Mann wird Vater! - Carsten Wittmaack - E-Book

Mann wird Vater! E-Book

Carsten Wittmaack

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Beschreibung

'Es gibt so viele Momente, die mir in Erinnerung geblieben sind', schreibt Carsten Wittmaack in seinem Vorwort. Die durchwachten Nächte, die ersten Schritte, das erste Wort. Das Frühstück an jenem dunklen Wintermorgen, als sein Sohn Mattis genau in dem Moment herzhaft nieste, als sein Vater ihm den Löffel in den Mund schieben wollte. Der Brei auf Papas Brille, die kleinen Finger, die vorsichtig darüberstrichen, um das Glas zu säubern. Mattis besorgter Blick: 'Papa aua?' Nein, sein Vater hatte sich nicht wehgetan, sein Vater musste lachen. Und war gleichzeitig gerührt, dass sich ein so kleiner Zwerg Sorgen um Papas Gesundheit machte. Es sind diese persönlich erlebten Geschichten, die Mann wird Vater! zu einem Leseabenteuer machen. Dieses Buch will kein Ratgeber sein, der Autor kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher. Hier geht um den Spaß am Vatersein - und der ist ansteckend.

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Seitenzahl: 359

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Carsten Wittmaack

MANN WIRD VATER!

Ein Erlebnisbericht

Schwarzkopf & Schwarzkopf

KINDER SIND DAS ALLERTOLLSTE

Woran ich mich erinnere? An die kleine Stupsnase, die sich mir entgegenreckte. An das dicke Handtuch, das alles andere verhüllte. An den Moment, als ich meinen Sohn zum ersten Mal im Arm hielt. Ganz großes Gefühlskino. Ich habe diese winzige Nase vorsichtig berührt und war der glücklichste Mensch der Welt. Nach ein paar Sekunden nahm mir die Hebamme Mattis wieder weg. Viel zu kurz war die Zeit. Aber mein Sohn musste gewogen und vermessen werden. Und Mama und Oma wollten ihn schließlich auch sehen. Diesen Moment, als ich Mattis’ winzige Nase stupsen durfte – den werde ich niemals vergessen.

Und heute? Heute ist Mattis fünf Jahre alt. Fast schon sechs. Im Sommer kommt er in die Schule. Ein großer Junge. Und ein großer Bruder. Seine Schwester Finya ist zwei, im September wird sie drei Jahre alt. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch. Auf den ersten Blick. Doch das Leben ist kein Film, und Reibereien, Stress und Alltagssorgen gehören auch bei uns dazu. Trotzdem: Wenn ich eines meiner Kinder im Arm halte, dann bin ich noch immer der glücklichste Mensch der Welt. Die zwei haben mir so viel gegeben. Ich durfte neue Seiten an mir entdecken und Gefühle, die ich bis dato nicht kannte.

Die vergangenen knapp sechs Jahre haben meine Welt auf den Kopf gestellt. Neue Pflichten, neuer Lebensstil. Neues Haus, neuer Wohnort und Homeoffice statt Hamburger Agentur-Büro. Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, dass ich heute zweifacher Vater sein würde – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Ich als Papa? Meine ganze schöne Unabhängigkeit aufgeben? Für Kinder die Karriere opfern? Wer kann schon so blöd sein! Und heute? Heute bin ich heilfroh, dass es so gekommen ist. Wenn ich morgens unsere Kleine wecke und mit einem »Hallo Papa!« begrüßt werde, wenn ich unseren Großen aus den Federn kuschele und er sich verschlafen die Augen reibt und mich umarmt – dann bin ich glücklich. Ein Glück, das einem nur Kinder geben können.

Es gibt so viele Momente, die mir in Erinnerung geblieben sind. Gar nicht einmal die großen Geschichten, mehr die kleinen Anekdoten. Die durchwachten Nächte, die ersten Schritte, das erste Wort. Klar, das gehört dazu. Pflichtprogramm. Toll und unvergesslich. Genauso wie das Frühstück an jenem dunklen Wintermorgen, als Mattis genau in dem Moment herzhaft nieste, als ich ihm den Löffel in den Mund stopfen wollte. Der Brei auf Papas Brille, die kleinen Finger, die vorsichtig darüberstrichen, um das Glas zu säubern. Mattis’ besorgter Blick: »Papa Aua?« Nein, Papa hatte kein Aua. Papa musste lachen. Und war gleichzeitig gerührt, dass sich ein so kleiner Zwerg Sorgen um Papas Gesundheit machte.

Wenn es so etwas wie eine Weisheit gibt, die ich als gewordener Vater vermitteln kann, dann diese: Mit Kindern wird alles anders – und alles ist zu packen. Stress gehört dazu, aber der Spaß muss im Vordergrund stehen. Bloß von sich selbst keine Perfektion verlangen. Und auch nicht von den Kindern. Wer die Ruhe bewahrt, wird bald feststellen, dass zusammenwächst, was zusammengehört. Man lernt die speziellen Eigenheiten des Nachwuchses kennen, und wer seine Sinne nutzt, der fühlt sich schnell ein in das neue Leben. Nötig ist vor allem Zeit. Wer keine Zeit für seine Kinder hat, der wird es deutlich schwerer haben, ein intensives Miteinander aufzubauen.

Zeit ist wichtig, um die Eigenheiten der Kinder zu entdecken. Wenn unsere abends im Bett liegen, liest meine Frau dem Großen eine Geschichte vor. Ich kraule ihm währenddessen den Rücken. Tageweise wechseln wir uns bei diesem Verwöhnprogramm ab. Finya verlangt von meiner Frau für gewöhnlich, dass sie ihr noch etwas vorsingt. Erst muss es der »Bi-Ba-Butzemann« sein, dann »Schlaf, Kindlein, schlaf«. Mir ist es bislang gelungen, ähnliche Konzerteinlagen meinerseits abzuwehren. Dafür muss ich ihr die drei Nachtlichter in ihrem Zimmer immer in korrekter Reihenfolge anschalten. Und wehe, ich drücke aus Versehen den verkehrten Knopf! Während Mattis trotz einer sehr sensiblen Seite eher ein Hitzkopf ist, gehört Finya zu den Kindern, die mit einem Strahlen im Gesicht auf die Welt gekommen sind. Unser kleiner Sonnenschein hat zwar durchaus auch einen kleinen Dickkopf, aber sie setzt ihn stets auf höchst charmante Art und Weise durch.

Zeit ist auch wichtig, um in den Kindern das viel besprochene Urvertrauen aufzubauen. Mama und Papa sind ihre natürlichen Helden. Fehlerfrei, makellos, schlichtweg perfekt. Wenn ich als tollpatschiger Hobbyhandwerker den Hammer schwinge und mir einmal nicht aus Versehen auf den Daumen haue, sondern tatsächlich den Nagel treffe, sehe ich in die bewundernden Augen meines Sohnes. »Toll, Papa!«, ist mir dann fast sicher. Und Finya? Sie beobachtet sehr genau. Wenn Papa eine Mücke erschlägt, kommt garantiert die Anklage: »Totmacht?« Soll heißen: Warum hast du das getan, Papa? Kinder saugen alles auf, was Papa und Mama machen. Das erklärt, wie irritiert sie reagieren, wenn ihre Helden mal aus dem Ruder laufen. Mama schreit? Das muss mit Weinen beantwortet werden. Papa ist zwei Tage auf Geschäftsreise? Klar, dass da Verlustängste aufkommen. Vor allem, wenn Abwesenheit zum Dauerzustand wird.

