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Emotionen bestimmen unser Denken und beeinflussen unsere Entscheidungen und das, was wir tun. Sie sind aber auch innere Kraftquelle und die Voraussetzung für eine echte Begegnung mit anderen. Wie unsere Emotionen zu einer Quelle von Energie, Lebendigkeit und Lebensfreude werden, das zeigt Anselm Grün in seiner "Kleinen Schule der Emotionen" auf inspirierende Weise.
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Seitenzahl: 206
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Anselm Grün
Kleine Schule der Emotionen
Wie Gefühle uns bestimmen und was unser Leben lebendig macht
Titel der Originalausgabe: Kleine Schule der Emotionen
Wie Gefühle uns bestimmen und was unser Leben lebendig macht
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin
ISBN (E-Book): 978-3-451-80326-0
ISBN (Buch): 978-3-451-30754-6
Impressum
Vorwort
Angst – Eine Einladung
Antipathie – Mit anderen Augen sehen
Ärger – Eine hilfreiche Kraft
Beleidigtsein – In meiner Würde verletzt
Bitterkeit – Gift für Fühlen und Denken
Eifersucht – Wunde meiner Lebensgeschichte
Einsamkeit – Chance zum Wachsen
Ekel – Sich für das Leben entscheiden
Emotionale Dürre – Innerlich abgestorben
Enttäuschung – Herausgerissen aus der Täuschung
Ergriffenheit – Tiefe der Seele
Feindseligkeit – Herausgefordert vom Schatten
Freiheitsgefühl – Im Einklang mit mir selber
Freude – Weite des Herzens
Gelassenheit – In der Mitte ruhen
Gier – Nie genug
Gleichgültigkeit – Unberührt vom Menschlichen
Glück – Einfach leben
Hass – Eine zerstörerische Energie
Heiterkeit – Fröhlich und leicht
Hoffnung – Atem der Seele
Kränkung – Innerer Aufruhr
Kummer – Innere Last
Langeweile – Einladung zum Aufwachen
Das Gefühl der Leere – Hinführung zum Eigentlichen
Liebe – Kraft der Verzauberung
Lust – Heilmittel gegen Traurigkeit
Mitleid – Einfühlung in andere
Neid – Giftiger Stachel
Ohnmacht – Grenzen akzeptieren
Rachsucht – Ungezügelt und maßlos
Resignation – Ohne Energie, ohne Hoffnung
Reue – Schmerz der Seele
Schadenfreude – Ein gesundes Gefühl
Scham – Schutz unserer Würde
Schuldgefühl – Kraft der Vergebung
Sehnsucht – Spannung und Tiefe
Sorge – Vertrauen auf Gottes Segen
Staunen – Anfang der Weisheit
Stolze Zufriedenheit – Bestätigt im eigenen Wert
Trauer – Verwandlung in neue Lebendigkeit
Überraschung – Unerwartet beschenkt
Vertrauen – Sicherer Seelengrund
Verwirrung – Verstrickt in Unklarheit
Verzweiflung – Jenseits der Zuversicht
Vorfreude – Öffnung des Herzens
Zorn und Wut – Beherrschen, sich nicht beherrschen lassen
Zuversicht – Vertrauen mit Hoffnung gepaart
Nachwort
Literatur
Emotionen bewegen uns. Sie bringen uns innerlich in Bewegung. Sie bestimmen nicht nur unser Inneres, sondern auch unser Verhalten und unser Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen. Das Wort stammt vom lateinischen Wort »emovere«, das »heraus bewegen, emporwühlen« bedeutet. Die Emotionen wühlen uns oft innerlich auf. Wir reagieren emotional auf eine Kritik. Oder unsere Emotionen gehen mit uns durch, wenn wir von etwas begeistert sind oder erregt, aber auch dann, wenn uns etwa ein tiefes Leid trifft.
Viele Menschen leiden unter ihren Emotionen. Und manch einer wirft denen, die starke Emotionen haben, vor, sie seien zu emotional. Der damit verbundene Rat ist meist, sie sollten sich mehr von ihrem Verstand leiten lassen. Doch umgekehrt gilt auch: Wenn einer keine Emotionen zeigt, können wir keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. Dann erscheint der andere uns nur mit seiner Fassade, aber wir spüren ihn nicht als Person. Wir haben den Eindruck: Da ist kein Leben hinter der Fassade. Wir fühlen uns unsicher, weil wir nicht erschließen können, was er wirklich denkt und wie er zu uns steht.
