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Mein Buch: Elbrus - Berg meiner Träume beschreibt meinen langen Weg auf den höchsten Berg Europas. Die Besteigung ist mir nicht in den Schoß gefallen. 2010 und 2012 waren meine beiden ersten Anläufe aufgrund meiner Unerfahrenheit gescheitert. Das Buch möchte beschreiben, wie ich aus meinen Fehlern gelernt habe, um mein großes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Das alles war für mich ein großes Abenteuer, zumal ich noch nie einen 5.000er bestiegen habe. Mein Buch wendet sich aber nicht nur an den begeisterten Bergsteiger. Da ich weiß, dass mein Reisebericht viel lebendiger wird, wenn es auch etwas zu schauen gibt habe ich mit Fotos nicht gegeizt. Sie sollen über eventuelle Unzulänglichkeiten meines Erzählens hinweghelfen. Für den ambitionierten Neuling habe ich im Anhang noch einige Fakten aufgenommen: So die GPS-Daten unseres Aufstieges, den Inhalt meiner Reiseapotheke, sowie meine Ausrüstungsliste. Diese Informationen sollen helfen, wenn ich mit meinem Bericht auch andere dafür begeistern kann, meinen Spuren zu folgen. Ich wünsche allen meinen Lesern viel Vergnügen.
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Seitenzahl: 113
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Für meine Kinder
Frank, Mario und Nadja
Für meine Eltern
Gerhard und Renate
Für meine geliebte Omi
Der wichtigste Gedanke auf dem Gipfel gilt dem Weg nach unten.
Ich hoffe, weiterhin fähig zu bleiben, immer wieder neue Träume zu finden.
Reinhold Messner
Text:
F. Bergmann
Bilder:
H. Hurtig/A. Savejko/F. Bergmann
GPS-Daten:
J. Franz
Lektorat:
S. Hödt/J. Weber
Übersetzung:
F. Harzdorf
Prolog Berlin, Deutschland, Winter 2006
Asau, Karbadino-Balkarische Republik, September 2008
Zwischen Prijut 11 und dem Pastuchow-Felsen, Karbadino-Balkarien, August 2010
Pastuchow-Felsen, Karbadino-Balkarien, Juni 2012
Flughafen Berlin-Schönefeld, Deutschland, Juli 2015
Moskau - Mineralnije Wody, 04.07.2015 - 9.500 Meter
Irik-Tschat Wasserfall, 05.07.2015 - 2.320 Meter
Cheget Pik, 06.07.2015 - 3.280 Meter
Yusengi Tal, 07.07.2015 - 2.450 Meter
Asau - Gletscher, 08.07.2015 - 3.350 Meter
Pik Felsentiger, 09.07.2015 - 3.355 Meter
Cheget Pik, 10.07.2015 - 3.050 Meter
Elbrus Basislager, 11.07.2015 - s 3.900 Meter
Pastuchow-Felsen, 12.07.2015 - 4.580 Meter
Prijut 11, 13.07.2015-4.100 Meter
Elbrus Westgipfel, 14.07.2015 - 5.642 Meter
Warten auf die Raupe, 15.07.2015 - 4.100 Meter
Terskol, 16.07.2015 - 2.370 Meter
Pjatigorsk, 17.07.2015 -1.001 Meter
, 18.07.2015 -9.500 Meter
Epilog
Vorschlag für einen europäischen Gipfel auf dem Gipfel
Tourendaten
Meine Ausrüstungsliste: Erfahrungsstand 2015
Reiseapotheke (Vorschlag Höhenmediziner)
Übersetzungen
Quellennachweis:
Seit Tagen schneit es wie verrückt in Berlin. Bei seinem morgendlichen Rundgang durch den Garten verschwindet Kater Felix bis zu den Ohren im Schnee. Gut, dass sein Fell schwarz wie die Nacht ist, er wäre sonst unrettbar verloren. Ich sitze mit Elke im gut geheizten Wohnzimmer. Bei einem Glas Rotwein schwelgen wir in Erinnerungen an unsere diesjährige große Sommerreise. Mit dem Auto bereisten wir die Ukraine und die Halbinsel Krim. Auf dem Weg von Berlin, durch die Slowakei mit Stationen in Kiew und Charkow, in das Örtchen Samota hatten wir viele aufregende und wunderbare Erlebnisse.
Einem gastfreundlichen Ukrainer verdankten wir es, in Kiew nicht unter eine Dneprbrücke schlafen zu müssen. Als wir an einer Tankstelle ziemlich ratlos auf dem Stadtplan unser Hotel suchten, fragte er, ob er helfen könne. Mein Russisch reichte gerade so, um ihm zu erklären, dass wir das Hotel "Aida" suchen, ob er wüsste, wo dieses sei?
