Zwischen Wurmloch und Apokalypse: 4 Science Fiction Romane - Luc Bahl - E-Book

Zwischen Wurmloch und Apokalypse: 4 Science Fiction Romane E-Book

Luc Bahl

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  • Herausgeber: Alfredbooks
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Dieser Band enthält folgende SF-Romane: Kollisionskurs (Ann Murdoch) Die Stadt in der Tiefe (Luc Bahl) Lennox und das Geheimnis der Kristalle (Jo Zybell) Lennox und das Ende der Unschuld (Jo Zybell) »Seit wann sind wir ein Unternehmen für die Aufspürung von Weltraumschrott?«, schimpfte Robert Ukasi lauthals. »Es geht mich zwar nichts an, Captain«, fuhr er nach einer besänftigenden Geste von Rena Sunfrost fort, »aber haben wir keine dringlicheren Probleme zu erledigen?« »Diese Einschätzung dürfen Sie zwar äußern, Lieutenant Commander«, erwiderte Rena Sunfrost, »aber nur hier intern an Bord und so lange sie unter uns bleibt. Denn Befehl ist nun mal Befehl. Klar?« »Aye, Captain.« Der Taktikoffizier der STERNENKRIEGER war nach der leisen, aber bestimmt vorgebrachten Entgegnung einige Zentimeter in sich zusammengesunken. Insgeheim stimmte Sunfrost ihm zu. Das Damokles-Schwert, das seit einigen Monaten über den Köpfen der Humanen Welten schwebte, war heruntergefallen. Das Parasitenvolk der Etnord war in diesen Sektor der Galaxis eingefallen. Dabei hatte die Menschheit noch Glück gehabt, denn das war nicht bei Wurmloch Alpha geschehen, das sich im Gebiet der Humanen Welten befand. Die Aggressoren kamen durch Wurmloch Beta im Territorium der Fulirr. Rena glaubte nicht, dass die Sauroiden diesen übermächtigen Feind aufhalten konnten, und mit dieser Meinung war sie nicht allein. Vielleicht könnte ein Bündnis aller bekannten Rassen den Etnord widerstehen. Doch es schien unwahrscheinlich, dass es tatsächlich dazu kam. Also musste sich das Space Army Corps nach anderen Möglichkeiten umsehen, um diese Bedrohung aufzuhalten. Man griff nach jedem Strohhalm. Und damit war Rena wieder bei ihrem aktuellen Auftrag.

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Ann Murdoch, Luc Bahl, Jo Zybell

Zwischen Wurmloch und Apokalypse: 4 Science Fiction Romane

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Inhaltsverzeichnis

Zwischen Wurmloch und Apokalypse: 4 Science Fiction Romane

Copyright

Die Wormhole-Affäre - Band 2 Kollisionskurs

Erstes Kapitel: Ehrenkodex

Zweites Kapitel: Wege zum Paradies

Drittes Kapitel: Ein halber Held

Viertes Kapitel: Echos der Ewigkeit

Fünftes Kapitel: Von Menschen und Aliens

Sechstes Kapitel: Ewiges Leben inklusive

Siebtes Kapitel: Der Harlekin-Effekt

Achtes Kapitel: Aus Spaß wird Ernst

Glossar Schwarze Division

Mission Space Army Corps 30: Die Stadt in der Tiefe: Chronik der Sternenkrieger

Übersicht über die Serie Sternenkrieger

Lennox und das Geheimnis der Kristalle

Lennox und das Ende der Unschuld

Zwischen Wurmloch und Apokalypse: 4 Science Fiction Romane

Jo Zybell, Luc Bahl, Ann Mudoch

Dieser Band enthält folgende SF-Romane:

Kollisionskurs (Ann Murdoch)

Die Stadt in der Tiefe (Luc Bahl)

Lennox und das Geheimnis der Kristalle (Jo Zybell)

Lennox und das Ende der Unschuld (Jo Zybell)

»Seit wann sind wir ein Unternehmen für die Aufspürung von Weltraumschrott?«, schimpfte Robert Ukasi lauthals. »Es geht mich zwar nichts an, Captain«, fuhr er nach einer besänftigenden Geste von Rena Sunfrost fort, »aber haben wir keine dringlicheren Probleme zu erledigen?«
»Diese Einschätzung dürfen Sie zwar äußern, Lieutenant Commander«, erwiderte Rena Sunfrost, »aber nur hier intern an Bord und so lange sie unter uns bleibt. Denn Befehl ist nun mal Befehl. Klar?«
»Aye, Captain.«
Der Taktikoffizier der STERNENKRIEGER war nach der leisen, aber bestimmt vorgebrachten Entgegnung einige Zentimeter in sich zusammengesunken.
Insgeheim stimmte Sunfrost ihm zu. Das Damokles-Schwert, das seit einigen Monaten über den Köpfen der Humanen Welten schwebte, war heruntergefallen. Das Parasitenvolk der Etnord war in diesen Sektor der Galaxis eingefallen.
Dabei hatte die Menschheit noch Glück gehabt, denn das war nicht bei Wurmloch Alpha geschehen, das sich im Gebiet der Humanen Welten befand. Die Aggressoren kamen durch Wurmloch Beta im Territorium der Fulirr.
Rena glaubte nicht, dass die Sauroiden diesen übermächtigen Feind aufhalten konnten, und mit dieser Meinung war sie nicht allein. Vielleicht könnte ein Bündnis aller bekannten Rassen den Etnord widerstehen. Doch es schien unwahrscheinlich, dass es tatsächlich dazu kam.
Also musste sich das Space Army Corps nach anderen Möglichkeiten umsehen, um diese Bedrohung aufzuhalten. Man griff nach jedem Strohhalm. Und damit war Rena wieder bei ihrem aktuellen Auftrag.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker ( https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/ )

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Die Wormhole-Affäre - Band 2 Kollisionskurs

von Ann Murdoch

Der Umfang dieses Buchs entspricht 135 Taschenbuchseiten.

Generaloberst Weishaupt muss sich vor dem Generalrat für sein Verhalten auf Outer Circle verantworten, erhält nach dem Prozess jedoch ein neues Kommando als Befehlshaber der Invasionsflotte. Von der Sternstation aus soll eine galaktische Rallye gestartet werden. Columban von Harthausen stellt seinem Neffen Lucas sein eigenes Raumschiff zur Verfügung. Doch der junge Mann wählt ausgerechnet den Halbmenschen Rraugh zum Copiloten, damit zieht er sich die Abneigung der Schwarzen Division zu. Oberst Alexa Dexter bereinigt die alltäglichen Probleme auf einer so großen Station, doch als ein paar obskure Religionsfanatiker auftauchen, ist sie zunächst ratlos.

Erstes Kapitel: Ehrenkodex

Er war sich keiner Schuld bewusst, und genau das würde er den Generalrat auch klarmachen.

Generaloberst Andreas Weishaupt – nein, zur Zeit nicht mehr Generaloberst – straffte die Schultern und reckte energisch das Kinn nach vorne. Columban von Harthausen hatte ihn nicht nur inhaftiert, sondern auch degradiert. Eine bodenlose Demütigung, für die der Generalmajor die Quittung sicherlich noch erhalten würde. Aber zunächst einmal musste sich Weishaupt hier vor den Generalrat des Raumritterordens verantworten.

Auch bei längerem Nachdenken fand der hochrangige Offizier kein schuldhaftes Verhalten bei sich selbst. Es war seine Aufgabe gewesen, die Invasionsflotte vor einer Entdeckung zu schützen, das Aufmarschgebiet durfte keinesfalls bekannt werden. Nur aus diesem Grund hatte er die Notwendigkeit erkannt, die forschenden Thorianer, die bei einer Untersuchung der Umgebung des Wurmlochs unweigerlich die Kampfschiffe entdecken mussten, aufzuhalten und die Aliens mitsamt ihrem Raumschiff zu neutralisieren. Von Harthausen hatte überreagiert. Aber was wollte man auch von einem Offizier erwarten, der statt einer disziplinierten militärischen Vorgehensweise bei der Eroberung fremder Welten die Infiltration der Regierungsgewalt bevorzugte? Ein ordentlicher Kampf und die nachfolgende Kapitulation der zu erobernden Welt war eine klar durchstrukturierte Angelegenheit. Wozu gab es denn sonst hochmoderne Waffen mit enormer Durchschlagskraft? Geheimdienstarbeit, psychologische Kriegsführung? Unsinn, das alles!

Unbewusst schüttelte Weishaupt den Kopf und bemerkte dann den fragenden Blick seines Verteidigers. Oberstleutnant von Wrede galt als erfahrener Jurist, doch ein Kriegsgerichtsverfahren vor dem gesamten Generalrat hatte auch er noch nicht mitmachen müssen. Das lag daran, dass praktisch nie zuvor ein Offizier mit diesem hohen Rang angeklagt worden war.

„Erheben Sie sich“, rief der Protokollführer, der für die audiovisuelle Aufzeichnung des Verfahrens verantwortlich war. Nicht nur der Angeklagte und der Vorsitzende Richter standen im Fokus, alle Teilnehmer wurden von 16 Kameras permanent beobachtet. Absprachen wurden auf diese Weise fast unmöglich, das gewährleistete während des Verfahrens größtmögliche Fairness.

Der Vorsitzende Richter war der Großmeister des Ordens, Jean-Baptiste Richelieu, der hoffentlich der Strategie von Weishaupt folgte. Insgesamt 13 Personen bildeten den Generalrat, fünf davon waren Frauen, die ihre Ämter ebenso diszipliniert ausführten wie die männlichen Kollegen. Es gab keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Weishaupt wusste, dass es zwei verschiedene Strömungen im Generalrat gab, die genau den unterschiedlichen Ansichten folgten, die Generalmajor von Harthausen und er selbst vertraten. Daher war der Ausgang der Verhandlung ungewiss.

Der Generaloberst musterte die Eintretenden und versuchte zu ergründen, wer für ihn war. Schatzmeisterin Chiona de Ballesteros schenkte ihm kaum einen Blick, sie stand nicht auf seiner Seite. Auch zwei der anderen Frauen wirkten allein durch ihre Blicke distanziert. Der Protokollführer verlas die Anklage, Major Aurelio di Campa fungierte als Staatsanwalt und begann gleich mit der Eröffnung.

„Hoher Generalrat, verehrter Vorsitzender, selten war eine Anklage so klar wie in diesem Fall. Der bisherige Generaloberst Andreas Weishaupt hat aus falsch interpretierter Loyalität gegen die Statuten unseres Ordens verstoßen. Mit der Neutralisierung der Fremdrassigen hat der Generaloberst die Integrität unserer Arbeit und die geplante Expansion gefährdet. Die Intervention der Stationskommandantin von S 7 und die unerwünschte Rückmeldung an die Regierung hätten fast zum Rückzug der Ordensflotte geführt. Andreas Weishaupt hat eindeutig seine Befugnisse überschritten, einen strafmildernden Grund vermag ich nicht zu erkennen. Als Vertreter der Anklage fordere ich also eine empfindliche Strafe. Die Degradierung zum Oberst, ein Beförderungsverbot von sechs Jahren, sowie achtzehn Monate Halbsold halte ich für angemessen.“

Weishaupts Gesicht verdüsterte sich. Dieses Strafmaß übertraf seine schlimmsten Befürchtungen, sollte das Gericht dem Antrag folgen. Dabei durfte er noch froh sein, dass Generalmajor von Harthausen darauf verzichtet hatte, den Widerstand gegen einen Offizier und die Bedrohung von Rittersoldaten in die Anklage einfließen zu lassen. Sollte der Generalrat in den Strafmaß folgen, wäre das für ihn kaum zu verkraften. Sicherlich würde er seinen Abschied aus dem aktiven Dienst nehmen können, aber er und seine Familie wären für alle Zeiten entehrt. Das durfte nicht geschehen. Auf keinen Fall!

