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Das Buch 'Zweites Kaiserreich' von Karl Marx ist eine tiefgreifende Analyse der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Marx beleuchtet die Entstehung des Zweiten Kaiserreichs unter Napoleon III. und seine Auswirkungen auf die Arbeiterklasse. Mit einem fesselnden und informativen Schreibstil verbindet Marx historische Fakten mit seiner marxistischen Analyse, um die sozialen Ungleichheiten und Klassenkämpfe dieser Zeit zu beleuchten. Das Werk ist ein bedeutender Beitrag zur politischen Philosophie und Geschichte des 19. Jahrhunderts. Karl Marx, ein renommierter Philosoph, Soziologe und Ökonom, ist bekannt für seine bahnbrechenden Werke über Kapitalismus und Sozialismus. Seine politischen Überzeugungen und seine intensive Forschungstätigkeit prägten seine Werke, darunter 'Das Kapital' und 'Das Kommunistische Manifest'. 'Zweites Kaiserreich' ist ein Muss für alle, die sich für die politische Geschichte Frankreichs und die sozioökonomischen Veränderungen des 19. Jahrhunderts interessieren. Marx' scharfe Analyse und sein kritischer Blick machen dieses Buch zu einer unverzichtbaren Lektüre für jeden, der die sozialen Strukturen und Klassenkämpfe in der Geschichte verstehen will.
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Seitenzahl: 512
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Books
Inhaltsverzeichnis
Geschrieben zwischen dem 14. Februar und dem 6. März 1895. Nach den Setzereifahnen der Ausgabe von 1895.
Die hiermit neu herausgegebene Arbeit war Marx' erster Versuch, ein Stück Zeitgeschichte vermittelst seiner materialistischen Auffassungsweise aus der gegebenen ökonomischen Lage zu erklären. Im "Kommunistischen Manifest" war die Theorie in großen Umrissen auf die ganze neuere Geschichte angewandt, in Marx' und meinen Artikeln der "Neuen Rheinischen Zeitung" war sie fortwährend benutzt worden zur Deutung gleichzeitiger politischer Ereignisse. Hier dagegen handelte es sich darum, im Verlauf einer mehrjährigen, für ganz Europa sowohl kritischen wie typischen Entwicklung den inneren Kausalzusammenhang nachzuweisen, also, im Sinn des Verfassers, die politischen Begebenheiten zurückzuführen auf Wirkungen von in letzter Instanz ökonomischen Ursachen.
Bei der Beurteilung von Ereignissen und Ereignisreihen aus der Tagesgeschichte wird man nie imstande sein, bis auf die letzten ökonomischen Ursachen zurückzugehn. Selbst heute noch, wo die einschlägige Fachpresse so reichlichen Stoff liefert, wird es sogar in England unmöglich bleiben, den Gang der Industrie und des Handels auf dem Weltmarkt und die in den Produktionsmethoden eintretenden Änderungen Tag für Tag derart zu verfolgen, daß man für jeden beliebigen Zeitpunkt das allgemeine Fazit aus diesen mannigfach verwickelten und stets wechselnden Faktoren ziehen kann, Faktoren, von denen die wichtigsten obendrein meist lange Zeit im verborgenen wirken, bevor sie plötzlich gewaltsam an der Oberfläche sich geltend machen. Der klare Überblick über die ökonomische Geschichte einer gegebenen Periode ist nie gleichzeitig, ist nur nachträglich, nach erfolgter Sammlung und Sichtung des Stoffes, zu gewinnen. Die Statistik ist hier notwendiges Hülfsmittel, und sie hinkt immer nach. Für die laufende Zeitgeschichte wird man daher nur zu oft genötigt sein, diesen den entscheidendsten Faktor als konstant, die am Anfang der betreffenden Periode vorgefundene ökonomische Lage als für die ganze Periode gegeben und unveränderlich zu behandeln oder nur solche Veränderungen dieser Lage berücksichtigen, die aus den offen vorliegenden Ereignissen selbst entspringen und daher ebenfalls offen zutage liegen. Die materialistische Methode wird sich daher hier nur zu oft darauf beschränken müssen, die politischen Konflikte auf Interessenkämpfe der durch die ökonomische Entwicklung gegebenen, vorgefundenen Gesellschaftsklassen und Klassenfraktionen zurückzuführen und die einzelnen politischen Parteien nachzuweisen als den mehr oder weniger adäquaten politischen Ausdruck dieser selben Klassen und Klassenfraktionen.
Es ist selbstredend, daß diese unvermeidliche Vernachlässigung der gleichzeitigen Veränderungen der ökonomischen Lage, der eigentlichen Basis aller zu untersuchenden Vorgänge, eine Fehlerquelle sein muß. Aber alle Bedingungen einer zusammenfassenden Darstellung der Tagesgeschichte schließen unvermeidlich Fehlerquellen in sich; was aber niemanden abhält, Tagesgeschichte zu schreiben.
Als Marx diese Arbeit unternahm, war die erwähnte Fehlerquelle noch viel unvermeidlicher. Während der Revolutionszeit 1848/49 die sich gleichzeitig vollziehenden ökonomischen Wandlungen zu verfolgen oder gar den Überblick über sie zu behalten, war rein unmöglich. Ebenso während der ersten Monate des Exils in London, Herbst und Winter 1849/50. Das war aber gerade die Zeit, wo Marx die Arbeit begann. Und trotz dieser Ungunst der Umstände befähigte ihn seine genaue Kenntnis, sowohl der ökonomischen Lage Frankreichs vor wie der politischen Geschichte dieses Landes seit der Februarrevolution, eine Darstellung der Ereignisse zu geben, die deren inneren Zusammenhang in einer auch seitdem unerreichten Weise aufdeckt und die später von Marx selbst angestellte zweifache Probe glänzend bestanden hat.
Die erste Probe erfolgte dadurch, daß seit Frühjahr 1850 Marx wieder Muße gewann für ökonomische Studien und zunächst die ökonomische Geschichte der letzten zehn Jahre vornahm. Dadurch wurde ihm aus den Tatsachen selbst vollständig klar, was er bisher aus lückenhaftem Material halb aprioristisch gefolgert hatte: daß die Welthandelskrise von 1847 die eigentliche Mutter der Februar- und Märzrevolutionen gewesen und daß die seit Mitte 1848 allmählich wieder eingetretene, 1849 und 1850 zur vollen Blüte gekommene industrielle Prosperität die belebende Kraft der neuerstarkten europäischen Reaktion war. Das war entscheidend. Während in den drei ersten Artikeln (erschienen im Januar-, Februar- und Märzheft der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]. Politisch-ökonomische Revue", Hamburg 1850) noch die Erwartung eines baldigen neuen Aufschwunges revolutionärer Energie durchgeht, bricht die von Marx und mir verfaßte geschichtliche Übersicht des letzten, Herbst 1850 erschienenen Doppelheftes (Mai bis Oktober) ein für allemal mit diesen Illusionen: "Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese." Das war aber auch die einzige wesentliche Änderung, die vorzunehmen war. An der in den früheren Abschnitten gegebenen Deutung der Ereignisse, an den darin hergestellten ursächlichen Zusammenhängen war absolut nichts zu ändern, wie die in derselben Übersicht gegebene Fortführung der Erzählung vom 10. März bis in den Herbst 1850 beweist. Ich habe diese Fortsetzung daher als vierten Artikel in gegenwärtigen Neudruck mit aufgenommen.
Die zweite Probe war noch härter. Gleich nach Louis Bonapartes Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 bearbeitete Marx aufs neue die Geschichte Frankreichs vom Februar 1848 bis auf dies die Revolutionsperiode einstweilen abschließende Ereignis. ("Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte", dritte Auflage, Hamburg, Meißner 1885.) In dieser Broschüre ist die in unserer Schrift dargestellte Periode, wenn auch kürzer, wieder behandelt. Man vergleiche diese zweite, im Licht des über ein Jahr später fallenden, entscheidenden Ereignisses geschriebene Darstellung mit der unseren, und man wird finden, daß der Verfasser nur sehr wenig zu ändern hatte.
Was unserer Schrift noch eine ganz besondere Bedeutung gibt, ist der Umstand, daß sie zuerst die Formel ausspricht, in welcher die allgemeine Einstimmung der Arbeiterparteien aller Länder der Welt ihre Forderung der ökonomischen Neugestaltung kurz zusammenfaßt: die Aneignung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft. Im zweiten Kapitel, gelegentlich des "Rechts auf Arbeit", das bezeichnet wird als "erste unbeholfene Formel, worin sich die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen", heißt es: " ... aber hinter dem Recht auf Arbeit steht die Gewalt über das Kapital, hinter der Gewalt über das Kapital die Aneignung der Produktionsmittel, ihre Unterwerfung unter die assoziierte Arbeiterklasse, also die Aufhebung der Lohnarbeit wie des Kapitals und ihres Wechselverhältnisses." Hier ist also - zum erstenmal - der Satz formuliert, durch den der moderne Arbeitersozialismus sich scharf unterscheidet ebensowohl von allen verschiedenen Schattierungen des feudalen, bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Sozialismus wie auch von der konfusen Gütergemeinschaft des utopischen wie des naturwüchsigen Arbeiterkommunismus. Wenn später Marx die Formel ausdehnte auf Aneignung auch der Austauschmittel, so sprach diese Erweiterung, die übrigens nach dem "Kommunistischen Manifest" sich von selbst verstand, nur ein Korollar des Hauptsatzes aus. Einige weise Leute in England haben dann neuerdings noch hinzugefügt, daß auch die "Mittel der Verteilung" der Gesellschaft überwiesen werden sollen. Es würde diesen Herren schwer werden, zu sagen, welches denn diese, von den Produktions- und Austauschmitteln verschiedenen, ökonomischen Verteilungsmittel sind; es seien denn politische Verteilungsmittel gemeint, Steuern, Armenunterstützung, einschließlich der Sachsenwald- und andern Dotationen. Aber diese sind erstens ja schon jetzt Verteilungsmittel im Besitz der Gesamtheit, des Staates oder der Gemeinde, und zweitens wollen wir sie ja gerade abschaffen.
