Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieses eBook: "4 Märchen: Der Königssohn + Hans ohne Bart + Die blinde Königstochter + Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Der Königssohn: Entstanden 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims "Trösteinsamkeit", dort aufgrund des frühen Endes der Zeitschrift aber nicht erschienen. Hans ohne Bart: Entstanden 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims "Trösteinsamkeit", dort aufgrund des frühen Endes der Zeitschrift aber nicht erschienen. Die blinde Königstochter: Entstanden 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims "Trösteinsamkeit", dort aufgrund des frühen Endes der Zeitschrift aber nicht erschienen. Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns: Entstanden 1844 bis 1848 in Zusammenarbeit mit der Tochter Gisela.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 268
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Es war einmal ein König, der hatte ein herrliches Land, und seine Burg stand auf einem hohen Berg, von wo aus er weit sehen konnte. Hinter der Burg waren schöne Gärten zu seiner Lust erbaut, die waren mit herrlichen Flüssen umgeben und mit dichten Wäldern, die ganz mit wilden Tieren erfüllt waren. Löwen, Tiger hatten ihre Wohnung da, wilde Katzen saßen auf den Bäumen, Füchse und Wölfe sprangen im Dickicht umher, weiße Bären und auch mit goldnem Fell schwammen oft paarweis über die Flüsse und kamen in des Königs Garten. Auf dem Gipfel der Bäume nisteten die Stoßadler, Geier und Falken. Es waren diese Wälder ein wahres Reich der Tiere, welches des Königs seines begrenzte, und war als ihr Eigentum angesehen. Der König aber nahm ein Weib, um ihrer Schönheit willen, und daß er Kinder bekomme. Da sie mit dem Segen ging, da freute sich das Volk, daß sie sollten einen Thronerben haben, und sie ehrten das Weib darum sehr hoch; die Zeit des Gebärens verstrich aber, ohne daß sie eines Kindes genesen wäre. Da ward der König traurig, weil er glaubte, sein Gemahl sei krank und müßte bald sterben, aber sie nahm Speis und Trank zu sich wie ein gesundes Weib. Aber sie ging sieben Jahr eines hohen Leibs. Der König ärgerte sich an ihrer Mißgestalt und glaubte, daß sie sich an Gott versündigt habe, weil er sie so hart strafe. Er ließ ihre Kammer von der seinigen trennen, und sie mußte in der hintern Seite der Burg wohnen. Hier trug sie langsam und traurig ihre schwere Bürde durch die einsamen Gärten und sah die wilden Tiere aus dem Wald an das jenseitige Ufer des Flusses kommen, um sich zu tränken. Wenn es dann um die Frühlingszeit war und es kamen die alten Leuen oder Tiger mit ihren Jungen und tränkten sie, da wünschte sie oft in schwerer Verzweiflung, auch ein reißendes Tier zu sein, im Walde ihre Nahrung mit wütigem Kampf dem Leben zu entreißen, wenn sie nur ihr Kindlein mocht ernähren. »Aber so«, sprach sie, »muß ich mit schwerem Tritt und schwerem Jammer hier durch die Gärten wandeln. Ich seh euch jährlich eurer Frucht genesen, und wie ihr eure Jungen in eurer wilden, unwirschen Natur erzieht; aber ich, die Fürstentochter, die Königin, soll keinen meines edlen Stammes erziehen, soll unglücklich sein und vor dem Könige, meinem Gemahl, verhaßt.«
Als sie einsmals auf einem einsamen Ort unter einer Palme saß, fühlte sie Schmerzen, und sie gebar einen Sohn, der gleichsam die Kräfte eines siebenjährigen Knaben zu haben schien, denn während er zur Welt kam, hatte sich eine wilde Bärin über den Fluß gewagt, und als er kaum frei war, jagte er dieser nach, er kriegte sie beim Fell, das Tier schwamm zurück und trug ihn mit sich in Wald. Da schrie die Königin mit gewaltiger Mutterstimme: »Mein Sohn, mein einzig geborner, ist in dem Wald und wird von den wilden Tieren gefressen!« Die Wachen des Königs kamen herbei und stürzten durch die Flüsse nach den Wäldern, mit Streitkolben, mit Pfeil und Bogen und wollten ihres Herrn Sohn wieder haben. Aber da die Tiere merkten, daß man mit Gewalt in ihr Gebiet einfalle, kamen sie aus den Wäldern an das Ufer, um sich zu wehren. Die Bären setzten sich aufrecht und streckten ihre Tatzen aus, die Leuen fletschten ihre Zähne und wedelten mit den Schweifen, die Tiger liefen auf und ab am Ufer mit feurigen Blicken, die Wölfe heulten, die Elefanten wühlten die Erde auf und stürzten Felsen ins Wasser, die Vögel flogen aus ihren Nestern, machten die Luft schwer und hielten ein greuliches Geschrei, also daß keiner der kühnen Ritter es wagte, ans Ufer zu steigen. Sie schwammen also zurück zur verlaßnen Königin, weil sie doch glaubten, der Königssohn sei verloren. Da sie aber zu ihr kamen, fanden sie, daß sie im Gebären war und noch sechs Kindlein zur Welt brachte, von welchen eins immer fröhlicher und stärker schien als das andere. Man trauerte daher nicht viel um den verlornen Sohn, sie wurde mit den sechs Säuglingen als eine glorreiche Mutter vor den König gebracht, der sie mit Ehrenbezeugung und Freuden aufnahm.