Die Emotion, mit der jemand auf uns reagiert, nimmt uns selber ernst. Wir fühlen uns verstanden. Wir spüren, dass wir wichtig sind für den anderen, dass wir etwas in ihm auslösen. Wenn einer emotionslos auf uns reagiert, dann empfinden wir das eher als eine Missachtung unserer selbst.
In der heutigen Psychologie spricht man von emotionaler Intelligenz oder emotionaler Kompetenz und meint damit soziale Fähigkeiten, die bis in betriebliche und wirtschaftliche Zusammenhänge hinein Auswirkungen haben. Und jeder wird zustimmen: Es genügt nicht, ein Unternehmen oder die Mitarbeiter eines Betriebs oder einer Verwaltung nur vom Verstand her oder vermittels eines rationalen Effizienzkonzepts zu führen. Auch funktionale Prozessabläufe sind auf Menschen angewiesen und es braucht emotionale Intelligenz, um ein Unternehmen in Bewegung zu bringen. Emotionale Intelligenz ist eine wichtige Quelle, aus der wir die Energie eines Unternehmens speisen. Und sie ist wichtig, um die Mitarbeiter richtig einzuschätzen und zu verstehen. Die emotionale Kompetenz besteht darin, dass ich mit den Emotionen meiner Mitarbeiter richtig umgehe. Ich muss mich in die Emotionen der Mitarbeiter hinein fühlen, um darauf eine angemessene Antwort zu geben. Wer ohne emotionale Intelligenz und Kompetenz eine Abteilung führt, von dem sagen wir: Er verhält sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Er trampelt auf den Gefühlen seiner Mitarbeiter herum und merkt gar nicht, wie er sie verletzt und wie viel er in ihnen zertrümmert.
Emotionale Intelligenz und emotionale Kompetenz erlange ich aber nur, wenn ich meine eigenen Emotionen kenne und mit ihnen gut umgehen kann. Ich soll meine Emotionen zulassen, aber zugleich bewusst auf sie reagieren. Ich soll mich nicht von meinen Gefühlen beherrschen lassen, sondern sie als Quelle der Energie nutzen. Das kann ich aber nur, wenn ich die Emotionen anschaue und sie zu verstehen suche. Dann habe ich keine Angst vor ihnen, sondern bin mit ihnen vertraut und kann mit ihnen so umgehen, dass sie mich auch selber lebendiger und menschlicher machen.
Menschen, die keine Emotionen haben, leiden an Gefühlskälte, an innerer Erstarrung. Von ihnen geht keine Lebendigkeit aus, aber auch keine Bewegung. Sie bringen nichts in Bewegung. Es braucht die Begeisterung, die Kraft der Emotion, die mich in Bewegung bringt. Alle großen Menschen hatten nicht nur Verstand, sondern auch starke Emotionen. Daher sprechen ihre Worte und Handlungen uns auch heute noch an. Sie rühren uns in unseren Emotionen an.
Von den Emotionen sprechen, so sagt Verena Kast, heißt immer auch, von sich selbst zu sprechen: »Beim Erleben unserer Emotion geht es immer um unsere Identität, es geht immer auch um uns als Person. Wenn wir keine Emotionen mehr zulassen wollten, wenn wir versuchten, sie auszuschalten, dann wären wir Menschen, die sich nicht mehr betreffen lassen. Sich nicht mehr betreffen zu lassen würde heißen, sich nicht mehr zu spüren, aber auch keine Verantwortung zu übernehmen und nicht mehr zu handeln.« (Kast, Freude 10) Sich emotional betreffen zu lassen ist eine wichtige Triebfeder für unser Handeln. Aber die Emotionen sind auch in sich wertvoll. Die Emotion von Freude, Hoffnung, Vertrauen und Zufriedenheit zu spüren, ist in sich schon etwas Gutes. In der Emotion erleben wir uns selbst. Wir spüren uns und das tut uns gut. »Emotion ist zuallererst eine Form des Selbsterlebens.« (Kast 10)
Wenn Sie meine Gedanken lesen, die ich über die Emotionen schreibe, kommen Sie mit sich selbst in Berührung. Sie entdecken also Ihre eigenen Emotionen. Und damit entdecken Sie sich selbst. Sie lesen dabei im Folgenden immer auch etwas über sich selbst. Vielleicht entspricht das, was ich über die Emotionen geschrieben habe, nicht immer Ihrem eigenen Selbsterleben. Dann wären meine Gedanken eine Einladung, Ihre persönlichen Emotionen mit eigenen Worten zu formulieren.
