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Die beiden Autorinnen sind beide seit über 25 Jahren als Coaches tätig. In diesem TaschenGuide haben sie ihre 100 wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammengetragen. Sie erfahren alles, was Sie für die Praxis als Coach:in wissen müssen: Welche Fragen zu Beginn geklärt werden müssen und was der Coachingvertrag beinhalten sollte, welche Fehler immer wieder gemacht werden und wie man sie vermeidet. Das Buch geht auf die verschiedenen Persönlichkeitstypen und ihre Eigenheiten ein und zeigt, wie man sich in schwierigen Situationen verhält und auf Veränderungen einstellt. Sie erhalten wirksame Impulse für konkrete Anliegen und auch für Ihre Selbstfürsorge während des Coachingprozesses. Inhalte: - Allgemeine Coachinggrundsätze - Beliebte Irrtümer - Persönlichkeiten und ihre Macken - Kritische Konstellationen - Veränderungsdynamiken - Vier Coaching-Geschichten
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Seitenzahl: 227
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Haufe Lexware GmbH & Co KG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.dnd.de abrufbar.
Andrea Lienhart/Theresia Volk
Online-Workshops – Schritt für Schritt kreative Sessions gestalten
1. Auflage 2023
© 2023, Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
E-Mail: [email protected]
Redaktion: Jürgen Fischer
Konzeption, Realisation und Lektorat: Nicole Jähnichen, www.eisbach-text.de Bildnachweis (Cover): © insta_photos, Adobe Stock
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie der Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.
Seit mehr als 25 Jahren sind wir beide jetzt als Coaches tätig. Dabei haben wir eine Menge gelernt: aus vielen Büchern, in qualifizierten Weiterbildungen, in der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit systemischen, gruppendynamischen oder psychoanalytischen Konzepten, in der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V., unserem Coachingverband mit seinen anspruchsvollen Qualitätsstandards.
Vor allem aber ist es die Arbeit mit unseren Coachees, die uns reich beschenkt mit Erfahrungen und Erkenntnissen. In unzähligen Team- und Einzelsitzungen – überwiegend im Unternehmenskontext – lernten wir, was wichtig ist und nützt, aber in Büchern selten zu finden ist.
100 dieser Erkenntnisse haben wir in diesem TaschenGuide für Sie zusammengetragen. Grundlegendes zur anspruchsvollen Arbeit als Coach ist mit dabei, ebenso wie Überraschendes, neue Perspektiven und viele bewährte Ideen für herausfordernde Situationen. Die Impulse konzentrieren sich vor allem auf Einzelsitzungen, teilweise sind sie auch auf Teams übertragbar.
Nutzen Sie das Büchlein wie eine Schatzkiste: Take the best, forget the rest. Picken Sie sich das für Sie Wertvolle heraus. Wir freuen uns, wenn es eine Bereicherung für Ihre Arbeit als Coach ist.
Andrea Lienhart und Theresia Volk
Alles beginnt irgendwann, auch ein Coachingprozess. In der Regel fragt eine Interessentin oder ein Interessent bei einem Coach an. Oder die Personalabteilung eines Unternehmens sucht für eine ihrer Führungskräfte eine Coaching-Unterstützung.
Gerade zu Beginn bietet sich die Gelegenheit, Wichtiges wahrzunehmen und zu deuten, Botschaften zu hören und zu setzen. Und es gilt, ein paar spezifische Fallen zu vermeiden.
Alle Dienstleistenden freuen sich meist, wenn sie Kundschaft bekommen, denn sie leben ja schließlich von den Aufträgen. Das gilt natürlich auch für uns Coaches. Nicht selten lassen die Kund:innen dabei die Coaches wissen (und spüren), dass sie es sind, die auswählen und entscheiden, ob eine Zusammenarbeit zustande kommt. Sie lassen zum Beispiel einfließen, dass sie noch weitere Kennenlerngespräche führen werden, um dann zu wählen, wer für sie infrage kommt.
Das Interessante an dieser ganz und gar handelsüblichen Konstellation ist der Kipppunkt der Asymmetrie, der zu diesem Zeitpunkt deutlich wird:
Die Kund:innen sind die Bestimmer:innen, sie bestellen, sind diejenigen, die ansagen. Einerseits. Andererseits suchen sie Rat und Hilfe. Wozu sonst sollte das Coaching gut sein? In der Coaching-Beziehung ist die Asymmetrie dann umgekehrt: Nur die Coachees sprechen von ihren Fragen und Anliegen. Die Coaches steuern das Gespräch, fragen nach, konfrontieren, verlangsamen oder dynamisieren den Prozess.
