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Eine Reise ins Herz des Lebens Liebe ist mehr als nur ein Gefühl – sie ist eine Lebenshaltung, ein fortwährendes Abenteuer, ein erhabener Pfad. Sie besitzt die wundervolle Kraft, uns zu formen, zu heilen und zu vereinen. Doch wie können wir die Liebe stets neu ergründen und großzügig teilen? In diesem einzigartigen Werk entfaltet sich die Liebe in all ihren Ausdrucksformen. Jeder der 50 sorgfältig ausgewählten Begriffe öffnet uns ein Tor zu neuen Perspektiven und Erfahrungen: niemals als Zufall, immer als zauberhafte Möglichkeit. Mit berührenden Anekdoten, tiefgründigen Essays, poetischen Gedichten, fesselnden Geschichten und praktischen Übungen will Thomas Lambert Schöberl Sie inspirieren, eine tiefere Verbindung zum Leben aufzunehmen. Die 50 Wörter für Liebe leuchten wie Sterne am Nachthimmel – sie spenden Hoffnung und weisen den Weg zu mehr innerem Reichtum. Ein kostbares Geschenk für die Seele – für Sie selbst und all jene, die Ihnen am Herzen liegen! "Dies ist kein Buch zum schnellen Durchlesen. Es ist ein wunder-volles Werk, welches – wie die Liebe – erforscht werden möchte und zur eigenen Entdeckung anregt. Danke." Sabrina Fox
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Seitenzahl: 253
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Thomas Lambert Schöberl
50 Wörter für Liebe
Inspirationen, die das Herz berühren
E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-730-5
(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-728-2, 1. Auflage 2025)
Mankau Verlag GmbH
Pfarrgasse 1
D-82497 Unterammergau
Im Netz: www.mankau-verlag.de
Soziale Netzwerke: www.mankau-verlag.de/forum
Lektorat: Redaktionsbüro Julia Feldbaum, Augsburg
Endkorrektorat: Susanne Langer-Joffroy M. A., Germering
Cover/Umschlaggestaltung: © Andrea Janas | andreajanas.com unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com: Mashikomo, Lisla, Palanciuc Alina, Epine Innenteil (Layout und Satz): Lydia Kühn, Aix-en-Provence, Frankreich
Bildnachweis:
© stock.adobe.com mashikomo: 2,3,116,182,219; Lisla: 2–3,5,7,219,220; Joyce: 3,7,8,219,220; Andrii_Oliinyk: 12,57,155,164,188; channarongsds: 17,55,79,97,99,132,142,174; J_ka: 25; nikagraphic: 35; ledelena: 45 li; my_stock: 45 re; vladischern: 53; b.illustrations: 86; martstudio: 152; MoreVector: 201; ∼ Bitter ∼: 206; alinapala: 219,222
Wichtiger Hinweis des Verlags:
Der Autor hat bei der Erstellung dieses Buches Informationen und Ratschläge mit Sorgfalt recherchiert und geprüft, dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr; Verlag und Autor können keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Nachteile übernehmen, die sich aus der praktischen Umsetzung der in diesem Buch dargestellten Inhalte ergeben. Bitte respektieren Sie die Grenzen der Selbsthilfe, und suchen Sie bei Erkrankungen oder auffälligen Verhaltensstörungen einen erfahrenen Arzt oder Therapeuten auf.
Einleitung
1 Poesie
2 Vergissmeinnicht
3 Zärtlichkeit
4 Treue
5 Flüchtigkeit
6 Dunkelheit
7 Glück
8 Leitmotiv
9 Vergebung
10 Sehnsucht
11 Wertschätzung
12 Hoffnung
13 Fürsorge
14 Vertrauen
15 Heimat
16 Mut
17 Goldene Stunde
18 Herz
19 Dankbarkeit
20 Romantik
21 Bedingungslosigkeit
22 Verliebtheit
23 Grünkraft
24 Verzehrung
25 Neubeginn
26 Selbstliebe
27 Licht
28 Humor
29 Ausschau
30 Verführung
31 Schüchternheit
32 Freude
33 Traum
34 Vermissen
35 Freier Wille
36 Freundschaft
37 Zum Fressen gern
38 Harmonie
39 Begeisterung
40 Sexualität
41 Unschuld
42 Berufung
43 Outing
44 Abschied
45 Grabmal
46 Metanoia
47 Ernüchterung
48 Empathie
49 Stückwerk
50 Liebe
Danksagung
Zum Autor
Ich kann Dich bereits spüren, so wie die Nächte,in denen der Winter zärtlich Einzug hält;wie die Schwalben, die den Nordwind beschwören.Ein Schleier aus Nebel streift mein Gesicht.Ein Hauch von Veränderung liegt in der Luft.