Ich bin jetzt seit fast sechs Jahren Vater. Dieses Buch ist auch für mich eine kleine Zeitreise. Vieles fällt mir erst jetzt wieder ein, weil ich mich bewusst daran erinnere. So beispielsweise der Moment, als ich erfuhr, dass wir schwanger waren. Dann der Tag im Kreißsaal. Die erste Nacht mit unserem Sohn. Die erste Krankheit. Die Angst um das Kind. Mattis’ Lachen beim Spielen in der Badewanne. Das Glück, Finya im Arm halten zu dürfen. Jeder Vater hat diese Augenblicke erlebt. Vieles davon verschwindet aus dem Gedächtnis, dem Alltagsstress geschuldet. Das ist schade. Daher soll dieses Buch Vätern helfen, sich an solche magischen Momente zu erinnern. Und denen, die noch auf dem Weg zum Vater-Sein sind, soll es Mut machen, diesen Weg mit Freude zu gehen. Denn was da auf sie zukommt, ist nichts Geringeres als das Wunder des Lebens. Und wir Väter haben das Glück, live dabei sein zu dürfen.

WAS DA WOHL AUF MICH ZUKOMMT?

Der Anruf meines Lebens: »Wir sind schwanger!«

Wann es genau war, weiß ich nicht mehr. Aber wie ich mich fühlte, umso besser. Der Anruf meines Lebens. Ich saß auf meinem Bürostuhl in der Agentur. Hamburg, Stresemannstraße. Es muss Anfang Oktober 2002 gewesen sein. Wir hatten die Agentur erst eineinhalb Jahre zuvor gegründet, im Mai 2001. Freunde meines Kompagnons, die eine Werbeagentur betrieben, nahmen uns als Untermieter auf. Die Agentur, ein Zwei-Mann-Betrieb. Schwerpunkt: Die Vermittlung von Manuskripten und Drehbüchern. Ich hatte zuvor in München in einer Literaturagentur gearbeitet, bei der ich als zukünftiger Juniorpartner vorgesehen war. Nun wollte ich es aber doch auf eigene Faust versuchen. In meiner norddeutschen Heimat.

In München hatte es mir gut gefallen. Die Arbeit und deren Umfeld hatten zwar ihre Tücken, aber die Stadt mochte ich. Alles sehr sauber. Fast schon zu sauber. Zuckerbäckerflair. Dazu die Seen im Umland und die Berge nahezu vor der Haustür. Biergärten, deutlich mehr Sonne als in Hamburg und Menschen, die zwar oft knurrig, aber doch stets freundlich waren. Ein Ort, an dem man alt werden könnte. Meine Planungen liefen in diese Richtung. Bis zum Barmstedter Weihnachtsmarkt 1999. Ich war erst vor wenigen Monaten in München angekommen und flog alle zwei Wochen in die alte Heimat, um den Übergang fließend zu gestalten. Der Barmstedter Weihnachtsmarkt am ersten Advent gehörte für mich seit Jahren zum Pflichtprogramm. Einst hatte ich bei der Barmstedter Zeitung volontiert. Seither nutzte ich die Markttage, um mich mit Freunden aus dieser Zeit zu treffen.

Barmstedt ist eine kleine Stadt im Norden des Kreises Pinneberg. Die Lage wird oft mit »Hamburger Speckgürtel« umschrieben. Man nährt sich am Busen der benachbarten Hansestadt. Das Leben verläuft bis auf wenige Tage im Jahr ruhig. Der Weihnachtsmarkt gehört zu diesen Ausnahmetagen. Es gibt Kenner der Szene, die ihn zu den schönsten in Schleswig-Holstein zählen. Zumindest ist er stets einer der vollsten. Meinen späteren Kompagnon hatte ich bei der Barmstedter Zeitung kennengelernt, wo er damals arbeitete. Ich saß bei ihm in der Redaktion, als uns zwei junge Frauen besuchten. Die eine kannte ich sehr gut. Es war meine Ex, mit der ich zwei Jahre lang verheiratet gewesen war. Was heute bei mir unter »Jugendsünde« läuft, war damals noch eine offene Wunde, die bei jedem Wiedersehen erneut schmerzte.

Sie hatte mich für einen anderen verlassen. Das gehört zu den Kapiteln in meinem Leben, über die man auch später nicht gern spricht. Meine Ex war mit einer Freundin gekommen, an der mir zuerst ihre silbern lackierten Fingernägel auffielen. Meine Meinung über sie war schnell gefasst. Wir begrüßten uns kurz und gingen nach draußen. Dort tobte das Leben. »Was möchtest du trinken?«, fragte ich die Unbekannte mit den silbernen Fingernägeln. »Einen Kinderpunsch«, bat sie. Nach Stimmungskanone klang das nicht gerade. Aber ich erfüllte brav ihren Wunsch und gönnte mir selbst einen Glühwein. Danach kamen wir ins Gespräch. Mehr oder minder. Besonders entspannt ging es nicht zu. Um ehrlich zu sein, war die Atmosphäre völlig verkrampft. Hier meine Ex, die ihre Freundin vermutlich nur mitgebracht hatte, damit die ihr anschließend bestätigen konnte, was für ein Idiot ich sei. Da die Unbekannte, die mich interessiert musterte und kaum ein Wort sagte.

Auffallend waren ihre Augen − hellwach und Tiefe verratend. Und ihre Stupsnase. Ich liebe Stupsnasen. Auch ihr Lächeln gefiel mir. Leider lächelte sie wenig. Nicole, so hieß die Unbekannte, blieb kaum länger als eine Viertelstunde, bevor sie sich verabschiedete. Zurück blieb in mir der Wunsch, diese Frau besser kennenzulernen. Bis zu intensiveren Kontakten verging eine Weile. Es folgten unzählige E-Mails und Telefonate zwischen Hamburg und München, diverse Besuche und Gegenbesuche, und spätestens Mitte 2000 war klar, dass wir zusammengehören. Nicole war Lehrerin und hätte in Bayern ein drittes Fach »nachstudieren« müssen, um in ihrem Beruf arbeiten zu können. Daher stand bald fest, dass ich mich schon wieder geografisch verändern musste. Zurück in den Norden, hieß die Parole. Als ich Nicole später einmal nach ihrem ersten Eindruck von mir auf dem Weihnachtsmarkt damals fragte, sagte sie: »In deinem Lodenmantel sahst du aus wie ein langweiliger Anwalt.« Ich bin wirklich froh, dass es mir wohl doch gelungen zu sein scheint, diesen Eindruck zu revidieren. Bei meiner Ex habe ich mich übrigens nie richtig bedankt, dass sie mir Nicole vorgestellt hat.

