Planet der Verbrecher - Robert Sheckley - E-Book

Planet der Verbrecher E-Book

Robert Sheckley

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Beschreibung

Schuld und Sühne

Barrent war verhört, verurteilt und von der Erde verbannt worden, jetzt verbüßt er seine Strafe auf Omega, einem Planeten nur für Strafgefangene. Er ist von einem Ring patrouillierender Raumschiffe umgeben, und von dort gibt es kein Entrinnen. Omega ist eine Welt des Schreckens, wild und ruhelos. Doch Barrent muss schnell feststellen, dass sie nur eine Prüfung vor der Rückkehr zur Erde ist …

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ROBERT SHECKLEY

PLANET DER VERBRECHER

Roman

Das Buch

Barrent war verhört, verurteilt und von der Erde verbannt worden, jetzt verbüßt er seine Strafe auf Omega, einem Planeten nur für Strafgefangene. Er ist von einem Ring patrouillierender Raumschiffe umgeben, und von dort gibt es kein Entrinnen. Omega ist eine Welt des Schreckens, wild und ruhelos. Doch Barrent muss schnell feststellen, dass sie nur eine Prüfung vor der Rückkehr zur Erde ist …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

THE STATUS CIVILIZATION

Aus dem Amerikanischen von Charlotte Winheller

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1960 by Robert Sheckley

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat, München

1

Seine Rückkehr ins Bewusstsein war ein langwieriger und schmerzhafter Vorgang. Es war eine Reise mit vielen verschiedenen Stationen. Er träumte. Er erwachte aus tiefem Schlaf, aus den imaginären Anfängen aller Dinge. Er hob ein Pseudopodium aus dem Urschlamm, und das Pseudopodium war er selbst. Er wurde eine Amöbe, in der schon alle seine Anlagen enthalten waren, dann ein Fisch – ein Fisch, der sich seiner Identität bewusst war, dann ein Affe, der sich durch einige wesentlichen Dinge von allen anderen Affen unterschied. Und schließlich wurde er ein Mensch.

Was für ein Mensch? Verschwommen sah er sich – ohne Gesicht, seine Hand umklammerte eine Strahlenwaffe, zu seinen Füßen lag eine Leiche. So einer war er!

Er erwachte, rieb sich die Augen und wartete auf weitere Erinnerungen.

Aber die Erinnerungen blieben aus. Nicht einmal sein Name fiel ihm ein.

Hastig richtete er sich auf und dachte angestrengt nach. Als auch das nichts half, blickte er sich um, in der Hoffnung, in seiner Umgebung einen Hinweis auf seine Identität zu finden.

Er saß auf einem Bett in einem kleinen grauen Zimmer. In der einen Wand befand sich eine geschlossene Tür; an der anderen konnte er hinter einem Vorhang einen winzigen Waschraum erkennen. Eine verborgene Lichtquelle erhellte den Raum, vielleicht leuchtete die Decke sogar selbst. Es gab ein Bett und einen einzigen Stuhl, sonst nichts.

Er stützte das Kinn in die Hände und schloss die Augen. Wieder versuchte er, sein Wissen zu ordnen und aus diesem Wissen Schlüsse zu ziehen. Er wusste, dass er ein Mensch war, ein Homo sapiens, ein Bewohner des Planeten Erde. Er sprach eine Sprache, von der er wusste, dass sie »Englisch« hieß. (Bedeutete das auch, dass es noch andere Sprachen gab?) Er kannte übliche Namen für Gegenstände: Zimmer, Licht, Stuhl. Außerdem besaß er eine begrenzte Menge Allgemeinwissens. Er wusste, dass es viele wichtige Dinge gab, die er nicht kannte, die er aber einmal gekannt hatte.

Irgendetwas muss mit mir geschehen sein.

Dieses Etwas hätte schlimmer sein können. Wenn es nur ein wenig weiter getrieben worden wäre, dann würde er jetzt eine gedankenlose Kreatur sein, ohne die Fähigkeit zu sprechen, ohne das Bewusstsein, ein Mensch zu sein, ein Mann von der Erde. Es war ihm also noch etwas gelassen worden.

