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Jules Verne bei Null Papier Komplett neu überarbeitet; reichhaltig illustriert und kommentiert Professor Arronax und sein Diener Conseil machen sich auf die Suche nach einem mysteriösen Seeungeheuer, das für zahlreiche Schiffswracks verantwortlich sein soll. Es stellt sich heraus, dass das Seeungeheuer die "Nautilus" ist, das U-Boot des geheimnisvollen Kapitäns Nemo. Dieser entpuppt sich als ebenso hochintelligente wie zwielichtige Gestalt, deren wahre Motivation sich erst Stück für Stück herausschält. Der Professor und sein Diener sollen die Nautilus niemals wieder verlassen, um die Geheimnisse Nemos nicht an die Welt zu verraten. Kann ihnen dennoch die Flucht gelingen? Wohl kein anderes Buch von Verne hat seine Position als wichtigster Schriftsteller einer neuen Zeit und eines neuen Genres, das der Abenteuerliteratur, mehr begründet als "20.000 Meilen unter dem Meer". Erstmalig in der Literatur trafen bei Verne penibel recherchierte Wissenschaftlichkeit und eine spannende und vielschichtige Handlung aufeinander. Neben "Reise um die Erde in 80 Tagen" ist die Vernes erfolgreichstes Buch. Mindestens ebenso spektakulär und erfolgreich wie das Buch war der von den Disney-Studios produzierte Film mit James Mason und Kirk Douglas in den Hauptrollen. Mit ausführlichen Fußnoten zu wissenschaftlichen Zusammenhängen und zeitgenössischen Geschehnissen und Personen. Wie immer mit den wundervollen Zeichnungen der französischen Originalausgabe. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 610
Jules Verne
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Illustrierte Fassung
Jules Verne
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Illustrierte Fassung
(Vingt mille lieues sous les mers)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Alphonse de Neuville, Édouard RiouÜbersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze EV: A. Hartleben, Wien Pest Leipzig, 1874 3. Auflage, ISBN 978-3-962814-19-9
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Jules Verne bei Null Papier
Erster Band
Erstes Kapitel – Eine schweifende Klippe
Zweites Kapitel – Für und Wider
Drittes Kapitel – Wie es meinem Herrn beliebt
Viertes Kapitel – Ned Land
Fünftes Kapitel – Auf gut Glück!
Sechstes Kapitel – Mit vollem Dampf
Siebentes Kapitel – Ein Walfisch unbekannter Art
Achtes Kapitel – Mobilis in Mobile
Neuntes Kapitel – Ned Lands Zorn
Zehntes Kapitel – Der Mann des Meeres
Elftes Kapitel – Die Nautilus
Zwölftes Kapitel – Alles durch Elektrizität
Dreizehntes Kapitel – Einige Zahlen
Vierzehntes Kapitel – Der schwarze Strom
Fünfzehntes Kapitel – Eine briefliche Einladung
Sechzehntes Kapitel – Spaziergang im Freien
Siebzehntes Kapitel – Ein unterseeischer Wald
Achtzehntes Kapitel – Viertausend Meilen unterm Stillen Ozean
Neunzehntes Kapitel – Vanikoro
Zwanzigstes Kapitel – Die Torres-Straße
Einundzwanzigstes Kapitel – Einige Tage auf dem Lande
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Des Kapitän Nemo Blitzstrahl
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Fieberträume
Vierundzwanzigstes Kapitel – Das Korallenreich
Zweiter Band
Erstes Kapitel – Der Indische Ozean
Zweites Kapitel – Ein neuer Vorschlag des Kapitäns Nemo
Drittes Kapitel – Eine Perle von zehn Millionen
Viertes Kapitel – Das Rote Meer
Fünftes Kapitel – Der Arabische Tunnel
Sechstes Kapitel – Der griechische Archipel
Siebentes Kapitel – Das Mittelländische Meer in vierundzwanzig Stunden
Achtes Kapitel – Die Bai von Vigo
Neuntes Kapitel – Ein verschwundener Kontinent
Zehntes Kapitel – Unterseeische Kohlenminen
Elftes Kapitel – Das Tang-Meer
Zwölftes Kapitel – Pottfische und Walfische
Dreizehntes Kapitel – Die Eisdecke
Vierzehntes Kapitel – Der Südpol
Fünfzehntes Kapitel – Unfall oder Zwischenfall
Sechzehntes Kapitel – Luftmangel
Siebzehntes Kapitel – Vom Kap Horn nach dem Amazonenstrom
Achtzehntes Kapitel – Riesenpolypen
Neunzehntes Kapitel – Der Golfstrom
Zwanzigstes Kapitel – Unter 47° 24′ Breite und 17° 28′ Länge
Einundzwanzigstes Kapitel – Eine Hekatombe
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Letzte Worte des Kapitän Nemo
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Schluss
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Die E-Book-Reihe für Verne-Fans, die Wert auf Qualität und Detailtreue legen.
null-papier.de/verne
Illustriert
Mit zahlreichen Schwarz-Weiß- und Farbzeichnungen der ersten Veröffentlichungen.
Überarbeitet
Alle E-Books sind mit mehreren Übersetzungen »quergelesen«, und unverständliche Passagen neu übersetzt.
Kommentiert
Alle Texte sind mit zahlreichen und ausführlichen Fußnoten kommentiert; unter anderem auch zu fehlerhaften Annahmen Vernes über geografische, historische oder technische Daten.
null-papier.de/verne
»Die Verne-Ebooks von Null Papier unterscheiden sich wohltuend von der Masse unkorrrigierter Angebote, die sonst so das Netz überfluten. Digital ist mir eine solche Qualität im Detail noch nicht untergekommen.« (Y. W. , Leserin)
null-papier.de/verne
Ein seltsames Ereignis, ein unerklärtes, und eine unerklärbare Naturerscheinung, die sich im Jahre 1866 begab, ist ohne Zweifel noch unvergessen. Nicht allein die Bevölkerung der Hafenstädte war durch Gerüchte beunruhigt, im Binnenlande der öffentliche Geist aufgeregt, besonders die Seeleute gerieten in Bewegung. Die Kaufleute und Reeder, Schiffsherren, Patrone und Kapitäne in Europa und Amerika, Offiziere der Kriegsmarine aller Länder, und dann die Staatsregierungen der beiden Weltteile widmeten der Sache im hohen Grade ihr Interesse.
Die Tatsache ist, dass seit einiger Zeit manche Schiffe auf hoher See einem »enormen Gegenstand« begegneten, lang, spindelförmig, mitunter phosphoreszierend, unendlich größer und rascher als ein Walfisch.
Die Angaben über diese Erscheinung, wie sie in den Schiffsbüchern verzeichnet wurden, betrafen mit ziemlicher Genauigkeit die Struktur des fraglichen Gegenstandes oder Geschöpfes, die unerhörte Schnelligkeit und erstaunliche Kraft seiner Bewegungen, die besonderen Lebensäußerungen, welche ihm eigentümlich schienen. War es ein Tier von der Walfischgattung, so übertraf es an Umfang weit alle von der Wissenschaft bisher verzeichneten. Cuvier, Lacépède, Dumeril, Quatrefages1 – hätten sicher die Existenz eines solchen Ungeheuers nicht gelten lassen – sofern sie es nicht selbst gesehen, d.h. mit eigenen kundigen Augen gesehen.
Lassen wir die ängstlichen Schätzungen, welche diesem Gegenstand zweihundert Fuß beimaßen, beiseite, verwerfen die übertriebenen Angaben von der Breite einer Meile und der Länge dreier – und halten uns an das Durchschnittliche der wiederholt gemachten Beobachtungen, so könnte man doch behaupten, dass dieses phänomenale Wesen – sofern es existierte – alle von den Ichthyologen2 bisher angenommenen Dimensionen bei Weitem übertraf.
Aber es existierte; die Tatsache an sich war nicht in Abrede zu stellen, und bei der Neigung, womit sich die Menschen dem Wunderbaren zuwenden, begreift man leicht die Bewegung, welche diese übernatürliche Erscheinung in der ganzen Welt hervorbrachte. Sie ins Reich der Fabeln zu verweisen, ging schon nicht mehr an.
In der Tat begegnete am 20. Juli 1866 das Dampfboot Governor Higginson, der Calcutta and Burnach Steam Navigation Company gehörig, dieser schwimmenden Masse fünf Meilen östlich von den Küsten Australiens. Der Kapitän Baker glaubte anfangs auf eine unbekannte Klippe zu treffen; er war auch bereits im Begriff, die Lage derselben genau zu bestimmen, als von dem unerklärlichen Gegenstand aus zwei Wasserstrahlen hundertundfünfzig Fuß hoch zischend in die Luft emporschossen. Demnach, sofern nicht auf dieser Klippe intermittierende Quellen eines Geysir sich befanden, hatte es die Governor Higginson mit nichts anderem zu tun, als einem bisher unbekannten Seesäugetier, welches durch seine Luftlöcher Wasserstrahlen mit Luft und Dunst gemischt, ausstieß.
