Zur Wirksamkeit systemischer Interventionen im Kontext von Arbeit und Organisationen - Thomas Bachmann - E-Book

Zur Wirksamkeit systemischer Interventionen im Kontext von Arbeit und Organisationen E-Book

Thomas Bachmann

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Beschreibung

Wie wirken systemische Interventionen in Beratungsformaten im Kontext von Arbeit und Organisationen? Dieser Fragestellung gehen die Autoren in der von der Systemischen Gesellschaft (SG) und der Deutschen Gesellschaft für systemische Familientherapie (DGSF) beauftragten Studie nach. Das Buch gibt einen Überblick über die gegenwärtige internationale Studienlage und beleuchtet die erforschten Wirksamkeitsfaktoren systemischer Interventionen in unterschiedlichen Beratungsformen wie Coaching, Supervision, Systemaufstellungen, Teamentwicklung, Organisationsberatung etc. Dabei wird die Komplexität der systemischen Interventionen in diesem Kontext umfassend dargestellt und die klassischen wie die neueren Entwicklungen berücksichtigt. Die Studie ist somit ein wesentlicher Beitrag für die Erhellung von Wirkungen und Wirkfaktoren im Arbeits- und Organisationskontext. Die Autoren veranschaulichen die systemischen Konzepte in ihrer Verbreitung, theoretischen Fundierung, methodischen Reichhaltigkeit und praktischen Wirksamkeit.

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Verlag für Systemische Forschung

im Carl-Auer Verlag

Thomas Bachmann / Johannes Loermann

Zur Wirksamkeit systemischer Interventionen im Kontext von Arbeit und Organisationen

Ein systematischer Überblick über den Stand der Forschung

2023

Über alle Rechte der deutschen Ausgabe verfügt

Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages

Reihengestaltung nach Entwürfen von Uwe Göbel

Printed in Germany

Erste Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-9064-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-9065-3 (ePub)

DOI: 10.55301/9783849790646

© 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Zusammenfassung

2. Ausgangslage und Ziele der vorliegenden Studie

3. Systemische Ansätze

3.1. Systemisch-konstruktivistischer Ansatz

3.2. Systemisch-lösungsorientierte Ansätze

3.3. Synergetik

3.4. Dissipative Strukturen

3.5. System Dynamics und Systems Thinking

3.6. Systemische Aufstellungen

3.7. Narrative Ansätze

3.8. Personzentrierter Ansatz

3.9. Hypnosystemischer Ansatz

3.10. Systemisch-psychodynamischer Ansatz

4. Interventionsformate

4.1. Coaching als personenorientierte Beratung

4.2. Beratung & Coaching im Mehrpersonensetting

4.3. Organisationsberatung

4.4. Mediation

4.5. Supervision

4.6. Training

5. Wirksamkeitsforschung und systemische Interventionen

5.1. Zirkularität vs. Kausalität

5.2. Fundamentale methodische Probleme

5.3. Die Verknüpfung von Theorie und Intervention

5.4. Systemische Haltung

5.5. Implikationen

6. Methodik

6.1. Suchbegriffe

6.2. Recherchequellen

6.3. Studien- und Literaturauswahl

7. Ergebnisse

7.1. Systemisches Coaching

7.1.1. Metaanalysen und Reviews

7.1.2. Systemisch-konstruktivistisches Coaching

7.1.3. Systemisch-lösungsorientiertes Coaching

7.1.4. Hypnosystemisches Coaching

7.1.5. Systemisch-psychodynamisches Coaching

7.1.6. Systemaufstellung im Coaching

7.1.7. Narratives Coaching

7.2. Systemische Organisationsberatung

7.2.1. Systemaufstellungen im Organisationskontext

7.2.2. Systemisch-konstruktivistische Ansätze

7.2.3. System Dynamics und Systems Thinking

7.2.4. Systemisch-lösungsorientierte Ansätze

7.2.5. Narrative Ansätze im Organisationskontext

7.3. Systemische Arbeit im Mehrpersonensetting

7.3.1. Teamcoaching

7.3.2. Gruppencoaching

7.3.3. Supervision

7.3.4. Mediation

7.3.5. Training

8. Ansätze für weiterführende Forschung

9. Limitationen

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der eingeschlossenen Studien

Verzeichnis der nicht-eingeschlossenen Studien

Vorwort

Diese Studie ist aus der fachverbandlichen Frage entstanden, inwiefern empirische Evidenzen in Beratungsformaten wie systemischem Coaching, systemischer Supervision und systemischer Organisationsentwicklung vorliegen. Nachdem die Wirksamkeit systemischer Interventionen in der Systemischen Therapie in der Heilkunde hinreichend belegt und diese mittlerweile als Richtlinienverfahren in der Erwachsenentherapie anerkannt wurde, liegt nun mit der hier vorliegenden Studie ein Überblick zur Frage der Wirkung systemischer Interventionen im Kontext arbeitsweltlicher Beratung vor. Den Autoren Thomas Bachmann und Johannes Loermann ist damit ein wichtiger Beitrag im Zusammenhang mit der Bedeutung systemischer Interventionen in Theorie und Praxis arbeitsweltlicher Beratungsformate gelungen.

Was diese Studie in besonderem Maße wertvoll erscheinen lässt, ist die Differenzierung verschiedener systemischer Ansätze. Die beiden Autoren verorten das untersuchte Forschungsmaterial in ihren jeweiligen systemtheoretischen Strömungen und unterscheiden jeweils dabei die arbeitsweltlichen Beratungsformate. In diesem Prozess identifizieren sie auch die hauptsächlichen Kernprobleme arbeitsweltlicher Wirksamkeitsforschung.

Die Autoren markieren dabei aufgrund der Vielfalt an Beratungsformaten in ihren unterschiedlichen Kontexten eine Schwierigkeit hinsichtlich der Ausgangslage arbeitsweltlicher Wirksamkeitsforschung. Dass die Differenzierungs- und Identifizierungsversuche arbeitsweltlicher Beratungsformate in der Wissenschaft nicht immer ganz eindeutig sind, wird besonders in wissenschaftlichen und fach- bzw. dach-verbandlichen Diskursen deutlich. Dies stellt einen weiteren Beweggrund dar, die arbeitsweltliche Wirksamkeitsforschung bezüglich systemischer Beratungsformate zu begleiten und zu betrachten. Aus den vorliegenden Ergebnissen der Studie lassen sich weitere Hypothesen und mögliche Ideen für zukünftige Forschungsvorhaben ableiten, die wir für wünschenswert halten.

