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Wer träumt nicht von einem Landhaus im sonnigen Süden, der allerdings nicht immer sonnig ist, wie Frau Heidemann feststellen muss. Mit viel Humor beschreibt Maria Hellmann den langen und teilweise holprigen Weg vom Wunsch über die Suche bis zum Einzug ins renovierte "Rustico" in Italien.
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Seitenzahl: 210
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Fatto - Geschafft
Il Desiderio- Der Wunschfatto - Geschafft
La Ricerca – Die Suche
La Realtà - Die Realität
Il Computer – Der Computer
Il Giuramento - Der Schwur
Quale Paese - Länderfrage
Il Colpo di Partenza der Startschuss
Pronti, Attenti E via auf die Plätze, Fertig, Los
Sopraluoghi Besichtigungen
Il Pranzo das Mittagessen
Nel Pomeriggio in Giro am Nachmittag Unterwegs
Altre Case Weitere Häuser
I Lupi - Die Wölfe
Una Chiamata - Ein Anruf
Il Padrone der Besitzer
Un Secondo Incontro ein Zweites Treffen
Il Compromesso der Vorvertrag
Matteo Il Bello Matteo der Schöne
Una Cena in Famiglia ein Familienessen
Pazienza - Geduld
L' Appuntamento dal Notaio der Notartermin
Un Altro Appuntamento eine Weitere Verabredung
Il Linguaggio die Sprache
Licenziamento Senza Preavviso Fristlose Kündigung
Fiducia Vertrauen
La Soluzione die Lösung
L’addio der Abschied
L’arrivo die Ankunft
Campo Nuovo Neuland
Autunno - Herbst
Emancipazione Emanzipation
Buon Lavoro Frohes Schaffen
La Squadra Nuova die Neue Truppe
Nebbia di Novembre Novembernebel
La Prima Parte del Trasloco der Erste Teilumzug
Il Blues Dell Inverno Winterblues
La Crisi - Die Krise
Dubbi - Zweifel
Avanti! - Voran!
Passi Grandi Grosse Schritte
Telefono - Telefon
WWF Italia World Wildlife fund in Italien
L’amore per gli Animali – Tierliebe
Un Lavoro di Qualità Qualitätsarbeit
La Mamma - Die Mama
Il Grande Trasloco der Grosse Umzug
Il Giardino - Der Garten
Amicizia Freundschaft
Susanna - Susanne
Vissi d’arte, vissi d’amore… der Lautstärkeregler steht auf zweiundvierzig und ich auf unserer Terrasse, angelehnt an einer Säule des Porticato, der uns in den heißen Sommermonaten Schatten spendet. Eigentlich bin ich kein Opernfan, alleine schon wegen der seichten Geschichten um Liebe, Eifersucht, Intrigen, Mord und Totschlag. Aber es gibt Arien, vorausgesetzt sie sind in opernferne Handlungen eingebettet, die bei mir durchaus Begeisterung auslösen können. So war es zum Beispiel „Eine verhängnisvolle Affäre“ mit Glenn Close und Michael Douglas, die mich verleitete „The Best of (ich neige zu Effizienz) Madame Butterfly“ zu kaufen.
Und jetzt dröhnt Puccinis „Tosca“ aus unserem Wohnzimmer, ohne einem Nachbarn auf die Nerven zu gehen, denn die befinden sich spärlich verteilt entlang einer entlegenen Landstraße, die einem Flickenteppich gleicht. Mit ausgefransten Rändern schlängelt sie sich über die Hügel und käme nicht einmal im Jahr im Schritttempo der kleine Lastwagen mit einer Fuhre Asphalt vorbei, den zwei Männer mit Schaufeln einhändig (sie stehen auf zwei Trittbrettern hinten am Wagen) mit einer unerfreulichen Trefferquote in die vom Regen ausgespülten Löcher zielen würden, gäbe es gar keine Strasse mehr.
Nur wenige Autos befahren dieses dauerhafte Provisorium, was auch der Grund sein wird für die Vernachlässigung.
