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ZUCKERFREI ZUCKERFREI LEBENLEBENVon Anja Giersberg @zuckerfrei_naschen
Wie ich mein
Wie ich mein
Lebenraffiniert
Lebenraffiniert
machteund
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endlich
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wurde
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2Das „Warum“ ist entscheidend 41 |Wenn ich an Zucker denke … 43 |Neue Gewohnheiten etablieren 463. GLAUBENSSÄTZE ÜBERZUCKER UND WIE DU SIE LÖSEN KANNST 40Vom Dorf in die große Stadt 4 |Als Konditorin au Wanderscha7|Der Neuanang 14|Wie ich meine Beruung and231. WIE ALLES BEGANN 4Warum wir gerne süß essen 26 | Zucker-sucht ist wirklich eine Sucht 28| Zucker istnicht gleich Zucker 29 | Was unser Körper mit Zucker macht 30| Diabetes, oder: So wirkt Zucker in unserem Körper 32 |Wei-tere Kehrseiten der Zucker-Medaille 34| Die Goldseite der Kein-Zucker-Medaille 36Was bedeutet „zuckerfrei“? 48 | Finde deine eigene Deini-tion 49| Wie streng willst du sein? 49 | Versteckte Zucker lauern überall 50| Versteckte Zucker ausindig machen 52|Darau musst du beim Einkauen und Essen achten 56 |Vor-sicht bei Obst, Säen und Smoothies 58 | So starest du in dein zuckerfreies Leben 62 | Die ersten Tage ohne Zucker 662. WAS WIR ÜBER ZUCKERWISSEN MÜSSEN 264. DIE ERSTEN SCHRITTE INEIN ZUCKERFREIES LEBEN 48
INHALT
3Heißhunger 68 | Basismaßnahmen ge-gen Heißhunger 69 | Heißhunger und Zuckerkonsum 72 |Soormaßnahmen gegen Heißhunger73 | Erste-Hile-Koergegen Heißhunger 74|Emotionales Essen75 | Maßnahmen gegen emotio-nales Essen 76| Au Reisen und im Res-taurant77|Bei Freunden und der Fami-lie, oder: die Kunst, Nein zu sagen 80|Zuckerfrei „trotz Parner“82| Zucker-rei „trotz Kinder“84| Die Großeltern und der Zucker 85Frühstück 96Laugenbrötchen 96 |Mini-Pan-cakes 97 |Schoko-Porridge 98|Kaiserschmarrn 99 |Flocken-brot 100 |Beerenkonitüre101 |Baked Oatmeal mit Birne 102Mittagessen 103Möhren-Ingwer-Suppe 103 |Linsen-Paprika-Eintop 104 |Linsen-Aulau 105 | Gnocchi- Salat 106 |Bulgur-Salat 107 | Kichererbsen-Curry 108 | Gluten-reie Pasta mit Gemüse 109 | Ratatouille 110Abendessen 111Chili sin Carne 111 |Couscous- Salat 112 |Wirsing-Lasagne 113 |Bohnen-Eintop 114 | Thai-Curry-Nudeln 115Snacks 116Schoko-Kokos-Cookies 116 | Müsli-häppchen 117 | Nuss-Bananen-kuchen 118 | Frucht-Muins 119| Plaumen-Crumble 120 | Apple Pies 121 | Crunchys 122Rückschlägen vorbeugen 88 |Mit Zuckeralternativen arbeiten 91| Verschiedene Zuckeralternativen 915. HERAUSFORDERUNGENIM ZUCKERFREIEN ALLTAG687. REZEPTE 956. WIE ICH MEINZUCKERFREIES LEBEN HEUTE LEBE 86
4VomDfindiegroßeStadtWenn ich mich zurückerinnere, dann sehe ich mich im Badezimmer meiner Großeltern stehen und meine Oma beobachten, wie sie in der Badewanne Stollenteig herstellt. Ich war sechs Jahre alt und stand mit oenem Mund daneben. Jeder, der schon mal Teig mit der Hand geknetet hat, weiß, wie kräe-zehrend diese Augabe sein kann. Und der Heeteig in der Badewanne reichte locker ür ungeähr 50 Stollen! Meine Oma bearbeitete ihn voller Leidenschaf.Es wurden jedes Jahr irrsinnig viele Stollen, die sie in der Dorbäckerei backen ließ, um Familie, Bekannte und Dorfmitglieder damit zu versorgen. Bis heute ist der Stollen mei-ner Oma der leckerste Stollen, den ich je-mals gegessen habe. Wir waren in den Ferien öer bei meinen Großeltern und Kochen und Backen