Stille im Rhythmus des Lebens - Anselm Grün - E-Book

Stille im Rhythmus des Lebens E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Das Alleinsein kultivieren, denn: Wer allein sein kann, ist nie mehr einsam!

Viele Menschen haben heute Angst vor dem Alleinsein. Sie brauchen ständig andere Menschen um sich, damit sie sich überhaupt lebendig fühlen. Aber das Alleinsein kann auch ein Segen sein. Ohne Alleinsein gibt es keine wirkliche Gottesbeziehung und keine ehrliche Selbsterkenntnis. Viele verwechseln Alleinsein mit Vereinsamung und Isolierung. Doch Alleinsein gehört wesentlich zu jedem spirituellen Weg.
In seinem neuen Buch entfaltet Anselm Grün die Kunst, allein zu sein, mit ihren vielfältigen Aspekten: Die innere Mitte finden. Stille im Rhythmus des Lebens. Leib und Seele Gutes tun. Von Erwartungen anderer und äußeren Zwängen frei werden. Vom inneren Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Gottesbeziehung.

  • Eine Anleitung, Stille im Rhythmus des Lebens zuzulassen und Kraft aus dem Alleinsein zu schöpfen
  • Von äußeren Zwängen frei werden, um zu innerer Gelassenheit, Ruhe und Klarheit zu finden

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Anselm Grün

Stille im Rhythmus

des Lebens

Von der Kunst, allein zu sein

Gütersloher Verlagshaus

Inhalt

Einleitung

1. Alleinsein und Einsamkeit

2. Einsamkeit und Alleinsein in der Bibel

3. Die Kunst, mit sich allein zu sein

Betrauern meiner Einsamkeit

Positive Deutungen des Alleinseins

Die existentielle und religiöse Bedeutung von Einsamkeit

Abgeschiedenheit

4. Die Gestaltung meines Alleinseins

Die Zeit strukturieren

Rituale

Lesen

Musik hören

Kreativ sein

Meditation

Wandern

Nichtstun

Schluss

Literatur

Einleitung

Viele Menschen klagen heute über Einsamkeit und Alleinsein. Sie wohnen in großen Städten inmitten von vielen Menschen. Aber sie fühlen sich trotzdem allein. Sie haben kaum Kontakt zu den Nachbarn. Sie haben niemanden, mit dem sie ein persönliches Gespräch führen können, niemanden, dem sie sich anvertrauen. Sie fühlen sich allein mit ihren Problemen, mit der Überforderung durch die Arbeit, allein mit der Angst, das Leben nicht zu schaffen. Um nicht aufzufallen, verschließen sie sich innerlich und funktionieren nur noch. Sie haben viele Kontakte, aber keine Freundschaft, die sie trägt. Sie unternehmen viel, aber nichts trägt sie, nichts erfüllt sie.

»Verliere dein Herz nicht an etwas, was dich in deinem Herzen nicht erfüllt.«

Oft haben sie keine Familienmitglieder mehr, mit denen sie sich gut verstehen. Die Eltern sind gestorben. Sie sind Einzelkind. Oder aber die Geschwister sind weit weg. Oft haben sich die Geschwister auch zerstritten. So haben sie keinen Kontakt mehr zur Familie. Sie haben niemanden, an den sie sich anlehnen können. Sie haben Angst, im Alter völlig allein zu stehen. Sie fragen sich, wie es einmal sein wird, wenn sie krank und hilfsbedürftig werden. Wer soll sie dann pflegen, wer für sie sorgen? Sie trauen sich nicht, an diese Zukunft zu denken. Und doch beschäftigt sie die Frage, wer wohl einmal für sie da sein wird.

Manche, die allein wohnen, können gut daheim sein. Sie sind gerne daheim, weil sie sich dort von der anstrengenden Arbeit erholen können. Aber viele langweilen sich in ihrer Wohnung. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie fühlen sich allein. Niemand ruft an. Niemand kümmert sich um sie. Sie haben niemanden, mit dem sie ihre täglichen Erfahrungen bei der Arbeit teilen können, keinen, der ihnen den Rücken stärkt, der sie ermutigt. Sie fühlen sich allein gelassen. Und das zehrt an ihren Kräften. Das gibt keine Motivation, sich immer wieder neu auf die Arbeit einzulassen. Das Alleinsein schwächt sie, macht sie für Krankheiten anfällig. Aber wenn sie krank sind, kümmert sich auch niemand um sie. Sie müssen von sich aus zum Arzt gehen, um sich krankschreiben zu lassen. Aber dann liegen sie krank allein in ihrer Wohnung und erleben sich ohne Kraftquelle, aus der sie schöpfen könnten, um wieder gesund zu werden.