Das sind der kleine gelbe Schulbus, der Postbote, die Nachbarin auf dem Weg zur Arbeit oder zurück zur Mittagspause (man kann die Uhren danach stellen!), la Dottoressa vom Ende der Straße, der Mann von Marina, die bei uns die Fenster putzt, die übergewichtige Antonia mit den vielen Obstbäumen und Flavio, der das Sauerstoffgerät auf dem Beifahrersitz mitführt. Mittlerweile nehmen wir sie nur noch akustisch wahr, wir sind über die Jahre eingewachsen. Nicht so undurchdringlich wie Dornröschen. Kein Prinz muss sich hier durchs Dickicht schlagen, um mich zu erlösen. Ich bin schon erlöst. Gerade wegen der Hecke.
Oleander, Lorbeer, Red Robin, Liguster, Corbezzolo und Viburnum umrunden unsere 5000 Quadratmeter Grund und Boden in Italien. Letzteres verhält sich wie die hinterhältige Forsythie. Jahrelang ging ich in Deutschland diesem viel versprechenden Gelb im frühsten Frühjahr auf den Leim. Rannte in den Keller, um die Gartenmöbel hoch zu schleppen. Und waren sie oben und entstaubt, gab es Kälteeinbrüche, Sturmwarnungen und Dauerregen. Mit anderen Worten, eine gefühlte Wiederholung des gerade überstandenen Winters.
Diese Täuschung (mit einer Blüte in Weiß) findet in Mittelitalien in der zweiten Februarhälfte statt. Wenn der Red Robin allerdings seine neuen, roten Triebe bekommt, dann ist Hoffnung berechtigt, dann geht es bergauf. Mit den Temperaturen und mit der Psyche. Am wuchsfreudigsten ist der Lorbeer, der echte, den man in Suppen und Eintöpfen mitkocht. Da schlägt das Grün im Heckenverlauf wie bei einer Sinuskurve nach oben aus. Setzt mein Mann zum Frühjahrsschnitt an, und Bergen des immergrünen Küchenkönigs droht der Schredder, möchte ich beim Gewürzriesen Ostman anrufen und ein Geschäft vorschlagen. Möchte. Ich tue es aber nicht.
Dolce vita darf sich mittlerweile wohlverdient in unser Leben mischen.
Zwei Jahre haben wir uns kein Wochenende gegönnt. Haben Steine geschleppt, Balken gesäubert, Fliesen geklebt, Fugen gefüllt, Farbe verteilt, Unkraut vernichtet. Haben Wind und Wetter ignoriert, Gelenkschmerzen ertragen, Hornhäute gebildet, Permanentschmutz unter den Fingernägeln angelegt, Tiefschläge weggesteckt, Entscheidungsblockaden überwunden, Sprachbarrieren abgebaut und ein Gefühl für tiefe Zufriedenheit entwickelt.
Ich seufze heute noch manchmal einfach nur so vor mich hin mit dem alten Bauernhaus im Rücken und dem Blick in eine Hügellandschaft, die sich wie eine Patchworkdecke faltenschlagend auf die Berge zubewegt. Der Monte San Vicino, der Revellone, der Monte Murano, der Catria und Accuto sind das Stückchen Apennin, das uns in der Ferne scherenschnittgleich den Horizont bereitstellt. Eine atemberaubende Aussicht, die sich vor vierzehn Jahren in Kaufentscheidung niederschlug, als wir kniehoch hinter dem bröckelnden Haus im Unkraut standen.
Für mich ist das heute noch unfassbar. Zumal ich nie vergessen habe, dass ich schon im Alter von siebzehn Jahren mein Leben als gescheitert erklärt hatte. Da hielt ich an einem Heimfahrerwochenende den Daumen raus, um kostengünstig vom Internat nach Hause zu kommen, während ich auf der anderen Straßenseite eine Frau beobachtete, die im Vorgarten Unkraut zupfte.
Werde ich nie tun! Derartige Tätigkeiten stehen bei Siebzehnjährigen auch nicht gerade ganz oben auf der Prioritätenliste, ich sah das mehr unter dem Aspekt, dass ich in meinem Leben niemals ein Eigenheim mit Vorgarten bewohnen würde. Die fehlenden Vorraussetzungen waren offensichtlich. Was ich aktuell bieten konnte, waren Übergewicht, fettige Haare, einen verschwitzten Acrylpullover mit unvorteilhaften Blockstreifen über dem massigen Busen, und ein Zeugnis mit der Bemerkung, dass die Versetzung gefährdet sei. Diese Grundlagen waren weit unter mittelmäßig angesiedelt.