Na klar, das kenne er, kein Problem. Er würde voraus fahren. Auf seine Frage: "schnell oder langsam?", antwortete ich unvorsichtigerweise mit "schnell". Was dann dazu führte, dass wir sehr schnell mit 120 Km/h durch das nächtliche Kiew rasten. Einzelne, Rot zeigende Ampeln, waren da eher hin-derlich und wurden einfach ignoriert. Nach nur 20 Minuten, dafür um Jahre gealtert, erreichten wir schweißgebadet das Hotel "Aida" im Zentrum von Kiew. Unser neuer Freund schüttelte uns die Hände, wünschte eine schöne Zeit und weg war er.
Am nächsten Tag ging es auf der Fahrt von Kiew nach Odessa schnurgerade gen Süden. Nachdem die Straßenverhältnisse vor Kiew eher schwierig waren, freuten wir uns über die neue "Autobahn". Was wir aber nicht wussten, trotz durch-gehender Leitplanken rechts und links und zwei Spuren je Richtung: das war keine Autobahn, sondern "nur" eine normale Landstraße mit diversen Ortsdurchfahrten.
Nachdem uns die Miliz drei Mal um einen kleinen Obolus wegen Tempo 90 (60 km/h sind erlaubt) in der Ortschaft bat, hatten wir es dann endlich verstanden.
Nun etwas langsamer unterwegs, gönnten wir uns auch einen Blick auf die endlosen Felder rechts und links der Straße. Einer Militärparade gleich reckten Millionen von Sonnenblumen ihre Blütenteller der Sonne entgegen.
In Jalta fühlten wir uns wie in Saint-Tropez und beim Besuch auf dem Ai-Petri, einem der höchsten Berge des Krimgebirges, lernten wir das Volk der Krimtataren kennen.
Zurück in Deutschland reifte an diesem Winterabend nach dem dritten Glas Rotwein ein Plan für unseren nächsten großen Urlaub. Diesmal wollen wir Russland mit dem Auto bereisen.
Beide sind wir Russlandfreunde, lieben Sprache, Land und Leute. Dabei bin ich ein besonders „hoffnungsloser Fall“. Als sogenannter "Putinversteher" trage ich "Russia-T-Shirts“, trinke Russki Standard-Wodka und besuche - bin ich in Moskau -jedes Mal Wladimir Iljitsch in seinem Mausoleum.
Am Grab des unbekannten Soldaten im Alexandergarten habe ich 2005 Blumen niedergelegt und sollte tatsächlich mal ein Russe vor meiner Tür stehen, dann bitte ich ihn zu Speis und Trank, anstatt den NATO Bündnisfall ausrufen zu lassen.
Ein paar Abende später haben wir uns auf eine ungefähre Route für die Reise geeinigt. Es soll von Berlin über Kiew nach Donezk gehen. In Tschai Dragli, südlich von Donezk, wollen wir das Grab meines Großvaters besuchen, der 1942 in einem deutschen Lazarett starb. Über Mariupol werden wir nach Rostow fahren und im Don baden. Irgendwo hatten wir mal gelesen: "Willst Du Glück im Leben haben, so musst Du in allen großen russischen Flüssen geschwommen sein!"
Also waren wir 2006 in Kiew im Dnjepr schwimmen und 2005 in der Moskwa. Fehlt also in unserer Sammlung noch Väterchen Don und die Wolga.
Ich möchte Elke gern Sotchi und den Kaukasus zeigen. Vor mehr als 30 Jahren war ich dort schon einmal im Urlaub. Mit dem FDJ-Reisebüro „Jungendtourist“ habe ich den Riza-See und die Badeorte Suchumi und Gagra an der Schwarzmeerküste bereist. Heute, im Jahr 2006, liegen diese Sehenswürdigkeiten in der von Georgien abtrünnigen Region Abchasien und sind für uns "Wessis" unerreichbar.
Wolgograd, Samara und Kasan wollen wir kennenlernen und natürlich steht Moskau auf dem Routenplan, ehe wir über Minsk dann wieder Richtung Heimat rollen. Rund 10.000 km könnten es schon werden. Bei der Planung der Route von
Rostow nach Sotchi fällt mir im Internet ein Artikel zum Elbrus ins Auge. Bilder zeigen einen grandiosen Blick aus rund 4.000 Metern hinab in das Baksantal. Im Artikel wird berichtet, dass man am höchsten Berg Europas mit dem Lift bis auf den Gletscher fahren kann.
Spontan beschließen wie eine Änderung unserer Route. Von Rostow geht es nun nicht direkt nach Sotchi, sondern vorher zum Elbrus.
