Zwei Jahre Ferien - Jules Verne - E-Book

Zwei Jahre Ferien E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Mit 79 Zeichnungen Was für eine Traumvorstellung: lange Ferien für alle! Aber die bunte Schülerschar, die sich an Bord eines gestrandeten Schiffes befand, muss jetzt ohne die Hilfe von Erwachsenen im Kampf ums Überleben die aufregendsten Abenteuer bestehen. Eine klassische Robinsonade mit wilden Tieren, Zivilisationsstreitigkeiten und dem Kampf gegen äußere Feinde. Ein etwas anderer Verne. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

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Jules Verne

Zwei Jahre Ferien

Ausgabe in zwei Bänden

Jules Verne

Zwei Jahre Ferien

Ausgabe in zwei Bänden

(Deux ans de vacances)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Unbekannt, Jürgen Schulze EV: A. Hartleben, Pest, Leipzig, 1889 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-87-9

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Vor­wort

Band 1

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sieb­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Band 2

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze null-pa­pier.de/kon­takt

Ju­les Ver­ne bei Null Pa­pier

Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen

Mi­cha­el Strogoff - Der Ku­ri­er des Za­ren

Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer

Eine Idee des Dok­tor Ox

Eine Über­win­te­rung im Eis

Schwarz-In­di­en – Oder: Die Stadt un­ter der Erde

Fünf Wo­chen im Bal­lon

Ro­bur der Ero­be­rer

Der Herr der Welt

Von der Erde zum Mond

und wei­te­re …

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Vorwort

Band 1

Erstes Kapitel

Der Sturm. — Ein ver­irr­ter Scho­ner. — Vier Kna­ben auf dem Ver­deck des »Sloug­hi«. — Das Fock­se­gel in Stücken. — Im In­nern der Yacht. — Der hal­b­er­stick­te Schiffs­jun­ge. — Land in Sicht durch den Mor­gen­ne­bel. — Die Klip­pen­bank.

———

In der Nacht des 9. März 1860 be­schränk­ten die mit dem Mee­re fast zu­sam­men­flie­ßen­den Wol­ken die Seh­wei­te bis auf we­ni­ge Fa­den­län­gen.

Auf dem em­pör­ten Was­ser, des­sen Wo­gen, fah­le Lich­ter wer­fend, ein­her­stürm­ten, flog ein leich­tes Fahr­zeug fast se­gel­los da­hin.

Es war eine Yacht von hun­dert Ton­nen — ein Scho­ner, mit wel­chem Na­men man in Eng­land und Ame­ri­ka sol­che Go­elet­ten1 be­zeich­net.

Die­ser Scho­ner führ­te den Na­men »Sloug­hi«; doch ver­ge­bens hät­te man den­sel­ben am Ach­ter des Fahr­zeugs zu le­sen ge­sucht, da die be­tref­fen­de Ta­fel­plan­ke durch ir­gend­ei­nen Zu­fall — durch An­prall der Wo­gen oder Kol­li­si­on — un­ter der Re­ling zum größ­ten Teil ab­ge­sprengt war.

Es war jetzt um elf Uhr nachts. Un­ter den Brei­ten, wo sich das Schiff be­fand, sind die Näch­te zu An­fang des März noch kurz. Das ers­te Ta­ges­grau­en war etwa ge­gen fünf Uhr mor­gens zu er­war­ten. Doch ver­min­der­ten sich da­mit, dass die Son­ne den Wel­traum er­leuch­te­te, die Ge­fah­ren, wel­che den »Sloug­hi« be­droh­ten? Blieb das ge­brech­li­che Fahr­zeug nicht noch im­mer der Gna­de der un­ge­heu­ren Wo­gen an­heim­ge­ge­ben? Un­zwei­fel­haft; nur die Be­sänf­ti­gung der hoh­len See, das Ab­flau­en des wü­ten­den Stur­mes konn­te das­sel­be vor dem ent­setz­lichs­ten Schiff­bruch be­wah­ren, vor dem auf of­fe­nem Mee­re, fern von je­dem Land, auf dem die Über­le­ben­den viel­leicht hät­ten Ret­tung fin­den kön­nen.

Auf dem Hin­ter­teil des »Sloug­hi« stan­den drei Kna­ben, der eine im Al­ter von vier­zehn, die bei­den an­de­ren in dem von drei­zehn Jah­ren, und au­ßer­dem ein zwölf­jäh­ri­ger Schiffs­jun­ge von Ne­ger­el­tern, am Steu­er­rad. Hier ver­ei­nig­ten sie ihre Kräf­te, um den seit­wärts an­stür­men­den Wel­len, wel­che die Yacht quer­zu­le­gen droh­ten, Wi­der­stand zu leis­ten. Es war ein har­tes Stück Ar­beit, denn das trotz ih­res Ent­ge­gen­stem­mens sich dre­hen­de Rad schi­en sie je­den Au­gen­blick über die Schanz­klei­dung schleu­dern zu kön­nen. Kurz vor Mit­ter­nacht brach auch ein­mal eine sol­che Was­ser­mas­se über die Sei­te der Yacht her­ein, dass es ein Wun­der zu nen­nen war, als das Steu­er der­sel­ben noch glück­lich stand­hielt.

Die Kna­ben wur­den zwar von dem Sto­ße um­ge­wor­fen, konn­ten sich aber so­fort wie­der er­he­ben.

»Ge­horcht es noch dem Steu­er, Bri­ant?« frag­te ei­ner der­sel­ben.

»Ja, Gor­don«, ant­wor­te­te Bri­ant, der sei­nen Platz schon wie­der ein­ge­nom­men und of­fen­bar die ge­wohn­te Kalt­blü­tig­keit be­wahrt hat­te.

Da­rauf wand­te er sich an den Drit­ten.

»Fest­hal­ten, Do­ni­phan«, rief er, »und auf kei­nen Fall den Mut ver­lie­ren …! Es gilt, au­ßer uns auch noch an­de­re zu ret­ten!«

Die­se Wor­te wur­den eng­lisch ge­spro­chen, doch ver­riet der Ton­fall bei Bri­ant die fran­zö­si­sche Ab­kunft.

Die­ser kehr­te sich nach­her nach dem Schiffs­jun­gen um.

»Du bist doch nicht ver­letzt, Moko?«

»Nein, Herr Bri­ant«, er­klär­te der Ge­frag­te. »Doch las­sen Sie uns dar­auf ach­ten, die Yacht ge­ra­de ge­gen die Wel­len zu hal­ten, sonst lau­fen wir Ge­fahr, ver­senkt zu wer­den!«

Eben wur­de die Kap­pen­tür der nach dem Sa­lon des Scho­ners hin­ab­füh­ren­den Trep­pe has­tig ge­öff­net.

»Bri­ant …! Bri­ant!« rief ein Kind von neun Jah­ren. »Was ist denn ge­sche­hen?«

»Nichts, Iver­son, gar nichts«, er­wi­der­te Bri­ant. »Geh mit Dole wie­der hin­un­ter, aber recht schnell!«

»Ach, wir fürch­ten uns so sehr!« ließ sich das zwei­te, noch et­was jün­ge­re Kind ver­neh­men.

»Und die an­de­ren?« frag­te Do­ni­phan.

»Die an­de­ren auch!« ver­si­cher­te Dole.

»Nun geht nur alle hin­un­ter«, er­mahn­te Bri­ant. »Schließt euch fest ein, sucht eure La­ger­stät­ten auf und macht die Au­gen zu, dann wer­det ihr kei­ne Furcht mehr spü­ren. Ge­fahr ist nicht vor­han­den.«

»Ach­tung …! Wie­der eine große Wel­le!« rief Moko.

Ein ge­wal­ti­ger An­prall er­schüt­ter­te das Hin­ter­teil der Yacht. Dies­mal schlug die See glück­li­cher­wei­se nicht über, denn wenn das Was­ser in grö­ße­rer Men­ge durch die Trep­pen­tür ge­drun­gen wäre, hät­te sich die noch wei­ter be­las­te­te Yacht bei dem star­ken See­gang schwer­lich wie­der auf­rich­ten kön­nen.

»Macht doch, dass ihr hin­ein­kommt!« rief Gor­don. »Hin­un­ter, oder ihr be­komm­t’s mit mir zu tun!«

»Geht, geht hin­un­ter, ihr Klei­nen!« setz­te Bri­ant in freund­li­che­rem Ton hin­zu.

Die bei­den Köp­fe ver­schwan­den ge­ra­de in dem Au­gen­blick, wo ein an­de­rer am Trep­pen­aus­gang er­schei­nen­der Kna­be frag­te:

»Du be­darfst un­ser nicht, Bri­ant?«

»Nein, Bax­ter«, ant­wor­te­te die­ser. »Du magst mit Cross, Webb, Ser­vice und Wil­cox bei den Klei­nen blei­ben. Wir vier sind uns ge­nug.«

Bax­ter schloss wie­der sorg­fäl­tig die Tür.

»Die an­de­ren fürch­te­ten sich auch!« hat­te Dole ge­sagt.

Aber be­fan­den sich denn aus­schließ­lich Kin­der auf die­sem vom Or­kan ver­schla­ge­nen Scho­ner? — Ja, nichts als Kin­der. — Und wie vie­le wa­ren es? — Fünf­zehn, un­ter Ein­rech­nung Gor­d­ons, Bri­ants, Do­ni­phans und des Schiffs­jun­gen. — Durch wel­che Zu­fäl­lig­kei­ten die­se al­lein mit ih­rem Schiff ab­ge­se­gelt wa­ren, wer­den wir spä­ter er­fah­ren.

Und auf der Yacht be­fand sich kein er­wach­se­ner Mann? Kein Ka­pi­tän, um die­se zu füh­ren? Kein See­mann zur Be­die­nung des Se­gel­wer­kes und der Ta­ke­la­ge?2 Kein Steu­er­mann, um bei die­sem Sturm das Steu­er zu hand­ha­ben? — Nein, kein ein­zi­ger!

Eben­so hät­te kei­ne le­ben­de See­le an Bord ge­nau an­ge­ben kön­nen, an wel­chem Ort auf dem Ozean der »Sloug­hi« sich be­fin­de … Wel­cher Ozean war es über­haupt …? Der aus­ge­dehn­tes­te von al­len, das Stil­le Welt­meer, das sich über 140 Län­gen­gra­de von der Land­mas­se Aus­tra­li­ens und den Küs­ten Neu­see­lands bis zur Küs­te von Süd­ame­ri­ka er­streckt.

Was moch­te hier vor­ge­gan­gen sein? War die Be­sat­zung des Scho­ners durch einen Un­fall ver­un­gückt? Hat­ten ma­lai­ische See­räu­ber sie ent­führt und an Bord die jun­gen Pas­sa­gie­re, de­ren äl­tes­ter kaum vier­zehn Jah­re zähl­te, ih­rem Schick­sal über­las­sen? Eine Yacht von hun­dert Ton­nen er­for­dert min­des­tens einen Ka­pi­tän, einen Ober­steu­er­mann3 und fünf bis sechs Leu­te, und von die­sem zur Füh­rung des Schif­fes un­ent­behr­li­chen Per­so­nal war ein Schiffs­jun­ge al­lein üb­rig …! Wo­her end­lich kam die­ser Scho­ner, aus wel­chem aus­tra­li­schen Ge­biet oder wel­chem ozea­ni­schen Archi­pel? — Und wo­hin war er be­stimmt? Auf die­se Fra­gen, wel­che je­der Schif­fer ge­stellt hät­te, wenn ihm der »Sloug­hi« in die­sen ein­sa­men Mee­res­tei­len be­geg­net wäre, wür­den die Kin­der wohl ha­ben Ant­wort ge­ben kön­nen; es war je­doch we­der ein Se­gel in Sicht noch ei­ner je­ner trans­at­lan­ti­schen Damp­fer, de­ren Rei­se­rou­ten sich auf den Mee­ren Ozea­ni­ens kreu­zen; eben­so­we­nig ei­nes der un­ter Se­gel oder Dampf lau­fen­den Kauf­fahr­tei­schif­fe, wel­che Eu­ro­pa, wie Ame­ri­ka, zu Hun­der­ten nach den Hä­fen des Gro­ßen Ozeans ent­sen­det. Doch hät­te auch ei­nes je­ner mäch­ti­gen Fahr­zeu­ge, durch sei­ne Dampf­ma­schi­ne oder sei­ne große Be­se­ge­lung ge­gen den Sturm an­kämp­fend, sich in die­ser Ge­gend ge­zeigt, so wür­de es doch nicht in der Lage ge­we­sen sein, der von der rol­len­den See gleich ei­nem Spiel­ball um­her­ge­wor­fe­nen Yacht Hil­fe zu leis­ten.