Aber als er versuchte, über die Alltagstatsachen vorzudringen, stieß er in ein dunkles und schreckerfülltes Gebiet. Halt! Nicht weiter! Die Erforschung seines eigenen Gedächtnisses war so gefährlich wie eine Reise ins – wohin? Er fand keine passende Bezeichnung, obgleich er annahm, dass es viele gab.

Ich muss krank gewesen sein.

Das war die einzige vernünftige Erklärung. Er war ein Mann mit Resten von Erinnerungen. Einmal musste er die unbezahlbare Gabe besessen haben, sich an viele Dinge zu erinnern, während er jetzt nur aus den wenigen Fakten, die ihm zur Verfügung standen, Vermutungen ableiten konnte. Früher einmal musste er fähig gewesen sein, sich an ganz bestimmte Vögel, Bäume, Freunde zu erinnern, an eine Familie, einen Beruf und vielleicht sogar an eine Frau. Jetzt konnte er nur Theorien darüber aufstellen. Früher einmal hatte er sagen können »das ist wie« oder »das erinnert mich an«. Jetzt erinnerte ihn nichts an etwas, und die Dinge waren nichts als sie selbst. Er hatte die Fähigkeit verloren, Dinge zu vergleichen oder gegenüberzustellen. Er konnte die Gegenwart nicht mehr auf Grund von Erfahrungen aus der Vergangenheit analysieren.

Dies muss ein Krankenhaus sein.

Natürlich. Man kümmerte sich hier um ihn. Freundliche Ärzte bemühten sich, sein Gedächtnis wiederherzustellen und seine Identität, sein Urteilsvermögen wiederzuerwecken, ihm zu sagen, wer und was er war. Das war sehr nett von ihnen; er fühlte, wie ihm Tränen der Dankbarkeit in die Augen stiegen.

Er erhob sich und wanderte langsam in dem kleinen Zimmer umher. Er ging zur Tür und fand sie verschlossen. Diese verriegelte Tür verursachte einen Moment der Panik in ihm, aber er beherrschte sich gleich wieder. Vielleicht war er gewalttätig gewesen.

Nun, das würde nicht wieder vorkommen. Sie würden schon sehen. Und dann würde man ihm alle Privilegien eines einsichtigen Patienten einräumen. Er würde mit dem Doktor darüber reden.

Er wartete. Nach einer langen Zeit hörte er Schritte auf dem Gang vor seiner Tür näher kommen. Er setzte sich auf die Bettkante und lauschte, während er sich bemühte, seine Erregung zu unterdrücken. Die Schritte hielten bei seiner Tür an. Ein schmaler Schlitz öffnete sich, und ein Gesicht blickte ihn an.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte der Mann.

Er ging zu dem Schlitz und sah, dass der Mann eine braune Uniform trug. An der Hüfte trug er einen Gegenstand, der nach kurzem Nachdenken als eine Waffe identifiziert werden konnte. Dieser Mann war zweifellos ein Wachtposten. Er hatte ein grobes, undeutbares Gesicht.

»Würden Sie mir bitte sagen, wie ich heiße?«, fragte er die Wache.

»Nennen Sie sich 402«, sagte der Posten. »Das ist Ihre Zellennummer.«

Es gefiel ihm nicht. Aber immerhin war 402 besser als gar nichts. »Bin ich lange krank gewesen?«, fragte er die Wache. »Geht es mir schon besser?«

»Ja«, antwortete der Posten teilnahmslos. »Wichtig ist nur, Ruhe zu bewahren. Gehorchen Sie den Vorschriften. Dann geht alles klar.«

»Natürlich«, sagte 402. »Aber warum kann ich mich an nichts erinnern?«

»So ist das nun mal«, antwortete die Wache. Er machte sich daran, wegzugehen.

402 rief ihm nach: »Halt! Warten Sie! Sie können doch nicht so ohne weiteres weggehen. Sie müssen mir alles erklären! Was ist mit mir geschehen? Warum bin ich in diesem Krankenhaus?«

»Krankenhaus?«, sagte der Posten. Er sah 402 an und grinste. »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Ich nehme es an«, erwiderte 402.