Andere gibt es, die in die Arbeit flüchten, um sich nicht allein zu fühlen. Während der Arbeit haben sie mit Menschen zu tun. Doch wenn sie daheim sind, sitzen sie allein in ihrer Wohnung und wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen. Es gibt zwar im Haushalt noch dieses oder jenes zu tun. Aber es erfüllt sie nicht. In ihrer Langeweile machen sie dann den Fernseher an, um sich abzulenken. Angst haben sie vor allem vor dem Wochenende. Denn da erwartet sie niemand und nichts, was sie aus ihrer Lethargie herausholen könnte. Wenn sie ans Wochenende denken, kommt ihnen das Bild einer gähnenden Leere entgegen. So freuen sie sich nicht auf das Wochenende, sondern denken mit Schrecken an ihr Alleinsein. Wenn sie es wagen, trotzdem aus dem Haus zu gehen, treffen sie junge Familien mit Kindern oder ältere Ehepaare, die miteinander spazieren gehen. Dann fühlt sich das Alleinsein noch schmerzlicher an.

Für viele wird die Einsamkeit zum großen Problem, wenn sie ihre Arbeit aufgegeben haben und in Pension gegangen sind. Solange sie in der Arbeit waren, hatten sie zumindest zu den Arbeitskollegen noch Kontakt. Und manchmal verstand man sich auch ganz gut. Und sie hatten den Eindruck, dass sie gebraucht wurden. Sie waren wichtig an ihrer Stelle. Andere mussten sie um etwas bitten. Doch jetzt sind sie allein in ihrer Wohnung. Niemand fragt nach ihnen, niemand möchte einen Rat von ihnen einholen. Sie fühlen sich unnütz und allein gelassen. Sie geraten in Panik, wenn sie daran denken, dass sie die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre so allein in ihrer Wohnung leben müssen, ohne dass jemand nach ihnen fragt. Oft haben sie auch keine Familie, mit der sie etwas unternehmen könnten, keine Enkelkinder, die neues Leben in ihr verbrauchtes Leben bringen und ihr hart gewordenes Herz erweichen und erwärmen.

Bis jetzt hatte ich alleinstehende Menschen im Blick, die an ihrer Einsamkeit leiden. Es gibt aber auch die Einsamkeit in der Ehe. Man spricht dann von der Einsamkeit zu zweit. Man lebt neben dem andern her, aber man fühlt sich allein. Man hat keine Sprache mehr, die den andern erreicht. Man kann das, was einen wirklich bewegt, nicht mehr mit dem andern teilen. Manche Ehepartner ziehen sich in die Einsamkeit zurück aus Angst vor immer neuen Verletzungen und Enttäuschungen. Mitten in der Ehe vereinsamen sie dann. Oft wird die innere Einsamkeit verschwiegen, »ein Schicksal, das oft gerade die liebenden Frauen trifft, die dem Partner nie eingestehen können, dass sie an seiner intellektuellen oder spröden und gefühlskargen Art innerlich gleichsam erfrierend leiden und in der kalten Zweisamkeit buchstäblich verhungern, weil ihr Gefühl keine Nahrung mehr bekommt. Der Ernst dieser Einsamkeit besteht dann in einem inneren Aufgeben jeder Hoffnung.« (Brocher 169f) Da die Menschen heute immer älter werden, nimmt die Einsamkeit in der Ehe gerade im Alter zu. Während der Arbeit hatte jeder seinen Raum, in dem er das Sagen hatte, den Raum, den er selber gestalten konnte. Da war das Miteinander daheim dann ein guter Zufluchtsort, zu dem man von der anstrengenden Arbeit immer wieder zurückkam. Aber jetzt, da man immer zusammen ist, weiß man gar nicht mehr, was man miteinander besprechen kann. So lebt man nebeneinander her. Und jeder fühlt sich schrecklich einsam. Um dieser öden Einsamkeit zu entgehen, fliehen manche in Alkohol, in andere sexuelle Beziehungen oder auch in Frömmigkeit. Spiritualität kann eine Hilfe sein, mit der Einsamkeit in der Ehe besser umzugehen. Aber es gibt auch eine andere Art der Frömmigkeit. Von ihr schreibt Waltraut Schmitz-Bunse: »Frömmigkeit, die den Partner aus scheinbar verständlichen Gründen aufgegeben hat, kann Ersatz für Liebe sein – diese engherzige Frömmigkeit, in deren Umkreis man Erstickungsgefühle bekommt. Diese selbstgebastelte Einsamkeit! Unfruchtbar, weil sie nur die eigenen Enttäuschungen hätschelt und betrauert, aber sie ist nicht imstande, die Einsamkeit, Verlorenheit anderer zu bemerken, um sich ihrer von Herzen zu erbarmen.« (Schmitz-Bunse 221)