Im Juli 2002 heirateten wir. Für Nicole stand von Anfang an fest, dass zu einer richtigen Familie Kinder gehören. Mir war bis dahin lediglich klar, dass ich damit nicht bis zum 40. Geburtstag warten wollte. Auch Männer haben eine biologische Uhr. Mann fühlt, wann man zu alt ist für ein Kind. Allerdings war mir lange Zeit gar nicht klar, ob ich überhaupt Kinder wollte. Eher nicht. Hatte ich mich nicht gerade für Job und Karriere entschieden? Selbst als wir 2001 unsere Agentur in Hamburg gründeten, standen auf meinem Wunschzettel Kinder nicht gerade ganz oben. Ich wollte tolle Bücher und Filme machen und massig Geld verdienen. Sicherlich genau wie mein Kompagnon. Doch je länger ich über Nicole und mich nachdachte, desto sicherer wurde ich mir, dass ich mich über ein Kind riesig freuen würde. Irgendwie würde sich schon alles zusammenfügen. Zum Glück haben Männer ja das Talent, Probleme vor sich herzuschieben.

Ich weiß nicht genau, ob ich noch einmal geheiratet hätte, wenn ich nicht auch ein Kind gewollt hätte. Nach meiner gescheiterten ersten Ehe hatte ich gute Gründe, es nicht noch einmal zu wagen. Andererseits stand für mich immer fest: Ein Kind braucht Mutter und Vater, und zum elterlichen Glück gehört auch der Trauschein. Außerdem haben Väter nach wie vor rechtlich schlechte Karten bei der Gestaltung der Zukunft der Kinder, wenn eine Beziehung in die Brüche geht. Meistens bekommt die Mutter das Sorgerecht, und er kann zahlen. Irgendwann Ende 2001 oder Anfang 2002 entschlossen wir uns zu heiraten. Am 12. Juli 2002 war es so weit. Flitterwochen in Südafrika, auf dem Flughafen von Durban rauchte Nicole ihre letzte Zigarette. (Bis heute hat sie, die einstige Kettenraucherin, keine einzige mehr angerührt.) Für mich war es das untrügliche Zeichen: Jetzt wird es ernst. War es der richtige Zeitpunkt? Aus heutiger Sicht würde ich sagen: ganz sicher. Ich bezweifle ohnehin, ob es den »richtigen« Zeitpunkt überhaupt gibt. Gründe gegen ein Kind findet man eigentlich immer. Man sollte daher lieber fragen, was für ein Kind spricht.

Es gehört zu den Urängsten von uns Männern, nicht zeugungsfähig zu sein. Auch ich hatte ein mulmiges Gefühl, als Nicole die Pille absetzte. Würde es klappen? Und wenn ja, wann? Anfang Oktober 2002 kam der Anruf, der die Antwort enthielt: »Ich komme gerade vom Arzt. Wir sind schwanger.« Mein Kompagnon saß mir gegenüber. Vielleicht zwei Meter entfernt, getrennt nur durch unsere Schreibtische. Und doch schien er mir in diesem Moment Lichtjahre entfernt. Ich wollte allein sein. Allein mit Nicole. Allein mit der Neuigkeit. Wir sind schwanger. Ich werde Vater. Ich zitterte am ganzen Körper. Das Adrenalin ließ keinen klaren Gedanken zu. Nur Stolz und Glück. Schwanger! Schwanger! Schwanger! Ich bin dann mit dem Hörer am Ohr aus der Agentur und runter zum Auto gelaufen, um mehr Ruhe zu haben. Vielleicht auch, weil ich die frische Luft brauchte. Es war mein ganz persönlicher Moment für die Ewigkeit. Als ich auflegte, kamen mir die Tränen. So pathetisch es klingen mag: In diesem Augenblick wusste ich, dass wir alles richtig gemacht hatten.

Was wäre gewesen, wenn es nicht geklappt hätte? Wenn das Wunschkind nicht auf Bestellung gekommen wäre? Nicole neigt dazu, Dingen eine gewisse Selbstverständlichkeit zu geben. Wenn man ein Kind will, dann bekommt man es auch. Doch was, wenn die Natur nicht mitspielt? In der – zum Glück – kurzen Zeit zwischen Kinderwunsch und bestätigter Schwangerschaft habe ich mich häufiger gefragt, wie unsere Zukunft aussehen würde, wenn nicht alles so reibungslos liefe. Vermutlich hätten wir alle Fachärzte Norddeutschlands abgeklappert und sämtliche künstliche Befruchtungsmethoden ausprobiert. Ob das unsere Beziehung ausgehalten hätte? Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Wir haben in unserem Freundeskreis einige Pärchen, bei denen es nicht so glattlief wie bei uns. Ich bewundere wirklich, wie taff sie sind und was sie alles erduldet haben, um zu einem Kind zu kommen. Zur Beruhigung für die, denen es ähnlich geht: Eltern sind sie heute alle. Der modernen Medizin sei Dank.

DAS THERMOMETER AUF DEM KÜCHENTISCH

Nichtsahnend und gestresst von der Arbeit betrat ich unser Haus. »Hallo, jemand zu Hause?« – Keine Antwort. Also ging ich mit knurrendem Magen in die Küche, um nachzusehen, ob irgendetwas Sättigendes vorhanden wäre. Mein Blick fiel auf den Küchentisch, wo etwas lag, das aussah wie ein Fieberthermometer. Es war aber keins. Das Gerät zeigte zwei farbige Balken. Noch bevor ich realisierte, was hier eigentlich los war, klingelte das Telefon. »Hast du das da auf dem Tisch gesehen?«, fragte meine Frau, und angesichts ihres freudig erregten Tonfalls wusste ich sofort, dass es hier um etwas Großes ging. »Nein«, rief ich ins Telefon, obwohl ich das Gegenteil meinte, weshalb ich schnell »Das ist ja wunderbar!« hinterherschob. Und das kam von Herzen, denn von nun an regierte neun Monate lang die helle Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt.

Hanno Balassy, Tornesch

Unsere ersten Tage und Wochen »zu dritt«

Wir waren schwanger. Ich wurde Vater. Die Tage nach dem Anruf wurden von diesem Bewusstsein bestimmt. Im Oktober 2002 arbeitete ich gerade an einem Buch über Deutschlands Medienmacher. Und am 9. Oktober fuhr ich zur Buchmesse nach Frankfurt. An diese Fakten kann ich mich nur noch dank meines Fahrtenbuches und meines Terminkalenders erinnern. Deutlicher vor Augen habe ich noch einen Wochenendurlaub in Fulda, den uns Nicoles Schwester geschenkt hatte. Das Wetter war kühl, und so blieb uns Zeit zum Kuscheln und Pläneschmieden. Wir lagen auf unserem Hotelbett und malten uns die Zukunft zu dritt aus. Nicole wie gewohnt deutlich konkreter als ich. Sie war schon dabei, in Gedanken das Kinderzimmer einzurichten, während ich immer noch Mühe hatte zu begreifen, dass wir nun bald ein Kind haben würden. Während eines eher mittelmäßigen Abendessens in karger Speisesaalatmosphäre begossen wir das Ereignis. Ich mit Wein, Nicole mit Cola light. Ich erinnere mich, dass wir wenig sprachen und uns stattdessen nur anschauten. Papa und Mama. Wir zwei. Der Wahnsinn!