Als systemische Fachverbände stehen wir für Qualität und wollen mit der vorliegenden Studie einen Qualitätsdiskurs fortführen. Darüber möchten wir mit der hier vorliegenden wissenschaftlichen Analyse auch im öffentlichen Diskurs einladen, die Wirksamkeit, für die wir stehen, und die wir in der alltäglichen systemischen Praxis als dienlich erfahren, zu reflektieren. Somit kann diese Studie auch eine Quelle für die Weiterentwicklung und Reflexion von Lehre in fachverbandlich anerkannten Weiterbildungen sowie eine mögliche Rahmung der systemischen Praxis in arbeitsweltlichen Beratungsformaten sein.

In erster Linie die Systemische Gesellschaft (SG) und unterstützend die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) beauftragten und förderten diese Studie ideell sowie finanziell. An dieser Stelle möchten wir uns auch für das Vertrauen unserer Mitglieder in dieses Engagement bedanken.

Wir wünschen dieser Studie eine hohe Verbreitung und Nützlichkeit für Theorie und Praxis. Für diese Errungenschaft sind wir den beiden Autoren sehr dankbar.

Wie die zukünftige Feldforschung aussehen kann, ist noch ungewiss, wir freuen uns darüber, dass wir uns gemeinsam auf diesen Weg machen, um es herauszufinden.

Sascha Kuhlmann

Dr. Astrid BeermannProf. Dr. Matthias Ochs

1. Vorsitzender Vorstand SG

Vorsitzende Vorstand DGSF

1. Zusammenfassung

Die Anerkennung der Systemischen Therapie im Jahr 2019 als therapeutisches Richtlinienverfahren im Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland lässt auch die Rolle und Bedeutung von Wirksamkeits- und Evaluationsforschung systemischen Arbeitens außerhalb des therapeutischen Kontextes in einem anderen Licht erscheinen. Systemische Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen wie Beratung, Coaching, Teamentwicklung, Training, Mediation, Supervision und Organisationsberatung blicken auf eine lange Tradition und einen umfangreichen Theorie- und Methodenbestand zurück. Gleichwohl ist der Stand der Forschung zu den eingesetzten Formaten und deren theoretischen Hintergründen sowohl zur Verbreitung als auch zu deren Wirksamkeit kaum systematisch aufgearbeitet.

Ziel dieser Studie ist es, die internationale Studienlage zu Einsatz und Wirksamkeit systemischer Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen zu sichten und für weiterführende Projekte aufzuarbeiten, mit der Idee, systemisches Denken, Lernen und Arbeiten auf Basis empirischer Befunde weiter zu verankern und zu stärken. Auf Basis des aufgearbeiteten Standes der Forschung werden anschließend Ideen für weitere Forschungsvorhaben und Projekte zur Untersuchung systemischer Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen abgeleitet.

Um eine umfassende Übersicht über den Stand der internationalen Wirksamkeitsforschung zu erhalten, erfolgte eine systematische und umfassende Literaturrecherche nach definierten Kriterien. Darüber hinaus wurde ein Netzwerk von systemisch arbeitenden und forschenden Personen in Bezug auf möglicherweise unveröffentlichte oder schlecht zugängliche Studien kontaktiert. Die Suchergebnisse wurden sodann bezüglich inhaltlicher und methodischer Kriterien manuell selegiert. Die zentralen Ergebnisse zur Wirksamkeit und Wirkfaktoren systemischer Interventionen der jeweiligen Studien wurden zusammenfassend dargelegt. Dazu wurden die ausgewählten Publikationen der verschiedenen systemischen Ansätze dargestellt und hinsichtlich ihrer Relevanz bewertet.

Es wurde ein differenzierter Überblick über den Stand der internationalen Wirksamkeitsforschung erarbeitet. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Studienlage umfangreich und heterogen ist. Es liegen nur wenige Studien vor, die methodisch den üblichen Forschungsstandards entsprechen und in anerkannten Fachzeitschriften erschienen sind. Die Mehrheit der Arbeiten lässt sich zudem nicht eindeutig einem bestimmten systemischen Ansatz bzw. einer theoretischen Schule zuordnen. Die Recherche förderte 571 relevante Publikationen zu Tage, von denen 320 eingeschlossen werden konnten. Die Differenz zur Anzahl der Studien (335) im Verzeichnis der eingeschlossenen Studien kommt dadurch zustande, dass nicht alle Studien in den aufgeführten Metaanalysen zugänglich waren bzw. Studien, die mehrfach publiziert wurden, nur einmal aufgenommen wurden, jedoch im Studienverzeichnis als Referenz mehrfach auftauchen.

Die meisten methodisch gut angelegte Studien mit aussagekräftiger Evidenz liegen für das Systemische Coaching und für die Methode Systemaufstellungen im Organisationsberatungskontext vor. Hier können für verschiedene Einsatzgebiete und Zielgruppen zahlreiche Wirkungen und Wirkfaktoren nachgewiesen werden. Hervorzuheben sind dabei das Vorliegen von elf Metaanalysen und Reviews, die sich mit der Wirksamkeit von Coaching beschäftigen (vgl. Tab. 1).

Einen umfassenden Bestand gibt es ebenfalls im Feld der Organisationsberatung, sowohl für systemisch-konstruktivistische als auch für Systems Thinking-Ansätze. Naturgemäß ist die methodische Qualität der Studien hier weniger gut. Es liegen ausschließlich Fallstudien und Praxisberichte vor, die nicht immer den methodischen Standards entsprechen, wie er für qualitative Forschung üblich ist. Insgesamt ist das Feld der systemischen Organisationsberatung in der angewandten Forschung hinsichtlich Wirkungen, Wirkfaktoren, Problemen, hinderlichen Faktoren und best practice umfangreich beschrieben und untermauert damit die Wirksamkeit dieser Ansätze.