Die Emotionen sind immer ambivalent. Sie können uns beherrschen und lähmen oder uns antreiben, etwas anzupacken. Oft können wir unsere Emotionen nicht richtig verstehen. Sie sind auch nicht immer eindeutig und klar. Nicht umsonst sprechen wir auch von »gemischten Gefühlen«. Wir haben oft den Eindruck, einen Emotionsbrei in uns zu haben.
Wenn der Titel dieses Buches von einer »Kleinen Schule der Emotionen« spricht, dann kann das bedeuten: Wir sind unseren Gefühlen nicht ausgeliefert, sondern können lernen und uns darin üben, mit unseren Emotionen umzugehen. Wir können uns auch im Alltag darin schulen, achtsam darauf zu sein und diese formlosen und gestaltlosen Gefühle, anzuschauen, zu analysieren und auch einen »Emotionsbrei« zu gestalten, damit daraus Emotionen werden, die uns – und durch uns auch andere – zum Leben führen.
Wenn wir die Emotionen nicht ernst nehmen oder sie verdrängen, dann melden sie sich oft auf eine Weise zu Wort, die uns nicht gut tut. Wenn Gefühle uns überschwemmen, dann haben nicht wir sie, sondern sie haben uns im Griff. Es geht jedoch darum, die Emotionen als Quelle der eigenen Lebendigkeit und des eigenen Handelns zu sehen. Nur im behutsamen Anschauen und Verstehen können sie sich klären und wandeln. Und für die Verwandlung ist es wichtig, dass wir unsere Emotionen anderen zeigen, entweder im Gebet Gott hinhalten oder uns im Gespräch einem anderen emotional öffnen.
Gerade die starken Emotionen wollen uns in Bewegung bringen, um an einer besseren Zukunft zu arbeiten. In meinen Emotionen reagiere ich auf die Wirklichkeit, auf Menschen, die mich verzaubern oder verletzen, auf Zustände der Gesellschaft, auf Zustände in meinem Leben.
Die Emotion möchte mich immer herausführen aus dem, was gerade ist. Sie möchte mir entweder eine neue Sichtweise schenken, dass ich mit anderen Augen auf die Wirklichkeit schaue. Oder aber sie möchte mich dazu bewegen, die Situation zu ändern, andere Bedingungen für mein Leben und für das Leben meiner Mitmenschen zu schaffen. »Jedes einzelne Gefühl verwandelt die ganze Welt«, hat der Philosoph Jean Paul Sartre einmal gesagt. Durch unsere Emotionen können wir uns also dazu bewegen lassen, diese Welt menschlicher und hoffnungsvoller zu machen.
Achten Sie beim Lesen meiner Gedanken immer auf die eigene Reaktion in Ihrem Herzen. Lassen Sie sich von mir keine Emotion einreden, sondern horchen Sie in sich hinein, welche Emotion Ihnen vertraut ist. Und dann überlegen Sie, wie Sie bisher mit dieser Emotion umgegangen sind und ob Sie beim Lesen für sich neue Wege entdecken, die Emotionen zuzulassen, sich mit ihnen vertraut zu machen und sie so zu leben, dass sie zu einer Quelle von Energie, von Lebendigkeit und Lebensfreude werden.
Die Angst kann zu einer Freundin werden, die uns einlädt, neue Maßstäbe für unser Leben zu finden.