Die gleiche Tatsache wurde am 23. Juli desselben Jahres in den Gewässern des Stillen Ozeans, von der Christobal Colon der West India and Pacific Steam Navigation Company beobachtet. Demnach war dieses außerordentliche Seetier imstande, mit erstaunlicher Schnelligkeit seine Stellung zu wechseln, da es von Governor Higginson und Christobal Colon nach Verlauf von drei Tagen an zwei Punkten beobachtet wurde, welche der Karte nach über siebenhundert Seemeilen voneinander entfernt sind.
Vierzehn Tage später als zweitausend Meilen von da die Helvetia, von der Company Nationale, und die Schannon, von der Royal-Mail, in dem zwischen den Vereinigten Staaten und Europa gelegenen Teil des Atlantischen Meeres in entgegengesetzter Richtung fuhren, signalisierten sie sich das Ungeheuer unterm 42° 15′ nördl. Breite und 60° 35′ westl. Länge vom Meridian zu Greenwich aus. Bei dieser gleichzeitigen Beobachtung glaubte man die Länge des Tieres zum Mindesten auf etwa dreihundertfünfzig engl. Fuß (ca. 106 Meter) anschlagen zu können. Die größten Walfische aber, wie sie in der Gegend der Aleuten vorkommen, haben die Länge von hundertundfünfzig Meter niemals überschritten.
Als diese Nachrichten Schlag auf Schlag eintrafen, machten neue an Bord der Pereira gemachte Beobachtungen, ein Zusammenstoßen der Ätna mit dem Ungeheuer, ein von den Offizieren der französischen Fregatte La Normandie vorgenommenes Protokoll, eine sehr ernste, vom Generalstab des Commodore Fitz-James an Bord der Lord Clyde gemachte Aufnahme – auf die öffentliche Meinung den tiefsten Eindruck. In den Ländern leichten Humors scherzte man über das Phänomen, aber die ernsten und praktischen Länder, England, Amerika, Deutschland, befassten sich lebhaft damit.
Überall in den großen Verkehrsmittelpunkten kam das Ungeheuer in Schwung; man besang es in den Cafés, man verspottete es in den Journalen, man spielte es in den Theatern. Die Enten bekamen eine hübsche Gelegenheit, Eier in allen Farben zu legen. Die Journale gaben in Abbildungen alle riesenmäßigen Fantasiebilder zum Besten, vom weißen Walfisch, dem erschrecklichen »Moby-Dick« der Hyperboräerländer,3 bis zum maßlosen Kraken, der mit seinen Fühlhörnern ein Fahrzeug von fünfhundert Tonnen umwickeln und in den Abgrund des Ozeans hinabziehen kann. Man zitierte sogar Stellen aus dem Altertum, die Ansichten des Aristoteles und Plinius, welche für die Existenz solcher Ungeheuer sprachen, sodann die norwegischen Berichte des Bischofs Pontoppidan4 die Erzählungen Paul Heggedes, und endlich die Berichte Harringtons, dessen Ehrlichkeit nicht anzufechten ist, wenn er behauptet, er habe an Bord der Castillan im Jahre 1857 diese enorme Schlange gesehen. –
Darauf begann eine unendliche Polemik der Gläubigen und Ungläubigen in den gelehrten Gesellschaften und den wissenschaftlichen Journalen. Die »Frage des Ungeheuers« erhitzte alle Gemüter. Die Journalisten, welche wetteifernd mit den Schöngeistern die Wissenschaft vertraten, vergossen, verbrauchten in diesem merkwürdigen Feldzug tonnenweise Tinte; manche sogar etliche Tropfen Blut, denn von der Seeschlange gingen sie zu beleidigenden Persönlichkeiten über.
Sechs Monate lang wurde der Krieg mit abwechselndem Erfolg geführt. Auf die gründlichen Artikel des Geografischen Instituts in Brasilien, der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Britischen Gesellschaft, der Smithsonschen Anstalt5 zu Washington, auf die Erörterungen des Indian Archipelago, des Cosmos des Abbé Moigno, der Petermannschen Mitteilungen, auf die wissenschaftliche Chronik der großen Journale entgegnete die kleine Presse mit unerschöpflicher Laune. Die geistreichen Schriftsteller parodierten ein von den Gegnern des Ungeheuers zitiertes Wort Linnés, indem sie behaupteten, »die Natur schaffe keine Dummköpfe«, und beschworen ihre Zeitgenossen, nicht die Natur Lügen zu strafen, indem sie die Existenz des Kraken, der Seeschlangen, des »Moby-Dick« und andere Hirngespinste irrsinniger Seeleute gelten ließen. Endlich versetzte, in einem Artikel eines sehr gefürchteten satirischen Journals, der beliebteste seiner Redakteure, bei einem Überblick über das Ganze, dem Ungeheuer einen letzten Streich, und erlegte es inmitten allgemeinen hallenden Gelächters. Der Geist siegte über die Wissenschaft.
Während der ersten Monate des Jahres 1867 hielt man die Frage für beseitigt, und es schien nicht, als solle dieselbe wieder auftauchen, als neue Tatsachen zur Kenntnis des Publikums kamen. Es handelte sich dabei nicht mehr um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems, als die Vermeidung einer wirklichen, ernsten Gefahr. Die Frage nahm eine andere Gestalt an. Das Ungeheuer wurde wieder Inselchen, Felsen, Klippe, aber eine bewegliche, unbestimmbare und unfassbare.
Am 5. März 1867 stieß die Moravian von der Montreal Ozean Company, unter 27° 30′ Breite und 72° 15′ Länge, bei Nacht wider einen Felsen, der in jener Gegend von keiner Karte verzeichnet war. Nur durch die ausgezeichnete Beschaffenheit ihres Rumpfes und ihre Schnelligkeit bei vierhundert Pferdekraft entging sie der Gefahr, mit ihren zweihundertsiebenunddreißig Passagieren unterzugehen.
Der Vorfall ereignete sich morgens früh, als schon der Tag graute. Man untersuchte das Meer genau, sah aber nichts, als ein starkes Kielwasser, welches auf drei Kabellängen das Gewässer brach. Ob die Moravian wider einen Felsen gestoßen, konnte man nicht wissen; aber als man sie im Ausbesserungsbassin untersuchte, fand sich, dass ein Teil ihres Kiels zerbrochen war.
Diese so bedeutende Tatsache wäre vielleicht vergessen worden, hätte sie sich nicht drei Wochen später unter gleichen Bedingungen wiederholt. Nur dass diesmal durch die Nationalität des betroffenen Schiffes und den Ruf der Gesellschaft, welcher es gehörte, das Ereignis das größte Aufsehen bekam.
Die Scotia von den Ingenieuren besichtigt.
Der berühmte englische Reeder Cunard6 ist weltbekannt. Derselbe gründete im Jahre 1840 einen Postcours zwischen Liverpool und Halifax mit drei hölzernen Schiffen von vierhundert Pferdekraft und 1162 Tonnen Gehalt. Dieses Material vergrößerte sich mit den wachsenden Geschäften nach und nach bedeutend; besonders im Jahre 1853 mit einer Reihe von Schiffen ersten Ranges, Arabia, Persia, China, Scotia etc. etc.; und im Jahre 1867 besaß sie zwölf Fahrzeuge, worunter vier Schraubendampfer. Die Unternehmung ward mit größter Geschicklichkeit geleitet, und ihre Geschäfte waren vom besten Erfolg gekrönt. Seit sechsundzwanzig Jahren, da die Schiffe der Gesellschaft Cunard das Atlantische Meer befuhren, ist von zweitausend Fahrten nicht eine einzige missglückt, nie kam eine Verspätung vor, nie ist ein Brief, ein Mensch oder ein Schiff abhanden gekommen oder zu Grunde gegangen. Darum erregte auch der Unfall, welcher einem seiner besten Schiffe widerfuhr, so großes Aufsehen.
Am 13. April 1867 fuhr die Scotia unter 15° 12′ Länge und 45° 37′ Breite, bei ruhigem Meer und günstigem Wind mit einer Schnelligkeit von dreizehn Knoten und vollkommen regelmäßiger Radbewegung. Am Abend, als eben die Passagiere im großen Salon ihr Vesper nahmen, verspürte man einen wenig merkbaren Stoß. Derselbe kam eher von einem schneidenden Instrument her, als von einem bohrenden oder stoßenden, und schien so leicht, dass kein Mensch an Bord dadurch beunruhigt wurde, bis die Leute des Schiffsraumes aufs Verdeck stürzten mit dem Geschrei: »Wir gehen unter!«
Augenblicklich gerieten die Passagiere in großen Schrecken; aber der Kapitän Anderson war imstande sie unverzüglich zu beruhigen. In der Tat konnte die Gefahr nicht bedeutend werden, da die Scotia durch wasserdichte Verschläge in sieben Abteilungen geteilt war, sodass sie leicht einem Eindringen des Wassers gewachsen war. Der Kapitän begab sich sofort in den Schiffsraum und erkannte, dass das Wasser in das fünfte Gefach7 durch ein beträchtliches Leck eindrang. Dieses Fachwerk war zum Glück nicht dasjenige, welches die Kessel enthielt, sonst wären die Feuer mit einem Male ausgelöscht worden.