Diese zwei Asymmetrien haben nichts mit der Augenhöhe zu tun – diese ist selbstverständlich in jedem Fall möglich und nötig. Sie ist logischer Bestandteil einer speziellen Konstellation. Auftraggebende steuern (beauftragen oder feuern) ihre Kund:innen; diese Macht haben sie. Aber als Coachees werden [11]sie ihre verletzlichen Seiten zeigen (müssen), ihre Schwierigkeiten, manchmal ihre Ohnmacht. Und die Coaches sind es, die sie durch die auftauchenden Themen und Gefühle steuern.
Ob ein Kennenlerngespräch zu einer Coachingzusammenarbeit führt, hängt zentral davon ab, ob der Coach diesen Kipppunkt der Asymmetrien gut händelt und nicht in eine der folgenden Fallen tappt.
Falle 1: Ein Coach ist gekränkt, dass der angehende Coachee auch noch andere Kennenlern-Gespräche führt, und meint, darin bereits den ersten Widerstand zu erkennen, nach dem Motto: Der will ja gar nicht wirklich anfangen und sich seinen Problemen stellen, sondern verharrt in seiner Machtposition und lässt Coaches antanzen und vorsingen … Hier leugnet der Coach das reale Beauftragungs- und Kundenverhältnis und verdrängt seine eigene abhängige Position. Es ist nun mal der Auftraggeber, der entscheidet, wen er beauftragt, auch in einem Coachingprozess.Falle 2: Eine andere ist möglicherweise etwas angespannt, ob sie die Prüfung besteht und will es dem potenziellen Coachee auf jeden Fall recht machen. Daher spricht sie (zu) viel und (zu) lange über ihre eigene Erfahrung, ihre Kompetenz und ihre Methodik – schließlich wurde sie das ja auch gefragt … Wenn der potenzielle Coachee wenig Selbstbewusstsein hat, wird er womöglich beeindruckt sein über diese geballt vorgetragene Kompetenz, aber sich selbst eher noch kleiner fühlen. Ist der Interessent bzw. die Interessentin dagegen eher ein dominanter Typ, dann wird er und sie die Ängstlichkeit des Coaches spüren und absagen.[12]Falle 3: Der Coach verdrängt, dass es sich um ein Kennenlernen handelt und stürzt sich bereits in die Arbeit, befragt sein Gegenüber in einer Tiefe, die unangemessen für ein Erstgespräch ist, gibt womöglich sogar erste Hypothesen oder Lösungsansätze. So umgeht er die Unsicherheit, ob er den Auftrag bekommt.Ob das Kennenlerngespräch für beide Seiten erfolgreich verläuft – dem Coach eine Beauftragung, den Interessierten einen guten Coach bringt – hängt weniger von der viel beschworenen »Chemie« ab, als davon, ob der Coach in der Lage ist, diese anfängliche Ambivalenz professionell sicher zu gestalten. Es geht darum, jeweils das Wichtige ernst und das Übrige leicht zu nehmen:
die Interessenten und ihr Anliegen – weniger ihr Auftraggebergebaren; sich selber und das eigene Können – ohne all die eigenen Weltmeistertitel aufzuzählen.Und es geht darum, die Situation des Kennenlernens als das zu nehmen, was sie ist: ein erster Kontakt. Dieser ist, wenn er gut ist, immer offen.
Jedes Coachinggespräch sollte für Ihre Coachees einen Mehrwert haben. Nicht erst das fünfte, sondern jedes Treffen, auch das erste, darf Ihr Gegenüber gestärkt verlassen.
[13]Insbesondere im Kennenlerngespräch sollten Sie sich nicht ausschließlich dem Anliegen und seiner Problematik zuwenden, sondern die zahlreichen Gelegenheiten nutzen, der Interessentin oder dem Interessenten zu gratulieren, sie zu entlasten, ihn zu loben.
Warum? Sich zu einem Coaching zu entschließen, bedeutet, zumindest zu einem Teil, sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt, auch wenn das oft verbrämt wird als mentale Fitness-Übung. Demgegenüber ist die dahinter liegende Bitte um Hilfe in unseren Zeiten der Inszenierung und Vermarktung immer auch ein heikler und mitunter schwieriger Schritt – Coachingboom hin oder her. Und da ist der erste Perspektivwechsel hilfreich: nicht nur die Bearbeitung der Anliegen, nicht nur der Blick auf die Bedürftigkeit, sondern immer auch das Feiern dessen, was gelungen ist.
