"Was soll ich tun?" - Anselm Grün - E-Book

"Was soll ich tun?" E-Book

Anselm Grün

4,6

Beschreibung

Jeden Tag wenden sich zahlreiche Menschen an ihn: mit Fragen, die auf der Seele lasten, mit ganz konkreten Problemen oder in Konflikten, die unlösbar scheinen. Pater Anselm antwortet allen, die sich an ihn wenden - nie mit einfachen Rezepten, aber oft mit einer überraschend neuen Sichtweise. Er hat das Vertrauen der Menschen. Sein Rat ist einfühlsam und doch handfest, klar und klärend und schöpft aus dem Schatz seiner großen Lebenserfahrung und aus einer reichen spirituellen Tradition.

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ANSELM GRÜN

„Was soll ich tun?“

Antworten auf Fragen, die das Leben stellt

Herausgegeben von

Anton Lichtenauer

2. Auflage 2009

© Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2008

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33324-8

ISBN (Buch) 978-3-451-29985-8

EINLEITUNG

Täglich bekomme ich Briefe, in denen Menschen ihre Probleme schildern. Sie wollen, dass ich ihnen eine Antwort gebe. Sie wollen wissen, was sie tun sollen, ganz praktisch. Sie fragen nach Sinn und suchen Hilfe und Orientierung in konkreten Alltagsproblemen. Sie möchten von mir nicht die Lösung ihrer Probleme. Aber sie möchten Denkanstöße haben, damit sie selbst die Lösung finden. Von den vielen Fragen zu schließen, die ich bekomme und die täglich in den Redaktionen von Illustrierten eintreffen, kann man vermuten, dass heute die Orientierungslosigkeit größer geworden ist. Das gilt sicher nicht nur für Einzelne. Manager, die ihre Unternehmen an schnelle Veränderungen im Markt anpassen müssen, holen sich den Rat von Experten ebenso wie Politiker sich in schwierigen Sachfragen durch wissenschaftliche Institute beraten lassen. Es gibt längst nicht nur die „klassischen“ Erziehungs- oder Eheberater. Ob Personalberater oder Kundenberater, Stilberater oder Ernährungsberater, Versicherungsberater oder Vermögensberater – Berater haben Konjunktur. Beratung für nahezu alle Lebensbereiche ist inzwischen zum profitablen Dienstleistungsgewerbe geworden und Soziologen haben dafür den Begriff der „Beratungsgesellschaft“ geprägt.

Das Leben ist unsicherer geworden, die Biographien oder Entscheidungen von Menschen sind nicht mehr durch Traditionen oder andere Vorgaben bestimmt. Die Welt als ganze ist riskanter, nicht mehr eindeutig und übersichtlich. Der Einzelne wird in der Folge davon immer mehr zum individuellen Gestalter des eigenen Lebens. Die Menschen geraten, so hat es ein Psychologe beschrieben, immer mehr in so etwas wie ein Labyrinth der Selbstverunsicherung, Selbstbefragung und Selbstvergewisserung hinein. Und bei vielen ist das Bedürfnis groß, aus diesem Labyrinth herauszufinden und andere Menschen zu fragen, wie das Leben gelingen kann und was man in einer konkreten Situation tun soll. Sie sind, auf sich allein gestellt, von ihren Schwierigkeiten so in Beschlag genommen, dass sie sie nicht richtig einordnen können in das Ganze des Lebens.

Was sollen wir tun? Diese Frage, die hinter der Suche nach Rat und Hilfe steht, ist allerdings auch nichts Neues. Sie ist eine uralte menschliche Frage und hat schon die griechischen Philosophen bewegt. Es war neben der Frage „Wer bin ich? Was ist das Sein?“ die Grundfrage, auf die sie Antwort geben wollten. Der Evangelist Lukas lässt die Leute, die zu Johannes dem Täufer kommen, diese Frage dreimal stellen. Und als Petrus an Pfingsten predigt, trifft es die Zuhörer mitten ins Herz und sie fragen Petrus: „Was sollen wir tun?“ (Apg 2,37) Es ist also eine Frage, die wir immer wieder stellen, wenn wir ratlos sind, wenn wir nicht weiterwissen und auch, wenn wir von etwas sehr berührt werden. Dann fragen wir, wie wir mit unserem Leben auf diese oder jene tiefe Erfahrung antworten sollen.

Wenn ich an die griechische Philosophie z.B. eines Sokrates denke, dann bekommt die Frage nach dem rechten Tun für mich etwas Sympathisches. Aber wenn ich die Frage isoliert betrachte, dann taucht in mir die Angst auf, sie sei zu moralisierend.

Von meinem spirituellen und psychologischen Ansatz her ist es erst einmal wichtig, zu fragen: Wer ich bin? Was macht das Geheimnis meines Menschseins und meiner Erlösung aus? Dann erst wird die Frage nach dem Tun wichtig. Das Tun muss aus einer neuen Erfahrung fließen.