Nicht so zahlreiche Evidenzen von weniger guter Qualität liegen für narrative und systemisch-lösungsorientierte Ansätze in der Organisationsberatung und generell für Mehrpersonensettings wie Team- und Gruppencoaching, Training, Supervision und Mediation vor. Hier gibt es zwar vereinzelt qualitativ gute Studien, insgesamt sind die genannten Ansätze und Anwendungsformate jedoch deutlich weniger durch aussagekräftige Publikationen vertreten.

Als problematisch erwies sich die begriffliche und damit auch methodische Bestimmung, was genau „systemisch“ ist und was demzufolge systemische Interventionen sind. Zum Teil konnten hier spezifische Methoden identifiziert werden (wie z. B. der Meta-Mirror), wurden systemische Ansätze explizit genannt (wie z. B. systemisch-lösungsorientiert) oder konnten aus den Literaturangaben Rückschlüsse auf die systemische Fundierung bzw. Qualifikation der Autorinnen und Autoren gezogen werden. Dies trifft auf alle untersuchten Ansätze und Formate, ausgenommen die Systemaufstellungen, mehr oder weniger zu und relativiert die Ergebnisse bzw. verlangt nach kontextueller Betrachtung.

Tab. 1: Überblick über die Studienlage und -qualität

Für die weiterführende Forschung werden anschließend Empfehlungen gegeben. Dazu gehören u. a. eine theorie- und praxisbasierte Systematisierung des Forschungsfeldes sowie die weitere Entwicklung von methodischen Ansätzen, die der Komplexität und Heterogenität des Gegenstandbereiches gerecht werden. Weitere Forschungen sollten sowohl interessante theoretische Entwicklungen und Diskurse in der systemischen Theorie als auch gesellschaftliche Entwicklungen aufgreifen. Weniger gut untersuchte Ansätze und Formate müssen dabei stärker in den Fokus genommen und spezifische, methodisch besser handhabbare Fragestellungen für weitere Untersuchungen formuliert werden.1

1 Unter www.carl-auer.de/zur-wirksamkeit-systemischer-interventionen-im-kontext-von-arbeit-und-organisationen stehen bei „Hörproben und Videos“ ein Interview mit Thomas Bachmann sowie die Aufzeichnung einer Veranstaltung der SG und DGSF mit beiden Autoren zu der Studie zum Anhören zur Verfügung.

2. Ausgangslage und Ziele der vorliegenden Studie

Die Anerkennung der Systemischen Therapie im Jahr 2019 als therapeutisches Richtlinienverfahren im Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland lässt die Rolle und Bedeutung von Wirksamkeits- und Evaluationsforschung systemischen Arbeitens auch außerhalb des therapeutischen Kontextes in einem anderen Licht erscheinen. Systemische Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen wie Beratung, Coaching, Teamentwicklung, Training, Mediation, Supervision und Organisationsberatung blicken auf eine lange Tradition und einen umfangreichen Theorie- und Methodenbestand zurück. Die Entwicklung und Anwendung systemischer Theorien und Konzepte wird durch eine große internationale Community, zahlreiche Verbände und Vereine, wissenschaftliche Einrichtungen, zahllose Publikationen in diversen Medien sowie Ausbildungsinstitutionen stetig umfassender und vielfältiger. Gleichwohl ist der Stand der Forschung zu Verbreitung und Wirksamkeit der eingesetzten Formate und Methoden und deren theoretischen Hintergründen kaum systematisch aufgearbeitet.

Ziel der hier zusammengefassten systematischen Studie zu Forschungspublikationen (Bachmann & Loermann 2021) war es, die internationale Studienlage zu Einsatz und Wirksamkeit systemischer Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen zu sichten und für weiterführende Forschungsaktivitäten aufzuarbeiten, mit der Idee, systemisches Denken, Lernen und Arbeiten auf Basis empirischer Befunde im Arbeits- und Organisationskontext weiter zu verankern und zu stärken. Auf Basis des ermittelten Forschungstandes wurden Ideen für weitere Forschungsvorhaben und Projekte zur Untersuchung systemischer Interventionsformate im Kontext von Arbeit und Organisationen abgeleitet.

4. Interventionsformate

4.1. COACHING ALS PERSONENORIENTIERTE BERATUNG

Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs- und Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen bzw. Organisationen sowie von Freiberuflern. Sowohl im Einzelwie im Mehrpersonen-Coaching wird der organisationale Kontext immer berücksichtigt (Schreyögg, Bachmann & Dallüge, 2019, S. 18). Es zielt durch systematisch angeleitete Selbstreflexion und so bestärkte Problemlösungsfähigkeit auf die Hilfe zur Selbsthilfe ab (Geißler, 2010). Systemisches Coaching ist nach Radatz, „Beratung ohne Ratschlag“ – eine Beziehung zwischen Coach und Coachee – in welcher der Coach die Verantwortung für die Gestaltung des Coachingprozesses und der Coachee die inhaltliche Verantwortung übernimmt – d. h. die Verantwortung, an dem individuellen Problem zu arbeiten (Radatz, 2006). Die Ziele des Coachings werden nur vom Klienten bestimmt. Im systemischen Coaching wird das Ziel verfolgt, die Selbstorganisationsfähigkeit des Klienten zu stärken und dabei unmittelbar an sein Handlungspotential anzuknüpfen (Beilfuß, 2020). Systemisches Coaching erschließt dem Klienten dann neue Ideen und Handlungsoptionen – ganz im Sinne des ethischen Imperativs von Foerster: „Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst!” (von Foerster, 1988, S. 33). Das Subjekt wird als Einheit zusammen mit seinem sozialen System betrachtet. Der Fokus wird nicht nur auf bestimmte Inhalte gelegt, sondern auf das soziale System. Die Beziehungskonstellationen und sozialen Verflechtungen des Klienten sind dabei von hoher Relevanz. Angenommen wird, dass die Verhaltensweisen und Entscheidungen des Klienten zuerst vom sozialen System beeinflusst werden (König & Volmer, 2002). Die persönlichen Zielsetzungen und Entscheidungen des Klienten sind meist eng mit dem sozialen Umfeld vernetzt, so dass eher eine systemische als eine individuumszentrierte Sichtweise hilfreich ist: Der Kontext und seine Vernetzung rangieren hier vor den psychologischen Eigenschaften. Das legt nahe, die Organisationsstruktur und die Unternehmenskultur neben den persönlichen Ressourcen und Kompetenzen des Klienten entscheidend zu berücksichtigen (Beilfuß, 2020).