Das war Endzeitstimmung im Keimstadium, aber auch die Basis dafür, dass bis heute nichts in meinem Leben so schnell zur Selbstverständlichkeit verkommt.
Ich hätte Architektin werden sollen. Nicht, weil die Eltern darauf bestanden. Meine Anlagen sprachen dafür. Meine Kindheit war vom Häuserbauen geprägt. Im Kindergartenalter räumte ich Schränke aus und zog ein, das Stockbett wurde mit Decken verhängt, später habe ich Feldsteine gestapelt, Strohballen geschichtet, großzügige Grundrisse auf den nahegelegenen Schulhof gemalt, Schneedecken festgeklopft und Blöcke für ein Iglu abgestochen, ich habe mich in die Erde gegraben und bin auf Bäume geklettert. Aber… ich wurde nicht versetzt und schmiss den Rest hin, so dass lediglich eine Mittlere Reife übrig blieb
Mein Mann erkannte meine Qualitäten jenseits der Schulbildung. Da Umzüge auch zu meiner Leidenschaft gehören (fünf Umsiedlungen alleine in meiner Kindheit), gingen unsere häufigen Ortswechsel reibungslos über die Bühne. In den Achtzigern lebten wir in Madrid und durften fünf zuverlässige Sommer erleben. Zugegeben, die Winter konnten dort durchaus frostig sein, und den Spruch „Antes de cuarenta de mayo no te quites el sayo“, also dass man vor dem vierzigsten Mai den Mantel nicht ablegen sollte, hatte man bestimmt mit klappernden Zähnen und einem ausreichenden Erfahrungsschatz ins Leben gerufen. Aber wenn der Sommer kam, dann blieb er auch. Ich muss gestehen, dass ich manches Mal beim Fönen meiner langen Haare weinte, während mir der Schweiß über den frisch geduschten Körper rann, und wenn ich die Kinder in ihren glühenden Zimmern zu Bett brachte, sie und die Laken nach dem Gute-Nacht-Kuss mit Wasser besprengte, dann hatte ich das Gefühl, eine Nottaufe vorzunehmen.
Die Sommermonate hatten aber vor allem etwas Entspannendes. Die Tage begannen mit einem blauen Himmel und einer gefühlten Restkühle der Nacht. Die Abende liefen wohlig träge dahin bis zum späten Zubettgehen, begleitet von Grillengezirpe und nachbarlichem Raunen. Das Zwischenstück lag in der Gluthitze, man selbst im Schatten oder saß im wohltemperierten Büro. Die Kleidung war leicht und so auch irgendwie das Leben.
Zurück in Deutschland und nach zwei nicht wirklich stattfindenden Sommern, mit Nachbarn, die sich mit den Regeln der Grenzbepflanzung bestens auskannten, wuchs der Wunsch zum Haus im Süden. Mit ganz viel Land drum herum und wenig Nachbarschaft. Gerne ein kaputtes, wir würden es mit Leidenschaft wieder ganz machen.
Nicht gleich, die Zukunft lag noch in weiter Ferne, in der Zwischenzeit organisierte ich weitere Umzüge, und die Kinder wurden ins Leben entlassen.
Ich hatte ein festes Bild vor Augen.
Wie beim Schuhkauf. Bevor ich losziehe, weiß ich schon, wie der Schuh auszusehen hat. Ich durchstreife alle zur Verfügung stehenden Läden und probiere eine Alternative nach der anderen, um mich ermüdet und desillusioniert für eine davon zu entscheiden, worüber ich mich schon an der Kasse ärgere. Wird dann auch noch von der Verkäuferin die Tüte zusammen mit den Worten „Viel Spaß damit“ über die Theke gereicht, kämpfe ich mit den Tränen.
Ich war nicht frei von Angst, ein Haus kauft man nicht wie ein Paar Schuhe, wo man die richtigen, was nicht nur einmal vorkam, kurze Zeit später in einem Schaufenster entdeckt.
Da könnte man sich den Luxus eines zweiten Paares erlauben,… aber zwei Häuser?