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Als die Februarrevolution ausbrach, standen wir alle, was unsere Vorstellungen von den Bedingungen und dem Verlauf revolutionärer Bewegungen betraf, unter dem Bann der bisherigen geschichtlichen Erfahrung, namentlich derjenigen Frankreichs. Diese letztere war es ja gerade, die die ganze europäische Geschichte seit 1789 beherrscht hatte, von der auch jetzt wieder das Signal zur allgemeinen Umwälzung ausgegangen war. So war es selbstredend und unvermeidlich, daß unsere Vorstellungen von der Natur und dem Gang der in Paris, im Februar 1848, proklamierten "sozialen" Revolution, der Revolution des Proletariats, stark gefärbt waren durch die Erinnerungen der Vorbilder von 1789-1830. Und vollends, als die Pariser Erhebung ihr Echo fand in den siegreichen Aufständen von Wien, Mailand, Berlin, als ganz Europa bis an die russische Grenze in die Bewegung hineingerissen war; als dann im Juni in Paris die erste große Schlacht um die Herrschaft zwischen Proletariat und Bourgeoisie geschlagen wurde; als selbst der Sieg ihrer Klasse die Bourgeoisie aller Länder so erschütterte, daß sie wieder in die Arme der eben erst gestürzten monarchisch-feudalen Reaktion zurückfloh - da konnte unter damaligen Umständen für uns kein Zweifel sein, daß der große Entscheidungskampf angebrochen sei, daß er ausgefochten werden müsse in einer einzigen langen und wechselvollen Revolutionsperiode, daß er aber nur enden könne mit dem endgültigen Sieg des Proletariats.
Wir teilten nach den Niederlagen von 1849 keineswegs die Illusionen der um die provisorischen Zukunftsregierungen in partibus gruppierten Vulgärdemokratie. Diese rechnete auf einen baldigen, ein für allemal entscheidenden Sieg des "Volkes" über die "Dränger"; wir auf einen langen Kampf, nach Beseitigung der "Dränger " unter den in eben diesem "Volk" sich verbergenden gegensätzlichen Elementen. Die Vulgärdemokratie erwartete den erneuten Losbruch von heute auf morgen; wir erklärten schon Herbst 1850, daß wenigstens der erste Abschnitt der revolutionären Periode abgeschlossen und nichts zu erwarten sei bis zum Ausbruch einer neuen ökonomischen Weltkrise. Weswegen wir auch in Acht und Bann getan wurden als Verräter an der Revolution, von denselben Leuten, die nachher ohne Ausnahme ihren Frieden mit Bismarck gemacht haben - soweit Bismarck sie der Mühe wert fand.
Die Geschichte hat aber auch uns unrecht gegeben, hat unsere damalige Ansicht als eine Illusion enthüllt. Sie ist noch weiter gegangen: Sie hat nicht nur unseren damaligen Irrtum zerstört, sie hat auch die Bedingungen total umgewälzt, unter denen das Proletariat zu kämpfen hat. Die Kampfweise von 1848 ist heute in jeder Beziehung veraltet, und das ist ein Punkt, der bei dieser Gelegenheit näher untersucht zu werden verdient.
Alle bisherigen Revolutionen liefen hinaus auf die Verdrängung einer bestimmten Klassenherrschaft durch eine andere; alle bisherigen herrschenden Klassen waren aber nur kleine Minoritäten gegenüber der beherrschten Volksmasse. Eine herrschende Minorität wurde so gestürzt, eine andere Minorität ergriff an ihrer Stelle das Staatsruder und modelte die Staatseinrichtungen nach ihren Interessen um. Es war dies jedesmal die durch den Stand der ökonomischen Entwicklung zur Herrschaft befähigte und berufene Minoritätsgruppe, und gerade deshalb und nur deshalb geschah es, daß die beherrschte Majorität sich bei der Umwälzung entweder zugunsten jener beteiligte oder sich doch die Umwälzung ruhig gefallen ließ. Aber wenn wir vom jedesmaligen konkreten Inhalt absehen, war die gemeinsame Form aller dieser Revolutionen die, daß sie Minoritätsrevolutionen waren. Selbst wenn die Majorität dazu mittat, geschah es - wissentlich oder nicht - nur im Dienst einer Minorität; diese aber erhielt dadurch, oder auch schon durch die passive widerstandslose Haltung der Majorität, den Anschein, als sei sie Vertreterin des ganzen Volkes.
Nach dem ersten großen Erfolg spaltete sich in der Regel die siegreiche Minorität; die eine Hälfte war mit dem Erlangten zufrieden, die andere wollte noch weiter gehn, stellte neue Forderungen, die wenigstens teilweise auch im wirklichen oder scheinbaren Interesse der großen Volksmenge waren. Diese radikaleren Forderungen wurden auch in einzelnen Fällen durchgesetzt; häufig aber nur für den Augenblick, die gemäßigtere Partei erlangte wieder die Oberhand, das zuletzt Gewonnene ging ganz oder teilweise wieder verloren; die Besiegten schrieen dann über Verrat oder schoben die Niederlage auf den Zufall. In Wirklichkeit aber lag die Sache meist so: Die Errungenschaften des ersten Sieges wurden erst sichergestellt durch den zweiten Sieg der radikaleren Partei; war dies und damit das augenblicklich Nötige erreicht, so verschwanden die Radikalen und ihre Erfolge wieder vom Schauplatz.
Alle Revolutionen der neueren Zeit, angefangen von der großen englischen des siebzehnten Jahrhunderts, zeigten diese Züge, die untrennbar schienen von jedem revolutionären Kampf. Sie schienen anwendbar auch auf die Kämpfe des Proletariats um seine Emanzipation; anwendbar um so mehr, als gerade 1848 die Leute zu zählen waren, die auch nur einigermaßen verstanden, in welcher Richtung diese Emanzipation zu suchen war. Die proletarischen Massen selbst waren sogar in Paris noch nach dem Sieg absolut im unklaren über den einzuschlagenden Weg. Und doch war die Bewegung da, instinktiv, spontan, ununterdrückbar. War das nicht gerade die Lage, worin eine Revolution gelingen mußte, geleitet zwar von einer Minorität, aber diesmal nicht im Interesse der Minorität, sondern im eigentlichsten Interesse der Majorität? Waren in allen längeren revolutionären Perioden die großen Volksmassen so leicht durch bloße plausible Vorspiegelungen der vorwärtsdrängenden Minoritäten zu gewinnen, wie sollten sie weniger zugänglich sein für Ideen, die der eigenste Reflex ihrer ökonomischen Lage, die nichts anderes waren als der klare, verstandesgemäße Ausdruck ihrer von ihnen selbst noch unverstandenen, nur erst unbestimmt gefühlten Bedürfnisse? Allerdings hatte diese revolutionäre Stimmung der Massen fast immer, und meist sehr bald, einer Ermattung oder gar einem Umschlag ins Gegenteil Platz gemacht, sobald die Illusion verraucht, die Enttäuschung eingetreten war. Aber hier handelte es sich nicht um Vorspiegelungen, sondern um die Durchführung der eigentlichsten Interessen der großen Mehrheit selbst, Interessen, die zwar damals dieser großen Mehrheit keineswegs klar waren, die ihr aber bald genug klar werden mußten, im Laufe der praktischen Durchführung, durch den überzeugenden Augenschein. Und wenn nun gar, wie im dritten Artikel von Marx nachgewiesen, im Frühjahr 1850 die Entwicklung der aus der "sozialen" Revolution von 1848 erstandenen bürgerlichen Republik die wirkliche Herrschaft in den Händen der - obendrein monarchistisch gesinnten - großen Bourgeoisie konzentriert, dagegen alle anderen Gesellschaftsklassen, Bauern wie Kleinbürger, um das Proletariat gruppiert hatte, derart, daß bei und nach dem gemeinsamen Sieg nicht sie, sondern das durch Erfahrung gewitzigte Proletariat der entscheidende Faktor werden mußte - war da nicht alle Aussicht vorhanden für den Umschlag der Revolution der Minorität in die Revolution der Majorität?
Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion; sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen und die große Industrie in Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen und neuerdings Rußland erst wirklich eingebürgert, aus Deutschland aber geradezu ein Industrieland ersten Ranges gemacht hat - alles auf kapitalistischer, im Jahre 1848 also noch sehr ausdehnungsfähiger Grundlage. Gerade diese industrielle Revolution aber ist es, die überall erst Klarheit geschaffen hat in den Klassenverhältnissen, die eine Menge von aus der Manufakturperiode und im östlichen Europa selbst aus dem Zunfthandwerk her überkommenen Zwischenexistenzen beseitigt, eine wirkliche Bourgeoisie und ein wirkliches großindustrielles Proletariat erzeugt und in den Vordergrund der gesellschaftlichen Entwicklung gedrängt hat. Dadurch aber ist der Kampf dieser beiden großen Klassen, der 1848 außerhalb Englands nur in Paris und höchstens in einigen großen Industriezentren bestand, erst über ganz Europa verbreitet worden und hat eine Intensität erlangt, wie sie 1848 noch undenkbar war. Damals die vielen, unklaren Sektenevangelien mit ihren Panazeen, heute die eine allgemein anerkannte, durchsichtig klare, die letzten Zwecke des Kampfes scharf formulierende Theorie von Marx; damals die nach Lokalität und Nationalität geschiedenen und verschiedenen, nur durch das Gefühl gemeinsamer Leiden verknüpften, unentwickelten, zwischen Begeisterung und Verzweiflung ratlos hin und her geworfenen Massen, heute die eine große internationale Armee von Sozialisten, unaufhaltsam vorschreitend, täglich wachsend an Zahl, Organisation, Disziplin, Einsicht und Siegesgewißheit. Wenn sogar diese mächtige Armee des Proletariats noch immer nicht das Ziel erreicht hat, wenn sie, weit entfernt, den Sieg mit einem großen Schlag zu erringen, in hartem, zähem Kampf von Position zu Position langsam vordringen muß, so beweist dies ein für allemal, wie unmöglich es 1848 war, die soziale Umgestaltung durch einfache Überrumpelung zu erobern.