4.2. BERATUNG & COACHING IM MEHRPERSONENSETTING

Gruppen-Coaching stellt eine soziale Designvariante dar, bei der mehrere Individuen, die in keiner Arbeitsbeziehung zueinanderstehen, aber vergleichbare Anliegen miteinander teilen, zusammen gecoacht werden. Im Mehr-Personen-Coaching wird der Lernkontext auf die Gruppe erweitert, es erfolgt „Lernen mit und durch die Gruppe“. Neben dem Coach als Sparringspartner steht hier die Gruppe und deren Dynamik als Reflexionsbasis und Feedback- bzw. Impulsgeber zur Verfügung. Damit steht der Ansatz der Supervision nahe. Wenn mehrere oder die gesamten Mitglieder einer Führungs- oder Verantwortungsstruktur gecoacht werden (z. B. Doppelspitze, Vorstand, Geschäftsführung), spricht man von Führungsspitzen-Coaching. Hier besteht im Gegensatz zum Gruppencoaching eine inhaltliche und organisationale Verflechtung der Teilnehmenden, was das Vorgehen, Inhalte und Prozess deutlich vom Gruppencoaching dahingehend unterscheidet, dass das soziale System primärer Gegenstand der Intervention ist und nicht das individuelle Lernen, wie im Gruppencoaching.

Ein weiteres Setting ist das Coaching und die Entwicklung von Arbeitsteams. Während bei der Teamentwicklung allgemein Vertrauensaufbau und Stabilisierung der Zusammenarbeit im Zentrum stehen, geht es im Teamcoaching zudem um Ziele wie Rollenklärung, Strategie-, Führungs- und Kulturentwicklung. Hier steht der Aspekt einer längeren Begleitung z. B. durch einen Agile Coach im Vordergrund, hingegen die Teamentwicklung eher als punktuelle Maßnahme zu verstehen ist. Teamcoaching und Teamentwicklung speisen sich theoretisch, inhaltlich und methodisch neben spezifischen Coachingmethoden aus dem Fundus der Organisationsentwicklung, methodisch aus der Prozessmoderation und enthält oftmals Elemente des sozialen Lernens z. B. Feedback, wie sie im Training eingesetzt werden. (Bachmann et al., 2010; Bachmann, 2012; Schreyögg et al., 2019). Häufig wird beim Teamcoaching auch mit Coach-Tandems (bspw. zwei Coaches) gearbeitet, um der Komplexität und Intensität im Coachingprozess besser gerecht zu werden (Webers, 2015).

4.3. ORGANISATIONSBERATUNG

Die systemische Organisationsberatung geht zurück auf Traditionen der Familientherapie, der modernen Systemtheorie und des Konstruktivismus. Im Vordergrund dieses Ansatzes steht der Systembegriff und Organisationen werden als Handlungs- oder Kommunikationssysteme verstanden. Luhmann (1984) versteht Organisationen als autopoietische (operational geschlossene, selbstreferenzielle) Kommunikationssysteme, die sich Sinn prozessierend fortsetzen und deren Historie sich in den Entscheidungsprämissen der Organisation widerspiegelt (Schreyögg, Bachmann & Dallüge, 2019). Organisationen verfolgen das Ziel, über eine zweckrationale Zusammenarbeit die Erfüllung bestimmter (gesellschaftlicher) Aufgaben zu realisieren. Sie entstehen durch die Zusammenarbeit von Individuen nach bestimmten Regeln, deren Einhaltung vertraglich abgesichert wird. Es ergibt sich eine formale Organisationsstruktur häufig mit zahlreichen Hierarchieebenen und vielfältigen Vernetzungen. Organisationen unterscheiden sich von anderen sozialen Systemen durch einen formellen Mitgliedschaftsvertrag, den die Organisationsmitglieder mit der Organisation eingehen. (vgl. Kühl, 2011; Schreyögg, 2012) Wichtige Vertreter der systemischen Beratung sind u. a. Groth & Wimmer (2004), Simon (2014) und Baecker (2007).

Die Muster des Zusammenspiels der Elemente der Organisation stehen im Mittelpunkt des Beratungsprozesses, weniger einzelne Inhalte, Personen oder einzelne Arbeitsgruppen. Systemische Organisationsberatung ist auf eine langfristige Entwicklung gerichtet und grenzt sich von einer eher punktuellen, Know-how-orientierten Expertenberatung ab. Die Kultur der Organisation und damit die Kommunikation steht im Mittelpunkt des Interesses. Die Hilfe systemischer Organisationsberater konzentriert sich auf die Hilfe zur Selbsthilfe. Ihre Arbeit trägt oft dazu bei, Kommunikationsbarrieren abzubauen, Kompetenzen für die Problemlösung zu fokussieren und das Blickfeld in Richtung auf „Utopien und Unmöglichkeiten” zu erweitern. Diese Bewegungen brauchen Organisationen, um sich an ständig verändernden Umwelten (Kunden, Märkte etc.) zu orientieren, die notwendigen Anpassungsschritte zu vollziehen und gleichzeitig doch ihre Einzigartigkeit zu pflegen und weiterzuentwickeln (Beilfuß, 2020). Dies bedeutet, das System der Organisation gleichzeitig auf allen drei Sinndimensionen (Luhmann, 1984), der Sachdimension, der Sozialdimension und der zeitlichen Dimension gleichzeitig zu betrachten (Wimmer et al., 2014).