»Da nehmen Sie was Falsches an. Dies ist ein Gefängnis.«

402 erinnerte sich an seinen Traum von dem ermordeten Mann. Traum oder Erinnerung? Verzweifelt rief er dem Wachtposten nach: »Was habe ich verbrochen? Was habe ich getan?«

»Das werden Sie schon herausfinden«, antwortete die Wache.

»Wann?«

»Nach der Landung. Aber jetzt machen Sie sich fertig zum Antreten.«

Er ging davon. 402 setzte sich wieder aufs Bett und versuchte nachzudenken. Ein paar Dinge hatte er erfahren. Er befand sich in einem Gefängnis, und dieses Gefängnis würde bald landen. Was hatte das zu bedeuten? Wozu brauchte ein Gefängnis zu landen? Und was würde beim Antreten geschehen?

402 begriff nur vage die folgenden Ereignisse. Zuerst verharrte er längere Zeit auf seinem Bett. Er konnte nicht abmessen, wie lange. Immer wieder versuchte er die wenigen Tatsachen, die er über sich selbst wusste, aneinanderzureihen. Dann hatte er den Eindruck von schrillen Klingeln, und gleich darauf schwang die Tür seiner Zelle auf.

Was bedeutete das? Was würde nun geschehen?

402 ging zur Tür und blickte in den Gang. Er war voller Erwartung, wollte aber die Sicherheit seiner Zelle nicht aufgeben. Er wartete, und der Wachtposten kam zu ihm.

»Alles in Ordnung«, beruhigte dieser ihn. »Niemand wird Ihnen etwas tun. Gehen Sie den Gang entlang – immer geradeaus.«

Sanft schob er 402 vor sich her. 402 schritt den Gang entlang. Er sah, wie sich andere Zellentüren öffneten, wie andere Männer in den Gang traten. Und je weiter er ging, umso mehr Männer schlossen sich an. Die meisten sahen bestürzt aus, niemand sprach. Die einzigen Worte kamen von dem Wachtposten:

»Weitergehen – immer geradeaus. Weitergehen, schön brav weitergehen.«

Sie kamen in einen großen runden Saal. 402 sah sich um und entdeckte einen Balkon, der an den Wänden entlang verlief. Darauf standen alle paar Meter bewaffnete Posten. Ihre Anwesenheit schien überflüssig; die erschrockenen und willenlosen Männer waren nicht in der Stimmung zu einer Revolte. Anscheinend hatten die grimmig dreinschauenden Wachen eine symbolische Bedeutung. Sie erinnerten die gerade erwachten Männer an die wichtigste Tatsache ihres Lebens: dass sie Gefangene waren.

Nach einigen Minuten betrat ein in eine düstere Uniform gekleideter Mann den Balkon. Obgleich die Gefangenen ihn schon schweigend anstarrten, hob er die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dann hallte seine Stimme laut durch den Saal.

»Was ich jetzt sagen werde, dient zu Ihrer Indoktrination«, begann er. »Hören Sie gut zu und versuchen Sie, sich alles gut zu merken. Es wird für Sie lebenswichtig sein.«

Die Gefangenen starrten ihn neugierig an, und der Sprecher fuhr fort: »Sie alle sind während der letzten Stunde in Ihren Zellen erwacht. Sie entdeckten, dass Sie sich nicht an Ihr früheres Leben erinnern können – nicht einmal an Ihre Namen. Sie besitzen nichts als eine geringe Menge allgemeinen Wissens; genug, um sich zurechtzufinden.