Der Kapitän ließ sogleich halten, ein Matrose tauchte unter, um den Schaden zu untersuchen, und es fand sich ein zwei Meter breites Loch im Kiel. So konnte es nur mit halber Schnelligkeit weiter fahren, und kam um drei Tage verspätet in Liverpool an.
Bei der Ausbesserung fand sich ein regelmäßiger Riss in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks. Der Bruch des Eisenblechs zeigte, dass das durchbohrende Werkzeug ausnehmend hart gewesen sein musste; auch musste es, nachdem es mit enormer Gewalt eingedrungen, sich durch eigene Bewegung, in unerklärbarer Weise wieder herausgezogen haben.
Diese Tatsache setzte die öffentliche Meinung in leidenschaftliche Bewegung. Von nun an wurden Unfälle zur See, von welchen man nicht eine bestimmte Ursache wusste, auf Rechnung des Ungeheuers gesetzt, und das fantastische Tier musste alle solche Schiffbrüche sich zuschreiben lassen.
Da nun, mit Recht oder Unrecht, die Beschuldigung sich erhob, dass der Verkehr in gefährlicherweise gestört sei, so verlangte das Publikum aufs Entschiedenste, dass die Meere endlich um jeden Preis von dem fürchterlichen Ungetüm befreit würden.
Namen bekannter, französischer Naturforscher, die wirklich gelebt und im 18. Und 19. Jahrhundert gewirkt haben <<<
Fischkunde <<<
Hyperborea ist ein sagenhaftes, von den antiken griechischen Geografen weit im Norden lokalisiertes Land. <<<
Erik Ludvigsen Pontoppidan, 3. September 1698; † 20. Dezember 1764 in Kopenhagen) war ein dänischer Theologe, Prediger, Historiker und Autor. <<<
Smithsonian Institution <<<
Die Cunard Line ist eine britische Reederei mit Sitz in Southampton und Santa Clarita, Kalifornien. Gegründet 1838, betrieb die Reederei einen Liniendienst nach Boston und Halifax, 1851 wurde New York City Endhafen. Heute konzentriert sich die Gesellschaft auf das Kreuzfahrtgeschäft mit ihren drei Schiffen: Queen Mary 2, Queen Elizabeth und Queen Victoria. <<<
eigentlich Teil einer Wand eines Fachwerkhauses <<<
Zur Zeit, als diese Ereignisse vorfielen, kam ich von einer wissenschaftlichen Untersuchungsreise, welcher die französische Regierung mich, als Professor der Naturgeschichte, beigesellt hatte, aus Nebraska in den Vereinigten Staaten zurück. Gegen Ende März kam ich nach sechsmonatlichem Aufenthalt in Nebraska, mit kostbaren Sammlungen zu New York an und meine Abreise nach Frankreich war auf Anfang Mai festgesetzt. Ich beschäftigte mich eben damit, inzwischen meine mineralogischen, botanischen und zoologischen Schätze zu ordnen, als der Unfall der Scotia sich begab.
Ich war über die Tagesfrage vollständig in Kenntnis gesetzt. Ich hatte alle amerikanischen und europäischen Journale gelesen und abermals gelesen, und war dadurch nicht weiter gekommen. Das Geheimnisvolle machte mir zu schaffen. Bei der Unmöglichkeit, mir eine Meinung zu bilden, schwankte ich von einem Extrem zum anderen. Dass etwas daran war, konnte nicht mehr zweifelhaft sein, und die Ungläubigen waren eingeladen, ihren Finger auf die Wunde der Scotia zu legen.
Bei meiner Ankunft zu New York war die Frage brennend. Die Hypothese einer schwimmenden Insel, einer unerreichbaren Klippe, welche von einigen urteilsunfähigen Köpfen aufgebracht worden, war bereits aufgegeben. Und in der Tat, sofern nicht solch eine Klippe eine Maschine im Leib hatte, wie konnte sie so reißend schnell die Stelle wechseln.
Ebenso wurde der Gedanke an einen herumschwimmenden Schiffsrumpf aufgegeben, gleichfalls wegen der Schnelligkeit, womit der Gegenstand seinen Platz wechselte.
Es blieben also noch zwei mögliche Lösungen der Frage, welche beide Anhänger fanden: Die einen hielten den Gegenstand für ein Ungeheuer von kolossaler Kraft; die anderen für ein unterseeisches Fahrzeug von außerordentlicher Bewegkraft.
Diese letzte Annahme, obwohl statthaft, konnte doch nach den in beiden Weltteilen angestellten Untersuchungen nicht festgehalten werden. Dass ein einzelner Privatmann eine solche Maschine zur Verfügung habe, war unwahrscheinlich. Wie hätte deren Verfertigung geheim bleiben können?
Nur eine Regierung konnte im Besitz einer solchen Zerstörungsmaschine sein, und in dieser unheilvollen Zeit, wo der Mensch sich’s angelegen sein lässt, die Macht der Kriegswaffen zu verstärken, war es möglich, dass ein Staat ohne Wissen des anderen mit einer solchen fürchterlichen Maschine einen Versuch machte. Auf die Chassepots1 folgten die Torpedos, auf die Torpedos die unterseeischen Sturmböcke, hernach – die Reaktion.
Aber diese Idee einer Kriegsmaschine musste gegenüber den Erklärungen der Regierungen fallengelassen werden. Da es sich hier um ein allgemeines öffentliches Interesse handelte, da der überseeische Verkehr darunter litt, so ließ sich die Ehrlichkeit der Regierungen nicht in Zweifel ziehen. Zudem konnte man nicht annehmen, dass der Bau eines solchen unterseeischen Fahrzeugs dem Publikum verborgen geblieben wäre. Unter solchen Umständen das Geheimnis zu bewahren, ist schon für einen Privatmann schwer, und für einen Staat, dessen Handlungen von den rivalisierenden Mächten unablässig überwacht werden, vollends unmöglich.
Also wurde nach den in England, Frankreich, Russland, Preußen, Spanien, Italien, Amerika, selbst in der Türkei angestellten Nachforschungen die Hypothese eines unterseeischen Monitors definitiv aufgegeben.
Es bekam also die Idee eines »Ungeheuers« die Oberhand, trotz den unablässigen Späßen, womit die kleine Presse sie verfolgte; und auf diesem Wege ließ sich die Fantasie bald zu den lächerlichsten Träumen einer fantastischen Ichthyologie verleiten.
Bei meiner Ankunft zu New York erwiesen mir manche Männer die Ehre, mich über die fragliche Erscheinung um meine Ansicht zu ersuchen. Ich hatte in Frankreich einen zweibändigen Quartanten unter dem Titel: »Die Geheimnisse der großen unterseeischen Tiefe«, erscheinen lassen. Dieses besonders von der gelehrten Welt gut aufgenommene Buch machte aus mir einen Spezialisten in diesem noch ziemlich unklaren Teil der Naturwissenschaft. Es wurde mein Gutachten begehrt. So lange ich die Wirklichkeit des Tatsächlichen in Abrede stellen konnte, verhielt ich mich durchaus verneinend. Aber bald musste ich, aufs Äußerste gedrängt, mich kategorisch erklären. Und sogar wurde der »ehrenwerte Pierre Arronax, Professor am Museum zu Paris«, vom New York Herald öffentlich aufgefordert, irgendeine Ansicht über die Sache zu formulieren.
Ich machte mich daran. Ich sprach, weil ich nicht mehr schweigen konnte. Ich erörterte die Frage von allen Seiten, politisch und wissenschaftlich, und gebe hier den Auszug eines sehr umfangreichen Artikels, den ich unter dem 30. April veröffentlichte.
»Also«, sagte ich, »nachdem ich der Reihe nach die verschiedenen Hypothesen einer Prüfung unterzogen, muss man jede andere Annahme verwerfen und notwendig die Existenz eines Seetieres von außerordentlicher Kraft gelten lassen.
Die großen Tiefen des Ozeans sind uns völlig unbekannt; die Sonde hat sie nicht erreichen können. Was geht in diesen entlegenen Tiefen vor? Was für Geschöpfe leben zwölf- bis fünfzehntausend Meilen unter der Meeresoberfläche, oder können da leben? Wie sind diese Tiere organisiert? Darüber kann man kaum eine Vermutung aufstellen.
Jedoch kann die Lösung des mir vorgelegten Problems die Form eines Dilemmas annehmen.
