1. Preis: Allmächtigkeit - Robert Sheckley - E-Book

1. Preis: Allmächtigkeit E-Book

Robert Sheckley

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Beschreibung

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Stellen Sie sich vor, Sie hätten in der intergalaktischen Lotterie gewonnen. Plötzlich steht ein Alien vor Ihnen und überreicht Ihnen den ersten Preis: Eine Wunschmaschine. Sie sind von nun an allmächtig, und was Sie der Maschine sagen, geht in Erfüllung. Die Sache hat nur einen Haken – wie Thomas Carmody, einfacher Erdenbürger und Lotterie-Gewinner, sehr schnell feststellen wird …

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ROBERT SHECKLEY

1. PREIS: ALLMÄCHTIGKEIT

Roman

Das Buch

Stellen Sie sich vor, sie hätten in der intergalaktischen Lotterie gewonnen. Plötzlich steht ein Alien vor Ihnen und überreicht Ihnen den ersten Preis: Eine Wunschmaschine. Sie sind von nun an allmächtig, und was Sie der Maschine sagen, geht in Erfüllung. Die Sache hat nur einen Haken – wie Thomas Carmody, einfacher Erdenbürger und Lotterie-Gewinner, sehr schnell feststellen wird …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

DIMENSION OF MIRACLES

Aus dem Amerikanischen von Michael Görden

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1975 by Robert Sheckley

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat, München

ERSTER TEIL

Die Abreise von der Erde

I

Es war einer von diesen typisch unbefriedigenden Tagen gewesen. Carmody war ins Büro gegangen, hatte ohne großen Einsatz mit Miss Gibbon ein wenig geflirtet, Mr. Wainbock respektvoll ein wenig widersprochen und mit Mr. Blackwell eine Viertelstunde die Aussichten in der laufenden Football-Saison durchgesprochen. Kurz vor Feierabend hatte er dann noch mit Mr. Seidlitz eine heiße Diskussion über die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Umwelt, wie sie durch das gnadenlose Vorrücken solcher Umweltzerstörer wie Con Ed, das Ingenieurkorps der Armee, Touristen, die roten Waldameisen und die holzfällenden Fabriken, die das Papier für die ganzen Schundhefte herstellen, verursacht wird. Ein Thema, über das Carmody wild argumentierte, ohne die geringste Ahnung davon zu haben. Alle Genannten waren, verkündete Carmody, zu unterschiedlichen Anteilen für die Verwüstung der Landschaft und die zunehmende Verbetonierung der letzten verbliebenen Naturschönheiten verantwortlich.

»Tja, Tom«, hatte der sardonische, magengeschwürige Seidlitz schließlich eingeräumt, »du scheinst dich mit der Sache sehr intensiv befasst zu haben, das muss man dir lassen.«

Das hatte Carmody keinesfalls.

Miss Gibbon, eine attraktive junge Dame mit einem etwas runden Kinn, meinte dazu: »Ach, Mr. Carmody, ich glaube wirklich, sie sollten das nicht so sagen.«

Was hatte er gesagt, und warum sollte er es nicht sagen? Carmody konnte sich beim besten Willen an nichts Bemerkenswertes erinnern. So blieb er Miss Gibbon die Antwort schuldig, fühlte allerdings ein vages Schuldgefühl in sich aufsteigen.

Sein Vorgesetzter, der plumpe Mr. Wainbock mit der weichen Stimme, hatte gesagt: »Es könnte wirklich etwas dran sein an dem, was du da erzählst, Tom. Ich werde mich damit beschäftigen.«

Carmody war sich recht deutlich bewusst, dass ausgesprochen wenig dran war an dem, was er da erzählte, und dass es keinesfalls einer eingehenderen Beschäftigung damit würde standhalten können. Er wusste beim besten Willen nicht mehr, warum er es überhaupt erzählt hatte.

Der hochgewachsene, sardonische George Blackwell, der sprechen konnte, ohne die Oberlippe zu bewegen, hatte gemeint: »Ich glaube wirklich, du hast recht, Carmody. Bestimmt. Wenn sie Voss am Sonntag endlich wieder aufstellen, dann könnten wir wirklich was zu sehen kriegen.«

Doch Carmody kam bei weiteren Überlegungen zu dieser Aussicht zu dem Schluss, dass die Aufstellung von Voss absolut keinen Unterschied mehr machen würde.

