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Engel sind Boten Gottes. Sie überbringen uns Botschaften von einer anderen, tieferen Wirklichkeit. Anselm Grün spürt der leisen Botschaft der Engel nach und erschließt sie als spirituelles Geschenk, das die Herzen verwandelt. Zu den 50 Engeln, die er in diesem Buch vorstellt, gehören z.B. der Engel der Begeisterung, der Engel der Achtsamkeit, der Engel des Risikos und der Engel des Trostes. Sie sind inspirierende Begleiter für unsere alltäglichen Wege.
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Seitenzahl: 186
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Anselm Grün
50 Engel für das Jahr
Anselm Grün
50 Engel für das Jahr
Ein Inspirationsbuch
Aktualisierte Neuausgabe 2022
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1997
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv: shutterstock/dmitroscope
E-Book Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe
ISBN Print 978-3-451-03365-0
ISBN (EPUB) 978-3-451-82785-3
Einleitung
1 Der Engel der Liebe
2 Der Engel der Versöhnung
3 Der Engel der Ausgelassenheit
4 Der Engel des Bewahrens
5 Der Engel des Aufbruchs
6 Der Engel der Gemeinschaft
7 Der Engel der Gelassenheit
8 Der Engel der Leidenschaft
9 Der Engel der Wahrhaftigkeit
10 Der Engel der Dankbarkeit
11 Der Engel des Verzichts
12 Der Engel des Risikos
13 Der Engel der Zuversicht
14 Der Engel des Alleinseins
15 Der Engel der Schwesterlichkeit
16 Der Engel des Sich-Überlassens
17 Der Engel der Wärme
18 Der Engel des Muts
19 Der Engel der Geduld
20 Der Engel der Leichtigkeit
21 Der Engel der Offenheit
22 Der Engel der Nüchternheit
23 Der Engel des Verzeihens
24 Der Engel der Freiheit
25 Der Engel des Abschieds
26 Der Engel des Trauerns
27 Der Engel der Verwandlung
28 Der Engel der Begeisterung
29 Der Engel der Heilung
30 Der Engel der Treue
31 Der Engel der Zärtlichkeit
32 Der Engel der Heiterkeit
33 Der Engel der Hingabe
34 Der Engel der Harmonie
35 Der Engel der Klarheit
36 Der Engel der Langsamkeit
37 Der Engel des Rückzugs
38 Der Engel der Achtsamkeit
39 Der Engel der Milde
40 Der Engel der Demut
41 Der Engel der Erfüllung
42 Der Engel der Ausdauer
43 Der Engel des Vertrauens
44 Der Engel der Barmherzigkeit
45 Der Engel des Trostes
46 Der Engel der Klugheit
47 Der Engel der Ehrfurcht
48 Der Engel des Verstehens
49 Der Engel des Dunkels
50 Der Engel der Stille
Benutzte Literatur
Eine junge Frau ist bei einer Silvesterparty. Es ist ein Kreis, der das neue Jahr bewusst beginnen möchte, nicht nur mit Sekt und Böllerschüssen. Jemand hat 50 Engel für das Jahr auf 50 Karten geschrieben und die Teilnehmer eingeladen, sich einen Engel für das kommende Jahr zu ziehen. Es sind 50 Haltungen darauf geschrieben, die unser Leben prägen sollen. Natürlich können nicht alle 50 Haltungen zugleich mein Leben bestimmen. Aber wenn ich ein Jahr lang eine Haltung einübe, dann wird sich das auf mein ganzes Leben hin auswirken, dann wird in mir etwas neu. Eine Haltung möchte Halt geben mitten in der Haltlosigkeit unseres Lebens. Sie entspricht dem, was wir früher Tugend nannten. Tugend kommt von taugen. Wenn wir so eine Tugend einüben, dann taugt unser Leben, dann wird es gelingen. Im Lateinischen heißt die Tugend virtus. Virtus meint zugleich die Kraft und die Festigkeit, mit der einer im Leben steht. In der Tugend liegt eine Kraft, die unser Leben umzugestalten vermag. Für die Griechen war Tugend die arete, die Wesensart des edlen und gebildeten Menschen.