Entweder wir kennen alle verschiedenen Gattungen von Geschöpfen, welche unsern Planeten bevölkern, oder wir kennen sie nicht.
Wenn wir sie nicht alle kennen, wenn die Natur in der Ichthyologie noch Dinge enthält, welche für uns Geheimnisse sind, so darf man wohl die Existenz von Fischen oder Seesäugetieren, neuen Arten oder selbst Gattungen, von einer ihnen eigentümlichen Organisation annehmen, welche die von der Sonde unerreichbaren Schichten bewohnen, und durch irgend ein Ereignis, eine Grille, Laune, wenn man will, in langen Zwischenräumen zu dem Niveau der Oberfläche des Ozeans heraufgeführt werden.
Kennen wir dagegen alle lebenden Gattungen, so muss man notwendig das fragliche Tier unter den bereits aufgenommenen Seegeschöpfen suchen, und in diesem Fall wäre ich geneigt, die Existenz eines Riesen-Narwals anzunehmen.
Der gemeine Narwal, oder das See-Einhorn, erreicht oft eine Länge von sechzig Fuß. Nehmen wir diese Dimension fünffach, selbst zehnfach, geben wir diesem Tier eine seiner Größe entsprechende Kraft, verstärken wir seine Angriffswaffen, so haben wir das vorausgesetzte Ungeheuer, welches imstande wäre, die Scotia anzubohren und den Rumpf eines Dampfbootes anzutasten.
In der Tat hat der Narwal zur Waffe eine Art Degen von Elfenbein, eine Hellebarde, wie einige Naturforscher sich ausdrücken. Es ist ein Hauptzahn von der Härte des Stahles. Man hat solche Zähne in den Körpern von Walfischen gebohrt gefunden, welche der Narwal beständig mit Erfolg angreift. Andere sind mit Mühe aus Schiffskielen gezogen worden, welche sie durch und durch gebohrt hatten. Das Museum der Naturgeschichte zu Paris besitzt ein solches Horn, das zwei Meter fünfundzwanzig Zentimeter lang und an seiner Basis achtundvierzig Zentimenter stark ist!
Nun! Nehmen wir diese Waffe zehnmal so stark an, das Tier zehnmal kräftiger, lassen wir es mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde hinschießen, multiplizieren wir seine Masse mit seiner Geschwindigkeit, so haben wir einen Stoß, der eine Katastrophe, wie die gedachte, hervorbringen kann.
Demnach, bis auf weitere Information, möchte ich meine Vermutung auf ein See-Einhorn von kolossalen Dimensionen richten, welches nicht sowohl mit einer Hellebarde, als mit einem wirklichen Sporn bewaffnet ist, wie ihn die Panzerfregatten haben, denen es etwa an Umfang und Bewegungskraft gleich käme.
So würde das unerklärliche Phänomen seine Erklärung finden – sofern nicht etwa nichts daran ist, trotz dem, was man gesehen und vermutet hat – was auch möglich ist!«
Diese letzteren Worte waren meinerseits eine Feigheit; ich wollte bis auf einen gewissen Grad meine Professorenwürde wahren, und nicht den Amerikanern zum Lachen preisgeben, denn die lachen tüchtig, wenn sie lachen. Ich wollte nur eine Hintertüre offen halten. Im Grunde ließ ich die Existenz des »Ungeheuers« gelten.
Mein Artikel wurde warm besprochen und fand großen Beifall, gewann sich eine Anzahl Anhänger. Die Lösung, welche er vorschlug, ließ übrigens der Fantasie freien Spielraum. Der menschliche Geist hat Gefallen an solchen großartigen Begriffen übernatürlicher Wesen.
Das Meer ist gerade das beste Element, der einzige Ort, wo solche Riesen – neben welchen die Elefanten und Rhinozerosse nur Zwerge sind – entstehen und sich entwickeln können! Die Massen des Ozeans enthalten die größten Gattungen bekannter Seesäugetiere, und vielleicht bergen sie in ihren Tiefen noch manche Mollusken2 und Schalentiere von erschrecklichem Aussehen. Vormals, in der Urzeit, waren die Landtiere, Vierfüßler, Reptilien und Vögel nach riesenmäßigem Maßstab geformt. Warum sollte nicht das Meer, welches sich unveränderlich gleich bleibt, in seinen unbekannten Tiefen noch solche Probestücke eines anderen Zeitalters aufbewahrt haben? Warum sollte es nicht in seinem Schoße die letzten Arten dieser Riesengattungen bergen?
Die Fregatte Abraham Lincoln
Doch wenden mir uns aus dem Reiche der Fantasie zur schrecklichen Wirklichkeit. Die öffentliche Meinung sprach sich damals in Beziehung auf das Phänomen ohne Widerspruch für die Existenz eines wunderhaften Riesentieres aus.
Aber wenn die einen nur eine wissenschaftliche Aufgabe darin erkannten, hatten die anderen, mehr positive Geister, zumal in Amerika und England, im Sinn, das Meer von dem furchtbaren Ungeheuer zu säubern, um den überseeischen Verkehr zu sichern. Die industriellen und Handelsblätter behandelten die Frage hauptsächlich von diesem Gesichtspunkt aus; alle den Assekuranz-Gesellschaften ergebenen Blätter waren darüber einstimmig.
Nachdem die öffentliche Meinung sich ausgesprochen, erklärten sich die Vereinigten Staaten zuerst. Man traf zu New York Vorkehrungen für eine Expedition zur Verfolgung des Narwal. Eine schnell segelnde Fregatte, Abraham Lincoln, wurde in Stand gesetzt, unverzüglich in See zu stechen. Dem Kommandanten Farragut wurden die Arsenale geöffnet, und er betrieb eifrigst die Ausrüstung derselben.
Nun aber, wie das meistens geschieht, gerade von dem Moment an, da man entschlossen war, das Ungeheuer zu verfolgen, ward es nicht mehr sichtbar. Zwei Monate lang hörte man nicht mehr davon reden. Es schien, als habe das Einhorn Kunde von einem gegen dasselbe geschmiedeten Komplott bekommen. Man hatte zu viel davon gesprochen, selbst vermittelst des Kabels! Auch scherzte man, der schlaue Fuchs habe einige Telegramme aufgefangen, und mache sich nun ihren Inhalt zu Nutz.
Als daher die Fregatte für eine weite Fahrt gerüstet und mit fürchterlichen Maschinen versehen war, wusste man nicht, wohin die Fahrt zu richten sei. Endlich verlautete, ein Dampfer von der Linie S. Francisco in Kalifornien nach Schanghai habe das Tier drei Wochen zuvor in den nördlichen Gewässern des Stillen Ozeans gesehen.
Es entstand die äußerste Aufregung. Man ließ dem Kommandanten Farragut kaum vierundzwanzig Stunden Frist. Seine Vorräte waren eingeschifft, Kohlen in Überfluss, kein Mann der Bemannung fehlte an seinem Platz; man brauchte nur zu heizen, auszulaufen! Einen halben Tag Zögerung hätte man ihm nicht verziehen! Zudem war der Kommandant selbst voll Eifer.
Drei Stunden, bevor die Abraham Lincoln von Brooklyn abfuhr, erhielt ich folgendes Billet:
»Herrn Arronax, Professor am Museum zu Paris, 5 Avenue Hotel New York.
Mein Herr!
Wenn Sie sich der Expedition der Abraham Lincoln anschließen wollen, wird die Regierung der Ver. Staaten erfreut sein, dass Frankreich durch Sie bei dieser Unternehmung sich beteilige. Der Kommandant Farragut hält eine Kabine zu Ihrer Verfügung bereit.
Ergebenst der Ihrige J. B. Hobson, Sekretär der Marine.«
Das Chassepotgewehr ist ein französisches Infanteriegewehr <<<
Weichtiere <<<
Drei Sekunden vor Ankunft des Briefes von J. B. Hobson dachte ich ebenso wenig das Einhorn zu verfolgen, als die nordwestliche Durchfahrt zu versuchen. Drei Sekunden, nachdem ich den Brief des ehrenwerten Sekretärs der Marine gelesen, begriff ich endlich, dass mein wahrer Beruf, das einzige Ziel meines Lebens darin bestehe, das beunruhigende Ungeheuer zu verjagen und die Welt von demselben zu befreien.
Doch ich kam von einer mühevollen Reise erschöpft, nach Ruhe mich sehnend. Ich trachtete nur danach, meine Heimat wiederzusehen, meine Freunde, meine kleine Wohnung im Jardin des Plantes, meine teuern und kostbaren Sammlungen! Aber nichts konnte mich zurückhalten. Ich vergaß alles, Ermüdung, Freunde, Sammlungen, und nahm ohne weiteres Bedenken die Anerbietung der amerikanischen Regierung an.