war die größte Passion meiner Oma. Alles drehte sich den ganzen Tag ausschließlich ums Essen: Was essen wir morgens, welches Gericht gibt es zum Mittag, welchen Kuchen wollen wir zum Kaeetrinken essen und was gibt es zum Abendbrot? Für uns Enkel gab es ständig auch noch etwas zwischendurch, etwa Milch-reis mit Zimt und Zucker. Und ein selbstge-machtes Desser beim Mittagessen wurde auch nie ausgelassen.So wie ast alle Kinder war ich damals schon eine leidenschaliche Nascherin, süß mochte ich seit jeher gerne. Woür mich meine Oma schnell begeistere, war das Backen in der Weihnachtszeit. Immer dure ich dabei hel-en, und das habe ich nur zu gerne getan. Mich aszinieren schon damals die Gerüche und die Farben der Zutaten und die wohlige Wärme in der Küche. In mir gab es dabei die-se innere Ruhe, die mich glücklich mach-te, und eine große Freude, wäh-rend ich jedes Plätzchen liebevoll und kreativ dekoriere. Ich habe damals schon gespür, dass die Weihnachtsbäckerei einmal meine größte Leidenscha werden wird. Bis heute erinnere ich mich so ger-ne an diese schönen Momente, an
WIE ALLES BEGANN
KochenundBackenwardiegrößtePassionmeinerOma.AesdrehtesichdenganzenTagausschließlichumsEssen.
5VomDfindiegroßeStadtdie Geborgenheit und an die Lebensreude,die ich beim Backen mit meiner Oma empun-den habe.Als ich älter wurde, ing ich auch zu Hause an zu backen. Zuerst war es ein Marmorkuchen, dann ein paar Plätzchen, irgendwann wurden es auwendigere Toren. Ich hatte unglaub-lich viel Freude an meinem neuen Hobby und backte auch ür besondere Anlässe ür mei-ne Klassenkameraden. Derweil konnte ich mich in der Schule nie so richtig ür ein Lehr-ach begeistern. Der einzige Unterricht, der mir Freude bereitete, war der in Französisch. Als ich schließlich Abitur machte, hatte ich keine genaue Vorstellung, wie es nach der Schule weitergehen sollte, und so beschloss ich, erstmal ein Jahr als Au-pair-Mädchen in Paris zu verbringen. Diese Entscheidung soll-te mein Leben in die richtige Bahn lenken, doch das ahnte ich damals noch nicht.Ich buchte also ein Zugticket und machte mich au dem Weg in ein neues Abenteuer – das erste Mal allein in einem anderen Land, ohne Mama und Papa, ohne meine Freunde. Ich war so augeregt, dass ich die ganze Zugahr über heulte. Mich tröstete ein Franzose, der eine Lavendelarm betrieb, er versprach mir, dass es die schönste Zeit in meinem Leben werdenwürde. Und er sollte Recht behalten. In Paris angekommen, wurde ich von meiner Madame am Bahnho abgeholt und zu mei-nem Zimmer gebracht: Gemütliche 7 Quad-ratmeter, ohne Heizung und Warmwasser, aber daür über den Dächern von Montmar-re mit der schönsten Aussicht, die man sich vorstellen kann.Einen Tag später wurde ich den beiden Kin-dern und dem Vater der Familie vorgestellt. Die Eltern lebten getrennt und die zwei klei-nen Jungs hatten nicht viel Freude an den jährlich wechselnden Au-pair-Mädchen. Wir lernten in dem einen Jahr, uns miteinander zu arrangieren. Ich gab mein Bestes, aber es war eine Zeit mit vielen zwischenmenschli-chen Konlikten, die mich nach meiner Arbeit o betrübt durch die Straßen von Montmar-tre haben lauen lassen. In einer solchen Feierabendstimmung war es auch, dass ich entdeckte, was mich bis heute in den Bann zieht und in mir Freude und Glückseligkeit auslöst: Ich war au dem Weg zu Freunden und schlendere, in Gedanken verloren, durch die