Losung des Jahres 2006:
Es ist der 4. September 2008 und tatsächlich stehen wir am Fuße des Elbrus. Unser persönlicher Hotelbusfahrer macht sich völlig verstört auf den Rückweg, nachdem Elke ihren Beschluss verkündete: "Wir laufen das Stück (13 km die Straße runter) zum Hotel zurück!“
Wenige Tage nach dem Ende des Georgienkrieges hatten wir Mühe vorab im Internet hier im Baksantal eine Unterkunft zu buchen. Aber für „nur“ 250,- Euro die Nacht fand sich im Dorf Elbrus dann doch noch eine Bleibe für uns.
Als die einzigen Gäste in diesem großen Hotel steht uns eine Armada von Personal zur persönlichen Verfügung. An der Rezeption von zwei attraktiven, jungen Russinnen empfangen, sorgen vier muskulöse Herren rund um die Uhr für unsere Sicherheit. Im Restaurant werden wir von zwei Köchen und einer süßen Bedienung umsorgt. Für unsere Mobilität sorgt Igor, unser persönlicher Busfahrer. Wir schwelgen sozusagen im absoluten Luxus in einem schicken Hotel mitten in den kaukasischen Bergen.
Schnell finden wir den Eingang zur Station der Seilbahn, die uns auf fast viertausend Meter bringen soll. Lange müssen wir nicht warten, denn da kommt sie auch schon angegondelt, die altehrwürdige Elbrus-Kabinenbahn. Gebaut und in Betrieb genommen im Jahre 1969 aus Anlass des 52. Geburtstages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, ist das Ding zwar alt und renovierungsbedürftig, aber sehr robust und funktional. Mehr ist auch nicht nötig. Sicher bringt sie uns in 20 Minuten auf 3.550 Meter Höhe. An der Station "Mir" endet die Fahrt. Wir steigen um in einen kleinen, typisch russischen, Sessellift. Weitere 10 Minuten später stehen wir endlich auf dem Gletscher. Vor uns, unter blauen Himmel und zum Greifen nahe, der Doppelgipfel des Elbrus. Hinter uns das grandiose Panorama der Vier- und Fünftausender des Kaukasushauptkammes.
Mir brummt der Schädel vom schnellen Aufstieg in die Höhe. Ich habe starke Kopfschmerzen. Elke scheint die Höhe nichts auszumachen. Ohne Anstrengung besteigt sie den nächst-besten Schneeberg, zückt ihr Handy und telefoniert, als wäre es das Normalste auf der Welt, mit der Heimat. Lärmend purzelt eine Gruppe völlig enthusiasmierter Russen nach uns aus den kunterbunten Holzsesseln des Liftes. Die Jungs mit freiem Oberkörper und Wodkaflasche in der Hand, die Mädels im Bikinioberteil und High Heels, posieren sie im Schnee.
Direkt neben der Station hat ein kleines Café in einem alten LKW-Aufbau (wie haben die Russen den hier hoch geschafft?) geöffnet. Bei strahlendem Sonnenschein lassen wir uns auf einer kleinen Holzbank nieder und ordern russischen Tee und selbstgebackene Kekse. Fast 4.000 Metern über den Wellen des Schwarzen Meeres sitzend, nehmen wir ein Sonnenbad. Immer wieder geht der Blick hinauf zu den beiden Gipfeln und dem breiten und langen Elbrusgletscher davor.
Einige Zeit später, offensichtlich aufgrund höhenbedingten Sauerstoffmangels und damit einhergehender selektiver Wahrnehmung, fragt Elke mich plötzlich: "Kann man da rauf?" Ich: "Worauf? Auf den Elbrus?"
Sie: "Ja, das sieht doch so einfach aus!"
Ich: "Das kann man bestimmt. Mit der richtigen Ausrüstung und so, sollte es gehen.“
Sie schaut mich mit glänzenden Augen an.
Ich: "Du willst tatsächlich da hoch?"
Sie: "Ja!!!"
Ich: "Verrückt, aber ich bin dabei!"
Beschlossen und verkündet im August 2008 im Basislager des Elbrus in Russland.
Oh mein Gott und jetzt muss ich auch noch 13 Kilometer die Straße runter bis ins Hotel laufen.
Losung des Jahres 2008:
Da steh ich nun, ich armer Tor, und bekomme keine Luft mehr. Wie ein 80-jähriger Opa mit Herzschrittmacher hänge ich an meinen ultramodernen Hochtourenstöcken und pumpe.