Da wuchsen die Kindlein, die Königin pflegte ihrer mit großer Geduld und gab ihnen Nahrung, aber wenn es Abend wurd, daß sie sie zur Ruhe gelegt hatte, da ging sie hinter die Burg auf den Fleck, wo sie gesessen und die Bärin ihr das Kind geholt. Sie lief am Wasser hin, ob sie ihren Sohn wohl möcht aus den Gebüschen locken, sie bekümmert sich auch im Herzen ganz wenig um die andern Kinder, denn allein um diesen, und konnte nicht glauben, daß er sei umgekommen; also wie ein Schäfer sich mehr bekümmert um das eine Lamm, welches verloren, denn um die ganze Herde und glaubt, daß dieses Lamm das beste und einzige war. Sie fürchtet sich auch nicht mehr vor den wilden Tieren, wenn sie die in der Nacht heulen hört, und wenn sich eins in dem Garten verläuft, da läuft sie ihm nach und fragt nach ihrem Kind; die wollen sie aber nicht verstehen. Da wird sie ungeduldig und verzweifelt, sie droht und bittet und kriegt die Bären beim Fell, sagt: »Ihr habt mir meinen Sohn gestohlen!« Die wollen sich aber nichts drum kümmern und tun nach ihrer Art, sie kennen die Frau an ihrem Ansehen und tun ihr nichts zuleid. Wenn sie dann wieder in die Burg kömmt, so wischt sie ihre Tränen ab und beugt ihr Gesicht auf die Kinder, die unruhig sein, und verbirgt so ihre Tränen und spricht: »Meine armen Kinder sein unruhig und frieren, ich muß sie wärmen und muß sie nähren, daß sie wieder ruhig werden«; also daß sie ihre Traurigkeit den ganzen Tag vor den Leuten verbirgt und ihr Gesicht nicht gegen das Tageslicht wendet, denn sie schämt sich, daß sie allein mehr Lieb zu dem verlornen Sohn spürt denn zu den andern. Doch erzieht sie dieselben mit großer Geduld und Weisheit am Tag; aber am Abend, wenn die Kinder schlafen, forscht sie ihrem Sohn nach. Da redet sie die großen Raubvögel an, die in den hohen Lüften schweben, herüber und hinüber fliegen, ihren Jungen Speis zu bringen, da spricht sie oft: »O ihr beflügelten Tier, wenn ich so wie ihr könnt in der Luft schweben und in die Gebüsch herunterblicken, meinen Sohn suchen! O, sagt mir doch, ob er noch lebet oder ob ihr ihn tot gesehen habt?« Wenn die Vögel nun unverständlich schreien in der Luft, so meinet sie etwas zu verstehn und streicht das Haupthaar zurück, um besser zu hören. Da glaubte sie oft, die Vögel rufen ihr zu, daß er noch lebe und bald zu ihr komme. Sie gibt sich Müh, das Geschrei auszulegen, sie redet auch selbst die Bienlein und summende Käfer an, die über dem Wasser schweben, die schwärmen um sie her, brummen und summen ein jedes nach seiner Art, fliegen dann wieder fort. – O arme Königin, es wird dir kein wildes, unverständiges Tier Rat geben, die wissen nicht, was Menschenklag ist. Denn die Menschen verfolgen sie und haben ganz keine Gemeinschaft mit ihnen, sie trachten ihnen nach dem Leben, um ihr Fell oder um ihr Fleisch zu essen, aber nie hat sich ein Mensch an sie gewendet, um Trost bei ihnen zu holen. Es hat aber manch edel Wild geklagt um die Freiheit, die ihm der Mensch listig geraubt hat, daß es hat müssen Sklavendienste tun, das es doch nicht schuldig war zu tun und auch keine Natur dazu hat und muß trocken Heu für seine Dienste fressen, da es doch hat können im Wald frisch Laub fressen, und muß um sein Maul lassen einen Zaum binden und sich mit einer Peitsche regieren lassen. Darum trauen sie auch dem Menschen nicht und gehen ihm aus dem Weg; wenn sie sich aber nicht zu helfen wissen, dann packen sie oft den Menschen an und zerreißen ihn auf eine greuliche Art, bloß um ihre Freiheit oder ihre Jungen zu erhalten.