Eine in zwei dynastisch-monarchische Sektionen gespaltene Bourgeoisie, die aber vor allen Dingen Ruhe und Sicherheit für ihre Geldgeschäfte verlangte, ihr gegenüber ein zwar besiegtes, aber immer noch drohendes Proletariat, um das sich Kleinbürger und Bauern mehr und mehr gruppierten - die stete Drohung eines gewaltsamen Ausbruchs, der bei alledem keine Aussicht auf endgültige Lösung bot -, das war die Situation, wie geschaffen für den Staatsstreich des dritten, des pseudo-demokratischen Prätendenten Louis Bonaparte. Vermittelst der Armee machte dieser am 2. Dezember 1851 der gespannten Situation ein Ende und sicherte Europa die innere Ruhe, um es dafür mit einer neuen Ära der Kriege zu beglücken. Die Periode der Revolutionen von unten war einstweilen geschlossen; es folgte eine Periode der Revolutionen von oben.
Der imperialistische Rückschlag von 1851 gab einen neuen Beweis von der Unreife der proletarischen Aspirationen jener Zeit. Aber er selbst sollte die Bedingungen schaffen, unter denen sie reifen mußten. Die innere Ruhe sicherte die volle Entwicklung des neuen industriellen Aufschwungs, die Notwendigkeit, die Armee zu beschäftigen und die revolutionären Strömungen nach außen abzulenken, erzeugte die Kriege, worin Bonaparte, unter dem Vorwand, das "Nationalitätsprinzip" zur Geltung zu bringen, Annexionen für Frankreich zu ergattern suchte. Sein Nachahmer Bismarck adoptierte dieselbe Politik für Preußen; er machte seinen Staatsstreich, seine Revolution von oben 1866 gegenüber dem Deutschen Bund und Österreich und nicht minder gegenüber der preußischen Konfliktskammer. Aber Europa war zu klein für zwei Bonapartes, und so wollte es die geschichtliche Ironie, daß Bismarck den Bonaparte stürzte und daß der König Wilhelm von Preußen nicht nur das kleindeutsche Kaisertum herstellte, sondern auch die französische Republik. Das allgemeine Ergebnis aber war, daß in Europa die Selbständigkeit und innere Einigung der großen Nationen, mit Ausnahme Polens, eine Tatsache geworden war. Freilich innerhalb relativ bescheidener Grenzen - aber immerhin so weit, daß der Entwicklungsprozeß der Arbeiterklasse nicht mehr an nationalen Verwicklungen ein wesentliches Hemmnis fand. Die Totengräber der Revolution von 1848 waren ihre Testamentsvollstrecker geworden. Und neben ihnen erhob sich schon drohend der Erbe von 1848, das Proletariat, in der Internationale.
Nach dem Kriege von 1870/71 verschwindet Bonaparte vom Schauplatz, und Bismarcks Mission ist vollendet, so daß er nun wieder zum ordinären Junker herabsinken kann. Den Abschluß der Periode aber bildet die Kommune von Paris. Ein heimtückischer Versuch von Thiers, der Pariser Nationalgarde ihre Geschütze zu stehlen, rief einen siegreichen Aufstand hervor. Es zeigte sich wieder, daß in Paris keine andere Revolution mehr möglich ist als eine proletarische. Die Herrschaft fiel der Arbeiterklasse nach dem Sieg ganz von selbst, ganz unbestritten in den Schoß. Und wiederum zeigte sich, wie unmöglich auch damals noch, zwanzig Jahre nach der in unserer Schrift geschilderten Zeit, diese Herrschaft der Arbeiterklasse war. Einerseits ließ Frankreich Paris im Stich, sah zu, wie es unter den Kugeln Mac-Mahons verblutete; andererseits verzehrte sich die Kommune im unfruchtbaren Streit der beiden sie spaltenden Parteien, der Blanquisten (Majorität) und der Proudhonisten (Minorität), die beide nicht wußten, was zu tun war. Ebenso unfruchtbar wie 1848 die Überrumpelung, blieb 1871 der geschenkte Sieg.
Mit der Pariser Kommune glaubte man das streitbare Proletariat endgültig begraben. Aber ganz im Gegenteil, von der Kommune und vom Deutsch-Französischen Krieg datiert sein gewaltigster Aufschwung. Die totale Umwälzung des gesamten Kriegswesens durch die Einrangierung der ganzen waffenfähigen Bevölkerung in die nur noch nach Millionen zu berechnenden Armeen, durch Feuerwaffen, Geschosse und Explosivstoffe von bisher unerhörter Wirkungskraft machte einerseits der bonapartistischen Kriegsperiode ein jähes Ende und sicherte die friedliche industrielle Entwickelung, indem sie jeden anderen Krieg unmöglich machte als einen Weltkrieg von unerhörter Greuelhaftigkeit und von absolut unberechenbarem Ausgang. Andrerseits trieb sie durch die in geometrischer Progression steigenden Heereskosten die Steuern zu unerschwinglicher Höhe und damit die ärmeren Volksklassen in die Arme des Sozialismus. Die Annexion von Elsaß-Lothringen, die nächste Ursache der tollen Konkurrenz in Kriegsrüstungen, mochte die französische und deutsche Bourgeoisie gegeneinander chauvinistisch verhetzen; für die Arbeiter beider Länder wurde sie ein neues Band der Einigung. Und der Jahrestag der Kommune von Paris wurde der erste allgemeine Festtag des gesamten Proletariats.
Der Krieg von 1870/71 und die Niederlage der Kommune hatten, wie Marx vorhergesagt, den Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung einstweilen von Frankreich nach Deutschland verlegt. In Frankreich brauchte es selbstverständlich Jahre, bis man sich von dem Aderlaß des Mai 1871 erholt hatte. In Deutschland dagegen, wo die obendrein von dem französischen Milliardensegen geradezu treibhausmäßig geförderte Industrie sich immer rascher entwickelte, wuchs noch weit rascher und nachhaltiger die Sozialdemokratie. Dank dem Verständnis, womit die deutschen Arbeiter das 1866 eingeführte allgemeine Stimmrecht benutzten, liegt das staunenerregende Wachstum der Partei in unbestreitbaren Zahlen offen vor aller Welt. 1871: 102.000, 1874: 352.000, 1877: 493.000 sozialdemokratische Stimmen. Dann kam die hohe obrigkeitliche Anerkennung dieser Fortschritte in Gestalt des Sozialistengesetzes; die Partei war momentan zersprengt, die Stimmenzahl sank 1881 auf 312.000. Aber das war rasch überwunden, und nun, unter dem Druck des Ausnahmegesetzes, ohne Presse, ohne äußere Organisation, ohne Vereins- und Versammlungsrecht, nun fing die rasche Ausbreitung erst recht an: 1884: 550.000, 1887: 763.000, 1890: 1.427.000 Stimmen. Da erlahmte die Hand des Staates. Das Sozialistengesetz verschwand, die sozialistische Stimmenzahl stieg auf 1.787.000, über ein Viertel der sämtlichen abgegebnen Stimmen. Die Regierung und die herrschenden Klassen hatten alle ihre Mittel erschöpft - nutzlos, zwecklos, erfolglos. Die handgreiflichen Beweise ihrer Ohnmacht, die die Behörden, vom Nachtwächter bis zum Reichskanzler, hatten einstecken müssen - und das von den verachteten Arbeitern! -, diese Beweise zählten nach Millionen. Der Staat war am Ende seines Lateins, die Arbeiter erst am Anfang des ihrigen.
Die deutschen Arbeiter hatten aber zudem ihrer Sache noch einen zweiten großen Dienst erwiesen neben dem ersten, der mit ihrer bloßen Existenz als die stärkste, die disziplinierteste, die am raschesten anschwellende sozialistische Partei gegeben war. Sie hatten ihren Genossen aller Länder eine neue, eine der schärfsten Waffen geliefert, indem sie ihnen zeigten, wie man das allgemeine Stimmrecht gebraucht.