Das Gefühl der Angst kennen wir alle. Leben ist Veränderung. Wenn wir etwas Neues anfangen, wissen wir oft nicht, ob wir ihm auch gewachsen sind. Wenn wir Vertrautes aufgeben sollen, beschleicht uns das Gefühl eines bevorstehenden schmerzhaften Verlustes. Angst gehört zu den Gefühlen, die wir nicht im Griff haben, sondern die uns überwältigen können. Sie gehört zu den negativen Gefühlen, die wir gerne loswerden wollen. Doch das gelingt uns nicht. Oft genug machen wir die Erfahrung: Je mehr wir gegen sie kämpfen, desto stärker werden sie. Für viele ist Angst etwas, das sie verdrängen müssen. Sie glauben, dass Angst etwas Krankhaftes ist. Das ist schon die erste Fehleinschätzung. Angst gehört zum Menschen. Es gibt keinen Menschen ohne Angst. Ohne Angst hätten wir auch kein Maß. Natürlich gibt es Ängste, die uns überfallen, die uns lähmen und uns quälen. Von solchen Ängsten möchten wir gerne frei werden. Die Frage ist, wie das geht.
Der erste Schritt besteht darin, sich mit der Angst auszusöhnen und mit ihr zu sprechen. Indem ich mit der Angst spreche, mache ich mich mit ihr vertraut. Und es wird mir klarer, wovor ich wirklich Angst habe. Die diffuse Angst wird konkreter. Wenn ich meine Ängste, mich vor anderen zu blamieren, vor anderen meine Schwächen zu offenbaren, einen Fehler zu machen, den alle merken, befrage, dann entdecke ich in der Angst meine Bedürfnisse. Ich habe das Bedürfnis, vor allen gut dazustehen, perfekt und fehlerlos zu sein. Indem ich dieses Bedürfnis formuliere, merke ich, wie unrealistisch es ist. Die Angst lädt mich ein, mich von übertriebenen Bedürfnissen zu verabschieden. Und die Angst weist mich auf falsche Grundannahmen hin, die sich in meinem Kopf festgesetzt haben. So eine Grundannahme könnte sein: »Ich darf keinen Fehler machen, sonst bin ich nichts wert, sonst werde ich abgelehnt.« Die klare Formulierung meiner Grundannahmen zeigt mir, wie willkürlich sie sind. Und so kann ich sie in Frage stellen. Und die Angst lädt mich ein, mich nicht von den Menschen und ihrer Anerkennung her zu definieren, sondern den Grund meiner Existenz in anderen Werten zu sehen: in der Klarheit, Ehrlichkeit, Echtheit. Und die Angst verweist mich letztlich auf Gott als den eigentlichen Grund meines Lebens. Wenn ich in Gott meinen Grund habe, dann kann ich es auch aushalten, wenn Menschen mich ablehnen. Ich muss es nicht allen recht machen, nur damit ich überall beliebt bin.
Es gibt andere Ängste, die uns umtreiben. Die eine Angst ist die vor einer Krankheit. Ich habe Angst, ich könnte Krebs bekommen. Inzwischen gibt es nicht nur Kliniken für Krebskranke, sondern für Menschen, die an der Angst leiden, sie könnten Krebs bekommen. Diese Angst kann man nicht einfach unterdrücken. Dann verfolgt sie mich überall hin. Auch hier gilt es, mit ihr zu sprechen. Ich denke die Angst zu Ende und stelle mir vor, dass das eintritt, wovor ich Angst habe. Es kann sein, dass ich Krebs bekomme. Was ist dann? Gerate ich dann wirklich in Panik? Oder ist die Krankheit dann eine Herausforderung, um meine Gesundheit zu kämpfen und zugleich meine Lebenseinstellung zu ändern? Auch in meiner Krankheit werde ich in Gottes Hand sein und nicht aus ihr heraus fallen. Wenn ich das zulasse, wovor ich Angst habe, und es zu Ende denke, darf ich aber zugleich auch Gott darum bitten, mich vor dem Krebs zu bewahren, meine Gesundheit zu segnen und mich zu beschützen. Die Angst lädt mich ein, in dem Vertrauen zu leben, dass ich immer in Gottes Hand bin, und die Fixierung auf die Krankheit loszulassen. Die Angst fordert mich heraus, mir meiner Endlichkeit bewusst zu werden. Irgendwann werde ich sterben. Also versuche ich, jetzt bewusst zu leben, im Augenblick zu sein und jede Begegnung bewusst wahrzunehmen.