Die Haltungen wurden Engeln zugeordnet. Engel werden heute wieder modern. Nachdem sie jahrzehntelang in der Theologie – und auch im allgemeinen Bewusstsein – eher ein bescheidenes Dasein fristeten, werden sie heute in zahlreichen Büchern wieder hochgehalten. In der Bibel sind Engel Boten Gottes. Sie zeigen Gottes helfende und heilende Nähe an. Es ist nicht immer klar, ob sie selbstständige Wesen sind oder nur Bilder für Gottes liebende und tröstende Gegenwart. Sicher ist dies: Engel sind Botschafter einer anderen, tieferen Wirklichkeit für die Menschen. Die Vorstellungen, die wir mit ihnen verbinden, sind kostbare Bilder, Imaginationen einer Sehnsucht nach einer anderen Welt der Geborgenheit und Leichtigkeit, der Schönheit und Hoffnung. Das gehört zur tieferen Wahrheit der Engel: Sie zeigen, dass unser Leben „mehr“ ist, dass es auf anderes verweist. Engel sind Bilder der tiefen, bleibenden Sehnsucht nach Hilfe und Heilung, die nicht aus uns selber kommt. Dass sie heute wieder „ankommen“, ist Ausdruck einer Hoffnung: dass unser Leben wirklich nicht ins Leere läuft, dass es glücken kann, dass wir ankommen können an unserem eigentlichen Ziel. Engel sind spirituelle Wegbegleiter. Sie bringen uns in Berührung mit einer tiefen Sehnsucht, die in einem jeden von uns steckt. Sie sind eine Quelle der Inspiration. Da wird ein anderes, größeres Leben in uns eingehaucht, das dieser Sehnsucht unseres Herzens gerecht wird.
Gott sendet seine Engel, um die Menschen zu schützen. Das Gebet zum Schutzengel ist uns seit den Kindertagen vertraut. Viele haben das Bild des Schutzengels abgetan. Aber wenn sie mit dem Auto glücklich einem Unfall entrinnen, dann glauben sie doch, dass sie da einen guten Schutzengel hatten. Es ist nicht so wichtig, ob es nun Gott selbst war, der uns geschützt hat, oder ein Engel, den er zu unserem Schutz gesandt hat. Bilder haben eine eigene Mächtigkeit. Daher dürfen wir getrost die Sprache der Bilder benutzen, um Gottes helfendes Tun zu beschreiben. Es sind Engel, die uns zur Seite stehen. Es sind Engel, die uns bewachen. Es sind Engel, die uns im Traume verkünden, wohin unser Weg gehen sollte.
Engel sind Wegbegleiter. Sie zeigen uns den Weg, wie einst der Engel Raphael den jungen Tobias sicher ans Ziel geleitet hat. Gott schickt seinen Engel, um den Petrus aus dem Gefängnis zu befreien, um Jesus am Ölberg zu stärken. Engel deuten uns oft, was wir nicht verstehen. So deutet ein Engel Maria, was an ihr geschehen soll. Und es ist ein Engel, der Joseph im Traum erscheint, um ihm zu erklären, was mit Maria, seiner Verlobten, los sei. Engel sind heute durchaus wieder hoffähig geworden. Rilke spricht immer wieder von den Engeln, die in unser Leben treten. Moderne Künstler malen Bilder von Engeln: Paul Klee hat auf seinen Bildern in den letzten Lebensjahren oft den Engel dargestellt. 1920 malte er den berühmten „Angelus Novus“. Marc Chagall malt den „Engel im Paradies“. Von Salvador Dali stammt der „Engel“, von Andreas Feiger „Segnender Engel“ und von HAP Grieshaber „Engel der Geschichte“. Und auch die Popmusik nimmt sich der Engel an: „Engel träumen nicht allein“ singt Bernd Clüver, und Juliane Werding nennt ihre CD „Zeit für Engel“. Viele Menschen verbinden mit Engel heute die Vorstellung von Schutz, Geborgenheit, Schönheit, Hoffnung und Leichtigkeit.