Oberstleutnant von Wrede erhob sich und begrüßte den Generalrat in höflichen, gesetzten Worten. Dann blickte er Aurelio di Campo mit einem mitleidigen Blick an.

„Verehrter Kollege, ich bin Ihren Ausführungen mit Interesse gefolgt, und Sie sehen mich wirklich erstaunt. Sie drehen die Tatsachen um und machen aus einer belobigungswürdigen Tat eine ernste Anklage. Generaloberst Weishaupt ist ein verdienter Offizier, dem nichts mehr am Herzen liegen als die Ehre und die Schlagkraft des Ordens. Er hat sich absolut richtig und vorausschauend verhalten, indem er unsere Flotte schützte. Was bedeuten schon ein paar fremdartige Aliens? Die Stationskommandantin gehört weder zu unserem Orden, noch besitzt sie genügend Weitsicht oder gar Einblicke in die Strategie des Ordens. Sie konnte vom Generaloberst nicht ins Vertrauen gezogen werden. Was wollen wir diesem geachteten und hoch dekorierten Offizier zur Last legen? Seine Loyalität? Sein rasches Handeln? Sind das nicht erwünschte Eigenschaften bei einem Kommandeur? Ich bitte den Generalrat, die Absurdität der Anklage zu erkennen und niederzuschlagen. Stattdessen sollte Generaloberst Weishaupt mit allen Rechten und Privilegien wieder in sein Amt auf S 7 eingesetzt werden, außerdem halte ich eine Belobigung für angebracht.“

Die Sachlage war klar, Zeugenbefragungen waren nicht vorgesehen, jedes Mitglied des Generalrats hatte sich bereits im Vorfeld mit allen Berichten und Aussagen vertraut gemacht. Eigentlich hätte ein Beschluss auch ohne dieses Verfahren gefasst werden können, doch der Orden war streng konservativ und legte Wert auf alte und teilweise überholte Rituale und Traditionen.

Großmeister Richelieu dankte den beiden Anwälten mit einem Blick, dann schaute er auf den Generaloberst, der in Paradeuniform ohne alle Rangabzeichen auf der Anklagebank saß.

„Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, ein letztes Wort an den Generalrat zu richten, Andreas Weishaupt. Nehmen Sie dieses Recht in Anspruch, oder wollen Sie darauf verzichten?“

Weishaupt stand auf. „Ich möchte gerne noch etwas sagen.“

Eine auffordernde Handbewegung, der Generaloberst spürte die Blicke der Anwesenden wie spitze Nadelstiche.

„Ich will mein Handeln weder beschönigen noch entschuldigen. Meine Vorgehensweise entsprang der Notwendigkeit, die ich als solche erkannt habe. Wenn der Generalrat befindet, dass ich einen Fehler gemacht habe, werde ich das akzeptieren müssen, obwohl es mir in dieser Hinsicht an Verständnis mangelt. Ich bitte weder um Gnade, noch um Rücksicht auf bisher erbrachte Leistungen. Für mich geht es nur um schuldig oder unschuldig. Ein bisschen schuldig ist für mich ebenso wenig akzeptabel wie ein bisschen schwanger. Ich danke dem Generalrat und dem Vorsitzenden für die Aufmerksamkeit.“

„Erheben Sie sich“, klang erneut die Stimme des Protokollführers auf, die Zuschauer standen auf, und die 13 Personen verließen den Saal, um sich zu beraten.

Weishaupt starrte nachdenklich und kaum aufgeregt an die Wände. Sein Schicksal lag nicht mehr in seiner Hand. Er musterte die Fahnen der einzelnen Kompanien: die erste bis sechste Kampfdivision, die auf den Raumschiffen der Ordensflotte Dienst taten; die Fourier-Division, die für Lagerhaltung und Nachschub auch während der Kampfhandlungen sorgte; und natürlich die Schwarze Division, die Elitetruppe, die als kampfbereiter Einsatzverband mit Starwatch und den wendigen Patrouillen- und Einsatzfliegern auf Outer Circle stationiert war.

Natürlich nicht die ganze Division. Turnusmäßige Wechsel sorgten dafür, dass jedes Mitglied dieser Truppe mehrere Monate Dienst auf der Raumstation absolvierte. Weishaupt war stolz darauf, Mitglied einer solch elitären Gruppierung zu sein. So sollte es auch bleiben!

Nach erstaunlich kurzer Zeit kehrte der Generalrat zurück. Erneut versuchte Weishaupt in den Gesichtern zu lesen, aber es war zwecklos.

Richelieu forderte den Generaloberst auf, sich zu erheben.

„Die Handlungsweise des Angeklagten kann von uns weder verurteilt noch befürwortet werden. Unter den gegebenen Umständen war es durchaus möglich, eine solche Notwendigkeit zu sehen. Mit denkbar knapper Mehrheit ergeht hiermit folgendes Urteil: Generaloberst Andreas Weishaupt wird vom Vorwurf, zum Schaden des Ordens gehandelt zu haben, freigesprochen. Er kehrt jedoch nicht an Bord der Station S 7 zurück, weil wir davon ausgehen müssen, dass dort kein Vertrauensverhältnis zu den Raumsoldaten der Erde, wie auch zu den Mitgliedern der Schwarzen Division besteht. Das Kommando dort wird weiterhin Generalmajor von Harthausen führen. Generaloberst Weishaupt wird mit allen angestammten Pflichten ein neues Kommando übernehmen. Sechs Schiffe der Ordensflotte bereiten sich auf die weitere Expansion vor. Der Generaloberst wird unter dem Oberbefehl von Generaloberst Francis Sheffield, der die Verantwortung hier auf der Erde trägt, den geplanten Angriff durchführen. Das geschieht, sobald das Flottenoberkommando die Planungen abgeschlossen hat. Der Generaloberst wird sofort abreisen, um das Kommando an Bord der Bismarck zur Operation Wormhole anzutreten.“

Was war dieses Urteil nun wert? Das war ein Freispruch mit Einschränkungen. Weishaupt war wütend, traurig, enttäuscht und aufgeregt zugleich. Er wurde nicht degradiert und ausgestoßen. Aber er durfte nicht zurück auf die Station, wo er sich wohl gefühlt hatte. Er durfte kein Mitglied der Schwarzen Division an vorderster Front mehr sein. Doch immerhin, er führte die Angriffsflotte mit der Bismarck auf das nächste Ziel.

Weishaupt spürte, dass aller Blicke auf ihm ruhten. War er in seinen Gedanken tatsächlich so weit entfernt gewesen, dass er hier etwas verpasst hatte?

Richelieu lächelte, er schien ihn zu verstehen. „Erklären Sie sich mit diesem Urteil einverstanden, Generaloberst? Ich muss noch hinzufügen, dass auf Drängen einiger Mitglieder ein Tadel in Ihre Personalakte eingetragen wird. Außerdem erfolgt ein Beförderungsverbot für vier Jahre. Haben Sie vor, Widerspruch zu erheben, oder können wir das Verfahren jetzt als abgeschlossen betrachten?“

Der Offizier zögerte einen Moment. War es möglich, eine vollständige Rehabilitation erreichen? Bei der augenblicklichen Konstellation im Generalrat? Nein! Solange der Generalrat in zwei Fraktionen gespalten blieb, wäre ein Widerspruch sinnlos. Aber Operation Wormhole? Das versprach doch auch Kampf in vorderer Linie. Und der Großmeister hatte auf eine denkbar knappe Mehrheit verwiesen, demnach war sein Rückhalt nicht ganz geschwunden. Ein schmales Lächeln erschien auf den Lippen von Weishaupt.

„Ich fühle mich vom Generalrat und diesem Gericht fair und neutral behandelt, einen Widerspruch ziehe ich nicht in Erwägung.“

„Damit ist dieses Verfahren erledigt. Generaloberst, Sie dürfen Ihre Rangabzeichen wieder anbringen. Das Urteil ist hiermit rechtskräftig.“

Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann löste sich die Anspannung beim Verteidiger und einigen der Zuschauer in einem befreiten Lächeln, aufmunternden Worten, Schulterklopfen und Händeschütteln. Es hatte einige Personen im Zuschauerraum gegeben, die für ihn gehofft und gebetet hatten. Weishaupt bemerkte, dass sechs Mitglieder vom Generalrat mit verkniffenen Mienen den Saal verließen. Sie hatten nicht vor, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.

Großmeister Richelieu reichte Weishaupt die Hand. „Ich wünsche Ihnen bei Ihrem neuen Kommando viel Glück und eine sichere Hand. Aber ich muss Sie warnen, Andreas. Falls Sie erneut in eine unklare Situation geraten, halten Sie Rücksprache mit dem Oberkommando der Flotte, oder wenigstens mit Generaloberst Sheffield. Machen Sie keinen Fehler, man hält Sie unter Beobachtung, besonders Philipp von Harthausen, Columbans Bruder. Er ist einer Ihrer eifrigsten Gegner. Dazu zählt auch Chiona de Ballesteros, falls Sie das noch nicht gewusst haben sollten. Halten Sie sich zurück und versuchen Sie gelegentlich, auch die Vorzüge einer anderen Vorgehensweise zu erfassen.“

Weishaupt schnaubte. „Ist es mit Ehre verbunden, ein Volk oder eine Regierung zu unterwandern? Ein offener, ehrlicher Kampf …“

Der Großmeister machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich kenne Ihre Einstellung, Andreas. Lassen wir das. Ich habe gesagt, was zu sagen war.“

„Danke, Großmeister. Und danke auch für Ihr Vertrauen. Ich gehe doch davon aus, dass Ihre Stimme den Ausschlag gegeben hat?“ Selbstbewusst reckte der Generaloberst den Kopf. Richelieu blickte ihn indessen kühl an.

„Ich bin neutral, im Übrigen geht es Sie nichts an, wer bei der Abstimmung wie abgestimmt hat. Von mir erfahren Sie nichts. Aber wenn Sie daran interessiert sind, dürfen Sie natürlich jeden Einzelnen fragen. Ob Sie allerdings eine Antwort bekommen, halte ich für fraglich.“

Weishaupt fühlte sich, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst. Er war seiner Sache so sicher gewesen … Betreten senkte er den Kopf und biss sich auf die Lippen. Dieses neue Kommando war also nichts anderes als eine Bewährungsphase? Nun, er würde es dem Generalrat schon zeigen.

