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'Ihr seid nur ein Karnevalsverein!', skandieren gegnerische Fans in jedem Stadion, in dem der 1. FC Köln spielt - und haben absolut recht. Nirgendwo sonst werden während des Spiels so viele fröhliche Lieder gesungen wie in Köln. Nirgendwo sonst sind die Fans so schnell zu begeistern wie in Köln. Nirgendwo sonst feiern die Anhänger im Stadion völlig unabhängig davon, wie erfolgreich der Verein ist oder in welcher Liga er spielt. Und nirgendwo sonst wird so viel über den eigenen Verein gelacht wie in Köln. Wenn ein Spieler nach intensiver Beobachtung verpflichtet wird, aber nicht er, sondern sein talentfreier Zwillingsbruder kommt, wenn stolz der neue Hauptsponsor 'Zypern' präsentiert wird, man aber nicht mit dem Tourismusminister des Landes, sondern mit einem Autohändler aus Siegburg verhandelt hat - oder wenn die Sperre eines vom Platz gestellten Spielers vor dem DFB-Sportgericht reduziert werden soll, man dem Gericht aber statt entlastender Spielszenen Ausschnitte einer Karnevalssitzung zeigt, dann kann es nur um den 1. FC Köln gehen. Also singt ruhig weiter 'Ihr seid nur ein Karnevalsverein!'. Wir wollen gar nichts anderes sein - und ihr seid doch bloß neidisch.
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Seitenzahl: 336
Dirk Udelhoven
WIR SIND DER ZWÖLFTE MANN,
FUSSBALL IST UNSERE LIEBE!
Der 1. FC Köln brauchte 14 Jahre, um nach Gründung des Vereins Deutscher Meister zu werden. Wolfgang Overath am 24. August 1963 in Saarbrücken 22 Minuten für das erste Tor der Geißböcke in der neu gegründeten Bundesliga. Ich brauchte keine fünf Sekunden, um zuzusagen, als man mir anbot, dieses Buch über den 1. FC Köln zu schreiben.
111 Gründe finden – bei manchen Vereinen eine unüberwindliche Aufgabe für den Autor. Bei einem Traditionsverein wie dem 1. FC Köln, mit seiner Geschichte, seinen Erfolgen und Dramen, ist es eher die Herausforderung, aus dem riesigen Fundus die richtigen Gründe auszuwählen. Und es werden ja täglich mehr. Die Geißböcke sind gut in die Saison 2013/14 gestartet, sind noch unbesiegt, und es sieht so aus, als ob wirklich ein Neuanfang glückt. Mit einem neuen Sportdirektor, Jörg Schmadtke, einem Trainer, Peter Stöger, dessen Handschrift schnell zu erkennen war, und einer Mannschaft, der in dieser Saison alles zuzutrauen ist.
Wie wahrscheinlich jeder Fan teile ich die Geschichte meines Vereins in die vor und in die nach meiner Geburt ein. 1966 kam ich auf die Welt. Bewusst erlebt habe ich die Geißböcke dann ab etwa Anfang der 1970er-Jahre. Aber auch die Ereignisse in den Jahren zuvor scheinen irgendwie als Erinnerung in meinen Kölner Genen zu stecken. Den Rest habe ich aus Erzählungen, Büchern und Fernsehen.
Zum Schluss das Allerwichtigste: Vielen lieben Dank an Monika. Sie hat nicht nur die Gelassenheit und Geduld, mit einem Fan des 1. FC Kölns zusammenzuleben. Sie unterstützte mich auch beim Schreiben dieses Buches, diskutierte mit mir die Texte, redete mir den gröbsten Unsinn aus, machte Verbesserungsvorschläge und schrieb den letzten Grund. So doof sich das sonst immer anhört, in dem Fall ist es wahr: Ohne sie wäre das Buch nicht das geworden, was es geworden ist. Vielen, vielen Dank.
Dirk Udelhoven
1. KAPITEL
GRUND NR. 1
Weil ich Kölner bin.
Muss ich das wirklich erklären? Man ist Fan eines Vereins seiner Heimatstadt. Alles andere wäre doch albern. Warum sollte man Anhänger einer Mannschaft sein, die man nur im Fernsehen sehen kann? Ich bin ja auch kein Fan der Tagesschau oder der Ziehung der Lottozahlen. Nein, wer als Fußballfan ernst genommen werden will, fiebert für einen Verein seiner Geburtsstadt. Moment mal, werden da einige sagen, die schon mal meinen Personalausweis in Händen hielten. Wo bist du denn geboren? War ja klar, dass das kommt. Aber davon lasse ich mich nicht verunsichern. Meine Eltern sind in Köln zur Welt gekommen und lebten immer im Kölner Osten, in Dellbrück. Als Wehen meine Ankunft ankündigten, war das nächste Krankenhaus nun mal in Bergisch Gladbach. Nun ja, es soll Eltern geben, die einen etwas längeren Weg in Kauf nehmen, um ihrem Sohn oder ihrer Tochter so eine lebenslange Schmach zu ersparen. Nicht so meine. Ihnen verdanke ich den falschen Geburtsort im Personalausweis. Aber bereits die zweite Lebenswoche verbrachte ich in Köln – und blieb dort. Ich bin Kölner! Alles andere ist Unsinn!
Der Londoner Nick Hornby schreibt in Fever Pitch, dass er sich in seiner Stadt unter etwa neun Vereinen für »seinen Verein« entscheiden konnte. Die Wahl fiel auf den FC Arsenal. So viele Möglichkeiten hat und hatte man in Köln nie. Ehrlich gesagt, hat man gar keine. Die Fortuna war ein, sagen wir mal, merkwürdiger Verein, eher eine Fußballsekte. Fans? Mitunter waren mehr Spieler auf dem Platz als auf den Rängen. Um die 300 Zuschauer bei einem Zweitligaspiel waren im Südstadion keine Seltenheit. Wie geht das, fragt man sich zu Recht. Nun, der Verein hatte einen Mäzen, der diese Veranstaltungen finanzierte.
Viktoria war aus zwei Gründen völlig indiskutabel. Ich spielte damals beim SV Adler Dellbrück, und die Viktoria war damals für Adler, was heute Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach für den 1. FC ist: der Antichrist. Und mit dem will man nix zu tun haben. Außerdem: Was ist das überhaupt für ein Name? Viktoria, die Siegesgöttin. Aber der Verein gurkt irgendwo in der dritten, vierten oder fünften Liga rum. Das ist doch so, als hieße man Casanova und hätte noch nie eine Freundin gehabt. Also: Als Kölner ist man Fan des 1. FC Kölns oder man interessiert sich nicht für Fußball. So einfach ist das!
GRUND NR. 2
Weil er der Erste Fußballclub Köln ist.