In der Biografie, die viele im Erstgespräch skizzieren, finden sich stets viele Punkte, die beeindruckend und lobenswert sind. Der Anlass für das Coaching ist oft eine neue Position mit größerer Verantwortung, zu der zu gratulieren Sie nicht vergessen sollten. Bereits die grundlegende Tatsache, dass sich jemand in einer bestimmten Situation Unterstützung holt, ist Grund für Bestärkung.[14]Beispiel:Interessentin im Erstgespräch: »Seit einem Jahr habe ich nun meine neue Position, und es war heftiger als vermutet. Ich will durch das Coaching lernen, mich nicht mehr so zu verausgaben und will Fehler, die ich sicherlich gemacht habe, künftig vermeiden.«Sie fragen nun gerade nicht in der angebotenen Richtung weiter: was denn »heftig« war, wo sie sich »verausgaben« musste, welche »Fehler« sie in Zukunft »vermeiden« will etc., sondern Sie wechseln die Perspektive: »Erst einmal Gratulation zu Ihrer neuen Verantwortung, die Sie vor einem Jahr übernommen haben. Schätzungsweise war das ein Ertrag Ihrer sehr guten Leistungen bis dahin. Und diese haben Sie fortgesetzt: Denn Sie haben das erste Jahr gemeistert! Chapeau. Ein erstes Jahr ist nie eine Kür, sondern eine Pflicht, die es zu bewältigen gilt. Sie haben Ihr erstes, Ihr wichtigstes Etappenziel erreicht. Und nun nutzen Sie diesen Meilenstein, um noch einmal genauer hinzuschauen. Das ist ein guter Zeitpunkt für Reflexion und eine sehr souveräne Entscheidung.«Eine ehemalige Klinikseelsorgerin, die heute als Coach arbeitet, erzählt von ihrer wichtigsten Lektion, die sie im Krankenhaus im Gespräch mit den Patient:innen gelernt hat: »Da liegt also jemand todkrank mit einem Krebs, an dem er sterben wird. Und mit diesem Menschen komme ich ins Gespräch. Ohne mir darüber klar zu sein, dachte ich zu Beginn immer, das Schlimmste für diese Person sei selbstverständlich ihr baldiger Tod. Das ist aber oft ein krasser Irrtum. Diesen Menschen belastet womöglich viel mehr als sein eigener Tod: dass die Ehe seines Sohnes in die Brüche gegangen ist oder dass er vor Jahren eine Entscheidung getroffen hat, die er bis heute bedauert. Oder, oder … Das Wichtigste, was ich lernte, war zu fragen – und nicht zu wissen.
[15]Zum Beispiel: Was belastet Sie? Diese Frage am Bett eines Todkranken ist keineswegs rhetorisch, sondern wesentlich. Und die Antwort darauf meist überraschend.«
In den allermeisten Fällen bekommen Sie es nicht mit Fällen zu tun, in denen es ums Sterben geht. Aber Ihnen werden auch schwere Situationen aus dem Betrieb oder dem Leben ihrer Coachees geschildert, bei denen Ihnen womöglich automatisch ein »Oje, oje« durch den Kopf geht, weil Sie das, was Sie hören, selbst als schlimm empfinden. Aber, und dieses Aber ist entscheidend, Sie wissen eben nicht, was daran für Ihr Gegenüber eigentlich das Problematische darstellt.
Sie denken vielleicht, die geschilderte wirre Arbeitsorganisation ist belastend und bedarf der Klärung – dabei ist es eine Kollegin, von der sich der Coachee immer verunsichert und gemaßregelt fühlt, nicht aber das Chaos in der Arbeitsverteilung. Sie denken, es ist der barsche Ton der Chefin, vor der alle zusammenzucken – dabei ist es für Ihren Coachee die Unzufriedenheit mit den Routinearbeiten. An die Macken der Chefin hat man sich gewöhnt. Sie denken, das ist ja reichlich unangemessen, welchen Einfluss der Senior-Chef immer noch hat, obwohl schon längst seine Nachfolgerin, Ihre Coachee, die Verantwortung trägt – dabei regt sich diese gar nicht über den Senior auf, sondern über den IT-Chef, weil … usw.Die Szenarien, die im Coaching geschildert werden, sind Mosaike aus verschiedensten Teilchen. Oft sind die belastenden gar nicht [16]auf den ersten Blick sichtbar – oder werden auch ein wenig verschleiert. Häufig ist das Sichtbare gar nicht das Relevante. Auch wenn Manches, was Ihnen als schwierig auffällt, vielleicht noch eine Rolle spielen wird im weiteren Verlauf des Coachings, so ist es doch grundlegend, dass nicht Sie, sondern Ihre Coachees entscheiden, bei welchem Teilchen sie ansetzen möchten.