*

Columban von Harthausen brütete über den Abrechnungen von Starwatch. Auch wenn die Gehälter der Piloten und Techniker, sowie die Instandhaltungskosten feste Größen im Budget waren, so verursachte doch jeder Flug, egal ob Silverfighter oder Dreadnought, hohe Kosten, und das nicht nur bei den Verbrauchsmaterialien. Treibstoff war dabei noch das kleinste Übel. Es gab ein kompliziertes Geflecht zwischen der Schwarzen Division und der Buchhaltung von S 7. Einerseits mussten jede Schleusenöffnung, jeder Standplatz und jede Nutzung der Ortungs- oder Kommunikationseinrichtungen in Rechnung gestellt werden. Andererseits wurden die Patrouillenflüge zur Sicherung der Station, Dienstleistungen beim Bergen und die Kontrolle der Stationsstabilität ebenso berechnet. Natürlich erfolgte eine solche Abrechnung über die Computersysteme, doch die meisten Aktionen mussten vom Kommandanten der Schwarzen Division, wie auch von Oberst Dexter, als notwendig und angeordnet abgezeichnet werden. Jeder Vorgang, einzeln.

„Wer zum Teufel hat diesen absurden Unsinn in die Welt gesetzt?“, schimpfte er laut. „Das ist pure Zeitverschwendung für mich, wie auch für Alexa. Weshalb wurden niemals Pauschalen für diese Vorgänge eingesetzt? Und warum muss jede Flugbewegung und Nutzung diverser Einrichtungen einzeln bestätigt werden? Hat da jemand in der Verwaltung seine Daseinsberechtigung als hirnloser Bürokrat bekräftigen müssen? So geht das nicht weiter!“

Die Tür öffnete sich, der hochgewachsene Adjutant Leutnant van Heel kam fast lautlos herein. „Sie haben gerufen, Generalmajor? Kann ich etwas für Sie tun?“

Unwillig schaute Columban auf. Seit er den Leutnant auf seinem Posten belassen hatte, wenn auch auf Bewährung, war van Heel eifrig darum bemüht, die Wünsche seines neuen Chefs vorauszuahnen und ihnen zuvorzukommen. Dabei schoss er in seinem Eifer auch manchmal weit über das Ziel hinaus. Weil der Adjutant jedoch mit allen Vorgängen an Bord vertraut war und auch ein gut funktionierendes Netzwerk besaß, hatte von Harthausen darauf verzichtet, jemand anderen auf diesen Posten zu berufen. Van Heel war dem abgesetzten Generaloberst Weishaupt treu ergeben gewesen, man würde sehen, wie er sich jetzt und in Zukunft verhielt.

„Nein, danke, Leutnant, ich habe Sie nicht gerufen. Ich setze mich nur mit diesen absolut überflüssigen Abrechnungen auseinander.“

Ein schmales Lächeln erschien auf dem Gesicht des jüngeren Mannes. „Damit war auch der Generaloberst höchst unzufrieden. Aber es gibt keine Möglichkeit, diese Vorgänge zu umgehen. Tut mir leid, Generalmajor. Darf ich Ihnen dann eine Erfrischung holen?“

„Nein. Ich melde mich, wenn ich etwas brauche. Und diesen Unsinn werde ich abstellen, darauf können Sie Gift nehmen.“ Columban sah gelindes Erschrecken bei van Heel.

„Legen Sie sich nicht mit der Verwaltung an, Sir, die sitzen am längeren Hebel.“

„Das werden wir sehen“, erklärte von Harthausen grimmig. Mit einer Handbewegung schickte er den Leutnant hinaus, dann betätigte er die interne Kommunikation und bat um ein Gespräch mit Oberst Dexter. Die erschien nur Sekunden später auf dem Bildschirm.

„Hallo, Columban, ich hoffe, es gibt keine größeren Probleme. Wir sind noch dabei, die letzten Schwierigkeiten abzuarbeiten.“

„Dann will ich Sie auch nicht lange aufhalten, Alexa. Ich befasse mich gerade gezwungenermaßen mit den Abrechnungen.“

Sie verzog in komischer Verzweiflung das Gesicht. „Verschonen Sie mich damit, solange es nicht lebenswichtig ist“, stöhnte sie.

Von Harthausen lachte leise. „Ich sehe schon, da treffe ich einen wunden Punkt bei Ihnen. Aber sagen Sie, warum lassen wir uns das gefallen?“

„Was meinen Sie, Columban?“

„Warum gibt es keine Pauschalen auf beiden Seiten, und eine persönliche Bestätigung nur in Ausnahmen oder Notfällen? Ich bin sicher, das würde uns beiden viele Stunden Arbeit ersparen.“

„Eine tolle Idee, und so einfach. Allerdings müssen wir das den Herrschaften in der Verwaltung beibringen. Eine fast unmögliche Aufgabe. Wir haben vor einiger Zeit mal versucht, eine Vereinfachung bei den Bestellungen von Verbrauchsmaterial durchzusetzen. Die Folge war, dass wir wochenlang keinen Nachschub bekamen, weil angeblich Anträge verschwunden waren, oder eine Unterschrift fehlte, oder was der Quälereien mehr sind. Erst als wir damit drohten, dass auch bei der Weiterleitung der Einnahmen etwas verloren gehen könnte, änderte sich etwas. Trotzdem besteht die Verwaltung darauf, dass die Vorgänge auf die bisher getätigte Art und Weise durchgeführt werden müssen. Sehen Sie sich vor, mein Lieber, die können Ihnen das Leben zur Hölle machen.“

„Vielleicht sollte ich ihnen dann einfach einen Trojaner ins System schicken, der unsere Anforderungen bevorzugt bearbeitet?“, meinte er mit einem breiten Grinsen. So etwas würde er niemals tun, das wäre Sabotage und würde letztendlich der Menschheit und besonders den Leuten hier auf der Station schaden. Aber offenbar saßen in der Verwaltung ein paar Leute, die unbedingt mal mit den Realitäten des wirklichen Lebens konfrontiert werden mussten. Er würde sich Gedanken machen, was in dieser Hinsicht zu tun war.

„Passen Sie nur auf, dass Sie uns damit nicht lahm legen“, empfahl Dexter. „Ach, übrigens, haben Sie schon gehört, dass von hier aus die Galaktische Rallye startet? Nicht das verbotene Cannonball-Rennen, nein, ein ordentlicher und angemeldeter Wettflug. Hätten Sie nicht Lust, mitzumachen? Bis übermorgen können Sie sich noch anmelden. Start wird Anfang der Woche, kurz vor der Verwerfung sein.“

„Liebend gern“, gestand Columban, verzog aber das Gesicht zu einer Grimasse. „Ich bin immer noch dabei, mich einzuarbeiten, und das dauert doch sicher noch mehrere Tage. Solange kann ich hier nicht weg.“

„Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, seufzte Alexa. „Wie gerne würde ich auch … Aber sagen Sie, hätten Sie überhaupt ein eigenes Raumschiff? Das ist nämlich eine der Vorbedingungen.“

„Meine Atlantis gilt als eine der schnellsten Raumyachten“, gab er stolz zurück. „Ich gehe doch davon aus, dass militärische Schiffe nicht zugelassen sind?“

„Richtig, sonst würde vermutlich die ganze Starwatch-Truppe antreten.“

„Wirklich schade, obwohl – vielleicht sollte ich Lucas mein Schiff anbieten“, sinnierte Columban.

„Ihrem Neffen? Ich habe gehört, er ist nicht gut auf Sie zu sprechen. Aber mein Sicherheitschef Damian Carter hat einen guten Eindruck von ihm.“

„Ja, so könnte man es nennen. Vielleicht nimmt er das Friedensangebot an. Ich – entschuldigen Sie, Alexa, da kommt gerade ein dringender Funkspruch herein.“

Sie nickte ihm kurz zu, dann wurde der Bildschirm schwarz, um im nächsten Moment das Emblem des Ordens anzuzeigen.

Philipp von Harthausen wurde sichtbar, der Bruder von Columban. Er kam ohne Umschweife zur Sache. „Man hat Weishaupt rehabilitiert“, sagte er düster. „Es wäre jedoch schwierig, ihn erneut auf S 7 einzusetzen. Er übernimmt das Kommando der Ordensflotte für die nächste Expansion.“

„Bei allen von Gott verlassenen Weltraumwracks“, fluchte Columban. „Da kann der Generalrat auch gleich eine Kriegserklärung an die ganze Galaxis verkünden. Konntest du das nicht verhindern? Dieser Kerl wird doch mit Krach-Bumm und tödlichem Feuerwerk in das nächstbeste System einfliegen und jeden abknallen, der auch nur Guten Tag sagt.“

„Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?“, fragte sein Bruder vorsichtig.

„Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber er ist ein absoluter Hardliner. Gehe ich recht in der Annahme, dass das Ziel NGC 27-19-11 sein wird?“

„Ja, van-Buren-Welt, ich denke schon.“

„Dort habe ich bereits eine Menge Vorarbeit leisten lassen. Höchstens noch ein halbes Jahr, dann würden die Bewohner nach einem innenpolitischen Umsturz den Orden ganz offiziell um Hilfe bitten, und wir können das System ohne einen Schuss übernehmen. Wer, zum Teufel, hat den Einsatz der Flotte angeordnet?“

„Das Oberkommando der Flotte natürlich. Aber die Schiffe sollen sich abwartend verhalten, bis die Planungen abgeschlossen sind. Außerdem steht auf der Erde Generaloberst Sheffield bereit, der Weishaupt hoffentlich ein bisschen bremsen kann.“

„Sehr informativ“, knurrte Columban.

„Nun gut, das war’s eigentlich schon, was ich dir sagen wollte. – Ganz kurz noch: Wie geht es Lucas?“ Philipp war natürlich längst darüber informiert, dass sein Sohn eigene Wege ging. Columban hatte alle seine Überredungskünste anwenden müssen, um seinen Bruder zu beruhigen und davon abzuhalten, mit dem nächsten Raumschiff zur Station zu kommen.

„Es geht Lucas gut. Er macht ganz den Eindruck, zufrieden zu sein.“

„Es ist einfach inakzeptabel, dass er in einem bürgerlichen Beruf arbeitet. Welch eine Schande. Ich dachte, er wäre bei dir in guten Händen, und du hättest Einfluss auf ihn. Aber es kommt mir fast so vor, als würde es dir sogar Spaß machen, diese Rebellion auch noch zu unterstützen“, schimpfte Philipp.

Columban seufzte. „Du siehst es viel zu verbissen. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass sich der Junge die Hörner selbst abstoßen will. Ich kann mich erinnern, dass auch du damals nicht von einer Verpflichtung im Orden begeistert warst.“

„Das war doch etwas völlig anderes. Ich habe ernsthaft ein Studium der Theologie erwogen“, widersprach Philipp heftig, und Columban grinste.

„Aber nur, weil deine damalige heiße Flamme ebenfalls studierte. Wie hieß sie noch? Brittany … Beverly …“

„Berengaria, und ich bin froh, sie nicht geheiratet zu haben. Sie ist ein abgebrühter Drachen geworden.“

„Na also.“ Columban wollte das Thema zum Abschluss bringen. „Gib Lucas Zeit, die Welt kennenzulernen. Und falls er sich wirklich für einen bürgerlichen Beruf entscheidet, solltest du ihm deinen Segen geben. Ein Mann zählt für das, was er aus seinem Leben macht. Ob nun als Raumritter, Lagerarbeiter oder Techniker. Solange eine ehrliche Arbeit ausgeübt wird …“

„Das sagt ausgerechnet der Meister der psychologischen Kriegsführung“, spottete Philipp.