Nicht der Zweite, Dritte, Vierte oder Fünfte … nein! Der Erste Fußballclub in Köln. Der Erste! Vor allen anderen Fußballvereinen in Köln. Und ja, da haben wir Kölner Spaß dran. Erster zu sein. Ganz egal, ob es eine Fußballmannschaft, ein Karnevalsverein oder vielleicht auch nur eine Krabbelgruppe ist. Mal davon abgesehen … Es ist auch außerhalb der bunten Ligen nicht sehr populär, einen Verein Zweiter, Dritter oder Zwölfter Fußballclub zu nennen. Selbst Bayer Leverkusen macht das nicht. Und der »Cliff Barnes der Bundesliga« hätte allen Grund dazu.
Aber es gibt noch viel Schlimmeres! Lieber würde ich Zweiter Fußballclub Köln heißen als zum Beispiel Borussia, neulateinisches Wort für Preußen. Preußen: Das steht für Protestantismus, Humorlosigkeit, Militarismus, trocken Brot … Wer will so was anfeuern? Ich nicht. Protestiert etwa gerade ein Dortmunder? Weil sich sein »Borussia« nicht von Preußen ableitet, sondern sich auf das Borussia-Bier beziehen soll? Noch schlimmer!!! Einen Verein anfeuern, der nach einem Bier benannt wurde, das längst Pleite gemacht hat …
Fortuna ist auch nicht besser. Nur wenige Vereine namens Fortuna waren erfolgreich. Dabei ist Fortuna doch die Glücksgöttin. Aber sie meint es wohl nicht so gut mit euch, ihr Düsseldorfer. Man könnte sogar sagen, sie verhöhnt euch. Höre ich da auch einen Einspruch? Bei der Vereinsgründung soll ein Pferdefuhrwerk der Brotfabrik Fortuna vorbeigefahren sein. Ich verstehe, dass euch euer Vereinsname peinlich ist, aber mit so einer Brötchengeschichte daherkommen ist doch mehr als albern.
Bitter haben es auch die Vereine getroffen, die sich die Siegesgöttin Viktoria als Namenspatronin ausgesucht haben. Die hat es offenbar nicht so mit Fußball. Nur ein einziger Verein, der Berliner TuFC Viktoria 1889, hat 1908 mal eine deutsche Meisterschaft geholt. Keine einzige Viktoria hat sich sonst je für die Bundesliga qualifizieren können. Siegen sieht für mich anders aus.
Natürlich geht es noch schlimmer in Sachen Vereinsname: VfL. »Verein für Leibesübungen«, hihi, klingt eher wie ein steuerbegünstigter Swingerclub. Oder »Young Boys Bern«. Wer denkt da nicht an eine schweizerische Coverband der Village People.
Jeder wird jetzt verstehen, dass ich sehr froh bin, Fan eines Vereins zu sein, der den wunderbaren Zusatz Erster trägt. Erster Fußballclub Köln! Übrigens auch ein Versprechen, das seit vielen Jahren eingehalten wird. Der legendäre erste FC-Präsident Franz Kremer plante, einen Kölner Verein zu schaffen, der in der Spitze des deutschen Fußballs mithalten wird. Er fusionierte die Vereine »Kölner BC 01« und »SpVgg Sülz«. Jeder für sich spielte im deutschen Fußball eine untergeordnete Rolle. Aber schon 1951, drei Jahre nach der Gründung, war der Erste Fußballclub Köln der erfolgreichste Verein in Köln – und blieb es bis heute.
GRUND NR. 3
Weil wir eines der 20 coolsten Vereinslogos der Welt haben.
Das sage nicht ich, wie man leicht erkennen kann, denn sonst stände da: Der FC hat das coolste Vereinslogo der Welt. Der Bleacher Report, ein amerikanisches Sportonlinemagazin, behauptete es am 1. Oktober 2013. Wenn man sich den Text durchliest, erkennt man sofort: Wer auch immer für dieses Ranking zuständig war, er muss den Kölner Karneval miterlebt haben. Der Autor kennt die Anekdote, wie der 1. FC Köln zu seinem Maskottchen gekommen ist (siehe Grund 5) und weiß, was in Köln um Karneval herum los ist. Er ist ein richtiger Köln-Fan.
Und ich stimme dem Bleacher Report bei seiner Entscheidung vollumfänglich zu! Ja, der 1. FC Köln hat sogar das coolste Vereinslogo der Welt. Wie wohl kein anderes drückt unseres die Zusammengehörigkeit der Stadt – symbolisiert durch den Kölner Dom, mit dem Verein, symbolisiert durch den Geißbock – aus. Wir sind eins! Und wenn man sieht, wie angriffslustig der Geißbock von rechts nach links, also gegen die Leserichtung, aufsteigt, dann weiß man, dass die richtig guten Zeiten noch kommen werden. Jeder, der dieses Buch liest, wird noch mal eine Meisterschaft erleben, da bin ich mir sicher! Ob es jetzt noch fünf oder zehn Jahre dauern wird. Meinetwegen auch 15.
GRUND NR. 4
Weil seine Vereinsfarben Rot-Weiß sind.
Hm … Was will uns der Autor damit sagen? Rot und Weiß sind eben die Farben der Stadt Köln. Wer der Erste Fußballverein einer Stadt sein will, sollte das bei der Wahl der Vereinsfarben berücksichtigen. So einfach ist das! Zugegeben: Schön sind die Farben Rot-Weiß eigentlich nicht. Zumindest nicht in der Kombination. Wer kleidet sich privat schon rot-weiß? Rot-Weiß ist das Tanzmariechen der Roten Funken, eine Gourmetportion Pommes mit allem, sind Engländer, die zu lange in der Sonne lagen – und Vereine, die erfolgreich sein wollen!
Hä? Steile These! Aber sehen wir uns mal die Geschichte der Bundesliga an. Sie hat gerade 50 Spielzeiten hinter sich, 50-mal wurde der Titel Deutscher Meister ausgespielt. 29 Titelträger und damit 58 Prozent trugen die Vereinsfarben Rot und Weiß. Dreimal ging der Titel an den Hamburger Sportverein, dessen Logo zwar von den Farben Blau und Schwarz geprägt wird, dessen Mannschaft aber in der Regel weißes Trikot mit roter Hose trägt. Kämen also noch sechs Prozent dazu. Der 1. FC Nürnberg hat eigentlich die Vereinsfarben Rot und Weiß, spielt aber normalerweise in der Kombination Rot-Schwarz. Seine Meisterschaft zählt nur zur Hälfte. Kommen wir also insgesamt auf 65 Prozent.
Grün-Weiß folgt übrigens mit 20 Prozent, gefolgt von Gelb-Schwarz (zehn Prozent), Blau-Schwarz (sechs Prozent), Rot-Schwarz (zwei Prozent), Gelb-Blau (zwei Prozent) und Hellblau-Weiß (zwei Prozent). Wer also einen Verein gründet und plant, deutscher Meister zu werden, sollte mit den Basics beginnen und als Vereinsfarben Rot-Weiß wählen. Lila-Grün, Orange-Braun oder Magenta-Schwarz sind bitte ganz zu meiden.