Zum andern wehrt sich in mir etwas gegen diese Frage „Was soll ich tun?“, weil ich damit allzu einfache Patentrezepte assoziiere, die uns in zahlreichen Ratgeberbüchern gegeben werden. Auf wohlfeile Ratschläge verzichten wir lieber. Und zudem sind Ratschläge, wie schon die Sprache sagt, oft Schläge, die uns gegeben werden.

Das Sprichwort sagt: „Guter Rat ist teuer.“ Ich will mich also hüten, in diesem Buch billige Ratschläge zu geben: Tipps, die wie ein frommes Pflaster auf die Not des Fragenden geklebt werden oder wie ein Rezept klingen, das ich nur anzuwenden brauche, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.

Ein finnisches Sprichwort sagt vom Rat: „Guter Rat ist wie Schnee, je leiser er fällt, desto länger bleibt er liegen.“ Dieser Satz gefällt mir gut. In diesem Sinn also möchte ich eher leise Antworten auf die Fragen geben, in der Hoffnung, dass das Gesagte länger liegen bleiben und in der Seele der Leser und Leserinnen Wirkung entfalten kann.

Die deutsche Sprache ist voller Weisheit. Sie spricht in einem positiven Verständnis vom Rat und meint damit ursprünglich das, was wir zum Lebensunterhalt notwendig brauchen. In diesem Sinn sprechen wir etwa vom Vorrat oder Hausrat. Erst im abgewandelten Sinn bedeutet dann Rat eine Unterweisung, eine Empfehlung. „Rat“ wird aber auch die Gemeinschaft der Beratenden genannt. Mit dem „Ratschlag“ assoziieren wir zunächst, dass wir dem Fragenden mit unserem Rat einen Schlag versetzen, also einen wirksamen Impuls geben. Doch eigentlich ist damit gemeint, dass wir einen Beratungskreis schlagen, dass wir den Kreis für die Beratung abgrenzen. Dieses Bild ist mir sympathischer. Ich möchte keine Ratschläge geben, die den Fragenden schlagen, sondern die einen Kreis abgrenzen, innerhalb dessen wir nach einer Lösung suchen können.

Noch lieber als das Wort „Ratschlag“ ist mir die Empfehlung. Ich versuche, dem Fragenden eine Empfehlung auszusprechen. Das deutsche Wort „empfehlen“ hängt mit „befehlen“ zusammen. Dieses Wort hat aber ursprünglich nichts mit „gebieten“ zu tun, sondern vielmehr mit: anvertrauen, übergeben. Die religiöse Sprache kennt das Wort noch in diesem Sinn: „Ich befehle meine Seele Gott“. Oder wie es im Lied von Paul Gerhard heißt: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.“ Die Antworten, die ich auf die Fragen gebe, möchte ich dem Leser und der Leserin zum Bedenken anvertrauen, damit sich in ihrem eigenen Herzen eine Antwort auf die Fragen bildet.

In den Antworten, die ich in diesem Buch versuche, habe ich nicht den Anspruch, die Probleme der Fragesteller zu lösen. Aber offensichtlich hilft es fragenden Menschen, wenn jemand ihre Situation aus einer anderen Perspektive heraus betrachtet. Der Perspektivwechsel weitet den eigenen Blick. Oft genügt es in der Tat schon, die Perspektive zu wechseln, um einen Sachverhalt anders und damit vielleicht auch klarer zu sehen. Und auf einmal können fragende Menschen im Licht einer Antwort, die ein Außenstehender gibt, für sich selbst eine Antwort finden.

Wenn ich antworte, überlege ich nicht lange hin und her, sondern höre in mich hinein, welche Worte in mir auftauchen. Ich weiß, dass ich keine endgültigen Antworten zu geben vermag. Vor allem kann ich die Probleme der Menschen nicht lösen. Die Lösung muss jeder selbst für sich finden. Ich kann nur ein paar Gedanken zu den Fragen formulieren und hoffen, dass die etwas bewirken. Manchmal helfen die Überlegungen eines anderen Menschen, um eine festgefahrene und immer mehr verengte Sicht etwas zu weiten. Denn manchmal ist man von seinen eigenen Schwierigkeiten so in Beschlag genommen, dass man sie nicht richtig in das Ganze des Lebens einordnen kann. Da ist es dann gut, einen Schritt zurück zu machen und vom Abstand her genau hinzusehen, ob man sein Leben nicht doch auch in einem anderen Licht sehen kann.