In­zwi­schen wach­ten Bri­ant und sei­ne Ge­fähr­ten so gut sie konn­ten dar­über, dass der Scho­ner nicht nach der einen oder der an­de­ren Sei­te ab­ge­drängt wur­de.

»Was tun wir nun …?« frag­te da Do­ni­phan.

»Al­les, was uns mit Got­tes Hil­fe mög­lich sein wird, uns zu ret­ten«, ant­wor­te­te Bri­ant.

In der Tat ver­dop­pel­te der Sturm jetzt sei­ne Ge­walt. Der Wind weh­te »fu­der­wei­se«, wie die (fran­zö­si­schen) See­leu­te zu sa­gen pfle­gen, und wie­der­holt schi­en es, als müs­se der »Sloug­hi« bei dem schau­er­li­chen Un­wet­ter in Trüm­mer ge­hen. Seit achtund­vier­zig Stun­den re­de­los,4 der Groß­mast vier Fuß über den Deck­bal­ken ab­ge­bro­chen, hat­te man kein Schön­fahr­se­gel his­sen kön­nen, um das Schiff si­che­rer zu re­gie­ren. Der nur sei­ner Ober­bram­stan­ge be­raub­te Fock­mast stand zwar vor­läu­fig noch fest, doch war jede Mi­nu­te zu be­fürch­ten, dass er, wenn die Wan­ten (Schiffs­lei­tern) des­sel­ben ris­sen, sich auf das Deck her­ab­sen­ken wür­de. Vorn flat­ter­ten und klatsch­ten die Fet­zen des klei­nen Klü­ver­se­gels so laut wie der Knall ei­ner Feu­er­waf­fe. Als ein­zi­ges Se­gel­werk war nur das Fock­se­gel üb­rig, wel­ches aber eben­falls zu zer­rei­ßen droh­te, da die Kna­ben nicht Kraft ge­nug hat­ten, durch ein ein­ge­zo­ge­nes Reff sei­ne Ober­flä­che zu ver­klei­nern. Kam es auch noch dazu, so konn­te der Scho­ner nicht mehr im Strich des Win­des ge­hal­ten wer­den; die Wo­gen roll­ten dann von der Sei­te her über ihn her­ein, brach­ten ihn zum Ken­tern und zum Sin­ken, und da­mit ver­schwan­den sei­ne Pas­sa­gie­re im schau­er­li­chen Ab­grund.

Und bis­her war nach der of­fe­nen See zu kei­ne In­sel ent­deckt wor­den, kei­ne Li­nie fes­ten Lan­des im Os­ten auf­ge­taucht! Sich mit ei­nem Schiff auf den Strand zu set­zen, ist ein ent­setz­li­ches Ret­tungs­mit­tel, und doch wür­den die­se Kin­der es we­ni­ger ge­fürch­tet ha­ben als das Wü­ten des gren­zen­lo­sen Mee­res. Je­des be­lie­bi­ge Ufer hät­ten sie trotz et­wai­ger Un­tie­fen, Klip­pen, trotz des dar­auf stür­men­den Wo­gen­schwal­les und der Bran­dung, wel­che un­auf­hör­lich ge­gen die Fels­mau­ern don­nert, als win­ken­de Ret­tung be­grüßt, als fes­tes Land un­ter den Fü­ßen an­stel­le des Ozeans, der sie je­den Au­gen­blick zu ver­schlin­gen droh­te.

Auch nach ei­nem Lich­te, auf das sie hät­ten zu­steu­ern kön­nen, späh­ten sie ver­ge­bens …

Kein freund­li­cher Schein durch­drang das tie­fe Dun­kel der Nacht.

»Der Fock­mast ist ge­bro­chen!« rief Do­ni­phan.

»Nein; nur das Se­gel­tuch hat sich von den Saum­tau­en los­ge­ris­sen«, er­klär­te der Schiffs­jun­ge.

»Wir müs­sen uns des­sel­ben ent­le­di­gen«, mein­te Bri­ant. »Gor­don, bleib du mit Do­ni­phan am Rad, und du, Moko, hilfst mir!«

Wenn Moko als Schiffs­jun­ge ei­ni­ge nau­ti­sche Kennt­nis­se be­sit­zen muss­te, so gin­gen die­se auch Bri­ant nicht voll­stän­dig ab. Da er auf sei­ner Fahrt von Eu­ro­pa nach Ozea­ni­en den At­lan­ti­schen und den Stil­len Ozean durch­schifft, hat­te er sich mit der Füh­rung ei­nes Schif­fes ei­ni­ger­ma­ßen ver­traut ge­macht. Das er­klärt es, wes­halb die an­de­ren Kna­ben, wel­che da­von gar nichts ver­stan­den, Moko und ihm die Sor­ge, den Scho­ner zu füh­ren, hat­ten über­las­sen müs­sen.

In ei­nem Au­gen­blick wa­ren Bri­ant und der Schiffs­jun­ge un­er­schro­cken nach dem Vor­der­teil der Yacht ge­eilt. Um de­ren Dre­hung zu ver­hü­ten, muss­ten sie die­sel­be von dem Fock­se­gel be­frei­en, des­sen un­te­rer Teil eine Art Ta­sche bil­de­te und durch Ab­fan­gen des Win­des den Scho­ner so be­denk­lich nach seit­wärts neig­te, dass die­ser fast die Wel­len­käm­me be­rühr­te. Kam es aber erst so­weit, so konn­te die­ser sich nicht wie­der auf­rich­ten, wenn nicht der Fock­mast nach Spren­gung sei­ner me­tal­le­nen Put­tings ge­kappt wur­de; wie hät­ten Kin­der das in­des aus­füh­ren kön­nen?

Briant und Moko zeigten bemerkenswertes Geschick.

Un­ter die­sen schwie­ri­gen Um­stän­den be­wie­sen Bri­ant und Moko eine wirk­lich er­staun­li­che Ge­schick­lich­keit. In der Ab­sicht, an Lein­wand so viel wie mög­lich zu be­hal­ten, um den »Sloug­hi« wäh­rend der Dau­er des Stur­mes vor dem Win­de zu er­hal­ten, be­müh­ten sie sich — und zwar mit Er­folg — das His­stau der Rah zu lö­sen, wel­che sich nun bis auf vier bis fünf Fuß über dem Deck her­ab­senk­te. Nach Lost­ren­nung ein­zel­ner Fet­zen des Fock­se­gels mit­tels Mes­ser, wur­den des­sen un­te­re Ecken durch ei­ni­ge Hilfs­bras­sen an den Pflö­cken der Schanz­klei­dung be­fes­tigt, wo­bei die zwei mu­ti­gen Kna­ben frei­lich zwan­zig­mal in Ge­fahr ka­men, von Sturz­seen weg­ge­spült zu wer­den.

Un­ter die­ser bis aufs äu­ßers­te ver­min­der­ten Se­gel­flä­che konn­te dem Scho­ner we­nigs­tens die Rich­tung ge­si­chert wer­den, die er jetzt schon lan­ge Zeit ein­hielt. Schon der Druck des Win­des an sei­nem Rumpf al­lein ge­nüg­te üb­ri­gens, ihn mit der Schnel­lig­keit ei­nes Tor­pe­do­boo­tes da­hin­zu­ja­gen. Das war von Wich­tig­keit, weil es dar­auf an­kam, schnel­ler als die nachrol­len­den Wo­gen fort­zu­trei­ben, um von zu schwe­ren Sturz­seen über Back­bord frei zu blei­ben.

Nach Durch­füh­rung ih­rer Auf­ga­be kehr­ten Bri­ant und Moko wie­der zu Gor­don und Do­ni­phan zu­rück, um die­se beim Steu­ern zu un­ter­stüt­zen.

Eben jetzt öff­ne­te sich die Tür der Trep­pen­kap­pe zum zwei­ten Mal. Ein Kind steck­te den Kopf her­aus. Es war Jac­ques, der um drei Jah­re jün­ge­re Bru­der Bri­ants.

»Was willst du, Jac­ques?« frag­te ihn sein Bru­der.

»Komm! Komm schnell!« er­wi­der­te Jac­ques. »Im Sa­lon steht Was­ser!«

»Ist das mög­lich?« rief Bri­ant er­schreckt.

Ei­len­den Schrit­tes lief er nach der Kap­pe und sprang die Trep­pe hin­un­ter.

Den Sa­lon er­leuch­te­te nur ganz not­dürf­tig eine Hän­ge­lam­pe, wel­che bei dem Stamp­fen des Schif­fes hef­tig schwank­te. Beim Schein der­sel­ben er­blick­te man etwa zehn Kin­der auf den Pols­ter­bän­ken oder den La­ger­stät­ten des »Sloug­hi«. Die kleins­ten der­sel­ben — und es wa­ren sol­che von acht bis neun Jah­ren dar­un­ter — hat­ten sich in ih­rer To­des­angst dicht an­ein­an­der­ge­drängt.

»Es ist kei­ne Ge­fahr vor­han­den!« rief ih­nen Bri­ant, der sie zu­nächst be­ru­hi­gen woll­te, zu. »Wir sind ja da! Fürch­tet euch nicht!«

Da­rauf mit ei­ner Si­gnal­la­ter­ne den Fuß­bo­den des Sa­lons ab­leuch­tend, muss­te er sich über­zeu­gen, dass eine ge­wis­se Men­ge Was­ser in der Yacht von ei­nem Bord zum an­de­ren hin und wie­der flu­te­te.

Jetzt galt es fest­zu­stel­len, wo­her die­ses Was­ser kam und ob es wohl gar durch einen Sprung in der Sei­ten­wand ein­ge­drun­gen war.

Vor dem Sa­lon be­fand sich das große Zim­mer und wei­ter­hin der Spei­se­saal, dann die Woh­nung und dar­über das Wach­haus der Mann­schaft.

Briant durchsuchte alle diese Räumlichkeiten.

Bri­ant durch­such­te alle die­se Räum­lich­kei­ten und er­kann­te, dass das Was­ser we­der ober- noch un­ter­halb der Schwimm­li­nie ein­ge­drun­gen sein kön­ne. Das­sel­be war viel­mehr nur durch das Auf­bäu­men des Vor­ders­te­vens hier­her­ge­schleu­dert wor­den und rühr­te von Spritz­seen her, wel­che, über das Vor­der­teil schla­gend, teil­wei­se durch die zur Mann­schafts­woh­nung füh­ren­de Trep­pen­kap­pe Ein­gang nach dem In­nern ge­fun­den hat­ten. Von die­ser Sei­te droh­te also kei­ne ei­gent­li­che Ge­fahr.