Die Frage der Fragen lautet also nach jeder Schilderung:
Wie ist hierbei nun Ihre Frage? Was davon, was Sie mir geschildert haben, sollen wir näher anschauen? Worum geht es Ihnen heute?Diese Auftragsklärung en détail braucht es, jedes Mal wieder neu.
Im Coaching ungeübte Personen schildern und schildern und schildern ihre Geschichten – und tun es auch noch weiter, wenn Sie nicht eine Zäsur machen und fragen: Was möchten Sie jetzt bearbeiten?
Noch fataler ist es, ungefragt einfach mit dem anzufangen, was Ihnen am meisten aufstößt.
Die in Impuls 3 genannte Frage dient der Auftragsklärung. Sie beendet eine Schilderung und leitet über in die Bearbeitung.
[17]Zuvor finden sich gerade am Beginn eines Prozesses oft die reinen Informationsfragen. Das sind Nachfragen, wie sich etwas genau verhält. Sie haben die Funktion, die Situation genauer auszuleuchten.
Beispiele: Informationsfragen▪Wie viele Beschäftigte hat Ihre Abteilung?▪Seit wann sind Sie in der Position?▪Wo tagen Sie in der Regel?▪Wer war dabei?▪Welche Befugnisse hat …?Nicht zu verwechseln sind Informationsfragen mit anderen Fragetechniken, z. B. systemischen Fragen o. Ä., die anderen Zwecken dienen (vgl. Impuls 28).
Informationsfragen machen den Radar auf. Sie erweitern und präzisieren das Bild. Aber gerade am Anfang sind Coaches in Versuchung, (zu) viele von diesen Informationsfragen zu stellen. Denn ihr Verständnis der Lage ist notgedrungen noch bruchstückhaft. Das Bedürfnis, etwas besser und vollständiger verstehen zu wollen – letztlich das eigene Bedürfnis nach Sicherheit –, ist nachvollziehbar, aber nie einlösbar. Sogar für die Beteiligten selbst sind die Dynamiken der eigenen Organisation oder gar des eigenen Lebens immer nur unvollständig durchschaubar. Umso mehr gilt das für außenstehende Coaches.
Registrieren Sie dieses Sicherheitsbedürfnis, aber gehen Sie ihm nicht auf den Leim. Denn auch mit 1.000 Fragen zur Situation [18]bleibt ein großes Feld der Unkenntnis bestehen, was das alles letztlich bedeutet und wie alles mit allem zusammenhängt. Je mehr und je länger Coaches aber solche Informationsfragen stellen, die die wohlwollenden Coachees natürlich gerne und ausführlich beantworten (hier kennen sie sich ja aus), desto mehr verdrängen beide Seiten den eigentlichen Arbeitsbeginn – der mit der Frage aus Impuls 3 eingeleitet wird. Derweil steigt der Erwartungsdruck an Sie mit jeder weiteren Nachfrage unmerklich an, weil Sie ja so unendlich viele Informationen mitgeteilt bekommen haben. Da müssen Sie doch jetzt was draus erkennen können … Tun Sie aber nicht. Weil selbst eine bestens ausgeleuchtete Szene keine Antwort parat hält, wenn die Frage der Fragen noch nicht gestellt worden ist.
Hören Sie auf, nach diesem und jenem und noch einem letzten Detail zu fragen, und fangen Sie an, auch wenn und weil Sie noch nicht alles verstanden haben und es noch unendlich Vieles gibt, was Sie nicht wissen.