„Würdest du dein Einverständnis geben, dass Lucas an der galaktischen Rallye teilnimmt?“, fragte Columban rasch, ohne auf die vorige Bemerkung einzugehen. „Ich weiß, dass der Junge volljährig ist, aber es würde ihn sicherlich freuen, wenn du einverstanden bist. Das zeigt, dass zwischen euch kein ernsthafter Bruch besteht.“

„Mit welchem Raumschiff?“, erkundigte sich Philipp erstaunt. „Ist er Copilot in einer Crew?“

„Nein, ich werde ihm meine Atlantis anbieten, wenn er einen Copiloten findet. Vermutlich werden sich alle Mitglieder von Starwatch darum reißen.“

„Wer bin ich, dass ich Nein sagen könnte, wenn du ihm sogar deine heißgeliebte Yacht anbietest?“, kam es mürrisch, doch ein Unterton von Stolz lag in den Worten.

Columban lachte. „Ich sehe, dass du insgeheim wirklich stolz auf deinen Sohn bist. Aber noch weiß ich nicht, ob er überhaupt will. Ich wollte die Sache zuerst mit dir abklären. Falls er mitfliegen will, werde ich zwei Piloten von Starwatch mit einem Silverfighter losschicken, die meine Yacht vom Stützpunkt Abresch abholen sollen, ein Flug von einigen Stunden, der mich aber einen ungeheuren bürokratischen Aufwand und ein kleines Vermögen kosten wird.“

„Warum tust du es dann?“, fragte Philipp verblüfft.

„Um Lucas zu zeigen, welche Möglichkeiten – auch finanziell – in einer Karriere im Orden stecken. Vielleicht beginnt er dann darüber nachzudenken, vielleicht kommt das aber später. Auf jeden Fall wird die Grundlage gelegt.“

„Nun gut, dieses Gespräches ist jetzt lang und teuer genug geworden. Aber es ist beruhigend, dich auf dem kleinen Dienstweg erreichen zu können. Lass dich von der Bürokratie nicht auffressen, Columban.“

Die Brüder beendeten das Gespräch, und Columban beugte sich seufzend noch einmal über die Abrechnungen, die er noch längst nicht erledigt hatte. Dieses Problem wollte er in den nächsten Tagen angehen, es musste eine Möglichkeit geben, die Verwaltung zu Erleichterungen zu zwingen.

Missmutig beendete er die ungeliebte Arbeit, dann helle sich seine Miene auf. Er wollte seinen Neffen aufsuchen, statt über den Bordfunk anzurufen. Ein kurzer Anruf bei Damian Carter, dem Sicherheitschef, um herauszufinden, wo Lucas heute Dienst tat, und ob Carter etwas gegen ein kurzes Gespräch einzuwenden hatte.

„Sonderbehandlung ist nicht vorgesehen“, erklärte der Albino unwillig. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Generalmajor, aber ich bin dagegen, dass meine Leute während der Dienstzeit Privatgespräche führen. Das gilt für alle, wie Sie sich denken können. Was der junge Mann in seiner Freizeit macht, geht mich nichts an.“

Columban wirkte zerknirscht. „Sie haben natürlich vollkommen recht, wie gedankenlos von mir. Wann hat Lucas Dienstende?“ Er hatte eigentlich nur auf den Busch klopfen wollen. Damian Carter war als gerechter Vorgesetzter bekannt, und manch ein anderer hätte angesichts des hochrangigen Offiziers wohl ein Auge zugedrückt. Carter machte keine Unterschiede, das sprach für ihn. Oberst Dexter hatte sich ihre Leute gut ausgesucht.

Die Schicht von Lucas ging in knapp zwei Stunden zu Ende, Zeit genug, um bei Starwatch nach dem Rechten zu sehen und eventuell zwei Piloten für die Überführung anzuheuern.

*

„Warum bietest du mir das an?“, fragte Lucas einigermaßen verblüfft und ein wenig misstrauisch. „Ich habe meinen Pilotenschein gerade mal sechs Monate, und deine Yacht ist ein ziemlich teures Spielzeug, nach allem, was ich gehört habe.“

„Freust du dich nicht, dass ich so viel Vertrauen in dich setze? Außerdem habe ich das Gefühl, ich müsste mich bei dir entschuldigen, weil ich versucht habe, dich für meine Zwecke einzuspannen. Die Entscheidung liegt bei dir. Du kannst zustimmen oder ablehnen. Dein Vater hat sich widerwillig einverstanden erklärt.“

„Du redest also erst über mich, statt gleich mit mir“, konstatierte Lucas verbittert.

Columban schüttelte den Kopf. „Auch wenn du vor dem Gesetz volljährig bist, ist es eine Frage des Anstandes, Junge. Du bist nicht mal drei Monate lang neunzehn Jahre alt und damit vor dem Gesetz voll verantwortlich, aber du hast noch nie zuvor allein gelebt und für dich selbst gesorgt. Glaubst du, dein Vater möchte nicht gern darüber Bescheid wissen, was sein Sohn tut? Außerdem handelt es sich um meinen Bruder.“

„Ja, schon gut“, murrte Lucas, doch dann flog ein freudiges Leuchten über sein Gesicht. „Du willst mir also wirklich die Atlantis anvertrauen? Das ist – es ist einfach toll.“

„Halt, mein Freund, du wirst nicht allein fliegen. Das lassen die Regeln auch gar nicht zu. Du wirst dir also einen ordentlichen Copiloten suchen müssen – einen, mit dem auch ich einverstanden bin“, schränkte Columban ein. „Es steht dir frei, unter den Piloten von Starwatch jemanden zu suchen, dafür bin ich gern bereit, eine Sondererlaubnis zu erteilen.“

Lucas zog die Stirn kraus, diese Regelung schien ihm nicht zu gefallen. „Kann ich auch jemand anderen fragen?“, erkundigte er sich.

„Natürlich, hast du schon jemanden im Visier?“

„Entschuldige, Onkel, aber ich möchte den Betreffenden zuerst selbst fragen.“

Das musste von Harthausen akzeptieren. „Dann solltest du dich auf jeden Fall beeilen, um dich noch rechtzeitig anzumelden. Meine Starwatch-Piloten werden dir jederzeit liebend gern mit guten Ratschlägen helfen, sie würden am liebsten mit dir tauschen. Aber militärische Raumschiffe sind aus verständlichen Gründen nicht zugelassen.“

Lucas grinste. „Im Augenblick denke ich, dass ich die Herrschaften allesamt enttäuschen muss. Ich sage dir heute noch Bescheid, wer mein Copilot ist – Ach, Onkel, wie hoch ist eigentlich die Meldegebühr? Das ist doch eine elitäre Veranstaltung, und die Teilnehmer müssen vermutlich nicht aufs Geld achten. Aber ich muss schon aufpassen …“

Columban hob die Hand. „Die Meldegebühr übernehme ich, sie gehört zum Raumschiff dazu.“ Er verlor kein Wort darüber, dass allein die Überführung der Atlantis mehr kostete, als die Meldegebühr ausmachte. Doch einmal mehr stieß er auf Widerstand von Seiten seines Neffen.

„Ich zahle dir das zurück“, erklärte Lucas bestimmt. „Entweder von der Siegprämie oder aber in monatlichen Raten von meinem Gehalt.“

Es wäre ein Fehler, diesen Vorschlag abzulehnen, der Junge hatte seinen Stolz. „In Ordnung. Dann lauf jetzt und frage deinen voraussichtlichen Copiloten. Ich bin übrigens sicher, dass die Techniker von Starwatch die Atlantis vor dem Start noch einmal auf Herz und Nieren prüfen, so dass eine ordentliche Reisegeschwindigkeit erreicht werden kann.“

Lucas war jetzt Feuer und Flamme, die Aussicht auf ein galaktisches Abenteuer war aber auch zu verlockend. Es dauerte nicht einmal eine halbe Stunde, bis er wieder vor dem Büro seines Onkels stand; in seiner Begleitung befand sich Cornell Rraugh als Copilot.

*

„Ich rühre nicht einen Finger für einen Alien“, verkündete Peter Weller, der Cheftechniker von Starwatch. War er zu Anfang begeistert gewesen, für den Generalmajor arbeiten zu können, um seinem Neffen gute Siegchancen zu garantieren, so war dieser Eifer jetzt merklich abgekühlt.

Auch Columban von Harthausen war nicht begeistert gewesen, hatte sich jedoch gehütet, seine Kritik laut werden zu lassen. Natürlich hätte er den Halbmenschen ablehnen können, doch mit welcher Begründung? Seine Abneigung gegen alles, was nicht rein menschlich war? Seine Vorbehalte gegenüber einem nichtmenschlichen Piloten, über dessen Flugkünste nichts bekannt war? Die Brüskierung, nicht mit den erfahrenen Piloten von Starwatch zu fliegen? Alles nicht wirklich stichhaltig. Er hatte sich bemüht, seine Enttäuschung und Abneigung nicht offen zu zeigen, und das gerade neu aufkeimende Vertrauensverhältnis nicht sofort wieder zu zerstören.

Aber nun kamen die richtigen Probleme. Pilotin Stevens von Starwatch hatte empört reagiert, als Columban sie bat, seinem Neffen und dem Partner ein paar Tipps zu geben.

„Mit Verlaub, Sir, das werde ich nicht tun. Allein Ihrem Neffen hätte ich gern geholfen. Aber einem – einem Halbmenschen? Nein, nein und nochmals nein. Da spreche ich übrigens für alle, Sir, keiner von uns wird auch nur ein Wort mit diesem Alien wechseln.“

Von Harthausen wusste, dass er bei den übrigen Piloten keine andere Antwort erhalten würde und verzichtete darauf, weiter zu fragen. Doch auch die Techniker probten den Aufstand. Obwohl der Generalmajor eine Sonderprämie in Aussicht stellte, wurde die Hilfe strikt verweigert. Da es sich um eine private Veranstaltung handelte, war es auch nicht möglich, die Befehlsgewalt einzusetzen. Einerseits war Columban verärgert, hatte er sich doch darauf verlassen, dass seine Yacht die bestmögliche Wartung bekam. Andererseits aber war da der Stolz auf die Mitglieder der Schwarzen Division. Sie vertraten ihre Ansichten deutlich, rückten nicht von den Ordensregeln ab und hielten ihren Standpunkt wie einen Schild hoch. Dem Generalmajor war jedoch auch klar, dass Lucas an Ansehen stark verloren hatte. Wie konnte er sich freiwillig mit einem Fremdrassigen zusammentun? Besonders Halbmenschen, die nach Ansicht der Raumritter von beiden Elternteilen nur das Schlechte übernahmen, standen im Ansehen bei den Raumrittern auf der untersten Stufe.

Unzufrieden ging Columban zurück. Es gab auch im öffentlichen Bereich gute Techniker, sie würden die Atlantis überprüfen und ihr den letzten Schliff verleihen. Doch er ahnte Unheil und beschloss, seine eigenen Leute im Auge zu behalten. Er wollte nicht erleben, dass die Mitglieder der Schwarzen Division aus ihrer verständlichen Abneigung heraus auf die Idee kamen, die Yacht zu manipulieren. Das galt im Übrigen nicht nur für die Atlantis.