»Übrigens«, dachte ich, »führt jeder Weg nach Europa zurück, und das Einhorn wird wohl so liebenswürdig sein, mich nach den Küsten Frankreichs hin zu ziehen! Dieses respektable Tier wird sich in den Gewässern Europas – zu meinem persönlichen Vergnügen – fangen lassen – und ich will dem naturhistorischen Museum nicht weniger als einen halben Meter von seiner elfenbeinernen Hellebarde mitbringen.«
Aber einstweilen musste ich den Narwal im Norden des Stillen Ozeans aufsuchen; was ebenso viel war, als für die Rückkehr nach Frankreich den Weg zu den Antipoden1 einschlagen.
»Conseil!« rief ich ungeduldig.
Conseil war mein Diener. Ein ergebener Bursche, der mich auf allen meinen Reisen begleitete; ein braver Flamländer, den ich lieb hatte, und der mir’s vergalt; phlegmatisch von Natur, regelmäßig aus Grundsatz, dienstbeflissen aus Gewohnheit, ließ er sich durch die überraschenden Fälle im Leben wenig irremachen; mit gewandten Händen zu jedem Dienst geeignet, war er niemals mit seinem Rat zudringlich.
Durch seine Berührungen mit den Gelehrten unserer kleinen Welt des Jardin des Plantes hatte Conseil es dazu gebracht, dass er etwas wusste. Ich hatte in ihm einen Spezialisten, der, sehr bewandert in der naturhistorischen Klassifikation, mit der Gewandtheit eines Seiltänzers die ganze Stufenleiter der Verzweigungen, Gruppen, Klassen, Unterabteilungen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Untergattungen, Arten und Varietäten auf- und ablief. Aber hier war auch die Grenze seines Wissens. Klassifizieren war sein Lebenselement, mehr aber verstand er auch nicht. In der Theorie der Klassifikation sehr bewandert, wenig in der Praxis, hätte er, glaub’ ich, nicht einen Pottfisch2 von einem Walfisch unterscheiden können! Und doch, was für ein wackerer, tüchtiger Junge!
Conseil hatte bisher seit zehn Jahren mich überall, wohin mich die Wissenschaft zog, begleitet. Nie hörte man aus seinem Mund eine Bemerkung über die lange Dauer oder die Beschwerden einer Reise. Kein Einwand, wenn er seinen Ranzen zu schnallen hatte für eine Reise in jedes Land, so fern es auch sein mochte, China oder Kongo. Er ging hierhin wie dorthin, ohne weiter zu fragen. Übrigens von trefflicher Gesundheit, die allen Krankheiten trotzte, starken Muskeln, aber ohne Nerven, nicht einen Schein von Nerven, – moralisch, versteht sich.
Dieser Junge war dreißig Jahr alt, und seines Herrn Alter verhielt sich zu diesem, wie zwanzig zu fünfzehn.
Nur einen Fehler hatte Conseil. Entsetzlich förmlich, sprach er mit mir nur in der dritten Person.
»Conseil!« rief ich abermals, während ich mit fieberhafter Eile meine Vorbereitungen zur Abreise begann.
Sicher konnte ich mich auf diesen ergebenen Jungen verlassen. In der Regel fragte ich ihn nie, ob es ihm beliebe, oder nicht, mich auf meinen Reisen zu begleiten; aber diesmal handelte sich’s um eine Expedition, die sich unendlich in die Länge ziehen konnte, eine gefahrvolle Unternehmung zur Verfolgung eines Tieres, das fähig war, eine Fregatte wie eine Nussschale zu zertrümmern! Da galt es zu überlegen, selbst für einen Menschen, den nichts in der Welt in Verlegenheit brachte! Was würde wohl Conseil dazu sagen?
»Conseil!« rief ich zum dritten Mal.
»Mein Herr ruft mir?« sprach er im Eintreten.
»Ja, mein Junge. Mache Dich fertig, hilf’ mir, mich fertig machen. In zwei Stunden reisen wir ab.«
»Wie es dem Herrn beliebt«, erwiderte Conseil ruhig.
»Kein Augenblick ist zu verlieren. Packe in meinen Koffer all’ mein Reisegeräte, Kleider, Hemden, Strümpfe, so viele Du nur kannst, und beeile Dich!«
»Und des Herrn Sammlungen?« bemerkte Conseil.
»Man wird sich später damit befassen.«
»Wie? Die Archiotherium, Hyracotherium, Oreodon, die Cheropotamus und andere Gerippe meines Herrn?«
»Man wird sie im Hotel aufheben.«
»Und der lebendige Babirussa3 meines Herrn?«
»Man wird ihn in meiner Abwesenheit füttern. Übrigens werde ich Auftrag geben, unsere Menagerie nach Frankreich zu befördern.«
»Wir kehren also nicht zurück nach Paris?« fragte Conseil.
»Ja… Gewiss…«, erwiderte ich ausweichend, »aber auf einem Umweg.«
»Wie es meinem Herrn beliebt.«
»O! es macht wenig aus! Ein nicht ganz direkter Weg, das ist alles. Wir fahren mit der Abraham Lincoln.«
»Wie es meinem Herrn beliebt«, versetzte Conseil ruhig.
»Du weißt, lieber Freund, es handelt sich um das Ungeheuer… den famosen Narwal… Wir werden die Meere von demselben befreien!… Der Verfasser eines Werkes in zwei Quartbänden über die ›Geheimnisse der großen unterseeischen Tiefen‹ kann nicht umhin, mit dem Kommandanten Farragut in See zu stechen. Ein ehrenvoller, aber auch gefahrvoller Auftrag! Man weiß nicht, wohin man sich wenden soll! Diese Tiere können sehr schlimme Laune haben! Aber trotzdem gehen wir! Unser Kommandant hat den Kopf auf der rechten Stelle…«
»Was mein Herr tut, das tue ich auch«, erwiderte Conseil.
»Wie es meinem Herrn gefällt.«
»Und merk’ Dir wohl! – denn ich will Dir’s nicht verhehlen – ’s ist eine Reise, von der nicht jeder wieder heimkommt!«
»Wie es meinem Herrn gefällt.«
Nach einer Viertelstunde waren unsere Koffer fertig. Conseil hatte es in einem Griff gemacht, und ich war sicher, dass nichts mangelte, denn der Junge verstand die Hemden und Kleider ebenso gut zu ordnen, wie die Vögel und Säugetiere. Wir begaben uns ins Erdgeschoss, wo ich in dem geräumigen, stets umlagerten Comptoir4 meine Rechnung berichtigte, den Auftrag erteilte, meine Kisten mit ausgebalgten Tieren und getrockneten Pflanzen nach Paris zu schicken, und dem Babirussa einen hinlänglichen Kredit eröffnete. Darauf stieg ich in Conseils Begleitung in einen Wagen, der uns um zwanzig Francs durch Broadway, Fourth Avenue, Bowery-Street und Katrin-Street zum vierunddreißigsten Pier5 fuhr, wo ein Fahrzeug uns samt Wagen und Pferden aufnahm und nach Brooklyn brachte, dem großen Quartier von New York am linken Ufer des östlichen Flusses, wo wir in einigen Minuten an dem Quai anlangten, bei welchem die Abraham Lincoln aus ihren zwei Rauchfängen schwarze Säulen emporwirbelte.
Unser Gepäck wurde unverzüglich aufs Verdeck der Fregatte gebracht, ich eilte an Bord und fragte nach dem Kommandanten Farragut. Ein Matrose führte mich aufs Vorderverdeck, zu einem Offizier von stattlichem Aussehen, der mir die Hand reichte.
»Herr Pierre Arronax?« sprach er.
»Der bin ich. Der Kommandant Farragut?«
»In eigener Person. Seien Sie willkommen, Herr Professor. Ihre Kabine wartet schon auf Sie.«
Ich grüßte, ließ den Kommandanten bei seiner Beschäftigung und folgte einem Begleiter in die für mich bestimmte Kabine.
Die Abraham Lincoln war für ihre neue Bestimmung trefflich ausgewählt und eingerichtet. Es war eine schnell segelnde Fregatte mit einem Heizungsapparat, welcher die Dampfkraft bis auf sieben Atmosphären zu steigern gestattete. Dadurch bekam sie eine mittlere Geschwindigkeit von achtzehn und dreizehntel Meilen die Stunde; doch war diese beträchtliche Schnelligkeit nicht ausreichend für einen Kampf mit dem Riesentier.
Die inneren Einrichtungen der Fregatte entsprachen ihren nautischen Vorzügen. Ich war mit meiner Kabine sehr zufrieden; sie lag am hintern Schiffsteil und stieß an das Offizierszimmer.
»Wir sind hier wohl aufgehoben«, sagte ich zu Conseil.
»So gut, mit Erlaubnis meines Herrn, als der Einsiedler Bernhard in der Muschelschale.«
Ich überließ es Conseil, unsere Koffer gehörig zu ordnen, und begab mich wieder aufs Verdeck, um den Vorbereitungen zur Abfahrt zuzusehen.