Nun wurden aber die Kinder recht groß und auch zu aller Weisheit gut erzogen, sie hatten sehr einträchtige Gesinnungen und ließen sich in allem auf eine edle Weise an. Der König wußte nicht, welchem er die Kron sollt lassen, denn man konnt nicht sagen, welcher früher geboren war, oder daß einer weniger tauglich sei zum Herrschen. Ließ er sie in Spielen um den Preis werben, so kam es oft, daß alle den gleichen Preis gewannen oder daß ein jeder in einer besonderen Art vorzüglich war. Der König konnt auch keinen mehr lieben, denn es war ein jeder schön, und ihr Wesen war zu vergleichen mit dem Hals eines edlen Federspiels, wenn es in der Sonne steht: dreht es sich so, da spiegelt sich die rote oder grüne Farbe am herrlichsten, dreht es sich wieder anders, so strahlt wieder eine andre, oder geht es auf und ab und bewegt die Flügel, so wechseln die Farben schnell wie der Blitz, eine so schön wie die andre, man weiß nicht, welche am schönsten; oder auch waren sie wie der Regenbogen, wo alle Farben schön vereint stehen und sich über den weiten Himmel spannen, daß eine immer aus der andern hervorgeht. Der König aber hatte nicht das Recht, sein Land zu teilen oder ihm mehr denn einen Herrn zu geben; er ließ daher eine Krone machen aus lauterem Gold, die die Häupter seiner sechs Kinder umfaßte, und er sagte ihnen: »Solang euer Sinn so rein bleibt wie dies Gold, und daß ihr so einig seid, daß ihr eure Häupter all mögt in diesen Ring fassen und euch liebend küssen, so mag ich wohl sagen: mein Land hat nur einen Herrn, und obwohl viele Leiber, hat es doch nur einen Geist.«
Da ließ er ein großes Fest bereiten, an welchem das Volk sollt die neuen Könige sehen. Es versammelten sich alle Edle am Hof; da war unter freiem Himmel ein großer Thron von Gold, darauf saßen die Königssöhne, und setzte ihnen der König die Kron auf die Häupter. Die stille, einsame Mutter war in vollem Schmuck und Pracht, mit goldnen Schleiern und Mänteln angetan, und es war ein Jauchzen zu ihr; man nennt sie die glorreich Mutter und spielt ihr vor auf allen Instrumenten eine herrliche Musik zu ihrem Lob; sie aber verbirgt ihr Angesicht hinter den Schleier und weint bittere Tränen um ihr verlornes Kind. Da steigen die Söhne herab von ihren Sitzen, fallen auf ihre Knie und begehren der Mutter Segen. Da steht sie auf und erteilt mit ihrer rechten Hand den Segen ihren Kindern, die linke Hand hält sie aber aufs Herz und gedenkt ihres Sohnes.
Die wilden Tiere hatten das Frohlocken gehört durch das ganze Land und waren unruhig geworden, sie schwammen über die Flüß zu großen Scharen. Da brachten die Wachen die greuliche Botschaft, alles floh in seine Wohnung, die Mutter nur wollt nicht weg, denn sie hatte keine Furcht. Die Söhne wollten ihre Mutter nicht verlassen, da sie auf ihr Flehen nicht weichen wollte, um sie zu beschützen. Die Schar der Tiere kam heran, und mitten unter ihnen ein schönes Antlitz, das aufrecht zum Himmel blickt, und schien ein Mensch zu sein, nur daß er schöner und edler war; er reitet auf der Leuen und Tiger Rücken, er springt anmutig von einem zum andern. Da das die Mutter sieht, so spricht sie: »Es ist mein Sohn«, und geht mit mutigem Wesen ihm entgegen, sie legt sich an seine Brust und sie spürt einen Felsstein sich von ihrem Herzen wälzen. Die Tiere kennen die Frau an ihrem Ansehn und tun ihr nichts zuleid, der Jüngling hatt’ aber keine menschliche Sprach, er konnte nur seinen Willen durch Zeichen kundtun. Daher nimmt er die Kron und dreht sie siebenfach um sein Haupt, auch riß er mit seiner starken Hand einen Ölbaum aus dem Erdboden und gab den sechs Brüdern einem jeden einen Zweig, sich selbst behielt er den Stamm, welches heißen soll: »Ich bin der Herr! Aber ihr sollt in Frieden mit mir leben.« Und er ward ein König über Tiere und Menschen im Geist, sonder Sprache.