Die Bibel weiß von den Engeln noch etwas anderes. Sie schauen das Antlitz Gottes. So sagt es uns schon Jesus: „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters“ (Mt 18,10). Der heilige Benedikt ist überzeugt, dass die Mönche im Angesicht der Engel Gott die Psalmen singen. Sie singen nicht allein. Engel stehen um sie herum und öffnen ihnen den Himmel über ihrem Gesang. Die Engel tragen ihr Gebet vor Gott. Sie geben ihnen die Hoffnung und das Vertrauen, dass ihr Gebet nicht umsonst ist. Engel, die uns umstehen, wenn wir beten, verbinden Himmel und Erde, sie stehen dafür, dass wir hier nicht allein sind mit unserem Bemühen, Gott im Gebet zu erfahren. Die Engel sagen uns: Gott ist nahe. Du bist eingetaucht in Seine heilende und liebende Gegenwart.
Die Vorstellung, dass Engel bestimmten Haltungen entsprechen, ist in der Gegenwart von der Gemeinschaft von Findhorn aufgegriffen worden. Die Menschen in dieser Gemeinschaft sind offensichtlich davon überzeugt, dass wir uns mit Engeln verständigen können, dass Engel uns etwas über uns und unsere Wandlungsmöglichkeiten sagen, dass sie uns Halt geben und uns neue Haltungen anvertrauen. Von solcher Art sind die in diesem Buch vorgestellten „50 Engel für das Jahr“ in der Tat: Sie führen uns in Haltungen ein, die unserem Leben guttun.
Die Engel möchten in uns etwas hervorrufen, was wir im Getriebe des Alltags vergessen oder vernachlässigen. Es ist ein schönes Bild, sich vorzustellen, dass mich in diesem Jahr der Engel der Treue begleitet oder der Engel der Zärtlichkeit, dass Gott einen Engel zu mir schickt, der mich einweist in das Geheimnis der Treue oder der Zärtlichkeit. Die 50 Engel für das Jahr sind Begleiter für unseren Lebensweg, Boten der Hoffnung, dass wir nicht ziellos leben, dass wir ankommen können beim Ziel unseres Lebens. In den 50 Haltungen sind lebensgestaltende Kräfte beschrieben, Potenziale, die unser Leben umgestalten, die uns mehr und mehr so formen können, wie es dem „ursprünglichen Bild“ entspricht: wie wir sein könnten und sollten. Im Bild der Engel treten uns diese Potenziale der Transformation entgegen. Das meint freilich auch: Diese Haltungen sind nie nur Ausdruck eigener Anstrengung und Leistung. Sie sind auch Geschenk, Gnade, uns zugesprochene Weisheit.
Bei der Silvesterparty hat jeder einen Engel gezogen. Dabei hat er vertraut, dass er gerade den Engel zieht, den er für das neue Jahr braucht, der ihm guttut. Wir könnten einem Freund oder einer Freundin zum Geburtstag oder zum Namenstag auch einen Engel wünschen. Die Gedanken, die mir zu den einzelnen Engeln eingefallen sind, könnten dabei helfen, unsere guten Wünsche konkreter zu formen, nicht stehen zu bleiben bei den nichtssagenden Worten, die sonst auf unseren Glückwunschkarten stehen. Du kannst aber auch für dich selbst so einen Engel aussuchen, der dich in der kommenden Woche oder im kommenden Monat oder im neuen Lebensjahr begleiten soll.
Suche dir den Engel, der dich unmittelbar anspricht, von dem du glaubst, dass er dir gerade jetzt guttäte. Und wenn du möchtest, kannst du dich auch austauschen mit anderen Menschen, von denen du weißt, dass sie auch mit so einem Engel leben. Was hat dich dein Engel gelehrt? Welche Erfahrungen hast du mit ihm gemacht? Was ist dir neu aufgegangen? Wo ist etwas in Bewegung geraten? Was ist in dir aufgeblüht?