In diesem Augenblick ließ der Kommandant Farragut die letzten Taue lösen, welche die Abraham Lincoln an das Quai fesselten. Also eine Viertelstunde Verspätung, und die Fregatte fuhr ohne mich ab, sodass ich diese außerordentliche, übernatürliche, unwahrscheinliche Expedition verfehlte, deren wahrheitsgetreue Erzählung doch vielleicht auf manche Ungläubige stoßen wird.
Aber der Kommandant Farragut wollte nicht einen Tag verlieren, nicht eine Stunde, um in das Meer zu kommen, wo das Tier verspürt worden war. Er ließ seinen Ingenieur kommen.
»Haben wir gehörig Dampf?« fragte er ihn.
»Ja, mein Herr«, erwiderte der Ingenieur.
»Go ahead«, rief der Kommandant Farragut. Auf diesen Befehl, welcher vermittelst eines Apparates mit verdichteter Luft zur Maschine befördert wurde, setzten die Maschinenleute das Rad in Bewegung. Der Dampf zischte, indem er in die Behälter drang. Die langen horizontalen Stempel dröhnten und trieben die Stangen der Welle.
Mit zunehmender Schnelligkeit wurden die Wellen von der Schraube geschlagen und die Abraham Lincoln bewegte sich majestätisch inmitten von hundert Fährten und Tenders6 voll Zuschauer, die ihr das Geleite gaben.
Die Quais zu Brooklyn und der ganze Teil von New York, welcher ans östliche Ufer stößt, waren mit Neugierigen bedeckt. Drei Hurras nacheinander hörte man aus der Brust von einer halben Million erschallen. Tausende von Taschentüchern über der dichten Volksmasse geschwenkt, begrüßten die Abraham Lincoln, bis sie in die Gewässer des Hudson, an der Spitze der langen Halbinsel, welche New York bildet, gelangte.
Ehrenbegleitung der Fregatte Abraham Lincoln
Darauf fuhr die Fregatte in der Richtung von New Jersey an dem wunderschönen rechten, ganz mit Landhäusern bedeckten Ufer des Flusses zwischen den Forts durch, welche sie mit ihren größten Kanonen begrüßten.
Die Abraham Lincoln erwiderte den Gruß durch dreimaliges Aufziehen der amerikanischen Flagge mit ihren 39 an der Spitze des Hintermastes glänzenden Sternen; hierauf änderte sie ihren Lauf, um das mit Baken versehene Fahrwasser in der Innern durch die Spitze Sandy Hook7 gebildeten Bai zu gewinnen, und fuhr längs dieser sandigen Erdzunge, wo Tausende von Zuschauern sie nochmals begrüßten.
Das Geleite der Boote und Tenders verließ die Fregatte erst auf der Höhe des Leucht-Bootes, dessen zwei Feuer die Einfahrt in das Seegatt8 von New York bezeichnen.
Schlag drei stieg der Lotse in sein Boot und fuhr zu der kleinen Goelette,9 die ihn unterm Wind erwartete. Die Feuer wurden geschürt, die Schraube schlug rascher die Wellen; die Fregatte strich längs der gelben niedrigen Küste von Long Island, und um acht Uhr abends, nachdem sie die Feuer von Fire Island nordwestlich aus dem Gesicht verloren, lief sie mit voller Dampfkraft in die dunklen Wasser des Atlantischen Ozeans.
Bewohner bzw. Weltgegenden, die auf der anderen Seite der Erde sind <<<
Pottfisch (der), gemeine Pottwal oder Kaschelot gehört zu den im Wasser lebenden, walfischartigen Säugtieren und steht dem Walfische an Größe wenig nach, da er mitunter gegen 60 Fuß lang wird und im Umfange 20 Fuß hält. Er zeichnet sich besonders durch einen außerordentlich großen Kopf aus, welcher fast die Hälfte des ganzen Tieres ausmacht und lebt vorzugsweise in den nördlichen Meeren. Als Raubfisch verfolgt er besonders Seehunde, mit eigentümlicher Wut aber die Haifische, welche mitunter von ihm so geängstigt werden sollen, dass sie absichtlich ins seichte Wasser fliehen und an der Küste stranden. Wird der Pottwal angegriffen, so verteidigt er sich nicht, gleich dem Walfische, mit dem Schwanze, sondern legt sich auf den Rücken und beißt um sich, denn er hat wenigstens im Unterkiefer gerade kegelförmige Zähne. Die Barten des Walfisches fehlen ihm, in den weiten Höhlungen seines Kopfes aber findet sich eine besondere Fettart, Walrat (»sperma ceti«) genannt, welches eine milchweiße, flüssige, an der Luft gleich Wachs und Talg erstarrende Masse ist, die von dem darin enthaltenen öleinartigen Stoffe, dem sogenannten Walratöl und anderen Unreinigkeiten geschieden, Cetin heißt. Man verwendete den Walrat sonst als Heilmittel, legt ihm aber den frühern Wert jetzt nicht mehr bei und verfertigt hauptsächlich Lichte von besonderer Güte und die kleinen nürnberger Nachtlichte daraus. Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839, S. 551. Aber: Wie Pottwale ihre Beute genau fangen, ist nach wie vor nicht bekannt. Allerdings scheinen ihre Zähne und Kiefer bei der Jagd keine große Rolle zu spielen, denn es wurden schon gut genährte Pottwale gefunden, deren Kiefer völlig deformiert und zum Festhalten von Beutetieren nicht geeignet waren. Der riesige Kopf eines Pottwals wird zu sehr großen Teilen vom sogenannten Spermacetiorgan ausgefüllt. Dies ist vollständig mit Walrat (auch Spermaceti genannt) gefüllt und kann allein ein Gewicht von zwei Tonnen haben. Die temperaturabhängige, eigenartige Konsistenz des Walrats gab Anlass zur Verwechslung mit Sperma. Die Funktion ist bis heute nicht geklärt. (Wikipedia) <<<
Säugetiergattung aus der Familie der Schweine <<<
Kontor, Niederlassung eines Handelsunternehmens <<<
Ein besonderes Quai für jedes Fahrzeug. <<<
Kleine Dampfboote zur Bedienung der großen Steamer. <<<
10 km lange Landzunge vor New Jersey und Zugang zum Atlantik. <<<
Ein ist eine Strömungsrinne, die durch die ständig hin und her strömenden Wassermassen, etwa der Gezeiten, erodiert. <<<
Schoner, Schiff mit zwei Masten <<<
Der Kommandant Farragut war ein tüchtiger Seemann, seiner Fregatte würdig. Er fühlte sich eins mit seinem Schiff; war die Seele desselben. Über das Seeungeheuer hegte er nicht den mindesten Zweifel, und er gestattete gar nicht, dass an Bord seines Schiffes über die Existenz des Tieres disputiert wurde. Er glaubte daran, wie manche gute Frauen an Leviathan – nicht aus Vernunftgründen, sondern als an einen Glaubensartikel. Das Ungeheuer existierte, und er hatte geschworen, die Meere von demselben zu befreien. Entweder der Kommandant Farragut würde den Narwal töten, oder der Narwal den Kommandanten. Ein Drittes gab’s nicht.
Die Offiziere an Bord teilten die Ansicht ihres Chefs. Man musste sie reden hören, disputieren, diskutieren, die verschiedenen möglichen Fälle bei einem Zusammentreffen in Berechnung ziehen, das weite Meer beobachten. Mancher, der sonst einen solchen Dienst verwünscht hätte, übernahm freiwillig eine Wache auf dem Mastgebälk. So lange die Sonne am Himmel stand, waren die Masten voll Matrosen, denen auf dem Verdeck die Fußsohlen brannten und die sich nicht an ihrem Platze halten konnten! Und doch befand sich die Abraham Lincoln noch nicht in den verdächtigen Gewässern des Stillen Meeres.
Die Mannschaft war eifrigst gespannt, mit dem Einhorn zusammenzutreffen, die Harpune zu werfen, es an Bord zu ziehen und es zu zerhauen. Sie beobachtete mit sorglichster Achtsamkeit die Meeresfläche. Übrigens sprach der Kommandant Farragut von einer Summe von zweitausend Dollars, die er aussetzte – Schiffsjunge, Matrose oder Offizier – der das Tier signalisierte. Da kann man sich denken, wie an Bord der Abraham Lincoln sich die Augen abmühten!
Ich meinesteils blieb hinter den anderen nicht zurück, und überließ niemand meinen Teil an der täglichen Beobachtung. Die Fregatte hätte hundertfach Grund gehabt, den Namen Argus zu führen. Nur der einzige Conseil stand mit seiner Gleichgültigkeit im Widerspruch mit uns in Hinsicht der Frage, welche uns in Bewegung setzte, und stimmte nicht in den allgemeinen Enthusiasmus ein.