Das allgemeine Stimmrecht hatte schon lange in Frankreich bestanden, war aber in Verruf gekommen durch den Mißbrauch, den die bonapartistische Regierung damit getrieben. Nach der Kommune war keine Arbeiterpartei vorhanden, es zu benutzen. Auch in Spanien bestand es seit der Republik, aber in Spanien war die Wahlenthaltung aller ernstlichen Oppositionsparteien von jeher Regel. Auch die Schweizer Erfahrungen mit dem allgemeinen Stimmrecht waren alles, nur nicht aufmunternd für eine Arbeiterpartei. Die revolutionären Arbeiter der romanischen Länder hatten sich angewöhnt, das Stimmrecht als einen Fallstrick, als ein Instrument der Regierungsprellerei anzusehn. In Deutschland war das anders. Schon das "Kommunistische Manifest" hatte die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie, als eine der ersten und wichtigsten Aufgaben des streitbaren Proletariats proklamiert, und Lassalle hatte diesen Punkt wieder aufgenommen. Als nun Bismarck sich genötigt sah, dies Wahlrecht einzuführen als einziges Mittel, die Volksmassen für seine Pläne zu interessieren, da machten unsere Arbeiter sofort Ernst damit und sandten August Bebel in den ersten konstituierenden Reichstag. Und von dem Tage an haben sie das Wahlrecht benutzt in einer Weise, die sich ihnen tausendfach gelohnt und die den Arbeitern aller Länder als Vorbild gedient hat. Sie haben das Wahlrecht, in den Worten des französischen marxistischen Programms, transformé, de moyen de duperie qu'il a été jusqu'ici, en instrument d'émancipation - es verwandelt aus einem Mittel der Prellerei, was es bisher war, in ein Werkzeug der Befreiung. Und wenn das allgemeine Wahlrecht keinen anderen Gewinn geboten hätte, als daß es uns erlaubte, uns alle drei Jahre zu zählen; daß es durch die regelmäßig konstatierte, unerwartet rasche Steigerung der Stimmenzahl in gleichem Maße die Siegesgewißheit der Arbeiter wie den Schrecken der Gegner steigerte und so unser bestes Propagandamittel wurde; daß es uns genau unterrichtete über unsere eigene Stärke wie über die aller gegnerischen Parteien und uns dadurch einen Maßstab für die Proportionierung unserer Aktion lieferte, wie es keinen zweiten gibt - uns vor unzeitiger Zaghaftigkeit ebensosehr bewahrte wie vor unzeitiger Tollkühnheit -, wenn das der einzige Gewinn wäre, den wir vom Stimmrecht haben, dann wäre es schon über und übergenug. Aber es hat noch viel mehr getan. In der Wahlagitation lieferte es uns ein Mittel, wie es kein zweites gibt, um mit den Volksmassen da, wo sie uns noch ferne stehen, in Berührung zu kommen, alle Parteien zu zwingen, ihre Ansichten und Handlungen unseren Angriffen gegenüber vor allem Volk zu verteidigen; und dazu eröffnete es unseren Vertretern im Reichstag eine Tribüne, von der herab sie mit ganz anderer Autorität und Freiheit zu ihren Gegnern im Parlament wie zu den Massen draußen sprechen konnten als in der Presse und in Versammlungen. Was half der Regierung und der Bourgeoisie ihr Sozialistengesetz, wenn die Wahlagitation und die sozialistischen Reichstagsreden es fortwährend durchbrachen?
Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, daß die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisiert, noch weitere Handhaben bieten, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, daß Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.
Denn auch hier hatten sich die Bedingungen des Kampfes wesentlich verändert. Die Rebellion alten Stils, der Straßenkampf mit Barrikaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab, war bedeutend veraltet.
Machen wir uns keine Illusion darüber: Ein wirklicher Sieg des Aufstandes über das Militär im Straßenkampf, ein Sieg wie zwischen zwei Armeen, gehört zu den größten Seltenheiten. Darauf hatten aber die Insurgenten es auch ebenso selten angelegt. Es handelte sich für sie nur darum, die Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse, die beim Kampf zwischen den Armeen zweier kriegführender Länder gar nicht oder doch in weit geringerem Grad ins Spiel kommen. Gelingt das, so versagt die Truppe oder die Befehlshaber verlieren den Kopf, und der Aufstand siegt. Gelingt das nicht, so bewährt sich, selbst bei einer Minderzahl auf seiten des Militärs, die Überlegenheit der besseren Ausrüstung und Schulung, der einheitlichen Leitung, der planmäßigen Verwendung der Streitkräfte und der Disziplin. Das Höchste, wozu es die Insurrektion in wirklich taktischer Aktion bringen kann, ist die kunstgerechte Anlage und Verteidigung einer einzelnen Barrikade. Gegenseitige Unterstützung, Aufstellung resp. Verwendung von Reserven, kurz, das schon zur Verteidigung eines Stadtbezirks, geschweige einer ganzen großen Stadt, unentbehrliche Zusammenwirken und Ineinandergreifen der einzelnen Abteilungen wird nur höchst mangelhaft, meist gar nicht zu erreichen sein; Konzentration der Streitkräfte auf einen entscheidenden Punkt fällt da von selbst weg. Damit ist die passive Verteidigung die vorwiegende Kampfform; der Angriff wird sich hier und da, aber auch nur ausnahmsweise, zu gelegentlichen Vorstößen und Flankenanfällen aufraffen, in der Regel aber sich nur auf Besetzung der von der zurückgehenden Truppe verlassenen Stellungen beschränken. Wozu noch auf Seite des Militärs die Verfügung über Geschütz und vollständig ausgerüstete und geübte Genietruppen kommt, Streitmittel, die den Insurgenten in fast allen Fällen gänzlich abgehn. Kein Wunder also, daß selbst die mit dem größten Heldenmut geführten Barrikadenkämpfe - Paris Juni 1848, Wien Oktober 1848, Dresden Mai 1849 - mit der Niederlage des Aufstandes endigten, sobald die angreifenden Führer, ungehemmt durch politische Rücksichten, nach rein militärischen Gesichtspunkten handelten und ihre Soldaten zuverlässig blieben.
Die zahlreichen Erfolge der Insurgenten bis 1848 sind sehr mannigfachen Ursachen geschuldet. In Paris Juli 1830 und Februar 1848, wie in den meisten spanischen Straßenkämpfen, stand zwischen den Insurgenten und dem Militär eine Bürgerwehr, die entweder direkt auf Seite des Aufstandes trat oder aber durch laue, unentschiedene Haltung die Truppen ebenfalls ins Schwanken brachte und dem Aufstand obendrein Waffen lieferte. Da, wo diese Bürgerwehr von vornherein gegen den Aufstand auftrat, wie Juni 1848 in Paris, wurde dieser auch besiegt. In Berlin 1848 siegte das Volk teils durch den bedeutenden Zuwachs neuer Streitkräfte während der Nacht und des Morgens am 19. [März], teils infolge der Erschöpfung und schlechten Verpflegung der Truppen, teils endlich infolge der erlahmenden Befehlsgebung. In allen Fällen aber wurde der Sieg erkämpft, weil die Truppe versagte, weil den Befehlshabern die Entschlußfähigkeit ausging oder aber, weil ihnen die Hände gebunden waren.
Selbst in der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte also die Barrikade mehr moralisch als materiell. Sie war ein Mittel, die Festigkeit des Militärs zu erschüttern. Hielt sie vor, bis dies gelang, so war der Sieg erreicht; wo nicht, war man geschlagen. {Es ist dies der Hauptpunkt, der im Auge zu halten ist, auch wenn man die Chancen etwaiger künftiger Straßenkämpfe untersucht.} |Geschweifte Klammern kennzeichnen Textstellen die aus Rücksicht auf die "umsturzvorlagenfurchtsamlichen Bedenken" (Engels) des Berliner Parteivorstandes gestrichen wurden.|
Diese Chancen standen |(2. Fassung:) Die Chancen standen übrigens| schon 1849 ziemlich schlecht. Die Bourgeoisie hatte sich überall auf die Seite der Regierungen geschlagen, "Bildung und Besitz" begrüßten und bewirteten das gegen Aufstände ausziehende Militär. Die Barrikade hatte ihren Zauber verloren; der Soldat sah hinter ihr nicht mehr "das Volk", sondern Rebellen, Wühler, Plünderer, Teiler, den Auswurf der Gesellschaft; der Offizier war mit der Zeit bewandert geworden in den taktischen Formen des Straßenkampfes, er marschierte nicht mehr geradeaus und ungedeckt auf die improvisierte Brustwehr los, sondern umging sie durch Gärten, Höfe und Häuser. Und das gelang jetzt, bei einigem Geschick, in neun Fällen von zehn.
Seitdem aber hat sich noch sehr viel verändert, und alles zugunsten des Militärs. Sind die Großstädte bedeutend größer geworden, so noch mehr die Armeen. Paris und Berlin sind seit 1848 nicht ums Vierfache gewachsen, ihre Garnisonen aber um mehr als das. Diese Garnisonen können vermittelst der Eisenbahnen in 24 Stunden sich mehr als verdoppeln, in 48 Stunden zu Riesenarmeen anschwellen. Die Bewaffnung dieser enorm verstärkten Truppenzahl ist unvergleichlich wirksamer geworden. 1848 der glatte Perkussions-Vorderlader, heute der kleinkalibrige Magazin-Hinterlader, der viermal so weit, zehnmal so genau und zehnmal so rasch schießt wie jener. Damals die relativ schwach wirkenden Vollkugeln und Kartätschen der Artillerie, heute die Perkussionsgranaten, deren eine hinreicht, die beste Barrikade zu zertrümmern. Damals die Spitzhacke des Pioniers zum Durchbrechen von Brandmauern, heute die Dynamitpatrone.
Auf seiten des Insurgenten dagegen sind alle Bedingungen schlechter geworden. Ein Aufstand, mit dem alle Volksschichten sympathisieren, kommt schwerlich wieder; im Klassenkampf werden sich wohl nie alle Mittelschichten so ausschließlich ums Proletariat gruppieren, daß die um die Bourgeoisie sich scharende Reaktionspartei dagegen fast verschwinde. Das "Volk" wird also immer geteilt erscheinen, und damit fehlt ein gewaltiger, 1848 so äußerst wirksamer Hebel. Kommen |(2. Fassung:) kämen auch| auf Seite der Aufständischen mehr gediente Soldaten, so wird ihre Bewaffnung um so schwieriger. Die Jagd- und Luxusflinten der Waffenläden - selbst wenn nicht vorher von Polizei wegen durch Wegnahme eines Schloßteiles unbrauchbar gemacht - sind auch im Nahkampf dem Magazingewehr des Soldaten nicht entfernt gewachsen. Bis 1848 konnte man aus Pulver und Blei sich die nötige Munition selbst machen, heute ist die Patrone für jedes Gewehr verschieden und nur in dem einen Punkt überall gleich, daß sie ein Kunstprodukt der großen Industrie, also nicht ex tempore anzufertigen ist, daß also die meisten Gewehre nutzlos sind, solange man nicht die speziell für sie passende Munition hat. Und endlich sind die seit 1848 neugebauten Viertel der großen Städte, in langen, graden, breiten Straßen angelegt, wie gemacht für die Wirkung der neuen Geschütze und Gewehre. Der Revolutionär müßte verrückt sein, der sich die neuen Arbeiterdistrikte im Norden und Osten von Berlin zu einem Barrikadenkampf selbst aussuchte.