Wer jetzt laut auflacht und das alles für groben Unsinn hält, der sei daran erinnert, dass eine große Unternehmensberatung im Auftrag des 1. FC Köln mit einer vergleichbaren »wissenschaftlichen« Methode ein Gutachten erstellte, wie man den Verbleib in der Bundesliga sicherstellen könnte. Das Ergebnis: Mit der Höhe des Budgets sinke die Abstiegswahrscheinlichkeit. Das belegte ein Vergleich der Budgets von Absteiger und Nichtabsteiger. Das damalige Präsidium richtete seine Vereinspolitik dementsprechend aus. Die Folge: mehrere Abstiege, die nach dieser Studie niemals hätten passieren dürfen und einen Sack voll Schulden. Meine Studie hat sich dagegen bewährt. Der 1. FC Köln ist bereits dreimal deutscher Meister geworden und damit dreimal mehr als alle Mannschaften, die die Vereinsfarben Lila-Grün, Orange-Braun oder Margenta-Schwarz haben.
GRUND NR. 5
Weil wir unser Maskottchen »Hennes« haben.
Reden wir mal Tacheles: Das Thema Maskottchen teilt die Fußballwelt in Gut und Böse, trennt die wahren Fußballvereine von den kickenden Anhängseln der Marketingabteilungen, zeigt, wer Würde hat und wer sich lächerlich macht.
Kurz gesagt: Auf der guten Seite steht der 1. FC Köln, der fast von seinen Anfängen an bis heute ein lebendiges Maskottchen besitzt. Auf der Seite der Bösen stehen Vereine, die plötzlich ein Maskottchen aus dem Hut zauberten, als sie merkten, dass man damit als Fanartikel viel Geld verdienen kann. Also alle anderen.
Zum Beispiel Eintracht Frankfurt: Inzwischen haben auch sie ein lebendes Maskottchen. Ihr zweites, um genau zu sein. Es begann mit einem Pony, einem phlegmatischen, plumpen Pony. Die Ehefrau des Henninger-Brauerei-Chefs schenkte es dem Verein. Keiner weiß warum. Aber einem geschenkten Gaul schaut man gerade in der Bankenstadt Frankfurt nicht ins Maul. Und keinem fällt auf, wie unpassend so ein Klepper eigentlich ist, denn im Vereinswappen prangt deutlich ein Adler. Es dauerte 35 Jahre (!), bis die Eintracht-Verantwortlichen es auch bemerkten – und es änderten.
In der Zwischenzeit verlieh man dem Pony den Namen Charly. Es wurde zum »Star« eines Comic-Strips der Eintracht-Stadionzeitung. Trainer Klaus Toppmöller brachte dann Mitte der 1990er-Jahre einen Steinadler mit in die Mannschaftskabine. Das eigentliche Wappentier sollte seine Spieler zu besseren Leistungen im Saisonfinale anstacheln. Die Sache ging in die Hose: Die Eintracht verlor elf Spiele, dazwischen nur ein magerer Sieg. Es hatte sich ausgeadlert – und ausgetoppmöllert. Zehn Jahre später, Pony Charly war nicht nur groß, sondern auch tot, Toppmöller längst vergessen, erinnerte man sich bei der Eintracht endlich seines Wappentiers. Seitdem hat der Verein einen Vogel namens Annegret, Anton … na ja, irgendwas mit A. Wer will das schon so genau wissen …
Die anderen Vereine glaubten, junge Leute wüssten doch inzwischen gar nicht mehr, wie Tiere wirklich aussehen und welche in ihrer Umgebung leben. Außerdem machen echte Tiere Dreck und wollen Futter. Man setzt stattdessen auf – Stofftiere: Menschen, die in Kuscheltierkostümen herumlaufen. Da wären Berni, der Bär, seit 2002 im Einsatz bei Bayern München; die Biene Emma beim BVB; Knappe Erwin bei Schalke 04. Nun gut, kein wirkliches Tier, aber so was Ähnliches. Da ist der Bär Hertinho in Berlin, offenbar mit brasilianischem Migrantenhintergrund. Jünter, das Mönchengladbacher Pferd; Hermann, der HSV-Dino; Brian, the Lion in Bayer Leverkusen; in Stuttgart ist es ein Krokodil. Im Neckar schwimmen zwar keine, aber als hochpreisige Damenhandtaschen kann man ihnen in Stuttgarts Edelboutiquen durchaus begegnen.
Wir Kölner dagegen sind stolz auf unseren echten, blökenden und fressenden Hennes. Mittlerweile ist es der VIII. Hennes I. fand am 13. Februar 1950 seinen Weg zum Verein. Den gab es damals seit zwei Jahren und er war auf dem besten Weg, seinem Namen, 1. FC Köln, gerecht zu werden. Mitte Februar tobte in Köln die fünfte Jahreszeit. Geschlossen marschierte die Mannschaft zu einer Karnevalssitzung – in einem Zirkuszelt, und der Zirkusdirektor, ein großer FC-Fan, vermachte den Jungs als Geschenk einen Geißbock.
Angeblich sei der sofort zum damaligen Spielertrainer der Mannschaft, Hennes Weisweiler, gelaufen, um ihm auf die Füße zu pinkeln! Diese umgekehrte Taufe im katholischen Kölle soll dem Bock seinen Namen beschert haben. Keine Ahnung, ob die Geschichte stimmt, aber sie ist sehr schön.
•Hennes I. war ein prima Maskottchen. Er hielt von 1950 bis 1966 durch. Es war die Zeit des kometenhaften Aufstiegs des Vereins bis an die Spitze des deutschen Fußballs. Der Verein gewann seine ersten beiden deutschen Meisterschaften.
•Hennes II. schaffte vier Jahre. Unter mysteriösen Umständen verstarb er im Jahr 1970. Gerüchten zufolge soll ihn ein Schäferhund oder ein neidischer Mönchengladbacher gerissen haben. Dem Tier wurde ein Ehrenplatz zuteil. Ausgestopft kann man ihn noch heute im Geißbockheim bewundern.
•Hennes III. (1970–1975) lebte aus Vorsichtsgründen nicht mehr in der Nähe des Geißbockheims, sondern bei Bauer Schäfer, der sich auch um die nächsten Generationen kümmerte.
•Hennes IV. war das Maskottchen unter den Maskottchen. Nie wieder war der FC so erfolgreich wie unter ihm: 1977 Pokalsieg, 1978 das Double. Kein Wunder, dass Hennes IV. die Triumphfahrt durch die Stadt begleiten durfte. 1982 erlag er einem Herzleiden, gerade in dem Moment, als Pierre Littbarski mit seinem Treffer einen Auswärtssieg bei Bayern München sicherte. Hennes IV. durfte glücklich von dieser Welt gehen. Vom FC beauftragte Genforscher sollen akribisch dabei sein, Erfolgsmaskottchen Hennes IV. zu klonen …
•Hennes V. (1982–1989) war beim letzten großen Titel, dem DFB-Pokalsieg 1983 gegen die Fortuna aus Köln dabei und begleitete die kölsche Hybrisphase. Damals war die Vizemeisterschaft eine herbe Enttäuschung, das verlorene UEFA-Cup-Finale der Weltuntergang.