Carmody war ein stiller Mann von überwiegend melancholischem Humor, mit einem Gesicht, dessen elegische Züge seinen Charakter treffend widerspiegelten. Seine Größe und seine Selbstverachtung lagen etwas über dem Durchschnitt. Er besaß eine schlechte Körperhaltung, aber viele gute Vorsätze. Er hatte Talent zu Depressionen. Seine Stimmungen wechselten sehr häufig, was bei hochgewachsenen, beagleäugigen Männern entfernt irischer Abstammung nichts Besonderes ist, besonders wenn sie über dreißig sind.

Er war ein beachtlicher Bridgespieler, auch wenn er dazu neigte, sein Blatt zu unterschätzen. Nominell war er Atheist, aber mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung. Seine Avatare, die in der Halle der Möglichkeiten ausgestellt sind, können alle als heroisch gelten. Er war eine Jungfrau, mit Saturn im Haus der Sonne als Aszendenten. Dies allein hätte ausgereicht, etwas Besonderes aus ihm zu machen. Er besaß das übliche Kennzeichen der Menschenrasse: Er war zugleich vorhersehbar in allen Reaktionen und völlig durchschaubar – ein gewöhnliches Wunder.

Er verließ das Büro um 17 Uhr 45 und nahm die Untergrundbahn nach Hause. Unterwegs wurde er von vielen Menschen angerempelt und umhergestoßen, die er sich gerne als arme Unterprivilegierte vorgestellt hätte, dabei aber den Verdacht nicht loswurde, dass es sich schlicht und einfach um unerträgliche Widerlinge handelte.

Er stieg in der 96. Straße aus und lief einige Blocks weiter zu seinem Apartment in der West End Avenue. Der Portier begrüßte ihn gutgelaunt, und der Aufzugführer schenkte ihm ein freundliches Nicken. Er schloss seine Apartmenttür auf, trat ein und warf sich auf die Couch. Seine Frau machte gerade Urlaub in Miami; deshalb streckte er die Füße unerschrocken auf dem marmornen Beistelltisch aus.

Einen Augenblick später gab es ein Donnergrollen und das Zucken von Blitzen in der Mitte des Wohnzimmers. Carmody setzte sich auf und fasste sich ohne besonderen Grund an die Kehle. Der Donner rollte mehrere Sekunden lang, dann wurde er durch das Schmettern von Trompeten abgelöst. Carmody nahm hastig die Füße vom Marmortisch. Die Trompeten verstummten, und an ihrer Stelle ertönte das stolze Gewimmer eines Dudelsackmarsches. Es gab einen weiteren mächtigen Blitz, und in der Mitte des Leuchtens erschien ein Mann.

Der Mann war mittelgroß, drahtig, hatte gelocktes blondes Haar und trug einen goldenen Umhang, dazu orangefarbene Lederhosen. Sein Gesicht wirkte normal, wenn man davon absah, dass er keine Ohren zu haben schien. Er trat zwei Schritte vor, griff in die Luft und zog eine Pergamentrolle aus dem Nichts, die dabei fast durchriss. Danach räusperte er sich – ein Geräusch, dass an einen eingerissenen Fußball, aus dem jemand mit Gewalt die Luft presste, erinnerte – und sagte: »Seid gegrüßt!«

Carmody antwortete nicht. Er litt an temporärem hysterischen Sprachverlust.

»Gekommen sind wir also nun«, sagte der Fremde, »als der zufallsgeborene Erfüller eines unaussprechlichen Verlangens. Des Euren! Gab andere es? Mitnichten, wohl! Sei es also?«

Der Fremde wartete auf eine Antwort. Carmody überzeugte sich mit Hilfe einiger nur ihm selbst bekannten Kniffe davon, das alles, was ihm im Augenblick passierte, wirklich passierte, und antwortete schließlich ganz realistisch:

»Was, in Gottes Namen, soll das alles?«

Der Fremde erwiderte, noch immer lächelnd: »Es ist für Euch, Car-Mo-Die! Aus den Ausdünstungen dessen Was-ist ward Euch der Gewinn eines signifikanten Anteils jenes Was-sein-könnte. Freuden warden, müssen sein Euch, oder was? Genau gesagt: Euer Name steht vor allen anderen; wieder einmal ist die Zufälligkeit bezwungen, und die rosenbeinige Unvorhersehbarkeit jauchzt mit drogenverschmiertem Maul, während die uralte Wahrscheinlichkeit erneut für kurze Zeit in ihrer Höhle des Unvermeidlichen eingeschlossen wird. Ist solches kein Grund genug? Warum also ist es Euch nicht?«

Carmody stand von der Couch auf und fühlte sich ganz ruhig. Das Unbekannte ist nur anfangs beängstigend, dauert es länger an, stellt sich bald das Phänomen der Gewohnheit ein. (Die Boten kennen diese Reaktion natürlich.)