Straßen von Paris. Au ein-mal stieg mir ein leckerer Du in die Nase, ich hob meinen Kop und erblickte links von mir das Schauenster einer traditionellen Patis-serie. Dieser Anblick asziniere und inspiriere mich so sehr, dass ich minutenlang dor ste-hen blieb und mir alles ganz genau anschaute. Mich beseelten die Farben und die Kreativität der Törchen in der Auslage. Ich hatte noch nie vorher so schöne Backwaren gesehen und wusste von diesem Augenblick an, dass ich selbst irgendwann einmal solche wunderschö-nen Patisserie-Produkte herstellen möchte.DEUTSCHLANDFRANKREICH
6WieaesbegannVon da an nahm ich die Bäckereien und Kon-ditoreien in meiner Umgebung mit anderen Augen wahr. Ich schlemmte mich regelrecht durch all die süßen Auslagen. Jeden Tag reu-te mich au mein Stückchen süßes Glück,das ich voller Genuss verspeiste.Mein Jahr in Paris war vor allem kulinarisch geprägt, doch ich habe auch viele Freundegewonnen, neue Bekanntschaen geschlos-sen und die Stadt mit voller Lebensreude ür mich entdeckt. Irgendwann ging diese Zeit zu Ende und zurück zu Hause musste ich mich der Frage stellen: Was mache ich nun, wie geht es weiter?Mein Verstand war damals leider zu präsent und so habe ich au mein Umeld gehör und ein Studium mit dem Schwerpunkt Betriebs-wirscha begonnen. Ich quälte mich jeden Tag dor hin und war unglücklich mit meiner Wahl, traute mich aber nicht, au mein Herzzu hören. So zogen die Monate an mir vorbei und ich empand eine totale Leere in mir. Meiner damaligen Studienkameradin ging es ähnlich und wir ingen an, uns darüber aus-zutauschen, was uns im Leben wirklich Freu-de bereitet. Ich erzählte, dass ich gerne backe, aber kei-ne klassische Ausbildung in einer deutschen Konditorei machen möchte, sondern das Handwerk bei einem Franzosen erlernen will. Wochen später saß die Kommilitonin in einer Vorlesung neben mir und berichtete, dass sich in unserer Stadt ein Franzose mit einer Patisserie selbstständig gemacht hatte. Sie gab mir die Adresse. Wieder zu Hause, be-schloss ich, die Bewerbung meines Lebens zu schreiben. Ich verfasste sie aus vollstem Herzen heraus und bekam prompt eine Ein-ladung zum Probearbeiten, obwohl das Un-ternehmen schon einen Auszubildenden ür das erste Ausbildungsjahr hatte und auch keinen weiteren einstellen wollte.Es war klar, dass ich alles geben musste, und das tat ich dann auch. Meine erste Woche in einer richtigen Backstube, und ich wusste von diesem Augenblick an: Das ist es, was ich mein Leben lang machen möchte! Ich bekam die Chance, beendete mein Studium und begann zwei Monate später mit der Ausbil-dung zur Konditorin.IchschlemmtemichregelrechtdurchadiesüßenAuslagen.JedenTagfreutemichaufmeinStückchensüßesGlück,dasichvoerGenussverspeiste.UNIVERSITÄTPATISSERIE
7AlsKonditinaufWanderschaftAlsKonditinaufWanderschaftWie viele andere Konditorlehrlinge hatte auch ich anangs eine andere Vorstellung vom Ar-beitsalltag in einer Backstube. Ich hätte am liebsten den ganzen Tag Törchen hergestellt und Modellierarbeiten ausgeühr, doch man bekommt gerade in der Anangszeit viele Au-gaben, die weniger Freude bereiten. Dazu zählen zum Beispiel Erdbeeren putzen, Ware verräumen oder Reinigungsarbeiten erledi-gen. Solche Dinge machen 90 Prozent der täglichen Arbeit aus. Vielen Auszubildenden wird der Alltag darum schnell zu monoton und körperlich zu anstrengend, und so ent-scheiden sie sich dann doch noch einmal ür einen anderen Beru. Und auch ich war am Anang ein wenig enttäuscht. Aber meine Leidenschaf ür Süßes hat mich durchhal-ten lassen. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglich-keit bekommen habe, das Handwerk bei ei-nem Franzosen zu erlernen. Das war etwas ganz Besonderes und alles, was ich zusätz-lich an deutschen Ferigkeiten ür diesen Be-ru gebraucht habe, habe ich in der Berus-schule oder au Weiterbildungen gelernt.Nach Abschluss meiner Gesellenprüung habe ich die Meisterausbildung hinterhergescho-ben. Ich war voller Tatendrang und leiden-schalich bei der Sache, denn es gab so viel zu entdecken.Diese Zeit war der Starschuss ür einen Lebensabschnitt, in dem ich nicht sehr acht-sam mit mir umgegangen bin. Die Meister-ausbildung and in Teilzeit in einer anderen Stadt statt. Ich blieb damals in meinem Lehr-betrieb und habe meine zwei reien Tage pro Wochegenutzt, um zu pendeln und zur Meis-terschule zu gehen. Die Ausbildung dauere ast zwei Jahre und am Ende war ich natürlich stolz und glücklich, aber auch sehr geräder. Nach den Prüungen wollte ich endlich beru-lich etwas Anderes sehen und so beschloss ich, in die Gastronomie zu wechseln. Mich hatte schon immer das abstrakte und kreati-ve Anrichten von Dessertellern aszinier.Unbedingt wollte ich das erlernen, also ing ich dor an zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Das hör sich verlockend an, aber ich stellte schnell est, dass ich sehr wenig von meiner schönen Umgebung hatte. Meine „Freizeit“ erstreckte sich zwischen 1Uhr nachts und 7 Uhr morgens. Ich konnte mich also nicht am Strand sonnen, sondern musste schlaen, um it zu sein ür den Rest des Tages, der mit Arbeit geüllt war. Die täg-lichen Arbeitszeiten lagen immer im zwei-stelligen Bereich und ich hatte ür nichts Anderes Zeit, schon gar nicht zum Kochen. Darum habe ich mir nach Feierabend in der IchwarvoerTatendrangundleidenschaftlichbeiderSache,dennesgabsovielzuentdecken.
8WieaesbegannNacht meistens schnell noch eine Pizza in denOen geschoben und tagsüber bei der Arbeit sehr viel genascht. Als Konditorin sitzt man da ja an der Quelle, ruckzuck rutscht die Handaus und man steckt sich etwas Selbstge-backenes in den Mund. Ich habe in der Regel über den ganzen Tag von einem Weizenbaguette mit geschmolzenen Schokoladendrops gelebt; nur selten hatte ich das Glück, dass die Jungs aus der Küche etwas ür mich gekocht haben. Wenn von den Tagungsgästen oder vom Buet Kuchen übrig war, habe ich mich vor dem Abendser-vice da ran gütlich getan. Und als Krönung,sozusagen ür den Notall, hatte ich immer eine Tüte Lakritz in der Hosentasche.Dazu gab es Cola und andere Sogetränke,die meinen Insulinspiegel oben hielten: In gro-ßen Hotelküchen steht meistens ein Getränke-automat und ich konsumiere üblicherweise 1Liter Limonade pro Tag – außerdem drei bis vier Tassen Kaee. Das Wasser habe ich ast immer außer Acht gelassen. Damals war ich der esten Überzeugung, dass ich diesen Zucker brauchte und dass er mir hal, mein Energielevel zu halten. Ich hatte keine Vorstellung von gesunder Ernährung und es wäre mir auch nicht in den Sinn ge-kommen, mich damit auseinanderzusetzen. Auch zu Hause hatte ich immer Süßigkeiten gribereit, der Kühlschrank war geüllt mit Schokolade und Junkood. Zucker war also mein Grundnahrungsmittel, und das über sechs Jahre hinweg. Hinzu kam der