Es war eine arme Frau, die hatt’ einen Sohn, den konnte sie wegen ihrer Armut nicht mit Speis ernähren, mußt ihm also die Brust reichen, bis er sieben Jahr alt war. Da sagt sie ihm: »Geh hinaus in den Wald und rüttel einen Baum; wenn du ihn kannst ausreißen, so mußt du fort in die Welt, denn ich bin arm und kann dir nichts zu essen geben.« Der Sohn ging in Wald und wollt einen Baum rütteln, konnt aber nicht, ging daher wieder heim und sagt seiner Mutter: »Ich kann den Baum nicht rütteln.« Da reicht ihm die Mutter wieder ihre Brust, bis sieben Jahr um waren, und schickt ihn wieder in Wald und sagt: »Nehm den Baum bei seinen Ästen und schüttel recht mit Gewalt; wenn du den Baum kannst ausreißen, so mach dich fort und bring dein Leben durch, denn ich bin arm und kann dich nicht ernähren.« Da geht der Sohn in Wald, wie ihm die Mutter gesagt hat, kommt auch wieder heim und schleppt einen großen Ast mit sich und sagt: »Mutter, ich kann den Baum nicht umreißen, aber wohl einen Ast, den hab ich abgerissen.« Da gibt ihm die Frau wieder zu trinken, bis sieben Jahr um waren, und schickt ihn in Wald, er soll sehen, ob er einen Baum kann ausreißen, und soll weitergehen in die Welt, sein Brot verdienen. »Pack ihn bei der Wurzel und zieh recht kräftig«, sagt sie ihm. Der Sohn tut, wie ihm die Mutter gesagt hat, und reißt einen starken Baum mit seiner Wurzel aus der Erde; da geht er nun weiter und kommt nimmer heim.
In demselben Wald war eine Mühl, da war’s nicht sicher, also daß kein Mühlknecht da bleiben wollt, und die blieben, die sind umkommen. Der Hans find’t dieselbe Mühl, darin war eine Wittfrau, denn ihr Mann war auch umkommen; zu dieser Frau spricht er, daß er will Mühlknecht bei ihr werden, ohne Lohn, nur für das Essen. Darüber war die Frau recht froh und sagt Ja, aber der Hans will nicht anders, als daß ihm die Frau verspricht, daß keiner von beiden darf dem andern den Dienst aufsagen, und welcher ihn zuerst aufsagt, den darf der andre schlagen, so viel er Lust hat. Das war die Frau zufrieden, denn sie meint, er würd leichtlich fort wollen, wenn er die Gespenster merkt. Sie kocht ihm auch gleich eine Suppe zu essen, der Hans schütt’ aber die Suppe ins Feuer und sagt, er wollt sich selber eine kochen, stellt sich ein groß Butt mit Wasser auf den Herd, holte sich alles Brot, was da ist, und brockt’s hinein, und da es gar war, holt er sich den Fleischharken statt einem Löffel und frißt’s all hinein. Der Frau stehn die Haar zu Berg, wie sie das sieht, und hat gar Angst, er würd sie arm fressen, wenn er beim Leben blieb. Sie schickt ihn daher abends in die Mühl, er sollte mahlen, und hoffte, die Gespenster würden ihn umbringen.
Als es gegen Mitternacht war, so kommen drei Irrwisch in die Mühl und wollen ihn erwürgen. Da erwischt er eins und wirft es unter den Mühlstein und mahlt ihm die Nas ab und ein Stück vom Bauch und schickt es wieder heim. Als es nun Morgen war, da verwundert sich die Müllerin, daß er noch lebt, sie schickt in am Abend wieder in die Mühl und meint, er soll umkommen. Da es aber Mitternacht war und die Irrwisch kamen, da erwischt er zwei und wirft sie unter den Mühlstein, mahlt dem einen den Schenkel ab und dem andern den Backen. Am Morgen sagt er zur Müllerin: »Habt Ihr nichts mehr zu tun? Ich hab das Korn all gemahlen.« Die Frau schickt ihn in den Wald, weil es Holztag ist, er solle Holz holen. Da spannt er die vier schöne Hengst von der Frau an den Wagen und fährt in Wald. Er war aber der erst im Weg, so daß die andern Bauern mußten warten. Er gab sich auch kein Müh, die Bäume abzuhauen, sondern reißt sie mitsamt der Wurzel aus. Der Wagen war aber zu schwer, die Pferd konnten ihn nicht ziehen, er schlug eins nach dem andern tot und warf es auf den Wagen zum Holz. Wie er sie all totgeschlagen hatte, ging er hinter den Wagen und macht einen großen Berg, da konnten die Bauern nicht durch und konnten kein Holz holen, er zog aber seinen Wagen allein nach Haus. Da ihn die Frau kommen sah mit den vier toten Hengsten, fürcht sie sich und machte ihr Tor zu, er warf aber den Wagen über die Mauer mit den Bäumen und den Pferden und schmiß ihr das Haus ein. Da hat die Müllerin Angst und schickt ihn in eine Höhle, wo sie wußte, daß der Teufel war, er soll ihr da ein Kraut holen; – nun weiß es die Frau Lehnhart nicht weiter, sie meint, es endigt sich mit einer Schatzgräbergeschichte, daß der Teufel ihm viel Geld gibt, und er geht damit zur Frau Müllerin und entschädigt sie für seine Unarten. Mir gefällt am besten, daß er die Irrwische immer erwischt.