»Wer sind Sie?«, verlangte Carmody in barschem Ton zu wissen.

Der Fremde dachte über die Frage nach, und sein Lächeln verschwand. Er murmelte halb zu sich selbst: »Diese benebelten Wurmköpfe! Sie haben mich wieder falsch eingespeist! Ich könnte mich selbst verstümmeln aus schierer Verzweiflung über die beständigen Kränkungen und Peinlichkeiten, die ich diesen Idioten zu verdanken habe. Mögen sie auf ewig ihre eigenen Kindeskinder heimsuchen! Aber machen Sie sich nichts daraus, ich nehme sogleich eine Neuanpassung vor, ich adaptiere, ich werde …«

Der Fremde presste sich die Finger gegen die Stirn, bis sie fünf Zentimeter darin eingesunken waren. Seine Finger tanzten dabei auf und ab, als ob er auf einem winzigen Klavier spielen würde. Fast augenblicklich verwandelte er sich in einen korpulenten Mann mittlerer Größe mit spärlichem Haarwuchs, der einen verknitterten Geschäftsanzug trug, sowie einen verbeulten Aktenkoffer in der einen Hand, einen Regenschirm in der anderen und unter dem Arm ein Herrenmagazin und eine Zeitung.

»Ist das so korrekt«, erkundigte er sich. »Oh ja, ich kann es Ihnen ansehen«, beantwortete er sich seine Frage selbst. »Ich muss mich wirklich entschuldigen für die schlampige Arbeit, die Ihnen unser Anpassungscenter da wieder vorgeführt hat. Erst letzte Woche tauchte ich auf Sigma IV als Riesenfledermaus auf, mit der Bestätigungsurkunde im Maul, nur um festzustellen, dass der Empfänger zur Familie der Wasserlilien gehörte. Und vor zwei Monaten (ich beziehe mich natürlich auf Ihre lokalen Zeitbegriffe), als ich eine Mission nach Thagma Altwelt hatte, speisten mich diese Vollidioten von der Anpassung als vier Jungfrauen ein, obwohl das korrekte Erscheinungsbild doch ganz eindeutig …«

»Ich verstehe kein einziges Wort von dem, was Sie sagen«, unterbrach Carmody. »Würden Sie mir vielleicht freundlicherweise erklären, was das Ganze soll?«

»Natürlich, natürlich«, versicherte der Fremde. »Lassen Sie mich nur eben die lokalen Referenzunterlagen nachchecken …« Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. »Eigenartig, sehr eigenartig«, murmelte er. »Ihre Sprache scheint nicht die Behälter zu enthalten, in denen ich meine Produkte zu Ihnen befördern kann, metaphorisch gesprochen, meine ich. Aber nun, was geht mich das an? Eine gewisse Ungenauigkeit bietet sogar ästhetische Genussmöglichkeiten, vermute ich. Und alles ist schließlich eine Frage des Geschmacks.«

»Was soll das heißen?«, fragte Carmody mit leiser, drohender Stimme.

»Nun, Sir, es geht natürlich um die Intergalaktische Klassenlotterie! Und Sie haben natürlich gewonnen! Ich dachte, das würde aus meinem neuen Erscheinungsbild ganz fraglos hervorgehen.«

»Tut es nicht«, sagte Carmody, »und ich habe immer noch keine Ahnung, wovon eigentlich die Rede ist.«