Bri­ant be­ru­hig­te sei­ne Lei­dens­ge­fähr­ten, als er wie­der durch den Sa­lon kam, und nahm auch selbst mit größ­ter Zu­ver­sicht sei­nen Platz am Steu­er­rad wie­der ein. Der sehr so­li­de ge­bau­te und erst un­längst frisch ge­kup­fer­te Scho­ner zog kein Was­ser und ver­sprach auch dem An­prall der Wo­gen Wi­der­stand zu leis­ten.

Es war jetzt ein Uhr nachts, und wäh­rend schwe­re Wol­ken die Dun­kel­heit noch ver­schlim­mer­ten, ent­fes­sel­te sich der Or­kan zur schlimms­ten Wut. Die Yacht flog da­hin, als wäre sie völ­lig in Was­ser ein­ge­taucht. Scharf drang dann und wann der Schrei ei­nes Sturm­vo­gels durch die Luft. Von de­ren Er­schei­nen konn­te man je­doch kei­nes­wegs auf die Nähe ei­nes Lan­des schlie­ßen, denn man be­geg­net den­sel­ben oft meh­re­re hun­dert See­mei­len von der nächs­ten Küs­te. Üb­ri­gens au­ßer­stan­de, ge­gen den Sturm auf­zu­kom­men, folg­ten die Vö­gel die­sem viel­mehr eben­so wie der Scho­ner, des­sen Schnel­lig­keit kei­ne mensch­li­che Kraft zu hem­men ver­mocht hät­te.

Eine Stun­de spä­ter hör­te man an Bord wie­der et­was zer­rei­ßen. Der Rest des Fock­se­gels war in Stücke ge­gan­gen und die Lein­wand­fet­zen flat­ter­ten gleich rie­si­gen Mö­wen durch die Luft.

»Nun ha­ben wir kein Se­gel mehr«, rief Do­ni­phan, »und ein an­de­res zu set­zen ist ganz un­mög­lich.«

»Tut nichts!« ant­wor­te­te Bri­ant. »Ver­lass dich dar­auf, dass wir doch noch eben­so schnell vor­wärts kom­men.«

»Eine schö­ne Ant­wort!« er­wi­der­te Do­ni­phan. »Wenn das dei­ne Art und Wei­se zu ma­nö­vrie­ren ist …«

»Ach­tung auf die Wel­len von rück­wärts!« un­ter­brach ihn Moko. »Fest­ge­hal­ten oder wir wer­den weg­ge­schwemmt …«

Er hat­te den Satz kaum be­en­det, als meh­re­re Ton­nen Was­ser über das Back­bord her­ein­stürz­ten. Bri­ant, Do­ni­phan und Gor­don wur­den ge­gen die Trep­pen­kap­pe ge­schleu­dert, wo sie sich zum Glück noch an­klam­mern konn­ten. Der Schiffs­jun­ge da­ge­gen war ver­schwun­den mit der Was­ser­mas­se, wel­che sich in bro­deln­dem Schwall von hin­ten nach vor­ne über den »Sloug­hi« er­goss und da­bei einen Teil des Mast­wer­kes, die bei­den Boo­te und die Jol­le — ob­wohl die­se ganz her­ein­ge­holt wa­ren — so­wie meh­re­re Schiffs­bal­ken und das Kom­pass­häus­chen mit fort­riss. Da je­doch gleich­zei­tig die Schanz­klei­dung stre­cken­wei­se zer­stört war, konn­te das Was­ser schnell wie­der ab­flie­ßen, was die Yacht vor dem Un­ter­gan­ge durch die­se un­ge­heu­re Über­las­tung be­wahr­te.

»Moko …! Moko!« rief Bri­ant, so­bald er wie­der ein Wort spre­chen konn­te.

»Ist er etwa ins Meer ge­schleu­dert wor­den?« frag­te Do­ni­phan.

»Nein; doch man sieht und hört nichts von ihm«, er­klär­te Gor­don, der sich über die Re­ling hin­aus­ge­beugt hat­te.

»Wir müs­sen ihn ret­ten — ihm eine Ret­tungs­bo­je oder Stri­cke zu­wer­fen!« ant­wor­te­te Bri­ant.

Und mit lau­ter Stim­me, wel­che wäh­rend ei­ni­ger ru­hi­ge­rer Se­kun­den kräf­tig wi­der­hall­te, rief er noch ein­mal:

»Moko …! Moko.«

»Hier­her …! Zu Hil­fe!« er­klang die Ant­wort des klei­nen Ne­gers.

»Er liegt nicht im Meer«, sag­te Gor­don. »Sei­ne Stim­me kommt vom Vor­der­teil des Scho­ners her.«

»Ich wer­de ihn ret­ten!« rief Bri­ant.

So­fort tas­te­te er sich über das Deck hin un­ter ste­ter Vor­sicht, den Blö­cken und Rol­len aus­zu­wei­chen, wel­che lose an den her­ab­ge­las­se­nen Ra­hen5 hin­gen, und sich fest­klam­mernd, um bei den Be­we­gun­gen des Schif­fes auf dem schlüpf­ri­gen Ver­deck nicht um­ge­wor­fen zu wer­den.

Noch ein­mal hör­te er die Stim­me des Jun­gen, dann war al­les still.

Mit größ­ter An­stren­gung war es Bri­ant ge­lun­gen, die Trep­pen­kap­pe des Volks­lo­gis zu er­rei­chen.

Er rief laut …

Kei­ne Ant­wort.

War Moko etwa durch eine neue hef­ti­ge Schiffs­be­we­gung über Bord ge­schleu­dert wor­den, nach­dem er den letz­ten Schrei aus­ge­sto­ßen? In die­sem Fall muss­te der un­glück­li­che Bur­sche schon weit von ih­nen, weit hin­ter dem Win­de trei­ben, denn die Wel­len­be­we­gung konn­te ihn nicht mit glei­cher Schnel­lig­keit wie der Sturm den Scho­ner mit fort­ge­tra­gen ha­ben; dann war er ver­lo­ren …

Nein; eben drang wie­der ein schwa­cher Hil­fe­ruf bis zu Bri­ant, der nach dem Gang­spill6 eil­te, in des­sen Fuß das Ende des Bugs­priets ein­ge­las­sen war. Hier fand er einen sich um­her­win­den­den Kör­per.

Der Schiffs­jun­ge war es, halb ein­ge­klemmt zwi­schen die an der Spit­ze zu­sam­men­lau­fen­de Schanz­klei­dung. Ein His­stau, das er mit al­ler Kraft von sich ab­zu­drän­gen such­te, schnür­te ihm den Hals zu. Erst zu­rück­ge­hal­ten durch die­ses His­stau, als die ge­wal­ti­ge Woge ihn weg­spül­te, war er jetzt nahe dar­an, durch das­sel­be er­würgt zu wer­den.

Bri­ant riss sein Mes­ser her­aus, und nicht ohne Mühe ge­lang es ihm, das Hanftau, wel­ches den Schiffs­jun­gen fest­hielt, zu durch­schnei­den.

Moko wur­de nach dem Hin­ter­teil zu­rück­ge­führt.

»Dan­ke, Herr Bri­ant, dan­ke!« sag­te er, so­bald er die Spra­che wie­der­er­langt hat­te.

Dann nahm er sei­nen Platz am Steu­er­rad wie­der ein, und alle vier ban­den sich fest, um ge­gen die Was­ser­ber­ge, wel­che sich hin­ter dem »Sloug­hi« auf­türm­ten, ge­si­chert zu sein.

Ent­ge­gen der An­nah­me Bri­ants hat­te sich die Ge­schwin­dig­keit der Yacht doch et­was ver­min­dert, seit­dem vom Fock­se­gel gar nichts mehr üb­rig war — und dar­in lag eine neue Ge­fahr. Die jetzt schnel­ler als jene lau­fen­den Wel­len­ber­ge konn­ten über das Hin­ter­teil her­ein­bre­chen und sie mit Was­ser an­fül­len. Doch war da­ge­gen nichts zu tun und je­den­falls an das Auf­his­sen ei­nes Se­gels gar nicht zu den­ken.

Auf der süd­li­chen Halb­ku­gel der Erde ent­spricht der März dem Mo­nat Sep­tem­ber auf der nörd­li­chen, und die Näch­te sind noch nicht zu lang. Da es jetzt um die vier­te Mor­gen­stun­de war, konn­te es nicht mehr lan­ge wäh­ren, bis der Ho­ri­zont im Os­ten, also in der Rich­tung, nach der der »Sloug­hi« ge­trie­ben wur­de, sich auf­hel­len muss­te. Vi­el­leicht nahm die Ge­walt des Stur­mes mit an­bre­chen­dem Tage et­was ab. Vi­el­leicht kam auch ein Land in Sicht und das Los die­ser Kin­der­ge­sell­schaft ent­schied sich bin­nen we­ni­gen Mi­nu­ten. Wir wer­den das er­fah­ren, wenn das Mor­gen­rot erst die Tie­fen des Him­mels färbt.

Ge­gen vier­ein­halb Uhr glitt ein schwa­cher Licht­schein bis zum Ze­nit em­por. Un­glück­li­cher­wei­se be­schränk­te der Dunst in der Luft den Ge­sichts­kreis auf kaum eine Vier­tel­mei­le. Man fühl­te es fast, dass die Wol­ken mit un­ge­heu­rer Schnel­lig­keit da­hin­eil­ten. Der Or­kan hat­te nichts an Kraft ver­lo­ren, und weit hin­aus ver­schwand das Meer un­ter dem Schaum der sich über­stür­zen­den Wo­gen­käm­me. Kam der Scho­ner in ho­ri­zon­ta­le Lage mit die­sen, so wäre er, der jetzt ein­mal auf dem Schei­tel ei­ner Wel­le tanz­te und dann in das Tal der­sel­ben hin­un­ter­ge­stürzt wur­de, wohl zwan­zig­mal ge­ken­tert.

Die vier Kna­ben be­trach­te­ten un­ver­wandt das Cha­os der durch­ein­an­der wir­beln­den Flu­ten. Sie ahn­ten wohl, dass ihre Lage, wenn das Meer sich nicht bald be­ru­hig­te, eine ver­zwei­fel­te wer­den muss­te. Nim­mer­mehr hät­te der »Sloug­hi« noch wei­te­re vier­und­zwan­zig Stun­den dem An­prall der Wo­gen, wel­che zu­letzt doch die Trep­pen­kap­pen weg­rei­ßen muss­ten, Wi­der­stand leis­ten kön­nen.

Da er­tön­te aufs neue Mo­kos Stim­me:

»Land!« rief er ju­belnd. »Land!«

Durch einen Ne­bel­spalt glaub­te der Schiffs­jun­ge vor ih­nen im Os­ten die Um­ris­se ei­ner Küs­te er­kannt zu ha­ben. Täusch­te er sich nicht? Es ist oft gar so schwer, die schwa­chen Li­ni­en ei­nes Lan­des zu un­ter­schei­den, wenn von fern ge­se­hen die Wol­ken­schich­ten un­mit­tel­bar dar­auf la­gern.

»Ein Land.« … hat­te Bri­ant geant­wor­tet.

»Ja«, ver­si­cher­te Moko, »… ein Land … dort im Os­ten!«

Er wies da­bei nach ei­nem Punkt am Ho­ri­zont, den jetzt schon wie­der wal­len­de Ne­bel­mas­sen ver­hüll­ten.

»Bist du dei­ner Sa­che si­cher …?« frag­te Do­ni­phan.

