenes Mikrobiom. Es ist einzigartig und individuell wie ein Fingerabdruck. Wir erhalten es bei der Geburt von unseren Müttern, und es begleitet uns unser ganzes Leben lang. So hat sich jede Kreatur auf der Erde mit einer eigenen Kollektion von nützlichen Keimen entwickelt.

Baby-Komodowarane teilen ihr Haut- und Mundmikrobiom mit ihrer Umgebung. Oktopusse werden schon Stunden nach ihrer Befruchtung von freundlichen Bakterien besiedelt. Termiten können Holz nur verdauen, weil sie spezielle Bakterien im Magen haben, die die sonst unverdauliche Zellulose aufschließen. Kühe ziehen ihre Nährstoffe aus dem Gras, weil sie dafür Mikroben haben, die in ihren vier Mägen leben.

An diesen Beispielen erkennen wir ganz leicht, wie wichtig Kooperation in der Natur statt feindlicher Abgrenzung ist. Es ist viel einfacher für so große vielzellige Organismen, wie wir es sind, sich mit Bakterien zusammenzutun, die ganz spezielle Eigenschaften haben, als diese mühsam selbst zu entwickeln.

Auch wir Menschen haben unser Mikrobiom mit mehreren Tausend Arten von Mikroorganismen. Würden wir mit einem Mikroskop unsere Körper untersuchen, dann tut sich eine faszinierende Welt der Mikroben auf. Wir führen täglich einen ganzen Zoo mit uns zur Arbeit oder in die Schule – eine bunte Mischung aus Bakterien, Viren, Würmern, Pilzen und Milben. Nach aktuellen Schätzungen haben wir 39 Billionen Bakterienzellen auf 30 Billionen menschlicher Zellen in unserem Körper. Das entspricht einem Verhältnis von 1,3 Mikroben auf eine menschliche Zelle. Individuelle Unterschiede wie die Körpergröße oder unser Gewicht können das Verhältnis etwas verändern. Aber Sie bekommen nun eine Ahnung davon, dass wir ein riesiger Superorganismus sind! In uns und auf uns leben 10000 mikrobielle Arten, die zusammen etwa zwei bis drei Kilo wiegen – etwa so viel wie unser Gehirn.

Die Mikroben erfüllen bei uns vielfältige Aufgaben. Sie siedeln sich in ganz verschiedenen Milieus unseres Körpers an – im Ohr, in der Nase, unter den Achseln oder auch im Darm in den verschiedenen Abschnitten – und haben ganz auf diese Regionen abgestimmte Funktionen. Am Forschungsinstitut INRA in Paris wurde vor Jahren die Landkarte des Darmuniversums in seiner ganzen Vielfalt entwickelt. Die Forscher konnten nachweisen, dass normalerweise nur ungefähr tausend Bakterienarten in großer Menge im menschlichen Darm zu finden sind, wobei jeder Mensch mindestens 170 Arten davon in sich trägt. Die meisten Arten sind bei allen Menschen gleich.8 Hier haben sie verschiedene Aufgaben: vom Verdauen von Kohlehydraten in unserer Nahrung bis zur Produktion von Vitaminen in unserem Darm. Unser Mikrobiom kooperiert von hier aus intensiv mit unserem Immunsystem. Manche Mikroben übermitteln Signale, andere tragen zur Energieversorgung bei, wieder andere schulen das Immunsystem und machen es toleranter.

Ohne unser Mikrobiom könnten wir nicht mal unser Frühstücksmüsli oder -brötchen verdauen. Wir würden krank werden oder sterben, weil wir gar nicht in der Lage wären, lebenswichtige Vitamine zu erzeugen. Nehmen wir mal an, die Bibel hätte recht, dass Gott den Menschen erschaffen hat, so hätte er, bevor er Adam erschaffen hat, auf alle Fälle noch die Bakterie erschaffen müssen. Denn ohne eine gut funktionierende Darmflora hätten weder Adam noch Eva den Apfel verdauen können.

Die meisten von uns neigen in ihrer Wahrnehmung dazu, die Mikroben etwas an den Rand des Daseins zu drängen. Schließlich können wir, groß und klug, wie wir sind, Städte, Medikamente wie Antibiotika und vernetzte Informationstechnologien entwickeln. Das können Bakterien, Viren und Co. nicht. Sie verfügen nicht über unsere kommunikativen Fähigkeiten. Sie erscheinen uns auf den ersten Blick primitiver als wir. Aber das ist ihr großer Vorteil: Sie werden noch da sein, wenn die Sonne explodiert. Dies ist eigentlich ihr Planet, und uns gibt es nur, weil sie es uns gestatten. Sie leben seit Milliarden Jahren auf diesem Planeten sehr gut ohne uns.

Neben dem Sauerstoff auf der Erde liefern uns die Mikroorganismen auch noch Stickstoff, den sie der Luft entziehen. Pflanzen könnten den gasförmigen Stickstoff aus der Luft sonst gar nicht nutzen. Das ist eine großartige Leistung, mit der die Mikroben den Stickstoff der Luft für uns und andere Lebewesen in verwertbare nützliche Nukleotide und Aminosäuren umwandeln. Für dieselben Prozesse werden in der Industrie in der Düngemittelproduktion hohe Temperaturen (um 500 Grad) und Drücke (das 200-fache des Luftdrucks) aufgewendet. Bakterien schaffen das spielend und zu unserem Glück. Denn kein Lebewesen auf unserem Planeten könnte ohne den von ihnen verarbeiteten Stickstoff existieren.