So etwas wie Zweifel zog sich über das Gesicht des Fremden und wurde dann wieder wegradiert wie von einem Radiergummi. »Sie haben keine Ahnung! Aber natürlich! Sie hatten schon jede Hoffnung auf einen Gewinn aufgegeben, nehme ich an, und haben deshalb Ihr ganzes diesbezügliches Wissen löschen lassen, um sich nicht weiter mit enttäuschten Hoffnungen zu belasten. Was für ein unglücklicher Zufall, dass ich gerade zu einer Zeit ankomme, wo Sie sich, sozusagen, in einem geistigen Winterschlaf befinden. Aber es war keinesfalls beabsichtigt, Sie in irgendeiner Form zu verletzen, darf ich Ihnen versichern. Sie haben Ihren externen Gedächtnisspeicher nicht zufällig hier irgendwo zur Wiederauffüllung greifbar? Nein? Das habe ich befürchtet. Dann werde ich es Ihnen erklären: Sie, Mr. Carmody, haben in der Intergalaktischen Klassenlotterie einen Preis gewonnen. Ihre Daten wurden in der Nebenziehung für Gruppe IV, Klasse 32, Lebensformen 18. Ordnung ermittelt. Ihr Preis – ein sehr beachtlicher Preis, bin ich überzeugt – liegt im Galactic Center für Sie bereit.«

Carmody ertappte sich dabei, dass ihm die folgenden Gedanken durch den Kopf schossen:

Entweder bin ich verrückt oder ich bin nicht verrückt. Wenn ich verrückt bin, kann ich versuchen, meine Wahnvorstellungen abzuschütteln und mich in psychiatrische Behandlung geben. Aber das brächte mich für den Augenblick in die absurde Situation, etwas, das mir von allen fünf Sinnen als wahr bestätigt wird, zu Gunsten einer vage erinnerten anderen Realität abzulehnen. Daraus könnte leicht ein noch viel schwererer psychischer Konflikt entstehen, der meinen Wahnsinn so verstärken würde, dass meine arme Frau mich am Ende in einer Anstalt unterbringen müsste. Andererseits kann ich natürlich ebenso gut bald in einer Anstalt landen, wenn ich diese Wahnvorstellungen als real anerkenne.

Wende ich mich aber jetzt der anderen Möglichkeit zu, nämlich der, dass ich #nicht #verrückt bin. In diesem Fall geschieht das alles hier tatsächlich. Und womit ich es hier tatsächlich zu tun habe, ist ein äußerst seltsamer, einzigartiger Vorfall, ein Abenteuer der ersten Ordnung. Ganz offensichtlich (wenn dies hier tatsächlich passiert ist) gibt es draußen im Universum Wesen, die der menschlichen Rasse an Intelligenz überlegen sind, was ich ja immer schon vermutet habe. Die Individuen veranstalten eine Klassenlotterie, bei der es Nebenziehungen mit Namen statt Losen gibt. (Das ist sicher völlig zulässig, denn ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum höhere Intelligenzen nicht Lotto spielen sollten.) Schlussendlich ist also in dieser Klassenlotterie mein Name gezogen worden. Ich erhalte damit ein ganz außerordentliches Privileg, und es kann gut sein, dass die Klassenlotterie dabei zum ersten Mal auch auf die Erde ausgedehnt wurde. Ich habe in diesem Spiel einen Preis gewonnen. Ein solcher Preis könnte mir Reichtum bringen oder Prestige oder Frauen oder Wissen, wovon ich alles oder am besten alles zusammen durchaus gern hätte.

Ziehe ich deshalb alle Möglichkeiten in eingehenden Betracht, so wird es besser für mich sein, davon auszugehen, dass ich nicht verrückt bin, und mit diesem Herrn zu gehen, um meinen Preis abzuholen. Sollte ich mich da irren, werde ich irgendwann in einer Anstalt aufwachen. Dort werde ich mich bei den Ärzten entschuldigen, erklären, dass ich meine Wahnvorstellungen als solche erkannt habe, und so vielleicht meine Freiheit zurückgewinnen.

Das waren Carmodys Gedanken, und das war die Entscheidung, zu der er schließlich fand. Es war keine überraschende. Sehr wenige Menschen (wenn man von den wirklich Verrückten absieht) hätten das Eingeständnis ihres eigenen Wahnsinns einer faszinierenden neuen Hypothese vorgezogen.

Natürlich war an Carmodys Überlegungen einiges faul, und diese Sachen würden schon bald deutlich werden und ihm das Leben sauer machen. Aber man kann doch sagen, dass es unter den gegebenen Umständen ganz beachtlich von ihm war, überhaupt Überlegungen anzustellen.