Der jüdische Therapeut Irwin Yalom meint, die Todesangst gehöre wesentlich zum Menschen. Eine Therapie, die – wie Yalom es Sigmund Freud vorwirft – die Todesangst verdrängt, vermag dem Menschen nicht wirklich zu helfen. Aber auch hier ist es wichtig, mit der Todesangst zu sprechen. Wovor habe ich eigentlich Angst? Die einen haben Angst vor dem Kontrollverlust. Andere haben Angst vor der Hilflosigkeit oder vor Schmerzen. Wieder andere haben Angst, ihren Ehepartner oder ihre Kinder allein zu lassen, weil sie glauben, diese würden ohne sie nicht mit ihrem Leben zurecht kommen. Indem ich die Angst konkretisiere, kann ich jeweils Gott bitten, dass er mich auch im Tod begleiten möge, dass er für die Menschen sorgen möge, die ich im Tod einmal verlassen werde. Die Angst verweist mich so auf entscheidende Lebensthemen. Wenn ich mich diesen Themen stelle, werde ich bewusster und achtsamer und zugleich intensiver leben.
Neben diesen zentralen Ängsten gibt es viele andere Ängste, die in uns immer wieder aufsteigen. Wir haben Angst, das Leben nicht zu schaffen, finanziell nicht über die Runden zu kommen, den Anforderungen in der Arbeit nicht gewachsen zu sein, die Kinder nicht richtig zu erziehen. Wir haben Angst, dass die Kinder auf die schiefe Bahn geraten. Bei all diesen Ängsten gilt es: mit der Angst zu reden, sich vorstellen, was passiert, wenn das, wovor wir Angst haben, eintritt. Und dann die Angst Gott hinhalten. Fragen Sie also die Angst: Was heißt es, das Leben nicht zu schaffen? Habe ich Angst, nicht die Kraft für den Alltag zu haben? Habe ich Angst, meine Existenz finanziell nicht sichern zu können? Wenn ich mit den Ängsten spreche, kann ich konkrete Schritte unternehmen, damit die Angst kleiner wird. Ich kann mir überlegen, was ich für die Existenzsicherung brauche, was ich dafür konkret tun kann. Und ich kann durch die Angst hindurch immer wieder das Vertrauen entdecken, das auch in mir ist. Keiner hat nur Angst, keiner hat nur Vertrauen. Ich kann Gott bitten, mir mitten in meiner Angst Vertrauen zu schenken. Die frühen Mönche haben die Angst dadurch verwandelt, indem sie Worte der Bibel in die Angst hinein gesprochen haben. In die Angst vor Menschen, vor ihrer Kritik, vor ihrem herrischen Wesen, vor ihrer Ablehnung haben sie den Psalmvers aus Psalm 118 gesprochen: »Der Herr ist mit mir. Ich fürchte mich nicht. Was können Menschen mir antun?« Dieses Wort vertreibt die Angst nicht. Aber es führt durch die Angst hindurch in das Vertrauen, das auf dem Grund meiner Seele bereitliegt.
Das Problem unserer Zeit ist, dass wir negative Gefühle sofort pathologisieren. Wir deuten die Angst sofort als Krankheit. Doch die Angst gehört zu uns und macht uns menschlich. Allerdings gibt es durchaus auch eine Angstkrankheit. Wer an Panikattacken leidet, braucht eine therapeutische Hilfe. Manchmal können Medikamente etwas helfen. Aber auch da ist es wichtig, den Grund der Panikattacken zu entdecken. Häufig ist es die Angst vor der Angst, die mich überfällt. Wenn ich aber die Angst wahrnehme und sie bewusst beobachte, dann wird sie sich normalerweise nicht zur Panikattacke ausweiten. Und wenn ich wirklich in Panik gerate, dann erlaube ich mir, jetzt einfach stehen zu bleiben, zu nichts fähig zu sein. Die Panikattacke könnte so zur Einladung werden, für einen Augenblick auszusteigen aus dem Hamsterrad meines Lebens. Vielleicht rebelliert meine Seele damit gegen ein Leben, das ich mir aufgebürdet habe und das mich überfordert. Auch dann wäre die Panik die Einladung, mein Maß zu finden und gelassener auf die Anforderungen des Lebens zu reagieren.