Von Harthausen erhielt, ebenso wie Oberst Dexter, die Passagierlisten der eintreffenden Schiffe. Darauf waren die Piloten der Rallye extra verzeichnet. Ihre Schiffe kamen meist als spezielles Frachtgut, um die Gefahr von Beschädigungen oder Überlastung außerhalb des Rennens so gering wie möglich zu halten. Doch rund die Hälfte der Teilnehmer waren Aliens. Für die Schwarze Division wandelnde Zielscheiben.

Zweites Kapitel: Wege zum Paradies

Paul war längst nicht ausgeschlafen, als der beharrliche Summer des Türöffners seinen Schlaf unsanft beendete. Er schüttelte den Kopf, um klar zu werden, war dann aber schlagartig hellwach. Er hockte sich auf die Bettkante.

„Ja, schon gut – Computer, Tür öffnen“, befahl er und blickte dem Ankömmling entgegen.

„Chef, ich störe wirklich ungern, aber ich dachte mir, du solltest wissen, dass es Chat nicht geschafft hat.“

Paul rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, dann stand er abrupt auf und ging in die Hygienezelle.

„Boss, was soll ich tun – Chat hat …“

„Ich habe dich gehört, warte“, knurrte Meyers und schloss die Tür. Wenige Minuten später kehrte er zurück.

Der Besucher war Stephen, einer der Angestellten, der im Last Vision für die Frühschicht verantwortlich war und normalerweise jetzt, kurz vor der Mittagszeit, die Vorbereitungen leitete. Er stand noch immer hilflos im kleinen Schlafzimmer. Sein Gesicht wirkte angespannt. Hier draußen, tief in der Galaxis, war der Tod an Bord der Station eine abstrakte Größe, denn alte Lebewesen, gleich welcher Rasse, waren hier nicht gern gesehen. Wer hier lebte, starb nur selten, und wer in der Verwerfung umkam, landete nicht als Leiche auf der Station.

In diesem Fall war der Tod real und ganz nah. Chat war ein Kollege, fast sogar ein Freund gewesen. Er hatte sich mit einem eingeschleppten Virus infiziert und war nur eines der Opfer der Epidemie, die man jetzt allerdings unter Kontrolle zu haben glaubte.

In aller Ruhe zog Paul frische Kleidung an, dann schlug er dem jungen Mann auf die Schulter.

„Ich weiß, was du jetzt fühlst. Bist du in der Lage zu arbeiten, bis heute Abend die Weltraumbestattung ist, oder willst du in deine Kabine gehen und persönliche Trauer üben?“, fragte er mitfühlend.

„Ich kann arbeiten, dann muss ich nicht denken.“

„In Ordnung, dann geh jetzt in die Bar, ich kümmere mich um den Rest. Es tut mir leid, Stephen, ich werde Chat auch vermissen.“

Der junge Mann, der bisher nicht besonders viel von der Galaxis gesehen hatte, war auch noch nicht oft mit dem Tod konfrontiert worden. Er senkte den Kopf. „Wenn du willst, übernehme ich die Schicht von Chat auch“, bot er an.

„So weit kommt es noch, Junge. Wir werden schon einen Ersatz bekommen. Die Show geht weiter, wir haben einen Ruf zu verlieren. Also los, geh schon, wir reden nachher noch darüber.“

Stephen ging hinaus, Paul war sicher, er würde seine Arbeit ebenso gut erledigen wie an anderen Tagen auch. Bevor Meyers in die Klinik ging, um die Bestattung zu organisieren, rief er am Info-Com die aktuellen Nachrichten ab.

Für die Epidemie wurde Entwarnung gegeben, alle Pflanzen und deren Überreste waren in einen Isolationstank gebracht worden, wo weitere Untersuchungen stattfanden, um ein Gegenmittel zu entwickeln. Alle abfliegenden Raumschiffe mussten mit den Besatzungen trotzdem durch eine Desinfektionsschleuse. Alle ankommenden Schiffe hatten ab sofort auch solche Fracht und Gegenstände anzumelden, die als Souvenir oder harmlose Mitbringsel galten. Gut, das Thema war damit abgehakt.

In den hydroponischen Gärten, die als Erholungspark eingerichtet waren, hatte es eine Prügelei gegeben. Die Gärten machten die Station unabhängig von Sauerstofflieferungen von außerhalb, außerdem sorgten sie für Obst und frisches Gemüse. Überdies wurden – ein unerhörter Luxus – Kaffeepflanzen kultiviert. Der Genuss von frischem Kaffee kostete deswegen ein kleines Vermögen, war aber nicht unmöglich.

Die Teilnehmer der Galaktischen Rallye trafen im Laufe der nächsten Tage ein, in drei Tagen würde eine Besichtigung der Raumschiffe gestattet werden. Gut fürs Geschäft.

Die nächste Nachricht ließ Paul aufhorchen.

Aufgrund mehrerer Todesfälle infolge der Epidemie würde es am Mittag eine Gemeinschaftsbestattung aller bisherigen Opfer geben. Oberst Dexter hatte das angeordnet und wollte die Zeremonie selbst leiten.

„Wann hast du eigentlich geschlafen, meine Liebste?“, murmelte Paul unwillkürlich. Alexa war am gestrigen Abend noch längere Zeit geblieben und hatte ihre Sorgen vor dem Ex-Mann ausgebreitet. Sie zweifelte wieder einmal an sich selbst. Solche Phasen hatte Paul schon während der Ehe bei ihr erlebt, doch sie hatte niemals eine Fehlentscheidung getroffen, soweit er sich erinnern konnte. Nach außen hin, im Dienst, war Alexa durch nichts zu erschüttern, und ihre Anweisungen kamen zielsicher und ohne jeden Zweifel. Doch ab und zu brauchte sie eine Schulter zum Anlehnen. Paul war dankbar dafür, dass er diese Anlaufstelle sein durfte. Doch Alexa schien an diesem Morgen bereits seit längerer Zeit wieder im Dienst zu sein, denn auch die folgende Meldung zeugte von der Autorität der Kommandantin.

Die Station S 7 an ihrer exponierten Stelle würde Tagungsort für religiöse Eiferer sein. Die Kirche der Universellen Wiedergeburt hatte eine regelrechte Prozession durch die halbe Galaxis veranstaltet, und im Laufe des Tages würde hier auf Outer Circle die Abschlusskundgebung stattfinden. Die extremen Ansichten der Sekte hatten aber auch die Gegner auf den Plan gerufen, und die wollten im Gegenzug eine Demonstration veranstalten. Viel Unruhe also auf der Station, in einer ohnehin stark angespannten Situation.

Paul überlegte kurz, ob er Alexa auf der Brücke besuchen sollte, er war einer der wenigen Zivilisten, die eine Genehmigung besaßen, doch er entschied sich dagegen. Vielleicht später.

Meyers machte einen kurzen Halt in einem Bistro, um ein improvisiertes Frühstück zu sich zu nehmen. Das bestand in erster Linie aus einem großen Synthokaffee – viel Koffein, wenig Geschmack. Wie immer versuchte der Mann die Stimmungen der anderen Lebewesen zu erfassen. Die Fröhlichkeit der anderen war verschwunden, Niedergeschlagenheit hatte sich ausgebreitet, die hauptsächlich auf die Todesfälle zurückzuführen war. Paul trank den letzten Schluck und warf den Becher in den Recycler, bevor er mit dem Aufzug zu 1 Tief fuhr.

Vor dem Eingang zur medizinischen Abteilung gab es eine Kontrolle, die man neu eingerichtet hatte. Paul musste seine ID-Daten eingeben und den Grund für seine Anwesenheit nennen. Erst nach Überprüfung dieser Informationen erhielt er Zutritt.

„Ludmilla, erwartest du eine Invasion, oder kommt man hier nur noch als Todkranker herein?“

Die Chefärztin Ludmilla Pavlova, die offenbar seit Tagen nicht geschlafen hatte, zwang ein kleines Lächeln auf die Lippen. „Du bist nicht krank, Paul? Dann raus hier, wir brauchen jedes Bett.“

„Du darfst meines benutzen, um endlich mal auszuschlafen“, gab er trocken zurück.

„Nein danke, ich habe mir sagen lassen, die Betten von Barbesitzern werden niemals richtig kalt“, spottete sie.

„Deine böse Zunge wird dir eines Tages Schwierigkeiten machen“, prophezeite er, froh darüber, sie für einen winzigen Augenblick abgelenkt zu haben. „Du willst mir doch nicht unterstellen, in meinem Bett ginge es zu wie in einem Paternoster?“

„Was ist das?“, fragte sie neugierig.

„Eine Art Aufzug. Offen nach allen Seiten und dauerhaft neu besetzt.“

„Touchè. Du bist wegen deines Mitarbeiters hier?“

Er nickte.

„Der Mann wird heute Abend in der Gruppe mitbestattet, du hast es schon gehört?“

„Ja. Wie viele Tote gab es bis jetzt?“

Sie seufzte. „Ein Dutzend, und ich weiß nicht, wie viele noch folgen werden. Meine Prognose liegt bei mindestens noch einmal so vielen, auch wenn ich auf ein Wunder hoffe, und wann die anderen gesund werden, steht da draußen in den Sternen.“

„Wenn du so weitermachst, kannst du dich bald dazulegen.“

Sie winkte ab. „Einen Tag mindestens muss ich noch durchhalten, dann sind hoffentlich alle über den Berg. Mittlerweile sitzt ein Team an der Entschlüsselung der Wirkstoffe, um ein potentes Gegenmittel zu entwickeln.“

„Ich will gar nicht überlegen, was du einem Patienten in der gleichen Situation sagen würdest, aber es ist natürlich deine Entscheidung. – Was kann oder muss ich tun, um die Bestattung …“

„Gar nichts, Paul. Alexa hat Damian Carter und die Psychologin Grange Mkele mit der Verwaltungsarbeit und den Vorbereitungen für das militärische Zeremoniell beauftragt, und Liz Duncan als Zeugmeisterin erledigt den Rest. Die Kosten übernimmt die Stationsverwaltung. – Paul, du musst nicht hier sein, im Augenblick ist die ganze Klinik deprimierend. Verschwinde in deiner Bar und trink ein Glas auf mein Wohl und das von Chat.“

Er nahm sie kurz in die Arme und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ich erwarte dich übermorgen ausgeschlafen im Last Vision. Ich werde dir einen Vitamindrink machen, der es in sich hat. Wie wäre es mit einem Mephisto-Cocktail?“

„Darauf freue ich mich schon jetzt.“ Sie zögerte einen Moment. „Ich muss dir übrigens noch etwas sagen. Ich habe gekündigt, und mein Nachfolger befindet sich bereits auf dem Weg hierher.“

Bestürzung malte sich auf seinem zerfurchten Gesicht. „Gekündigt? Wie soll ich das verstehen? Bist du nicht zufrieden hier? Hat dich jemand beleidigt?“

Sie lachte etwas verlegen auf. „Man hat mir ein unwiderstehliches Angebot gemacht. Ich werde eine Forschungsstation leiten.“

„Gratuliere. Und wann wirst du gehen?“, fragte er spröde.