»Ja …! Ja …! Ganz si­cher«, be­haup­te­te der klei­ne Ne­ger. »Wenn der Ne­bel wie­der ein­mal zer­reißt, so seht nur scharf dort­hin, et­was nach rechts vom Fock­mast … da … Ach­tung … da un­ten …!«

Die sich eben öff­nen­den Ne­bel­mas­sen lös­ten sich all­mäh­lich von der Mee­res­flä­che, um nach hö­he­ren Zo­nen auf­zu­stei­gen. Ei­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter war der Ozean auf die Stre­cke von meh­re­ren See­mei­len vor der Yacht klar zu über­se­hen.

»Ja … Land …! Das ist Land …!« rief Bri­ant.

»Und ein sehr nied­ri­ges Land!« setz­te Gor­don hin­zu, der die ge­mel­de­te Küs­te schär­fer ins Auge ge­fasst hat­te.

Jetzt konn­te kein Zwei­fel mehr auf­kom­men. Auf ei­ner brei­ten Stre­cke des Ho­ri­zon­tes zeich­ne­te sich Land, ein Kon­ti­nent oder eine In­sel, in deut­li­cher Li­nie ab. Das­sel­be moch­te fünf bis sechs See­mei­len von hier ent­fernt sein. Bei der Rich­tung, der er folg­te und aus der ab­zu­wei­chen der Sturm ihm gar nicht er­laub­te, muss­te der »Sloug­hi« bin­nen ei­ner Stun­de un­be­dingt auf das­sel­be ge­wor­fen wer­den. Da­bei war frei­lich zu be­fürch­ten, dass er zer­trüm­mert wur­de, vor­züg­lich wenn ihn Klip­pen auf­hiel­ten, be­vor er den ei­gent­li­chen Strand er­reich­te.

Hieran dach­ten die Kna­ben je­doch gar nicht. In dem Lan­de, wel­ches so un­er­war­tet sich ih­ren Bli­cken dar­bot, sa­hen sie nur das Heil, die win­ken­de Ret­tung.

In die­sem Au­gen­blick be­gann der Wind wie­der stär­ker zu we­hen. Wie eine Fe­der da­von­ge­tra­gen, stürm­te der »Sloug­hi« auf die Küs­te zu, wel­che sich scharf wie ein Tin­ten­strich vom weiß­li­chen Grund des Him­mels ab­hob. Hin­ter dem Strand er­hob sich näm­lich ein hö­he­res Ufer­land, das aber nicht mehr als hun­dert­fünf­zig bis zwei­hun­dert Fuß auf­stei­gen moch­te. Vor ihm dehn­te sich ein gelb­li­cher Strand aus, zur Rech­ten ein­ge­rahmt von ab­ge­run­de­ten Mas­sen, wel­che ei­nem Wald im In­nern an­zu­ge­hö­ren schie­nen.

Oh, wenn der »Sloug­hi« die­ses san­di­ge Vor­land er­rei­chen konn­te, ohne auf eine Klip­pen­rei­he zu sto­ßen, wenn die Mün­dung ei­nes Flus­ses ihm Zuf­lucht bot — dann, ja dann konn­ten sei­ne jun­gen Pas­sa­gie­re noch heil und ge­sund da­von­kom­men!

Wäh­rend Do­ni­phan, Gor­don und Moko am Steu­er blie­ben, hat­te Bri­ant sich nach dem Vor­der­deck be­ge­ben und be­trach­te­te das sich sicht­lich nä­hern­de Land; so schnell schos­sen sie da­hin. Ver­ge­bens such­te er aber eine Stel­le, wo die Yacht hät­te un­ter güns­ti­gen Be­din­gun­gen an­lau­fen kön­nen. Hier zeig­te sich we­der die Mün­dung ei­nes Flus­ses oder Ba­ches, noch selbst ein flach ins Meer ab­fal­len­der san­di­ger Strand, auf dem man mit ei­nem Sto­ße fest­fah­ren konn­te. Vor dem Strand hin näm­lich streck­te sich eine Rei­he von Klip­pen, de­ren schwärz­li­che Häup­ter bei den auf und ab schwan­ken­den Wo­gen auf­tauch­ten und wie­der ver­schwan­den und an wel­chen das Was­ser fort­wäh­rend schäu­mend bran­de­te. Hier muss­te der »Sloug­hi« beim ers­ten Stoß in Stücke ge­hen.

Bri­ant sag­te sich da, dass es bes­ser sei, im Au­gen­blick der Stran­dung alle sei­ne Ka­me­ra­den auf dem Deck zu ha­ben. Er öff­ne­te also die Tür der Kap­pe und rief hin­un­ter:

»Alle, alle her­auf!«

So­fort kam ein Hund her­aus­ge­sprun­gen und ihm folg­ten zehn Kin­der, die sich nach dem Hin­ter­teil der Yacht dräng­ten. Die kleins­ten stie­ßen beim An­blick der ber­ge­ho­hen Wel­len ein ent­setz­li­ches Angst­ge­schrei aus.

Kurz vor sechs Uhr mor­gens war der »Sloug­hi« bis an den Rand des Klip­pen­gür­tels her­an­ge­kom­men.

»Jetzt fest­hal­ten!« rief Bri­ant. »Tüch­tig fest­hal­ten!«

Die Klei­der halb ab­ge­legt, hielt er sich be­reit, de­nen zu Hil­fe zu sprin­gen, wel­che der Wo­gen­schlag etwa fort­riss, denn si­cher­lich wur­de die Yacht über die Klip­pen hin­ge­wälzt.

Da mach­te sich ein ers­ter Stoß fühl­bar. Der »Sloug­hi« stampf­te mit sei­nem Hin­ter­teil auf einen Fel­sen, aber trotz der ge­wal­ti­gen Er­schüt­te­rung des gan­zen Schiffs­rump­fes drang doch kein Was­ser durch des­sen Plan­ken­wand.

Von ei­ner zwei­ten Wel­le ge­ho­ben, wur­de er ge­gen fünf­zig Fuß wei­ter ge­tra­gen, dies­mal ohne die Klip­pen zu strei­fen, wel­che an un­zäh­li­gen Stel­len em­por­starr­ten. End­lich blieb er, nach Back­bord ge­neigt, in­mit­ten der ko­chen­den Bran­dung lie­gen.

Wenn auch nicht im of­fe­nen Meer, so be­fand er sich doch noch eine Vier­tel­mei­le vom Strand ent­fernt.

Scho­ner-Se­gel­schiff mit zwei Mas­ten, von de­nen der hin­te­re hö­her als der vor­de­re ist.  <<<

Die Ta­ke­la­ge ei­nes Schif­fes um­fasst al­les für die Be­mas­tung so­wie die Be­se­ge­lung er­for­der­li­che Tau­werk nebst Be­fes­ti­gun­gen.  <<<

Der ers­te Steu­er­mann auf großen Se­gel­schif­fen, in der Ma­ri­ne ein Deck­of­fi­zier.  <<<

macht­los  <<<

waa­ge­rech­te Stan­gen am Mast, an de­nen die Se­gel be­fes­tigt sind  <<<

Spill mit senk­rech­ter Wel­le, in des­sen Kopf Spei­chen ein­ge­setzt wer­den, die von den Ma­tro­sen im Rund­gang her­um­ge­dreht wer­den, um (An­ker)ket­ten auf- und ab­zu­win­den  <<<

Zweites Kapitel

In der Bran­dung. — Bri­ant und Do­ni­phan. — Die Küs­te. — Vor­be­rei­tun­gen zur Ret­tung. — Das um­strit­te­ne Boot. — Von der Höhe des Fock­mas­tes. — Ein mu­ti­ges Un­ter­neh­men Bri­ants. — Eine Fol­ge der Spring­flut.

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Die von der Ne­bel­wand be­frei­te At­mo­sphä­re ge­stat­te­te jetzt einen wei­ten Aus­blick rings um den Scho­ner. Die Wol­ken flo­gen noch im­mer mit ra­sen­der Schnel­lig­keit am Him­mel hin, der Sturm hat­te noch im­mer nicht aus­ge­wü­tet. Vi­el­leicht peitsch­te er die­ses un­be­kann­te Ge­biet des Stil­len Ozeans aber doch nur mit sei­nen letz­ten Aus­läu­fern.

Das war min­des­tens höchst wün­schens­wert, denn die Lage des »Sloug­hi« war jetzt nicht min­der be­ängs­ti­gend als in der Nacht, wo er ge­gen das em­pör­te Meer an­kämpf­te. Ei­nes sich an das an­de­re schmie­gend, muss­ten die­se Kin­der sich ver­lo­ren glau­ben, wenn eine Woge über die Schanz­klei­dung schlug und sie alle mit Schaum be­deck­te. Die Stö­ße wa­ren jetzt de­sto här­ter, da der Scho­ner den­sel­ben nicht frei nach­ge­ben konn­te. Je­den­falls er­zit­ter­te er bei je­dem An­prall bis in alle Rip­pen und doch schi­en es nicht, als ob sei­ne Wand ge­bors­ten wäre, we­der als er den Rand der Klip­pen streif­te, noch als er sich zwi­schen den Köp­fen der Klip­pen so­zu­sa­gen fest­keil­te. Bri­ant und Gor­don, die nach den un­te­ren Räu­men ge­gan­gen wa­ren, über­zeug­ten sich we­nigs­tens, dass noch kein Was­ser in den Rumpf ein­drang.

Sie be­ru­hig­ten in die­ser Hin­sicht nach Mög­lich­keit ihre Ka­me­ra­den, vor­züg­lich die kleins­ten der­sel­ben.

»Habt nur kei­ne Angst …!« wie­der­hol­te Bri­ant im­mer wie­der. »Die Yacht ist fest ge­baut …! Der Strand ist nicht mehr fern …! War­tet nur, wir wer­den den Strand schon er­rei­chen!«

»Und warum sol­len wir war­ten?« frag­te Do­ni­phan.

Doniphan

»Ja … Wa­rum denn …?« setz­te ein an­de­rer, zwölf­jäh­ri­ger Kna­be, Wil­cox mit Na­men, hin­zu. »Do­ni­phan hat recht. Wa­rum denn war­ten?«

»Weil der See­gang noch zu schwer ist und uns auf die Fel­sen schleu­dern wür­de«, er­wi­der­te Bri­ant.

»Und wenn die Yacht nun in Stücke geht …?« rief ein drit­ter Kna­be, na­mens Webb, der mit Wil­cox etwa gleich­alt­rig war.

»Ich glau­be nicht, dass das zu be­fürch­ten ist«, ant­wor­te­te Bri­ant, »min­des­tens nicht mehr, wenn die Ebbe ein­tritt. So­bald das Was­ser sich so­weit zu­rück­ge­zo­gen hat, wie der Sturm das zu­lässt, wer­den wir an un­se­re Ret­tung ge­hen!«

Bri­ant hat­te völ­lig recht. Ob­wohl die Ge­zei­ten im Stil­len Ozean ver­hält­nis­mä­ßig schwach auf­tre­ten, so kön­nen sie doch zwi­schen Flut und Ebbe eine nicht un­be­trächt­li­che Ver­schie­den­heit des Was­ser­stan­des her­vor­brin­gen. Es war also von Vor­teil, ei­ni­ge Stun­den zu war­ten, zu­mal wenn dann auch der Wind ab­flau­te. Vi­el­leicht leg­te die Ebbe einen Teil der Klip­pen tro­cken; dann war es leich­ter, den Scho­ner zu ver­las­sen und die letz­te Vier­tel­mei­le bis zum Strand zu über­win­den.