Kein Mensch will eigentlich ein ganz und gar anderer werden. Es gibt so manche, die befürchten, dass sie das womöglich müssten, wenn sie in ein Coaching einsteigen. Denn das soll sie ja befähigen, künftig anders oder besser zu leben und zu arbeiten. Diese Sorge dürfen Sie Ihren Coachees gerne nehmen. Gleich zu Beginn:
[19]»Keine Angst. Sie werden sich durch ein Coaching nicht grundlegend verändern. Und Sie müssen es auch gar nicht. By the Way: Das schaffen wir in unserem Alter ohnehin nicht mehr. Es geht lediglich darum, dass Sie Ihr Repertoire erweitern. Dass Sie im übertragenen Sinne also ein paar Kleidungsstücke mehr im Schrank hängen haben; nicht nur Sommer- sondern auch Wintersachen. Dass Sie nicht immer mit denselben Methoden an Ihre ganz unterschiedlichen Aufgaben herangehen, sondern dass Ihnen mehr Handlungsvariationen zur Verfügung stehen, die von Fall zu Fall jeweils besser funktionieren. Ihr Charakter und Ihre Werte bleiben davon völlig unberührt. Und das ist auch gut so.«
Nach dem Kennenlerngespräch sollte eine auch schriftlich formulierte Vereinbarung stehen, welche die wichtigsten Regeln der Zusammenarbeit fixiert. Grundlage dafür kann ein Angebot sein, das im Vorfeld bereits eingereicht wurde und folgende Angaben enthält:
Anzahl der geplanten Sitzungen bzw. Stunden Vorgehen bei vorzeitigem Ende oder bei Verlängerung Stornobedingungen Honorar Reisekosten Ort der Treffen Terminierung/Taktung[20] die Art der Auftragsklärung – bei Dreieckskontrakten auch mitunter zusammen mit Vorgesetzten und/oder Personalentwicklung Auswertung/Evaluation ggf. wieder mit den Beteiligten aus der Auftragsklärung Und ganz wichtig: Vertraulichkeitszusagen; gerade auch dem beauftragenden Unternehmen gegenüberEin solcher Rahmen stabilisiert und gibt allen Beteiligten Sicherheit. Sollten bestimmte Eventualitäten eintreten, z. B. eine kurzfristige Absage des Coachees, müssen Sie nicht eigens nachverhandeln. Aber es gilt auch: Obwohl Sie im Vertrag eine Stornoklausel vereinbart haben, können Sie dennoch frei entscheiden, ob Sie kulant sind. Ein Vertrag soll beim Sich-Vertragen helfen, er legt kein bürokratisches Pflichtprogramm fest.
Bei (Rahmen-)Verträgen, die die Unternehmen formulieren, müssen Sie prüfen, ob die dort enthaltenen Standard-Formulierungen für das Coaching passen. Eine übliche Klausel, die auf das Trainingsgeschäft münzt, ist zum Beispiel, dass alle erstellten Unterlagen dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden müssen. Als Coach können Sie das nicht unterschreiben, denn diese Skizzen gehören nur den Coachees und dürfen aus Vertraulichkeitsgründen nicht weitergegeben werden.
Die Vorabversendung eines Fragebogens ist ein übliches Verfahren, um Coachees zu animieren, sich über ihre Motivation und [21]ihre Anliegen im Vorfeld klarer zu werden. Und es bietet Ihnen natürlich ein erstes Bild über die Gemengelage.
Allerdings werden schriftlich erhobene Daten noch viel interessanter, wenn sie nicht nur als sachliche Informationsweitergabe behandelt werden, sondern in einer der ersten Sitzungen quasi »re-sozialisiert«, also im sozialen Miteinander noch einmal besprochen und verlebendigt werden. Dazu eignen sich besonders folgende Fragestellungen; sie heben die Fakten auf eine andere Ebene:
Welche Fragen konnten Sie sehr schnell beantworten? Bei welchen kamen Sie ins Stocken? Haben Sie eine Idee, warum? Welche Frage fehlte? Wo haben Sie vielleicht ein wenig geschummelt? Haben Sie die Fragen inspiriert? Oder haben Sie sich eher ungern damit beschäftigt?Damit wird leichter Hand deutlich, dass auch vermeintlich eindeutige Sachverhalte, die eben mal glasklar formuliert wurden, immer auch eine verdeckte Seite haben, zumindest mehr Schattierungen, als der Frage-Antwort-Modus suggeriert. Und umgekehrt können Sie bei anderen Antworten, die sehr im Ungefähren bleiben, durch ein wenig Nachhaken die innen liegenden Themen hervorheben und präzisieren.