{Heißt das, daß in Zukunft der Straßenkampf keine Rolle mehr spielen wird? Durchaus nicht. Es heißt nur, daß die Bedingungen seit 1848 weit ungünstiger für die Zivilkämpfer, weit günstiger für das Militär geworden sind. Ein künftiger Straßenkampf kann also nur siegen, wenn diese Ungunst der Lage durch andere Momente aufgewogen wird. Er wird daher seltener im Anfang einer großen Revolution vorkommen als im weiteren Verlauf einer solchen und wird mit größeren Kräften unternommen werden müssen. Diese aber werden dann wohl, wie in der ganzen großen französischen Revolution, am 4. September und 31. Oktober 1870 in Paris den offenen Angriff der passiven Barrikadentaktik vorziehen.}
Versteht der Leser nun, weshalb die herrschenden Gewalten |(2. Fassung:) Klassen| uns platterdings dahin bringen wollen, wo die Flinte schießt und der Säbel haut? Warum man uns heute der Feigheit zeiht, weil wir uns nicht ohne weiteres auf die Straße begeben, wo wir der Niederlage im voraus gewiß sind? Warum man uns so inständig anfleht, wir möchten doch endlich einmal Kanonenfutter spielen?
Die Herren verschwenden ihre Bittgesuche wie ihre Herausforderungen für nichts und wieder nichts. So dumm sind wir nicht. Sie könnten ebensogut von ihrem Feind im nächsten Krieg verlangen, er solle sich ihnen stellen in der Linienformation des alten Fritz oder in den Kolonnen ganzer Divisionen à la Wagram und Waterloo, und das mit dem Steinschloßgewehr in der Hand. Haben sich die Bedingungen geändert für den Völkerkrieg, so nicht minder für den Klassenkampf. Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen bewußten Minoritäten an der Spitze bewußtloser Massen durchgeführten Revolutionen ist vorbei. Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten |(2. Fassung:) für was sie eintreten sollen|. Das hat uns die Geschichte der letzten fünfzig Jahre gelehrt. Damit aber die Massen verstehen, was zu tun ist, dazu bedarf es langer, ausdauernder Arbeit, und diese Arbeit ist es gerade, die wir jetzt betreiben, und das mit einem Erfolg, der die Gegner zur Verzweiflung bringt.
Auch in den romanischen Ländern sieht man mehr und mehr ein, daß die alte Taktik revidiert werden muß. Überall hat man das deutsche Beispiel der Benutzung des Wahlrechts, der Eroberung aller uns zugänglichen Posten, nachgeahmt {, überall ist das unvorbereitete Losschlagen in den Hintergrund getreten}. In Frankreich, wo doch der Boden seit über hundert Jahren durch Revolution auf Revolution unterwühlt ist, wo es keine einzige Partei gibt, die nicht in Konspirationen, Aufständen und allen anderen revolutionären Aktionen das ihrige geleistet hätte; in Frankreich, wo infolgedessen die Armee der Regierung keineswegs sicher ist und wo überhaupt die Umstände für einen insurrektionellen Handstreich weit günstiger liegen als in Deutschland - selbst in Frankreich sehen die Sozialisten mehr und mehr ein, daß für sie kein dauernder Sieg möglich ist, es sei denn, sie gewinnen vorher die große Masse des Volks, d.h. hier die Bauern. Langsame Arbeit der Propaganda und parlamentarische Tätigkeit sind auch hier als nächste Aufgabe der Partei erkannt. Die Erfolge blieben nicht aus. Nicht nur sind eine ganze Reihe von Gemeinderäten erobert worden; in den Kammern sitzen 50 Sozialisten, und diese haben bereits drei Ministerien und einen Präsidenten der Republik gestürzt. In Belgien haben sich die Arbeiter voriges Jahr das Wahlrecht erzwungen und in einem Viertel der Wahlkreise gesiegt. In der Schweiz, in Italien, in Dänemark, ja selbst in Bulgarien und Rumänien sind die Sozialisten in den Parlamenten vertreten. In Österreich sind alle Parteien darüber einig, daß uns der Zutritt zum Reichsrat nicht länger verwehrt bleiben kann. Hinein kommen wir, das ist gewiß, man streitet nur noch darüber: durch welche Tür. Und selbst wenn in Rußland der berühmte Semski Sobor zusammentritt, jene Nationalversammlung, gegen die der junge Nikolaus sich so vergebens sperrt, selbst da können wir mit Gewißheit darauf rechnen, daß wir auch dort vertreten sind.
Selbstverständlich verzichten unsere ausländischen Genossen nicht auf ihr Recht auf Revolution. Das Recht auf Revolution ist ja überhaupt das einzige wirklich "historische Recht", das einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen, Mecklenburg eingeschlossen, dessen Adelsrevolution beendigt wurde 1755 durch den "Erbvergleich", die noch heute gültige glorreiche Verbriefung des Feudalismus. Das Recht auf Revolution ist so sehr im allgemeinen Bewußtsein unumstößlich anerkannt, daß sogar der General von Boguslawski aus diesem Volksrecht allein das Recht auf den Staatsstreich ableitet, das er seinem Kaiser vindiziert.
Was aber auch in anderen Ländern geschehen möge, die deutsche Sozialdemokratie hat eine besondere Stellung und damit wenigstens zunächst auch eine besondere Aufgabe. Die zwei Millionen Wähler, die sie an die Urnen schickt, nebst den jungen Männern und den Frauen, die als Nichtwähler hinter ihnen stehen, bilden die zahlreichste, kompakteste Masse, den entscheidenden "Gewalthaufen" der internationalen proletarischen Armee. Diese Masse liefert schon jetzt über ein Viertel der abgegebnen Stimmen; und wie die Einzelwahlen für den Reichstag, die einzelstaatlichen Landtagswahlen, die Gemeinderats- und Gewerbegerichtswahlen beweisen, nimmt sie unablässig zu. Ihr Wachstum geht so spontan, so stetig, so unaufhaltsam und gleichzeitig so ruhig vor sich wie ein Naturprozeß. Alle Regierungseingriffe haben sich ohnmächtig dagegen erwiesen. Auf 21/4 Millionen Wähler können wir schon heute rechnen. Geht das so voran, so erobern wir bis Ende des Jahrhunderts den größeren Teil der Mittelschichten der Gesellschaft, Kleinbürger wie Kleinbauern, und wachsen aus zu der entscheidenden Macht im Lande, vor der alle andern Mächte sich beugen müssen, sie mögen wollen oder nicht. Dies Wachstum ununterbrochen in Gang zu halten, bis es dem gegenwärtigen |(2. Fassung:) herrschenden| Regierungssystem von selbst über den Kopf wächst, {diesen sich täglich verstärkenden Gewalthaufen nicht in Vorhutkämpfen aufreiben, sondern ihn intakt zu erhalten bis zum Tag der Entscheidung,} das ist unsere Hauptaufgabe. Und da ist nur ein Mittel, wodurch das stetige Anschwellen der sozialistischen Streitkräfte in Deutschland momentan aufgehalten und selbst für einige Zeit zurückgeworfen werden könnte: ein Zusammenstoß auf großem Maßstab mit dem Militär, ein Aderlaß wie 1871 in Paris. Auf die Dauer würde das auch überwunden. Eine Partei, die nach Millionen zählt, aus der Welt schießen, dazu reichen alle Magazingewehre von Europa und Amerika nicht hin. Aber die normale Entwickelung wäre gehemmt, {der Gewalthaufe wäre vielleicht im kritischen Moment nicht verfügbar,} der Entscheidungskampf |(2. Fassung:) die Entscheidung| würde verspätet, verlängert und mit schwereren Opfern verknüpft.
Die Ironie der Weltgeschichte stellt alles auf den Kopf. Wir, die "Revolutionäre", die "Umstürzler", wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz. Die Ordnungsparteien, wie sie sich nennen, gehen zugrunde an dem von ihnen selbst geschaffenen gesetzlichen Zustand. Sie rufen verzweifelt mit Odilon Barrot: la légalité nous tue, die Gesetzlichkeit ist unser Tod, während wir bei dieser Gesetzlichkeit pralle Muskeln und rote Backen bekommen und aussehen wie das ewige Leben. Und wenn wir nicht so wahnsinnig sind, ihnen zu Gefallen uns in den Straßenkampf treiben zu lassen, dann bleibt ihnen zuletzt nichts anderes, als selbst diese ihnen so fatale Gesetzlichkeit zu durchbrechen.
Einstweilen machen sie neue Gesetze gegen den Umsturz. Es ist wieder alles auf den Kopf gestellt. Diese Fanatiker des Anti-Umsturzes von heute, sind sie nicht selbst die Umstürzer von gestern? Haben wir etwa den Bürgerkrieg von 1866 heraufbeschworen? Haben wir den König von Hannover, den Kurfürsten von Hessen, den Herzog von Nassau aus ihren angestammten, legitimen Erblanden vertrieben und diese Erblande annektiert? Und diese Umstürzer des Deutschen Bundes und dreier Kronen von Gottes Gnaden beklagen sich über Umsturz? Quis tulerit Gracchos de seditione querentes? |Wer wird es den Gracchen erlauben, sich über einen Aufruhr zu beklagen? (Juvenal. "Satiren", II, 24)| Wer könnte den Bismarckanbetern erlauben, auf den Umsturz zu schimpfen?
Mögen sie indes ihre Umsturzvorlagen durchsetzen, sie noch verschlimmern, das ganze Strafgesetz in Kautschuk verwandeln, sie werden nichts erreichen als den neuen Beweis ihrer Ohnmacht. Um der Sozialdemokratie ernstlich auf den Leib zu rücken, werden sie noch ganz andere Maßregeln ergreifen müssen. Dem sozialdemokratischen Umsturz, der augenblicklich davon lebt |(2. Fassung:) dem es gerade jetzt so gut bekommt|, daß er die Gesetze hält, können sie nur beikommen durch den ordnungsparteilichen Umsturz, der nicht leben kann, ohne daß er die Gesetze bricht. Herr Rößler, der preußische Bürokrat, und Herr von Boguslawski, der preußische General, haben ihnen den einzigen Weg gezeigt, auf dem man den Arbeitern, die sich nun einmal nicht in den Straßenkampf locken lassen, vielleicht noch beikommen kann. Bruch der Verfassung, Diktatur, Rückkehr zum Absolutismus, regis voluntas suprema lex! |des Königs Willen ist das oberste Gesetz!| Also nur Mut, meine Herren, hier hilft kein Maulspitzen, hier muß gepfiffen sein!
