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Carsten Wittmaack erinnert sich noch genau an den wichtigsten und schönsten Anruf seines Lebens. 'Wir sind schwanger!', teilte ihm seine Frau da mit. Das war im Oktober 2002. Mittlerweile ist Carsten Wittmaack zweifacher Vater - und das mit Leib und Seele. Für ihn besteht kein Zweifel: Kinder sind eine absolute Bereicherung. In 111 kleinen Geschichten berichtet der Autor nun von ganz persönlichen Erfahrungen und unvergesslichen Momenten, von einem turbulenten Alltag zwischen Windelwahnsinn und Kinderlachen und davon, wie Mann die Herausforderung Kind(er) und Karriere meistern kann. Natürlich gehört auch eine Portion Basiswissen dazu, die Carsten Wittmaack kurz, knackig und humorvoll vermittelt. '111 Gründe, Papa zu sein' enthält hilfreiche Tipps und amüsante Anekdoten rund um das Thema Vaterwerden. Ein Buch für Männer, die mitreden wollen, für werdende oder gewordene Papas und für Frauen, die ihren Liebsten auf den richtigen Weg bringen möchten.
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Seitenzahl: 371
Veröffentlichungsjahr: 2013
Carsten Wittmaack
VORWORT
Alle Experten sind sich einig: Es gibt zu wenig Kinder in Deutschland. Viel zu wenig. Vor allem Akademiker bleiben lieber kinderlos. Über die Gründe wird heftig gestritten – die unflexible Arbeitswelt, Egoismus, Karrieredenken und, und, und. Nicht wenige Männer würden liebend gern Papa werden, schieben ihre Entscheidung aber immer weiter auf – und irgendwann ist der richtige Zeitpunkt vorbei.
Dann setzt das große Bedauern ein: »Ach, hätte ich nur ...« Doch dazu muss es nicht kommen. Dieses Buch ist als Entscheidungshilfe gedacht: Es soll Lust machen, Kinder zu bekommen und zeigen, wie schön es ist, Vater zu sein.
Mit einem fröhlichen Augenzwinkern entführt dieses Buch seine Leser in die Welt des Windelwahnsinns und des Kinderlachens. Es liefert wissenswerte Fakten und schildert in authentischen Episoden die Vaterrolle im Alltag. Ganz nach dem Motto: Es gibt immer Gründe, die gegen ein Kind sprechen. Aber viel wichtiger ist doch die Frage, was für ein Kind spricht – 111 Gründe eben, Papa zu sein.
Carsten Wittmaack
KAPITEL EINS
Wenn Mann zurückschaut, verklärt sich vieles. Die schlechten Tage von heute sind bekanntlich die guten von morgen. Und dennoch habe ich es nie bereut, Vater geworden zu sein. Ganz im Gegenteil. Ich habe (fast) jeden Tag genossen, den ich mit meinen beiden Kleinen verbringen durfte. Mein Sohn Mattis ist inzwischen acht Jahre alt und schon auf dem Weg vom Kind zum pubertierenden Jugendlichen. Wenn Papa ihm etwas vorschreiben will, wird schon mal kräftig nachgefragt, zum Beispiel, warum er sein Zimmer aufräumen soll oder weshalb es wichtig ist, einen sauberen Pullover anzuziehen, wenn wir Oma besuchen gehen. Meine Tochter Finya ist gerade erst fünf geworden und hört noch brav auf ihren Vater. Meistens zumindest. Doch auch bei ihr zeigen das Alter und vor allem der Kindergarten Wirkung. Sie sieht, wie Gleichaltrige sich verhalten und ahmt nach, was die Älteren ihr vormachen. Stück für Stück steht Papa mehr im Abseits und kann nur noch still beobachten, wie die beiden ihren Weg gehen. Na gut, noch habe ich ein gewisses Mitspracherecht. Der Tag, an dem Mattis und Finya flügge werden, ist noch ein gutes Stück weit entfernt, doch die vergangenen acht Jahre sind derart schnell verflogen, dass mich manchmal das Gefühl beschleicht, alles nur im Zeitraffer mitverfolgt zu haben.
Das erste Wort und der erste Schritt liegen schon lange zurück. »Wo ist nur die Zeit geblieben?« Ich habe solche Sprüche immer gehasst, jetzt ertappe ich mich ab und an dabei, dass ich genau in diese Richtung denke. Es ist nicht so, dass ich mich zurücksehne in die gute alte Zeit. Das Windelnwechseln, die durchwachten Nächte, das viele Geschrei. Babys sind zwar süß, aber wahrlich nicht immer ein Traum. Und doch war es eine schöne Zeit, die Jahre mit Kinderwagen und Zwergen, die sich friedlich schlummernd auf Papas Schoß kuschelten. Inzwischen guckt mein Sohn schon schief, wenn ich ihn in den Arm nehmen will. Ganz nach dem Motto: »Bleib bloß weg, Papa, so was machen große Jungs nicht!« Ich halte dann den eingeforderten Sicherheitsabstand und sehne mich insgeheim zurück nach innigeren Zeiten. Schön war es, als ich noch mit Mattis gemeinsam in der Badewanne saß. Und als ich ihm bei langen Spaziergängen erklären konnte, dass Kühe Milch geben und Schweine nicht. »Aber wie füttern die dann ihre Jungen?«, hat mich mein Großer damals fragend angeschaut und bei Papa für Stirnrunzeln gesorgt. Lustig ging es zu in den ersten Jahren und jeder kindliche Lacher riss mich mit. Noch heute ist meine Welt schlagartig in Ordnung, wenn Finya oder Mattis übers ganze Gesicht strahlen. Was sind schon Ärger im Job oder Geldsorgen, wenn einem das eigene Kind ein Lächeln schenkt. Ein Mehr an Glück gibt es schlichtweg nicht.