Sie tätschelte ihm die Wange. „In knapp vier Wochen. Bis dahin werde ich meinen Nachfolger eingearbeitet haben. Dr. Nathan Ferrier genießt einen hervorragenden Ruf als Diagnostiker, auch für Fremdrassige. Allerdings hat er, so heißt es, wenig Geduld mit Simulanten. Ihr werdet hier also einen hervorragenden Mediziner an Bord haben, und ich brauche kein schlechtes Gewissen zu entwickeln.“

„Das werde ich dir noch einreden“, prophezeite er. „Wie kannst du es wagen, uns allein und hilflos hier zurückzulassen.“ Paul nahm Ludmilla in die Arme und gab ihr einen brüderlichen Kuss. „Du weißt, wie ich es meine, meine Liebe. Ich gratuliere dir und wünsche dir alles Gute. Mögest du diesen Entschluss niemals bereuen.“

Als Paul wieder auf dem Zocalo stand, sah er rein zufällig, wie Cornell Rraugh aus dem Aufzug trat, der aus der oberen Etage kam. 1 Hoch? Der Bereich der Zentrale? Dafür besaßen in der Tat nur wenige Leute einen Zugangscode. Der Aufzug würde den Dienst bereits verweigern, wenn ein Unberechtigter ohne Sondererlaubnis 1 Hoch anwählte. Wer war dieser Halbmensch? Was hatte er hier zu suchen? Woher besaß er so ausführliche Sonderrechte?

Paul betrat einen anderen Aufzug, gab seinen ID-Code ein und trat in den langen Flur von 1 Hoch, der direkt zur Steuerzentrale führte. Erneut brauchte er eine spezielle Legitimation, erst dann öffnete sich das Schott und gab eine Halle frei, deren Atmosphäre immer wieder aufregend wirkte.

Wie in einem Amphitheater gab es verschiedene Ebenen, auf denen Kontrollen, Monitore und Steuermechanismen angebracht waren. Annähernd 50 Leute waren hier permanent im Dienst, und Paul wusste, dass in der Ebene 2 Tief, also zwei Stockwerke tiefer, eine Kolonne von Technikern eine Menge Arbeit hatte. Die Stabilisierung von S 7 an genau diesem Ort erforderte permanente Berechnungen und fast stündliche Korrekturen. Die Station Outer Circle durfte nicht zu nah an den Trümmerring geraten, um bei der nächsten Verwerfung des Wurmlochs nicht angezogen zu werden. Die Stabilisierung wurde besonders dann wichtig, wenn die großen Frachtraumschiffe andockten. Raumschiffe bis zu einer Länge von 500 m konnten an der Speiche anlegen, womit Outer Circle zu einem wichtigen Handelspunkt wurde, denn jede Liegestunde spülte bares Geld in die Kassen der Station.

Das alles interessierte Paul in diesem Augenblick nicht besonders, obwohl ihm die technischen und physikalischen Einzelheiten durchaus bekannt waren. Als ehemaliger Frachterkapitän kannte er die notwendigen Berechnungen, wenn auch nicht in dem Ausmaß für eine Station von 1,7 km Durchmesser.

Seine Blicke von der oberen Empore suchten nun eine Person, Alexa Dexter. Die Kommandantin saß im Kommandosessel, der auf der unteren Ebene, fast im Mittelpunkt der Station installiert war. Auf den vorgeschalteten Monitoren hatte sie die wichtigsten Daten vor Augen, und andere wichtige Informationen erschienen bei Bedarf direkt.

Die Ankunft eines Außenseiters erregte naturgemäß etwas Aufsehen, doch jeder hier kannte Paul, der 2. Offizier deutete diskret auf Oberst Dexter, die auf ihrem Platz saß und konzentriert die Gegend rund um die Station musterte. Sie hob den Kopf, als hätte sie die Unruhe oben bemerkt.

Paul winkte kurz, Alexa lächelte zurück und winkte ihn näher. Meyers ließ sich auf einer Stufe in unmittelbarer Nähe zu Alexa nieder, ohne irgendwelche Daten aufzunehmen, die hier größtenteils als geheim galten.

„Du hast mich sehr glücklich gemacht“, murmelte sie so leise, dass niemand sonst etwas hören konnte.

„Etwas anderes habe ich nie gewollt.“

„Ich weiß, mein Lieber. Es ist meine Schuld, dass es mit uns nicht geklappt hat. Warum bist du hier? Brauchst du mal wieder das Gefühl, im Schaltraum der Macht zu sitzen? Ich trete dir meinen Posten gerne für ein paar Stunden ab.“

„Nein, nicht wirklich“, grinste er. „Die Verantwortung für das Last Vision ist mehr als genug. Mich interessiert Cornell Rraugh. Wieso kann er hierher kommen? Wer und was ist er?“

„Das habe ich bis jetzt noch nicht herausfinden können. Er kam mit einem ganz normalen Passagierraumschiff von der Erde, besitzt jedoch eine Ausnahmegenehmigung der höchsten Sicherheitsstufe und darf dementsprechend jede Ebene betreten. Für jemanden, der sich als Waffenhändler bezeichnet, ist das eine mehr als seltsame Ausstattung. Er kommt und geht, stellt unzählige Fragen, die scheinbar alle nichts miteinander zu tun haben, und er hört zu, ohne dass es Anzeichen von Langeweile oder Überdruss gibt. Ich kann dir beim besten Willen nicht sagen, welche Funktion er in Wirklichkeit hat, was er hier will, oder warum er überhaupt da ist.“

„Das verstehe ich nicht, du bist die Kommandantin, ohne deine Genehmigung darf hier niemand etwas …“

„Da irrst du dich, Paul. Es gibt immer wieder einen Vorgesetzten, der Anweisungen und Befehle erteilt, die man selbst niemals geben würde. Ich jedenfalls habe strikte Anweisung, den Mann in jeder Hinsicht zu unterstützen und ihn auf keinem Fall zu behindern.“

Paul blickte seiner Ex-Frau ins Gesicht und sah tief in ihren blauen Augen ein ganz besonderes Funkeln.

„Da ist doch noch mehr, Alexa“, meinte er langsam. „Du bist nicht die Frau, die sich so einfach übergehen lässt. Du besitzt doch bestimmt Beziehungen auf der Erde, die dir weitere Informationen geliefert haben.“

„Das habe ich bisher auch gedacht“, seufzte sie. „Aber nicht einmal mein Bekannter im Innenministerium konnte meine Fragen beantworten. Übrigens genauso wenig wie der Sekretär des Ministers für Galaktische Angelegenheiten.“

„Ich bin beeindruckt“, gab er zurück. „Aber offenbar häufen diese hochgestellten Persönlichkeiten nicht genug Hintergrundwissen an.“

„Das war jetzt nicht fair“, gab sie zurück. „Ich weiß recht gut, dass du auch gute Beziehungen besitzt, aber offenbar sind deine Leute ebenso ratlos wie meine, sonst würdest du nicht fragen. Ich habe nicht einmal feststellen können, wer der direkte Vorgesetzte von Cornell Rraugh ist, oder welchem Ministerium er untersteht, oder wer ihn auf diese Reise geschickt hat.“

„Dan nimmst du ihm also auch nicht ab, dass er Waffenhändler ist, sondern hältst ihn für einen Beauftragten eines Ministeriums. Jetzt wäre es gut, jemanden in der Buchhaltung zu haben. Denn die Reisespesen müssen irgendwo verbucht werden.“

„Paul, du bist ein ganz schlimmer Junge“, schalt sie liebevoll. „Auf diese Idee bin ich tatsächlich noch nicht gekommen.“

„Wir drehen uns im Kreis, Alexa. Keiner von uns weiß, was dieser Halbmensch hier will. Lässt du ihn beobachten?“

„Digital selbstverständlich, obwohl das langsam schwierig wird angesichts der Personalknappheit.“

„Ich verstehe. Nun gut, Liebste“, sagte er leise. „Ich werde ihn auf meine Weise im Auge behalten und vielleicht sogar provozieren, um etwas herauszufinden. Sobald ich mehr weiß, gebe ich dir Bescheid.“

Das Gespräch der beiden fand in leisem Ton und unauffällig statt. Die meisten Anwesenden in der Steuerzentrale wussten um die enge Verbundenheit der beiden Menschen, ohne dass über die tatsächlichen Hintergründe etwas bekannt geworden war. Die einzigen Personen, die um die frühere Ehe der beiden wussten, waren Damian Carter, der Sicherheitschef, und Liz Duncan, die Zeugmeisterin, und diese beiden konnten schweigen.

Alexa und Paul wechselten einen langen innigen Blick, dann stand er auf und ging. Cornell Rraugh bereitete ihm tatsächlich Kopfzerbrechen, aber früher oder später würde er das Geheimnis schon lüften. Sicher kam der Halbmensch später wieder ins Last Vision, und Paul würde auf seine Weise weiterhin versuchen, mehr über ihn zu erfahren.

Als er zum Zocalo zurückkehrte, spürte er bei vielen Lebewesen weiterhin eine gedrückte Stimmung. Das alles würde sich hoffentlich nach der offiziellen Trauerfeier am späten Nachmittag ändern.

Drittes Kapitel: Ein halber Held

Es gab Andreas Weishaupt nur wenig Befriedigung, dass man ihn wieder in alle seine Privilegien eingesetzt hatte. Das Beförderungsverbot und auch der Tadel in der Personalakte machten ihm wenig aus. Nein, was ihn störte und regelrecht wütend machte, war die Tatsache, dass er nicht zurückkehren konnte nach Outer Circle, dass er Columban von Harthausen nicht wieder vom Posten des Befehlshabers wegschubsen und selbst auf S 7 mal so richtig aufräumen konnte. Es wäre allerdings ein großer Fehler, denn auch der Generalrat wusste, dass die Station täglich ein kleines Vermögen an Liegegebühren, Handelsanteilen und Zöllen von den meist Außerirdischen erwirtschaftete. Ließe man dem Generaloberst freie Hand, würden innerhalb einer Woche vermutlich gleich mehrere Kriegserklärungen ausgesprochen.

So dumm war niemand. Aber es wurmte Weishaupt regelrecht, dass er sich nicht am Generalmajor rächen konnte, ihm die unglaubliche Demütigung nicht heimzahlen konnte. Wie hatte es von Harthausen nur wagen können, ihn aller Rangabzeichen und Ehrenzeichen zu entkleiden? Er war auf den Generalmajor ohnehin nicht gut zu sprechen, vertrat er doch die Ansicht, dass man mit Untergrundarbeit und psychologischer Kriegsführung ganze Sonnensysteme übernehmen konnte, statt die überlegenen Waffen einzusetzen, die ohne lange Wartezeit die Kapitulation der überrannten Völker erzwangen.

Psychologische Kriegsführung! Pah! Ein Agitator, ein Demagoge war das – allerdings ein erstklassiger, wie Weishaupt zugeben musste. Es gab in den Annalen des Ordens zahlreiche Berichte über gezielte Provokationen mit dem Ziel, politischen Umsturz herbeizuführen oder auch geheimdienstliche Arbeit zur Übernahme eines Planeten, der nicht der Völkergemeinschaft angehörte. An vielen davon war von Harthausen beteiligt gewesen.

Dieser dreiköpfige, janusgesichtige Hurensohn!