Liebe ist ein so abgegriffenes Wort, dass ich mich fast scheue, es an die Spitze der 50 Engel zu setzen. Die Schlager singen von Liebe: Alles dreht sich um die Liebe. Und viele verbinden mit dem Wort Liebe gleich die Vorstellung von erfüllter Sexualität. Aber wie geschändet das Wort Liebe auch sein mag, im Grunde seines Herzens sehnt sich doch jeder nach Liebe. Er sehnt sich danach, von einem anderen Menschen bedingungslos geliebt zu werden. Er freut sich, wenn er sich in einen andern verliebt, der seine Liebe erwidert. Dann blüht etwas in ihm auf. Sein Gesicht strahlt auf einmal Freude aus. Er weiß sich von einem Freund oder einer Freundin bedingungslos angenommen und geliebt. Die Liebe – so sagen uns die Märchen – kann versteinerte Menschen wieder zum Leben wecken. Sie kann aus Tieren wieder Menschen machen. Sie kann Menschen, die besetzt waren von einem Trieb – das meinen die Tiere in den Märchen –, die verzaubert waren von einer Hexe, von feindlichen Projektionen, wieder in wunderschöne Prinzen oder Prinzessinnen verwandeln, die liebenswert und begehrenswert sind, die glücklich sein und glücklich machen können.
Wenn ich mir oder dir den Engel der Liebe wünsche, dann wünsche ich dir aber nicht nur, dass du von andern geliebt wirst oder dass du dich in einen Mann oder eine Frau verliebst. Denn Liebe ist mehr als Verliebtsein. Liebe ist für mich eine eigene Qualität. Ich habe in meiner Zelle eine Ikone des heiligen Nikolaus. Wenn ich die anschaue, spüre ich, dass dieser Heilige in sich ganz Liebe ist. Er strahlt einfach Liebe aus. Er ist nicht verliebt in eine Frau. Er ist wahrscheinlich auch nicht verliebt in Jesus Christus, aber er ist so ganz und gar von der Liebe durchdrungen, dass er sie mit seinem ganzen Wesen widerspiegelt. Das ist eine Ursehnsucht des Menschen, dass er nicht nur den Freund und die Freundin zu lieben vermag, sondern dass er selber zur Liebe wird. Wer zur Liebe geworden ist, der liebt alles um sich herum. Er begegnet jedem Menschen voller Liebe und lockt in ihm das Leben hervor. Er berührt jeden Grashalm mit Ehrfurcht und Liebe. Er weiß um die Vorstellung des Talmud, dass Gott jedem Grashalm einen Engel beigegeben hat, damit er wachse. Er betrachtet die untergehende Sonne voller Liebe. Er fühlt sich von Gott geliebt, sodass Seine Liebe durch ihn hindurchströmt. Alles, was er tut, ist von dieser Liebe geprägt. Seine Arbeit geschieht aus Liebe. Wenn er singt, singt er, weil er liebt, weil seine Liebe sich einen Ausdruck sucht.
Seit jeher spricht man gerade im Zusammenhang mit der Liebe vom Engel der Liebe. Zu dem, der mich liebt, sage ich: Du bist ein Engel. Wenn ich Liebe erfahren darf, habe ich das Gefühl, dass ein Engel in mein Leben getreten ist. Phil Bosmans meint, ein Engel sei jemand, „den Gott dir ins Leben schickt, unerwartet und unverdient, damit er dir, wenn es ganz dunkel ist, ein paar Sterne anzündet“.
Rose Ausländer weiß um den Engel in dir, der sich über dein Licht freut und über deine Finsternis weint:
Aus seinen Flügeln rauschen
Liebesworte
Gedichte Liebkosungen.