Vergessen Sie aber nicht, daß das Deutsche Reich, wie alle Kleinstaaten und überhaupt alle modernen Staaten, ein Produkt des Vertrages ist; des Vertrages erstens der Fürsten untereinander, zweitens der Fürsten mit dem Volk. Bricht der eine Teil den Vertrag, so fällt der ganze Vertrag, der andere Teil ist dann auch nicht mehr gebunden. {Wie uns das Bismarck 1866 so schön vorgemacht hat. Brechen Sie also die Reichsverfassung, so ist die Sozialdemokratie frei, kann Ihnen gegenüber tun und lassen, was sie will. Was sie aber dann tun wird - das bindet sie Ihnen heute schwerlich auf die Nase.}
Es sind nun fast aufs Jahr 1.600 Jahre, da wirtschaftete im Römischen Reich ebenfalls eine gefährliche Umsturzpartei. Sie untergrub die Religion und alle Grundlagen des Staates; sie leugnete geradezu, daß des Kaisers Wille das höchste Gesetz, sie war vaterlandslos, international, sie breitete sich aus über alle Reichslande von Gallien bis Asien und über die Reichsgrenzen hinaus. Sie hatte lange unterirdisch, im verborgenen gewühlt; sie hielt sich aber schon seit längerer Zeit stark genug, offen ans Licht zu treten. Diese Umsturzpartei, die unter dem Namen der Christen bekannt war, hatte auch ihre starke Vertretung im Heer; ganze Legionen waren christlich. Wenn sie zu den Opferzeremonien der heidnischen Landeskirche kommandiert wurden, um dort die Honneurs zu machen, trieben die Umstürzlersoldaten die Frechheit so weit, daß sie zum Protest besondere Abzeichen - Kreuze - an ihre Helme steckten. Selbst die üblichen Kasernenschurigeleien der Vorgesetzten waren fruchtlos. Der Kaiser Diokletian konnte nicht länger ruhig zusehen, wie Ordnung, Gehorsam und Zucht in seinem Heere untergraben wurden. Er griff energisch ein, weil es noch Zeit war. Er erließ ein Sozialisten-, wollte sagen Christengesetz. Die Versammlungen der Umstürzler wurden verboten, ihre Saallokalitäten geschlossen oder gar niedergerissen, die christlichen Abzeichen, Kreuze etc., wurden verboten wie in Sachsen die roten Schnupftücher. Die Christen wurden für unfähig erklärt, Staatsämter zu bekleiden, nicht einmal Gefreite sollten sie werden dürfen. Da man damals noch nicht über so gut auf das "Ansehen der Person" dressierte Richter verfügte, wie Herrn von Köllers Umsturzvorlage sie voraussetzt, so verbot man den Christen kurzerhand, sich vor Gericht ihr Recht zu holen. Auch dies Ausnahmegesetz blieb wirkungslos. Die Christen rissen es zum Hohn von den Mauern herunter, ja sie sollen dem Kaiser in Nikomedien den Palast über dem Kopf angezündet haben. Da rächte sich dieser durch die große Christenverfolgung des Jahres 303 unserer Zeitrechnung. Sie war die letzte ihrer Art. Und sie war so wirksam, daß siebzehn Jahre später die Armee überwiegend aus Christen bestand, und der nächstfolgende Selbstherrscher des gesamten Römerreichs, Konstantin, von den Pfaffen genannt der Große, das Christentum proklamierte als Staatsreligion.
London, 6. März 1895
F. Engels
Vom Februar bis Juni 1848
Nach der Julirevolution, als der liberale Bankier Lafitte seinen compère <Gefatter; Helfershelfer>, den Herzog von Orléans, im Triumph auf das Hôtel de Ville <Stadthaus von Paris> geleitete, ließ er das Wort fallen: "Von nun an werden die Bankiers herrschen." Lafitte hatte das Geheimnis der Revolution verraten.
Nicht die französische Bourgeoisie herrschte unter Louis-Philippe, sondern eine Fraktion derselben, Bankiers, Börsenkönige, Eisenbahnkönige, Besitzer von Kohlen- und Eisenbergwerken und Waldungen, ein Teil des mit ihnen ralliierten Grundeigentums - die sogenannte Finanzaristokratie. Sie saß auf dem Throne, sie diktierte in den Kammern Gesetze, sie vergab die Staatsstellen vom Ministerium bis zum Tabaksbüro.
Die eigentliche industrielle Bourgeoisie bildete einen Teil der offiziellen Opposition, d.h., sie war in der Kammer nur als Minorität vertreten. Ihre Opposition trat um so entschiedener hervor, je reiner sich die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie entwickelte und je mehr sie selbst nach den in Blut erstickten Emeuten 1832, 1834 und 1839 ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse gesichert wähnte. Grandin, Fabrikant von Rouen, in der konstituierenden wie in der legislativen Nationalversammlung das fanatische Organ der bürgerlichen Reaktion, war in der Deputiertenkammer der heftigste Widersacher Guizots. Léon Faucher, später durch seine ohnmächtigen Anstrengungen bekannt, sich zum Guizot der französischen Kontrerevolution aufzuschwingen, führte in den letzten Zeiten Louis-Philippes einen Federkrieg für die Industrie gegen die Spekulation und ihren Schleppenträger, die Regierung. Bastiat agitierte im Namen von Bordeaux und des ganzen weinproduzierenden Frankreichs gegen das herrschende System.
Die kleine Bourgeoisie in allen ihren Abstufungen, ebenso die Bauernklasse waren vollständig von der politischen Macht ausgeschlossen. Es befanden sich endlich in der offiziellen Opposition oder gänzlich außerhalb des pays légal <des Kreises der Wahlberechtigten> die ideologischen Vertreter und Wortführer der angeführten Klassen, ihre Gelehrten, Advokaten, Ärzte usw., mit einem Worte: ihre sogenannten Kapazitäten.
Durch ihre Finanznot war die Julimonarchie von vorn herein abhängig von der hohen Bourgeoisie, und ihre Abhängigkeit von der hohen Bourgeoisie wurde die unerschöpfliche Quelle einer wachsenden Finanznot. Unmöglich, die Staatsverwaltung dem Interesse der nationalen Produktion unterzuordnen, ohne das Gleichgewicht im Budget herzustellen, das Gleichgewicht zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen. Und wie dies Gleichgewicht herstellen ohne Beschränkung des Staatsaufwandes, d.h. ohne Interessen zu verletzen, die ebenso viele Stützen des herrschenden Systems waren, und ohne die Steuerverteilung neu zu regeln, d.h. ohne einen bedeutenden Teil der Steuerlast auf die Schultern der hohen Bourgeoisie selbst zu wälzen?
Die Verschuldung des Staates war vielmehr das direkte Interesse der durch die Kammern herrschenden und gesetzgebenden Bourgeoisfraktion. Das Staatsdefizit, es war eben der eigentliche Gegenstand ihrer Spekulation und die Hauptquelle ihrer Bereicherung. Nach jedem Jahre ein neues Defizit. Nach dem Verlaufe von vier bis fünf Jahren eine neue Anleihe. Und jede neue Anleihe bot der Finanzaristokratie neue Gelegenheit, den künstlich in der Schwebe des Bankerotts gehaltenen Staat zu prellen - er mußte unter den ungünstigsten Bedingungen mit den Bankiers kontrahieren. Jede neue Anleihe gab eine zweite Gelegenheit, das Publikum, das seine Kapitalien in Staatspapiere angelegt, durch Börsenoperationen zu plündern, in deren Geheimnis Regierung und Kammermajorität eingeweiht waren. Überhaupt bot der schwankende Stand des Staatskredits und der Besitz der Staatsgeheimnisse den Bankiers wie ihren Affiliierten in den Kammern und auf dem Throne die Möglichkeit, außerordentliche, plötzliche Schwankungen im Kurse der Staatspapiere hervorzurufen, deren stetes Resultat der Ruin einer Masse kleinerer Kapitalisten sein mußte und die fabelhafte schnelle Bereicherung der großen Spieler. War das Staatsdefizit das direkte Interesse der herrschenden Bourgeoisfraktion, so erklärt es sich, wie die außerordentlichen Staatsverwendungen in den letzten Regierungsjahren Louis-Philippes bei weitem um das Doppelte die außerordentlichen Staatsverwendungen unter Napoleon überstiegen, ja beinah jährlich die Summe von 400 Millionen frs. erreichten, während die jährliche Gesamtausfuhr Frankreichs im Durchschnitt sich selten zur Höhe von 750 Millionen frs. erhob. Die enormen Summen, die so durch die Hände des Staates flossen, gaben überdem Gelegenheit zu gaunerischen Lieferungskontrakten, Bestechungen, Unterschleifen, Spitzbübereien aller Art. Die Übervorteilung des Staates, wie sie durch die Anleihen im Großen geschah, wiederholte sich bei den Staatsarbeiten im Detail. Das Verhältnis zwischen Kammer und Regierung vervielfältigte sich als Verhältnis zwischen den einzelnen Administrationen und den einzelnen Unternehmern.
Wie die Staatsverwendungen überhaupt und die Staatsanleihen, so exploitierte die herrschende Klasse die Eisenbahnbauten. Dem Staate wälzten die Kammern die Hauptlasten zu, und der spekulierenden Finanzaristokratie sicherten sie die goldenen Früchte. Man erinnert sich der Skandale in der Deputiertenkammer, wenn es gelegentlich zu Vorschein kam, daß sämtliche Mitglieder der Majorität, ein Teil der Minister eingerechnet, als Aktionäre bei denselben Eisenbahnbauten beteiligt waren, die sie hinterher als Gesetzgeber auf Staatskosten ausführen ließen.