Mit einem wäre unser Glück perfekt, auch wenn sich vor meinem inneren Auge zwei Haus-Bilder tummelten. Eines für die Seele und eines, das die Realität abbildete. Die wurde über Jahre von Postkarten, Fotokalendern, Illustrierten, Werbung und Filmen genährt. Ein Mischmasch aus Hügellandschaften, Zypressen, Palmen, Klatschmohn, warme Steingemäuer, Fensterläden, abblätternde Farbe, Holzgebälk, überdachten Terrassen mit langen Tischen und vielen Stühlen.
Für die Seele sang Maria Callas lautstark und in höchsten Tönen. Tosca erschütterte ein weitläufiges, kühles Wohnzimmer und drang durch ein doppelflügeliges Fenster auf eine mit Wein beschattete Terrasse hinaus, gefolgt von wehenden Vorhängen aus luftigem, weißem Leinen.
Wir fingen Mitte der 90er an, in den Angeboten rumzustöbern. Nur mal so, unverbindlich, nebenbei eben, ein bisschen vortasten, den Markt abklopfen. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn ich die Callas hätte singen hören! Noch war von Ruhestand keine Rede. Einen kaum genutzten Zweitwohnsitz hätten wir uns nicht leisten können.
Wir leisteten uns aber mehrere Spanienurlaube. Das Land hing uns noch nicht aus dem Hals, und wir genossen immer wieder den Vorteil, der Landessprache mächtig zu sein. Wenn man im Urlaubsland kommunizieren kann, bekommen Insidertipps von Reiseführern den Stellenwert von Wetternachrichten des Vortages. Wir bereisten Ecken, die wir kannten. Wir kannten viele. Wir kannten Spanien. Die Kirchen und Kathedralen, die Altstädte, Amphitheater und Aquädukte, Strände und Hinterland, Berg und Tal. Wir taten beide so, als wolle man sich nochmals, und vor allem ohne quengelnde Kleinkinder, den Kulturgütern widmen, dabei hielten wir nebenbei nach Maklerbüros Ausschau und studierten von außen die bebilderten Angebote in den Fenstern.
Manchmal fanden wir uns ganz erstaunt hinter den Scheiben in klimatisierten Räumen wieder. Keiner von uns wollte die treibende Kraft gewesen sein… einfach mal dazu was hören, was man draußen gesehen hatte. Und hier und da blieb eine Objektbesichtigung nicht aus, und wir lernten viel über die Sprache der Makler und die Kunst des Fotografierens.
Nach den schon erwähnten zahlreichen Umzügen und den damit verbundenen Wohnraumrecherchen, hielt ich mich für resistent in Sachen „Enttäuschung bei Immobiliensuche“.
Aber mein Panzer wurde aufgebrochen. Und das schon ganz zu Anfang, als wir nicht wirklich etwas finden wollten, nur eine Bestätigung suchten, dass, wenn es so weit wäre, wir die Qual der Wahl hätten.
Es fing mit einem Grundstück auf Mallorca an. Ein Grundstück war uns sympathisch. Das konnte man liegen lassen wie Laub im Wald. Da gab es wegen Abwesenheit und gegen Geld kein Haus zu hüten, keinen Garten zu pflegen, weder Einbrüche zu bedauern, noch Unwetterschäden zu beheben. Da durfte das Unkraut wachsen, und wir könnten Pläne schmieden. Könnten uns über Jahre berauschen an maximaler Vorfreude und dann irgendwann nach vollbrachter Tat „La Tosca“ hören.
Ein Tipp von Freunden, die es von Freunden…und die wiederum von Freunden…
Es war ein sonniger Tag mit tiefblauem Meer und dunkelgrünen Pinien. Der Makler war jung und braungebrannt, also die richtige Mischung für Feriengefühle in hochkonzentrierter Form, die gleich eine gewisse Sicherheit mitlieferte, dass in diesem Idyll kein Platz für linke Geschäfte ist.
Das Grundstück lag nicht schlecht, die Nachbarschaft auf gesundem Abstand, der nächste Ort in Sichtweite, das Meer am Horizont. 3000 Quadratmeter überwuchert von Krüppelholzgewächsen, Buschwerk, Brombeerhecken und hüfthoch vertrockneten Unkräutern und Gräsern.