Die Angst kann zu einer Freundin werden, die uns einlädt, neue Maßstäbe für unser Leben zu finden, und die uns zeigt: Wir haben unser Leben, unsere Gefühle, unseren Leib nicht im Griff. Wir sind angewiesen auf Gottes Segen. Die Angst zeigt, dass wir auf Gottes Hilfe angewiesen sind. Aber zugleich führt sie uns auch zum Vertrauen, dass Gottes heilende Gegenwart uns immer und überall umgibt und dass wir nie und nimmer aus der guten Hand Gottes heraus fallen können.
Wenn wir nach den Ursachen der Antipathie fragen, dann erkennen wir häufig, dass der andere etwas repräsentiert, was uns an unangenehme Erfahrungen in der Kindheit erinnert. Er erinnert uns vielleicht an den lauten Vater oder die depressive Mutter. Dann ist die spontan auftretende Antipathie ein inneres Alarmzeichen, dass wir diesem Menschen nicht so nahe kommen sollen. Er tut uns nicht gut. Das ist dann nicht zu werten. Es ist einfach ein innerer Impuls, sich auf diesen Menschen eher nicht einzulassen. Das Gefühl der Antipathie kann aber auch darin seine Ursache haben, dass der andere uns an Seiten in uns selbst erinnert, die uns nicht sympathisch sind. Der andere zeigt uns unsere eigenen Schattenseiten auf, die wir verdrängt haben. Weil wir unsere Schattenseiten nicht gerne anschauen, wollen wir mit dem, der uns daran erinnert, nichts zu tun haben.
Es ist unsere Aufgabe, den anderen genauer anzuschauen und uns in seinem Spiegel selbst zu betrachten.
Das Gefühl der Antipathie entsteht einfach in uns. Wir sollen uns deshalb nicht verurteilen. Wir können nichts dafür. Aber wir sind dafür verantwortlich, wie wir mit diesem Gefühl umgehen. Wir dürfen den Menschen, dem gegenüber wir dieses Gefühl empfinden, nicht festlegen auf unsere Antipathie. Wir dürfen ihn nicht als Mensch ablehnen. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, ihn genauer anzuschauen und uns in seinem Spiegel selbst zu betrachten. Wir werden dann weiterhin spüren, dass er uns unsympathisch ist. Aber wir gestehen ihm zu, dass er noch andere, liebenswerte Seiten in sich hat. Wir verdrängen unsere Antipathie nicht. Wir nehmen sie wahr, lassen sie zu, aber zugleich versuchen wir, uns davon zu distanzieren und den anderen mit Augen des Wohlwollens zu betrachten. Wenn ich ihn mit Augen des Glaubens anschaue, dann werde ich auch Gutes in ihm entdecken. Zumindest glaube ich dann, dass unter der unsympathischen Fassade ein guter Kern steckt. Und wenn ich an diesen guten Kern glaube, dann kann ich mir vorstellen, wie dieser Mensch an sich selber leidet. Das Leid, das ich in der Antipathie in mir spüre, weist letztlich auf das Leiden im anderen hin. Er leidet an seinen unsympathischen Zügen. Vielleicht ist er nicht nur mir unsympathisch. Er hat etwas in sich, das andere gegen ihn aufbringt. Das auszuhalten ist nicht so einfach. Wenn ich mit diesem Leiden in mir und in ihm in Berührung komme, wird die Antipathie sich in mir in Mitleiden verwandeln. Und in diesem Mitleid steckt zugleich die Hoffnung, dass der andere seine negativen Seiten, die Antipathie hervorrufen, langsam ablegen kann. Ich wünsche ihm dann, dass er mit sich selbst in Einklang kommt, dass er sich selbst sympathisch wird und so auch bei anderen statt Antipathie Sympathie hervorruft.
Ein Gefühl, das uns immer wieder überfällt, ist der Ärger. Das deutsche Wort Ärger kommt von »arg«, das »schlimm, böse, schlecht« bedeutet. Und es hängt mit der Wurzel »ergh« zusammen, die »beben, zittern, heftig erregt sein« meint. Ärgern heißt somit: etwas schlimmer, böser, schlechter machen. Indem ich mich über etwas ärgere, mache ich das Ereignis, das mich ärgert, noch schlimmer. Ich steigere mich gleichsam in den Ärger hinein. Und dann sehe ich die Ereignisse mit einer dunklen Brille, die überall nur das Böse und Schlimme erkennt.
Ärger hilft, uns von negativen Worten oder Ereignissen zu distanzieren.