»Ich weiß wirklich nicht viel über diese ganze Sache«, sagte Carmody zu dem Boten. »Sind irgendwelche Bedingungen an diesen Preis geknüpft? Ich meine, erwartet man von mir, dass ich irgendetwas Bestimmtes tue, wenn ich ihn annehme, etwas kaufe vielleicht?«

»Es gibt keinerlei Bedingungen«, sagte der Bote. »Oder jedenfalls keine, die es besonders zu erwähnen lohnt. Der Preis ist völlig frei; wenn er nicht frei wäre, wäre er kein Preis. Wenn Sie ihn annehmen, müssen Sie mich zum Galactic Center begleiten, ein Trip, der schon seiner selbst wegen die Annahme des Preises lohnt. Dort wird man Ihnen den Preis übergeben. Dann können Sie den Preis, ganz nach Ihrem Belieben, mitnehmen zurück hierher, ihrem Zuhause. Wenn Sie irgendwelche Hilfe für die Heimreise benötigen sollten, werden wir Ihnen selbstverständlich alle in unseren Möglichkeiten liegende Unterstützung gewähren. Das ist alles.«

»Hört sich gut an«, meinte Carmody in genau dem gleichen Ton, in dem sich Napoleon zu Neys Aufstellungsplänen für die Schlacht von Waterloo äußerte. »Wie kommen wir also hin?«

»Hier entlang«, antwortete der Bote und führte Carmody in den Garderobenschrank im Flur und von dort durch einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum.

II

Der Trip war kurz; er dauerte nicht länger als das Mikrosekundenquadrat der Unmittelbarkeit. Und er war ereignislos, da in einer so winzigen Zeitspanne keine bedeutungsvollen Erfahrungen gemacht werden können. Deshalb befand sich Carmody also nach einer Transition, die nicht weiter erwähnenswert ist, zwischen den weiten Plazas und den fremdländischen Gebäuden von Galactic Center wieder.

Er stand ganz still da und sah sich um. Besonders fielen ihm die drei Zwergsonnen auf, die einander am Himmel umkreisten. Er besah sich die Bäume, die vage Drohungen zu den grüngefiederten Vögeln in ihren Zweigen murmelten. Und er sah andere Dinge, die er, weil er sie nicht mit ihm bekannten vergleichen konnte, auch nicht in seinem Hirn behalten konnte.

»Wau!«, sagte er schließlich.

»Wie bitte?«, fragte der Bote.

»Ich sagte ›Wau‹«, sagte Carmody.

»Oh. Ich dachte, Sie hätten ›au‹ gesagt.«

»Nein, ich sagte ›wau‹.«

»Ich habe Sie inzwischen verstanden«, erklärte der Bote leicht indigniert. »Wie gefällt Ihnen unser Galactic Center?«

»Es ist sehr beeindruckend«, versicherte Carmody.

»Das ist anzunehmen«, stimmte der Bote gleichmütig zu. »Es wurde selbstverständlich extra so gebaut, um beeindruckend zu wirken. Wenn Sie mich persönlich fragen, muss ich sagen, dass ich finde, es sieht ganz so aus wie alle anderen Galactic Center.

Die Architektur ist, wie Sie schon bemerkt haben werden, genau so, wie man sie erwartet – Neo-Zyklopisch, ein typischer Regierungsbautenstil, dem jede ästhetische Note fehlt und der nur zu dem Zweck entworfen wurde, Behördengänger zu beeindrucken.«

»Die schwebenden Freitreppen sind wirklich beachtlich«, meinte Carmody.

»Geschmacklos«, kommentierte der Bote.

»Und diese ungeheueren Bauwerke dort drüben –«

»Tja, der Designer macht ganz geschickt Gebrauch von der Möglichkeit, selbstspiegelnde Kurven mit außerdimensionalen Eckpunkten zu verbinden«, erläuterte der Bote kundig. »Er nutzt den Einbau von damit möglichen temporalen Kantenverzerrungen, um Ehrfurcht beim Betrachter zu erwecken. Ganz hübsch, würde ich sagen, auf eine recht aufdringliche Art allerdings. Das Design für die Gebäudeballung dort drüben stammt überwiegend, was Sie interessieren dürfte, direkt aus einer General Motors Ausstellung auf ihrem Heimatplaneten. Es wird als ein herausragendes Beispiel der Primitiven Quasi-Moderne betrachtet. Altmodischkeit und Gemütlichkeit gelten als seine Haupttugenden. Diese Blitzlichter im mittleren Vordergrund des Schwebenden Erdkratzers hinten rechts sind reinster galaktischer Barock. Sie haben keinerlei vernünftigen Zweck.«

Carmody konnte die Gebäudegruppe überhaupt nicht richtig ins Auge fassen. Immer wenn er genauer hinsehen wollte, schienen sich sämtliche Konturen zu verändern. Er blinzelte verzweifelt, aber die Gebäude schienen am Rand seines Gesichtsfeldes ständig zu neuen Formen zu verschmelzen. (»Periphere Transmutation«, erklärte ihm der Bote. »Diese Regierungsdesigner schrecken wirklich vor nichts zurück.«)

»Wo kriege ich hier meinen Preis?«, fragte Carmody.