Die kleinste finanzielle Reform scheiterte dagegen an dem Einflusse der Bankiers. So z.B. die Postreform. Rothschild protestierte. Durfte der Staat Einnahmequellen schmälern, aus denen seine wachsende Schuld zu verzinsen war?
Die Julimonarchie war nichts als eine Aktienkompanie zur Exploitation des französischen Nationalreichtums, deren Dividenden sich verteilten unter Minister, Kammern, 240.000 Wähler und ihren Anhang. Louis-Philippe war der Direktor dieser Kompanie - Robert Macaire auf dem Throne. Handel, Industrie, Ackerbau, Schiffahrt, die Interessen der industriellen Bourgeois mußten beständig unter diesem System gefährdet und beeinträchtigt werden. Wohlfeile Regierung, gouvernement à bon marché, hatte sie in den Julitagen auf ihre Fahne geschrieben.
Indem die Finanzaristokratie die Gesetze gab, die Staatsverwaltung leitete, über sämtliche organisierte öffentliche Gewalten verfügte, die öffentliche Meinung durch die Tatsachen und durch die Presse beherrschte, wiederholte sich in allen Sphären, vom Hofe bis zum Café Borgne <Bezichnung für verrufene Kaffehäuser und Kneipen in Paris> dieselbe Prostitution, derselbe schamlose Betrug, dieselbe Sucht, sich zu bereichern, nicht durch die Produktion, sondern durch die Eskamotage schon vorhandenen fremden Reichtums, brach namentlich an den Spitzen der bürgerlichen Gesellschaft die schrankenlose, mit den bürgerlichen Gesetzen selbst jeden Augenblick kollidierende Geltendmachung der ungesunden und liederlichen Gelüste aus, worin der aus dem Spiele entspringende Reichtum naturgemäß seine Befriedigung sucht, wo der Genuß crapuleux <ausschweifend> wird, wo Geld, Schmutz und Blut zusammenfließen. Die Finanzaristokratie, in ihrer Erwerbsweise wie in ihren Genüssen, ist nichts als die Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den Höhen der bürgerlichen Gesellschaft.
Und die nicht herrschenden Fraktionen der französischen Bourgeoisie schrien Korruption! Das Volk schrie: À bas les grands voleurs! À bas les assassins! <Nieder mit den großen Dieben! Nieder mit den Mördern!> als im Jahre 1847 auf den erhabensten Bühnen der bürgerlichen Gesellschaft dieselben Szenen öffentlich aufgeführt wurden, welche das Lumpenproletariat regelmäßig in die Bordells, in die Armen- und Irrenhäuser, vor den Richter, in die Bagnos und auf das Schafott führen. Die industrielle Bourgeoisie sah ihre Interessen gefährdet, die kleine Bourgeoisie war moralisch entrüstet, die Volksphantasie war empört, Paris war von Pamphlets überflutet - "La dynastie Rothschild", "Les juifs rois de l'époque" <"Die Dynastie Rothschild", "Die Juden - Könige unserer Zeit"> etc. -, worin die Herrschaft der Finanzaristokratie mit mehr oder weniger Geist denunziert und gebrandmarkt wurde.
Rien pour la gloire! <Nichts für den Ruhm!> Der Ruhm bringt nichts ein! La paix partout et toujours! <>Friede überall und immer!> Der Krieg drückt den Kurs der drei- und vierprozentigen! - hatte das Frankreich der Börsenjuden auf seine Fahne geschrieben. Seine auswärtige Politik verlor sich daher in eine Reihe von Kränkungen des französischen Nationalgefühls, das um so lebhafter auffuhr, als mit der Einverleibung Krakaus in Österreich der Raub an Polen vollendet wurde und Guizot im schweizerischen Sonderbundskrieg aktiv auf seiten der Heiligen Allianz trat. Der Sieg der Schweizer Liberalen in diesem Scheinkriege hob das Selbstgefühl der bürgerlichen Opposition in Frankreich, die blutige Erhebung des Volkes zu Palermo wirkte wie ein elektrischer Schlag auf die paralysierte Volksmasse und rief ihre großen revolutionären Erinnerungen und Leidenschaften wach. (1)
Der Ausbruch des allgemeinen Mißbehagens wurde endlich beschleunigt, die Verstimmung zur Revolte gereift durch zwei ökonomische Weltereignisse.
Die Kartoffelkrankheit und Mißernten von 1845 und 1846 steigerten die allgemeine Gärung im Volke. Die Teuerung von 1847 rief in Frankreich wie auf dem übrigen Kontinente blutige Konflikte hervor. Gegenüber den schamlosen Orgien der Finanzaristokratie - der Kampf des Volkes um die ersten Lebensmittel! Zu Buzançais die Emeutiers des Hungers hingerichtet, zu Paris übersättigte Escrocs <Gauner> den Gerichten durch die königliche Familie entrissen!
Das zweite große ökonomische Ereignis, welches den Ausbruch der Revolution beschleunigte, war eine allgemeine Handels- und Industriekrise in England; schon Herbst 1845 angekündigt durch die massenhafte Niederlage der Eisenbahnaktien-Spekulaten, hingehalten während des Jahres 1846 durch eine Reihe von Inzidenzpunkten wie die bevorstehende Abschaffung der Kornzölle, eklatierte sie endlich Herbst 1847 in den Bankerotten der großen Londoner Kolonialwarenhändler, denen die Falliten der Landbanken und das Schließen der Fabriken in den englischen Industriebezirken auf dem Fuße nachfolgten. Noch war die Nachwirkung dieser Krise auf dem Kontinent nicht erschöpft, als die Februarrevolution ausbrach.
Die Verwüstung des Handels und der Industrie durch die ökonomische Epidemie machte die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie noch unerträglicher. In ganz Frankreich rief die oppositionelle Bourgeoisie die Bankettagitation für eine Wahlreform hervor, welche ihr die Majorität in den Kammern erobern und das Ministerium des Börse stürzen sollte. Zu Paris hatte die industrielle Krisis noch speziell die Folge, eine Masse Fabrikanten und Großhändler, die auf dem auswärtigen Markte unter den gegenwärtigen Umständen keine Geschäfte mehr machen konnten, auf den inneren Handel zu werfen. Sie errichteten große Etablissements, deren Konkurrenz Épiciers und Boutiquiers <Krämer und Kleinhändler> massenhaft ruinierte. Daher eine Unzahl Falliten in diesem Teile der Pariser Bourgeoisie, daher ihr revolutionäres Auftreten im Februar.. Es ist bekannt, wie Guizot und die Kammern die Reformvorschläge mit einer unzweideutigen Herausforderung beantworteten, wie Louis-Philippe sich zu spät zu einem Ministerium Barrot entschloß, wie es zum Handgemenge zwischen dem Volke und der Armee kam, wie die Armee durch die passive Haltung der Nationalgarde entwaffnet wurde, wie die Julimonarchie einer provisorischen Regierung den Platz räumen mußte.
Die provisorische Regierung, die sich auf den Februarbarrikaden erhob, spiegelte in ihrer Zusammensetzung notwendig die verschiedenen Parteien ab, worunter sich der Sieg verteilte. Sie konnte nichts anderes sein als ein Kompromiß der verschiedenen Klassen, die gemeinsam den Julithron umgestürzt, deren Interessen sich aber feindlich gegenüberstanden. Ihre große Majorität bestand aus Vertretern der Bourgeoisie. Das republikanische Kleinbürgertum vertreten in Ledru-Rollin und Flocon, die republikanische Bourgeoisie in den Leuten vom "National", die dynastische Opposition in Crémieux, Dupont de l'Eure usw. Die Arbeiterklasse besaß nur zwei Repräsentanten, Louis Blanc und Albert. Lamartine endlich in der provisorischen Regierung, das war zunächst kein wirkliches Interesse, keine bestimmte Klasse, das war die Februarrevolution selbst, die gemeinsame Erhebung mit ihren Illusionen, ihrer Poesie, ihrem eingebildeten Inhalt und ihrer Phrase. Übrigens gehörte der Wortführer der Februarrevolution, seiner Stellung wie seinen Ansichten nach, der Bourgeoisie an.
Wenn Paris infolge der politischen Zentralisation Frankreich beherrscht, beherrschen die Arbeiter in Augenblicken revolutionärer Erdbeben Paris. Der erste Lebensakt der provisorischen Regierung war der Versuch, sich diesem überwältigenden Einflusse zu entziehen durch einen Appell von dem trunkenen Paris an das nüchterne Frankreich. Lamartine bestritt den Barrikadenkämpfern das Recht, die Republik auszurufen, dazu sei nur die Majorität der Franzosen befugt; ihre Stimmgebung sei abzuwarten, das Pariser Proletariat dürfe seinen Sieg nicht beflecken durch eine Usurpation. Die Bourgeoisie erlaubte dem Proletariat nur eine Usurpation - die des Kampfes.
Um die Mittagsstunde des 25. Februar war die Republik noch nicht ausgerufen, waren dagegen sämtliche Ministerien schon verteilt unter die bürgerlichen Elemente der provisorischen Regierung und unter die Generale, Bankiers und Advokaten des "National". Aber die Arbeiter waren entschlossen, diesmal keine ähnliche Eskamotage zu dulden wie im Juli 1830. Sie waren bereit, von neuem den Kampf aufzunehmen und die Republik durch Waffengewalt zu erzwingen. Mit dieser Botschaft begab sich Raspail auf das Hôtel de Ville: Im Namen des Pariser Proletariats befahl er der provisorischen Regierung, die Republik auszurufen.; sei dieser Befehl des Volkes im Laufe von zwei Stunden nicht vollstreckt, so werde er an der Spitze von 200.000 Mann zurückkehren. Noch waren die Leichen der Gefallenen kaum erkaltet , die Barrikaden nicht weggeräumt, die Arbeiter nicht entwaffnet, und die einzige Macht, die man ihnen entgegenstellen konnte, war die Nationalgarde. Unter diesen Umständen verschwanden plötzlich die staatsklugen Bedenken und juristischen Gewissensskrupel der provisorischen Regierung. Die Frist von zwei Stunden war nicht abgelaufen, und schon prangten an allen Mauern von Paris die historischen Riesenworte:
République français! Liberté, Egalité, Fraternité!