Weishaupt machte auch vor sich selbst keinen Hehl aus seiner abgrundtiefen Abneigung. Er schob seinen Hass und diese im Augenblick nutzlosen Überlegungen erst einmal beiseite. Er befand sich auf dem Weg zu seinem neuen Kommando. Er übernahm die sechs Schiffe der Expansionsflotte und würde schon bald dafür sorgen, dass seine Methode, ein System zu erobern, als die einzig richtige gesehen wurde.

An Bord des Transportraumschiffs begegnete man ihm mit zurückhaltender Scheu. Weishaupt führte das auf Respekt von seinem Rang und seinen Leistungen zurück. In Wirklichkeit jedoch fürchtete jedermann die Wutausbrüche und bissigen Bemerkungen des Generalobersten. Dazu kam, dass es sich in Windeseile in der ganzen Flotte herumgesprochen hatte, zu welchem Urteil der Generalrat gekommen war. Weishaupt besaß demnach außerordentlich gute Beziehungen und mächtige Fürsprecher, sonst wäre das Urteil anders ausgefallen. Aber niemand wollte unangenehm auffallen, weil er eine andere Meinung vertrat.

Mit einem kleinen Beiboot setzte der Generaloberst von seinem Transportschiff auf das neue Flaggschiff über. Die Bismarck gehörte zu den modernsten Kampfraumschiffen der Ordensflotte und verfügte neben einer Besatzung von 600 Raumsoldaten, Technikern und Flugpersonal über eine hervorragende Bewaffnung. Dazu kam eine Neuentwicklung, die bis jetzt jedoch noch streng geheim gehalten wurde.

Die Bismarck konnte – zusammen mit drei anderen Schiffen – ein planetenumspannendes Absorptionsfeld, Dormann-Feld genannt, aufbauen, mit dem jegliche Energieerzeugung auf einem Planeten verpuffte. Die Energie wurde quasi aufgesaugt und den eigenen Geräten zugeführt, womit sich das Dormann-Feld selbst speiste und keine Energie aus den Raumschiffen abziehen musste. Einfach ausgedrückt, wurde eine Art Wurmloch erzeugt, nur dass aufsaugende Wurmloch in diesem Fall die Raumschiffe waren. Daher auch der Name: Operation Wormhole. Zum erst Mal sollte das Dormann-Feld unter Realbedingungen zum Einsatz kommen. Bedauerlich war nur, dass der Feld-Generator noch unter einigen Kinderkrankheiten litt, die bisher noch niemand hatte abstellen können. Feldversuche hatten gezeigt, dass außer der Energie manchmal auch die Stabilität von Gebäuden entzogen wurde – vornehmlich solchen Gebäuden, in denen viel Metall verbaut war. Das führte zu unerwünschten Kollateralschäden. Außerdem kam es vor, dass die Energie in den Generatoren zu Kurzschlüssen führte, die auf mehrere Schiffssysteme durchschlugen. Das würde den Generaloberst jedoch nicht daran hindern, das Absorptionsfeld zu benutzen, schon um die Überlegenheit der menschlichen Kampfkraft unter Beweis zu stellen.

So weit war es allerdings noch nicht.

Er betrat ohne Umschweife und Verzögerung die Zentrale des Flaggschiffs. Fast alle Anwesenden sprangen auf, um militärisch exakt zu grüßen. Nur zwei Personen blieben vor ihren Monitoren sitzen, und das war gut so, sie hatten die Umgebung permanent zu überwachen.

Die Blicke von Weishaupt schweifen umher, was er sah, gefiel ihm nur zum Teil. Ein Major führte das augenblickliche Kommando, Moulin war der Name, wenn er sich recht erinnerte. Die rechte Hand von Weishaupt würde Hauptmann Ilanit Rubinstein sein, die hoffentlich schon auf dem Weg hierher war. Auch wenn sie gerade Freiwache hatte, war das kein Grund, den Kommandanten nicht augenblicklich zu begrüßen.

Wirklich, in diesem Augenblick glitt das Schott zur Seite. Hauptmann Ilanit Rubinstein, eine äußerst attraktive Frau Ende 40 mit auffällig schwarzem Haar kam herein. Sie zeigte ein sparsames Lächeln.

„Willkommen an Bord der Bismarck, Generaloberst. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug. Ich bin Hauptmann Rubinstein, hier an Bord Ihre Stellvertreterin. Darf ich Ihnen die Offiziere vorstellen?“

Kurz nach Rubinstein hatten drei weitere Offiziere die Zentrale betreten. Ein gutes Dutzend Offiziere aller Dienstgrade war hier versammelt. Weishaupt würde sich die Namen merken, doch wirklich wichtig waren für ihn nur vier. Außer Rubinstein waren das Major Moulin, Oberleutnant Hernandez aus Ortungs- und Funkzentrale, und Oberleutnant von Galen, als Pilot und Navigator. Die kämpfende Truppe unterstand Hauptmann Wladimir Petrowsk, der eine beeindruckende Ahnenreihe vorzuweisen hatte.

Nach der Vorstellung setzte sich Weishaupt ohne Umschweife in den Pilotensessel, obwohl er streng genommen dort nichts zu suchen hatte. Ihm stand direkt neben der Zentrale ein kleiner Arbeitsbereich zur Verfügung, von wo aus er sämtliche Daten abrufen und jede Abteilung befehligen konnte. Trotzdem protestierte niemand.

„Wie den meisten von Ihnen bekannt ist, bin ich Andreas Weishaupt, Generaloberst Weishaupt. Ich bin ein erfahrener Raumsoldat, ein guter Stratege, und ich bin vor allen Dingen eines: interessiert an Disziplin, Ordnung und Korrektheit. Wenn Sie das beachten, lasse ich mich leicht zufriedenstellen. Bisher scheint bei Ihnen jedoch noch niemand darauf geachtet zu haben, denn hier hat der Schlendrian Einzug gehalten. Drei von ihnen haben die oberen Kragenknöpfe geöffnet, obwohl sie im Dienst sind. Bei Oberleutnant Hernandez fehlt der zweite Knopf am Ärmelaufschlag. Major Moulin hat einen Fleck auf dem Hemd, winzig zwar, aber dennoch vorhanden. Bei Ihnen allen ist für eine Reinigung die Schuhe noch Luft nach oben. Ich will hoffen, dass Ihre Dienstauffassung von mehr Eifer geprägt ist als die Korrektheit ihrer Uniformen. Bis unser Kommando zur Invasion beginnt haben wir voraussichtlich noch einige Tage Zeit. Wir werden diese Zeitspanne nutzen, um in mehreren Übungen die Crew, wie auch die Offiziere und Soldaten, zu Höchstleistungen zu animieren. Mir sind die Zeiten bekannt, in denen auf anderen Schiffen Einsatzbereitschaft, Reparaturen oder Waffenkontrollen durchgeführt werden. Hier an Bord wird doch sicherlich niemand gegenüber anderen Kampfschiffen in puncto Schnelligkeit zurückstehen wollen?“ Er ignorierte die Blicke von offener Abneigung und sogar unverhohlenem Hass. Die Leute würden sich an ihn und seine Art, das Kommando zu führen, gewöhnen müssen. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig.

Doch bisher hatte niemand ihre Einsatz- oder Kampfbereitschaft bemängelt. Weishaupt bezweifelte das ganz offen, wie seine Worte bewiesen. Mit seiner Reklamation an Kleinigkeiten der Uniform hatte er sich auch den letzten Wohlwollenden zum Gegner gemacht.

Oder nein, nicht ganz. Mit etwas Verspätung kam der Bordarzt, Dr. Heller, in die Zentrale und salutierte zackig. Er war ebenfalls neu auf der Bismarck.

„Major Dr. Norman Heller meldet sich zur Stelle, Sir. Ich bitte meine Verspätung zu entschuldigen, eine Behandlung war noch abzuschließen.“

Weishaupt musterte den Arzt, der etwa 40 Jahre zählen mochte, und war angetan. Messerscharfe Bügelfalten bei der Hose, die ganze Uniformen war perfekt, wie gerade erst neu geschneidert. Die blonden Haare des Arztes waren militärisch kurz geschnitten, das Gesicht glatt rasiert, die Schuhe blitzten förmlich.

Hauptmann Rubinstein verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen, was außer Major Moulin niemand bemerkte.

Zwei von diesen verdammten Pedanten an Bord, dachten beide gleichzeitig.

„Stehen Sie bequem, Doktor“, sagte Weishaupt leutselig. „Sie scheinen in meinen Augen der einzige zu sein, der den Begriff Disziplin und Ordnung mit Leben erfüllt. Respekt. Ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen. – Danke, dass Sie mir so zuvorkommend Ihren Platz zur Verfügung gestellt haben, Oberleutnant von Galen. Nun werde ich mich den anderen Kommandanten der Flotte per Bildfunk vorstellen und einen Plan für die angesetzten Übungen ausarbeiten. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.“

Elastisch erhob er sich aus dem Pilotensessel und ging auf den abgetrennten Arbeitsbereich zu. „Möchten Sie mich begleiten, Doktor? Ich würde mich freuen.“ Der beeilte sich, dem Generaloberst zu folgen.

Ilanit Rubinstein verzog das Gesicht zu einer Grimasse, Major Moulin presste die Lippen zusammen, die anderen Offiziere starrten verlegen oder wütend zu Boden.

„Da haben wir uns ja den richtigen eingefangen“, murmelte Rubinstein.

„Ob der vor einem Kampfeinsatz den korrekten Sitz der Uniformen überprüft?“, fragte von Galen nicht ganz ernsthaft.

„Wahrscheinlich zählt er nach dem Einsatz die Zahl der abgegebenen Schüsse“, setzte Hernandez noch einen drauf.

Die Offiziere der Bismarck, allesamt erfahrene Leute und mehrfach belobigt, ahnten, dass ihnen eine schwere Zeit bevorstand.

*

Der schlanke Mann, der gerade aus dem Ankunftsbereich auf Outer Circle gekommen war, mochte etwa 45 Jahre alt sein. Seine Kleidung war von gutem Zuschnitt, entsprach aber längst nicht der neuesten Mode. Doch sie wirkte gepflegt, ebenso wie der Mann selbst. Braune, gelockte Haare, braune Augen, beherrschte Körpersprache. Er stand eine Weile vor dem Info-Com und orientierte sich, dann schritt er zielstrebig zum Aufzug und wählte 1 Tief. An der Anmeldung zum Sanitätsbereich gab er als Grund für den Besuch trocken an: „Ärztliche Konsultationen.“

Er wurde eingelassen und fand sich im Warte- und Registrierungsbereich wieder. Er machte allerdings keine Anstalten, sich bei der automatischen Registratur anzumelden, woraufhin das Terminal auffordernd und unübersehbar zu blinken begann.

Wenig später öffnete sich das Schott zu den Behandlungsräumen, ein übermüdet aussehender Pfleger erschien, der sich gezwungen geduldig an den Besucher wandte.