•Hennes VI., der Menschlichste von allen, regierte von 1989 bis 1996. Er musste die Achterbahn des Fußballs durchleben. Im ersten Amtsjahr beinahe deutscher Meister, dann doch nur Zweiter, im letzten Amtsjahr der dramatische Abstiegskampf. Welches Herz macht solchen Stress schon mit? Das Herz von Hennes VI. nicht. So wurde er nicht mehr Zeuge, wie sich der 1. FC Köln am letzten Spieltag mit einem Sieg bei Hansa Rostock vor dem Abstieg rettete. Angeblich wusste Hennes VI., wo die Häßler-Millionen geblieben sind. Aber er nahm dieses Geheimnis mit ins Grab.
•Hennes VII. (1996–2008). Man soll über Tote ja nicht schlecht reden, aber Hennes VII. hatte das Pech an den Hufen. Während seiner Regentschaft ging es rauf und runter. Auf- und Abstieg in stetigem Wechsel. Privat bekam er im März/April 2001 Stallarrest. Die Maul- und Klauenseuche grassierte. In den letzten Jahren baute er gesundheitlich immer stärker ab. 2008 ging er in Rente. Die letzten zwei Saisonspiele musste er bereits krankheitsbedingt (Arthrose an den Kapillargelenken) aussetzen. Im März 2009 bekam er sein Gnadenbrot, wurde eingeschläfert und schmückt seitdem – im ausgestopften Zustand – die FC-Geschäftsstelle. Als mahnende Erinnerung an die wenig glorreichen FC-Zeiten.
In Erinnerung bleibt er mir auch, weil er ziemlich »mediengeil« war, öffentliche Auftritte suchte, sowie gerne auf Partys rumhing. Zum Beispiel als einer meiner Kumpels die Einweihung seines neu renovierten Hauses feiern wollte. Hennes VII. wurde »eingeflogen«, im Hennes-Mobil angekarrt. Hennes stieg aus, blinzelte in die Sonne, pinkelte und kackte in den Garten, dann rammte er den verdutzten Gastgeber mit den Hörnern. Was war nur mit ihm los? Die Wahrheit kam etwas später ans Licht. Jener Hausbesitzer war nämlich nicht nur Fan des 1. FC Köln, sondern drückte auch heimlich Bayern München die Daumen. Hennes VII. muss diesen Verrat instinktiv gerochen haben.
Jetzt regiert Ihre Herrlichkeit Hennes VIII. Wir Mitglieder entschieden uns mehrheitlich bei einem »Geißbock-Casting« für ihn. Etwa 70 Prozent der 8.000 abgegebenen Stimmen fielen auf unseren aktuellen Regenten. Sozusagen der erste demokratisch gewählte Geißbock. Und Demokratie ist immer gut.
GRUND NR. 6
Weil er auch ein Karnevalsverein ist.
»Ihr seid nur ein Karnevalsverein!«, skandieren gegnerische Fans bei jedem Spiel des FCs – und haben absolut recht. Allerdings legen wir Wert auf das Wörtchen »auch«. Wir sind auch ein Karnevalsverein. »Auch«! Nirgendwo sonst werden während des Spiels so viele fröhliche Lieder gesungen wie in Köln. Nirgendwo sonst sind die Fans so schnell zu begeistern wie in Köln. Nirgendwo sonst feiern die Anhänger im Stadion völlig unabhängig davon, wie erfolgreich der Verein ist oder in welcher Liga er spielt.
Und nirgendwo sonst wird so viel über den eigenen Verein gelacht wie in Köln. Wenn ein Spieler nach intensiver Beobachtung verpflichtet wird, aber nicht er, sondern sein talentfreier Zwillingsbruder (Grund 104) kommt, wenn stolz der neue Hauptsponsor »Zypern« präsentiert wird, man aber nicht mit dem Tourismusminister des Landes, sondern mit einem Autohändler aus Siegburg verhandelt hat, oder wenn die Sperre eines vom Platz gestellten Spielers vor dem DFB-Sportgericht reduziert werden soll, man dem Gericht aber statt entlastender Spielszenen Ausschnitte einer Karnevalssitzung zeigt, dann kann es nur um den 1. FC Köln gehen.
Nebenbei gesagt veranstaltet der 1. FC Köln jedes Jahr seine reguläre Karnevalssitzung in den Sartory-Sälen. Die Veranstaltung ist legendär und Karten zu kriegen ist Glücks- oder Beziehungssache. Ich frage mich, ehrlich gesagt, warum. Der 1. FC Köln ist jedenfalls im Alltag 1.000-mal lustiger als jeder Büttenredner auf der Karnevalsbühne. Also singt ruhig weiter »Ihr seid nur ein Karnevalsverein!« Wir wollen gar nichts anderes sein – und ihr seid doch bloß neidisch.
GRUND NR. 7
Weil wir die modernste Vereinssatzung der Welt haben.
Wird jedenfalls von Vereinsseite gerne behauptet. Nun ja, es könnte sein, dass nicht explizit »der Welt« gesagt wurde, aber gemeint haben sie es bestimmt. Manchmal heißt sie auch die »mitgliederfreundlichste Satzung«. Worauf man sich auf jeden Fall einigen kann, ist: Die neue Satzung ist moderner und mitgliederfreundlicher als die alte. Das ist mehr als nichts. Tatsächlich habe ich auch nicht allzu viele Satzungen gelesen, ehrlich gesagt, kenne ich nur die FC-Satzung.
Die eigentliche Frage aber ist: Was ist die beste Gesellschaftsform eines Fußballvereins, der vom Umsatz Werte eines mittelständigen Unternehmens erreicht? Borussia Dortmund zum Beispiel hat den Profifußball in die börsennotierte Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Das Problem bei »Börsennotiertheit«: Man unterliegt Gesetzen zur Verhinderung von Insidergeschäften. Sobald ein Verein ein Transferangebot für einen BVB-Spieler macht, muss das Angebot per »Ad-Hoc-Meldung« öffentlich gemacht werden. Der Sinn: Niemand soll mit dem Wissen Gewinn machen. Aber gleichzeitig wird seriöse Personalpolitik unmöglich. Denn jede Entscheidung steht somit sofort in der öffentlichen Diskussion.