Natürlich rechneten wir nach. Noch neun Monate. Ein Juni-Kind. Vielleicht auch ein Juli-Kind. Da wären wir noch nicht einmal ein Jahr verheiratet. Wie schnell alles ging. Nicole hatte gleich gespürt, dass es geklappt hatte. Eines Tages kam sie mit einem Schwangerschaftstest aus der Apotheke nach Hause. »Ich hab da so ein Gefühl«, erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin. Irgendwie empfand sie ihren Körper anders. Wie genau, das können vermutlich nur Frauen beantworten. Jedenfalls kontrollierten wir gemeinsam das Ergebnis des Tests. Blau hieß schwanger, Grün nicht schwanger. Oder so ähnlich. Jedenfalls fühlten sich die Sekunden des Wartens wie Stunden an. Das kleine weiße Sichtfenster ging von Weiß in ein Türkis über. Und es blieb so. Auch nach weiteren Minuten, die wir gespannt warteten. Nicht grün, nicht blau. Ganz eindeutig türkis. Hätte ich den Typen zu fassen bekommen, der den Müll erfunden hat, ich wäre ihm an die Gurgel gegangen. »Die wollen uns doch verarschen«, sagte ich zu meiner Frau. Die war bereits dabei, sich die seltsame Farbe zurechtzudeuten.

»Guck mal, die Ecken sind doch blau, oder?« Welche Ecken? Das kleine Fensterchen des Schwangerschaftstests hatte gerade mal einen Durchmesser von einem Zentimeter. Wie sollte ich da Ecken erkennen? »Ich sehe nur Türkis«, sagte ich und musste lachen. Es war ein frustriertes Lachen. Nicole ließ sich nicht davon abhalten, weiter nach verborgenen Hinweisen zu suchen. »Guck mal, wenn man das gegens Licht hält ...« Ja, dann wurde das Türkis heller. Aber es blieb türkis. Anscheinend waren wir ein bisschen schwanger. Diese Erkenntnis genügte uns nicht, und so wurden am nächsten Tag zwei neue Tests besorgt. Die Ergebnisse waren eindeutiger, wenn auch nicht ganz zweifelsfrei. Demnach waren wir sehr wahrscheinlich schwanger. Vermutlich waren wir sogar garantiert schwanger, aber der erste Test hatte uns derart verunsichert, dass wir nun nicht einmal mehr das klarste Blau der Welt als solches erkannt hätten. So bekam der Arzt das letzte Wort.

In unserem Hotel in Fulda überlegten wir, wem wir die freudige Botschaft zuerst überbringen sollten. Und wann? Und wie? Wir wohnten damals in Krempe, einer winzigkleinen Stadt im Süden Schleswig-Holsteins. Meine Mutter und ihr Lebensgefährte hatten ihre Wohnung sprichwörtlich um die Ecke. Nicoles Eltern waren in Hameln zu Hause, gut zweieinhalb Autostunden entfernt. Entsprechend selten sahen wir sie. Schnell war klar: Wir mussten warten, bis der engste Familienkreis komplett zusammensaß. Natürlich hätten wir auch zuerst zu meiner Mutter gehen können, um anschließend gleich in Hameln anzurufen. Aber das erschien uns irgendwie unfair. Und so beschlossen wir, einen Termin zu vereinbaren, an dem uns Nicoles Eltern besuchen sollten. Dann mussten nur noch meine Mutter und ihr Lebensgefährte hinzustoßen. Generalstabsmäßige Planung eben.

Blieb die Frage nach dem Wann. Da es in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft öfter mal zu einer Fehlgeburt kommt, raten Experten, die frohe Kunde der Welt erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche zu verkünden. Davon wusste ich damals nichts. Woher auch? Ich wusste gerade einmal, dass eine Schwangerschaft gut neun Monate dauert. Das männliche Standardwissen eben. Nicole hatte sich dagegen längst schlau gemacht. Schon vor unserer Schwangerschaft. Zum Glück lassen Frauen nicht alles nur auf sich zukommen. Schließlich gab sie den Kurs vor. »So lange halte ich es aber nicht aus«, sagte sie. Geheimniskrämerei ist nicht ihr Ding. Wir – also sie – einigten uns dann darauf, die nächstbeste Gelegenheit zu nutzen, um die Neuigkeit zu verbreiten. Da passte es gut, dass Anfang November ein Routinebesuch meiner Schwiegereltern vorgesehen war. Vorher telefonierte Nicole natürlich noch das ein oder andere Mal mit Mama, Papa und ihrer Schwester. Sätze wie »Wir haben euch etwas sehr Wichtiges zu sagen« oder »Es ist ein großes und ganz tolles Geheimnis« dürften die Vorahnungen schon vorab in die richtige Richtung gelenkt haben. Auch meine Mutter und ihr Lebensgefährte ahnten wohl, was wir ihnen sagen wollten. Doch alle spielten das Spiel mit. Keiner stellte voreilige Fragen, und so versammelte sich die gesamte Familie an unserem Wohnzimmertisch in Krempe. Ich öffnete eine Sektflasche, und Nicole organisierte die Gläser. »Na, was kommt wohl jetzt«, sagte meine Mutter, und alles andere als die Kunde von unserer Schwangerschaft hätte sie vermutlich zutiefst überrascht.

Ich füllte die Gläser und lächelte stumm in die Runde. Natürlich überließ ich Nicole den Showdown. »Ihr könnt es euch wahrscheinlich schon denken: Wir sind schwanger.« Die Überraschung hätte gern etwas überzeugender gespielt werden können, aber alle freuten sich von Herzen mit uns. Die obligatorischen Fragen wie »Wann ist es denn so weit?« oder »Seit wann wisst ihr es denn?« ließen nicht lange auf sich warten. Meine Frau war so glücklich und stolz, dass sie die Konversation im Alleingang meisterte. Ich hielt mich an meinem Sektglas fest und beobachtete das Schauspiel als stiller Genießer. »Geahnt haben wir es ja schon«, sagte meine Schwiegermutter. »Na, das war aber schon mehr als eine Ahnung«, ergänzte meine Mutter. Mein Schwiegervater nickte stumm vor sich hin, und der Lebensgefährte meiner Mutter lächelte. Teil eins der offiziellen Einweihungszeremonie war erfolgreich bestanden.