Gerade hat mich eine Babuschka mit ihrer Enkelin fröhlich schnatternd überholt. Die beiden überprüfen die Fähnchen, die den Normalweg zum Gipfel markieren. Die Omi ist mindestens siebzig Jahre alt und die Enkelin gerade mal in der vierten Klasse, aber für beide ist es das Normalste auf der Welt hier oben, dort wo ich gerade am "Sterben" bin, herum zu stiefeln. Auf gerade mal 4.200 Metern fühle ich mich wie jemand, der auf über 8.000 Metern am Fixseil in der Lhotseflanke hängt, während sein Flaschensauerstoff langsam zur Neige geht.
Einsam und verloren stehe ich auf dem Gletscher des Elbrus. Elke hatte sich am Tag vor unserer Abreise die rechte Ferse verletzt und ist im Basislager geblieben. Auf jeden Fall, will sie aber übermorgen mit auf den Gipfel gehen. Bisher hat sie nur eine Akklimatisierungstour mitgemacht. Die anderen Tage hat sie lesend im Hotel verbracht. Um ihr ein wenig beizustehen und Gesellschaft zu leisten, habe ich jede zweite Tour ausgelassen. Deshalb ist meine Anpassung an die Höhe sicher nicht die Beste, aber muss ich deshalb gleich sterben?
Auf unserem Weg zum Pastuchow-Felsen sind die anderen Gipfelaspiranten meiner Gruppe schon einige Meter voraus-geeilt. Ich muss sie unbedingt einholen, denke ich. Ok, dann mal weiter. Ein wenig erholt bin ich ja. Nur wenn ich nach oben blicke und mir vorstelle, wo ich am Gipfeltag noch hinauf muss, wird mir mulmig: Mann oh Mann, ist das weit und dort oben wird die Luft noch "dünner" sein. Das sah vor zwei Jahren, bei Keksen und Tee im Café noch viel, viel leichter aus.
Nach weiteren 10 Metern hänge ich schon wieder in den Seilen und schnappe nach Luft. Als ich mich schwer keuchend umschaue, tänzeln vier wohlgerundete Südafrikanerinnen freundlich lächelnd auf ihren Steigeisen an mir vorbei. Der Wind, den sie machen, vertreibt mir ein wenig den Schweiß, aber Motivation fühlt sich irgendwie anders an. Niemand weit und breit, der mich mal so richtig in den Hintern treten könnte. Elke sonnt sich im Basislager und die anderen sind weit voraus.
Irgendwie und irgendwann komme ich dann doch noch, aber schwer gezeichnet, bei meiner Truppe am „Rastplatz“ Pastuchow-Felsen an und verkünde: "Männer, das war es für mich! Ich gehe wieder runter!"
"Ok, alles klar. Mach langsam, wir gehen noch ein Stück höher. Wir sehen uns dann unten", sagt Steffen, unser Guide. Ich will nicht mehr. Will mich nicht mehr quälen. Will nicht mehr nach Luft ringend in den Stöcken hängen und mich nur Meter für Meter nach oben schieben. Hier ist Schluss für mich. Ich will runter vom Berg.
Im Basislager angekommen, bin ich völlig von der Rolle. Flennend liege ich auf meinem Schlafsack und verkünde, dass ich aufgeben will. Überraschenderweise versucht Elke nicht, mich zum Bleiben zu überreden. So packen wir also unsere Sachen und machen uns auf den Weg zurück ins Hotel.
Losung des Jahres 2010:
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"Ich gehe jetzt auf diesen beschissenen Berg rauf. Und dann, dann beginne ich ein neues Leben." Ständig kreiseln diese Gedanken in meinem Kopf, während ich unterwegs zum Pastuchow-Felsen bin.
Das Jahr 2011 war ein Jahr zum Vergessen und auch 2012 ist bisher nicht wirklich besser. Als ich das letzte Mal hier unterwegs war, hatte ich einen Traum: Hand in Hand mit meiner Frau auf dem höchsten Berg Europas zu stehen.
Übrig blieben von diesem Traum ein paar Seifenblasen und das Gefühl, mein Leben ist zu Ende. Vor genau 12 Monaten ist Elke ohne jegliche Vorwarnung aus unserem gemeinsamen Leben ausgestiegen.
Plötzlich ist alles völlig aus den Fugen geraten. Ich hocke allein im Haus. Ich habe keine Familie mehr. Selbst die Fotoalben und Fotobücher sind nicht mehr da. Die letzten achtundzwanzig Jahre existieren nur noch in meinem Kopf. Seit fast einem Jahr gehe ich regelmäßig zum Psychodoktor.
Aber jetzt ist Schluss damit. Ich will, dass dieser verdammte Schmerz aufhört. Wo kann man am besten vergessen? Wo kann man am besten mit allem abschließen? Wo kann man am besten alles Schlechte hinter sich lassen, um frisch und unbeschwert in die zweite Hälfte des Lebens zu starten?