Nein, mit der Baugenehmigung sei das kein Problem,…die weißen Zähne blitzten, die Augen blieben hinter verspiegeltem Brillenglas verborgen, und in kurzen Hosen und Turnschuhen durchpflügte er mit seinem athletischen Körper die widerspenstige Vegetation. Man müsse nur die alten Grundmauern finden,… saper còmo sopla el viento…, also wissen, wie der Hase läuft. Sein Großvater würde sich gut erinnern, dass hier einmal ein Haus gestanden hatte. Großzügig schwenkte er seinen rechten Arm über das Terrain, wir müssten nur herausfinden, wo. Aus wir schloss er sich aus und verabschiedete sich mit der Empfehlung, wo man sich Spitzhacken besorgen könnte.
Mit den Freunden schürften wir dann tatsächlich ein paar Stunden nach steiniger Legitimation. Die Freunde meinten, wir sollten den Großvater finden. Aber nach soviel Sucherei hatten wir auf den auch keine Lust mehr.
Wir standen nicht unter Zeitdruck. Im folgenden Herbst fuhren wir von der Costa Blanca gen Süden. Das war Ende der 90er.
Bei Calpe lockte uns ein Angebot in eine urbanización, eine Ferienhaussiedlung mit ganz viel Nachbarschaft. Die meisten Bewohner befanden sich offensichtlich in ihren Heimatländern, um einem Beruf nachzugehen, damit der Alptraum hier finanziert werden konnte. Ich sah ihn schon vor mir, unseren potentiellen Anrainer. Typ Gebrauchtwagenhändler aus Wuppertal mit goldener Panzerkette, welche aus dichtem Brusthaar blitzt, das aus einem offenstehenden schwarzen Oberhemd quillt und von langbeinigen blonden Mädchen während der bis in die frühen Morgenstunden andauernden Partys gekrault würde. Nein, hier konnte von freistehend keine Rede sein! Uhr und Siegelring des Maklers blinkten in der Sonne, während unser spürbares Desinteresse seinen Blick verdunkelte.
In Altea gab es Bekannte, aber auch nur wenig Aussicht auf das, was wir suchten. Benidorm mit seiner fürchterlichen Skyline ließen wir ungesehen hinter uns und übernachteten in einem „zweckmäßigen“ Hotel in Alicante. Dieses unerträgliche Wohngefühl nebst einiger Blicke auf die teils lieblosen Farbfotokopien, die in den Fenstern der Maklerbüros klebten, reichten aus, die Suche abzubrechen, und so rollten wir einfach nur gen Süden, wo man sich offensichtlich im Raum Almeria vorgenommen hatte, die Landschaft in Plastik einzupacken. Somit flog ein großer Streckenabschnitt Spaniens schon mal aus unseren Überlegungen raus, was die Sache nicht unbedingt einfacher machte, aber trotzdem etwas Beruhigendes nach sich zog.
Ganz entspannt waren wir dann Anfang 99, als mein Mann beruflich nach Taipei gerufen wurde. Sechs Jahre Asien standen uns bevor und die Herausforderung, Nahrung mittels Stäbchen aufzunehmen. Wir bemühten uns nicht, die Sprachfertigkeit schriftlich und mündlich hinzukriegen, aber all das Neue absorbierte unsere Aufmerksamkeit dermaßen, dass das Haus im Süden erst einmal zu den Akten kam.
Nicht ganz.
Ich kümmerte mich um das, was ich gut konnte (während mein Mann schon in 10 000 Kilometer Entfernung mit Stäbchen übte), und sorgte dafür, dass unser Hausrat in Container kam. Ich verbrachte die Nächte schon in einer leeren Immobilie auf einer ausgedienten Matratze, als das Angebot aus Mallorca im bereits namenlosen Briefkasten (ich kann Umzug wirklich gut!) lag.
Mein Langstreckenflug ging in zwölf Tagen, und auch mein Mann war dafür, dass ich noch eine Kurzstrecke einschob.
Ich war nervös. Wollte an das Bildmaterial glauben und hoffte gleichzeitig auf einen Reinfall.
Es schmetterte keine Callas, aber es war auch nicht verkehrt. Der Preis war tragbar, und mein Mann sagte goumai am Telefon. Das sei Chinesisch und hieße kaufen.