Wer jetzt denkt: Das klingt ja alles wunderbar, dem sei gesagt: Kinder machen auch Stress. Viel Stress sogar. Diese kleinen Ungeheuer lassen Papas Nerven vibrieren und kosten obendrein unsagbar viel Zeit. Wer gerade überlegt, ob er eine Familie gründen will, der kann ja einfach einmal testen, wie er sich nach zwei Tagen Schlafentzug fühlt. Solche und ähnliche Schikanen kommen mit Kind garantiert auf einen zu. Dabei den Spaß nicht aus den Augen zu verlieren, fällt selbst dem hingebungsvollsten Vater manchmal schwer. Himmel und Hölle sind sich ganz nah, wenn Mann sich für die Dreisamkeit entscheidet. Das Gehirn speichert glücklicherweise die schönen Dinge – wohl auch, weil sie deutlich in der Überzahl sind. Ich weiß noch sehr genau, wie wir mit meinem Großen das erste Mal zu Hagenbeck gegangen sind. Der Hamburger Tierpark hat gleich hinter dem Eingang ein großes Elefantengehege und natürlich machten die riesigen Tiere mächtig Eindruck auf Mattis. »Sind das Fleisch- oder Pflanzenfresser?«, wollte er als erstes von mir wissen. Nachdem ich ihm versichert hatte, dass die Dickhäuter harmlose Zeitgenossen seien und keine Menschen fressen, wurde er mutig. Er griff sich einen Apfel aus der Tüte und hielt ihn dem größten Tier vor den Rüssel. Der Elefant schnupperte an dem Apfel und saugte ihn dann ein. Dabei rutschte Mattis’ kleine Hand ein Stück weit mit in den Rüssel. Erschreckt zog er sie wieder heraus. Ungläubig schaute mein Sohn auf seine verschleimte Hand und sagte dann zu mir: »Papa, jetzt weißt du, dass es auch fleischfressende Elefanten gibt.« Nach einer Pause kam der Nachsatz: »Vielleicht fressen die ja nur kleine Menschen und das weiß noch gar keiner.«
Kinder sind nicht nur ein nie versiegender Spaßfaktor, sondern geben dem eigenen Leben auch eine neue Richtung. Männer, die ohne Kinder durchs Leben gehen, erheben in den meisten Fällen das Geld zum größten aller Ziele. Ganz nach dem Motto: Ein Mehr an Money ist auch ein Mehr an Mann. Bei genauerer Betrachtung kann Geld allerdings nie mehr als eine Ersatzbefriedigung sein, da es keine wirkliche Substanz besitzt. Mit Geld bezahlt man Dinge. Und je mehr Geld man hat, um so mehr kann man sich kaufen, aber das war es auch schon. Wenn die erste Million verdient ist, setzt schnell eine gewisse Leere ein. »Und was kommt jetzt?«, heißt dann die Frage. Meist ist dieser Punkt mit 30 bis 40 Jahren erreicht und die Fachwelt spricht von der Midlife Crisis. Männer entwickeln dann ganz plötzlich neue Vorlieben, gehen auf die Jagd nach junger zweibeiniger Beute, schließen sich Exkursionen in die Arktis an oder kaufen sich überdimensionierte Jachten, die die eigene Bedeutung unterstreichen sollen. Was bleibt, ist das Gefühl, etwas Elementares verpasst zu haben und trotz aller materieller Erfolge nicht da zu stehen, wo man mit 50 Jahren eigentlich stehen wollte.
Väter sind deutlich widerstandsfähiger, wenn sich der Moment der Midlife Crisis nähert – zum einen, weil die meisten Männer heute so spät Papa werden, dass sie mit 50 noch damit beschäftigt sind, den Nachwuchs zu umsorgen, und gar keine Zeit bleibt, sich über Lebenskrisen aller Art Gedanken zu machen. Zum anderen aber auch, weil Kinder einem den Input geben, zu dem Geld nicht imstande ist. Mit Kind hat das eigene Leben eine Zukunft, und zwar auf höchst anschauliche Art. Mir reicht schon ein Blick auf Mattis und Finya, um zu wissen, wo ich meinen Sinn des Lebens zu suchen habe. Mein Sohn ist ein Stück von mir und ich bin ein Stück meines Sohnes. Gleiches gilt für meine Tochter. Nicht im übertragenen Sinne, sondern ganz real und nüchtern biologisch betrachtet. Ich finde diesen Fakt immer noch hochgradig faszinierend. Aus Leben entsteht neues Leben, einfach, indem sich zwei Menschen lieben. Kann es etwas Großartigeres geben? Aus meiner Sicht nicht. Meine Kinder sind eigenständige Wesen, und doch schlummern in ihnen meine Gene. Da kann es nicht verwundern, dass sich diese Erbanlagen bemerkbar machen.
Mein Sohn hat zweifellos von mir den Hang zur Pedanterie geerbt. Auf meinem Schreibtisch hat jeder Stift seinen festen Platz, und jedes Blatt Papier seinen Ort. Der Schreibtisch in Mattis’ Zimmer sah ebenso »geleckt« aus, zumindest bis er von der Playmobil-Schule in Beschlag genommen wurde. Und Finya? Sie hat meine positive Lebenseinstellung geerbt. Selbst Momenten, die wenig Anlass zur Fröhlichkeit bieten, kann sie noch eine positive Seite abgewinnen. »Das macht ja nichts, denn das heilt ja wieder, bis ich groß bin«, hat sie jüngst eine wirklich schmerzhafte Beule am Kopf kommentiert. Genau wie ich ist natürlich auch meine Frau überzeugt davon, unseren Kindern besonders viel von sich mitgegeben zu haben. Ich ziehe Nicole immer damit auf, dass Mattis’ weinerliche Ader wohl von ihr kommt. Dafür muss ich gestehen, dass die süße kleine Stupsnase meiner Tochter zweifellos von ihr stammt. So ist das eben mit den Genen: Gut und schlecht werden nach dem Zufallsprinzip weiter gegeben. Wobei es fraglos ein Glücksfall ist, dass Finya nicht meinen Zinken geerbt hat.
Kinder geben dem eigenen Leben nicht nur ein Gesicht, sie sind auch der beste Schutz vor Langeweile. Aus Sicht der Kleinen ist diese Welt ein einziger großer Spielplatz, der erkundet und erobert werden will. Wo wir Erwachsenen längst in Routine erstarrt sind, kann kindliche Phantasie auch Papas Spaß am Abenteuer neu entzünden. Raus aus dem Alltag und mitten hinein in eine Welt, in der noch an Drachen, Dinosaurier und Feen geglaubt wird. Mein Großer wächst zwar langsam aus dieser Phase heraus, aber mit Finya darf ich noch abtauchen in Märchen und an Orte, die kein kinderloser Mann jemals kennen lernen wird. Ich darf ihr die Welt erklären und stelle dabei immer wieder überrascht fest, dass der Mensch fast alles erst erlernen muss. Im Winter will Oma mit ihr zum Schwimmkursus und ich weiß noch genau, wie es mit Mattis war. »Der lernt nie schwimmen«, hatte ich geunkt, weil mein Sohn vor so ziemlich allem Angst hat, was neu und unbekannt ist. Wenige Wochen später hatte er das Seepferdchenabzeichen gemacht – und Papa war richtig stolz auf seinen Großen.