Schmerzlich ist die Einsamkeit, in die Menschen geraten, die eine beglückende Partnerschaft hatten und deren Partner gestorben ist. Auf einmal kann man dem Partner nicht mehr erzählen, was tagsüber war, was die Kinder gemacht haben. Man ist auch allein mit seiner Liebe und mit seiner Sehnsucht, diese Liebe auszudrücken. Es ist, als ob einem ein Stück des eigenen Herzens heraus gerissen worden ist. Zu dem Schmerz über das Alleinsein kommt dann noch die kränkende Erfahrung, dass auch Freunde einen meiden. Sie wollen nichts mit dieser Trauer zu tun haben. Sie lassen den Menschen allein in seiner Trauer. Sie wollen für sich weiter leben, ohne sich ihm in seiner traurigen Einsamkeit zu stellen und sich auf ihn einzulassen. Denn dann würden sie mit ihrer eigenen Angst vor dem Alleinsein konfrontiert werden.

Andere werden von ihrem Partner verlassen, weil man sich auseinander gelebt hat. Oder aber der Mann hat eine jüngere Freundin gefunden und lässt seine Ehefrau allein. Auch da wird die Einsamkeit für manche allein gelassene Frauen und Männer oft unerträglich. Das Alleinsein ist von ständigen Selbstgesprächen geprägt. Die kreisen um den Partner, den man immer noch liebt, aber von dem man sich abgrundtief verletzt fühlt. Oder aber sie kreisen um die eigenen Schuldgefühle. Was habe ich verkehrt gemacht, dass mich mein Partner verlassen hat? Bin ich überhaupt liebenswert oder liebesfähig? Ich zweifle an mir selbst. Und ich fühle mich allein gelassen, allein mit meinem Schmerz, allein mit meiner Wut, allein mit meiner Liebe.

Thomas Wolfe hat die Erfahrung gemacht, dass die Einsamkeit letztlich der Grund von Unzufriedenheit und Klagen ist: »Ich glaube, dass sie alle an derselben Sache leiden. Der letzte Grund ihrer Klage ist die Einsamkeit.« (Zit. Schütz LexSpir 275) Doch es gibt verschiedene Formen von Einsamkeit. Hermann Hesses Gedicht weist auf die Existenz des Menschen als Einsamsein: »Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, jeder ist allein.« (Ebd 275) Der Mensch als Mensch ist allein. Die Einsamkeit gehört zum Wesen des Menschen. Johann Baptist Lotz unterscheidet diese grundsätzliche Einsamkeit von der Vereinsamung. Wenn Menschen klagen, dass sie sich einsam fühlen, dann sind sie vereinsamt. Die Vereinsamung plagt heute viele Menschen. Vereinsamte Menschen fühlen sich oft traurig, manchmal depressiv und ratlos.

Es gibt viele Bücher über Einsamkeit und Alleinsein. Oft überwiegt die Trauer über das Alleinsein und die Einsamkeit. Ich möchte in diesem Buch die positiven Aspekte von Alleinsein und Einsamkeit beschreiben. Und es geht mir um die Kunst, auf gute Weise allein zu sein. Es geht mir darum, wie ich eine schmerzliche Einsamkeit aushalten kann, so, dass sie sich langsam verwandelt in eine gute Einsamkeit. Und ich möchte Wege aufzeigen, wie ich mit dem Alleinsein gut umgehe, das notwendigerweise zu meinem Leben gehört.