Lo tomo, sagte ich der Maklerin, als hätte ich mich gerade für ein Strickjäckchen aus der neuen Frühjahrskollektion entschieden. Das schien selbst der Maklerin zu schnell, die hatte ja noch nicht einmal die Möglichkeit, widerliche Maklerkniffe am Kunden auszuprobieren.
Wir verblieben auf manana, und ich verbrachte eine der schlimmsten Nächte meines Lebens, wenn es nicht wirklich die schlimmste war. Zentnerschwere Zweifel lagen auf meiner Brust und verhinderten notwendigen Tiefschlaf.
Die dunklen Ränder unter den Augen versteckte ich hinter noch dunkleren Gläsern und fuhr von Palma in ein grünes, von der Sonne beschienenes Landesinnere hinein, wo erste aufbrechende Mandelblüten Neuanfang verkündeten, und ich sah es als Zeichen und gab mir einen Ruck.
Meine Bereitschaft wurde allerdings jäh zum Welken gebracht, als mir Besitzer und Maklerin mit bedauerndem Lächeln erklärten, dass nun doch der zögerliche Engländer mit Optionsanspruch zugeschlagen habe.
Acht Tage später saß ich im Flieger nach Taiwan und fühlte mich frei und offen für alles.
Weit von der Heimat, getrennt von Familie und Freundeskreis, füllte ich unzählige, flatterige Luftpostpapierseiten, um den „Hinterbliebenen“ von unserem neuen Leben zu berichten. Ein Großteil der Antworten erreichte mich auf elektronischem Weg, was mich zwang, in die Welt des Computers einzutauchen (ich habe mich Jahre gewehrt, diese Technik an mich heranzulassen, zumal ich kurz nach unserer Erstanschaffung wertvolle Zeit verlor, als mir die Kinder zeigten, Frösche bei zunehmendem Verkehr sicher über die Straße zu bringen).
Immobilien Mallorca tippte ich in die Google Suchleiste ein und vergaß das Mittagessen. Selbst wenn ich mir über Jahre das Mittagessen verkniffen hätte, keines der Objekte wäre bezahlbar gewesen! Aber es waren schöne Bilder. Ein Stück Europa mit blauem Himmel und Wärme ausstrahlendem Natursteinmauerwerk. Ich brauchte den Klick immer öfter, Kompensation für so manche Taipeh-Hässlichkeit.
Casa De Barriles. „Haus der Fässer“ auf gut Deutsch, und am gleichen Abend versuchte ich meinen Mann zu überzeugen, dass dies kein Fass ohne Boden sei, und das sich obendrein in unserer Preisklasse befand.
Mein Sommerheimatflug stand mir noch zu, und da bastelte ich mir einen Gabelflug zur Insel im Mittelmeer hinein.
Ich käme extra aus Asien angereist, sagte ich dem Makler am Telefon (einer der vielen Deutschen, die an ihr Glück unter Spaniens Sonne glaubten). Das sollte meine Garantie sein, dass die Realität den Angaben im Exposee und dem Fotomaterial standhalten konnte.
„ Ein wahrer Glücksgriff. Verlieren Sie keine Zeit!“
Ich verlor Zeit. Ich verlor Vertrauen. Ich verlor die Nerven.
Ein wolkenloser Himmel überspannte die Insel, als ich mich am Morgen mit dem Mietwagen auf den Weg zum Treffpunkt machte. Sozusagen ein verkaufsfreundliches Wetter, und mich beglückten die Werbetafeln am Wegesrand, weil ich in der Lage war, sie zu lesen. Wenn man für längere Zeit ganz weit weg ist von zuhause, bekommt Europa einen neuen Stellenwert.
Ana Belèn sang im Radio La puerta de Alcalà, und ich sang laut mit und haute mit den Händen im Takt auf das Lenkrad. Um 10.00 Uhr sollte ich an der Repsol Tankstelle bei Manacor sein. Ich durchfuhr abgeerntete Landschaft. Ich war pünktlich. Neben einem kleinen weißen Seat stand ein Mann mittleren Alters. Ich weiß nicht warum, aber ich erkenne Deutsche sofort. Das lag nicht am beigen Kurzarmhemd, was eins mit der Gesichtsfarbe war. Auch die unregelmäßig raus gewachsene Frisur hatte keinen Einfluss auf meine besondere Wahrnehmung. Hinter dicken Brillengläsern konnte ich zwei Schweinsäuglein ausmachen. Sollte das der Makler sein, ist der noch ganz am Anfang mit der Hoffnung auf das Glück.