Ich werde diesem Wissen nichts hinzufügen. Sie alle waren auf der Erde gefährliche und sittlich verdorbene Kriminelle. Sie waren Männer der schlimmsten Sorte, die jedes Recht auf Anerkennung durch den Staat selbst verwirkt hatten. In einer weniger aufgeklärten Zeit wären Sie alle hingerichtet worden. In unserem Zeitalter jedoch werden Sie deportiert.«

Der Sprecher hob eine Hand, um das Gemurmel, das den Saal durchlief, abklingen zu lassen. »Sie alle sind Verbrecher. Und Sie alle haben etwas gemeinsam: die Unfähigkeit, den grundlegendsten Gesetzen der menschlichen Gesellschaft zu gehorchen. Diese Gesetze sind für das Funktionieren einer Zivilisation unerlässlich. Sie haben sie missachtet – und so sind Sie zu Verbrechern an der ganzen Menschheit geworden. Deshalb hat die Menschheit Sie ausgestoßen. Sie waren Sand in den Mühlen der Zivilisation und sind deshalb zu einer Welt transportiert worden, in der Ihre Sorte Mensch regiert. Hier können Sie Ihre eigenen Gesetze aufstellen und daran verrecken. Hier herrscht die Freiheit, nach der Sie verlangt haben; die maßlose und selbstzerstörerische Freiheit einer Krebsgeschwulst.«

Der Sprecher wischte sich die Stirn und blickte die Gefangenen ernst an. »Aber vielleicht gelingt auch einigen von Ihnen eine Rehabilitierung. Omega, der Planet, zu dem wir unterwegs sind, gehört Ihnen, er wird ausschließlich von Gefangenen regiert. Auf dieser Welt können Sie ganz von vorn beginnen, ohne alle Vorurteile gegen Sie, ohne Vorstrafenregister! Ihr früheres Leben ist ausgelöscht – vergessen. Versuchen Sie nicht, sich daran zu erinnern. Derartige Erinnerungen wären nur dazu angetan, Ihre kriminellen Neigungen neu zu stimulieren. Betrachten Sie sich als neugeboren, von dem Moment an, in dem Sie in Ihren Zellen aufgewacht sind.«

Die langsamen, wohlabgewogenen Worte des Sprechers hatten eine gewisse hypnotische Wirkung. 402 lauschte, die Augen starr auf die blasse Stirn des Sprechers gerichtet. »Eine neue Welt«, fuhr der Sprecher fort. »Sie sind neugeboren – aber mit dem notwendigen Bewusstsein der Sünde. Ohne dies wären Sie nicht imstande, das Böse, das Ihrem Charakter anhaftet, zu bekämpfen. Denken Sie daran. Halten Sie sich immer vor Augen, dass es keine Flucht und keine Rückkehr gibt. Wachschiffe, die mit den modernsten Strahlenwaffen ausgerüstet sind, patrouillieren unaufhörlich an den Himmeln von Omega – Tag und Nacht. Diese Schiffe sind dazu eingerichtet, alles, was sich höher als 150 Meter über die Oberfläche von Omega erhebt, auszutilgen – eine unüberwindbare Barriere, die kein Gefangener bezwingen kann. Gewöhnen Sie sich an diese Tatsachen. Sie begründen die Gesetze, die Ihr Leben von nun an beherrschen werden. Denken Sie über meine Worte nach! Und jetzt halten Sie sich zur Landung bereit.«

Der Sprecher verließ den Balkon. Eine Weile starrten die Gefangenen weiter auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Dann breitete sich zögernd Gemurmel aus. Nach einer kurzen Zeit erstarb es wieder. Es gab nichts, worüber man hätte sprechen können. Die Gefangenen – ohne Erinnerung an die Vergangenheit – hatten nichts, worauf sie die Spekulationen der Zukunft aufbauen konnten. Persönliche Daten konnten nicht ausgetauscht werden, denn sie besaßen keine.

Schweigend saßen sie da – verschlossene Männer, die zu lange Zeit in absoluter Abgeschiedenheit verbracht hatten. Die Wachen auf dem Balkon standen starr wie Bildsäulen, unnahbar und unpersönlich. Und dann durchfuhr ein leichtes Beben den Boden des Saals.

Das Beben wiederholte sich und wurde zu einem heftigen Schütteln. 402 fühlte sich schwerer, als pressten unsichtbare Gewichte Kopf und Schultern nieder.