Danach war unser Freundeskreis an der Reihe. Mein Kompagnon wusste ja bereits seit Nicoles Anruf in der Agentur, dass wir schwanger waren. Den Werbern, mit denen wir unter einem Dach arbeiteten, war die Neuigkeit natürlich auch nicht verborgen geblieben. Und Nicoles Lehrerkollegen wussten zum großen Teil auch schon Bescheid. Der Kommentar meines besten Freunds war: »Alle Achtung!«, während Nicole mit ihrer besten Freundin gefühlte drei Tage am Stück telefonierte, ehe alle Details geklärt waren. Danach wurde es ruhiger. Die Welt war eingeweiht, und die Erde drehte sich weiter. Überraschend unspektakulär, wie ich damals fand. Am Ende ging es um unsere Schwangerschaft, unser Kind, unsere Vorfreude. Der Rest der Menschheit, einschließlich der Menschen, die uns nahestanden, nahm das Ereignis zur Kenntnis und ging dann wieder dem eigenen Alltag nach.

Und ich? Mein Innenleben vibrierte. Ich war noch Lichtjahre davon entfernt, mir meine Zukunft mit Kind konkret vorstellen zu können. Als Vater. Ich spürte die herannahenden Veränderungen. Mein Körper war so voller Glückshormone, dass Ängste vor möglichen Schwierigkeiten gar keinen Platz hatten. Die Welt drehte sich um mich. Ich war das Zentrum von allem. Und das fühlte sich gut an. Ich hätte alles und jeden umarmen können und bin vermutlich mit einem dümmlichen Dauergrinsen umhergelaufen. Diesen Stolz, den ich in den ersten Wochen nach Nicoles Anruf spürte, hatte ich nie vorher gekannt. Nichts war damit vergleichbar. Es war eine verflucht schöne Zeit.

DIE SCHÖNSTE NACHRICHT DER WELT

Drei Dinge muss ein Mann in seinem Leben vollbringen: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und einen Sohn zeugen. Die erste Sache war bereits gewissenhaft erledigt: Zu unserem einjährigen Kennenlern-Jubiläum hatte ich Angelika eine Eiche geschenkt, die wir in Ermangelung eines eigenen Gartens im Stadtwald einpflanzten. Und das Haus? Dazu fehlte mir damals die nötige Kohle. Blieb nur noch das Kind. Doch vor der Zeugung wollte ich eigentlich gerne heiraten – auch wenn das altmodisch klingt. Also besorgte ich einen Ring. Diesen trug ich während unseres Spanienurlaubs immer in der Hosentasche. Um im richtigen Moment die entscheidende Frage zu stellen. Fehlanzeige. So richtig romantisch wurde es in diesem Urlaub nie. Meiner Liebsten war quasi schon im Flugzeug schlecht. Sie schaffte es gerade noch bis in unser Hotelzimmer. In den folgenden fünf Tagen weigerte sie sich strikt, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen. Irgendein Virus hatte sie im Griff und brachte Magen und Darm völlig durcheinander. Ein lauer Sommerabend bei einem Glas Rotwein? Gar nicht dran zu denken. Stattdessen gab es Pfefferminztee im Bett. Resigniert buchte ich unseren Rückflug um. Schon nach einer Woche landeten wir wieder in München. Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, lag ein Kuvert auf dem Esstisch. Ich öffnete es und zog eine Karte mit einem aufgeklebten Storch heraus. Mir blieb die Luft weg. Dann stammelte ich meinen Antrag hervor. Neun Monate später bekamen wir einen Sohn. Und zur Hochzeit kam er einfach mit.

Jan-Peter Urbach, Augsburg

Wir backen uns unser Wunschkind

Kaum war Nicole schwanger, bemühte ich mich, sie in Watte zu packen. Nicht mehr schwer heben, keine Gartenarbeit, und im Haus war höchstens noch das Schwingen des Staubwedels gestattet. Auch nach den kritischen ersten drei Monaten achtete ich sorgsam darauf, dass sich meine Frau nicht überanstrengte. Nicole fand das zumeist höchst überflüssig, wohl auch, weil ihre Schwangerschaften ohne Komplikationen verliefen. »Ich bin nicht krank«, war ihr Lieblingssatz, wenn ich ihr wieder einmal Arbeit abnehmen wollte, die ich für zu gefährlich hielt. Parallel dazu las ich die Schwangerschaftsbücher, die Nicole bereits durchgeackert hatte. Ich wurde damit konfrontiert, was alles schieflaufen konnte: Fehlgeburten, Frühchen, Kinder, die ihre ersten Monate im Brutkasten verbringen müssen, Fehlbildungen und endlos weiter und endlos fort. Aus meiner heutigen Sicht sollten werdende Väter von allzu detaillierten Ratgebern die Finger lassen. Männer bleiben bekanntlich immer ein Stück weit Kind, und unsere Warmduscherseite verträgt derlei Schwarzmalerei nur schwer.

Zur Beunruhigung: Die Ängste kommen auch ohne Fachlektüre. Was, wenn das Kind behindert zur Welt kommt? Wird man es trotzdem lieben? Dieser Gedanke ging mir mehr als einmal durch den Kopf. Angesprochen hat das Thema dann allerdings meine Frau. Kurz bevor wir zur Nackenfaltenuntersuchung von Mattis zu einem Spezialisten nach Hamburg aufbrachen. »Schatz, was machen wir, wenn unser Kind behindert ist?« Das war der Satz, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte. Ja, was machen wir dann? Nachgedacht hatte ich über diesen »worst case« schon oft, aber eine Antwort stand noch aus. Auch für mich selbst. »Lass uns doch erst einmal abwarten. Bisher läuft doch alles richtig gut«, antwortete ich. Doch Nicole gab sich mit diesem Ausweichversuch nicht zufrieden. »Aber wenn doch?« Was, wenn der Arzt sagen würde, dass unser Kind mit einer statistischen Chance von 20 oder 30 Prozent behindert zur Welt kommen würde? Am Ende gab es nur zwei Alternativen: Schwangerschaftsabbruch oder auf das Beste hoffen und im Fall der Fälle das Kind auch dann lieben, wenn es behindert sein sollte.

Nicole machte mir schnell und deutlich klar, dass sie das Kind unter allen Umständen wollte. So oder so. Meinen Einwand, dass wir dann ja gar nicht zum Arzt gehen müssten, bügelte sie ab: »Ich will natürlich wissen, ob alles gut aussieht. Aber selbst wenn nicht, ist es unser Kind.« Ganz so entschlossen in meiner Haltung war ich ehrlich gesagt nicht. Aber irgendwie beruhigte es mich, dass meine Frau mir diese Entscheidung abnahm. Und es freute mich auch, dass sie so vehement für unser Kind plädierte. Ich erinnere mich noch an mein Gefühl der Hilflosigkeit, als wir dann beim Arzt saßen und auf das Ergebnis der Nackenfaltenuntersuchung warteten. Männer sind es gewohnt, die Dinge anzupacken und im Notfall geradezurücken. In diesem Fall blieb nur das Vertrauen ins Schicksal. Zum Glück stand es auf unserer Seite. Zweimal, denn wie bei Mattis gab es auch bei Finya keinerlei Komplikationen. Der Spruch »Hauptsache gesund« bekam für mich eine ganz neue Bedeutung. Er hat fraglos seine Berechtigung. Aber was, wenn eins der Kinder nicht gesund gewesen wäre? Wäre dann für mich die Welt zusammengebrochen, oder hätte ich es genauso geliebt, wie ich Mattis und Finya liebe? Ich hoffe es. Ich gehe davon aus, dass es so wäre. Aber da mir die entsprechende Erfahrung fehlt, könnte ich es nicht beschwören.

