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Der neapolitanische Robert Macaire. In dieser Humoreske geht es um den Nichtsnutz, Hochstapler und Betrüger Don Filippo Villani. Dieser Bösewicht verursachte nur Unglück in der Stadt und stand von den Toten wieder auf. Wirklich hatte durch die authentisch hergestellte Abstammung von Cagliostro, diesem glorreichen Ahnherrn und durch eine Reihe mehr oder minder seltsamer Kunststücke Don Filippo sich in Neapel in den Kredit eines Hexenmeisters gesetzt. — Man tat ihm Unrecht, er war ein Urbild: Don Filippo Villani war der neapolitanische Robert Macaire. Die Trauung auf dem Blutgerüst. Diese Erzählung handelt von dem Räuber und calabresischen Banditen Rocco del Pizzo, der schweres Leid erleben musste und der Regentin Isabelle von Aragonien die traurige Geschichte seiner Familie erzählte. Seine Schwester Constanza wurde vom Grafen Carracciolo entehrt, als sie um die Freilassung ihres Vaters bat, der bald danach starb. Die Regentin ordnete an, so wie es Rocco del Pizzo verlangte, dass der Graf Constanza unter dem Schafott heiraten musste und nach der Zeremonie hinzurichten sei. Quelle: Der Erzähler. Ein Unterhaltungsblatt für Jedermann. Nr. 5. - 8. 18./21./25./28 Januar 1843.
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Seitenzahl: 65
Veröffentlichungsjahr: 2021
Alexandre Dumas
Zwei Erzählungen
Texte: © Copyright by Alexandre Dumas Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke
Übersetzer: © Copyrigh by Walter Brendel
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Altenberger Straße 47
01277 Dresden
Inhalt
Impressum
Der neapolitanische Robert Macaire
Die Trauung auf dem Blutgerüst
1.
An dem Tage, wo wir nach der Straße Porcella kamen; gerieten wir in ein großes Gedränge, wir mussten aus dem Corricolo steigen, und unsern Weg zu Fuß fortsetzen. Eben wollten wir uns mit den Ellenbogen durch die Menge Platz machen, als es uns einfiel, nach der Ursache uns zu erkundigen, die sie hier versammelt hatte; wir erfuhren, es sei ein Prozess zwischen der Bruderschaft der Pilgrime und Don Filippo Villani vom Tribunal zu entscheiden. Der Grund dieses Prozesses war folgender: Der Beklagte, der sich vor einigen Tagen auf Kosten der Bruderschaft habe beerdigen lassen, sei nun vor Gericht geladen, um rechtlicher Ordnung nach den Beweis zu führen, dass er gestorben sei. Man sieht, der Prozess war originell genug, um einigen Zulauf einzuziehen. Wir fragten unsern Corricoloführer Francesco, wer Don Filippo Villani sei; im nämlichen Augenblicke deutete er aus ein Individuum, welches gerade eiligst an uns vorüber lief: »Hier ist er.«
»Der vor acht Tagen begraben wurde?«
»Derselbe.«
»Wie geht aber das zu?«
»Er wird wieder auferstanden sein.«
»Ist er denn ein Hexenmeister?«
»Stammt von Cagliostro ab.«
Wirklich hatte durch die authentisch hergestellte Abstammung von diesem glorreichen Ahnherrn und durch eine Reihe mehr oder minder seltsamer Kunststücke Don Filippo sich in Neapel in den Kredit eines Hexenmeisters gesetzt. — Man tat ihm Unrecht, er war ein Urbild: Don Filippo Villani war der neapolitanische Robert Macaire. Nur erhebt der neapolitanische Industrieritter sich weit über den französischem dieser letztere ist eine erdichtete Persönlichkeit, eine gesellschaftliche Fiktion, ein philosophischer Mythus; der ultramontane Robert Macaire ist dagegen ein Wesen von Fleisch und Blut, eine greifbare Individualität, eine sichtbare Exzentrizität.
Don Filippo ist ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, feurigen Augen, beweglichen Gesichtszügen, gellender Stimme, rascher und lebhafter Gestikulation; Don Filippo hat Alles gelernt, und weiß von Allem ein wenig: ein wenig Jus, ein wenig Medizin, ein wenig Chemie, ein wenig Mathematik, sein wenig Astronomie; daher kam es, dass er sich in Vergleichung mit allen seinen Umgebungen, sehr über die Andern erhaben fühlte, und diesem nach den Entschluss fasste, auf Kosten der Andern zu leben.
Don Filippo war zwanzig Jahre alt, als sein Vater starb, er hinterließ ihm gerade so viel Vermögen, als nötig war, um einige Schulden zu machen. Don Filippo war daraus bedacht, Gelder aufzunehmen, ehe er ganz ruiniert war, so dass seine ersten Wechsel pünktlich bezahlt wurden: es kam darauf an, seinen Kredit zu begründen. Aber jedes Ding aus dieser Welt hat ein Ende, es erschien ein Tag, wo Don Filippo zur Verfallzeit nicht zu Hause war: man kam am andern Morgen wieder, er war schon ausgegangen; man kam abends, er war noch nicht zu Hause. Der Wechsel ward protestiert. Die Folge davon war, dass Don Filippo aus den Händen der Bankiers in die der Geldwechsler überging, und künftig statt sechs Prozent zwölf bezahlen musste.