Das deutsche Wort »sich ärgern« meint aber auch, dass ich selber es bin, der sich ärgert. Es ist also meine Entscheidung, ob ich mich über etwas ärgere oder nicht. Ich tue etwas mit mir selbst. Das heißt aber: Ich bin dafür verantwortlich, ob ich mich ärgere. Wir können zwar nicht verhindern, dass uns ein Mensch ärgert oder ein Missgeschick. Die erste Reaktion liegt nicht in unserer Hand. Aber ob wir den ganzen Tag Selbstgespräche führen und uns immer mehr in den Ärger hineinsteigern, das liegt in unserer Verantwortung. Ärger hat mit Aggression zu tun. Eigentlich will uns der Ärger dazu einladen, das, was uns geärgert hat, aus unserem Herzen herauszuwerfen, uns zu befreien von dem, was uns da ärgert. Im Ärger steckt eine Kraft, die uns hilft, uns von negativen Worten oder Ereignissen zu distanzieren. Und manchmal ist der Ärger auch ein Impuls, etwas zu ändern. Wenn ich mich ärgere, dass in der Verwaltung immer wieder etwas schief läuft, dann bewegt mich der Ärger dazu, eine Sitzung zu halten, um das Problem zu besprechen. Dann hilft der Ärger, eine bessere Lösung zu finden.
Ärger ist auch ein Impuls, etwas zu ändern. Und er erinnert uns an eigene Schattenseiten, um uns damit auszusöhnen.
Hermann Hesse sagte einmal: »Was nicht in uns ist, das regt uns auch nicht auf.« Oft zeigt der Ärger, dass der Mensch, der uns ärgert, etwas in uns anspricht, was wir bei uns selbst nicht annehmen können. Der Ärger erinnert uns an die eigenen Schattenseiten, um uns damit auszusöhnen. Diese Emotion ist also ein Spiegel, in dem ich mich selber gut anschauen soll. Aber das ist nur eine Seite. Wenn ich das Wort von Hermann Hesse absolut nehmen würde, dann würde es heißen: »Ich bin immer selber schuld, wenn ich mich ärgere. Es ist bei mir etwas nicht in Ordnung. Ich muss also in mir selbst nachsehen, was bei mir nicht stimmt.« Der Ärger kann aber auch noch eine andere Funktion haben. Der Ärger ist die Kraft, mich von Menschen, die eine negative Ausstrahlung haben, zu distanzieren. Wenn mich ein Mensch ständig ärgert, kann ich mich auch fragen: »Wie unzufrieden muss er sein, dass er ständig an mir herum kritisiert? Wie verletzt muss er sein, dass er mich ständig verletzt? Wie muss es in ihm aussehen, wenn von ihm soviel Unreines und Unangenehmes ausgeht?« Wenn ich mich so befrage, dann lädt mich mein Ärger ein, mich vom anderen zu distanzieren. Er darf so unzufrieden sein, aber ich lasse es bei ihm. Es ist sein Problem.
Von einem solchen Ärger berichtet uns das Markusevangelium. Als Jesus den Mann mit der verdorrten Hand heilen möchte, beobachten ihn die Pharisäer, um ihn anklagen zu können. Da sieht Jesus jeden einzelnen an »voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz« (Mk 3,5). Der Ärger steigert sich hier zum Zorn. Doch der Zorn führt Jesus nicht dazu, die Pharisäer anzuschreien. Vielmehr ist der Zorn die Kraft, dass sich Jesus von ihnen distanziert – und trotzdem das tut, was er für richtig hält. Er sagt gleichsam: »Eure Härte ist euer Problem. Das seid ihr. Ich aber tue das, was mir von Gott aufgetragen ist. Ich gebe euch keine Macht.« Der Ärger verleiht Jesus also die Fähigkeit, sich von der Macht der Pharisäer zu befreien. Doch er distanziert sich nicht nur. In der Trauer fühlt er auch mit ihnen. Er reicht ihnen gleichsam die Hand. Er gibt ihnen keine Macht. Aber er lässt sie nicht fallen. Er möchte auch mit ihnen gemeinsam einen Weg gehen. Doch die Pharisäer weisen die ausgestreckte Hand ab. Sie verharren in ihrer Verurteilung. Sie gehen hinaus und beschließen, Jesus zu töten.