Gelernt habe ich während unserer Schwangerschaften, dass Mann möglichst ruhig bleiben sollte. Je mehr Gelassenheit man aufbringt, desto leichter wird es. Wer sich in seine Ängste hineinsteigert, kann sich derart tief darin verirren, dass der Weg heraus kaum mehr zu finden ist. Da kann es nicht schaden, wenn sich Männer öfter mal bewusst machen, dass statistisch gesehen fast immer alles glatt läuft. Gut, Statistiken sollte man nur glauben, wenn man sie selbst gefälscht hat. Doch die Erfahrung lehrt, dass es guttut, ab und zu einfach mal alle Bedenken vom Tisch zu wischen. »Läuft doch bisher alles prima«, ist ein Satz, der zumindest bei mir Wunder wirkte. Auch Nicole konnte ich damit beruhigen, wenn sie wieder einmal dachte, irgendetwas Ungewöhnliches zu spüren. Oder wenn sich unser Kind während der letzten Schwangerschaftswochen längere Zeit nicht wie gewohnt regelmäßig mit Tritten gegen die Bauchdecke meldete. Frauen fühlen während der Schwangerschaft derart tief in sich hinein, dass sie immer wieder einmal Unheil vermuten, das es zumeist gar nicht gibt.

Hauptsache gesund. Nachdem uns der Arzt gesagt hatte, dass wir berechtigte Hoffnung darauf haben dürfen, begannen Nicole und ich, uns die Zukunft zu dritt auszumalen. Vater, Mutter, Kind. Bald würden wir eine richtige Familie sein. Wie wird unser Kind wohl aussehen? »Bestimmt genau wie sein Papa«, sagte Nicole, um mir eine Freude zu machen. »Hoffentlich nur, wenn es ein Junge wird«, antwortete ich. Wer träumt schon von einem Zwei-Meter-Mädchen mit großer Nase und grauen Haaren? Die Größe war damals ohnehin ein spannendes Thema. Nicole ist gut 30 Zentimeter kleiner als ich. Vermutlich würde sich unser Kind irgendwo dazwischen einpendeln – dachten wir. Zurzeit sieht es eher so aus, als wenn Mattis tatsächlich nach mir kommt. Bisher sprengt er alle Größentabellen. Auch Finya wird vermutlich Modelmaße erreichen. Als sie gerade mal zwei Jahre alt war, habe ich sie oft mitgenommen, wenn ich Mattis zum Kindergarten brachte. Da war sie schon größer als viele Dreijährige. Mal sehen, wie weit sie sich den zwei Metern noch nähert. Zumindest hat sie keine große Nase, sondern eine süße Stupsnase. Ganz die Mama – zum Glück.

Generell bin ich heilfroh, dass Wunschkinder noch nicht im Labor herzustellen sind. So bleibt nicht nur die Spannung erhalten, sondern auch der Faktor Mensch. Wer sehnt sich schon nach einem Adonis aus der Genfabrik? Jedes Kind ist irgendwie das Abbild seiner Eltern. Verwegene könnten meinen: Kinder sorgen für Unsterblichkeit. Aus meiner Erfahrung als zweifacher Vater sage ich: Kinder sind erstaunlich eigenständige Wesen. Weder Mattis noch Finya sind Klone ihres Vaters oder ihrer Mutter. Beide haben genetisch ihren ganz eigenen Weg beschritten. Besonders fällt mir dies bei meinem Sohn auf. Ich achte natürlich besonders bei Mattis auf Übereinstimmungen. Gefunden habe ich vor allem Unterschiede. Während ich bis heute lieber still in mich hinein leide, lässt er alle Welt an seinem Schmerz teilhaben. Während ich in seinem Alter vor lauter Schüchternheit jeden Kontakt mit Fremden vermied, geht er ohne Ängste offen auf sie zu. Während ich ruhig und ausgeglichen war – zumindest versichert mir dies meine Mutter –, neigt Mattis zu Aggressionen. Eine wichtige Gemeinsamkeit gibt es aber doch: Wir haben beide ein ausgeprägtes Gespür für das emotionale Innenleben anderer Menschen. Mattis spürt sofort, wenn sich jemand unwohl fühlt. Weil er mit seinen fünf Jahren mit dieser Situation noch nicht umgehen kann, zieht er sich dann unwillkürlich zurück. Damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Harmonie ist Mattis ausgesprochen wichtig. Mir erheblich weniger.

Finya ist psychisch deutlich robuster als Mattis. Als meine Frau und ich wussten, dass unser zweites Kind ein Mädchen wird, war ich stolz wie Oskar. Ich habe zwar gegenüber Nicole immer beteuert, dass mir das Geschlecht unserer Kinder »völlig, aber so was von völlig egal« sei, aber nach Mattis freute ich mich dann doch ganz besonders über Finya. Nicole hatte übrigens schon lange vor dem offiziellen Ergebnis ihres Frauenarztes prophezeit, dass wir ein Mädchen bekommen werden. »Irgendwie fühlt sich unser Kind dieses Mal anders an«, war ihre Erklärung. Auf meine Nachfrage, was genau sich denn anders anfühlte, sagte sie: »Kann ich nicht beschreiben. Alles eben.« Ich habe mir jeden Kommentar verkniffen, war mir aber ziemlich sicher, dass meine Frau recht haben würde. Die Geheimnisse weiblicher Intuition. Herausgekommen ist mit Finya ein Mädchen wie aus dem Bilderbuch. Lieb, aufmerksam, ein typisches Zweitkind, das sich seinen Platz im Zusammenspiel zwischen Nicole, Mattis und mir quasi selbst gesucht hat. Und mehr Wunschkind, als ich es mir je zu wünschen gewagt hätte.

MIT FRAGEBOGEN ZUM ZIEL

»Wie soll er denn heißen?«, dürfte wohl die Frage gewesen sein, die ich am häufigsten gehört habe, während »wir« mit unserem Sohn schwanger gingen.