Wir brauchen Engel der Liebe, die uns einführen in das Geheimnis der Liebe, die uns in Berührung bringen mit der Quelle der Liebe, die in uns sprudelt, die aber oft genug verschüttet ist oder getrübt durch unsere gekränkten Emotionen.
Aber du musst mit dem Engel der Liebe auch behutsam umgehen. Du darfst ihn nicht überfordern. Er kann nur das Material, das du ihm anbietest, verwandeln. Wenn du deine aggressiven Gefühle unterdrückst und verschließt, kann sie der Engel auch nicht mit seiner Liebe durchdringen. Dann bleiben sie in dir wie ein bitterer Kaffeesatz liegen. Und allmählich werden sie deine Bemühungen um Liebe stören. Halte deinem Engel der Liebe alles hin, was in dir ist, auch die Wut und den Ärger, auch die Eifersucht und die Angst, auch die Unlust und Enttäuschung. Denn alles in dir möchte von der Liebe verwandelt werden. Lass dich vom Engel der Liebe überallhin begleiten. Nimm ihn mit in deine Konflikte am Arbeitsplatz, in deine Auseinandersetzung in der Familie, in der Ehe oder Freundschaft. Der Engel der Liebe ist kein frommer Zuckerguss, der auf alles gestreut wird, sondern er möchte dein Leben verwandeln. Er verbietet dir nichts. Er verbietet dir deinen Ärger nicht. Er verlangt nicht, dass du dich nicht verletzt fühlst. Er möchte nur, dass du alles, was du erlebst, von ihm durchleuchten lässt. Dann wirst du deine Konflikte in einem anderen Licht sehen. Sie werden nicht einfach verschwinden. Es wird nicht immer schnelle und glatte Lösungen geben. Dein Engel der Liebe liebt auch die Wahrheit. Er möchte, dass ihr genau anschaut, was vorgefallen ist, dass ihr eure Gefühle ernst nehmt, die ihr bei dem Konflikt habt. Aber er möchte auch, dass ihr euch nicht an euren verletzten Gefühlen festklammert, sondern dass ihr sie infrage stellen lasst von der Liebe.
Lieben heißt nicht zuerst, liebevolle Gefühle zu haben. Lieben kommt von liob, gut. Es braucht zuerst den Glauben, das gute Sehen, um dann lieben, gut behandeln zu können. Liebe braucht erst eine neue Sichtweise. Bitte deinen Engel der Liebe, dass er dir neue Augen schenken möge, dass du die Menschen um dich und dass du dich selbst in einem neuen Licht sehen kannst, dass du den guten Kern in dir und den andern entdecken kannst. Dann kannst du auch besser damit umgehen. Ich wünsche dir, dass dich dein Engel der Liebe immer mehr einführt in das Geheimnis der göttlichen Liebe, die in dir ist wie eine Quelle, die nie versiegt. Du musst die Liebe in dir nicht schaffen. Du sollst aus dem Quell der göttlichen Liebe trinken, die in dir sprudelt und die für dich immer reicht.
Der Engel der Versöhnung soll dich befähigen, dich erst einmal mit dir selbst auszusöhnen. Viele Menschen leben heute unversöhnt. Sie können sich nicht damit aussöhnen, dass ihr Leben anders verlaufen ist, als sie es geplant hatten. Sie hadern mit ihrem Schicksal, mit den Enttäuschungen, die ihnen das Leben bereitet hat. Sie liegen mit sich selbst im Streit. Sie können sich selbst nicht bejahen. Sie möchten sich gerne anders haben, intelligenter, erfolgreicher und liebenswerter. Sie möchten besser aussehen. Sie haben ein ganz bestimmtes Bild von sich, dem sie gerne entsprechen möchten.