Die Beratungsmethoden sind vielfältig und müssen für die Kultur der jeweiligen Organisation maßgeschneidert werden. Dazu entstehen oftmals komplexe Beratungsarchitekturen, um eine Vielzahl von Stakeholdern, Themen und Zielen in einem Beratungsprojekt abzudecken zu können (Königswieser & Hillebrand, 2019). Neben Gruppen- und Moderationsmethoden kommen vielfältige Methoden und Zugänge zum Einsatz, bei denen entweder mit der ganzen Organisation oder Subsystemen gearbeitet wird.

Die Systemische Organisationsberatung speist sich u. a. aus der Tradition der Organisationsentwicklung (Groth & Wimmer, 2004). Diese hat ihren Ausgangspunkt in den Humanisierungs- und Partizipationsbestrebungen der 1970er Jahre. Unter dem Motto, „Betroffene zu Beteiligten zu machen“, werden Organisationen als eine Gruppe von Personen verstanden. „Unter dieser Maßgabe werden die Steuerung und Weiterentwicklung von Organisationen individualisiert (psychologisch) bzw. gruppendynamisch aufgesetzt. Wichtige Stichworte in diesem Ansatz sind gemeinsame Ziele, Motivation, Zusammenarbeit, Konflikte, soziales Lernen. Wichtige Impulsgeber und Vertreter der Organisationsentwicklung sind Lewin (2012), Trebesch (2000), Schein (2003). Die Organisationsentwicklung, die auch gern als Prozessberatung oder mit Change-Management (Doppler & Lauterburg, 2008) beschrieben wird, hat in den letzten Jahren eine Fokussierung in Richtung Teamentwicklung genommen und für die Beratung von Unternehmen und Organisationen an Bedeutung verloren.“ (Schreyögg, Bachmann & Dallüge, 2019, S. 33).

4.4. MEDIATION

In der Mediation werden Personen bzw. Konfliktparteien darin unterstützt, den Konflikt zu lösen, beizulegen bzw. zu lindern. Mediation stellt somit eine lösungsorientierte Prozessbegleitung dar (Nixdorf, 2020). Mediation stellt kein explizit systemisches Setting dar, setzt jedoch eine systemischallparteiliche Grundhaltung voraus. Auch systemische Interventionen werden vielfach verwendet und nicht zuletzt ist ein mediativer Zugang besonders anschlussfähig an und kompatibel mit systemtheoretischen Konflikttheorien (Simon, 2010). Eine explizit systemische Mediation ist, wie angemerkt nicht ganz einfach zu bestimmen, da natürlich alle Formen der Konfliktberatung eine Vielzahl von Interessen verschiedener Parteien, Erwartungen und Aufträgen balancieren, um allparteilich und lösungsorientiert zu bleiben. Im Vordergrund steht, die hinter den vorgebrachten Positionen zu findenden individuellen Interessen zu verstehen und einen Ausgleich zu finden (von Schlippe & Schweitzer, 2019).

4.5. SUPERVISION

Zwischen Coaching und Supervision besteht eine große Ähnlichkeit, denn in beiden Fällen steht die personenorientierte Beratung zu beruflichen Themen im Fokus (Kühl, 2008). Unterschiede ergeben sich vor allem aus ihren jeweiligen Traditionen, die bis heute von Bedeutung sind. (Schreyögg et al., 2019, S. 28) schreiben dazu: „Supervision, ursprünglich eine administrative Funktion von Führungskräften, entstand in der US-amerikanischen Sozialarbeit als „Clinical Supervision“. Da fungierte sie als Beratungsform für die Sozialarbeiter-Klient-Beziehung“, später auch „in der generellen psychotherapeutischen Praxis zur Kontrolle und Verbesserung der eigenen therapeutischen Arbeit.“ Weitere Unterschiede bestehen darin, dass Coaching primär für die Beratung von Interaktionen im Innenraum einer Organisation genutzt wird, während Supervision auf die Interaktion mit organisationsexternen Personen (Klienten, Patienten, Mandanten) (Kühl, 2008) zielt. Supervision dient der Beobachtung und Reflexion beruflicher Praxis innerhalb und außerhalb von Organisationen und wird in unterschiedlichen Settings angeboten (Einzelne, Gruppen, Teams, Leitungssupervision, Organisationssupervision etc.) und überwiegend im Non-Profit- bzw. sozialen Bereich genutzt. Als personenbezogene Beratung hat die systemische Supervision den Bereich der unmittelbaren, direkten und beobachtbaren Kommunikation der Organisationsmitglieder untereinander bzw. mit Kunden und Klienten zum Gegenstand (Systemische Gesellschaft, 2016).

4.6. TRAINING

Ebenfalls auf Basis systemischer Annahmen können Trainingsveranstaltungen, also das soziale, rollenbezogene Lernen in und mit einer Gruppe als systemische Interventionen betrachtet werden, wenn sie z. B. auf Basis einer systemisch-konstruktivistischen Haltung durchgeführt werden oder durch Methoden aus dem systemischen Kontext charakterisiert sind.