Stress bei der Arbeit, der ebenalls seinen Teil beige tragen hat. Doch sehr lange bemerkte ich nicht, was sich da in mir gesundheitlich zusammenbraute. In dem Hotel, in dem ich mittlerweile ein Jahr in der Hauptküche gearbeitet hatte, gab es auch ein Sternerestaurant. Ich stand öer nach Feierabend dor in der Küche und schau-te den Köchen und der Chepâtissière beim Anrichten der Teller zu. Es war Faszination pur, so viel Kreativität und Schönheit au den Tellern! Es ergab sich dann, dass ich in die Sterneküche des Hotels wechseln und dor kreative Dessers zaubern dure, da die Che-pâtissière weitergezogen war. Der Sternekoch hatte mich geragt, ob ich Lust hätte, ins kalte Wasser zu springen. Was ür eine Frage!Ich hatte das Geühl, die schönste Arbeit au diesem Planeten zu haben, und jedes Mal, wenn ein Teller zum Gast rausging, wusste ich, dass ich ihm mit meiner Arbeit einen un-vergesslichen Abschluss eines wunderbaren Menüs bieten würde. Die Werschätzungder Gäste und das Ausleben meiner Kreativi-tät hat mich zu dem Zeitpunkt richtig belü-gelt und mich immer weiter werkeln lassen. Irgendwann iel mir morgens au, dass ich dünner geworden war und meine Hosen SozusagenfürdenNotfahatteichimmereineTüteLakritzinderHosentasche.
9AlsKonditinaufWanderschaftnicht mehr passten. Ich hatte in den letzten eineinhalb Jahren 7 Kilo Gewicht verloren – und das ganz unbemerkt. Früher achtete ich darau, mein Gewicht zu halten, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich den Gewichtsverlust oensichtlich nicht gut unter Kontrolle. Ich nahm mir darum est vor, wieder mehr zu essen, und beschloss, auch wieder regelmä-ßig zu rühstücken. Letzteres sah dann so aus, dass ich vor der Arbeit zum Bäcker lie und mir eine Streuselschnecke oder eine andere süße Kleinigkeit kaue.Als ich das erste Mal nach der Tüte mit der Streuselschnecke gri, die mir die Verkäuerin über den Tresen reichte, iel mir au, dass ich sie nicht richtig greien konnte: Ich hatte ein Taubheitsgeühl in der Hand – erst nur in der rechten Hand, später dann auch in der linken. Das wird schon wieder von alleine weggehen, habe ich mir gedacht. Niemals wäre ich des-wegen zum Arzt gegangen und hätte mich krankschreiben lassen. Krank zu sein und nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen ist ein Tabu in der Gastronomie. Schon immer nahm ich, wenn ich merkte, dass ich Fieber oder Hals-weh bekam, einach Medikamente ein und brachte weiterhin meine Leistung. Allerdings wurde ich plötzlich immer anälliger ür Inek-te … Doch auch das gab mir noch nicht zu denken, ich ignoriere diesen Umstand und machte einach genauso weiter wie bisher– alles ist in Ordnung, redete ich mir ein. Ein Jahr später zog es mich berulich in ein anderes Sternerestaurant, und dor iel mir das erste Mal au, wie sehr sich auch mein Privatleben veränder hatte. Seitdem ich meinen Ausbildungsbetrieb ver-lassen hatte, gab es weder Zeit ür alte Freundschaen noch ür Beziehungen. Meine ganze Leidenscha galt damals dem Hand-werk, Privates rückte immer mehr in den Hin-tergrund. Natürlich lernte ich bei der Arbeit viele Menschen aus der ganzen Welt kennen und wir haben im Team auch o sehr viel Spaß gehabt. Doch allmählich stellte ich in Frage, wie ich tagtäglich mit mir umging und wie ich lebte. Die hohe Arbeitsbelastung ing an, mich zu überfordern, und ich war nie gerne perfek-tionistisch. Es iel mir zunehmend schwerer, DamalswarichderfestenÜberzeugung,dassichdiesenZuckerauchteunddassermirhalf,meinEnergielevelzuhalten.IchhattekeineVsteungvongesunderErnährung.TATENDRANGÜBERBELASTUNG