Und danach ging’s dann immer gleich los mit Vorschlägen. Die tatsächlich ernst gemeinten waren meist noch viel grausamer als das Geblödel, was es natürlich auch in rauen Mengen zu hören gab. »Wie wär’s denn mit Caspar David Friedrich?« »Ja, oder vielleicht Caspar Melchior Balthasar!« Die Heiligen drei Könige gehörten aber noch zu den harmlosesten Einfällen. Da wurde fast das gesamte Arsenal aus dem Rumpelstilzchen aufgefahren. Hilfreich war das alles nicht. Wir hatten nämlich tatsächlich ein Problem mit dem Namen. Mädchennamen hatten wir gleich drei, die uns gefallen hätten, aber für Jungs ist es schon irgendwie schwieriger. Da fiel uns nicht mal einer ein. Meine Frau schleppte Namensbücher an, meine Schwiegermutter offerierte uns eine dicke Heiligenlegende, damit wir uns auch gleich darüber informieren könnten, wann das Kind Namenstag habe und wen es sich zum Vorbild nehmen solle.

In unserer Ratlosigkeit schickten wir dann einfach per E-Mail einen Fragebogen an sämtliche Freunde, Bekannte und Verwandte. Per Zufallsgenerator hatten wir uns auf einer der einschlägigen Internetseiten zwanzig Namen heraussuchen lassen, über die wir jetzt per Umfrage entscheiden lassen wollten. Ein paar schräge Sachen waren schon auf der Liste, die für uns eigentlich auf gar keinen Fall in Frage kamen (Albrecht, Hugo, Markward, Romuald), aber nachdem wir uns nun mal für diese Methode entschieden hatten, wollten wir nicht direkt schon am Start wieder einen Rückzieher machen, und es waren ja noch genügend zumindest akzeptable Namen dabei. Am Ende bekamen wir 26 Fragebögen zurück, die wir auswerten konnten. Der Gewinner war »Niklas«. Fanden wir eigentlich auch gar nicht übel. Und bei so viel Zustimmung im Rücken …

Ach ja, unser Sohn heißt jetzt übrigens Hanno. Weil’s so schön einfach ist und mein kleiner Neffe, der gerade sprechen lernte, den Namen meines Vaters (Johannes) so aussprach. Stand zwar nicht auf dem Fragebogen, aber zumindest der Opa ist jetzt stolz wie Oskar.

Timo Ganz, Braunschweig

Arbeit und Kind. Schaff ich das?

Trotz aller Glücksgefühle geht das Alltagsleben auch während einer Schwangerschaft weiter. Geld muss verdient werden, der Garten pflegt sich nicht von allein, und wer keine Putz- und Küchenhilfe hat, der muss auch diese Pflichten schultern. Mit einem Satz: Der Stress wird nicht weniger, sondern mehr. Denn ab sofort muss auch die Zukunft zu dritt geplant werden. Und zwar ganz konkret. Wer übernimmt die finanzielle Versorgung der Familie, wenn das Kind auf der Welt ist? Wer kümmert sich um den Kleinen? Soll der Zwerg möglichst rasch in eine Krippe, oder bleibt ein Elternteil zu Hause, bis mit drei Jahren der Kindergarten ruft? Ganz nebenbei muss das Kinderzimmer eingerichtet werden, diverse Formulare sind auszufüllen, das »passende« Krankenhaus samt Ärzten und Hebammen muss gefunden werden und und und. Mann ist gut beraten, die Dinge step by step anzugehen. Bloß nicht alles auf einmal erledigen wollen, das funktioniert nicht. Da sehr viel in kurzer Zeit auf einen einstürzt, haben Nicole und ich aufgelistet, was wann zu erledigen ist – und dann nach Wichtigkeit geordnet. So behält man den Überblick und hat nicht das Gefühl, permanent Elementares zu versäumen.

Ganz oben auf unserer Liste stand das Thema Arbeit. Nicole ist Lehrerin und war schon während ihrer Schwangerschaft mit Mattis verbeamtet. Ein sicherer Job also, noch dazu mit Rückkehrgarantie nach einer Mutterpause. Ich hatte gerade meine Agentur gegründet und konnte (und wollte) keine längere Pause einlegen. Auf den ersten Blick schien also alles klar: Nicole übernimmt die Mutterrolle, und ich schaffe das Geld heran. Andererseits wollte ich kein Guten-Abend-Papi sein, der sein Kind nur sieht, wenn er abends abgekämpft heimkehrt und dem Kleinen dann nur noch beim Einschlafen zusehen kann. Und mein Agentur-Einkommen war in den ersten Jahren noch recht unstet, so dass nicht absehbar war, ob das Geld reichen würde, wenn Nicole nicht mehr arbeitete. Wir mussten also einen Kompromiss finden. Auf der einen Seite durfte unser neuer Status als Kleinfamilie nicht zu finanziellen Engpässen führen, auf der anderen Seite wollten Nicole und ich für Mattis da sein.

Wir haben lange an unserem individuellen Erziehungsmodell getüftelt. Am Ende entschieden wir, dass Nicole ihre Stundenzahl in der Schule verringert und ich möglichst viel für die Agentur von zu Hause aus erledige. Leichtgefallen ist mir diese Entscheidung nicht, denn im Büro herrschte eine wirklich tolle Atmosphäre. Das Zwischenmenschliche stimmte, wir sprachen über Zukunftsängste und feierten zusammen geschäftliche Erfolge. Wir spielten Fußball im Flur und drückten uns gegenseitig die Daumen, wenn uns Autoren, Verleger oder Werbekunden besuchten. Auch den 11. September 2001 erlebten wir gemeinsam. Da unsere Agentur unter anderem Filmprojekte vermittelt, hatten wir zum Abspielen von Videos einen Fernseher in unserem Büro stehen. Fernsehempfang war eigentlich nicht vorgesehen, aber für den Notfall gab es eine kleine Zimmerantenne. Entsprechend schlecht war das Bild. Irgendwann gegen Mittag des 11. September sagte einer der Werber, er habe im Radio gehört, dass ein Flugzeug ins World Trade Center gestürzt sei. Ich dachte spontan an einen Unfall mit einer kleinen Sportmaschine und schaltete den Fernseher ein. Dort liefen gerade die ersten Bilder vom brennenden zweiten Turm, und schlagartig wurde mir klar, was geschehen war.

Wir saßen wie gebannt die ganze Zeit vor dem Fernseher und zappten durch die wenigen Programme, die wir mit der Notantenne empfangen konnten. Gearbeitet hat an diesem Tag bei uns niemand. Gesprochen wurde auch nicht viel. Aber bis heute kann ich mich an nahezu jede Minute erinnern. Kein anderes Ereignis aus meiner Hamburger Agenturzeit ist mir derart im Gedächtnis geblieben. Geblieben sind auch die Erinnerungen an den starken Kaffee, der stets in unserer kleinen Küche vor sich hin dampfte, an Geburtstagsfeiern im Sozialraum, an Mittagspausen im Lokal um die Ecke, die sich gern einmal bis in den Nachmittag hinzogen. Und ich erinnere mich auch noch an das Gesicht meines Kompagnons, als Nicole mich anrief, um mir zu sagen, dass wir schwanger sind. Eine frohe Botschaft war das aus seiner Sicht sicher nicht. Er ahnte bereits, dass nicht alles so bleiben würde, wie es war. Ich fuhr damals täglich gut 50 Kilometer von Krempe nach Hamburg und abends 50 Kilometer wieder zurück. 100 Kilometer auf verstopften Autobahnen, zwei Stunden gingen dabei mindestens drauf. Zeit, die ich in Zukunft lieber mit Mattis verbringen wollte.