Ich habe gesagt, der Kommandant Farragut habe sein Schiff wohl mit Werkzeugen und Vorkehrungen versehen, um das Riesentier zu fischen. Wir waren im Besitz aller bekannten Maschinen, von der mit der Hand geworfenen Harpune bis auf die explodierenden Kugeln der Geschütze.
Ned Land
Auf dem Vordersteven war eine vervollkommnete Kanone, Hinterlader, von sehr starker Mündung und sehr enger Seele,1 deren Modell auf der nächsten Weltausstellung figurieren sollte. Dieses vortreffliche Instrument amerikanischen Ursprungs schleuderte leicht ein konisches Projektil von vier Kilogramm auf eine durchschnittliche Entfernung von sechzehn Kilometer.
Es fehlte also der Abraham Lincoln nicht an Mordmitteln. Aber sie besaß noch mehr, den Harpunierkönig Ned Land.
Ned Land war ein Kanadier von seltenem Handgeschick, der seinesgleichen in dem gefährlichen Handwerk nicht hatte. Er besaß Gewandtheit und Kaltblütigkeit, Kühnheit und List in besonders hohem Grad, und ein Walfisch musste schon recht tückisch, ein Pottfisch besonders listig sein, um seiner Harpune zu entrinnen.
Ned Land war etwa vierzig Jahr alt, hochgewachsen – über sechs englische Fuß – kräftig gebaut, von ernster Miene, wenig mitteilsam, manchmal heftig und sehr zornig, wenn man ihn reizte. Seine Person erregte Aufmerksamkeit, zumal die Macht seines Blickes, der seine Züge besonders belebte.
Der Kommandant Farragut hatte wohl sehr weise getan, diesen Mann für sein Schiff zu gewinnen. Er allein wog mit Auge und Arm die ganze Mannschaft auf. Ich könnte ihn am besten mit einem starken Teleskop vergleichen, das zugleich als Kanone stets schussfertig wäre.
Kanadier sind Franzosen, und so wenig mitteilsam Ned Land war, hatte er doch, erkenne ich an, eine gewisse Anhänglichkeit an mich. Ohne Zweifel zog ihn meine Nationalität an. Ich gab ihm eine Gelegenheit sich zu unterreden, und er mir eine solche, die alte Sprache des Rabelais2 zu hören, die in einigen Gegenden Kanadas noch in Gebrauch ist. Die Familie des Harpuniers stammte aus Quebec, und bildete schon zu der Zeit, als diese Stadt den Franzosen gehörte, einen kühnen Fischerstamm.
Allmählich bekam Ned Lust zu plaudern, und ich hörte ihn gern von seinen Abenteuern in den Polarmeeren erzählen. Er sprach mit viel natürlicher Poesie von seinem Fischfang und seinen Kämpfen dabei. Sein Vortrag hatte echt epische Form, und ich glaubte manchmal einen kanadischen Homer zu hören, der die Iliade der Hyperboreerlande sang.
Ich schildere eben diesen kühnen Gesellen so, wie ich ihn gegenwärtig kenne. Wir sind alte Freunde geworden, geeinigt durch die unerschütterliche Sympathie, welche in den entsetzlichsten Lebenslagen entsteht und aneinander fesselt! Wackerer Ned! Ich möchte noch hundert Jahre leben, um mich noch recht lange Deiner zu erinnern!
Und jetzt, was war denn Ned Lands Meinung in der Frage des Seeungeheuers? Ich muss gestehen, dass er an das Einhorn wenig glaubte, und dass er allein an Bord die allgemeine Ansicht nicht teilte. Er mied selbst von dem Gegenstand zu sprechen, sodass ich ihm einmal glaubte, darin zu Leibe gehen zu müssen.
An einem prachtvollen Abend des 30. Juli, d.h. drei Wochen nach unserer Abfahrt, befand sich die Fregatte auf der Höhe des Kap Blanco, dreißig Meilen unterm Wind an der patagonischen Küste. Wir waren über den Wendekreis des Steinbocks hinaus, und die Magellanische Enge3 war keine siebenhundert Meilen mehr südlich. Vor Ablauf von acht Tagen konnte die Abraham Lincoln die Wogen des Stillen Meeres durchsegeln.
Wir saßen, Ned Land und ich, auf dem Hinterverdeck und plauderten über dies und jenes, indem wir auf das geheimnisvolle Meer hinschauten, dessen Tiefen bis jetzt den Blicken der Menschen unzugänglich gewesen sind. Ich führte ganz natürlich das Gespräch auf das Riesen-Einhorn, und prüfte die verschiedenen Aussichten unserer Unternehmung auf Gelingen oder Misslingen. Hernach, als Ned mich reden ließ, ohne darauf zu antworten, setzte ich ihm direkter zu.
»Wie ist es, Ned«, fragte ich, »wie ist nur möglich, dass Sie von der Existenz des Tieres, welches wir verfolgen, nicht überzeugt sind? Haben Sie denn besondere Gründe, sich so ungläubig zu zeigen?«
Pierre Arronax
Der Harpunier sah mich erst eine Weile an, bevor er mir antwortete, schlug sich dann mit einer ihm eigentümlichen Handbewegung auf seine große Stirn, schloss die Augen, als wolle er sich sammeln, und sagte endlich:
»Vielleicht wohl, Herr Arronax.«
»Doch, Ned, Sie, ein Walfischfänger von Profession, der mit den großen Seesäugetieren vertraut ist, dessen Einbildungskraft leicht die Hypothese von enormen Seetieren gelten lassen kann, Sie sollten der Letzte sein, der in solche Dinge Zweifel setzt!«
»Darin gerade irren Sie, Herr Professor«, erwiderte Ned. »Mag die Menge an außerordentliche Kometen glauben, welche den Raum durchlaufen, oder an das Dasein urweltlicher Ungeheuer, welche im Innern des Erdballs hausen, das geht noch an, aber weder der Astronom noch der Geologe lassen solche Hirngespinste gelten. Ebenso der Walfischfänger. Ich habe manche Seetiere verfolgt, viele harpuniert, eine Menge erlegt, aber so stark und wohl bewaffnet sie auch waren, weder mit den Schwänzen, noch mit den Zähnen hätten sie den Eisenplatten eines Dampfers etwas anhaben können.«
»Doch, Ned, führt man Schiffe an, welche der Narwal mit seinem Zahn durch und durch gebohrt hat.«
»Hölzerne, wohl möglich«, erwiderte der Kanadier; »und dazu hab’ ich solche nie gesehen. Also, bis mir der Beweis vom Gegenteil erbracht wird, leugne ich, dass Walfische, Pottfische oder Einhörner solch eine Wirkung hervorbringen können.«
»Hören Sie mich an, Ned…«
»Nein, Herr Professor, nein. Alles sonst, was Sie wollen, nur dies nicht. Ein Riesenpolyp vielleicht…?«
»Noch weniger, Ned. Der Polyp ist nur eine Molluske, von wenig festem Fleisch, wie schon dieser Name andeutet. Wäre ein Polyp – der nicht zu den Wirbeltieren gehört – auch fünfhundert Fuß lang, so ist er doch durchaus ungefährlich für solche Schiffe, wie die Scotia oder Abraham Lincoln. Es müssen also die Heldentaten der Kraken und anderen Ungeheuer der Art ins Reich der Fabeln verwiesen werden.«
»Also, Herr Naturforscher«, fuhr Ned Land mit etwas schelmischem Ton fort, »Sie beharren bei der Annahme, dass ein enormes Seesäugetier vorhanden sei…?«
»Ja, Ned, ich wiederhole es mit einer Überzeugung, welche sich auf die Logik der Tatsachen stützt. Ich glaube an die Existenz eines stark organisierten Seesäugetiers aus der Klasse der Wirbeltiere, wie der Walfisch, Pottfisch und Delfin, welches mit einer hörnernen Waffe von äußerster Stärke versehen ist.«
»Hm!« sagte der Harpunier, und schüttelte den Kopf, als ein Mann, der sich nicht überzeugen lassen will.
»Bemerken Sie, mein wackerer Kanadier«, fuhr ich fort, »dass, wenn ein solches Tier existiert, wenn es die Tiefen des Ozeans bewohnt, wenn es in den Wasserschichten verkehrt, welche einige Meilen unter der Oberfläche sind, – es notwendig einen Organismus haben muss, dessen Festigkeit über alle Vergleichung geht.«
»Und weshalb dieser starke Organismus?« fragte Ned.
»Weil eine unberechenbare Kraft nötig ist, um sich in den tiefen Schichten aufzuhalten und dem Druck derselben zu widerstehen.«
»Wirklich?« sagte Ned, und sah mich blinzelnd an.