Ein König hatte eine sehr schöne, aber blinde Tochter. Er hatte sein Schloß in den vogesischen Gebirgen, die Ruine steht noch, aber den Namen des Königs wie den der Tochter hab ich vergessen. In diese verliebte sich ein Page, eines großen Fürsten Sohn. Da er nun aufgewachsen war, so mußte er zu seinem Vater zurück und mit ihm in den Krieg ziehen. Ehe er Abschied nimmt, gesteht er der jungen Prinzessin seine Liebe. Da er nun schon eine Weile weg war, hörte der König von einem Einsiedler, den man den heiligen Bruder nennt, und welcher schon viele Wunder durch sein Gebet bewirkt hat. Er gedenkt, daß dieser wohl auch seiner geliebten Tochter helfen könne, er ließ also alles zur Reise bereiten und suchte den Einsiedler im Walde auf. Der Einsiedler war in selbiger Nacht im Gebet begriffen, da er einen fernen Lärmen hörte; er weckte seinen Waldbruder auf, und beteten beide fleißig in freier Nacht im Mondenschein. Da aber der Lärm immer näher kam, so versteckten sie sich in die Hütten und beteten fleißig. Nun kam der König mit vielem Gefolg und Lichtern vor die Tür des Einsiedlers. Dieser meint, es sei der Teufel, und wollt ihn nicht einlassen, bis er ihn seine Sünden beichten gehört und ihm den Ablaß erteilt und der König ihm auch versprochen, sich der Welt Freuden zu enthalten. Da er ihm nun sein Anliegen gesagt hatte, so verharrte der heilige Bruder in stetem Gebet, bis der erste Sonnenstrahl hervorbrach. Da legte er der Königstochter die Hände auf das Haupt, und sie ward wieder sehend. Beinah zu gleicher Zeit kam ihr Geliebter wieder aus dem Feld zurück und zog durch den selbigen Wald. Die Prinzessin ging hin, um den Zug zu sehen; sie kannte aber ihren Geliebten, der auf einem schönen weißen Pferd ritt, mit vielen Zeichen des Siegs umgeben, und dem alles zujauchzte, nicht. Da er sie aber sieht, erschreckt ihn die Freude so gewaltig, daß er tot vom Pferd sinkt. Sie ward eine Klosterfrau oder Einsiedlerin.