Kinder sind zäher, als wir Erwachsenen glauben. Mann macht sich viel zu viele Sorgen, was den Kleinen alles zustoßen und woran sie scheitern könnten. Den Dingen ihren Lauf lassen – das wäre oft die richtige Einstellung, an der ich aber noch kräftig arbeiten muss. Unser Nachbar hat vor einem Jahr ein Baumhaus gebaut, das meine Kinder seither lieben. Leider ist es sehr hoch und auch ein wenig wackelig. »Leider« aus meiner Sicht, denn Finya und Mattis finden genau diese Details besonders spannend. Wenn sich meine Kleine an der Außenwand in luftige Höhen zieht und mein Großer das Dach erklettert, dann spürt Papa ein merkwürdiges Stechen in der Herzgegend. Meine Kinder sehen den Spaß, Papa die Gefahren. Ein Sturz wäre tief und ein fünfjähriges Mädchen weiß natürlich noch nicht, wie man fällt, um die Verletzungen in Grenzen zu halten. Also sieht Papa seine Kleine kopfüber ins Gras plumpsen, während sich Finya ohne zu zögern über die höchsten Hürden schwingt. Ganz ehrlich, auf Abenteuer dieser Art könnte ich gut verzichten, aber ich weiß, dass sie zur Menschwerdung gehören. Was ich jetzt auch weiß, ist, wie sich meine Eltern gefühlt haben müssen, wenn ich bei Wind und Wetter allein ins Watt aufbrach, um mit dem Kescher Fische zu fangen. Die Angst ums Kind schwingt immer mit, und es gehört zum elterlichen Lernprozess, damit umgehen zu können.
Kinder reizt das Geheimnisvolle und nicht nur für sie werden die Schatzsuchen, die wir an jedem Geburtstag veranstalten, zu einem großen Abenteuer. Ich liebe es, im Vorfeld Schatzkarten zu zeichnen, auch wenn sie leider nicht immer so funktionieren, wie es geplant war. Statt rechts biegen die Kinder links ab, statt hinterm Haus zu suchen, durchstreifen sie den Vorgarten. Ich bin dann immer ein wenig enttäuscht, weil ich mir die ganze Arbeit hätte sparen können, aber die begeisterten Gesichter, wenn ich einen Tipp in die richtige Richtung gebe, muntern mich wieder auf. Weil meine Kinder so viel Spaß am Schatzsuchen haben, malen sie regelmäßig eigene Karten, die meine Frau und ich dann entschlüsseln müssen. Lange waren die Kritzeleien nur grob zu deuten, doch so langsam fängt zumindest mein Großer an, ordentlicher zu zeichnen. Das Malen gehört für fast alle Kinder zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Kein Wunder, schließlich gibt es nichts, was nicht auf ein Blatt Papier gebannt werden kann. Finya malt am liebsten Strichmännchen, Mattis dagegen bringt, bewusst oder unbewusst, verstärkt auch seine Ängste und Sehnsüchte zu Papier. Mal ist es eine Lokomotive, die er sich für seine Eisenbahn wünscht, dann ein hoher Turm mit einem kleinen Männchen auf der Spitze. Ich deute es als Ausdruck seiner Höhenangst, was er aber energisch abstreitet. Wenn ich solche Bilder sehe, würde ich am liebsten in seinen Kopf hineinkrabbeln, um mir anzusehen, was dort genau vor sich geht.
Die Zeit der Schwangerschaft ist lang und kaum ein Mann weiß wirklich, was nach den gut neun Monaten auf ihn zukommen wird. Literatur zum Thema gibt es wie Sand am Meer, doch meist steht darin die Frau im Mittelpunkt. Der werdende Vater bleibt abseits und muss sich seine Antworten mühsam zusammensuchen. Gleichzeitig muss das neue Heim vorbereitet werden, samt Einrichten des Kinderzimmers und Anschaffen der wichtigsten Utensilien wie Kinderbett, Wickelkommode und Kinderwagen. Dazu kommt die Formularflut. Wo beantragt Mann Kindergeld? Und wie sichert man sich das erst vor Kurzem eingeführte Elterngeld? Außerdem muss geklärt werden, wer wie lange die Arbeit ruhen lässt. Die Liebste zwei Jahre? Oder Mann und Frau jeweils ein Jahr? Reicht nicht auch ein halbes Jahr aus, um die Haushaltskasse zu entlasten? Im Nachhinein verwundert es mich, all diese Fragen quasi nebenbei geklärt zu haben. Nebenbei? Ja, denn im Mittelpunkt steht während der Schwangerschaft und auch noch in den Wochen danach das eigene Seelenleben. Mann wird schließlich nicht jeden Tag Vater, und weil der Schritt ein wirklich großer ist, braucht Mann Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen.
Um jetzt keinen falschen Eindruck zu erwecken: Mann hat nicht erst Spaß mit seinen Kindern, wenn sie halbwegs erwachsen sind. Schwangerschaft und Geburt sind eine tolle Zeit, die an Intensität kaum zu überbieten ist. Über allem thront die Vorfreude aufs Kind, die bei einigen Männern skurrile Ausmaße annehmen kann. Ich habe einen Bekannten, der neun Monate lang quasi permanent auf Einkaufstour war. Hier die neuesten Kinderautositze getestet, dort die modischsten Markenpullis in Augenschein genommen. Etliche Kinderzimmer sind aufgrund der elterlichen Vorfreude schon vor der Geburt so überladen, dass das Kind kaum noch einen Platz findet. Nicole sind von diesem Kaufrausch ebensowenig verschont geblieben. Alles, was auch nur im Entferntesten mit Kindern zu tun hatte, war plötzlich »so niedlich« und musste gründlichst inspiziert werden.
Als ich Mattis das erste Mal im Arm hielt, konnte ich kaum glauben, dass er mein eigenes Kind war. Ich spürte, dass ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte und war trotz aller Zweifel und Ängste doch überzeugt davon, das Leben mit Kind meistern zu können. Mit einem Satz: Ich war glücklich und zufrieden und schaute optimistisch in eine Zukunft, die mit einem Schlag ganz neue Perspektiven bot. Dieses Glück gibt es nicht zu kaufen und es ist auch mit keinem anderen Glücksmoment vergleichbar. So ein kleines Wesen im Arm halten zu dürfen und dabei zu wissen, dass es der eigene Sohn ist, bleibt einzigartig – es sei denn, Mann belässt es nicht bei einem Kind. Als Finya geboren wurde, waren die Gefühle wieder da: Das Glück, der Stolz, dieses unbeschreibliche Eins-Sein mit sich und der Welt.
Die Euphorie der ersten Monate ist zwar inzwischen bei mir verflogen, doch der Stolz auf die eigenen Kinder ist geblieben. Mattis und Finya sind der Mittelpunkt meiner Welt und diese Welt ist eine ausgesprochen stabile. Es fühlt sich noch immer gut an, wenn meine Kleine nach meiner Hand greift, um sicher über die Straße zu kommen, oder wenn mein Großer mich fragend anguckt, ob ich mit ihm zum Bäcker gehe, um ein Stück Kuchen zu kaufen. Nur den eigenen Kindern kann es gelingen, einen Mann mit solchen Kleinigkeiten glücklich zu machen. Es braucht wirklich verdammt wenig, um mit Kindern auf seine Kosten zu kommen. Und das Schöne an Kindern ist ja, dass Mann so lange etwas von ihnen hat. Sie werden nie langweilig und nutzen sich nicht ab. Mann fühlt sich zwar manchmal überfordert, doch eintauschen würden wir diese kleinen Wonneproppen gegen nichts auf der Welt. Gegen wirklich gar nichts.