Aus einem Lautsprecher ertönte eine Stimme: »Achtung! Das Schiff setzt zur Landung auf Omega an! Bereiten Sie sich auf die Ausschiffung vor!«

Das letzte Zittern erstarb, der Boden unter ihnen kam nach kurzem Schlingern zur Ruhe. Die Gefangenen, noch immer schweigend und verwirrt, mussten sich in einer Reihe aufstellen und marschierten aus dem Saal. Von Wachtposten flankiert, schritten sie einen endlos wirkenden Gang entlang. 402 konnte sich ein schwaches Bild von der Größe des Schiffes machen.

Weit vorn erkannte er einen Streifen einfallender Sonnenstrahlen, der sich hell gegen die fahle Beleuchtung des Korridors abzeichnete. Die lange Kette der Gefangenen schlurfte weiter, und als 402 die Lichtflut erreicht hatte, erkannte er, dass sie durch eine offene Luke einfiel, durch die der Strom der Gefangenen sich drängte.

Dahinter stieg er eine lange Treppe hinab und befand sich auf festem Boden. Er stand in einem offenen Viereck, in das Sonnenstrahlen fielen. Die Wachen hießen die Gefangenen in Reihen antreten; 402 konnte zu beiden Seiten Zuschauer erkennen.

Eine Stimme dröhnte aus dem Lautsprecher: »Antworten Sie, wenn Ihre Nummer aufgerufen wird. Wir werden Sie jetzt identifizieren. Antworten Sie prompt, wenn Ihre Nummer genannt wird.« 402 fühlte sich schwach und müde. Selbst seine Identität interessierte ihn in diesem Augenblick kaum. Er wollte nichts als sich niederlegen, schlafen und Gelegenheit haben, über seine Lage nachzudenken. Er blickte sich um und bemerkte das gewaltige Raumschiff hinter sich, die Wachen und die Zuschauer. Über sich nahm er dunkle Punkte am Himmel wahr. Zuerst glaubte er, es wären Vögel. Dann sah er genauer hin und erkannte, dass es Wachschiffe waren. Aber auch die interessierten ihn nicht sonderlich.

»Nummer 1! Antworten Sie!«

»Hier«, ertönte eine Stimme.

»Nummer 1, Ihr Name ist Wayn Southholder. Alter 34, Blutgruppe A-L2, Index AR-431-C. Schuldig des Verrats.«

Als die Stimme verklang, ertönten aus der Menge laute Beifallsrufe. Man beklatschte das Verbrechen des Gefangenen und begrüßte ihn auf Omega.

Die Namen wurden der Reihe nach verlesen, und 402, von der prallen Sonne benommen, döste im Stehen und lauschte den Verbrechen, die sich von Mord, Betrug, Krediterschleichung bis zu Mutantismus erstreckten. Schließlich wurde seine Nummer aufgerufen.

»Nummer 402.«

»Hier.«

»Nummer 402, Ihr Name ist Will Barrent. Alter 27, Blutgruppe O-L3, Index JX-22I-R. Schuldig des Mordes.«

Die Menge jubelte, aber 402 hörte sie kaum. Er versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, einen Namen zu haben. Einen wirklichen Namen statt einer Nummer. Will Barrent. Er hoffte, er würde ihn nicht vergessen. Wieder und wieder murmelte er den Namen vor sich hin und verpasste dabei fast die letzte Ankündigung aus dem Lautsprecher.

»Die neuen Männer werden jetzt auf Omega in Freiheit gesetzt. Sie finden eine vorübergehende Behausung in Block A-2. Nehmen Sie sich in Acht und seien Sie in Wort und Handlung vorsichtig. Beobachten Sie, hören Sie sich um und lernen Sie! Das Gesetz schreibt vor, Ihnen mitzuteilen, dass die durchschnittliche Lebensdauer auf Omega ungefähr drei Erdjahre zählt.«

2

Die neuen Gefangenen wurden zu einer Reihe von Baracken in Block A-2 geführt. Es waren fast fünfhundert Männer. In Wirklichkeit waren sie noch keine Männer, sondern Wesen, deren Erinnerung nur eine knappe Stunde zurückreichte. Auf ihren Schlafkojen hockend, betrachteten sie neugierig ihren Körper, ihre Hände und Füße. Sie starrten einander an und erblickten in den Augen der anderen ein Spiegelbild ihrer eigenen Unsicherheit. Sie waren noch keine Männer; aber sie waren auch keine Kinder. Gewisse Begriffe waren ihnen geblieben und schattenhafte Erinnerungen. Die Anpassung vollzog sich rasch, sie stützte sich auf alte Gewohnheiten und persönliche Charakterzüge, die in der zerbrochenen Form ihres früheren Lebens auf der Erde noch enthalten waren.