Bayern München ist eine AG, deren Aktien aber nicht frei gehandelt werden. Die sogenannten strategischen Partner, adidas und Audi, halten je gute neun Prozent der Aktien. Auch diese Konstruktion hat ihre Tücken. In der Steueraffäre Hoeneß war der Verein frei in seiner Entscheidung, Hoeneß weiter als Vereinspräsident zu belassen. Er war aber nicht frei in der Entscheidung, ob Hoeneß auch weiterhin Aufsichtsratsvorsitzender der AG sein kann. Adidas und Audi haben sich einem ethischen Kodex (Corperate Governance) unterworfen. Nach dessen Regeln ist ein steuerhinterziehender Aufsichtsrat nicht tragbar. Hoeneß gestand seine Steuersünde und müsste eigentlich zurücktreten. Das Urteil ist noch nicht gesprochen. Außerdem gibt es eingetragene Vereine, wie Freiburg oder Mainz, die streng genommen gar keinen Gewinn machen dürfen. Dann die GmbHs, wie Leverkusen oder Hoffenheim. Stünde nicht ein großer Konzern oder ein Mäzen hinter den Vereinen, gäbe es sicher Probleme mit Kreditgebern.
Der 1. FC Köln ist eine GmbH & Co KGaA, aber anders als Dortmund nicht an der Börse. Die Kölner Aktien sind alle im Besitz des Vereins. Also nicht frei handelbar. Es gibt keinen strategischen Partner, der den Moralkodex der DAX-Unternehmen in den Fußball mit einbringt. Bisher jedenfalls nicht. Von der Unternehmensstruktur scheint der FC gut aufgestellt zu sein. Von seiner Satzung war er es lange Jahre nicht. Der Vorstand hatte freie Hand bei seinen Entscheidungen. Die Mitglieder konnten nur auf Mitgliederversammlungen ihrem Ärger Luft machen. Wirklich änderte das aber nichts, wie die Auseinandersetzung zwischen dem Vorstand unter Wolfgang Overath und der Opposition »FC-Reloaded« bewies. Letztere wollten eine Außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, mussten dafür aber Unterschriften von 20 Prozent der Mitglieder, also von etwa 11.000 (!) Unterstützern, zusammenbekommen. Unmöglich, vor allem, weil der Verein »FC-Reloaded« die Daten der Vereinsmitglieder nicht zur Verfügung stellen wollte.
Werner Spinner trat damals als Kandidat für das Präsidentenamt an. Er wollte das »Sonnenkönigtum« beim FC beenden und hatte sich mit allen Mitgliedern, auch denen von »FC-Reloaded«, zusammengesetzt. Gemeinsam erarbeiteten sie eine neue, mitgliederfreundliche Satzung:
Die Mitglieder schicken eigene Vertreter in ein neues Gremium, den Mitgliederrat. Bisher gab es lediglich den Verwaltungsrat und den Aufsichtsrat. Die Kandidaten für diese beiden Gremien wurden vom Vorstand benannt, die Mitgliederversammlung konnte abnicken oder ablehnen. Jetzt schicken wir 15 Mitglieder in ein Gremium, dessen Vorsitzender und Stellvertreter im gemeinsamen Ausschuss sitzen. Dieser kontrolliert die Arbeit des Vorstands, der Geschäftsführung und darüber hinaus alles, was »wirtschaftlich besonders bedeutend« ist. Für die Einberufung einer Außerordentlichen Mitgliederversammlung sind nicht mehr die Unterschriften von 20 Prozent der Mitglieder nötig, sondern nur noch fünf Prozent, höchstens aber 1.000 Unterschriften. Falls technisch möglich und auch sicher, wird man in Zukunft per Internet an den Mitgliederversammlungen teilnehmen und mitentscheiden können. Damit könnten die Zeiten vorbei sein, in denen korrumpierte Mitglieder mit dem Bus zu Wahlversammlungen kutschiert wurden.
Vermutlich kann der Vorstand immer noch schalten und walten, wie er will, aber die Transparenz scheint doch eine Ecke größer zu sein. Abwarten, wie sich die Satzung in der Praxis bewährt. Ob die FC-Satzung jetzt wirklich die modernste ist? Jedenfalls kommt das Wort »Internet« darin vor. Und ist sicherlich moderner als die vorherige. Das ist doch schon mal was.
GRUND NR. 8
Weil wir keine Erfolgsfans sind.
Also das kann man uns wirklich nicht vorwerfen. In der Saison 1977/78 holten die Geißböcke das Double. Sie wurden Meister und gewannen den DFB-Pokal. Trainer war Hennes Weisweiler, und auf dem Platz standen Spieler wie Toni Schumacher, Roland Gerber, Gerd Strack, Harald Konopka, Jürgen Glowacz, Bernd Schuster, Heinz Flohe, Herbert Neumann, Yasuhiko Okudera, Dieter Müller und Roger van Gool. Und wie sich einige sicher erinnern, war das Finale sehr dramatisch. Aber es kamen im Schnitt nur knapp 23.000 Zuschauer ins Müngersdorfer Stadion. Ausverkauft war ein einziges Spiel! Gegen die Bayern.
In den späten 1980er-Jahren unter Christoph Daum wurde der 1. FC Köln häufig Zweiter. Wir Fans maulten über die ständigen Vizemeisterschaften. Und: Es kamen wieder nur um die 22.000 Zuschauer ins Stadion. Kein einziges Mal war ausverkauft. Vereine wie Bayer Uerdingen wollten gerade mal 8.000 Zuschauer sehen.
Erst Mitte der 1990er-Jahre änderte es sich. Der 1. FC Köln verlor sein Abo auf die Vizemeisterschaft. Dann und wann drohte sogar der Abstieg. Normalerweise eine Katastrophe für die Zuschauerzahlen. Nicht so in Köln. Plötzlich strömten die Fans ins Stadion. Um die 30.000 Menschen wollten den Verein regelmäßig live gegen den Abstieg unterstützen.
Selbst nach dem völlig unerwarteten Super-GAU – dem Abstieg 1998 – kam es lediglich zu einer kleinen Delle. Die Zweitligasaison unter Trainer Bernd Schuster war allerdings auch unterhaltsam wie ein georgischer Dokumentarfilm über das Sozialleben frei lebender Schafe mit englischen Untertiteln.
Doch schon in der Folgesaison unter Trainer Ewald Lienen brannte nicht nur der Rasen, sondern auch die Stimmung auf den vollen Rängen. 29.000 Zuschauer im Schnitt, selbst bei Gegnern wie Tennis Borussia Berlin (Präsident und Musikproduzent Jack White hatte mehr Hits als die Mannschaft Fans) oder den Stuttgarter Kickern. Die Fortuna aus Köln spielte gleichzeitig mitunter vor einer dreistelligen Zuschauerzahl in ihrem Heimstadion in der Südstadt.
Seitdem gab es vier Aufstiege, fünf Abstiege … aber dennoch ist nahezu die ganze Stadt Fan des 1. FC Köln. Bis zu 50.000 verkaufte Karten im Schnitt bei jedem Heimspiel. Ohne Dauerkarte ist es praktisch unmöglich, ein Ticket zu bekommen. In ganz Köln muss man keine 100 Meter gehen, um in einer Kneipe Liveübertragungen des 1. FC Köln zu sehen.