Väter sind die glücklicheren Männer. Ja, ich weiß, das ist eine gewagte Behauptung und ich habe leider auch keine Studie gefunden, die diese These untermauern würde. Aber ich gehe einfach einmal von mir aus und für mich kann ich sagen: Das Leben mit Kindern ist spannender, lustiger und erfüllender, als es das Leben ohne Nachwuchs je war. Wer ohne Kind durchs Leben geht, verpasst unendlich viele Momente des Glücks. Der Augenblick, wenn Mann erfährt, dass die Liebste schwanger ist. Die Geburt, das erste Wort, der erste Schritt, der erste ausfallende Milchzahn. Jeder einzelne Tag, jeder Monat, jedes Jahr ist ein Erlebnis und Mann weiß nie, was kommen wird. Kinder sind gnadenlos spontan und ihre Entwicklungssprünge verblüffend. Selbst den harten Kerlen entlocken sie Tränen, meistens Tränen der Rührung – sei es beim ersten auswendig vorgetragenen Weihnachtsgedicht, oder auch nur nach der ersten Nacht ohne Windel. Es muss nicht das große wegweisende Ereignis sein, schon Kleinigkeiten stimmen Papa froh und glücklich.
Mein Leben ohne Kinder war keinesfalls freudlos. Ich hatte meine Arbeit, meinen Freundeskreis und Ziele. Die waren vor allem beruflicher Art und in der Rückschau eher belanglos. Aber wer keine Kinder hat, empfindet anders und lebt ein komplett anderes Leben. Ich habe die Abende in der Sportbar genossen, genau wie meine Flexibilität. Ein Job in München? Kein Problem, wer oder was hätte mich in Hamburg halten sollen? Ein spontaner Flug nach London für ein Fußballspiel? Einzig die eigene Lust und Laune entschied über Ja oder Nein. Das Leben war leicht und unbeschwert, und doch fand ich es reizvoll, als erstmals in Gesprächen mit meiner Frau das Wort »Kind« auftauchte. Ich weiß nicht, ob ich ohne Kinder auf Dauer unglücklich geworden wäre, aber irgendwie spürte ich, dass die kommenden Jahrzehnte nicht in einen monotonen Gleichklang münden durften. Job, Geld, Hobbys, Freunde – alles wichtige Bausteine zum Glücklichsein, aber ein wesentliches Puzzleteil fehlte. Kein Wunder also, dass Nicole und ich uns schnell einig waren: Ja, wir wollten eine Familie gründen.
Seit Mattis auf der Welt ist, müssen Job und Freunde hinten anstehen. Es gibt durchaus Momente, in denen diese Tatsache schmerzt, doch selbst in diesen Augenblicken weiß ich, dass es der richtige Weg war. Wenn mein Großer mal wieder Blödsinn angestellt hat und ich drohe, ihn an den Meistbietenden zu verkaufen, sagt er immer zu mir: »Papa, ohne mich würdest du dich doch nur langweilen!« Ich fürchte fast, der Bengel hat Recht. Vor Kurzem war Nicole für drei Wochen zur Mutter-Kind-Kur in Büsum, und was tat ich? Die ersten Tage waren klasse, ich ging bei Freunden ein und aus und musste niemanden fragen, ob ich abends in der Kneipe ein Bierchen trinken durfte. Doch überraschend schnell setzte der Leerlauf ein. Morgens ausschlafen ist ja toll, aber ein Tag ohne Kinder ist irgendwie kein echter Tag mehr. Wer frühstückt schon gern allein? Danach arbeiten, ohne dass meine Kinder in den unpassendesten Momenten ins Büro huschten. Eigentlich der Idealzustand, doch irgendwie auch blutleer.
Und als Krönung die Abende. Fußball gucken, Freunde nerven oder in die Kneipe gehen. Eine verlockende Auswahl, aber nicht drei Wochen lang. Irgendwann blieb ich zu Hause und langweilte mich. Genau so, wie es mein Sohn gesagt hatte. Ich begann die Sonntage herbeizusehnen, wenn ich meine Liebsten in Büsum besuchen durfte. Eines weiß ich seither: Drei Wochen Familienentzug tun mir nicht gut. Und noch eines wurde mir klar: Kinder können fürchterlich nerven, aber Mann gewöhnt sich an sie und braucht diese Störenfriede ab einem gewissen Zeitpunkt sogar. Das Alleinsein war gestern. Heute ist Familienwahnsinn angesagt. Zum Glück. Oder zum Glücklichsein. Auf alle Fälle möchte ich meine kleinen Wirbelwinde nicht mehr missen. Und seit Büsum weiß ich: Es ginge auch gar nicht mehr ohne sie.
Meine Abende verbringe ich zurzeit regelmäßig mit Mattis in unserem Elternschlafzimmer. Zu seinem achten Geburtstag habe ich ihm meine alte Minitrix-Eisenbahn geschenkt. Seither sind wir dabei, kräftig aufzurüsten. Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht bei eBay irgendein neues Teil ersteigern. Mal ist es eine günstige Lokomotive, mal ein Waggon, mal eine Weiche. Gut zwei Jahrzehnte schlummerte die Bahn im Keller, bevor wir ihr neues Leben einhauchten. Auch das ist etwas, das einem nur Kinder geben können: Mann darf wieder Kind sein und noch einmal abtauchen in längst verloren geglaubte Welten. Meine Frau guckt zwar immer nur fassungslos, wenn Mattis und ich auf dem Fußboden vor der Eisenbahn sitzen und fasziniert beobachten, wie die kleinen Loks im Kreis herum fahren, aber ich habe in den vergangenen Monaten mehrere Väter gesprochen, die auch ihre alte Bahn wieder »ausgegraben« haben. Statt mich für mein kindisches Verhalten zu schämen, erzähle ich Nicole lieber stolz, wie wir die Gleise versetzt haben, oder wie wir dank neuer LED-Technik den Bahnhof wieder zum Leuchten gebracht haben.
Was für mich die Eisenbahn ist, sind für Nicole ihre beiden Meerschweinchen. Gizmo und Knut heißen die zottigen Gesellen, die seit Frühjahr in unserem Keller wohnen. Nach einem Aquarium, das wir Mattis zu seinem siebten Geburtstag geschenkt haben, sind es die ersten »echten« Haustiere, wie meine Frau gern betont. Natürlich haben wir die beiden Meerschweinchen nicht in einer x-beliebigen Tierfachhandlung gekauft – wie ich es vorgeschlagen hatte – sondern direkt bei einer Züchterin. Es kam, wie es kommen musste: Anstatt die Tierchen einfach in einen Karton zu stecken und an der Kasse zu bezahlen, wurden vorab intensive Gespräche mit der Züchterin geführt. Wie hält man Meerschweinchen artgerecht? Wie ernährt man sie optimal? Wie viel Auslauf, Wärme und Licht brauchen sie? Wochenlang lagen diverse Fachbücher bei uns auf dem Wohnzimmertisch, die alle fein säuberlich mit kleinen gelben Merkzetteln versehen wurden. »Unsere« Meerschweinchen durften wir erst zwei Monate später abholen, als endlich der ersehnte Wurf gelungen war. Ein halbes Jahr später haben die Tiere in etwa den gleichen Stellenwert bei den Kindern wie unsere Fische. Sie werden ab und an mal kurz in Augenschein genommen, mehr aber auch nicht. Die Einzige, die sich wirklich darum kümmert, ist Nicole. So ist das halt mit Haustieren: Sie sind eher etwas für die Eltern als für den Nachwuchs. Wobei meine Frau offen zugibt, dass sie die Meerschweinchen von Anfang an vor allem für sich selbst haben wollte.