Die Männer klammerten sich an die vagen Vorstellungen von Begriffen, Sitten, Regeln. Innerhalb weniger Stunden begann sich ihre phlegmatische Teilnahmslosigkeit zu legen. Sie wurden wieder zu Männern. Zu Individuen. Aus einer verschwommenen, künstlichen Einheit traten scharfe Gegensätze hervor. Charaktere setzten sich durch, und allmählich begannen die fünfhundert Männer zu entdecken, was sie darstellten.

Will Barrent stellte sich an der Schlange an, die an dem Spiegel vorbeischritt, um sich anzuschauen. Als er an der Reihe war, sah er das Bild eines gutaussehenden jungen Mannes mit glattem braunem Haar, schmalen Wangen und gerader Nase. Dieser junge Mann hatte ein selbstsicheres, ehrliches und ganz alltägliches Gesicht, das keinerlei tiefe Leidenschaften kennzeichnete. Enttäuscht wandte sich Barrent ab; es war das Gesicht eines Fremden.

Später, als er sich genauer in Augenschein nahm, konnte er keine einzige Narbe oder etwas Ähnliches entdecken, das seinen Körper von tausend anderen unterschieden hätte. Seine Hände waren glatt. Er war eher drahtig als muskulös. Er sann darüber nach, welche Art Arbeit er wohl auf der Erde verrichtet haben mochte.

Mord?

Er runzelte die Stirn. Als Berufskiller gearbeitet zu haben, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.

Ein Mann klopfte ihm auf die Schulter. »Wie fühlen Sie sich?« Barrent drehte sich um und sah einen großen, breitschultrigen rothaarigen Mann hinter sich stehen.

»Ganz gut«, antwortete Barrent. »Sie haben vor mir gestanden in der Reihe, nicht wahr?«

»Stimmt. Nummer 401. Ich heiße Danis Foeren.«

Auch Barrent stellte sich vor.

»Ihr Verbrechen?«, fragte Foeren.

»Mord.«

Foeren nickte beeindruckt. »Ich bin ein Fälscher. Wenn ich meine Hände betrachte, kann ich es kaum glauben.« Er hielt zwei massige Fäuste in die Höhe, die mit roten Haaren bewachsen waren. »Und trotzdem steckt eine unglaubliche Geschicklichkeit in ihnen. Meine Hände erinnerten sich schon, bevor irgendein anderer Teil meines Körpers zu sich kam. Auf dem Schiff saß ich in meiner Zelle und starrte auf meine Hände. Sie juckten. Sie verlangten danach, umherzutasten und etwas zu tun. Aber ich selbst konnte mich nicht daran erinnern, was das sein könnte.«

»Was haben Sie getan?«, fragte Barrent.

»Ich habe die Augen zugemacht und meinen Händen freien Lauf gelassen«, antwortete Foeren. »Das Erste, was ich feststellte, war, dass sie an dem Schloss der Zellentür herumfummelten und es öffneten.« Er hob die Hände wieder hoch und blickte sie bewundernd an. »Verdammt kluge Teufel!«

»Das Schloss öffneten?«, fragte Barrent. »Aber ich dachte, Sie wären ein Fälscher.«

»Na ja, Fälschungen waren meine Spezialität. Aber ein Paar geschickte Hände können alles Mögliche tun. Schätze, dass man mich eben gerade bei einer Fälschung erwischt hat. Aber genauso gut hätte ich auch ein Geldschrankknacker sein können. Für einen einfachen Fälscher sind meine Hände zu begabt.«

»Sie haben mehr über sich herausgefunden als ich«, sagte Barrent. »Ich habe nur einen Traum, auf den ich mich stützen kann.«

»Immerhin etwas«, erwiderte Foeren. »Es muss doch Möglichkeiten geben, mehr herauszufinden. Aber im Moment ist das Wichtigste: Wir sind auf Omega.«

»Zugegeben«, stimmte Barrent mit säuerlicher Miene zu.