So ver­nünf­tig die­ser Rat in­des er­schi­en, zeig­ten sich Do­ni­phan und zwei oder drei an­de­re doch gar nicht ge­neigt, dem­sel­ben Fol­ge zu ge­ben. Sie tra­ten auf dem Vor­der­deck zu­sam­men und spra­chen ge­dämpf­ten To­nes mit­ein­an­der. Es trat schon klar zu­ta­ge, dass Do­ni­phan, Wil­cox, Webb und ein an­de­rer Kna­be, na­mens Cross, kei­ne Lust hat­ten, sich mit Bri­ant zu ver­stän­di­gen. Wäh­rend der lan­gen Fahrt des »Sloug­hi« leis­te­ten sie ihm noch Ge­hor­sam, weil Bri­ant, wie er­wähnt, ei­ni­ge see­män­ni­sche Er­fah­rung be­saß. Sie heg­ten da­bei aber stets den Ge­dan­ken, so­fort nach dem Wie­der­be­tre­ten ei­nes Lan­des sich ihre Frei­heit des Han­delns zu wah­ren — vor al­len Do­ni­phan, der sich durch ge­nos­se­nen Un­ter­richt und na­tür­li­che Ver­an­la­gung so­wohl Bri­ant wie al­len sei­nen Ka­me­ra­den über­le­gen dünk­te. Die­se Ei­fer­sucht Do­ni­phans ge­gen Bri­ant be­stand üb­ri­gens schon seit lan­ger Zeit, und schon weil letz­te­rer von Ge­burt Fran­zo­se war, emp­fan­den jun­ge Eng­län­der we­nig Nei­gung, sich sei­ner Ober­herr­schaft zu fü­gen.

Es lag also die Be­fürch­tung nahe, dass die­se Um­stän­de den Ernst der oh­ne­hin be­un­ru­hi­gen­den Lage noch ver­schlim­mern könn­ten.

In­zwi­schen be­trach­te­ten Do­ni­phan, Wil­cox, Cross und Webb das schäu­men­de, von Wir­beln auf­ge­reg­te und von Strö­mun­gen hin­ge­ris­se­ne Was­ser, wel­ches frei­lich schwer zu über­win­den schi­en. Der ge­üb­tes­te Schwim­mer hät­te der Bran­dung des zu­rück­sin­ken­den Mee­res, wel­ches der Sturm von rück­wärts pack­te, nicht zu wi­der­ste­hen ver­mocht. Der Rat­schlag, ei­ni­ge Stun­den zu war­ten, recht­fer­tig­te sich also von selbst. Do­ni­phan und sei­ne Ka­me­ra­den muss­ten das end­lich ein­se­hen, und so kehr­ten sie wie­der nach dem Hin­ter­deck zu­rück, wo die Klei­nen sich auf­hiel­ten.

Da sag­te Bri­ant zu Gor­don und ei­ni­gen an­de­ren, die ihn um­stan­den:

»Wir dür­fen uns auf kei­nen Fall tren­nen …! Blei­ben wir zu­sam­men, oder wir sind ver­lo­ren!«

»Du nimmst dir doch nicht her­aus, uns Vor­schrif­ten ma­chen zu wol­len?« rief Do­ni­phan, der jene Wor­te ver­stan­den hat­te.

»Ich neh­me mir gar nichts her­aus«, ant­wor­te­te Bri­ant, »und ver­lan­ge nichts, als dass wir zum Hei­le al­ler ver­ei­nigt han­deln.«

»Bri­ant hat recht«, er­klär­te Gor­don, ein erns­ter, schweig­sa­mer Kna­be, der nie sprach, ohne sei­ne Wor­te reif­lich er­wo­gen zu ha­ben.

»Ja …! Ja …!« rie­fen ein­zel­ne der Klei­nen, wel­che eine Art ge­hei­mer In­stinkt trieb, sich an Bri­ant an­zu­schlie­ßen.

Do­ni­phan er­wi­der­te nichts mehr; doch er und sei­ne Ka­me­ra­den hiel­ten sich ab­seits in Er­war­tung der Stun­de, wo zur Ret­tung ge­schrit­ten wer­den soll­te.

Doch wel­ches Land lag ei­gent­lich vor ih­nen? Ge­hör­te es zu ei­ner der In­seln des Stil­len Ozeans oder zu ei­nem Fest­land? Die­se Fra­ge muss­te vor­läu­fig of­fen­blei­ben, da der »Sloug­hi« sich viel zu nahe dem Ufer be­fand, um einen hin­rei­chen­den Ge­sichts­kreis über­bli­cken zu kön­nen. Sei­ne hoh­le, eine ge­räu­mi­ge Bucht bil­den­de Mas­se lief in zwei Vor­ge­bir­ge aus — das eine ziem­lich hoch und nach Nor­den zu scharf ab­ge­schnit­ten, das an­de­re in ei­ner nach Sü­den vor­ge­streck­ten Spit­ze en­di­gend. Ver­ge­bens such­te aber Bri­ant mit ei­nem der an Bord be­find­li­chen Fern­roh­re zu er­ken­nen, ob das Meer jen­seits die­ser Vor­ber­ge die Ufer­li­ni­en ei­ner In­sel ba­de­te.

Im Fall die­ses Land näm­lich eine In­sel war, ent­stand die erns­te Fra­ge, wie man die­se wie­der ver­las­sen kön­ne, wenn es sich als un­mög­lich er­wies, den Scho­ner wie­der flottz­u­ma­chen, den die nächs­te Flut schon da­durch, dass sie ihn auf den Klip­pen hin und her warf, elend zer­trüm­mern muss­te. Und war die­se In­sel oben­drein un­be­wohnt — sol­che gibt es im Stil­len Ozean gar vie­le —, wie soll­ten auf sich selbst an­ge­wie­se­ne Kin­der, die nichts be­sa­ßen, als was ih­nen viel­leicht von den Vor­rä­ten der Yacht zu ber­gen ge­lang, sich die not­wen­digs­ten Le­bens­be­dürf­nis­se ver­schaf­fen?

Auf fes­tem Land da­ge­gen hät­te sich die Aus­sicht auf Ret­tung ent­schie­den ver­bes­sert, weil die­ses Fest­land kein an­de­res als Süd­ame­ri­ka sein konn­te. Da muss­ten sie, auf dem Ge­biet von Chi­le oder Bo­li­vi­en, je­den­falls Hil­fe fin­den und wenn auch nicht so­fort, so doch we­ni­ge Tage nach statt­ge­hab­ter Lan­dung. Frei­lich wa­ren auf die­sen Nach­bar­ge­bie­ten der Pam­pas man­cher­lei schlim­me Be­geg­nun­gen zu fürch­ten — jetzt han­del­te es sich aber ein­zig dar­um, über­haupt erst das Land zu er­rei­chen.

Die Wit­te­rung war jetzt klar ge­nug ge­wor­den, um alle Ein­zel­hei­ten des­sel­ben zu er­ken­nen, und deut­lich un­ter­schied man das Vor­land des Stran­des, das hohe, die­sen im Hin­ter­grund ein­rah­men­de Ufer, nebst ver­schie­de­nen, auf letz­te­rem zer­streu­ten Baum­grup­pen. Bri­ant er­kann­te so­gar die Mün­dung ei­nes Rio rechts am Ufer.

Wenn der An­blick die­ser Küs­te auch nichts be­son­ders An­zie­hen­des bot, so wies doch der grü­ne Vor­hang der­sel­ben auf eine ge­wis­se Frucht­bar­keit hin, wel­che der der Län­der un­ter mitt­ler­er Brei­te zu ent­spre­chen schi­en. Voraus­sicht­lich zeig­te die Ve­ge­ta­ti­on jen­seits der Ufer­hö­he, wo sie Schutz vor den See­win­den und ge­wiss noch güns­ti­ge­ren Bo­den fand, eher eine üp­pi­ge Ent­wick­lung.

Be­wohnt schi­en der sicht­ba­re Teil des Ufers nicht zu sein, we­nigs­tens be­merk­te man hier kein Haus und kei­ne Hüt­te, nicht ein­mal an der Mün­dung des Rios. Vi­el­leicht wohn­ten die Ein­ge­bo­re­nen, wenn es sol­che gab, mit Vor­lie­be mehr im In­nern des Lan­des, wo sie dem hef­ti­gen An­sturm des West­win­des am we­nigs­tens aus­ge­setzt wa­ren.

»Ich kann nicht den ge­rings­ten Rauch ent­de­cken«, sag­te Bri­ant, das Fern­rohr sen­kend.

»Und am Strand be­fin­det sich kein ein­zi­ges Boot«, be­merk­te Moko.

»Wie soll­te das der Fall sein, da hier kein Ha­fen vor­han­den ist …?« warf Do­ni­phan ein.

»Ein Ha­fen ist dazu nicht ge­ra­de not­wen­dig«, er­wi­der­te Gor­don. »Ein­fa­che Fi­scher­boo­te kön­nen auch in ei­ner Fluss­mün­dung Schutz fin­den, und es wäre mög­lich, dass die­se des Stur­mes we­gen sich hät­ten wei­ter land­ein­wärts zu­rück­zie­hen müs­sen.«

Gor­d­ons Be­mer­kung war ganz rich­tig. Moch­te es nun die­sen oder je­nen Grund ha­ben, je­den­falls war nir­gends ein Boot wahr­zu­neh­men, und in der Tat schi­en die­ser Teil des Ufers kei­ne Be­woh­ner zu ha­ben. Es muss­te dem­nach die ers­te Auf­ga­be der jun­gen Schiff­brü­chi­gen wer­den, fest­zu­stel­len, ob das­sel­be sich über­haupt als be­wohn­bar er­wei­se.

In­zwi­schen sank das Was­ser mit der Ebbe, doch sehr lang­sam, wei­ter zu­rück, denn der Wind von der See­sei­te hemm­te des­sen Ab­fluss, ob­wohl die­ser bei ei­ner gleich­zei­ti­gen Dre­hung nach Nord­west schwä­cher zu wer­den schi­en. Jetzt galt es also sich be­reit­zu­hal­ten für den Au­gen­blick, wo die Klip­pen­rei­he einen Über­gang ge­stat­ten wür­de.

Es war nun ge­gen sie­ben Uhr. Je­der be­schäf­tig­te sich da­mit, die für den ers­ten Be­darf not­wen­digs­ten Ge­gen­stän­de auf das Deck zu schaf­fen, in der Hoff­nung, die üb­ri­gen auf­zu­fi­schen, wenn die Wel­len sie ans Ufer trü­gen. Die Gro­ßen wie die Klei­nen leg­ten hier­bei die Hän­de an. An Bord be­fand sich un­ter an­de­rem ein großer Vor­rat an Kon­ser­ven, Bis­kuit, an gepö­ckel­tem und ge­räu­cher­tem Fleisch. Die­se Nah­rungs­mit­tel wur­den zu hand­li­chen Bal­len ver­packt und soll­ten, un­ter die Grö­ße­ren ver­teilt, von die­sen ans Land ge­schafft wer­den.

Um das aber aus­füh­ren zu kön­nen, muss­te die Klip­pen­rei­he erst einen tro­ckenen Weg bie­ten, und nie­mand wuss­te doch, ob das Meer sich auch beim nied­rigs­ten Stand so­weit zu­rück­zie­hen wür­de, um die Fel­sen bis zum Strand bloß­zu­le­gen.