Das Wort Versöhnung kommt vom mittelhochdeutschen süene und meint: Schlichtung, Friede, Kuss. Und es klingt noch die Bedeutung mit: „still machen, beschwichtigen“. Sich mit sich selbst versöhnen heißt also: Frieden stiften mit mir selbst, einverstanden sein mit mir, so, wie ich geworden bin. Den Streit schlichten zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Wünschen, die mich hin und her zerren. Die Spaltung aufheben, die sich in mir auftut zwischen meinem Idealbild und meiner Realität. Die aufgebrachte Seele beruhigen, die sich immer wieder auflehnt gegen meine Wirklichkeit. Und es heißt, das küssen, was mir so schwerfällt, meine Fehler und Schwächen küssen, zärtlich umgehen mit mir selbst, gerade mit dem, was meinem Idealbild widerspricht. Da muss mir schon ein Engel zu Hilfe kommen, damit die Versöhnung mit mir selbst gelingt, damit ich wirklich Ja sagen kann zu meiner Lebensgeschichte, zu meinem Charakter, zu dem, was ich an Last und Belastung mitbekommen habe.
Nur wenn ich mit mir selbst versöhnt bin, kann ich auch daran denken, Menschen in meiner Umgebung, die mit mir und mit andern im Streit liegen, zu versöhnen. Menschen, die in sich gespalten und unversöhnt sind, werden auch um sich herum Spaltung hervorrufen. Es gibt heute viele fromme Menschen, die ihre innere Spaltung nach außen tragen. Weil sie ein zu hohes Idealbild haben, spalten sie alles Dunkle in sich ab. Und das müssen sie dann auf die andern projizieren. Sie sehen dann in den andern ständig den Teufel oder irgendwelche Dämonen. Sie müssen die verteufeln, die nicht nach den Normen der Kirche leben, die nicht ihren eigenen Vorstellungen einer christlichen Moral entsprechen. Weil sie den Teufel im eigenen Herzen abgespalten haben, sehen sie ihn überall in ihrer Umgebung. Um solche Menschen herum entsteht Spaltung. Die einen sind begeistert, dass da endlich jemand kommt, der sich traut, die Wahrheit zu sagen. Die andern spüren, dass da etwas Krankes und Spaltendes von ihnen ausgeht, und sie wenden sich von ihnen ab.
Der Apostel Paulus versteht den Dienst der Christen gerade als Dienst der Versöhnung. Gott selbst hat uns den Dienst der Versöhnung übertragen (vgl. 2 Kor 5,18). Der Engel der Versöhnung will dich zu einem Boten der Versöhnung machen, nicht indem du überall Versöhnung forderst und anmahnst, sondern indem du Versöhnung stiftest. Versöhnung heißt nicht, dass du alle Konflikte um dich herum mit einem frommen Mantel zudeckst, dass du alle Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen harmonisieren möchtest. Das verwechseln viele mit Versöhnung. Aber in Wirklichkeit können sie Konflikte nicht aushalten. Sie bekommen Angst, wenn nicht alles um sie herum harmonisch ist. Sie werden erinnert an Situationen in der Kindheit, die sie verunsichert haben, etwa Ehestreitigkeiten, die für sie bedrohlich waren, weil sie ihnen das Gefühl von Geborgenheit und Heimat geraubt haben. Versöhnen heißt schlichten. Und schlichten heißt ebnen, einen Weg ebnen zwischen den verschiedenen Parteien, eine Brücke bauen zwischen den sich widerstreitenden Gruppen. Aber es heißt nicht, alles einebnen, alles harmonisieren. Die Standpunkte dürfen bleiben. Aber sie bekämpfen sich nicht mehr. Es gibt eine Brücke, auf der die beiden Parteien wieder miteinander kommunizieren, auf der sie wieder aufeinander zugehen können.