»Hier entlang«, antwortete der Bote und führte ihn zwischen zwei hoch aufragenden Phantasmagorien hindurch zu einem kleinen rechteckigen Gebäude, das fast gänzlich von einem nach innen gekehrten Springbrunnen verdeckt wurde.

»Dies ist der Ort, wo hier wirklich gearbeitet wird«, erklärte der Bote. »Neueste Untersuchungen haben ergeben, dass die rechteckige Form einen beruhigenden Einfluss auf die Nervensysteme vieler Organismen hat. Tatsächlich bin ich auf dieses Gebäude sogar ganz besonders stolz. Sie müssen nämlich wissen, dass ich den rechten Winkel erfunden habe.«

»Den Teufel haben Sie«, rief Carmody. »Bei uns gibt es sowas schon seit Jahrhunderten.«

»Und was meinen Sie, wer euch das Rechteck ganz zu Anfang gebracht hat?«, fragte der Bote höhnisch.

»Na, es macht nicht den Eindruck, als ob daran viel zu erfinden gewesen wäre.«

»Macht es nicht?«, erkundigte sich der Bote. »Das zeigt, wie wenig Ahnung Sie haben. Sie verwechseln Kompliziertheit mit kreativem Selbstausdruck. Sind Sie sich eigentlich darüber klar, dass die Natur nie ein perfektes Rechteck hervorgebracht hat? Das Quadrat ist aber dabei noch eine naheliegende Sache, kann ich Ihnen versichern. Und für jemanden, der das Problem nie eingehend studiert hat, könnte der rechte Winkel als natürliche Fortentwicklung des Quadrates erscheinen, aber dem ist nicht so! Die Fortentwicklung des Quadrates ist der Kreis.«

Die Augen des Boten verschleierten sich. Mit leiser, entrückter Stimme begann er zu erzählen: »Seit Jahren ahnte ich, dass vom Quadrat ausgehend noch eine andere Entwicklung möglich sein müsste. Lange Zeit sah ich es mir unentwegt an. Seine in den Wahnsinn treibende Gleichheit erschütterte mich und faszinierte mich zugleich. Gleiche Seiten, gleiche Winkel. Eine Zeitlang experimentierte ich damit, die Winkel zu verändern. Ich entdeckte das erste Parallelogramm, aber ich sehe darin nichts wirklich Bemerkenswertes. So studierte ich das Quadrat. Regelmäßigkeit ist schön, aber nicht, wo sie exzessiv wird. Wie konnte man diese das Denken erschütternde Gleichheit nur variieren und dabei doch eine erkennbare Wiederholung bewahren? Dann überkam es mich eines Tages! Alles, was ich tun musste, sah ich in einem plötzlichen Blitz der Erkenntnis, war, die Länge zweier paralleler Seiten in Bezug auf die anderen beiden Seiten auszudehnen. So einfach, und doch so schwierig! Zitternd machte ich mich an den ersten Versuch. Während ich arbeitete, muss ich eingestehen, geriet ich in einen Zustand äußerster Verzückung. Tagelang, wochenlang konstruierte ich rechte Winkel, in allen Größen und Formen, regelmäßig und doch variierbar! Ich schuf ein wahres Füllhorn von rechten Winkeln für das Universum. Es waren aufregende Tage!«

»Ich nehme an, das waren sie«, sagte Carmody. »Und später, als Ihre Arbeit anerkannt wurde?«

»Oh, das war auch sehr aufregend«, erzählte der Bote. »Aber es dauerte Jahrhunderte, bis man begann meine rechten Winkel ernst zu nehmen. ›Eine nette Sache‹, sagte man mir zunächst, ›aber wenn man sich erst mal an das Neuartige daran gewöhnt hat, was ist sie dann noch wert? Man hat ein unvollständiges Quadrat, sonst nicht.‹ Ich argumentierte, dass es mir gelungen sei, eine völlig neue und beeindruckende Form zu erschaffen, eine Form, so folgerichtig wie das Quadrat. Man missbrauchte meinen rechten Winkel! Aber letztendlich setzte sich meine Vision durch. Heute gibt es etwas mehr als siebzig Milliarden rechtwinklige Artefakte in der Galaxis. Jedes von ihnen geht auf meinen ursprünglichen ersten rechten Winkel zurück.«

»So, so«, sagte Carmody.