Bei all dem helfen vielleicht aus lebenslanger Erfahrung mit der Einsamkeit und dem Glauben an die manchmal verborgene Nähe Gottes gewonnene Einsichten. Den Überlegungen in diesem Buch sind einige Weisheiten der Wüstenväter beigefügt. Diese frühchristlichen Mönche haben, oft in der Einsamkeit von Eremiten oder auch in kleinen klösterlichen Gemeinschaften, ab dem 3. Jahrhundert nach Christus ein zurückgezogenes Leben in den Wüsten Ägyptens und Syriens geführt. Askese, Arbeit und Gebet bestimmten alle ihre Tage über viele Jahre. Im Grundsatz helfen diese drei Elemente Menschen auch heute, das Alleinsein und die Einsamkeit zu bewältigen und für sich positiv, lebensbejahend zu gestalten. Die hier aufgenommenen Sätze der Wüstenväter verweisen also nicht so sehr auf eine fremde, vergangene und entlegene Lebensform, sondern auf allzeit gültige Urerfahrungen des Menschen: mit sich selbst, mit den anderen und mit Gott.

Beginnen möchte ich damit, einige Einsichten von Psychologen und Philosophen über die Einsamkeit und das Alleinsein anzuführen. Sie zeigen, wie wir die Worte Alleinsein und Einsamkeit verwenden und dass beide sowohl positive wie negative Aspekte aufweisen.

1. Alleinsein und Einsamkeit

Wir gebrauchen die Worte Alleinsein und Einsamsein oft im gleichen Sinn. Doch Alleinsein ist mehr die äußere Situation, dass ich gerade allein bin. Einsamkeit drückt dagegen eher die Befindlichkeit aus. Ich fühle mich einsam. Allerdings sagen viele auch: Ich fühle mich allein. In unserer alltäglichen Sprache unterscheiden wir nicht immer zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Und doch gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen. Fritz Riemann, der Münchner Psychiater, beschreibt den Unterschied so: »Ist nicht jeder von uns schon einmal allein gewesen, ohne sich einsam zu fühlen, hat er nicht vielleicht sogar das Alleinsein gesucht, um ungestört und ohne Ablenkung sich mit etwas zu beschäftigen, um mit sich selbst allein sein zu können, ohne sich dabei einsam zu fühlen? Und wir alle kennen wohl auch die andere Erfahrung, dass wir uns unter Menschen befanden und uns trotzdem einsam fühlten – etwa, weil die uns umgebenden Menschen uns fremd oder gleichgültig waren oder weil etwas schwer beschreibbares Trennendes wie eine unsichtbare Glaswand zwischen ihnen und uns zu stehen schien.« (Riemann 24) Man könnte also sagen: Alleinsein ist ein Zustand, Einsamkeit ein Gefühl. Aber auch die Einsamkeit kann man verschieden sehen. Sie ist nicht nur ein negatives Gefühl von Schmerz und Traurigkeit. Sie kann auch eine Befindlichkeit des Menschen ausdrücken, die wesentlich zu ihm gehört und die eine Chance sein kann, das Geheimnis der eigenen Existenz zu erahnen.

Der Philosoph Johannes B. Lotz beschreibt die verschiedenen Arten von Einsamkeit: »Es gibt eine beglückende und eine quälende, eine befruchtende und eine zerstörerische Einsamkeit. Meines Erachtens wäre es hilfreich, diese beiden Ausprägungen auch terminologisch auseinanderzuhalten; sonst ergeben sich manchmal Formulierungen, die unerträglich sind. Der positiven Gestalt, auf die wir eben hinwiesen, soll das Wort Einsamkeit vorbehalten sein; dagegen soll für die negative Gestalt das andere Wort Vereinsamung dienen.« (Lotz 31) Der entscheidende Unterschied zwischen Einsamkeit und Vereinsamung ist für Lotz die Frage der Beziehungsfähigkeit. Der Einsame ist in Beziehung zu sich selbst und somit auch fähig, eine Beziehung zu einem Du einzugehen. Dagegen gilt von der Vereinsamung: »Die Vereinsamung wirft den Menschen auf sich selbst zurück, indem sie seine lebendige Einheit mit dem anderen unterbricht; er wird gleichsam in einen luftleeren Raum gestoßen und muss darin verkümmern.« (Ebd 32) Es kann hilfreich sein, die negative Einsamkeit mit Vereinsamung zu beschreiben. Dennoch halten wir uns im Folgenden an das, was der Psychologe über die positiven und negativen Aspekte der Einsamkeit beschreibt.