Was lerne ich daraus? Auch Frau darf wieder ein Stück weit Kind sein und genießt das ebenso, wie wir Männer es tun. Obwohl: Der männliche Spieltrieb ist noch etwas stärker ausgeprägt. Je älter Mattis wird, desto mehr unternehmen wir gemeinsam. Von Radtouren übers Fröschefangen im heimischen Teich bis hin zum Spielen am Computer. Mein Großer ist ein wahrer Computernarr und muss regelmäßig gebremst werden, wenn er auf Seiten wie www.toggo.de oder www.kinderspiele.de unterwegs ist. Die meisten dieser Spiele sind eher einfach gestrickt und erinnern mich an meine Jugend in den 80ern, als Pacman und Co. der Renner waren. Vielleicht daddel ich deshalb so gern mit meinem Sohn herum. Sehr wahrscheinlich ist es auch das Kind im Manne, das sich einmal mehr Bahn bricht. Ich habe jedenfalls kaum weniger Spaß als mein Großer, wenn ich mit Blumen auf Marienkäfer schieße oder auf virtuelle Schatzsuche gehe. Einen Nachteil hat das Ganze allerdings. Es ist unübersehbar, dass Kinder heute deutlich weniger draußen spielen, als wir es taten. Der Computer fesselt einen ans Haus, was nicht nur die kindliche Bewegung einschränkt, sondern auch die Sozialkontakte unnötig begrenzt. Aber Spaß macht die Sache schon. Den kleinen wie den großen Kindern.
Männer weinen nicht. Ich bin mit dieser Grundhaltung aufgewachsen und habe Jahre meines Lebens gebraucht, um umzudenken. Oft unterdrücke ich dennoch meine Tränen. Seit ich Papa bin, fällt das jedoch ausgesprochen schwer. Wobei es meist Freudentränen sind, die sich ihren Weg bahnen. Gerade erst hat es meine Tochter mal wieder geschafft, mich zum Weinen zu bringen. Ich lag arglos im Garten auf meiner Lieblingsliege, als Finya mit hochrotem Kopf angestürmt kam. Mit Schmackes sprang sie auf meinen Bauch und guckte mich ängstlich an. »Du, Papa, stimmt es wirklich, dass Erdbeeren giftig sind, wenn sie noch grün sind?«, fragte sie. »Wer hat dir denn den Blödsinn erzählt?«, wollte ich wissen. »Mattis!«, sagte sie. War ja klar, wer auch sonst? Ich erklärte ihr, dass sie keine Angst haben müsse, wenn sie eine grüne Erdbeere gegessen habe. Die seien nicht giftig, sondern würden nur sauer schmecken. Nachdem ich glaubte, ihr die Angst genommen zu haben, sagte sie: »Ich habe gar keine Erdbeeren gegessen.« Nun war ich es, der fragend guckte. »Mattis hat eine grüne Erdbeere gegessen und danach ist er umgefallen«, erklärte mir meine Tochter. »Wie, umgefallen?«, wollte ich wissen. »Mattis liegt da hinten vor seinem Beet und ich hab’ gedacht, er ist tot«, sagte Finya. Im selben Moment kam mein Großer hinter dem Gebüsch hervorgesprungen und lachte: »Ich bin wieder lebendig!« Während Finya auf ihren Bruder einschrie, liefen mir Tränen über die Wangen, ich war gerührt von ihrer Sorge um Mattis.
Kinder lösen in einem Mann Emotionen der unterschiedlichsten Art aus. Neben Freudentränen sind es auch manchmal Tränen der Sorge. Als mein Sohn bei meinen Schwiegereltern das erste Mal über 40 Grad Fieber bekam und dazu noch stundenlang spuckte, lag ich die ganze Nacht neben ihm und beobachtete jeden seiner Atemzüge. Gerade drei Jahre alt war Mattis damals, und ich malte mit das Schlimmste aus. Mit der Zeit gewöhnt Mann sich an derartige Momente. Krankheiten kommen und gehen, und wenn sie kommen, dann meist mit aller Macht. Die Angst ums Kind hört nie ganz auf, aber sie lässt nach. Ich stehe immer noch senkrecht im Bett, wenn ich meine Kleine nachts plötzlich rufen höre. Mal schmerzt der Bauch, dann wieder ist es das Bein. Und seit Neuestem ruft sie, wenn ihr Lieblingsteddy verschwunden ist. Meine Frau kriegt jedes Mal die Krise, wenn sie wegen des Teddys aufstehen muss. Ich habe Finya versucht zu erklären, dass sie bis zum Morgen im Notfall auch mal ohne Teddy auskommen kann, was sie empört zurückwies: »Aber Papa, was ist denn, wenn Teddy sich verlaufen hat?« »Teddy verläuft sich nicht. Der ruht sich höchstens mal unter deiner Decke aus«, erklärte ich. »Nein«, erwiderte meine Tochter, »mein Teddy hat Angst, wenn er allein ist«. Ich drohte, beim nächsten Mal nicht nach ihr zu sehen, wenn sie ruft. Was ich natürlich nicht durchhielt, schließlich weiß man nie, ob das Rufen nicht doch einen ernsten Hintergrund hat. Und so stehen ich oder meine Frau seither alle paar Nächte auf, um Finyas Teddy zu suchen. Sehr zum Vergnügen unserer Tochter.