Ein spezielles Format in diesem Feld ist die systemische Gruppendynamik oder die T-Gruppe. Diese spielt nach Lewin eine hervorragende Rolle bei der Entwicklung neuer Ideen zum sozialen Ort Gruppe in Wissenschaft und Praxis. Im Fokus der Forschung standen u. a. verschiedene Führungsstile und deren Einfluss auf Gruppen. In einem der Forschungsprojekte wurde gewissermaßen per „Zufall“ die Gruppendynamik als praktisches Verfahren „erfunden“ bzw. „entdeckt“ (König & Schattenhofer 2007). 1946 veranstaltete Lewin gemeinsam mit einigen seiner Schüler ein Seminar am MIT, in dem Führungskräfte aus verschiedenen Bereichen Einsichten in ihre Verhaltensweisen und Werthaltungen bekommen sollten. Das Team um Lewin entdeckte im Rahmen dieses Weiterbildungsseminars die eindrucksvolle Wirkung, die die Rückmeldung von Beobachtungen zum laufenden Geschehen in einer Gruppe auf deren weitere Entwicklung besitzt. Aus diesen Erfahrungen entwickelte das Team dann das spezielle Lernformat, die sogenannte gruppendynamische Trainingsgruppe. Dieses Lernsetting basiert auf der Laboratoriumsmethodologie, wie sie schon für die Lewin‘schen Forschungsanstrengungen charakteristisch war. Eine Gruppe von 8–12 Teilnehmenden, die einander persönlich fremd sind, bekommen den Auftrag, mit Unterstützung einer Trainerin oder eines Trainers über einen Zeitraum von 5–6 Tagen sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu machen (Wimmer 2022). Die Trainingsgruppe (T-Gruppe) verbindet in gelungener Weise Person und soziales System. Jeder Lernschritt und jede Verhaltensveränderung einer Person führen zu Reaktionen in der Gruppe. Die Beziehungen werden gestärkt oder verändert, Vorschläge aufgegriffen oder verworfen, die Gruppe verändert sich. Gemeinsam können und müssen die Mitglieder der Gruppe die soziale Situation besprechen, gestalten, verändern: Interaktionen, Beziehungen, Machtstrukturen, Entscheidungen, Aktivitäten. Die Gruppenmitglieder erhalten gemeinsam Kontrolle über das soziale Geschehen. Dies führt wiederum zur Veränderung der persönlichen Motivationslagen und Verhaltensweisen. Das Lernen von Personen wird mit dem Lernen des sozialen Systems verbunden (Grossmann et. al. 2021).

Unter sehr verschiedenen Überschriften (Agilität, Ambidextrie, New Work) wird in den letzten Jahren versucht, in Organisationen die Logik der Organisation mit der Logik von Gruppen auf eine neue Weise zu verbinden. Dabei geht es meist nicht mehr in erster Linie um die Steigerung der Produktivität, sondern um die Bewältigung spezifischer Innovationsherausforderungen, für die es das außergewöhnliche Leistungsvermögen gut aufeinander eingespielter, sich selbst steuernder Teams benötigt. Dieses paradoxe Miteinander benötigt auf organisationaler Seite die Ausprägung spezifischer Führungskompetenzen und Steuerungskapazitäten und auf der Seite der Teams die Fähigkeit, sich selbst unter angemessenen organisatorischen Rahmenbedingungen dieses besondere Leistungsvermögen zu erschließen und zumindest für einen gewissen Zeitraum aufrecht zu erhalten (Wimmer 2022).

5. Wirksamkeitsforschung und systemische Interventionen

Die Wirksamkeitsforschung systemischer Interventionen im Arbeits- und Organisationskontext wirft im Grunde drei wesentliche Probleme auf, die im Folgenden beschrieben werden.

5.1. ZIRKULARITÄT VS. KAUSALITÄT

Bei der Untersuchung von Wirkungen bzw. Effekten einer Intervention wird ein kausaler Zusammenhang angenommen. Das typische Untersuchungsschema folgt hier der Logik: Prä-Messung – Intervention – Post-Messung. Die Differenz zwischen Prä- und Post-Messung dient dabei als statistisch vom Zufall zu unterscheidende Wirkung. Um andere Wirkfaktoren als die der eigentlichen Intervention auszuschließen, werden die Effekte üblicherweise mit Kontrollgruppen verglichen, bei denen keine Intervention erfolgte. Weitere Effekte auf das Ergebnis werden durch Randomisierung, Kontrollierung und Balancierung von Einflussvariablen ausgeschlossen, damit ein gemessener Effekt möglichst eindeutig auf die Intervention zurückzuführen ist (vgl. Bortz & Döring, 2016).

„Die Idee, dass Interventionen ähnlich wie Medikamente unabhängig von der jeweiligen Verfassung der Personen und der Konstellation des Sozialsystems, wie sich gerade zeigt, gezielte Wirkung ergeben könnten, ist zunächst bestechend“ (von Schlippe & Schweitzer, 2019, S. 73). Die Effekte in Beratungsprozessen dürften sich größtenteils ähnlich zeigen wie Prozesse der Weitergabe von implizitem Wissen, von tacit knowledge (Polanyi, 2009 zitiert nach von Schlippe & Schweitzer, 2019), sich also im Impliziten, im Vagen, in nicht messbaren Qualitäten der Beziehung niederschlagen (von Schlippe & Schweitzer, 2019).

Menschliche Entwicklungsprozesse verlaufen häufig sprunghaft, eben „nicht-linear“, wie gerade die Theorie dynamischer Systeme betont. Veränderungsprozesse, die sich in Kontexten hoher Komplexität und großer Instabilität abspielen sind somit nicht im herkömmlichen Sinn zu steuern (von Schlippe & Schweitzer, 2019). Wer intervenieren möchte, muss sich vor Augen führen, dass er in funktionierende Systeme und/oder in ein (mal schlecht, mal recht) funktionierendes Zusammenwirken von Systemen hinein interveniert (Groth, 2017). Jede Intervention hat die Paradoxie zu berücksichtigen, dass sie sich in ihrer Wirksamkeit vom intervenierten System abhängig macht. Zwischen dem, was einem System angeraten wird, und dem, was es daraus umsetzt, gibt es keinen direkten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Bei selbstorganisierten Eigendynamiken und Eigenkomplexität ist zielgerichtete Beeinflussung nicht möglich. Möglich ist es, „sie zu befördern, zu irritieren, zu bremsen oder zu erschweren“ (von Schlippe & Schweitzer, 2019, S. 75). Sie verhalten sich nach ihrer eigenen Logik, die durch ihre sich im Laufe ihrer Geschichte ändernden internen Zustände bestimmt und von außen nicht beobachtbar ist. Diese inneren Zustände und Strukturen sind keine konstanten Werte, sondern sie reagieren in Abhängigkeit von der Vergangenheit des Systems selektiv auf aktuelle Umweltveränderungen. „Dies macht die Wirkung von Interventionen in autopoietische Systeme generell für den Intervenierenden im Prinzip kaum oder gar nicht voraussehbar“ (Simon 2014, S. V f.). Wenn es dennoch gelingt, dann muss dies anders als durch das geradlinige Ursache-Wirkungs-Modell dargelegt werden. Wenn also auf das Vorhaben direkter Einwirkung verzichtet wird, steht die Frage im Mittelpunkt wie die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden kann, „dass ein Prozess sich konstruktiv entwickelt“ (von Schlippe & Schweitzer 2019, S. 77). Eine Intervention stellt keine ausschließlich direktive, mit Veränderungsintentionen verknüpfte Handlung dar. Da Intervention vom intervenierten System aus gedacht wird, ist all jenes Verhalten bzw. Nichtverhalten eines Beraters Intervention, welches vom betreffenden System als solche aufgefasst wird. Im Prinzip kann jede Kommunikation Intervention sein oder werden. Jede Form der Partizipation an Kommunikation greift ein, geht dazwischen (Groth, 2017).