„Sie müssen sich erst anmelden“, erklärte er unwirsch. „Danach wird der Mediziner verständigt, der Ihnen am besten helfen kann.“

Der Fremde lächelte knapp. „Ich brauche keinen Arzt – oder doch, Dr. Pavlova wäre wohl ganz passend.“

Der Pfleger seufzte. „Unter welchen Beschwerden leiden Sie denn?“

„Mein Name ist Nathan Ferrier, ich bin die Ablösung.“

„Hören Sie, wir haben hier eine schwere Krise und keine Zeit für geschmacklose Scherze. Falls Sie gesundheitliche Beschwerden haben, dann teilen Sie mir das mit. Ansonsten fordere ich Sie auf zu gehen.“

Ferrier stutzte. Wusste hier beim Personal wirklich noch niemand etwas davon, dass die Chefärztin gekündigt hatte? Er hatte vielleicht einen Fehler gemacht, einen früheren Flug zu nehmen, um sich in aller Ruhe hier umzusehen und einzugewöhnen, bevor er seinen Dienst antrat. Ach, zum Teufel damit, er war jetzt hier, und so wie es ausschaute, wurde seine Hilfe gebraucht.

„Ich scherze nicht, junger Mann, ich bin Dr. Ferrier, und Sie holen mir jetzt Ludmilla Pavlova her, aber pronto.“ Seine Stimme wurde autoritär, sein Blick stahlhart.

„Ach du Sch …“, murmelte der Pfleger und verschwand. Nicht mal eine Minute später tauchte er mit Dr. Pavlova auf.

Auch sie wirkte abgespannt und blass, doch ihre Augen begannen zu leuchten, als sie den Mann erkannte.

„Nathan? Nathan, ist es denn zu fassen? Was tun Sie denn jetzt schon hier? Wo kommen Sie her? Ich kann es kaum glauben.“ Sie schüttelte eifrig die Hand des Mannes, der sie konzentriert beobachtete. Spontan zog er sie in seine Arme, und Ludmilla barg das Gesicht an seiner Schulter.

„Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue, Sie zu sehen, wir können jede helfende Hand brauchen. Oh, ich rede lauter Unsinn. Sie sind sicher nicht hergekommen, um schon vor der Zeit hier zu arbeiten.“

Ferrier drückte sie noch einmal an sich, dann hielt er sie auf Armeslänge von sich weg. Auf seinem gut geschnittenen Gesicht erschien ein jungenhaftes Lächeln, das ihn viel jünger machte. „Ich würde mich in Grund und Boden schämen, beiseite zu stehen, obwohl Sie hier ganz offensichtlich jeden helfenden Finger brauchen. Außerdem würde meine werte Frau Mama mir die Ohren langziehen, sollte sie davon hören. Davon abgesehen, Ludmilla, Sie sehen aus wie ein wandelndes Gespenst auf Nahrungsentzug. Sie brauchen dringend einen großen Drink und vierundzwanzig Stunden Schlaf. Geben Sie mir eine Stunde Zeit, dann löse ich Sie ab.“

Sie lachte kurz hysterisch auf, fing sich dann aber in bewundernswerter Beherrschung. „Nein, nein, auf keinen Fall, Nathan. Himmel, Sie müssen einen entsetzlichen Eindruck von mir und der Station bekommen haben.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe bis jetzt verstanden, dass es hier eine Krise gibt, dahinter steht alles andere zurück. Eindrücke werde ich später sammeln.“

Ludmilla holte tief Luft. „Sie sind ein unglaublicher Schatz, Nathan. Ich werde allen Weltengöttern danken, die Sie so früh auf die Station gerufen haben. Ich nehme Ihr Angebot schamlos an. Bevor Sie aber loslegen, tun Sie mir einen Gefallen. Melden Sie sich bei Oberst Dexter. Das ist die Stationskommandantin, sie hat in allem das letzte Wort. Wir arbeiten sehr gut zusammen, sie sollte in keinem Fall verärgert oder übergangen werden. Alexa kann viele Dinge einfacher machen, denken Sie daran. Anschließend sollten Sie meinen guten Freund Paul Meyers in der Bar Last Vision aufsuchen und Ihren ersten Drink auf S 7 zu sich nehmen. Auch Paul kann ein wichtiger und ausgesprochen hilfreicher Freund sein. Im Anschluss checken Sie in Ihr Apartment ein, sehen sich um, und kommen erst dann wieder her.“

Ihre Stimme wurde zunehmend fester, eine Ruhepause stand in Aussicht, das gab ihr neue Kraft. Herz, was willst du mehr?

„Befehlen konnten Sie schon immer gut, Ludmilla, Sie haben mir da gleich ein volles Programm diktiert.“ Nathan Ferrier blieb ernst. „Ich sage Ihnen jetzt nicht, dass Sie weit über ihre Kräfte gegangen sind und sich vermutlich nur noch mit Aufputschmitteln aufrecht halten. Ich hoffe, Sie vertrauen mir genug, um gleich meinen Ratschlägen zu folgen.“

„Ich werde mir Mühe geben, Herr Doktor. – Ach, noch etwas, ich rufe Oberst Dexter gleich an, sie soll Ihnen eine Codekarte geben, die Ihnen fast unbeschränkten Zugang verschafft, so wie ich sie auch besitze.“

„Das klingt gut. Ich stelle jetzt keine Fragen über die Erkrankungen, die Sollstärke an medizinischem Personal oder ähnliches. Das mache ich, sobald ich zurückkomme.“

Sie lächelte und bekam etwas Farbe in das blasse Gesicht. „Genießen Sie bei Paul in aller Ruhe einen Mephisto, der enthält keinen Alkohol, aber Sie werden feststellen, dass es nicht viel gibt, was mehr Energie erzeugt und besser schmeckt. Und nun ab mit Ihnen, ich freue mich wirklich, Nathan.“

Kaum war er zur Tür hinaus, stellte Pavlova eine Verbindung zu Alexa Dexter her und berichtete von der verfrühten Ankunft ihres Nachfolgers. Auch Dexter zeigte sich hocherfreut über diese Verstärkung. Dann erst nahm sich die Chefärztin die Zeit, das eigene Personal über den Wechsel an der Spitze zu unterrichten. Einige Mitarbeiter waren verstimmt, dass die Ärztin nicht früher etwas gesagt hatte, aber der endgültige Weggang stand erst in gut einem Monat bevor, es gab noch genug Zeit, sich ordentlich zu verabschieden.

„Sie haben recht, Ludmilla, das sind zwei ganz spezielle Persönlichkeiten“, rief Nathan Ferrier gut gelaunt, als er kaum eine Stunde später zurückkehrte. Nicht einmal Pavlova bemerkte seine prüfenden Blicke. Die Chefärztin stand vor einem Monitor und begutachtete die Auswertung eines Diagnose-Scans. Obwohl Ferrier laut gesprochen hatte, waren seine Worte nicht bis zu ihr durchgedrungen. Sie stand da, hielt eine Hand an die Stirn gepresst und versuchte zu verstehen, was sie vor sich sah.

Nathan wechselte einen kurzen Blick mit dem Pfleger, der auf Anweisungen wartete. „Helfen Sie mir?“, fragte er leise.

„Wobei?“

„Dr. Pavlova schlafen zu schicken, falls sie es nicht freiwillig tut. Wie heißen Sie überhaupt?“

„Wayne Bennett, Sir.“

„Nicht Sir, nur Doktor.“

„Ja, Doktor – ich meine, ich helfe Ihnen. Sie kann ja kaum noch stehen. Sie hat sich für die Patienten aufgerieben.“

Ferrier zeigte ein freudloses Lächeln und trat näher an Ludmilla heran. „Meiner Interpretation nach handelt es sich um einen Thorianer, äußerlich humanoide Form, Anordnung der Organe jedoch völlig anders als bei einem Menschen. Es gibt keine Redundanz bei wichtigen Organen wie Niere oder Lungen. Hier sehen Sie einige abnorme Veränderungen an den Lymphbasen, die die Funktionalität des Entgiftungskreislaufs einschränken. Eine milde Gabe eines abschwellenden Antihistamins wird genügen, wenn der Patient in Zukunft Allergie auslösende Substanzen meidet.“

Ludmilla starrte Ferrier an und bemühte sich sichtlich, seinen rasch gesprochenen Worten den Sinn zu entnehmen.

„Entschuldigen Sie, Nathan, was haben Sie gesagt?“

„Wollen Sie das wirklich wissen, Ludmilla? Ich glaube, ich sollte besser eine andere Diagnose stellen. Totaler Erschöpfungszustand, missbräuchliche Anwendung aufputschender Substanzen, Gefährdung von Patienten durch unzureichende Konzentration bei der Diagnose. Soll ich weitermachen? Meine Ankunft hat Ihren Zusammenbruch beschleunigt. Sie haben das Licht am Ende des Tunnels gesehen, und nun verweigert Ihr Körper die weitere Zusammenarbeit.“

Sie lehnte sich unauffällig gegen eine Schreibtischkante. „Ich wollte nur so lange bleiben, bis ich Ihnen …“

„… bewusstlos in die Arme falle?“, vollendete er sarkastisch. „Ludmilla, ich bin ein großer Junge. Wenn ich einen Zungenspatel oder ein Pflaster nicht finden kann, habe ich keine Hemmungen, jemanden vom Personal zu fragen. Nun Marsch, ab in Ihre Kabine ins Bett, bevor ich auf die Idee komme, Sie hier selbst einzuweisen. Wayne wird Sie begleiten und dafür sorgen, dass es Ihnen an nichts fehlt.“

Sie wagte keinen Widerspruch, auch deswegen, weil sie wirklich am Ende war und die Vorhaltungen des Kollegen, wie auch des anderen Personals, einfach übergangen hatte.

Ferrier schaute ihr zufrieden hinterher. Ludmilla hatte nichts, was ausreichend Schlaf und eine anschließende gewaltige Mahlzeit nicht wieder in Ordnung bringen konnten. Er leckte sich über die Lippen, in seinem Mund tobte noch immer der Nachgeschmack des Mephisto-Cocktails. Wie konnte man allein aus verschiedenen Säften, Kräutern und Gewürzen ein derart leckeres Teufelszeug kreieren? Auch von Paul Meyers hatte Nathan einen denkbar guten Eindruck gewonnen. Kein Wunder, dass die Ärztin von ihm schwärmte, der Barbesitzer schien eine ganz spezielle Art von Psychologe zu sein.

Von Oberst Dexter hatte Ferrier sogar auf der Erde schon gehört. Sie galt als äußerst fähig, und der Minister für Galaktische Angelegenheiten hatte bereits unverblümt um sie geworben. Eine solche Diplomatin konnte sich als Glücksfall für jegliche Verhandlung erweisen. Aber sie hatte bislang immer einen Wechsel abgelehnt. Sie machte einen kompetenten und menschlichen Eindruck, ihre Hilfe konnte wirklich wertvoll sein.

Ferrier machte sich jetzt mit den augenblicklichen Patienten vertraut. Die Epidemie durch die eingeschleppten Pflanzensubstrate hatte das gesamte Personal stark gefordert, aber mit weiteren Todesfällen war hoffentlich nicht zu rechnen, auch wenn Pavlova noch nicht glaubte, dass alle durchkommen würden. Ferrier verfolgte allerdings bei der Behandlung einen ganzheitlichen Ansatz. Es galt, nicht nur die Krankheit und deren Symptome zu bekämpfen, sondern auch die anderen Organe zu stärken. Es gab viel zu tun, der Arzt machte sich an die Arbeit.