»Wie auch immer, da sind wir also«, sagte der Bote. »Sie gehen dort vorne hinein. Geben Sie dort alle benötigten Daten an und lassen Sie sich ihren Preis überreichen.«

»Vielen Dank«, sagte Carmody.

III

»He!«, schrie Carmody.

»Und wiederum«, sagte das dunkle Individuum, »ist der Verbrecher in sein eigenes Verderben geflohen. Wehe dir, Carmody! Ich bin dein Henker! Du zahlst jetzt für deine Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie für deine Sünden wider dich selbst. Lass mich bei dieser Gelegenheit aber anmerken, dass diese Hinrichtung nur provisorisch erfolgt und keinesfalls als abschließendes Werturteil zu verstehen ist.«

Der Henker ließ ein Messer aus seinem Ärmel gleiten. Carmody schluckte und fand seine Sprache wieder.

»Aufhören!«, schrie er. »Ich bin nicht hier, um hingerichtet zu werden!«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte der Henker freundlich, während er die Klinge über Carmodys Halsschlagader gleiten ließ. »Was solltest du auch sonst sagen?«

»Aber es ist wahr!«, kreischte Carmody. »Man hat mich hergeschickt, um einen Preis abzuholen!«

»Einen was?«, fragte der Henker.

»Einen Preis, verdammt noch mal, einen Preis! Man hat mir gesagt, dass ich einen Preis gewonnen habe. Fragen Sie den Boten, er hat mich hierher gebracht, damit ich meinen Preis abhole!«

Der Henker sah ihn eindringlich an, dann starrte er dümmlich ins Leere. Er schaltete an mehreren Schaltern auf einem Schaltbrett in der Nähe. Die Stahlbänder, mit denen Carmody gefesselt war, verwandelten sich in Papierschlangen. Das schwarze Kostüm des Henkers wurde weiß. Aus seinem Messer wurde ein Füllfederhalter. Die Narbe auf seiner Wange verwandelte sich in einen Aknefleck.

»Alles klar«, erklärte er ohne eine Spur weiterer Irritation. »Ich habe Sie gewarnt, das Amt für Gelegenheitsverbrechen nicht mit dem staatlichen Büro der Klassenlotterie zusammenzulegen, aber nein, Sie wollten nicht auf mich hören. Es wäre Ihnen nur recht ergangen, wenn ich Sie umgebracht hätte. Wäre das keine schöne Schweinerei gewesen, was?«

»Ich hätte es bestimmt als Schweinerei empfunden«, meinte Carmody erschüttert.

»Nun, es lohnt sich nicht, über nicht vergossenes Blut zu jammern«, sagte der Lotteriebeamte. »Wenn wir wirklich alle Eventualitäten ausschließen wollten, dann hätten wir bald überhaupt keine mehr … Was wollte ich damit sagen? Na, machen Sie sich nichts draus, grammatisch war es richtig, auch wenn die Wörter irgendwo nicht gestimmt haben können. Ich habe Ihren Preis hier irgendwo. Einen Augenblick.«

Er drückte einen Knopf auf dem Schaltbrett. Sofort materialisierte im Raum ein großer Metallschreibtisch, schwebte für Sekunden zwanzig Zentimeter über dem Boden und kam dann scheppernd auf demselben zu stehen. Der Beamte zog die Schubladen heraus und begann Blätter, Pausenbrote, Farbbänder, Karteikarten und Bleistiftspitzer durch die Gegend zu werfen.

»Also, er muss hier irgendwo sein«, sagte er mit einer gewissen resignierenden Verzweiflung in der Stimme. Er drückte einen anderen Knopf auf dem Schaltpult. Der Schreibtisch und das Schaltbrett verschwanden.

»Verdammt aber auch, ich bin schon ganz mit den Nerven runter«, sagte der Beamte. Er langte in die leere Luft, fand dort etwas Unsichtbares und drückte darauf herum. Offensichtlich war es wieder der falsche Knopf, denn der Beamte verschwand mit einem entsetzlichen Schrei selbst. Carmody blieb allein im Raum zurück.