Es war einmal ein altes Schloß, umfaßt von hohen Bergen, das selber auf einem hohen Berg lag, etwas niederer als die ihn umgebenden. Wie ein Ring umschloß das Tal den Berg, und in einem Ring umschlossen die dunklen felseckigen Berge das Tal. Aus ihren Moosrinden wuchs hie und da spärliches Binsengras hervor; unten im Tale lief hie und da ein Bächlein durchs Grün an hie und dort einem Gebüsch vorüber, die Wurzeln spülend. Oben im Gezweig guckten junge Vogelköpfchen aus den Halm-und Mutterfederflaum-Nestchen dem harmlosen Dahinrollen unten zu, und war der Bach artig, so erzählte er ihnen leise Märchen, und sie taten zuweilen einen Piep des Wohlgefallens dazwischen; kurz, es war ein schönes Leben in dem Gebüsch. – Bald flog eins in den Lüften oder sang lieblich; sie hatten sich hier ungestört und häuslich zufrieden niedergelassen. Es war ein Ausweg aus dem Tal, der ganz überbaut war von Felsen; manchmal sah man in Mitten der Berge in den Eingang einer engen dunklen Höhle, und an verschiednen Orten stürzten kleine Gießbäche heraus, grade hinab ins Tal, brausten dort heftig auf und verloren sich leise murmelnd. Die Grundmauern des Schlosses bauten sich dicht am Rande der Felskuppe schräg in die Höhe, in kahlen Wänden, zuweilen durch ein Fensterloch unterbrochen mit alten Eisenstäben verwahrt, mehr für Ratten als für ein Menschengesicht. So erschienen die Wände auch belebt, wenn in schönen Abendstunden die Welt hochrot gefärbt war und die dunkeln Berge von mattem Rosenschimmer bestrahlt; da regte sich die ganze Burg. Es war ein Getümmel von Begraurockten; da balanzierten die jungen Ratten auf der schrägen Wand, da kam eine Rattenmutter mit sieben Jungen, die sollten die Abendluft genießen, dort ein dicker Rattenklausner oder gar ein vielköpfiger Rattenkönig; bis zuletzt ein graues Gewimmel die alten Mauern deckte. Dann sah es wohl von weitem aus, wenn sich die Abendsonne in einem Schloßfenster spiegelte, als leuchte sie den alten Steinen – denn dafür hielt man die Ratten in der Ferne – zum Abendtanz, und man hatte Angst, sie würden einmal ganz davon laufen und den Besitzer ohne Besitz lassen. Es waren auch Türme an den Ecken, aber zerfallen, außer einem, der noch zierlich an das alte Nest geklebt war; aber aus den gotischen Rosen und Linien der Verzierungen wuchs Gras und Moos.
Dies war das Schloß von einem alten Grafen Rattenzuhausbeiuns, der mit einem Töchterchen dort wohnte. Ein schmaler Steg, wie man ihn sonst über die Bächlein legt, führte von einem vorragenden Fels aus, grade über den Talabgrund, vor die kleine Holztür des Schlosses, der ein Holunderbaum mit seinen Blüten zur Seite nickte. Der Wurm hatte viele Löcher hinein gebohrt, und die Spinnen viele Decken darüber gewebt. – Heute tönte schon das fleißige Rädchen Grittas herab, wie es schnurrte. Es kam ein Steingang, spitz und dunkel zugewölbt, mit verschiednen Löchern für Ratten und Mäuse; dann ein gewundnes Treppchen hinauf. Hier saß die kleine Hochgräfin Gritta, der emsig das Rädchen den feinen Faden aus den Fingern zog, während sie träumerisch zuschaute, und hier war am Ende des Ganges eins der drei Fenster des Schlosses zu finden, das rund und halb voll grüner Scheiben, halb mit dem halben Leibe des Ritters St. Georg, im blauen und roten Gewand, und dem des Drachen gefüllt war; auf dem Fenster stand ein Krügelchen mit Nelkenschößlingen, und die Sonne fiel durch den blau und roten St. Georg auf den hochgräflichen Goldblondkopf und spielte in wundermilden Farbentönen auf dem Steinboden, ihn erwärmend, obwohl es noch ziemlich kalt im Gang war.
Es war eine zerfallne Tür, aus der jetzt der alte Mann Müffert, der Diener des Grafen, mit einer dampfenden Schüssel Hirse in Händen, auf das Kind blickte: »Ein Blümchen das blüht, ein Herz das so gut ist! – Soll sie wie ihre arme Mutter hinter diesen Mauern verblühen? – Wenn der Graf noch so lange an seiner Maschine baut! – Was jung ist, braucht Junges, um mit ihm zusammen zu sein.« Dies war das halblaute Selbstgespräch Müfferts; er sah sich scheu um, als fürchte er, gehört zu werden, dann fuhr er lauter fort: »Da lauf, Kind, und trag schnell die Schüssel dem Vater hin!« – »Schon jetzt?