Bevor du andere miteinander versöhnen willst, bevor du den Streit schlichten kannst zwischen verfeindeten Gruppen in deiner Nähe, musst du zuerst mit dir selbst versöhnt sein. Und du musst in Versöhnung mit den Menschen in deiner Nähe leben. Auch das bedeutet nicht, dass du um den Preis der Einheit alle deine Gefühle und Bedürfnisse unterdrücken sollst. Im Gegenteil, wenn du um des Friedens willen deinen Ärger unterdrückst, wirst du nie wirklich versöhnt sein mit dem, über den du dich geärgert hast. Du musst deine Gefühle ernst nehmen. Und du darfst deine Gefühle nicht bewerten. Sie haben alle ihren Sinn. Wenn du dich ärgerst über deine Arbeitskollegin, so hat das einen Sinn. Der Ärger ist der Impuls, etwas zu verändern oder etwas anders zu sehen. Wenn ich mich im Gespräch mit jemandem ärgere und den Ärger dann fromm unterdrücke, so vergiftet das die Atmosphäre. Wenn ich den Ärger angemessen anspreche, ohne ihn zu bewerten, so kann der Ärger etwas klären. Der Ärger zeigt oft, dass der andere nicht wirklich das sagt, was er denkt und fühlt, sondern um den heißen Brei herumredet. Wenn ich meinen Ärger äußere, biete ich dem andern die Möglichkeit, bei sich selbst noch einmal kritisch hinzuschauen. Ich biete ihm eine Brücke an, auf der wir ehrlicher und besser kommunizieren können. Aber entscheidend ist, dass ich nicht unbedingt recht haben möchte, sondern den andern achte und mit ihm Versöhnung möchte. Versöhnung heißt, den andern ernst nehmen, aber auch mich selbst mit meinen Gefühlen ernst nehmen.
Versöhnung hat auch eine politische Dimension. Unversöhnte Menschen spalten nicht nur die Menschen um sich herum. Die Spaltung geht weiter. Sie prägen die Stimmung im Land. Sie bestätigen die Vorurteile gegenüber Andersdenkenden und Anderslebenden. Und sie schaffen eine Atmosphäre, in der man gegen Fremde und Fremdartige gewaltsam vorgeht. So will der Engel der Versöhnung dich zu einem Sauerteig der Versöhnung machen für unsere Welt. Wenn du in deinem Reden versöhnt bist, wird von dir auch Versöhnung ausgehen. Dann werden sich in deiner Nähe Ausländer und Randgruppen angenommen fühlen. Dann wirst du keine Spaltpilze säen, sondern ein Senfkorn der Hoffnung und Versöhnung.
Das Wort Ausgelassenheit ist ein Wort, das mich persönlich eher etwas befremdet. Vielleicht deshalb, weil ich selbst kein ausgelassener, sondern eher ein selbstbeherrschter Mensch bin. Aber vielleicht kannst du genauso wie ich ein wenig Ausgelassenheit brauchen. Ausgelassen meint, dass ich meine Rolle loslasse, die ich sonst spiele, dass ich meine Maske fallen lasse, dass ich meine innere Lebendigkeit auch nach außen lebe. Wir nennen einen ausgelassenen Menschen übermütig. Er geht über den normalen Mut hinaus. Mut meint im Mittelhochdeutschen Streben, Trachten, Gewohnheit, Sitte. Er lebt also nicht nur nach der allgemeinen Sitte und Norm, sondern er lebt aus sich heraus, aus dem eigenen Streben heraus. Er hat ein Herz, das überquillt vor Freude und Lebendigkeit.
Der Engel der Ausgelassenheit möchte dir den Mut schenken, der eigenen Lebendigkeit zu trauen. Du musst nicht immer danach sehen, was die andern von dir denken, ob das, was du tust, noch der Sitte entspricht, ob es den Erwartungen der andern gerecht wird. Du darfst all die Erwartungen von außen auslassen. Du darfst dir und deinem Herzen, deinem Mut trauen. Leben will sich ausdrücken. Und Leben ist nicht immer nur Ebenmaß. Es ist auch überschäumend, übermütig, es ist kindlich, spontan. Du kannst dir nicht einfach vornehmen, nun spontan zu sein. Denn das wäre eine paradoxe Lösung. Entweder du bist spontan oder nicht. Aber wenn du spontan sein willst, bist du es schon nicht mehr.