Ähnlich entwickelte sich die Mitgliederzahl. In den 1980er-Jahren gab es gerade mal ein paar Tausend. Präsident Peter Weiand war damit ganz zufrieden. Angeblich scheute er den Aufwand, mehr Mitglieder zu bespaßen. Wert auf Kontrolle durch mehr Mitglieder legte er wohl auch nicht. Kaum zu glauben ist, dass bis 1986 die Jahreshauptversammlungen des Vereins noch im Geißbockheim stattfinden konnten. Heute muss dafür die Kölnarena gebucht werden. Der Verein hat inzwischen 54.000 Mitglieder!
Also, Erfolgsfans sind wir wirklich nicht. Eher im Gegenteil. Die Liebe zum Verein wurde so richtig entfacht, als es um die Wurst ging, als die Mannschaft ihre Fans brauchte. Da waren wir da. Auswärtsspiele gibt es seitdem nicht mehr. Auswärts ist wie zu Hause. Die Fans reisen bis in die äußersten Winkel der Republik, um unsere Jungs lautstark anzufeuern. Die Mitglieder engagieren sich, arbeiten an neuen Strukturen mit und kontrollieren die Führung. So gehört sich das auch – bei einer Herzensangelegenheit.
2. KAPITEL
GRUND NR. 9
Weil das Geißbockheim seine Heimat ist.
Was für eine Überraschung! Die Heimat der Geißböcke ist das Geißbockheim. Und was ist jetzt Besonderes daran? Wer so dumm fragt, kennt das Geißbockheim nicht und war 100 Pro noch nie da! Es liegt im vielleicht schönsten Naherholungsgebiet Kölns, dem Grüngürtel. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es hier noch befestigte Verteidigungsanlagen. Nach dem Krieg wurden sie abgebaut. Der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer gab die Begrünung des Gebietes in Auftrag. Fast 800 Hektar kultivierte Natur, zur Hälfte Mischwald.
Die grüne Oase grenzt die Stadt vom Umland ab. Es gibt elitäre Tennisclubs. Früher spielten die Damen hier Bridge und zeigten ihr wertvolles Geschmeide, während sich die Männer auf dem Court die Bälle um die Ohren schlugen und dabei Geschäfte machten. Und es gab schon damals das Vereinsheim des Ersten Fußball Clubs der Stadt, des 1. FC Köln. Eine angemessene Heimat, wie ich finde.
1952 wurde der Grundstein für den Bau des Geißbockheims gelegt. Es entstand genau dort, wo bis Ende des Ersten Weltkriegs das im 19. Jahrhundert erbaute Fort VIb des Kölner Verteidigungsrings stand. Ein wehrhaftes Fundament, auf das man beim Bau sicher stolz war. 1953 wurde das Geißbockheim feierlich eröffnet. Ein mondäner Bau für einen mondänen Verein, der der FC allerdings erst noch werden musste. Es gab weder große Erfolge zu feiern, noch gab es eine Bundesliga, in der sich die besten Mannschaften Deutschlands miteinander maßen. Das Geißbockheim war damals ein Versprechen auf die Zukunft, und die begann zehn Jahre später mit dem Gewinn der ersten deutschen Meisterschaft.
Ich habe immer gerne auf der Terrasse des Geißbockheims gesessen, den Spielern beim Training zugesehen und dabei ein Kölsch getrunken. Die Zeiten sind leider vorbei. Ich sehe immer noch gerne der Mannschaft beim Training zu, trinke immer noch gerne ein Kölsch dabei, aber die Terrasse des Geißbockheims hat ihre tolle Aussicht verloren. Der Fußball wurde kommerzieller, und um da mitmischen zu können, brauchte man mehr Personal in der Verwaltung und mit dem Personal mehr Büros. Das Geißbockheim befindet sich im Naturschutzgebiet. Deshalb konnte nur an einem Platz ein neuer Verwaltungstrakt entstehen: zwischen Terrasse und Trainingsplatz eins. Mit anderen Worten zwischen mir (auf der Terrasse) und den Spielern (auf dem Platz). Ein Desaster für Gastronomie und mich.
Doch ein echter 1.-FC-Köln-Fan weiß sich immer zu helfen. Das Training verfolgt man sowieso am besten ganz nah am Geschehen, direkt am Zaun des Platzes. Und anschließend gibt es kühles Kölsch auf der Terrasse meines geliebten Geißbockheims.
GRUND NR. 10
Weil ich Miteigentümer bin.
Na ja, so ganz stimmt das nicht. Mir gehört keine Aktie der »KG auf Aktien«, ich habe dem FC nur Geld geliehen. Ich habe eine FC-Anleihe gezeichnet. Wer kann da auch widerstehen? Man wird vom Verein angeschrieben und höflich, aber auch irgendwie bestimmt, um Geld gebeten. Dazu gab es aufrüttelnde Berichte in den Medien. Der Verein brauche dringend Geld, um alte Verbindlichkeiten abzulösen. Ungefähr eine Summe zwischen sieben und zehn Millionen wurde kolportiert.
Es wurden am Ende sogar noch ein paar Millionen mehr. Geld, das Fans ihrem FC zur Verfügung stellten. Sie wollten helfen, ganz klar, und sie vertrauten ihrem Verein. Und zwar weit mehr als den Banken, bei denen sie ihr Geld auch hätten anlegen können. Wir Fans stehen zu unserem Verein. Wir glauben fest an eine bessere Zukunft. Wir gehen ohne jeglichen Zweifel davon aus, dass unserem Verein erfolgreichere Tage bevorstehen. Die Anleihe wurde zwischen dem 8. August und 31. Oktober 2012 ausgegeben. Man konnte zwischen drei verschiedenen Stückelungen wählen:
•100 Euro. Die »Stehplatzanleihe« oder die »Ich-tu-so-als-ob-riskier-aber-nicht-wirklich-was-Variante«. 100 Euro! So viel gibt man an einem einzigen Wochenende aus, wenn man feiern geht. 100 Euro ist das Angebot für Warmduscher, Regenschirmträger und Zwei-Kondome-übereinander-Stülper. Keine Ahnung, ob auch nur ein Kölner Fan diese Anleihe wirklich gewählt hat. Vielleicht als Geschenk für den renitenten Sohn, der angedeutet hat, dass er sich ein Bayern-Trikot zum Geburtstag wünscht. Klar, da muss man verantwortungsvoll handeln und den Nachwuchs sanft, aber konsequent auf den rechten Weg zurückführen …
•1.000 Euro. Der Sitzplatz! Oder die »Ich-lass-mich-nicht-lumpen-geh-aber-nicht-in-die-Vollen-Variante«. Die Anleihe für den kühlen Rechner, wie ich gleich noch erläutern werde.