« – fragte die kleine Hochgräfin langsam, aus den altdeutschen grauen Ritteraugen mit schwarzen Wimpern einen ziemlich hasenmäßigen Blick durch die von der Sonne durchschimmerte Dampfwolke der Hirse zu Müffert sendend. »Ei, ich wollt auch, es wären noch vierundzwanzig Stunden davon und blieben es ewig, denn heut muß ich dran.« Somit nahm die kleine Hochgräfin den Napf in Empfang; wer diesen genauer ansah, erkannte darin den Schild eines erprobten Rittersmanns; eine halb verrostete Rose zeigte noch Kampfspuren. Hätte der kühne Ritter je gedacht, daß sein Schild später zu so entsetzlichem Dienst gebraucht werde? – Sie ging langsam und leisen Schrittes einen Gang hinein, einen hinaus, bis sie sich einem brummenden Hämmern und Bohren immer mehr näherte; nun trat sie vor eine wunderliche, in Eichenholz mit kleinen Drachen und Gesichtsmasken geschnirkelte Tür. – Sie faßte sich ein Herz und zog an der schweren eisernen Klinke. Es öffnete sich die Stube, in der das zweite und vorletzte Glasfenster des Schlosses war; da hingen Hammer und Zangen und Zängchen und tausenderlei wunderliche Werkzeuge, teils an der grauen Wand, teils an langen Bindfäden von der Decke ins Zimmer herab; alte Folianten, altes Uhrwerk und Gerümpel, von Spinnwebe überzogen, vom Holzwurm zernagt, lag an der Wand entlang. Das Hauptstück war ein weißseidner Bettschirm, mit dem Paradies darauf gestickt in greller Seide; die Äpfel lachten recht daraus hervor. Der Hochgraf hatte sie zum Ziel seiner Bolzen gemacht, und Adam und Eva waren dabei in höchst invaliden Zustand geraten. Der Graf, in Schweiß, heftigen Zorn im Gesicht, mit einem Instrument in der Hand, stieß es hie und da in eine sonderbare, fast wie ein alter Großvaterstuhl aussehende Maschine, die davon sich dehnend zu bewegen und zu krümmen schien, bis zuletzt das Sitzkissen emporsprang – sprang, sprang und wieder sprang, wobei der Graf allemal ein sehr zufriedenes Gesicht machte. Er war einen Seitenblick auf die kleine Hochgräfin: »Kommt Müffert bald?« – »Vater, ich setze Euch hier das Essen auf den Stuhl hin.« – Sie setzte den Napf auf den einzigen im Zimmer befindlichen Stuhl und holte einen alten Krug aus der Ecke, den sie dazu setzte. »Und«, fuhr sie nachdem fort, »dürft’ ich nicht heute für den alten Müffert springen? – – Ich bin so leicht«, sagte sie, sich furchtsam ihm und der Maschine nähernd. – »Nichts da!« sagte der alte Graf zornig, indem er die Augenbrauen bis zur Spitze seiner Nase herabzog. »Nichts da, Müffert springen! – Nichts da! dummes Zeug!« – Es traf sie sein zorniger Blick. – »Dummes Zeug!« – Sie flog zur Tür hinaus.
Der Graf hatte das Maschinenwerkwesen, als er jung war, nicht aus Lust erlernt, aber es war eine alte Sitte in der Familie. Er hatte nämlich einen Ururururgroßvater, der, weil er viermal Ur war, das Uhr-und Maschinenwerk von Grund aus verstand; er wurde wegen einer Maschine, mit welcher er Peter dem Vorersten einen Leibschaden heilte, zum Grafen zu Rattenweg ernannt, welche Familie damals vom Hofkammerjäger verjagt und ihres Standes oder ihrer Löcher entsetzt war wegen eines majestätsverbrecherischen Komplotts oder vielmehr Zuckerfressereiversammlung; als diese aber nach dem Aussterben der Familie vom Hofkammerjäger sich wieder häuslich eingenistet hatte, blieb dem Grafen, der von einer Belehrungsreise, zum Beherrschen vieler Untertanen, die er vor seiner Abreise noch gehabt hatte, zurückgekehrt war, nichts übrig als das alte Schloß, belastet mit vielen Ansprüchen, welche die ausgebreitete Rattenfamilie dort geltend machte, und darum nannte er sich Graf zu Rattenzuhausbeiuns. Hier fällt ein Schleier über seine öffentliche Geschichte. Er verheiratete sich mit einer jungen Gräfin Mauseöhrchen, wohnte mit ihr auf dem alten Schloß, und mit Leidenschaft trieb er dort bei verschlossenen Türen etwas, wovon selbst sein alter treuer Diener nichts wußte, denn es waren nur Bücher und Werkzeuge darin; bis eines Morgens Müffert vor der Türe erschien und meldete, der Hirsevorrat, von dem sie bisher gelebt hätten, sei alle geworden. Der Graf machte jetzt aus der Not eine Tugend und arbeitete fleißig an einer Haferschneidemaschine für einen reichen Bauern, der ihm den Bedarf an Erhaltungshirse darauf vorstreckte; er legte große Ehre mit dieser Maschine ein.