Mit der Proklamation der Republik auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts war selbst die Erinnerung an die beschränkten Zwecke und Motive ausgelöscht, welche die Bourgeoisie in die Februarrevolution gejagt hatten. Statt einer weniger Fraktionen des Bürgertums - sämtliche Klassen der französischen Gesellschaft plötzlich in den Kreis der politischen Macht hineingeschleudert, gezwungen, die Logen, das Parterre, die Galerie zu verlassen und in eigener Person auf der revolutionären Bühne mitzuspielen! Mit dem konstitutionellen Königtum auch der Schein einer eigenmächtig der bürgerlichen Gesellschaft gegenüberstehenden Staatsmacht verschwunden und die ganze Reihe von untergeordneten Kämpfen, welche diese Scheinmacht herausfordert!
Das Proletariat, indem es der provisorischen Regierung und durch die provisorische Regierung ganz Frankreich die Republik diktierte, trat sofort als selbständige Partei in den Vordergrund, aber es forderte zugleich das ganze bürgerliche Frankreich gegen sich in die Schranken. Was es eroberte, war das Terrain für den Kampf um seine revolutionäre Emanzipation, keineswegs diese Emanzipation selbst.
Die Februarrepublik mußte zunächst vielmehr die Herrschaft der Bourgeoisie vervollständigen, indem sie neben der Finanzaristokratie sämtliche besitzenden Klassen in den Kreis der politischen Macht eintreten ließ. Die Majorität der großen Grundbesitzer, die Legitimisten wurden von der politischen Nichtigkeit emanzipiert, wozu die Julimonarchie sie verurteilt hatte. Nicht umsonst hatte die "Gazette de France" gemeinsam mit den Oppositionsblättern agitiert, nicht umsonst La Rochejaquelein in der Sitzung der Deputiertenkammer vom 24. Februar die Partei der Revolution ergriffen. Durch das allgemeine Wahlrecht wurden die nominellen Eigentümer, welche die große Majorität der Franzosen bilden, die Bauern, zu Schiedsrichtern über das Schicksal Frankreichs eingesetzt. Die Februarrepublik ließ endlich die Bourgeoisherrschaft rein hervortreten, indem sie die Krone abschlug, hinter der sich das Kapital versteckt hielt.
Wie die Arbeiter in den Julitagen die bürgerliche Monarchie, hatten sie in den Februartagen die bürgerliche Republik erkämpft. Wie die Julimonarchie gezwungen war, sich anzukündigen als eine Monarchie, umgeben von republikanischen Institutionen, so die Februarrepublik als eine Republik, umgeben von sozialen Institutionen. Das Pariser Proletariat erzwang auch diese Konzession.
Marche, ein Arbeiter, diktierte das Dekret, worin die eben erst gebildete provisorische Regierung sich verpflichtete, die Existenz der Arbeiter durch die Arbeit sicherzustellen, allen Bürgern Arbeit zu verschaffen usw. Und als sie wenige Tage später ihre Verpflichtung vergaß und aus den Augen verloren zu haben schien, marschierte eine Masse von 20.000 Arbeitern auf das Hôtel de Ville mit dem Rufe: Organisation der Arbeit! Bildung eines eigenen Ministeriums der Arbeit! Widerstrebend und nach langen Debatten ernannte die provisorische Regierung eine permanente Spezialkommission, beauftragt, die Mittel zur Verbesserung der arbeitenden Klassen auszufinden! Diese Kommission wurde gebildet aus Delegierten der Pariser Handwerkskorpoationen und präsidiert von Louis Blanc und Albert. Das Luxembourg wurde ihr als Sitzungssaal angewiesen. So waren die Vertreter der Arbeiterklasse von dem Sitze der provisorischen Regierung verbannt, der bürgerliche Teil derselben behielt die wirkliche Staatsmacht und die Zügel der Verwaltung ausschließlich in den Händen, und neben den Ministerien der Finanzen, des Handels, der öffentlichen Arbeiten, neben der Bank und der Börse erhob sich eine sozialistische Synagoge, deren Hohepriester, Louis Blanc und Albert, die Aufgabe hatten, das gelobte Land zu entdecken, das neue Evangelium zu verkünden und das Pariser Proletariat zu beschäftigen. Zum Unterschiede von jeder profanen Staatsmacht stand ihnen kein Budget, keine exekutive Gewalt zur Verfügung. Mit dem Kopfe sollten sie die Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft einrennen. Während das Luxembourg den Stein der Weisen suchte, schlug man im Hôtel de Ville die kurshabende Münze.
Und dennoch, die Ansprüche des Pariser Proletariats, soweit sie über die bürgerliche Republik hinausgingen, sie konnte keine andere Existent gewinnen als die nebelhafte des Luxembourg.
Gemeinsam mit der Bourgeoisie hatten die Arbeiter die Februarrevolution gemacht, neben der Bourgeoisie suchten sie ihre Interessen durchzusetzen, wie sie in der provisorischen Regierung selbst neben die bürgerliche Majorität einen Arbeiter installiert hatten. Organisation der Arbeit! Aber die Lohnarbeit, das ist die vorhandene bürgerliche Organisation der Arbeit. Ohne sie kein Kapital, keine Bourgeoisie, keine bürgerliche Gesellschaft. Ein eigenes Ministerium der Arbeit! Aber die Ministerien der Finanzen, des Handels, der öffentlichen Arbeiten, sind sie nicht die bürgerlichen Ministerien der Arbeit? Und neben ihnen ein proletarisches Ministerium des Arbeit, es mußte ein Ministerium der Ohnmacht sein, ein Ministerium der frommen Wünsche, eine Kommission des Luxembourg. Wie die Arbeiter glaubten, neben der Bourgeoisie sich emanzipieren, so meinten sie, neben den übrigen Bourgeoisienationen innerhalb der nationalen Wände Frankreichs eine proletarische Revolution vollziehen zu können. Aber die französischen Produktionsverhältnisse sind bedingt durch den auswärtigen Handel Frankreichs, durch seine Stellung auf dem Weltmarkt und die Gesetze desselben; wie sollte Frankreich sie brechen ohne einen europäischen Revolutionskrieg, der auf den Despoten des Weltmarkts, England, zurückschlüge?
Eine Klasse, worin sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentrieren, sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen Lage den Inhalt und das Material ihrer revolutionären Tätigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bedürfnis des Kampfes gegebene Maßregeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer eigenen Taten treiben sie weiter. Sie stellt keine theoretischen Untersuchungen über ihre eigene Aufgabe an. Die französische Arbeiterklasse befand sich aber nicht auf diesem Standpunkte, sie war noch unfähig, ihre eigene Revolution durchzuführen.
Die Entwicklung des industriellen Proletariats ist überhaupt bedingt durch die Entwicklung der industriellen Bourgeoisie. Unter ihrer Herrschaft gewinnt es erst die ausgedehnte nationale Existenz, die seine Revolution zu einer nationalen erheben kann, schafft es selbst erst die modernen Produktionsmittel, welche ebenso viele Mittel seiner revolutionären Befreiung werden. Ihre Herrschaft reißt erst die materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft aus und ebnet das Terrain, worauf allein eine proletarische Revolution möglich ist. Die französische Industrie ist ausgebildeter und die französische Bourgeoisie revolutionärer entwickelt als die des übrigen Kontinents. Aber die Februarrevolution, war sie nicht unmittelbar gegen die Finanzaristokratie gerichtet? Diese Tatsache bewies, daß die industrielle Bourgeoisie Frankreich nicht beherrschte. Die industrielle Bourgeoisie kann nur da herrschen, wo die moderne Industrie alle Eigentumsverhältnisse sich gemäß gestaltet, und nur da kann die Industrie diese Gewalt gewinnen, wo sie den Weltmarkt erobert hat, denn die nationalen Grenzen genügen ihrer Entwicklung nicht. Frankreichs Industrie aber, zum großen Teil, behauptet selbst den nationalen Markt nur durch ein mehr oder minder modifiziertes Prohibitivsystem. Wenn das französische Proletariat daher in dem Augenblicke einer Revolution zu Paris eine faktische Gewalt und einen Einfluß besitzt, die es zu einem Anlaufe über seine Mittel hinaus anspornen, so ist es in dem übrigen Frankreich an einzelnen zerstreuten industriellen Zentralpunkten zusammengedrängt, fast verschwindend unter einer Überzahl von Bauern und Kleinbürgern. Der Kampf gegen das Kapital in seiner entwickelten modernen Form, in seinem Springpunkt, der Kampf des industriellen Lohnarbeiters gegen den industriellen Bourgeois ist in Frankreich ein partielles Faktum, das nach den Februartagen um so weniger den nationalen Inhalt der Revolution abgeben konnte, als der Kampf gegen die untergeordneten Exploitationsweisen des Kapitals, des Bauern gegen den Wucherer und die Hypotheke, des Kleinbürgers gegen den Großhändler, Bankier und Fabrikanten, mit einem Worte, gegen den Bankerott, noch eingehüllt war in die allgemeine Erhebung gegen die Finanzaristokratie. Nichts erklärlicher also, als daß das Pariser Proletariat sein Interesse neben dem bürgerlichen durchzusetzen suchte, statt es als das revolutionäre Interesse der Gesellschaft selbst zur Geltung zu bringen, daß es die rote Fahne vor der trikoloren