•Und zu guter Letzt die Variante »VIP-Tribüne«, die Schmuckurkunde über 1.948 Euro! Wer jetzt nicht weiß, wie sich diese Summe erklärt, sollte sich schämen. 1948 wurde der Verein gegründet. 1948 begann die Ära des 1. FC Köln. 1.948 Euro sind eine angemessene Summe, um seinem Verein zu helfen.
Selbstverständlich habe ich mich für die VIP-Tribünen-Variante entschieden – gegen den engagierten Widerstand meiner Freundin. Geschäft und Gefühl muss man trennen, sagte sie. Bei Geld höre die Freundschaft auf, und so weiter. Sie wusste, wovon sie sprach. Wegen ihrer Liebe zu Japan hatte sie viel Geld in einen Japan Innovation Fund gesteckt – und versenkt! Seitdem gibts zu Hause kein Sushi mehr. Was für ein Pathos, mag da der Leser denken. Und: Wie verlogen. Der Kerl bekommt doch Zinsen auf seine Anleihe. Fünf Prozent! Wo gibt es die sonst noch? Selbst für Griechenlandanleihen kriegt man weniger.
Moment! Moment! Für die Eigner der 100- beziehungsweise 1.000-Euro-Anleihe mag es einfach sein, seine Zinsen einzutreiben, nicht aber für die Besitzer einer 1948er-Schmuckanleihe? Links die vier Coupons für die Zinsen, rechts unser Hennes, der einen mit treuen Augen ansieht … Welcher echte FC-Fan bringt es da übers Herz, dieses rührende Arrangement zu zerschneiden, nur um den Zinskupon einzulösen? Wer will eine gerupfte Scherenschnitt-Anleihe an der Wand hängen haben und sich damit als herzloses Subjekt outen? Seien wir mal ehrlich. Es gibt auch so genug Spott für die Besitzer von FC-Anleihen. Kürzlich hat mir ein Kumpel ein Lehman-Zertifikat mitgebracht. Er dachte, ich sammle Ramsch-Anleihen.
Heute ist es so weit. Es ist der 8. August, morgen hat meine Freundin Geburtstag. Heute werden die Zinsen fällig. Überall in Köln sitzen Fans vor den Schmuckanleihen und betrachten sie stolz. So auch ich. Fünf Prozent von 1.948 Euro sind knappe 100 Euro (minus Quellensteuer). 100 Euro, so viel wie die kleinste Anleihe. So viel, wie man an einem Wochenende mal eben ausgibt. Oder ein Geburtstagsgeschenk für meine Freundin … 100 Euro … die ich dem FC schenken werde. Wie erklär ich es nur meiner Freundin?
GRUND NR. 11
Weil das Geißbockecho mich gelassen macht.
Zu Hause stapeln sich Tageszeitungen, die man abonniert hat, politische Wochenzeitschriften, die gelesen werden wollen, die Fachmagazine, die … Haufen von Papier, die man nicht entsorgen kann, weil noch wichtige Information darin verborgen sein könnte. Und jeder Tag bringt eine weitere Ausgabe der Tageszeitung, jede Woche mehrere Politmagazine, und auch die Fachzeitschriften liegen unweigerlich in regelmäßigen Abständen im Briefkasten. Jede Lieferung lässt das schlechte Gewissen wachsen und wachsen und wachsen.
Nicht so das Geißbockecho! Vor jedem Heimspiel des 1. FC Köln steckt es in meinem Briefkasten. Von der Titelseite strahlt mich ein Star der Mannschaft an. In Innenteil folgt ein Interview mit ebenjenem Spieler. Doch seien wir mal ehrlich: Seit ich Mitglied des FC bin, und das ist seit vielen Jahren, bekomme ich das Geißbockecho. In all den Jahren habe ich nicht ein einziges Interview gelesen, in dem mich irgendeine Antwort überrascht hätte, in dem ich irgendeine Information über einen Spieler erhalten hätte, die ich vorher nicht kannte. Im Geißbockecho gibt es saubere Präsentationen noch saubererer Spieler, ohne Fehl und Tadel, ohne den geringsten Fleck in der Biografie. Das alles wird geschickt verknüpft mit Lobpreisungen des Kölner Publikums.
Ferner erinnert das Geißbockecho daran, was der 1. FC Köln einmal war: ein Verein und kein mittelständisches Unternehmen. Runde Geburtstage feiert man. Fans präsentieren Urlaubsfotos. FC-Spieler besuchen Fanclubtreffen und lassen sich mit den Fans ablichten. Kleingärtner, Briefmarkensammler oder Skatfreunde könnten genau die gleichen Zeitungen herausbringen …
Tatsächlich erinnere ich mich an einen einzigen Artikel im Geißbockecho, der mein Blut in Wallung brachte. Damals beauftragte der 1. FC Köln eine Werbeagentur für einen Relaunch des Vereins beziehungsweise für die KG auf Aktien. Neben den üblichen Mätzchen, die in solchen Momenten gerne verkauft werden, plante die Agentur eine Änderung der Haupttrikotfarbe von Weiß auf Rot. Ein Sakrileg sondergleichen! Dagegen musste man vorgehen. Und tat man auch. Der Unsinn wurde nach einigen Jahren wieder zurückgenommen.
Seit vielen Jahren bekomme ich das Heft – ein einziger Artikel, der es wert ist, erwähnt zu werden. Nun ja, ich glaube, da braucht niemand ein schlechtes Gewissen zu haben, sollte er es wieder einmal nicht schaffen, die aktuelle Ausgabe zu lesen, bevor die neue kommt. Deshalb ist mir das Geißbockecho so wichtig. Es gibt mir das Gefühl, dass es auch Zeitschriften gibt, die man nicht lesen muss, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ähnlich Gutes kann ich auch über die ADAC-Motorwelt und das Mitgliederheftchen meiner Krankenkasse sagen.
GRUND NR. 12
Weil ich noch erleben will, wie die Häßler-Millionen gefunden werden.
Es gibt drei große Schätze in Deutschland, um die sich fantastische Legenden drehen und nach denen es sich zu suchen lohnt: der Schatz der Nibelungen, das Bernsteinzimmer und unsere Häßler-Millionen.
Vom Schatz der Nibelungen erzählt das Nibelungenlied. Zwölf Leiterwagen mussten vier Tage lang dreimal hin und her fahren, um all das Gold zu transportieren. Vermutlich könnte man mit dem ganzen Gold alle maroden EU-Länder komplett sanieren, vielleicht sogar Borussia Dortmund und Schalke 04 zusammen. Doch der üble Gesell Hagen von Tronje schüttete diesen unglaublichen Schatz in den Rhein. Kurz zuvor tötete er noch auf ziemlich hinterlistige Art den heldenhaften Siegfried. Hagen kannte nämlich Siegfrieds Achillesferse. Der Nibelungenschatz soll irgendwo in Höhe von Worms im Rhein liegen. Seit Jahrhunderten suchen Schatzgräber nach ihm. Bislang erfolglos.