Um diese Zeit schrieb Seine Majestät der König an verschiedene Maschinenwesengesellschaften seines Reiches, sie möchten eine Rettungsmaschine anfertigen lassen, und wem es gelänge, dem werde der Maschinenwerkmäßigorden erster Klasse mit Eichenlaub erteilt. Der Graf hatte davon Nachricht erhalten und arbeitete viele Zeit, bis auf diese Stunde daran. Es hatte indes keiner vor ihm dies Kunstwerk zu Stande gebracht, und der Monarch zitterte noch auf seinem Thron. Während dieser Zeit war ihm ein Kind geboren, sein Weib gestorben, Gedanken gekommen und wieder gegangen, während der Winterwind um das alte Schloß tobte, und der Frühling knospete, und der Herbst seine Laubblätter abstreifte; während der Schnee die Türmchen und Zinnen des Schlosses schön verzierte, und die kleine Gritta das verfrorne Näschen nur selten aus der Fensterluke steckte. Er hatte sich nach einer durchforschten Nacht oft am frühen Morgen aus tief mystischen Büchern einen Gedanken ausgegraben und ihn den Tag bei seiner Maschine mit durchgearbeitet. Deswegen sei er wohl klüger wie andere Leute, meinte Müffert. –
Eben erschien Müffert mit einem kläglichen Gesicht; er hatte nun schon ein Jahr lang, einen Tag um den andern mit Gritta in der Rettungsmaschine Springversuche machen müssen. Sie war ein leichts Ding und flog so, daß sie gewöhnlich bloß mit vielen blauen Flecken und aufgestoßnem Ellbogen am Kümmeleckchen davon kam; aber Müffert erwartete jedesmal seinen Tod von der Rettungsmaschine, weil er jedesmal hart fiel beim Fliegen. – Jeden Tag wurde die Rettungsmaschine etwas höher geschraubt; sie bestand nämlich darin, daß sie einen im Augenblick der Gefahr von der gefährlichen Stelle durch einen leisen Druck wegschleuderte. Der Graf laborierte seit einem Jahr daran, daß die Maschine bei diesem Wegschleudern einem nicht wehe tue; dies sollte durch den wohlberechneten Bogenschwung bewerkstelligt werden. Alles was in die Nähe des gestrengen Herrn kam, mußte springen, Mensch und Tier. – Es stellte sich der Graf in einiger Entfernung; heute war die Maschine höher als je gespannt. Müffert setzte sich auf den Sessel, nahm Mut, wenn er welchen fand, drückte und sauste durch die Lüfte hoch – und blieb an einem weit aus der Wand ragenden Stock hängen, der, schön ausgeschnitzt und mit eingelegten Messingfiguren verziert, wahrscheinlich früher zum Halter einer Ampel gedient hatte. Jetzt hing ein langer Faden mit Fliegenleim daran herab, und Müffert hing in Gesellschaft der Summenden und Brummenden, ängstlich in die Tiefe schauend, über die er sonst in einem Bogen weg flog; aber jetzt war er in höchster Höhe hängen geblieben; so schwang er sich rittlings auf den Ampelhalter. Der Graf sah mit großen Augen zu, war zornig, und rief »Kuno Gebhardt Müffert, Du gleichst schier einem Lämplein, daß Du so hängen bleibst.« –»Jetzt komm einmal, Kleine, Du bist von meinem Fleisch und Blut, spring ordentlich!« – Der Graf hob die kleine Gritta auf die Maschine: »Da«, sagte er, »ich will sie auch ein wenig niederer schrauben.« – »Vater«, rief Gritta, »sie ist doch heute so hoch.« – »Ach was«, sagte der Graf und brummte; fix griff die kleine Gritta zu dem Knopf, drückte und sprang; aber es ward ihr so angst, des armen Müffert Beine schwebten dicht über ihr, sie griff zu und blieb aus dem Schwung gebracht daran hängen. »Oh«, schrie der Vater zornig, »war das mein Bein, was da hängen bleibt, mein Bein und Fleisch?« – Während dieser Worte hatte Müffert die zitternde Gritta zu sich aufgehoben und setzte sie nun in ein kleines Mauernischchen neben an, zu einem uralten zerbrochenen Muttergottesbild. Da saß sie, – unten der erzürnte Vater; grad herab konnte sie nicht springen, ohne Hals und Beine zu brechen; das sah er ein. – Zürnend setzte er sich zur Hirse: – »Und wenn Du herunterkommst«, fuhr er fort, »so schmeckst Du die Rute, so viel Reiser werden doch wohl am hochgräflichen Rutenstammbaum draußen wachsen, um einer kleinen mutlosen Dirne das Blut etwas schneller zum Hasenherzen zu treiben.« – Ein Löffel Brei nach dem andern verschwand hinter den zürnenden Lippen des Grafen, indem er sich noch bedachte, wie er sie wieder herab kriegen solle. Nachdem die Hirse alle war, entfernte sich der Graf, einen Balken oder sonst etwas zu finden, um eine Leiter daraus zu machen. Ach, Müffert wußte wohl, daß im vorigen Winter alles, was sich nur von solchen Dingen im Schloß vorfand, wegen der großen Kälte, verbrannt worden war.