Viele Coachees fragen, ob und wie sie sich vorbereiten können oder mit welchem Thema sie beginnen sollen. Hier können Sie [22]völlige Freiheit walten lassen. Denn, erstens, bereiten sich Coachees un- oder halbbewusst ohnehin vor, wenn sie wissen, dass bald ein Gespräch ansteht, in dem es um einen selbst geht. Ob sich da vorher noch jemand hinsetzt und sich etwas überlegt, ist für den einen hilfreich, für die andere lästig. Ohnehin ist es für Sie interessanter, wenn Sie die Denkbewegungen der Menschen (»Wo soll ich beginnen?«) im Coaching live miterleben. Vorbereitete Themen sind manchmal schon nicht mehr aktuell oder werden von einem neuen Sachverhalt überlagert, wenn Sie Ihre Coachees treffen.
Und dann ist es wie bei einem Besuch in einem Haus: Ob Ihr Coachee durch die Haustür oder über den Garten und die Terrasse eintritt oder durchs Klofenster einsteigt … irgendwann ist sie oder er drin. Und dieses »Drinnen« ist ja das Spannende, auf das Sie im gemeinsamen Prozess immer zusteuern, egal, von welchem Ausgangspunkt aus.
Im Coaching haben wir es immer mit mindestens zwei Wirklichkeitsebenen zu tun: dem Dort und Dann und dem Hier und Jetzt.
In der Regel beschreiben Coachees Situationen, die sich nicht jetzt, sondern eben »dort und dann« zugetragen haben: also zum Beispiel ein Konflikt in der Abteilung X am letzten Dienstag. Oder ein aufwühlendes Gespräch zwischen dem Coachee und YZ, das noch bis in das letzte Wochenende hineingewirkt hat. [23]Diese Geschehnisse des »Dort und Dann« werden im Coaching besprochen, sortiert, aufgestellt, verstanden, neu beleuchtet, … kurz: wie auch immer bearbeitet.
Die zweite Wirklichkeitsebene findet aber im Hier und Jetzt statt, also im Coachingraum zwischen Ihnen beiden, Coach und Coachee, die Sie da sitzen und reden: Die Coachee kommt beispielsweise zu spät oder ist viel zu früh dran, ist außer Atem, gerät ins Stocken, ist genervt, wird ungeduldig, lacht, macht Witze … das Handy klingelt, ein Tee wird verschüttet – was auch immer. Es ist eine der wichtigsten und effektivsten Aktionen der Coaches, von der »Dort und Dann«-Ebene ins Hier und Jetzt zu wechseln und beides in Verbindung miteinander zu bringen. Oft sind es verblüffende Ähnlichkeiten, die da zutage treten (siehe auch Impuls 30). Das kommt nicht von ungefähr, denn die Muster, die jemand automatisch und meist unbewusst anwendet, tauchen hier wie dort auf. Die Tatsache, dass sie sich auch im Hier und Jetzt, in Ihrem Beisein, zeigen, hat den Vorteil, dass Sie diese Phänomene direkt wahrnehmen und thematisieren können. Es sind in der Regel blinde Flecke, die gerade deswegen von Coachees nicht selbst gesehen und genannt werden können – die aber das Dort und Dann um einiges besser beleuchten.
Sie als Coach stellen eine Verbindung her zwischen dem, was im Hier und Jetzt sichtbar wird und dem, was die Coachees an Themen im Dort und Dann schildern. Das kann große, auch irritierende Aha-Momente liefern. Und den Beginn einer neuen Sicht auf sich selbst.
Nicht nur, aber gerade zu Beginn, wenn Sie sich noch nicht aneinander gewöhnt haben, fällt Ihnen auf – bzw. sollten Sie verstärkt darauf achten –, welche Gefühle, Empfindungen und Gedanken in Ihnen aufsteigen, wenn Sie im Kontakt sind mit dem oder der Coachee. Die wichtige Message dabei: Sehr oft haben [25]diese Gefühle rein gar nichts mit Ihnen, aber sehr viel mit dem Gegenüber und dem, was es schildert, zu tun. Insofern können es wichtige Indizien dafür sein, die Situation der Coachees zu verstehen.
Sie fühlen Stress in einem Auftragsklärungsgespräch und fragen sich: Ob ich diesen hohen Anforderungen, die der Kunde hier offen wie auch verdeckt artikuliert, genüge? Jetzt könnten Sie sich weiter mit Ihren Minderwertigkeitsthemen beschäftigen – also mit sich statt mit dem Coachee –, oder Sie könnten darüber nachdenken, dass Ihr Gegenüber vielleicht genau diesem Stress, den Sie jetzt bei sich fühlen, in seiner Arbeit selbst ausgesetzt ist. Und dass er diesen jetzt ins Coaching »mitbringt«.