Ängste und Sorgen um die Kinder begleiten einen durchs ganze Leben. Als Vater ist es nicht leicht loszulassen. Hohe Baumhäuser hier, zweispurige Hauptstraßen da. Gefahren lauern überall und Mann zählt eins und eins zusammen und ist in Windeseile mittendrin im schlimmsten Albtraum. Mich rettet in solchen Momenten immer die Realität. Die sieht weitaus harmloser aus, denn fast alle Kinder kommen ohne ernsthafte Schäden durchs Leben. Wobei es manchmal haarscharf zugeht. Ich hatte im letzten Sommer ein wahrhaft einschneidendes Erlebnis, als ich Finya vom Kindergarten abholte. Meine Kleine stieg ins Auto ein und ich warf die Tür zu. Im selben Moment sah ich, wie Finyas kleine Finger um den Holm zwischen Vorder- und Hintertür griffen. Die Tür fiel ins Schloss und ich war mir sicher, dass die Finger ab waren. Ganz vorsichtig öffnete ich die Tür – und die Finger waren noch dran. Sie bluteten nicht einmal. Erst als meine Tochter mein aschfahles Gesicht sah, fing sie an zu weinen. Ich beruhigte sie und erklärte, dass alles gutgegangen sei. »Ich hatte doch nur Angst um dich«, sagte ich. Da guckte mich Finya mit ihren großen Kinderaugen an: »Du darfst doch keine Angst haben. Du bist doch mein Papa.«
Es ist einfach unglaublich, wie schnell einen Kinder wieder aufbauen können. Oft ist ihr Humor ungewollt und entsprechend böse gucken die Kleinen, wenn Mama oder Papa zu lachen anfangen. In den ersten Jahren ist es vor allem die Wortwahl, die verblüfft. Sätze wie »Fahrn wir nach Aldi hin?« oder »Ich find dir richtig dumm« könnten einem Proll-Sketch entnommen sein, stammen aber wortwörtlich von meinen beiden Kleinen. Später wird eher über die übertrieben gestelzte Wortwahl gelacht. Erst vor Kurzem glänzte mein Sohn in großer Runde mit dem Satz: »Liebe Freunde, das Essen ist aufgetischt.« Bei solchen rhetorischen Glanzleistungen ist es kein Wunder, dass inzwischen sogar eine ganze Reihe kleiner Büchlein auf dem Markt sind, die ausschließlich kindliche Kalauer zum Inhalt haben. Auch das Internet ist voll von Kinderwitzen. Seiten wie www.kinderwitze.de oder witze-ueber-witze.de/kinderwitze sind ein wahres Sammelsurium kindlicher Kurzweil.
Da Männer generell gern lachen, dürfen an dieser Stelle Beispiele nicht fehlen. Sagt eine Mutter zu ihrem Sohn: »Kannst du bitte schnell den Salzstreuer auffüllen?« Eine Stunde später kommt der Kleine schluchzend aus der Küche: »Ich schaff’s einfach nicht, das Zeug durch die Löcher zu stopfen!« Oder wie wäre es mit einem Schulwitz? »Max, kannst du mir sagen, wann Rom erbaut wurde?« »Ja, nachts«, kommt es wie aus der Pistole geschossen. »Wie kommst du denn darauf?« »Mein Vater sagt immer, Rom wurde nicht an einem Tag erbaut!« Oder mit einem Fall aus der Praxis? »Meine Eltern sind komisch«, beschwert sich Marie bei ihrer Freundin. »Erst haben sie mir mit viel Mühe das Reden beigebracht und jetzt, wo ich es endlich kann, verbieten sie mir dauernd den Mund!« Wir wollen es nicht ausarten lassen, aber einer geht noch. Einer mit Bezug zum Thema: Am Tisch stellt der Sohn dem Vater eine Frage nach der anderen: »Papa, warum ...?« Stets antwortet der Vater: »Weiß ich nicht, mein Sohn.« Nach fünf Minuten sagt die Mutter zum Sohn: »Frag Papa doch nicht immer solches Zeug!« Daraufhin der Vater: »Lass ihn doch, sonst lernt er ja nix!«
So sind sie, die Väter. Allwissend oder zumindest davon überzeugt, allwissend zu sein. Ich erkläre meinen Kindern mit Vorliebe die Welt und habe dabei bestimmt schon den einen oder anderen Bockmist von mir gegeben. Doch das Tolle an Kindern ist ja, dass sie einem ohne Anflug eines Zweifels vertrauen – zumindest bis zu einem gewissen Alter. Bei meiner Tochter ist es noch kein Problem, ihr ein X für ein U vorzumachen. Bestenfalls kommt ein vorsichtiges »Stimmt das auch wirklich?«, wenn ich ihr sage, dass in unserem kleinen Teich ein Krokodil schwimmt und sie deshalb nicht so nah ans Ufer gehen soll. Meinen Großen kann ich schon nicht mehr so einfach hinters Licht führen. An die Zahnfee glaubt er ebenso wenig wie an den Weihnachtsmann. Doch als ich ihm jüngst von den Kobolden erzählte, die bei uns im Keller ihr Unwesen treiben, da kam er dann doch ins Grübeln. »Papa, gibt es die echt?«, fragte er mich. Und da ich mal wieder meine fiesen fünf Minuten hatte, ließ ich ihn im Ungewissen: »Nein, zumindest hat sie noch keiner gesehen. Aber die Geräusche aus dem Keller, die müssen ja irgendwo her kommen.«
Väter können gemein sein. Jedes Kind wird das auf Nachfrage gern bestätigen. Vermutlich liegt es daran, dass Kinder willige Opfer sind. Besonders grantig wird mein Sohn, wenn ich ihm heimlich etwas von seinen Süßigkeiten stibitze oder sein Kuchenstück halbiere, während er auf Toilette ist. Dann sehe ich an seinem Blick, dass er ernsthaft sauer auf mich ist und der Spaß einen Tick zu weit gegangen ist. Finya verzeiht mir hingegen schlichtweg alles. Ob ich nun ihren Lieblingsteddy verstecke, aus Jux den verkehrten Kindergarten ansteuere oder ihr vorgaukle, sie dürfe ein ganzes Wochenende nichts sagen, weil ihr Lachgetriebe kaputt sei – sobald der Spaß als solcher enttarnt ist, umarmt sie mich und sagt: »Papa, hast du mich schon wieder veräppelt!« Die Idee mit dem Lachgetriebe habe ich übrigens bei Spongebob geklaut. Wer Spongebob ist? Der kesse gelbe Schwamm aus der Fernsehserie, den meine Kinder so sehr lieben, und den ich inzwischen richtig gern mit ihnen gucke. Der Kerl hat wirklich Witz – was meine Frau allerdings ganz anders sieht.
Wo wir schon beim Lachen sind: Kinder sind die beste Medizin gegen Depressionen. Sie liefern die unglaublichsten Geschichten und sorgen dafür, dass Papas Lachgetriebe auf Volldampf läuft. Schon als Winzlinge, die weder sprechen noch laufen können, sorgen die Kleinen für Heiterkeit. Wenn Finya in ihrem Gitterbettchen schlief und ich ihr sanft ins Gesicht pustete, hat sie mir immer die Zunge rausgestreckt, ohne dabei wach zu werden. Das Spiel konnte endlos wiederholt werden, und weil es so niedlich war, habe ich es auch entsprechend ausgekostet. Mattis hingegen war von Beginn an ein echter Tiefschläfer, den nichts und niemand aus seinen Träumen reißen konnte. Kleine Kinder träumen erstaunlich wenig, und wenn, dann können sie sich nicht mehr daran erinnern. Es hat Jahre gedauert, bis mein Sohn seinen ersten Albtraum durchlitt. Es muss für ihn ein Urerlebnis gewesen sein, jedenfalls schrie er eines nachts plötzlich lauthals los und war weder von mir noch von meiner Frau zu beruhigen. Wir fragten, ob er Schmerzen habe oder ob ihm schlecht sei, aber er brüllte weiter. Erst Minuten später war er in der Lage, uns zu schildern, was passiert war. »Ich hatte einen Albtraum«, schluchzte er. »Ein Löwe und ein Bär wollten mich fressen.« Ein Löwe und ein Bär? Mir fiel ein, dass ich am Morgen zuvor die Teletubbies mit ihm geguckt hatte, und da kam eine Geschichte vor, in der ein Bär einen Löwen suchte. Irgendwie musste sich das harmlose Versteckspiel in Mattis Kopf über Nacht in eine gruselige Fressorgie verwandelt haben.