„Bitte nicht…“ betete ich im Stillen, aber da hörte ich schon meinen Namen in zögerlicher Frageform. Ich musste bejahen, während in mir etwas Großes zusammenbröckelte, und ich wunderte mich, nicht inmitten eines kleinen Schutthaufens zu stehen.
Das konnte nichts werden! Das sagt mir mein Gefühl, heißt es im Sprachgebrauch. Bei mir schien jede Körperzelle diese Auffassung zu vertreten.
Herr Bollhagen gab mir seine spröde Hand mit den vom Rauchen vergilbten Fingern. Er drückte nicht feste zu, und bekam von mir nicht den geringsten Gegendruck. Das Aufeinandertreffen unsere Blicke stand dem vorhergegangenen Händedruck in nichts nach, während auf der MA 15 der Verkehr vorbeirauschte und unsere gequälten Begrüßungsworte teilweise verschluckte.
Nicht in seinem Wagen mitzufahren, rieten mir meine weiterhin kooperativen Körperzellen, und so folgte ich ihm mit meinem roten Polo aus der platten Landwirtschaft heraus in eine mallorquinische Hügellandschaft hinein.
Mein Auge prüfte, was sich links und rechts auftat und bemerkte irgendwann Herrn Bollmanns Arm, der heftig im Gleichtakt mit dem Blinker aus dem Fenster winkte. Dann standen wir im trockenen Gras an einer kleinen Landstrasse, und ich sah keinen Grund, warum.
„Da oben“, sagte Herr Bollmann, „sehen Sie dort oben die beiden Schornsteine hinter den Bäumen? Das ist es…“
„Ich möchte das ganze Haus sehen“, sagte ich, “was soll ich mit den Schornsteinen?“
„Ich wollte Ihnen nur schon mal die wunderschöne Lage zeigen!“
Herr Bollmann wollte offensichtlich meine Vorfreude schüren.
„Von dort oben haben Sie einen wunderbaren Blick!“ Er zog an seiner Zigarette, als handelte es sich um den letzten Atemzug.
Als wir uns die Anhöhe hoch schlängelten, lehnte er sich ständig aus dem Fenster und zeigte lächelnd in die Ferne.
Mich interessierte nur noch das Naheliegende, und das versank in einer freigelassenen Vegetation.
„Möchten Sie auch eine Zigarette?“, die Schachtel vibrierte in seiner ausgesteckten Hand.
Bemerkte er nicht, dass ich schon auf andere Art und Weise rauchte? Ich zischte ihn an, von wann denn das Fotomaterial sei, und bat, dem genialen Fotografen vorgestellt zu werden.
„Lassen Sie uns doch erst einmal reingehen“, er fummelte an einem dicken Schlüsselbund, die Zigarette hing zwischen seinen Lippen und dicke Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn.
Ich wollte gar nicht mehr rein. Das Haus war ein Häuslein. Im kleinen Pool dümpelte brackiges Restwasser, und der sagenhafte Blick wurde von Tränenflüssigkeit getrübt.
Das sei alles ausbaufähig, man müsse nur die alten Grundmauern finden (das hatten wir schon!). Bollmann wühlte im ehemaligen Steingarten und zeigte mit einem Anflug von Stolz auf eine wackelige Stützmauer.
Ich war noch nie für Unabhängigkeit so dankbar! Ich wendete den roten Polo und rollte ins Tal hinab, gefolgt von Herrn Bollmanns verzweifelten Zurufen, die durch die offenen Fenster drangen, dass er noch andere Objekte an der Hand habe. Herr Bollmann war offensichtlich völlig enthemmt dem Glück unter Spaniens Sonne hinterher!
Wir versprachen uns in die Hand, alle Finger von der Sache zu lassen, bis wirklich der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Davon profitierten Australien, Neuseeland, Kambodscha, Vietnam, Hongkong und Thailand. Wir nutzten die Plattform in Asien und reisten ins Drumherum.