Also musste auch in der Agentur an der Zukunft gebastelt werden. Heraus kam ein Modell, das mir deutlich mehr Freiraum ließ, bei dem aber nicht absehbar war, ob es funktionieren würde. Wir beschlossen, die Adresse in Hamburg vorerst aufrechtzuerhalten, aber nicht mehr täglich von der Agentur aus zu arbeiten. Stattdessen wollten wir Stück für Stück auf Heimarbeit umstellen. Da ich für mich darauf drang, musste ich natürlich auch meinem Kompagnon diesen Luxus zugestehen. Blieb die Frage, wie unsere Arbeitspartner auf die Umstrukturierung reagieren würden. Würden »unsere« Autoren abspringen? Würden »unsere« Lektoren und Verleger die Neuerung als Zeichen deuten, dass es mit unserer Agentur bergab ging? »Wir können ja notfalls wieder zurück.« Mit diesem Satz beruhigten wir uns damals selbst. Ganz ehrlich war das natürlich nicht, denn ein Zurück war zumindest bei mir nicht geplant. Aus heutiger Sicht war es der richtige Schritt. Wir haben keinen einzigen Autor oder Verlagskontakt verloren. Und wenn ich auf Nachfrage erklärte, warum wir nicht länger 50 und mehr Wochenstunden in der Agentur verbringen wollten, bekam ich regelmäßig zu hören: »Ist doch toll, wenn man es sich so einrichten kann.«

Nicole und ich waren uns von Anfang an einig, dass Mattis nicht in die Krippe gebracht werden sollte, sondern erst mit drei Jahren in den Kindergarten. Es gibt zwar Experten, die behaupten, dass es Kindern guttut, wenn sie schon als Kleinstkinder in der Gruppe Sozialverhalten lernen, aber ich bin nach wie vor skeptisch. Kinder von ein oder zwei Jahren gehören aus meiner Sicht in die Obhut von Mama und Papa. Meinetwegen auch noch in die von Oma und Opa. Diese ersten Lebensjahre sind absolut wichtig, wenn es um den Aufbau des Urvertrauens geht. Außerdem verliert man als Vater so viel, wenn man diese Phase nur bruchstückhaft miterlebt. Es ist eine anstrengende Zeit mit durchwachten Nächten und viel Geschrei. Aber es ist auch eine unglaublich spannende Zeit. Das eigene Kind beobachten zu können, es verstehen zu lernen, einfach für diesen kleinen Menschen da sein zu dürfen – es gibt nichts Schöneres. Ich weiß, dass viele Eltern Nicole und mich beneiden, weil wir es beruflich vergleichsweise leicht hatten, uns unsere Elternzeit so einzurichten, wie wir es wollten. Und mir ist auch klar, dass es andere Eltern viel schwerer haben. Wahrscheinlich werde ich deshalb gnatzig, wenn ich von Politikern höre, dass Eltern mehr für ihre Kinder da sein sollen. Sie haben ja recht, aber die Rahmenbedingungen erlauben es eben oft nicht.

Nicole pausierte nach Mattis’ Geburt für ein halbes Jahr. Danach stieg sie mit einer Dreiviertelstelle wieder ins Berufsleben ein. Bis dahin hatte sie Mattis abgestillt, so dass ich ihm die Flasche geben konnte. Ich übernahm die Morgenschicht, mittags löste mich Nicole ab, abends übernahm ich dann wieder bis Mitternacht, die Nachtschicht war dann zumeist Nicoles Sache. So wussten wir immer, wer gerade für Mattis verantwortlich war. Und wir schafften uns die notwendigen Freiräume zu Zeiten, in denen wir nicht verantwortlich waren. Wobei Eltern von Natur aus immer mit einem Ohr und einem Auge beim Kind sind. Aber zumindest schafften wir es auf diese Weise, unsere Arbeit wie geplant zu koordinieren – und wir bekamen beide mehr als eine Stunde Schlaf am Stück. Nicole am frühen Abend, ich nach Mitternacht. Dieses System bewährte sich derart gut, dass wir es nach Finyas Geburt unverändert wiederholten. Wobei wir bei beiden Kindern das Glück hatten, dass sie bereits früh durchschliefen. »Wir haben mit unseren Kleinen ganz schön Glück gehabt.« Diesen Satz sagten wir uns häufiger.

IRGENDWIE GEHT ALLES

Nach Maltes Geburt war die Arbeit erst einmal zweitrangig. Nach Absprache habe ich mich dort erst einmal für knapp drei Wochen ausgeklinkt. Und anschließend nahm irgendwie alles seinen Gang. Wirklich schlaflose Nächte hatte ich nicht – die stillende Mutter lieferte eine bravouröse Leistung ab. Und doch hatte ich oft genug die Möglichkeit, meinen Vaterpflichten nachzukommen. Wie könnte ich den Springbrunnen oder die leckeren Haufen beim Windelnwechseln vergessen? Mein Gott, war ich froh, dass wir uns für Laminat im Kinderzimmer entschieden hatten.

Mama Anja hat nicht nur bei Malte, sondern auch bei Hannah heldenhaften Einsatz gezeigt. Seit Mai 2008 geht sie selbst auch wieder (in Teilzeit) arbeiten. Dank Kindergarten und Großeltern funktioniert alles bestens. Der »Papa-Bring-Service« zum Kindergarten ist vor der Arbeit zum festen Ritual geworden – ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, per Pkw oder mit dem Schlitten!

Mario Meisberger, Glückstadt

Meine Angst vor dem flotten Dreier

Für erstaunlich viele Männer ist es noch immer ein Tabu-Thema: Sex in der Schwangerschaft. Einige verzichten sogar freiwillig ein Jahr und länger auf jede Art von intimer Zweisamkeit. Für Paare, die Sex bisher am liebsten im Dunkeln betrieben haben, können die neun Monate tatsächlich zu einer ernsten Bewährungsprobe werden – nicht nur, weil die Missionarsstellung in der Endphase ungeeignet ist. Zum Glück gibt es eine unendliche Vielzahl an Lernhilfen. Erotische Literatur boomt, und auch Werke, wie Mann (und Frau) während der Schwangerschaft auf ihre Kosten kommen, lassen sich in jeder Buchhandlung finden. Es gibt wunderbare Bildbände, in denen Stellungen vorgestellt werden, die beim gemeinsamen Ausprobieren nicht in einem Kraftakt enden, der eher an Zirkusakrobatik erinnert. Wobei gerade in der Schwangerschaft die alte Weisheit gilt: Lachen ausdrücklich erlaubt. Denn wer Neues wagt, der wird auch an Grenzen stoßen. Und die Grenzen im Bett sind oft wirklich komisch.