Mit etwas größeren Kindern kann Mann den schönsten Schabernack treiben. Im vergangenen Jahr mieteten wir uns ein Haus an der Nordseeküste und gingen in unserer Urlaubswoche natürlich auch auf Krabbenfang. Den Kutter kannte ich schon aus meiner eigenen Kindheit und hatte ihn in bester Erinnerung. Die Netze wurden ins Wasser gelassen und eine halbe Stunde später wieder eingeholt. Der Fang war zwar bescheiden, bot aber alle Zutaten, die ich für meinen kleinen Scherz benötigte. Im Netz zappelten nicht nur unzählige Krabben, sondern auch kleine Schollen und Seezungen, Seenadeln und Knurrhähne. Vor allem aber sah ich auf den ersten Blick ein gutes Dutzend Krebse, die mit ihren markanten Scheren drohten. Ich schnappte mir einen der Krebse und hielt ihn am Panzer fest, so dass er mich nicht kneifen konnte. Während die Kinder auf dem Kutter die Krabben bestaunten, die direkt in den Kochtopf wanderten, schlich ich mich von hinten an meinen Sohn an. Mit der linken Hand piekste ich ihm ein wenig in den Nacken, während ich rief: »Vorsicht Mattis, da krabbelt ein Krebs an dir hoch!« Mein Sohn schrie auf und drehte sich um, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her. Ich hielt ihm den Krebs vors Gesicht und sagte: »Keine Angst, ich hab ihn dir schon vom Hals genommen.« Während Mattis drohte, nie wieder ein Schiff zu betreten, sagte Finya: »Aber Mattis, der Papa hat dir doch nur einen Streich gespielt.«
Inzwischen ist mein Sohn so alt, dass die Rolle des Opfers immer häufiger mir zufällt. Mattis liebt es, Papa hinters Licht zu führen. Und da ich in meinem Großen immer noch das kleine arglose Kind sehe, falle ich regelmäßig auf seine Späße herein. Mal kommt er ins Wohnzimmer gestürmt, um mir mitzuteilen, dass meine gerade erst gekaufte Dampflok ihren Geist aufgegeben hat, mal zeigt er mitten auf der Autobahn panisch auf die Tankanzeige, um mich darauf hinzuweisen, dass wir kein Benzin mehr haben. Richtig auf den Leim gegangen bin ich ihm dieses Frühjahr, als wir gemeinsam schwimmen waren. Nach dem Baden ordern wir immer Pommes und Wurst für alle. Das geht ganz bequem, weil der Kiosk auch im Badebereich bedient. Bezahlt wird im Normalfall mit einem Chip, den man am Handgelenk trägt. Doch dieses Mal bestellte mein Sohn und kam anschließend zu mir. »Du, Papa, heute müssen wir bar bezahlen«, sagte er. Der Chip sei defekt. Da ich kein Geld dabei hatte, ging ich fluchend aus dem Bad, schlürfte halbnackt durch den Kabinentrakt und quer durch das Foyer zum Schrank, in dem sich meine Klamotten samt Portemonnaie befanden. Als ich zurückkam, war der Rest der Familie bereits munter beim Pommesfuttern. »Angeschmiert«, lachte mein Sohn. »Mama hat schon bezahlt.«
Vor ein paar Tagen habe ich im Fernsehen einen Bericht über das Berliner Zooaquarium gesehen. Darin ging es um Welse, die maulbrütenden Buntbarschen ihre Kinder unterjubeln, um sich die mühselige Aufzuchtsarbeit zu ersparen. Mein erster Gedanke dabei war: »Ganz schön clever!« Die Idee, seine Brut auf Kuckucksart einer anderen Familie ins Nest zu legen, kann einem Vater schon einmal durch den Kopf schießen – gefolgt von einem schlechten Gewissen. Deswegen ist Mann aber noch lange kein schlechter Papa, was mich zu der Frage führt, was einen guten Vater ausmacht. Spontan würde ich antworten: Ein Vater, der viel Zeit mit seinen Kindern verbringt. Aber so einfach ist es nicht. Auf der einen Seite freut sich natürlich jedes Kind, wenn Papa mit ihm spielt und rumtobt. Auf der anderen Seite gibt es viele Väter, die aufgrund ihres Jobs nur ein gewisses Zeitkontingent für ihr Kind zur Verfügung haben. »Ich würde ja gern, aber mehr geht eben nicht«, heißt es dann seufzend. Ein Papa mit weniger Zeit wird keinesfalls weniger geliebt als einer, der mehr Zeit für seine Kinder hat. In Wirklichkeit geht es mehr um Qualität als um Quantität, soll heißen: Es kommt nicht darauf an, wie viel Zeit Mann mit seinem Kind verbringt, sondern wie man diese Zeit gemeinsam gestaltet. Mann muss sich beim Spielen aufs Kind konzentrieren und nicht noch nebenbei E-Mails beantworten oder Telefonate führen. Kinder spüren sehr genau, ob Papa wirklich bei der Sache ist, und sind schnell enttäuscht, wenn sie merken, dass er nur halbherzig bei ihnen ist.
Die zweite Kernfrage aller Väter lautet: Muss Mann, als berufstätiger Vater, der Liebsten unter die Arme greifen? Die Antwort gibt meist schon der Alltag vor. Wer einen Großteil des Tages in der Firma verbringt, kann selbst bei bester Organisation nicht zeitgleich auch den Familienvater spielen. Vor der Arbeit und nach der Arbeit sieht es anders aus. Die meisten Frauen sehen es als selbstverständlich an, dass Mann morgens und abends mit anpackt. Die eine oder andere Frau greift dabei zu drastischen Maßnahmen. Einem Freund von mir passierte es in seinen ersten Monaten als Papa regelmäßig, dass er seinen Sprössling in den Arm gedrückt bekam, kaum dass er nach getaner Arbeit zu Hause eintraf. Seine Frau empfing ihn mit den Worten: »Jetzt bist du dran« und übergab ihm seinen Sohn. So radikal sollte der Schichtwechsel nicht unbedingt laufen. Ein paar Minuten Verschnaufpause stehen jedem Vater zu, dann aber ist Mitarbeit angesagt. Ansonsten muss Mann damit rechnen, dass es von der Liebsten Vorwürfe hagelt – und zwar zu Recht.