»Wirklich, und einige Zahlen werden es leicht beweisen.«
»O! Zahlen!« versetzte Ned. »Mit Zahlen lässt sich alles machen!«
»In Geschäften, Ned, aber nicht in der Mathematik. Hören Sie nur. Nehmen wir an, dass der Druck einer Atmosphäre dem Druck einer Wassersäule von zweiunddreißig Fuß Höhe gleich ist. In Wirklichkeit würde die Wassersäule nicht so hoch sein, weil das Meerwasser dichter ist als das süße. Nun, Ned, wenn Sie untertauchen, muss Ihr Körper, soviel mal er zweiunddreißig Fuß Wasser über sich hat, ebenso viel mal einen Druck gleich dem der Atmosphäre aushalten, nämlich ein Kilogramm auf jeden Quadratzentimeter seiner Oberfläche. Daraus folgt, dass bei dreihundertundzwanzig Fuß Tiefe dieser Druck gleich zehn Atmosphären gleichkommt, und hundert Atmosphären bei dreitausendzweihundert Fuß Tiefe, tausend Atmosphären bei zweiunddreißigtausend Fuß. Dies will ebenso viel heißen, als dass, wenn Sie bis in eine solche Tiefe gelangen können, jeder Quadratzentimeter der Oberfläche Ihres Körpers einen Druck von tausend Kilogramm zu erleiden haben würde. Nun, wissen Sie, wackerer Ned, wie viel Quadratzentimeter Oberfläche Ihr Körper hat?«
»Ich habe keine Ahnung davon, Herr Arronax.«
»Ungefähr siebzehntausend.«
»So viele?«
»Und da in Wirklichkeit der atmosphärische Druck etwas mehr als ein Kilogramm auf den Quadratzentimeter beträgt, so haben Ihre 17.000 Quadratzentimeter in diesem Augenblick einen Druck von 17.568 Kilogramm auszuhalten.«
»Ohne dass ich’s merke?«
»Ohne es wahrzunehmen. Und dass Sie nicht von einem solchen Druck zerquetscht werden, kommt daher, dass die Luft im Innern Ihres Körpers einen gleichen Druck ausübt. Es entsteht daraus ein vollständiges Gleichgewicht des inneren und äußeren Druckes, welche sich einander aufheben, sodass Sie es leicht aushalten. Im Wasser aber ist’s anders.«
»Ja, ich begreife«, erwiderte Ned, der aufmerksamer geworden war, »weil das Wasser mich umgibt, nicht ebenso mich durchdringt.«
»Richtig, Ned. Also bei 32 Fuß unter der Meeresoberfläche hätten Sie einen Druck von 17.568 Kilogramm auszuhalten; bei 320 Fuß diesen Druck zehnfach, nämlich 175.680 Kilogramm; bei 3.200 Fuß hundertfach, nämlich 1.756.800 Kilogramm; bei 32.000 Fuß endlich den tausendfachen Druck, nämlich von 17.568.000 Kilogramm; d.h. Sie würden platt gedrückt, wie unter den Platten einer hydraulischen Presse!«
»Teufel!« sagte Ned.
»Nun denn, mein werter Harpunier, wenn Wirbeltiere, die einige hundert Meter lang und verhältnismäßig dick sind, sich in solchen Tiefen aufhalten können, und ihre Oberfläche Millionen Zentimeter beträgt, so ist der Druck, welchen sie aushalten können, auf Milliarden Kilogramm anzuschlagen. Nun rechnen Sie, wie groß muss die Widerstandskraft ihres Knochenbaues und die Stärke ihres Organismus sein, um solchem Druck Widerstand zu leisten!«
»Sie müssen wohl«, versetzte Ned Land, »mit acht Zoll dickem Eisenblech beschlagen sein, wie die Panzerfregatten.«
»So ist’s, Ned, und nun denken Sie, was eine solche mit der Schnelligkeit eines Eilzugs wider einen Schiffsrumpf anstürzende Masse für Zerstörung anrichten kann.«
»Ja… wirklich… vielleicht«, erwiderte der Kanadier, der durch diese Ziffern zwar wankend geworden, doch sich noch nicht ergeben wollte.
»Nun, hab’ ich Sie überzeugt?«
»Sie haben, Herr Naturforscher, mich davon überzeugt, dass, wenn auf dem Grund des Meeres solche Tiere existieren, sie notwendig so stark sein müssen, wie Sie sagten.«
»Aber wenn sie nicht existieren, starrköpfiger Harpunier, wie erklären Sie dann den Unfall, welcher die Scotia traf?«
»Vielleicht…«, sagte Ned stotternd.
»Nun, nun!«
»Weil… es nicht wahr ist!« erwiderte der Kanadier, indem er, ohne es zu wissen, die Antwort, welche einmal der berühmte Arago4 gab, wiederholte.
Aber diese Antwort bewies doch nur die Hartnäckigkeit des Harpuniers. Damals drängte ich ihn nicht weiter. Der Unfall der Scotia war nicht zu leugnen. Das Loch war so stark, dass man es stopfen musste, und ich glaube nicht, dass das Vorhandensein eines Loches entschiedener bewiesen werden kann. Dieses Loch aber ist nicht von selbst entstanden, und da es nicht von Felsen oder Maschinen unterm Meer hervorgebracht worden ist, so ist es notwendig dem durchbohrenden Werkzeug eines Tieres zuzuschreiben.
Die Boote in Umgebung der Fregatte
Meiner Ansicht nach, und aus allen vorhin angeführten Gründen, gehörte nun dieses Tier der Abteilung der Wirbeltiere an, zur Klasse der Säugetiere, Gruppe der fischförmigen, und endlich zur Ordnung der walfischartigen. Zu welcher Familie es zu rechnen, Walfisch, Pottfisch oder Delfin, zu welcher Gattung und Art, wäre eine später zu beleuchtende Frage. Um diese zu lösen, müsste man das unbekannte Ungeheuer erst zerlegen; um es zu zerlegen, es fangen; um es zu fangen, die Harpune werfen; zum Harpunieren müsste man es sehen – was der Mannschaft zufiele; dafür aber müsste man ihm begegnen, was eine Sache des Zufalles ist.
die Bohrung des Laufs einer Schusswaffe <<<
nach François Rabelais, französischer Schriftsteller der Renaissance (1494–1553) <<<
Die Magellanstraße ist eine Meerenge mit zahlreichen Inseln und Seitenarmen zwischen dem südamerikanischen Festland und südlichen Inseln, vornehmlich der Insel Feuerland. Sie verbindet nördlich Südamerikas Südspitze den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean. <<<
Jacques Étienne Victor Arago, französischer Schriftsteller (1790–1854) <<<
Die Fahrt der Abraham Lincoln wurde eine Zeit lang von keinem Zwischenfall betroffen. Doch konnte man bei einer Gelegenheit, welche die merkwürdige Geschicklichkeit Ned Lands kund gab, erkennen, welches Vertrauen man auf ihn setzen konnte.
Auf der hohen See bei den Falkland Inseln begegnete die Fregatte am 30. Juni amerikanischen Walfischfängern, welche keine Kunde vom Narwal geben konnten. Als aber einer derselben, Kapitan der Monroe, erfuhr, dass Ned Land sich an Bord der Abraham Lincoln befand, so erbat er sich dessen Beistand, um auf einen Walfisch, der in Sicht war, Jagd zu machen. Der Kommandant Farragut, dem es erwünscht war, Ned Land sein Werk verrichten zu sehen, gab ihm die Erlaubnis, sich an Bord der Monroe zu begeben. Und unser Kanadier war so glücklich, dass er anstatt eines Walfischs mit einem Doppelwurf deren zwei harpunierte, indem er den einen ins Herz traf, des anderen nach einigen Minuten Meister ward!
Unstreitig, wenn das Ungeheuer jemals mit Ned Lands Harpune zu schaffen bekommt, gehe ich keine Wette zu seinen Gunsten ein.
Die Fregatte fuhr längs der Süd-Ostküste von Amerika mit erstaunlicher Schnelligkeit. Am 3. Juli waren wir am Eingang der Magellanischen Enge, auf der Höhe des Cap de las Virgines.1 Aber der Kommandant Farragut wollte diese gewundene Straße nicht einschlagen, und beschloss, um das Kap Horn zu fahren. Und in der Tat war es auch nicht wahrscheinlich, dass man in dieser Enge auf den Narwal stoßen werde.
Am 6. Juli, um drei Uhr abends fuhr die Abraham Lincoln, fünfzehn Meilen südlicher, um das Inselchen, den verlorenen Felsen am äußersten Ende des amerikanischen Kontinents, welchem holländische Matrosen den Namen ihrer Geburtsstadt Horn gegeben hatten. Nun fuhr man in nordwestlicher Richtung, und die Fregatte lief endlich in das Stille Meer ein. –
»Jetzt Achtung! Augen auf!« riefen wiederholt die Matrosen der Abraham Lincoln.
Und sie öffneten sie über die Maßen weit. Augen und Fernrohre, zwar durch die Perspektive der zweitausend Dollars etwas geblendet, blieben nicht einen Augenblick untätig. Tag und Nacht beobachtete man die Wasserfläche, und die Nachtsichtigen hatten mehr Aussicht das Spiel zu gewinnen.