In meinen Antworten gehe ich von meinen eigenen Erfahrungen aus. Aber natürlich auch von meiner spirituellen Prägung und dem, was ich von Psychologen gelernt habe. Dabei unterscheide ich nicht, ob eine Antwort mehr psychologisch oder spirituell ist. Beides ist mir wichtig: die psychologische und die spirituelle Seite. Ich schreibe das, was mir meine Intuition oder besser gesagt: was mir der Heilige Geist eingibt. Ich vertraue meine Worte dem Fragenden an, damit er mit dem Vertrauen in sich in Berührung kommt. Und ich übergebe ihm meine Worte, damit er sich mit ihnen vertraut macht und sie in seine eigenen Worte verwandelt, sie mit seinem eigenen Leben in Verbindung bringt. Empfehlen meint ursprünglich: zum Schutz anvertrauen. Die Worte, die ich als Antwort auf die Briefe schreibe, sollen den Menschen, der sich bedrängt fühlt von seinen Nöten und Schwierigkeiten, Schutz gewähren. Sie sollen wie ein Haus sein, in dem er in aller Ruhe sein Leben bedenkt und neue Kraft schöpft, um es zu bewältigen.

Bei der Vorbereitung dieses Buches sind mir natürlich Zweifel gekommen, ob ich die Fragen so vieler Menschen benutzen darf, um eine Antwort zu geben. Ich habe die Fragen aus der jeweiligen persönlichen Situation so herausgenommen und verallgemeinert, dass die Person nicht mehr identifizierbar ist. Ich habe einige der an mich herangetragenen Fragen auch in einen größeren Horizont gestellt, damit sie für viele Leser und Leserinnen nachvollziehbar sind. Ich habe auch nicht einfach die Antworten wiederholt, die ich in persönlichen Briefen geschrieben habe. Diese Briefe waren für mich nur der Hintergrund und der Ausgangspunkt, wenn ich im folgenden Antworten formuliert habe, und ich hatte dabei immer Menschen vor Augen, die ähnliche Fragen haben könnten. Ich hoffe also, dass sich viele Leser und Leserinnen in diesem Buch wiederfinden und beim Lesen der Antworten für sich einen Weg entdecken, wie sie auf ihre eigenen Fragen antworten können.

ELTERN UND KINDER, FAMILIE

Wenn man mit anderen Menschen intensiver und näher ins Gespräch kommt, dann werden fast regelmäßig die Beziehung zu den eigenen Eltern thematisiert. Da gibt es Verletzungen in der Kindheit. Und es gibt die Probleme in der gegenwärtigen Beziehung zu den Eltern. Es ist natürlich, dass es Verletzungen gibt. Doch irgendwann sollten wir die Wunden nicht mehr den Eltern vorwerfen, sondern die Verantwortung für unsere Kindheit übernehmen. Sie war so, wie sie war, mit ihren positiven und negativen Erfahrungen, mit den gesunden Wurzeln und mit den Kränkungen, die wir erfahren haben. Es ist unsere Aufgabe, uns mit den Verletzungen auszusöhnen und die Wunden – wie die hl. Hildegard von Bingen sagt – in Perlen zu verwandeln. Gerade dort, wo wir verletzt worden sind, können wir auch unsere persönlichen Fähigkeiten entdecken und entwickeln. Es ist eine Weisheit schon der griechischen Antike, dass nur der verwundete Arzt zu heilen vermag. Denn wer die Schmerzen kennt, ist fähig zum Mitgefühl.

Häufig wirken sich die Verletzungen der Kindheit auch auf die gegenwärtige Beziehung zu den Eltern aus. Nur wenn ich mich ausgesöhnt habe mit meiner Geschichte, kann ich die Eltern so lassen, wie sie sind, ohne ihnen Vorwürfe wegen erlittener Verletzungen zu machen. Damit ich die Eltern lassen und auch ihre guten Seiten sehen kann, muss ich mich zuvor von meinen Erwartungen an die Eltern verabschieden. Wir alle haben die Erwartung an eine ideale Mutter und an einen idealen Vater. Doch diesen Erwartungen entsprechen unsere Eltern nicht. Sie müssen ihnen auch nicht entsprechen. Manchmal müssen wir auch betrauern, dass unsere Eltern so sind, wie sie sind, dass die Mutter kalt ist und der Vater so schwach, dass er uns keinen Halt geben kann. Wenn wir das betrauern, was wir als Defizit an den Eltern erleben, werden wir auch ihre Stärken entdecken. Immerhin haben sie ihr Leben gemeistert. Wir werden neugierig, ihre Lebensphilosophie zu entdecken. Was hat sie getragen? Wie kamen sie mit den Herausforderungen von außen zurecht? Wie haben sie sich arrangiert mit ihren eigenen Verletzungen? Welche Lebenskunst haben sie für sich entwickelt? Das Betrauern befreit uns davon, die Eltern anzuklagen oder uns selbst zu bedauern, dass wir diese Eltern haben. Vielmehr macht es uns neugierig, ihr Leben zu bedenken, ihr Gewordensein, ihre Art und Weise, mit Schwierigkeiten umzugehen, und die Liebe und Sorge anzuerkennen, die sie für die Familie aufgebracht haben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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