»Was ist daran so übel?«, sagte Foeren. »Haben Sie denn nicht gehört, was der Mann sagte? Dieser Planet gehört uns!«

»Bei einer durchschnittlichen Überlebensdauer von drei Erdjahren«, erinnerte ihn Barrent.

»Das ist wahrscheinlich nur Gerede, um uns einzuschüchtern«, entgegnete Foeren. »Ich glaube es noch lange nicht, erst recht nicht, wenn es ein Wachtposten sagt. Die große Sache ist doch die, dass wir einen eigenen Planeten besitzen. Sie haben doch gehört, was die sagten: Die Erde lehnt uns ab. Zum Teufel mit der Erde! Wer braucht sie schon? Hier haben wir unseren eigenen Planeten. Einen ganzen Planeten für uns allein, Barrent! Wir sind frei!«

»Stimmt genau, Kameraden«, mischte sich ein anderer ein. Er war klein, hatte flinke Augen und war fast aufdringlich freundlich. »Ich heiße Joe«, sagte er. »Eigentlich ist mein richtiger Name Joao; aber ich ziehe die Kurzform vor – wegen der Zeitersparnis. Meine Herren, ich hörte zufällig Ihre Unterhaltung mit an, und ich muss gestehen, ich stimme mit unserem rothaarigen Freund völlig überein. Bedenken Sie doch nur einmal die Möglichkeiten! Die Erde hat uns verstoßen? Ausgezeichnet! Ohne sie stehen wir uns weit besser! Hier sind wir alle gleich, freie Männer in einer freien Gesellschaft. Keine Uniformen, keine Wachen, keine Soldaten. Nur reuige frühere Verbrecher, die in Frieden leben wollen.«

»Wobei hat man Sie geschnappt?«, fragte Barrent.

»Ich soll ein Kreditschleicher gewesen sein«, antwortete Joe. »Leider muss ich gestehen, dass ich mir darunter überhaupt nichts vorstellen kann. Aber vielleicht fällt es mir später noch ein.«

»Es könnte ja sein, dass die Behörden eine Art System haben, das Gedächtnis wieder aufzufrischen«, bemerkte Foeren.

»Behörden?«, stieß Joe entrüstet aus. »Was meinen Sie damit – Behörden! Dies ist unser Planet. Hier sind wir alle gleich. Folglich kann es auch keine Behörden geben. Nein, Freunde, diesen ganzen Humbug haben wir auf der Erde zurückgelassen. Hier …«

Er unterbrach sich. Die Barackentür war aufgegangen; ein Mann kam herein. Anscheinend war er schon länger Einwohner von Omega, denn er trug nicht die graue Gefängnisuniform. Er war dick und in grellen gelben und blauen Farben gekleidet. An dem Gürtel, der um seine enorme Taille gebunden war, trug er eine Pistole und ein Messer. Er blieb im Eingang stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, und starrte auf die Neuankömmlinge.

»Nun?«, sagte er. »Erkennt ihr Neuen etwa keinen Quaestor? Aufstehen!«

Keiner der Männer rührte sich.

Das Gesicht des Quaestors wurde rot. »Schätze, ich muss euch ein bisschen Respekt beibringen.«

Noch bevor er die Waffe aus dem Gurt gezogen hatte, rappelten sich die Männer hoch. Der Quaestor blickte sie fast bedauernd an und stieß die Waffe zurück.

»Das Erste, worüber ihr euch am besten gleich im Klaren seid«, erklärte der Quaestor, »ist der Rang, den ihr auf Omega einnehmt. Ihr seid Peons, und das heißt so viel, als wärt ihr nichts. Nichts! Verstanden?«

Er hielt einen Moment inne und fügte dann hinzu: »Und jetzt aufgepasst, Peons! Ich werde euch über eure Pflichten aufklären.«

3