10Wieaesbegannmein Leistungsniveau zu halten und vor allem jeden Tag 100 Prozent zu geben, wie es in den besten Restaurants au dieser Welt eben verlangt wird. Als mir das irgendwann so richtig zu viel war, schaltete ich einen Gang runter. Ich wechselte noch einmal den Wohn-or und den Arbeitsplatz und ing in einer ganz „normalen“ Hotelküche an, wo ich wei-terhin Dessers kreieren dure.Die Arbeit war einach und ich merkte, dass ich mich innerlich entspannte. Allerdings konnte ich es auch ast nicht mehr abwaren, Feierabend zu haben. Ich schaute ständig au die Uhr und war immer richtig wütend, wenn kurz vor Küchenschluss noch Gäste ins Res-taurant kamen und ich unerwaret zwei Stun-den länger bleiben musste. Meine Arbeit ing an, mich zu nerven, und ich hatte einach kei-ne Lust mehr au meinen Beru. Es war vorbei mit der Leidenscha. Ich konnte mir nichts mehr merken und war bei schwierigen Gästen schnell gereizt, verzweielt und manchmal kurz davor zu weinen. Und dann kam der Tag, der irgendwann kom-men musste. Wieder mal schleppte ich mich ohne zu rühstücken zur Arbeit. Ich wusste nicht, was mich im Mittagsservice erwarete, wie viele Gäste kommen würden und ob diese überhaupt ein Desser bestellen würden. Doch ich war au alles vorbereitet und warete darau, die ersten Teller rausschicken zu kön-nen. An diesem Tag kamen sehr viele Bestel-lungen au einmal rein. Das war eigentlich nie ein Problem ür mich, doch plötzlich bemerk-te ich, dass sich etwas in mir veränder hatte. Esfielmirzunehmendschwerer,meinLeistungs-niveauzuhaltenundvaemjedenTag100Prozentzugeben.100 PROZENT LEIDENSCHAFT100 PROZENT ÜBERFORDERUNG
11AlsKonditinaufWanderschaftDas Servicepersonal stand hinter mir und war-tete darau, dass ich endlich die Desserteller erig hatte. „Anja, mach mal schneller, die Gäste waren schon“, vernahm ich hinter mei-nem Rücken, und die Bestellungen häuen sich. Doch sie bekamen nicht einen Teller von mir: Ich hatte ein totales Blackout und wusste nicht mehr, wie ich die Nachspeisen anrichten sollte. Schon tausend Mal gemacht, aber ich konnte es einach nicht abruen.Burnout mit Ende 20 – so begann sie, meine erste große Auszeit. Von da an habe ich mich drei Monate lang ausgeruht und alles daür getan, mich zu erholen und mit positiven Ge-danken in den Tag zu staren. Und wirklich, langsam juckte es mich schon wieder in den Fingern. Daher beschloss ich, die ersten Bewerbungen zu schreiben. Da ich gemerkt hatte, dass die Gastronomie au-grund des enormen Arbeitspensums kein gu-ter Arbeitsplatz ür mich war, lenkte ich mei-ne Aumerksamkeit in eine andere Richtung. Ich war est entschlossen, es nicht nochmal so weit kommen zu lassen. Schließlich zog es mich in ein Unternehmen, das Eiscreme her-stellte, und ich zog um.Die Augaben in der neuen Firma waren kom-plett neu ür mich: Ich entwickelte kreative Eisprodukte und leitete die Produktion, und mit der Zeit kamen immer mehr Augaben hinzu: Ich kümmere mich zusätzlich um die Hygiene, um die Lagerhaltung und um die Abüllung der Eiscreme.Und da in dem Unter-nehmen ein Techniker ehlte, habe ich irgend-wann auch noch angeangen, Maschinen zu reparieren, und daür gesorgt, dass technisch alles unktioniere.