Das Bernsteinzimmer ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges verschollen. Der erste Preußenkönig, Friedrich I., ließ ein Zimmer mit Wandverkleidungen aus Bernsteinelementen fertigen. Dieses Zimmer war ein Geschenk für die russischen Herrscher. Der »Style« war allerdings wohl schon damals umstritten. Trotz des hohen Wertes wurde das Zimmer ständig weitergereicht. Wurde ausgestellt, zuletzt im Königsberger Schloss, um nach 1945 vollständig zu verschwinden. Damals gab es keine Sperrmüll-Termine, aber umso mehr Mythen, wo das geheimnisvolle Zimmer abgeblieben sein sollte.
Und dann sind da noch die »Häßler-Millionen«. Nur wenige Menschen wissen, wie viele Millionen es wirklich waren. Man munkelt: Irgendwas zwischen zwölf und 19 Millionen DM wohlgemerkt – aber immerhin.
1984 kam ebenjener Thomas Häßler von den Reinickendorfer Füchsen zum 1. FC Köln. Er machte für die Geißböcke 149 Spiele, schoss 17 Tore und wurde schnell Publikumsliebling. Gerade mal 1,66 Meter groß, aber bullig, gab er keinen Ball verloren, überraschte mit technischen Finessen und genialen Zuspielen. Neben Christoph Daum auf der Trainerbank, Illgner im Tor, Paul Steiner und Pierre Littbarski war Thomas Häßler der Grund, warum der FC auch in der Saison die Vizemeisterschaft holte! Richtig. Nur die Vizemeisterschaft! Eine Riesenenttäuschung für uns Fans – damals.
Noch schlimmer aber war, dass italienische Clubs auf unseren »Icke« aufmerksam wurden. In der Vor-Euro-Zeit bezahlte man in Italien noch mit Lire – und zwar mit jeder Menge. So weit, so klar. In Köln war Christoph Daum nicht nur Trainer, sondern nach Udo Latteks Rückzug auch Sportdirektor. Daum hatte Thomas und Angela Häßler und Vertreter von Juventus Turin in ein Hotel in die Kölner Südstadt geladen. Davon will der Vorstand des 1. FC nichts gewusst haben. Daum beharrt darauf, dass das Gegenteil der Fall gewesen sei.
Einige Wochen später wechselte Häßler zum Fiat-Club. Er wurde im Müngersdorfer Stadion verabschiedet. Es flossen viele Tränen – bei uns Fans und bei Häßler. Christoph Daum wurde unter beschämenden Umständen entlassen. Bis heute kennt man weder die Gründe noch die Höhe der Transferentschädigung. Gemunkelt wird: Irgendwas zwischen zwölf Millionen und 19 Millionen DM. Sicher ist: Etwa anderthalb Jahre später war von den Millionen nichts mehr in der Vereinskasse, dafür ein Schuldenberg in Höhe von etwa neun Millionen DM. Die Mannschaft wurde zwar verstärkt, doch die Transfers erklären nicht den Verbleib der Häßler-Millionen.
1990/91 wurden geholt:
•Maurice Banach (vorher Wattenscheid 09): angeblich für 1,2 Millionen DM
•Henrik Andersen (RSC Anderlecht): Die einen behaupten ablösefrei, die anderen sprechen von 3,5 Millionen DM.
•Uwe Fuchs (Fortuna Düsseldorf): Ablöse unbekannt
•Hans-Dieter Flick (Bayern München): Ablöse unbekannt
•Karsten Baumann: eigener Nachwuchs
•Horst Heldt: eigener Nachwuchs
1991/92 sind es:
•Rico Steinmann (Chemnitzer FC): 3,5 Millionen DM
•Henri Fuchs (Hansa Rostock): 2,4 Millionen DM
•Andre Trulsen (St. Pauli): 1,3 Millionen DM
•Adrian Spryka (1. FC Saarbrücken): 1,2 Millionen DM
Rund 13 Millionen DM wurden danach ausgegeben. Durch die Transfers von Rahn, Görtz und Gielchen aber auch rund drei Millionen eingenommen.1 Trotzdem hatte der FC einen Schuldenberg von neun Millionen DM.
Drei mögliche Theorien:
•Jemand hielt die Hand auf. Wer auch immer das gewesen sein könnte, sie möge ihm abfaulen. Langsam und schmerzhaft.
•Die PR-Lüge. Wenn jemand wie Thomas Häßler einen Verein verlässt, sorgt das für Trauer, wenn nicht Wut bei den Fans. Deshalb wurde die Transfersumme nach oben korrigiert. Die Fans sollen denken: Okay, bei der Kohle kann man nicht Nein sagen.
•Jemand schaute voraus und verbuddelte irgendwo auf dem Gelände um das Geißbockheim einen Teil der Häßler-Millionen – für schlechte Zeiten. Und vergaß sie entweder oder nahm sein Geheimnis mit ins Grab.
Der gemeine 1.-FC-Köln-Fan glaubt felsenfest an Theorie drei und hofft, dass die Millionen noch mal auftauchen. Mir macht ein bisschen Sorgen, in welchem Zustand die DM-Scheine nach so langer Zeit sind. Und wenn wir ehrlich sind, reichen die paar Kröten ja nicht einmal, um unseren aktuellen Liquiditätsengpass zu überbrücken …
GRUND NR. 13
Weil er das »Real Madrid des Westens« war und irgendwie auch noch immer ist.
Wenn man das heute so liest, »der 1. FC Köln das Real Madrid des Westens«, dann kann man sich schon fragen, ob damals im Kölsch nicht mehr Alkohol war als heute. Damals in den 1960er-Jahren war es aber durchaus ernst und als Kompliment gemeint.
Am 12. Mai 1962 tauchte dieser heute hanebüchene Vergleich zum ersten Mal in der deutschen Presse auf. Der 1. FC Köln hatte gerade im Berliner Olympiastadion vor 82.700 Zuschauern das Endspiel um die deutsche Meisterschaft gegen den 1. FC Nürnberg gewonnen. Nicht nur gewonnen, sondern mit 4:0 den Klassenunterschied mehr als deutlich gemacht. Die Kölner spielten in blütenweißen Trikots. Gerüchten zufolge mussten ihre Trikots nicht einmal gewaschen werden. In allen Spielberichten nannten die Journalisten den 1. FC Köln bewundernd das »Real Madrid des Westens«. Böse Zungen vermuteten dahinter einen Marketing-Trick vom damaligen FC-Boss Franz Kremer. Andere behaupteten, Fritz Silken hätte es in einem Interview gesagt und somit erfunden. Fritz Silken war Trainer und sollte in der folgenden Saison Westfalia Herne übernehmen. Weil beide Mannschaften in der gleichen Oberliga spielten, hatte er sich die Kölner angesehen … und muss hin und weg gewesen sein.