Als drittes geht es um eine Frage, die sich viele junge Väter selbst stellen: Muss einem der Nachwuchs über alles gehen? Es gibt Männer, die ein schlechtes Gewissen haben, weil ihnen der Beruf wichtiger ist als ihr Kind. Das ist in den allermeisten Fällen jedoch nur eine subjektive Wahrnehmung, denn für kaum einen frisch gebackenen Vater steht der Job tatsächlich an erster Stelle. Mann kann das eigene Kind übrigens auch zu sehr zum Mittelpunkt seines Universums machen. Als meine Frau während ihrer Mutter-Kind-Kur von einer Psychologin gefragt wurde, was denn für sie das Wichtigste auf der Welt sei, sagte sie ohne Zögern: »Meine Kinder.« Ich hätte genauso geantwortet, doch aus Sicht der Psychologin hätte es heißen müssen: »Ich bin mir selbst am wichtigsten.« Schließlich könne nur eine mit sich selbst zufriedene Frau ihrem Kind eine gute Mutter sein. Auch an zweiter Stelle sollte demnach nicht das Kind stehen, sondern der Partner. »Ihre Kinder begleiten Sie nur ein Stück weit durchs Leben, mit Ihrem Mann müssen Sie viel länger auskommen«, hieß die Begründung.
Auch wenn die Erklärung der Psychologin logisch klingt, würde ich immer noch voller Überzeugung sagen, dass meine Kinder für mich das Wichtigste auf der Welt sind. Und ich halte das auch für richtig und normal. Vielleicht ändert sich diese Sichtweise ja in einigen Jahren, wenn meine Kleinen nur noch zum Essen und zum Schlafen bei uns auftauchen. Momentan brauchen sie noch sehr viel Aufmerksamkeit, die ich ihnen gern gewähre – wenn es meine Zeit zulässt. Wenn nicht, sage ich ihnen offen und ehrlich, dass sie sich selbst beschäftigen müssen und ich andere Dinge zu erledigen habe. Wichtig ist nicht, wie viel Zeit und Arbeit Mann für seine Kinder aufwendet, sondern vielmehr, dass er Spaß an seiner Rolle hat. Ich genieße einfach die kleinen und großen Freuden, die mir Mattis und Finya bereiten – und ärgere mich zwischendurch über den Blödsinn, den sie anstellen.
KAPITEL ZWEI
Jedes Leben hat einen Anfang. Der liegt weit vor der Geburt. Über das Sein oder Nichtsein entscheidet Mann selbst. Zumindest dann, wenn das Kind ein Wunschkind ist. Irgendwann ist er da und nistet sich im Kopf ein – der Gedanke, dass ein Kind eine Bereicherung sein könnte. Etwas Tolles, Neues, Großes, Aufregendes. Meist kommt dieser Gedanke schleichend daher. Manchmal reicht ein Blick in die Augen der Liebsten, um ihn zu spüren. Manchmal ist es ein Gespräch. Zumeist ist sie es, die dabei die Führung übernimmt: »Sag mal Schatz, hast du eigentlich schon mal über Kinder nachgedacht?« Es gibt Männer, bei denen wird in diesem Moment der Fluchtinstinkt aktiviert. Nur weg. Weg von diesem Thema, wenn nötig auch weg von Frau und Hof. Wer so fühlt, der ist noch nicht so weit. Doch in der Regel haben Frauen ein gutes Gespür für die Situation und fragen erst, wenn sie sicher sind, dass Mann zumindest im Hinterstübchen bereits über ein gemeinsames Kind nachgegrübelt hat.
Der Weg zum Vater ist ein hart erkämpfter. Geldknappheit, die Karriere, eine Beziehung, die auf wackeligen Beinen steht – es gibt so viele Ängste, in die Mann sich hineinsteigern kann. Dabei heißt es doch, dass sich das angeblich so starke Geschlecht über mögliche Gefahrenquellen wenig bis gar keine Gedanken macht. Beim Thema Kind sieht die Wahrheit anders aus. Hier wird gedacht, quergedacht, wiedergedacht und nochmals gedacht. Und je länger er denkt, desto mehr Gründe sprechen gegen ein Kind. Ich kenne das. Selbst als für mich und meine Frau längst feststand, dass wir uns Nachwuchs wünschen, ratterte es in meinem Kopf munter weiter. War das wirklich mein Wunsch oder hatte sie mir nur ihren auf weiblich subtile Art ins Hirn gepflanzt? Immer deutlicher wurde mir bewusst, dass es kein Zurück mehr geben würde, wenn das Kind erst einmal unterwegs war. Mit Vollgas hinein in die Sackgasse – Männer »lieben« so etwas.
Wenn sich Männer gegen ein Kind entscheiden, hängt das meistens mit ihrer Angst vor der Verantwortung zusammen. Was, wenn die Beziehung nicht hält und einem als Mann plötzlich nur noch der Part des Alimentezahlers bleibt? Und ist Mann überhaupt schon reif für ein Kind? Ist Mann den Anforderungen gewachsen, die so ein kleines Wesen an ihn stellt? Frauen glauben gar nicht, wie tiefsinnig ihre Liebsten werden können, wenn es ums Thema Vaterwerden geht. Und so ist der Weg vom Wunsch zum Kind meist ein recht langer und oftmals auch steiniger. Sie muss dicke Bretter bohren und er wird oft genug schweigend dasitzen und seine Ängste in sich hineinfressen. Männer sind nun einmal nicht sonderlich kommunikativ, wenn es um wirklich ernste Themen geht. »Aller Anfang ist schwer.« Bei kaum einem anderen Thema liegt der Volksmund derart richtig wie in diesem Fall. Ich bilde da keine Ausnahme.
Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, dass ich heute zweifacher Vater sein würde – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Ich war Anfang 30, hatte bereits eine Scheidung hinter mir und war Lichtjahre von Familie und Co. entfernt. Ich wollte die Welt erobern, mich selbst verwirklichen, reich und berühmt werden. Ein Jahrzehnt hat ausgereicht, mein Leben auf den Kopf zu stellen. Wenn ich heute unsere Kleine wecke und mit einem Lächeln begrüßt werde, wenn ich unseren Großen von der Schule abhole und er mir mit einem lauten »Fang!« den Ranzen entgegenschleudert, dann weiß ich, dass diese Richtungsänderung die wichtigste Entscheidung meines Lebens war. Klar, Kinder sind die Hölle. Sie machen Arbeit, kosten Zeit und rauben einem den letzten Nerv. Aber sie sind auch das Tollste, was einem Menschen passieren kann. Und so kann ich heute ohne Zögern sagen: Ja, ich bin glücklich. Und dieses Glück ist ein ganz anderes als jenes, dem ich noch vor knapp zehn Jahren nachgerannt bin.