Angesichts der dort verlockenden Märkte versicherten wir uns gegenseitig, dass sich das abgelegte Gelübde nur auf das Gebäude bezog, nicht aber auf dessen Inhalt. Somit war dem Kaufrausch in fremden Ländern nichts mehr entgegenzusetzen.
Tischdecken, Kissenbezüge, Hängematten, Körbe, Tabletts, Bestecke, Kunst für die Wände und sogar ein Waschbecken aus Edelstahl (welches mein Mann durch Bangkok schleppte und am Flughafen um Toleranz bettelte, damit es als Handgepäck durchgewunken wurde), türmten sich in einem Zimmer, was wir von nun an „Zukunft“ nannten.
Ich hielt mich gerne in der Zukunft auf, sortierte all die Pretiosen, nahm sie in die Hand, strich verträumt drüber und googelte mich heimlich durch Südeuropa.
Nicht ich,…es war mein Bruder, der uns schwach werden ließ. Er hatte die Adresse eines Superschnäppchens auf Mallorca, ohne Fotos oder eigene Eindrücke. Informationen aus erster Hand, die Hand eines vertrauensvollen Geschäftsfreundes. Ein schon lange unbewohntes Objekt mit Renovierungspotential und verwildertem Garten. Etwas, was man weiterhin vernachlässigen könnte.
Da wir sowieso unsere Europaflüge gebucht hatten, sagten wir uns, warum nicht einen Blick drauf werfen und nahmen auch noch meine Mutter mit. Quasi eine Alibi-Mitreisende. Drei Tage Mama Mallorca zeigen, weil sie es noch nie gesehen hatte.
Es war Ende Juni, die Saison schon aus den Startlöchern raus und die Preise für die kurzfristig angefragten Bleiben ganz oben.
Tun wir Mama mal was Gutes…kaum auf der Insel, wählten wir wie abgesprochen die angegebene Nummer.
„Diga…!“
„Hallo,… wir telefonierten vor drei Tagen wegen der Immobilie bei Esporles. Sind Sie Herr Tappmeyer?“
„Tappmeyer nicht da.“
„Oh, wir sind extra angereist. Der wollte uns sein Haus zeigen. Er wollte verkaufen.“
„Tappmeyer verkaufen…?“
„Ja…! Wissen Sie, wo wir Herrn Tappmeyer erreichen können?“
„Senor Tappmeyer Deutschland.“
„Ja das ist ja herrlich! Können Sie uns wenigstens sagen, wo das Haus liegt, damit wir mal von außen schauen können!“
Während mein Mann Notizen machte, stieg bei meiner Mutter der Blutdruck, als würde man ihr das eigene Häuschen konfiszieren. Ich kramte in meiner Handtasche nach weiterem Papier für eine Beschreibung, die so umfangreich war, dass ich mich fragte, ob sich das Haus überhaupt noch auf dieser Insel befand.
Bevor wir unser Gepäck zum Hotel brachten, fuhren wir von Palma nach Esporles . Schon von weitem leuchtete der kleine Ort aus dem Grün der Sierra de Tramontana heraus. Ich war begeistert, und bei der Durchfahrt legte ich schon diverse Restaurantes fest, in denen wir dann essen würden, nachdem die Callas gesungen hätte. Verträumt wendete ich meinen Blick zurück, als wir aus dem Kleinod über die M 1100 wieder hinausfuhren Richtung Banyalbufar, hinein in eine wundervolle Landschaft. Wir saugten sie beide in uns hinein, nur meine Mutter bekam davon nichts mit, weil sie mit dem Fremdproblem „Herr Tappmeyer“ noch nicht fertig war.
Weiter ging es über die Ma 1101 nach Puigpunyent, und tatsächlich sahen wir nach 5 Minuten das Stromhäuschen auf der rechten Seite.
Volem ricuperar la nostra illa. In großen, blauen Buchstaben eilig auf grauen Putz gesprüht. Die Mallorquiner wollen ihre Insel zurück, ich konnte es ein bisschen verstehen, sie hatten mein Mitgefühl, aber meine eigenen Bedürfnisse hielten es in Grenzen.