Bri­ant und Gor­don be­ob­ach­te­ten un­abläs­sig und auf­merk­sam das Meer. Mit der Ver­än­de­rung der Win­drich­tung wur­de die Luft merk­bar ru­hi­ger und die Ge­walt der Bran­dung be­gann eben­falls nach­zu­las­sen, so wie man leicht be­mer­ken konn­te, dass das Was­ser an den her­vor­ra­gen­den Fels­blö­cken nie­der­sank. Der Scho­ner selbst lie­fer­te einen Be­weis für die­se Ab­nah­me des Was­ser­stan­des, da er sich noch et­was wei­ter nach Back­bord über­neig­te. Es war so­gar zu be­fürch­ten, dass die­se Nei­gung noch fer­ner zu­nahm und er sich ganz auf die Sei­te leg­te, denn er hat­te sehr fei­ne For­men und einen schlank ab­ge­run­de­ten Rumpf mit ho­hem Kiel, gleich den schnell­se­geln­den Yach­ten. Wenn das Was­ser dann das Vor­der­deck des Fahr­zeu­ges eher er­reich­te, als man das letz­te­re ver­las­sen konn­te, muss­te die Si­tua­ti­on sich äu­ßerst be­droh­lich ge­stal­ten.

Wie be­kla­gens­wert er­schi­en es nun, dass die Boo­te vom Stur­me weg­ge­ris­sen wor­den wa­ren. Die­se hät­ten hin­ge­reicht, die gan­ze Ge­sell­schaft auf­zu­neh­men, und die jun­gen Leu­te wä­ren jetzt schon in der Lage ge­we­sen, einen Lan­dungs­ver­such zu un­ter­neh­men. Und wel­che Be­quem­lich­keit eine Ver­bin­dung zwi­schen Scho­ner und Küs­te zu un­ter­hal­ten, um vie­ler­lei nütz­li­che Ge­gen­stän­de, die jetzt an Bord zu­rück­ge­las­sen wer­den muss­ten, fort­zu­schaf­fen! Wenn der »Sloug­hi« schon die nächst­fol­gen­de Nacht viel­leicht in Stücke ging, was wa­ren sei­ne Wrack­trüm­mer wert, nach­dem die Bran­dung sie durch die Klip­pen­rei­he hin­ge­wälzt hat­te? Konn­ten die­se über­haupt noch nütz­li­che Ver­wen­dung fin­den? Wür­den dann die noch üb­ri­gen Vor­rä­te nicht voll­stän­dig ha­va­riert sein? Sa­hen sich die jun­gen Schiff­brü­chi­gen nicht in kür­zes­ter Zeit al­lein auf die Hilfs­quel­len an­ge­wie­sen, wel­che die­ses Land ih­nen bot?

Ja, es war ein be­kla­gens­wer­ter Um­stand, dass kein Boot mehr vor­han­den war, um die Aus­schif­fung zu be­werk­stel­li­gen.

Plötz­lich er­tön­te vom Vor­der­deck ein lau­ter Auf­schrei. Bax­ter hat­te eine jetzt hoch­wich­ti­ge Ent­de­ckung ge­macht.

Die für ver­lo­ren ge­hal­te­ne Jol­le hat­te sich un­ter dem Knie des Bugs­prits in den Ket­ten des letz­te­ren ge­fan­gen. Die­se Jol­le konn­te frei­lich nur fünf bis sechs Per­so­nen auf­neh­men; doch da sie sich un­be­schä­digt zeig­te, was leicht zu er­wei­sen war, nach­dem man sie aufs Deck ge­zo­gen hat­te, er­schi­en es nicht un­mög­lich, sie zu be­nut­zen, im Fal­le das Meer die Über­schrei­tung der Klip­pen tro­ckenen Fu­ßes ver­hin­der­te. Hier­zu muss­te man na­tür­lich den nied­rigs­ten Stand der Ebbe ab­war­ten, und in­zwi­schen kam es wie­der zu ei­ner leb­haf­ten Aus­ein­an­der­set­zung, vor­züg­lich zwi­schen Bri­ant und Do­ni­phan.

Do­ni­phan, Wil­cox, Webb und Cross, die sich der Jol­le be­mäch­tigt hat­ten, gin­gen näm­lich schon dar­an, sie wie­der über Bord zu be­för­dern, als Bri­ant auf sie zu­trat.

»Was be­ginnt ihr hier?« frag­te er.

»Was uns passt!« ant­wor­te­te Wil­cox.

»Ihr wollt die­ses klei­ne Fahr­zeug be­stei­gen …?«

»Ja«, er­wi­der­te Do­ni­phan, »und du wirst uns nicht da­von ab­hal­ten.«

»Das werd’ ich doch tun, ich und alle die üb­ri­gen, die du ver­las­sen willst.«

»Ver­las­sen …? Wer sagt dir das?« ant­wor­te­te Do­ni­phan hoch­mü­tig. »Ich will nie­mand ver­las­sen, ver­stehst du? Wenn wir erst am Strand sind, wird ei­ner die Jol­le zu­rück­ru­dern …«

»Und wenn er nicht zu­rück­keh­ren kann«, rief Bri­ant, der sich nur mit Mühe be­herrsch­te, »wenn sie zwi­schen den Fel­sen leck wür­de …«

»Ein­stei­gen …! Zum Ein­stei­gen fer­tig!« un­ter­brach ihn Webb, der Bri­ant zu­rück­dräng­te.

Von Wil­cox und Cross un­ter­stützt, hob er schon das leich­te Fahr­zeug auf, um es ins Was­ser zu brin­gen.

Bri­ant pack­te das­sel­be an dem einen Ende.

»Ihr wer­det nicht ein­stei­gen!« rief er.

»Das wol­len wir doch se­hen!« ant­wor­te­te Do­ni­phan.

»Ich sage euch, ihr steigt nicht ein!» wi­der­hol­te Bri­ant, ent­schlos­sen im All­ge­mei­nen In­ter­es­se Wi­der­stand zu leis­ten. »Die Jol­le muss zu­nächst für die Kleins­ten zu­rück­be­hal­ten wer­den, im Fal­le auch bei nied­ri­gem Mee­re zu viel Was­ser ste­hen­blie­be, um den Strand zu er­rei­chen.«

»Lass uns in Ruhe!« schrie Do­ni­phan auf­brau­send. »Ich er­klä­re dir noch­mals, Bri­ant, du wirst uns nicht hin­dern zu tun, was wir wol­len.«

»Und ich wie­der­ho­le dir, Do­ni­phan«, herrsch­te ihn Bri­ant eben­so laut an, »dass ich euch doch hin­dern wer­de!«

Die bei­den Kna­ben wa­ren schon be­reit, auf­ein­an­der los­zu­stür­zen. Bei die­sem Streit hät­ten Wil­cox, Webb und Cross na­tür­lich für Do­ni­phan Par­tei er­grif­fen, wäh­rend sich Bax­ter, Ser­vice und Gar­nett vor­aus­sicht­lich auf Bri­ants Sei­te stell­ten. Die Sa­che hät­te die schlimms­ten Fol­gen ha­ben kön­nen, als Gor­don sich noch ins Mit­tel leg­te.

Gor­don, der äl­tes­te und be­son­nens­te von al­len, sah das Be­kla­gens­wer­te ei­nes sol­chen Zwi­schen­falls ein, und war ver­nüf­tig ge­nug, sich zu Guns­ten Bri­ants aus­zu­spre­chen.

»Halt! Halt, Do­ni­phan!« rief er, »et­was Ge­duld! Du siehst doch, dass der See­gang noch stark ist und wir Ge­fahr lau­fen, un­se­re Jol­le ganz ein­zu­bü­ßen.«

»Ich mag es nicht lei­den, dass Bri­ant uns Ge­set­ze vor­schreibt, wie er sich das seit ei­ni­ger Zeit an­ge­wöhnt hat«, er­wi­der­te Do­ni­phan hef­tig.

»Nein …! Nein …!« lie­ßen Cross und Webb sich ver­neh­men.

»Es fällt mir gar nicht ein, ir­gend­wem Ge­set­ze vor­zu­schrei­ben«, ant­wor­te­te Bri­ant, »ich wer­de das aber auch kei­nem an­de­ren ge­stat­ten, wenn es sich um das In­ter­es­se al­ler han­delt.«

»Das liegt uns eben­so sehr am Her­zen wie dir«, schleu­der­te ihm Do­ni­phan ent­ge­gen; »und jetzt, wo wir auf dem Lan­de sind …«

»Lei­der noch nicht«, fiel ihm Gor­don ins Wort. »Trot­ze nicht fer­ner, Do­ni­phan, und lass uns einen güns­ti­gen Au­gen­blick ab­war­ten, wo wir die Jol­le ver­wen­den kön­nen.«

Gor­don trat zu sehr ge­le­ge­ner Zeit als Ver­mitt­ler zwi­schen Bri­ant und Do­ni­phan — wozu er üb­ri­gens schon mehr­fach Ver­an­las­sung ge­fun­den hat­te —, und die Ka­me­ra­den füg­ten sich sei­nen Vor­stel­lun­gen.

Der Was­ser­stand hat­te jetzt um zwei Fuß ab­ge­nom­men, und es ent­stand die Fra­ge, ob sich zwi­schen den Klip­pen viel­leicht eine Art Kanal hin­zie­he.

In der Mei­nung, von der Höhe des Fock­mas­tes die gan­ze An­ord­nung des Klip­pen­gür­tels bes­ser über­se­hen zu kön­nen, be­gab sich Bri­ant nach dem Vor­der­deck, er­klomm die Steu­er­bord­wan­ten und klet­ter­te dann noch an den Tau­en der Brams­ten­ge1 hin­auf.

Quer durch die Klip­pen­bank zeig­te sich da eine Durch­fahrt, de­ren Rich­tung durch vie­le, sie auf bei­den Sei­ten be­gren­zen­de Fels­blö­cke an­ge­deu­tet war und der man fol­gen muss­te, wenn man mit Hil­fe der Jol­le nach dem Strand ge­lan­gen woll­te. Au­gen­blick­lich frei­lich bro­del­te und wir­bel­te die Bran­dung hier noch viel zu hef­tig, um sich je­ner mit Er­folg be­die­nen zu kön­nen. Un­fehl­bar wäre die Jol­le auf eine Felss­pit­ze ge­wor­fen und da­mit schwer be­schä­digt, wenn nicht ver­nich­tet wor­den. Es emp­fahl sich also, noch so lan­ge zu war­ten, bis das sin­ken­de Meer hier eine ge­fahr­lo­se­re Was­ser­stra­ße zu­rück­ließ.

Von der Ober­bram­rah aus, auf wel­cher Bri­ant rei­tend sich an­klam­mer­te, be­müh­te sich die­ser, das Ufer­land noch ge­nau­er zu be­sich­ti­gen. Er such­te mit dem Fern­glas Stück für Stück den Strand ab, bis zu der hö­her an­stei­gen­den Hin­ter­wand des­sel­ben. Zwi­schen den bei­den, etwa acht bis neun See­mei­len von­ein­an­der ent­fern­ten Vor­ge­bir­gen schi­en die Küs­te völ­lig un­be­wohnt zu sein.

Nach halb­stün­di­gem Aus­lu­gen stieg Bri­ant wie­der hin­un­ter und be­rich­te­te sei­nen Ge­fähr­ten, was er ge­se­hen. Wenn Do­ni­phan, Wil­cox, Webb und Cross ihm zu­hör­ten, ohne et­was zu sa­gen, so frag­te ihn Gor­don da­ge­gen:

»Als der ›Sloug­hi‹ stran­de­te, Bri­ant, war es da nicht ge­gen sechs Uhr mor­gens?«

»Ja«, ant­wor­te­te Bri­ant.

»Und wie lan­ge dau­ert es bis zum nied­rigs­ten Was­ser­stan­de?«

»Ich glau­be fünf Stun­den. — Nicht wahr, Moko?«

»Ja, zwi­schen fünf und sechs Stun­den«, er­klär­te der Schiffs­jun­ge.