Die Annahme der kausalen Wirkung widerspricht also grundlegend den theoretischen Annahmen über das Verhalten und die Beeinflussung von Systemen. Gerade das Überwinden kausal-logischen Denkens ist als der Wesenskern der Systemtheorien anzusehen. Komplexität, also Vernetztheit, Folgelastigkeit, Unüberschaubarkeit, Nicht-Linearität, Eigendynamik, operationale Geschlossenheit, Zirkularität etc., muss daher mit anderen Interventionskonzepten handhabbar gemacht werden. Dazu gehören im Wesentlichen das Beobachten des Beobachtens, das Anbieten bzw. Setzen von Impulsen und die Kontextgestaltung. Intervenieren, Instruieren und damit die gezielte Steuerung von Veränderungen sind damit zumindest von der theoretischen Konzeption her ausgeschlossen. Wirksamkeits- bzw. Evaluationsforschung ist daher im systemischen Arbeitskontext nur durch einen theoretischen Kompromiss möglich, der darin besteht systemische Phänomene mit linear-kausalen Methoden zu messen.

5.2. FUNDAMENTALE METHODISCHE PROBLEME

Ein weiteres Problem der Wirksamkeitsforschung, welches auch im Kontext von Therapie, Pädagogik, Wirtschaftsförderung u. v. a. komplexen gesellschaftliche Anwendungsfelder präsent ist, liegt in verschiedenen methodischen Problemen, die sich bei Formaten wie Coaching, Training, Organisationsberatung usw. ebenfalls in fast unüberwindlicher Deutlichkeit in den Weg stellen (vgl. Bachmann, 2015). Dazu gehören:

-

die Abwesenheit bzw. Unzulänglichkeit von Diagnosen und damit

-

die Unmöglichkeit homogene Stichproben zu ziehen sowie

-

die Uneinheitlichkeit und damit Nicht-Vergleichbarkeit der Interventionen,

-

die Perspektivenabhängigkeit der Wirkungen,

-

die Heterogenität der Untersuchungskontexte mit vielfältigen nichtkontrollierbaren Einflussfaktoren und schließlich

-

ökonomische, rechtliche, ethisch u. a. Restriktionen des Zugangs zum Forschungsfeld.

Angesichts dieser Probleme müssen in dieser Pilotstudie vorhandene Studien und deren Ergebnisse entsprechend kontextualisiert und damit anders betrachtet und bewertet werden als beispielsweise in der Pharmaforschung oder anderen evidenzbasiert arbeitenden Naturwissenschaften.

5.3. DIE VERKNÜPFUNG VON THEORIE UND INTERVENTION

„Interventionen sind, wie der Name schon sagt, ein Dazwischengehen, ein Hineingehen” (Seliger 2022, S. 153). Sie stellen eine besondere Form der Kommunikation dar, bei welcher es weniger um Austausch von inneren Landkarten geht als um Aktivitäten eines Akteurs mit der Absicht, bestimmte Wirkungen bei einem anderen Akteur oder einer Akteurin hervorzubringen. Interventionen werden angewendet, um bei anderen Systemen eine Unterbrechung von Mustern, sei es der Wahrnehmung, des Verhaltens oder der Interaktion zu bewirken. Der Wunsch, in die Prozesse eines lebenden Systems einzugreifen, ist nachvollziehbar. Wer möchte denn nicht bewirken, dass die Kinder ihr Zimmer aufräumen, dass Mitarbeitende das tun, mit was man sie beauftragt? Doch alle Versuche müssen an der Eigendynamik und Autonomie lebender Systeme letztlich scheitern. Systeme sind strukturdeterminiert, sie treffen ihre Entscheidungen auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen und sie tun, was sie wollen (und können) (Seliger 2022). „Es geht darum ein Verständnis für die grundlegenden Schwierigkeiten der Intervention in komplexe Systeme zu erzeugen und deutlich zu machen, dass es im Kontext nichttrivialer Maschinen nicht mehr genügt auf ein Knöpfchen zu drücken, ein Gesetz zu machen, eine Anordnung zu geben, ein Medikament zu verschreiben oder eine neue Vorschrift zu erlassen (Willke 2005, S. 4).“ Interventionen stellen Kommunikationsformen der wechselseitigen Einflussnahme bzw. -absicht dar. Bei solch einer Kommunikation treffen die Absicht der einen auf Muster der anderen, und es ist prinzipiell offen, welche Wirkung das mit sich bringt. Alle verfügen über Möglichkeiten des Denkens und Handelns. Wir sprechen von doppelter Kontingenz oder einfacher ausgedrückt: Alle können machen, was sie machen können. Interventionen sind infolgedessen komplexe Vorhaben (Seliger 2022). „Jeder Akteur, der sich ein Bild von einer bestimmten Situation macht, in der er intervenieren möchte, macht sich eben genau dies: ein Bild aufgrund seiner Beobachtung der Situation. Es liegt auf der Hand, dass es von der Art und Weise, den Möglichkeiten und Restriktionen des Beobachters abhängt, welches Bild dabei herauskommt und zu welcher Art und Form der Intervention ihn dies führt“ (Willke 2005, S. 11). Für alle, die die Aufgabe haben, bei anderen Systemen gewünschte Wirkungen zu erzielen, sind dies schlechte Nachrichten (Seliger 2022). Aber zur Beruhigung sei angemerkt: „Interventionen sind möglich, aber ihre Erfolge sind ungewiss“ (Willke 2005, S. 9).