Nach Verlauf von vier Jahren war es für Don Filippo auch mit den Geldwechslern zu Ende gekommen, wie früher mit den Bankiers; nun kamen die Wucherer an die Reihe. Diese Veränderung ging ohne merklichen Eindruck vor sich nur dass statt zwölf Prozent Don Filippo deren fünfzig bezahlen sollte. Aber wenig lag ihm daran, da er jetzt anfing, gar nichts mehr zu bezahlen. Die Folge war, dass nach weiteren zwei Jahren Don Filippo die größte Mühe hatte, einen Juden zu finden, der ihm die benötigte Summe von tausend Thalern zu fünfzig Prozent zu leihen sich verstand. Endlich nach einer langen Reihe von Unterhandlungen, bei welchen Don Filippo das ganze vom Himmel ihm geschenkte Erfindungstalent in Bewegung gesetzt hatte, erschien der Sohn Isaaks bei Don Filippo mit seinem Wechselentwurfe: es war darin die Summe von neuntausend Franken verschrieben, der Jude brachte aber nur dreitausend; das hatte nichts zu bedeuten, es war so verabredet.
Don Filippo nahm den Wechsel, warf einen flüchtigen Blick darauf, griff nachlässig nach der Feder, tauchte sie schließlich ins Tintenfass, und setzte seine Unterschrift an den Schluss des Schreibens, schüttete eine Lage blauen Streusand auf die noch feuchte Tinte, und reichte dem Juden den Wechsel offen hin.
Der Jude beschaute das Papier; der Betrag und Unterschrift waren mit großen, sehr leserlichen Buchstaben geschrieben; er nickte zufrieden mit dem Kopfe, faltete den Wechsel zusammen, und legte ihn in eine alte Brieftasche, wo er bis zum Verfalltage bleiben sollte, denn Don Filippos Unterschrift hatte schon längst keinen Kurs mehr aus der Börse.
Am Verfalltage erschien der Jude bei Don Filippo; er war zu Hause, gegen seine Gewohnheit, und war sichtbar, gegen Erwartung. Der Jude ward vorgelassen.
»Signore,« sagte er mit einem tiefen Bückling gegen seinen Schuldner, »ich hoffe, Sie haben nicht vergessen, dass heute der Verfalltag unsers Wechselchens ist.«
»Nein, lieber Herr Felix«, erwiderte Don Filippo. — Der Jude hieß Felix.
»In dem Fall, hoffe ich,« sagte der Jude, »werden Sie die Maßregeln genommen haben, Alles richtig zu machen?«
»Daran habe ich noch keinen Augenblick gedacht.«
»Dann werben Sie wissen, dass ich Sie belangen werde?«
»Immerhin.«
»Es ist Ihnen bekannt, dass ein Wechsel den Personalarrest nach sich zieht? «
»Ich weiß das.«
»Und damit Sie nicht Unwissenheit vorschützen, so mache ich Ihnen kund, dass ich stehenden Fußes gehe, Sie vorladen zu lassen.«
»Kann geschehen.«
Der Jude ging brummend fort und ließ Don Filippo auf den achten Tag vorladen.
Don Filippo erschien vor dem Tribunal. — Der Jude trug seine Klage vor.
»Anerkennen Sie die Schuld?« fragte der Richter.
»Nicht allein, dass ich sie nicht anerkenne,« erwiderte Don Filippo, »ich weiß nicht einmal, was der Herr will.«
»Übergeben Sie Ihre Urkunde dem Tribunal,« sagte der Richter zum Kläger.
Der Jude nahm den von Don Filippo unterzeichneten Wechsel aus der Brieftasche, und gab ihn, zusammengefaltet, wie er war, dem Richter hin. — Der Richter warf einen Blick darauf; »Ja,« sprach der Richter, »das ist allerdings ein Wechsel, ich sehe aber weder Betrag noch Unterschrift.«
»Was!« schrie Felix und entfärbte sich.
»Lesen Sie selbst,« sagte der Richter, und gab den Wechsel dem Kläger zurück.
Der Jude wäre beinahe rücklings niedergefallen. Der Betrag und die Unterschrift waren in der Tat, verschwunden, wie durch Zauberei.
»Infamer Spitzbube!« schrie er, gegen Filippo gewendet; »das sollst du mir teuer bezahlen!«
»Verzeihung, mein lieber Herr Felix, Sie irren sich, Sie werden im Gegenteil mir bezahlen.« Dann wendete er sich an den Richter:
»Exzellenz,« sprach er, »wir bitten um einen Akt darüber, dass wir soeben in Gegenwart des Tribunals beleidiget worden sind, ohne alle Ursache.«
»Wir gewähren es,« sprach der Richter.
Mit seinem Akte versehen, belangte Don Filippo den Juden auf Diffamation, und da die Beleidigung öffentlich geschehen war, so blieb das Urteil nicht lange aus. — Der Jude wurde zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von tausend Thalern verurteilt.
Nun wollen wir das Wunder erklärten — Statt in die Tinte zu tauchen, hatte Don Filippo die Feder nur in seinen Mund getaucht und so benetzt, und auf die Feuchten Buchstaben blauen Streusand geschüttet. Der Streusand hatte die Züge richtig dargestellt, aber nachdem alles getrocknet war, fiel der Sand herunter, und mit ihm Betrag und Unterschrift.
Don Filippo gewann sechstausend Franken mit diesem Taschenspielerstückchen, aber er verlor den Rest seines Kredits; es ist zwar richtig, dass ihm dieser Rest allem Anschein nach keine sechstausend Franken eingetragen hätte.