»Das trä­fe also ge­gen elf Uhr ein«, fuhr Gor­don fort. »Dann wäre der güns­tigs­te Zeit­punkt zu dem Ver­such, die Küs­te zu er­rei­chen.«

»So hat­te ich auch ge­rech­net«, be­merk­te Bri­ant.

»Nun wohl«, nahm Gor­don wie­der das Wort, »wir wol­len uns für die­se Zeit be­reit­hal­ten und in­zwi­schen et­was es­sen. Sind wir ge­zwun­gen, selbst ins Was­ser zu ge­hen, so ge­sch­ehe das we­nigs­tens meh­re­re Stun­den nach ein­ge­nom­me­ner Mahl­zeit.«

Ein gu­ter Rat, wie er von die­sem klu­gen Kna­ben zu er­war­ten war. Jetzt ging’s also an das ers­te, aus Kon­ser­ven und Bis­kuit be­ste­hen­de Früh­stück. Bri­ant be­sorg­te und über­wach­te da­bei vor­züg­lich die Klei­nen. Jen­kins, Iver­son, Dole, Co­star be­gan­nen sich bei der glück­li­chen Sorg­lo­sig­keit ih­res Al­ters schon wie­der völ­lig zu be­ru­hi­gen und hät­ten ge­wiss ohne jede Rück­sicht dar­auf los­ge­ges­sen, denn sie hat­ten seit vier­und­zwan­zig Stun­den nichts über die Lip­pen ge­bracht. Al­les ging je­doch gut ab, und ei­ni­ge Trop­fen mit Was­ser ver­dünn­ten Bran­dys lie­fer­ten ein an­re­gen­des Ge­tränk.

Nach ein­ge­nom­me­nem Früh­stück be­gab sich Bri­ant wie­der nach dem Vor­der­teil des Scho­ners und be­ob­ach­te­te, auf die Schanz­klei­dung ge­stützt, die Klip­pen­rei­he.

Wie lang­sam wich doch das Meer zu­rück! Es lag aber auf der Hand, dass des­sen Ni­veau sich er­nied­rig­te, denn die Schief­la­ge des Scho­ners nahm noch wei­ter zu. Moko hat­te mit­tels ei­nes Senk­bleis ge­fun­den, dass noch min­des­tens acht Fuß Was­ser über der Bank stan­den. Dass die Ebbe so tief sin­ken wür­de, um jene völ­lig tro­cken­zu­le­gen, glaub­te Moko nicht an­neh­men zu dür­fen und teil­te sei­ne An­sicht Bri­ant heim­lich mit, um nie­mand un­nö­tig zu er­schre­cken.

Bri­ant setz­te dann Gor­don hier­von in Kennt­nis. Bei­de be­grif­fen, dass der Wind, ob­wohl er noch wei­ter nach Nor­den um­ge­gan­gen war, doch das Meer ver­hin­der­te, so­weit zu­rück­zu­sin­ken, wie es bei stil­lem Wet­ter der Fall ge­we­sen wäre.

»Was be­gin­nen wir dann also?« sag­te Gor­don.

»Ich weiß es nicht … Ich weiß es nicht …!« ant­wor­te­te Bri­ant. »Und wel­ches Un­glück, es nicht zu wis­sen … wel­ches Un­glück, in un­se­rer Lage fast noch Kin­der und, wo es so nö­tig wäre, nicht Män­ner zu sein.«

»Die Not­wen­dig­keit wird un­se­re Lehr­meis­te­rin sein«, ver­si­cher­te Gor­don. »Verzwei­feln wir nicht, Bri­ant, und han­deln wir klug!«

»Ja, han­deln, Gor­don! Wenn wir den ›Sloug­hi‹ vor Wie­de­r­ein­tritt der Flut nicht ver­las­sen ha­ben, wenn wir noch eine Nacht an Bord blei­ben müs­sen, sind wir ver­lo­ren …«

»Kein Zwei­fel, denn die Yacht wird dann zer­trüm­mert wer­den. Wir müs­sen die­sel­be auf je­den Fall ver­las­sen ha­ben …«

»Ge­wiss; um je­den Preis, Gor­don!«

»Wäre es nicht rat­sam, eine Art Floß oder et­was wie eine Fäh­re her­zu­stel­len?«

»Da­ran hab’ ich wohl auch ge­dacht«, ant­wor­te­te Bri­ant, »lei­der hat uns der Sturm aber al­les dazu ge­eig­ne­te Ma­te­ri­al ent­führt. Die Schanz­klei­dung ab­zu­bre­chen, um aus de­ren Tei­len ein Floß zu­sam­men­zu­zim­mern, dazu fehlt uns die Zeit. So bleibt nur die Jol­le üb­rig, de­ren wir uns aber bei dem schwe­ren See­gan­ge nicht be­die­nen kön­nen. Doch nein, wir könn­ten auch noch ver­su­chen, ein Tau durch den Klip­pen­gür­tel zu zie­hen und des­sen Ende an der Spit­ze ei­nes Fel­sens zu be­fes­ti­gen. Vi­el­leicht ge­lingt es uns, dar­an bis ganz in die Nähe des Stran­des hin­glei­ten zu kön­nen …«

»Wer soll das Tau aber aus­le­gen?«

»Ich«, er­klär­te Bri­ant.

»Und ich wer­de dir hel­fen«, sag­te Gor­don.

»Nein, ich voll­bring es al­lein«, ver­setz­te Bri­ant.

»Denkst du, da­bei die Jol­le zu be­nüt­zen?«

»Das hie­ße, es wa­gen, sie ganz ein­zu­bü­ßen, Gor­don, und es ist bes­ser, die­se als al­ler­letz­tes Hilfs­mit­tel auf­zu­be­wah­ren.«

Be­vor er zur Aus­füh­rung sei­nes ge­fahr­vol­len Vor­ha­bens schritt, woll­te Bri­ant je­doch, um jede un­glück­li­che Mög­lich­keit aus­zu­schlie­ßen, noch eine nütz­li­che Maß­re­gel tref­fen.

An Bord be­fan­den sich ver­schie­de­ne Schwimm­gür­tel, und er ver­an­lass­te die kleins­ten Ge­fähr­ten, sich so­fort mit den­sel­ben aus­zu­rüs­ten. Im Fall sie die Yacht ver­las­sen muss­ten, wäh­rend das Was­ser noch so tief war, dass die­se mit den Fü­ßen kei­nen Grund fan­den, wür­den die­se Ap­pa­ra­te sie schwim­mend er­hal­ten, und die grö­ße­ren Kna­ben, wel­che an dem Tau hin­g­lit­ten, soll­ten sie dann nach dem Stran­de zu vor sich her­schie­ben.

Es war jetzt zehn­ein­vier­tel Uhr. Bin­nen fünf­und­vier­zig Mi­nu­ten muss­te die Ebbe den tiefs­ten Stand er­reicht ha­ben. Am Ste­ven des »Sloug­hi« maß man nur noch vier bis fünf Fuß Was­ser, es schi­en aber nicht, als ob die­ser Stand sich noch mehr als we­ni­ge Zoll er­nied­ri­gen soll­te. Ge­gen sech­zig Yards wei­ter­hin stieg der Grund frei­lich merk­bar hö­her auf, das ver­riet sich deut­lich an der mehr schwärz­li­chen Far­be des Was­sers, so­wie an den zahl­rei­chen Spit­zen, die längs des Stran­des auf­ge­taucht wa­ren. Die Schwie­rig­keit lag nur dar­in, über die tiefe­re Stel­le vor dem Schif­fe glück­lich hin­weg­zu­kom­men. Ge­lang es Bri­ant, in die­ser Rich­tung ein Tau aus­zu­le­gen und es an ei­nem Fel­sen halt­bar zu be­fes­ti­gen, so muss­te die­ses Tau, nach des­sen An­span­nung mit­tels des Gang­spills an Bord, es er­mög­li­chen, eine Stel­le zu er­rei­chen, wo man we­nigs­tens Grund fand. Hol­te man an dem­sel­ben Ka­bel die Bal­len mit Mund­vor­rä­ten und Werk­zeu­gen her­über, so ge­lang­ten die­se vor­aus­sicht­lich un­be­schä­digt ans Land.

Wie ge­fähr­lich die­ser Ver­such auch sein moch­te, so woll­te Bri­ant doch nie­mand ge­stat­ten, für ihn ein­zu­tre­ten, und er traf dem­ge­mäß sei­ne Vor­be­rei­tun­gen.

An Bord be­fan­den sich meh­re­re schwä­che­re Taue von etwa hun­dert Fuß Län­ge, wel­che ge­le­gent­lich als Tros­sen ge­dient hat­ten. Bri­ant wähl­te ei­nes von mitt­ler­er Di­cke, das ihm am ge­eig­nets­ten er­schi­en, und be­fes­tig­te das­sel­be, nach­dem er sich halb ent­klei­det, am Gür­tel.

»Jetzt, Ach­tung, ihr an­de­ren!« rief Gor­don. »Seid bei der Hand, das Tau nach­glei­ten zu las­sen. Hier­her aufs Vor­der­deck!«

Do­ni­phan, Wil­cox, Cross und Webb konn­ten ihre Mit­hil­fe bei ei­nem Un­ter­neh­men nicht ver­wei­gern, des­sen Wich­tig­keit sie ein­sa­hen. Trotz ih­rer Miss­lau­ne lie­ßen sie sich dazu her­bei, an dem Tau mit an­zu­fas­sen und die­ses je nach Be­darf nach­schie­ßen zu las­sen, um Bri­ants Kräf­te mög­lichst zu scho­nen.

In dem Au­gen­blick, wo die­ser be­reit­stand, über Bord zu sprin­gen, nä­her­te sich ihm sein Bru­der und rief:

»Ach, Bri­ant, was wagst du?«

»Kei­ne Furcht, Jac­ques! Ängs­ti­ge dich nicht um mich!« ant­wor­te­te der mu­ti­ge Kna­be.

Briant und Jacques

Gleich dar­auf sah man ihn schon im Was­ser auf­tau­chen und mit kräf­ti­ger Be­we­gung fort­schwim­men, wäh­rend das Tau ihm nachroll­te.

Selbst bei ru­hi­gem Mee­re wäre die­ses Un­ter­neh­men sehr schwie­rig ge­we­sen, denn die Bran­dung schlug stets hef­tig ge­gen das Fel­sen­ge­wirr. Strö­mun­gen und Ge­gen­strö­mun­gen hin­der­ten den un­er­schro­cke­nen Kna­ben oft, eine ge­ra­de Rich­tung ein­zu­hal­ten, und wenn sie ihn pack­ten, hat­te er große Mühe, sich wie­der her­aus­zu­ar­bei­ten.

Im­mer­hin kam Bri­ant dem Strand all­mäh­lich nä­her, wäh­rend sei­ne Ka­me­ra­den das Tau nach Be­darf ab­lau­fen lie­ßen. Of­fen­bar aber nah­men sei­ne Kräf­te ab, ob­wohl er sich fünf­zig Fuß weit vom Scho­ner be­fand. Vor ihm tob­te jetzt ein hef­ti­ger Wir­bel, er­zeugt durch ver­schie­den auf­ein­an­der­tref­fen­de Wel­len. Ge­lang es ihm, um die­sen her­um­zu­kom­men, so durf­te er hof­fen, sein Ziel zu er­rei­chen, denn hin­ter dem­sel­ben war das Was­ser be­deu­tend ru­hi­ger. Er ver­such­te also sich mit al­ler An­stren­gung nach links zu wer­fen. Ver­geb­lich! Auch der bes­te Schwim­mer im kräf­tigs­ten Man­nes­al­ter wäre hieran ge­schei­tert. Von der durch­ein­an­der­schie­ßen­den Wel­len­be­we­gung er­fasst, wur­de Bri­ant un­wi­der­steh­lich nach der Mit­te des Wir­bels ge­zo­gen.