Eine Intervention vermittelt somit immer, direkt oder indirekt eine Form der Beschreibung von Wirklichkeit. Es ist irrelevant, ob eine Intervention formal systemisch ist oder nicht. Wesentlich ist, ob sie einen konstruktiven Unterschied zur gewohnten Weise, die Welt zu betrachten, herbeiführt oder nicht. Mit jeder Intervention wird eine Beschreibung der Realität angeboten, welche vom ratsuchenden System angenommen, abgelehnt oder unbeachtet gelassen werden kann (von Schlippe & Schweitzer, 2019, S. 90). Auch wenn der direktive Zugang oder Zugriff nicht gewährt wird, so gibt es mehr oder weniger brauchbare Irritationen. Der Erfolg ist jedoch erst im Nachhinein sichtbar. Somit ist Intervention keine einmalige Handlung, eher eine (Kontroll-)Schleife: Interventionshandeln 1 – Wirkung beobachten – Rückschlüsse auf das System ziehen – Interventionshandeln 2 usw. „Keineswegs muss man Systeme kennen, um zu intervenieren, eher gilt der Satz: Interveniere und du lernst das System kennen“ (Groth, 2017, S. 106).

Für die Wirksamkeitsforschung im systemischen Kontext bedeutet dies, dass es problematisch ist, genau zu definieren, was eine systemische Intervention ist. Daher lassen sich zunächst zwei Klassen von Interventionen unterscheiden:

Typ 1: Interventionen, also Methoden, welche direkt im systemischen Kontext von Theorie und Praxis entstanden sind, d. h. die aus systemtheoretischen Überlegungen abgeleitet wurden und als typisch für die systemische Praxis unterschiedlicher Ausrichtungen angesehen werden können. Dazu gehören z. B. das Reflecting Team, der Meta-Mirror, Systemaufstellungen, zirkuläres Fragen, systemische-lösungsorientierte Fragen, systemische Beratungsarchitekturen, Beratersystem und Beratungssystem konstituieren sich.

Typ 2: Interventionen, also Methoden, welche sich nicht direkt aus der systemischen Theorie und Praxis ableiten lassen, aber auf Basis systemischen Denkens (also theoriegeleitet) und auf Basis einer systemischen Grundhaltung eingesetzt werden.

Zur Orientierung und Einordnung von Publikationen zur Wirksamkeit systemischer Interventionen bietet sich aufgrund der o.g. Probleme das Beratungsmodell von Kantor (zitiert nach Rappe-Giesecke, 2002). Kantor unterscheidet für den Beratungskontext drei Ebenen, die stark an den systemischen Dreisprung „Beschreiben, Erklären, Bewerten“ (Simon, 2020) erinnern. Die Ebene der Beschreibung nennt Kantor die theory of the thing, die Theorie der Sache. Daraus leitet sich die theory of change, die Theorie der Veränderung ab, aus der sich schließlich eine theory how to intervene, eine Theorie der Intervention ergibt. Folgt man diesem Modell, ist eine Intervention immer dann systemisch, wenn sie theoriegeleitet aus den Systemtheorien und hypothesentestend, also auf Basis einer bestimmten (systemischen) Grundhaltung, gewählt wurde. Einen praxisnahen Überblick über systemische Settings und Interventionen in der Organisationsberatung geben Neuberger (2006) und für die personenorientierte Arbeit bzw. die Arbeit mit Gruppen (von Schlippe & Schweitzer, 2019).

5.4. SYSTEMISCHE HALTUNG

Systemische Praxis ist nicht beschreibbar als direkte Umsetzung systemtheoretischer Konzepte und zudem nicht als rein handwerkliche Kombination von Methoden und Techniken. Die Person des systemischen Praktikers sowie die Beziehung zum Ratsuchenden spielt ebenso eine wesentliche Rolle sowie der Kontext, in dem die systemische Arbeit stattfindet. Beides wird miteinander verknüpft durch eine Reihe grundlegender, das konkrete Handeln inspirierenden Prämissen und Haltungen (von Schlippe & Schweitzer, 2016, S. 199). „Auf der Beziehungsschiene fährt der Zug der Interventionen, fährt der Zug der Tools und Techniken. Wenn es die Schiene gar nicht gibt, fährt auch nichts, bewegt sich auch nichts“ (Erpenbeck, 2020, S. 19).

Eigentlich liegt es auf der Hand, dass je nach Qualität der Beziehung, nach der gesamten verbrachten Zeit und dem damit gewachsenen Vertrauen (oder natürlich auch ansteigender Verärgerung übereinander) und ganz allgemein danach, wie die Menschen drauf sind (der jeweilige Systemzustand), identische Interventionen bei denselben Klienten zu verschiedenen Zeitpunkten vollkommen unterschiedliche Wirkungen erzielen dürfen (vgl. von Schlippe & Schweitzer, 2019, S. 73). Im Vordergrund steht es, an konstruktiven Randbedingungen dafür zu arbeiten, dass Musterveränderungen wahrscheinlicher werden. Wenn im Rahmen der Therapie und Beratung bei „selbstorganisierten Systemen Ordnungs-Ordnungs-Übergänge angeregt werden, die mit einer Labilisierung und Chaotisierung gewohnter Muster einhergehen, dann bedarf es hierzu des stabilisierenden Fundaments einer vertrauensvollen Beziehung“ (von Schlippe & Schweitzer, 2019, S. 75). Denn wenn die angesprochene Verunsicherung in einen sichernden Rahmen integriert werden kann, dann sind die Randbedingungen dafür vorhanden, dass sich die Chancen für die Entwicklung neuer, konstruktiver Muster erhöhen, dass also die „konstruktive Anschlussinteraktion“ im ratsuchenden System wahrscheinlicher wird, welches damit wieder „anregungsoffen für Zufälle“ (Luhmann, 1988 zitiert nach von Schlippe & Schweitzer, 2019) wird. Genau das stellt nach von Schlippe & Schweitzer (2019, S. 84) das „Kerngeschäft systemischer Praxis“ dar.