Briant nach der Mitte des Wirbels gezogen.

»Zu Hil­fe …! Zieht an …! Holt ein!« hat­te er noch die Kraft zu ru­fen, be­vor er ver­schwand.

An Bord der Yacht ver­brei­te­te sich ein un­be­schreib­li­cher Schre­cken.

»Holt ein …!« rief Gor­don kalt­blü­tig.

Sei­ne Ka­me­ra­den be­eil­ten sich, das Tau schnell ein­zu­zie­hen, um Bri­ant wie­der an Bord zu ho­len, ehe er durch zu lan­ges Ver­wei­len un­ter Was­ser er­stick­te.

Bin­nen we­ni­ger als ei­ner Mi­nu­te war Bri­ant — frei­lich be­wusst­los — an Bord ge­holt; er kam je­doch in den Ar­men sei­nes Bru­ders bald wie­der zu sich.

Der Ver­such, ein Tau ir­gend­wo an der Klip­pen­rei­he zu be­fes­ti­gen, war miss­glückt und kei­ner hät­te ihn mit Aus­sicht auf Er­folg wie­der­ho­len kön­nen. Die un­glück­li­chen Kin­der wa­ren also dar­auf an­ge­wie­sen, ru­hig zu war­ten … Auf was denn zu war­ten …? Auf Un­ter­stüt­zung …? Doch von wel­cher Sei­te und von wem hät­te eine sol­che kom­men kön­nen?

Jetzt war schon Mit­tag vor­über; die Flut mach­te sich be­reits be­merk­bar und die Bran­dung wur­de stär­ker. Da gleich­zei­tig Neu­mond war, muss­te die Flut so­gar hö­her stei­gen als am ver­gan­ge­nen Tage. Wenn dazu der Wind wie­der mehr nach der Sei­te des ho­hen Mee­res zu­rück­ging, lief der Scho­ner Ge­fahr, von sei­nem Fel­sen­bett noch ein­mal ab­ge­ho­ben zu wer­den … Er streif­te dann von Neu­em den Grund, er muss­te an den Klip­pen ken­tern! — Die­sen end­li­chen Aus­gang des Schiff­bruchs hät­te kei­ner über­lebt. Und jetzt war nichts zu tun … nichts!

Auf dem Ach­ter­deck ver­sam­melt, die Klei­nen in der Mit­te der Gro­ßen, be­trach­te­ten alle das Wie­der­an­schwel­len des Mee­res, das sich durch die nach­ein­an­der ver­schwin­den­den Klip­pen­häup­ter ver­riet. Lei­der war der Wind wie­der nach Wes­ten um­ge­schla­gen, und wie in ver­gan­ge­ner Nacht peitsch­te er das Land mit vol­ler Wucht. Mit dem sich ver­tie­fen­den Was­ser wuch­sen auch die Wel­len wie­der an, hüll­ten den »Sloug­hi« in feuch­te Düns­te und muss­ten bald über den­sel­ben hin­weg­bran­den. Gott al­lein konn­te den jun­gen Schiff­brü­chi­gen zu Hil­fe kom­men, und ihre Ge­be­te ver­misch­ten sich mit ih­ren Angst­ru­fen.

Kurz vor zwei Uhr hat­te der Scho­ner sich wie­der auf­ge­rich­tet und lag jetzt nicht mehr nach Back­bord ge­neigt. In­fol­ge sei­nes Stamp­fens stieß er aber mit dem Vor­der­teil auf den Grund, ob­wohl sein Hin­ters­te­ven noch auf dem Fel­sen fest­saß. Bald wie­der­hol­ten sich die Stö­ße ohne Un­ter­lass, und der »Sloug­hi« roll­te da­bei von ei­ner Sei­te zur an­de­ren. Die Kin­der muss­ten sich fest an­ein­an­der­hal­ten, um nicht über Bord ge­schleu­dert zu wer­den.

In die­sem Au­gen­blick kam ein schaum­ge­krön­ter Berg von der of­fe­nen See her an­ge­stürmt und türm­te sich zwei Ka­bel­län­gen von der Yacht noch hö­her auf. Man hät­te ihn für die un­ge­heu­re Woge ei­ner Spring­flut, wie die­se in ei­ni­ge große Strö­me sich ein­drängt, hal­ten kön­nen. In ei­ner Höhe von über zwan­zig Fuß kam er her­an­ge­don­nert, braus­te über den Klip­pen­gür­tel hin­weg und hob den »Sloug­hi« auf, den er über die Fel­sen weg­trug, ohne dass sein Kiel die Fel­sen nur streif­te.

Bin­nen we­ni­ger als ei­ner Mi­nu­te wur­de der »Sloug­hi«, um­hüllt von der gur­geln­den Was­ser­mas­se, bis mit­ten auf den Strand und hier auf einen Sand­hü­gel ge­wor­fen, so­dass er kaum zwei­hun­dert Schrit­te von den Bäu­men des ho­hen Ufer­ran­des ent­fernt lag. Hier blieb er, dies­mal auf dem fes­ten Land, un­be­weg­lich sit­zen, wäh­rend das wie­der ab­flu­ten­de Meer den Strand tro­cken zu­rück­ließ.

zwei­t­obers­te Ver­län­ge­rung ei­nes Mas­tes  <<<

Drittes Kapitel

Die Pen­si­on Chair­man in Auck­land. — Gro­ße und Klei­ne. — Fe­ri­en auf dem Mee­re. — Der Scho­ner »Sloug­hi«. — Die Nacht des 15. Fe­bru­ar. — Ver­schla­gen. — Sturm. — Be­ra­tung in Auck­land. — Was vom Scho­ner üb­rig ist.

———

Zur­zeit, da un­se­re Ge­schich­te spielt, war die Pen­si­on Chair­man eine der an­ge­se­hends­ten in Auck­land, der Haupt­stadt Neu­see­lands, je­ner be­deu­ten­den eng­li­schen Ko­lo­nie im Stil­len Ozean. Die­sel­be zähl­te ge­gen hun­dert den bes­ten Fa­mi­li­en des Lan­des an­ge­hö­ri­ge Zög­lin­ge. Die Mao­ris, die Ein­ge­bo­re­nen der In­sel­grup­pe, konn­ten in der­sel­ben ihre Kin­der nicht un­ter­brin­gen, doch wa­ren für letz­te­re an­de­re Un­ter­richts- und Er­zie­hungs­an­stal­ten vor­han­den. Die Pen­si­on Chair­man be­such­ten nur jun­ge Eng­län­der, Fran­zo­sen, Ame­ri­ka­ner und Deut­sche, lau­ter Söh­ne von Plan­ta­gen­be­sit­zern, Rent­nern, Kauf­leu­ten oder Be­am­ten des Lan­des. Sie er­hiel­ten hier eine all­sei­ti­ge Er­zie­hung und Aus­bil­dung, voll­kom­men ent­spre­chend der­je­ni­gen, wel­che die ähn­li­chen An­stal­ten des Ve­rei­nig­ten Kö­nig­rei­ches ge­wäh­ren.

Der Archi­pel von Neu­see­land be­steht zu­nächst aus zwei Haup­tin­seln, näm­lich Ika-Na-Mawi oder die Fi­schin­sel im Nor­den und Ta­maï-Po­namu oder Ne­phrit-Land im Sü­den. Durch die Cook­stra­ße ge­trennt, lie­gen die­se zwi­schen dem 34. und 45. Grad süd­li­cher Brei­te, was auf der nörd­li­chen Halb­ku­gel etwa der Lage Nor­d­afri­kas und Ita­li­ens ent­spricht.

Die in ih­rem süd­li­chen Teil stark zer­ris­se­ne In­sel Ika-Na-Mawi bil­det eine Art un­re­gel­mä­ßi­ges Recht­eck, das sich nach Nor­den zu in ei­nem durch das Kap Van Die­men ab­ge­schlos­se­nen Bo­gen fort­setzt.

Fast am An­fang die­ses Bo­gen­stückes und an ei­ner Stel­le, wo die Halb­in­sel nur we­ni­ge (eng­li­sche) Mei­len (zu je 1609 Me­ter) Brei­te misst, ist Auck­land er­baut. Die Stadt liegt also ganz ähn­lich wie das grie­chi­sche Ko­rinth und hat wirk­lich auch den Na­men »das süd­li­che Ko­rinth« er­hal­ten. Im Wes­ten und im Os­ten be­sitzt sie je einen of­fe­nen Ha­fen. Da der öst­li­che, der im Haura­ki-Golf liegt, nicht tief ge­nug ist, hat man meh­re­re je­ner lan­gen »Piers« (nach eng­li­schem Vor­bil­de) er­bau­en müs­sen, an de­nen we­nigs­tens Schif­fe von mitt­le­rem Ton­nen­ge­halt an­le­gen kön­nen. Un­ter die­sen be­fin­det sich der »Com­mer­ci­al-Pier«, an wel­chem die Queens-Street, eine der Haupt­stra­ßen der Stadt, aus­mün­det.

In der Mit­te die­ser Stra­ße hat man die Pen­si­on Chair­man zu su­chen.

Am Nach­mit­tag des 15. Fe­bru­ar 1860 tra­ten aus ge­nann­tem Pen­sio­nat ge­gen hun­dert Kna­ben, be­glei­tet von ih­ren El­tern und mit lus­ti­gen Ge­sich­tern und freu­di­ger Le­ben­dig­keit — jun­ge Vö­gel, de­ren Kä­fig man ge­öff­net hat­te.

Es war näm­lich der Be­ginn der Fe­ri­en. Zwei Mo­na­te Un­ab­hän­gig­keit, zwei Mo­na­te Frei­heit! Ei­ner be­schränk­ten An­zahl die­ser Zög­lin­ge wink­te die ver­lo­cken­de Aus­sicht ei­ner See­rei­se, wel­che schon lan­ge Zeit vor­her in der Pen­si­on Chair­man der Ge­gen­stand leb­haf­ter Ge­sprä­che ge­we­sen war. Wir brau­chen wohl nicht zu schil­dern, wel­che freu­di­ge Er­war­tung die­je­ni­gen er­reg­te, de­nen güns­ti­ge Um­stän­de ge­stat­te­ten, sich an Bord der Yacht »Sloug­hi« ein­zu­schif­fen, um mit der­sel­ben an ei­ner Um­se­ge­lung von ganz Neu­see­land teil­zu­neh­men.

Der von den El­tern der Zög­lin­ge gechar­ter­te hüb­sche Scho­ner war für eine Rei­se von sechs Wo­chen aus­ge­rüs­tet. Er ge­hör­te dem Va­ter ei­nes der­sel­ben, Mr. Wil­liam H. Gar­nett, ei­nem ehe­ma­li­gen Ka­pi­tän der Han­dels­flot­te, zu dem man das bes­te Ver­trau­en ha­ben konn­te. Eine un­ter die ver­schie­de­nen Fa­mi­li­en ver­teil­te Sub­skrip­ti­on1 soll­te die Kos­ten der Rei­se de­cken, die vor­aus­sicht­lich die denk­bar größ­te Si­cher­heit und An­nehm­lich­keit zu bie­ten ver­sprach. Für die jun­gen Leu­te war das na­tür­lich eine große Freu­de, und schwer­lich hät­te man die we­ni­gen Wo­chen Fe­ri­en bes­ser ver­wen­den kön­nen.