Die Faszination für fallenden Schnee ist zeitlos. Ein Mythos, geboren aus den endlosen, eisigen Weiten der Arktis, besagt, die Inuit hätten fünfzig Wörter für Schnee. In einer Welt, in der eine flauschige Schneedecke das Überleben sichert, wird jede noch so feine Nuance in seiner Beschaffenheit zur Schicksalsfrage, zur Prüfung, zum Omen. Der Schnee ist für die Inuit weit mehr als bloße Materie – er ist ihr Element, ihr Wesen, ihre Behausung; er verwandelt Kälte in vertraute Wärme. Spuren werden mit der Sorgfalt eines Rituals gelesen, behutsam gesetzt und, wenn der Augenblick es verlangt, mit bedächtiger Hand wieder verwischt. Schnee, jener stille Gefährte der Inuit, ist der Liebe verwandt: Kostbar und allgegenwärtig entfaltet er sich in einem unendlichen Zyklus aus Erkennen, Verweilen und Loslassen.
Wie ein Verliebter starre ich fasziniert in den winterlichen Nachthimmel und bestaune die unzähligen Lichter der Sterne, die ihren Weg durch die Dunkelheit zu mir finden. In meiner Kindheit war die Liebe ein wärmendes Gefühl am Kaminfeuer, während draußen der Herbst einzog. Geborgenheit. Sicherheit. Fürsorge. Als Jugendlicher war die Liebe wie ein stürmischer Wind, der mich mal sanft trug und dann wieder über weite Felder zerstreute. Für den jungen Erwachsenen wurde die Liebe zu einem wilden Ozean. Unvorhersehbar. Stürmisch. Grenzenlos. Doch niemals hätte ich erwartet, auf welch wunderbare Kontinente sie mich noch führen würde. Nein, die Liebe versprach mir nichts – sie überraschte mich und veränderte mich für immer.
Die Schneeflocken tanzen um mich herum. Nun erkenne ich mich selbst als eine dieser kleinen Flocken, deren Reise im Himmel beginnt, auf den Flügeln des Windes Fahrt aufnimmt, in berauschenden Wassern dahinschmilzt, in den bunten Blättern und Atemzügen dieser Welt Wandel erfährt und dann – vom Feuer verzehrt – aufs Neue aufsteigt. Höher! Leichter als je zuvor.
Treten Sie näher an meine Fensterbank heran. Lauschen wir gemeinsam dem nächtlichen Rauschen der Schneeflocken. Wenn wir wollen, beginnt sich die Zimmerdecke zu heben, als stünden wir auf dem Dach der Welt. Unsere Herzen blicken dann weit über jeden Horizont hinaus, und wir können beobachten, wie sich die Schneeflocken mit all den Funken menschlicher Liebe zu einem klirrenden und flirrenden Feuerwerk vereinen.
Dieses Buch ist ein leidenschaftlicher Aufruf, die Liebe aus einer neuen Perspektive zu betrachten – jenseits der abgenutzten Pfade traditioneller Beziehungsratgeber und der romantischen Jagd nach Seelenverwandten. In einer Welt, in der laut jüngsten Studien jeder dritte Deutsche mit psychischen Belastungen kämpft und Krisen an jeder Ecke lauern, wirkt die Suche nach Erlösung, Wandel und Frieden oft wie ein vergebliches Unterfangen. Doch vielleicht liegt die Antwort in einem Element, das sich weder durch wissenschaftliche Analyse noch durch Bekehrung oder strenge Disziplin einfangen lässt: die Liebe. Für mich ist Liebe nicht nur ein flüchtiges Gefühl, sondern eine Haltung und ein Akt des Glaubens. Ihr Wesen zu begreifen bedeutet, sich auf eine innere Reflexion einzulassen und die grundlegendsten Fragen des Lebens zu stellen. Sie fordert uns auf, zwischen den Zeilen zu lesen, um die feinen Nuancen wahrzunehmen, die sich nur dem geduldigen Blick zeigen.
Über dieses Buch
Begeben wir uns in den Schneesturm der Liebe. In eine Sammlung von fünfzig Konzepten, Essays, Zuständen, Schwärmereien und Geschichten über die Liebe. Die Dokumentation all dieser Facetten der Liebe wurde zu meiner faszinierenden Forschungsreise und meinem künstlerischen Auftrag. Ich habe sie nicht nur gesammelt, sie haben sich mir offenbart. In Momenten der Freude, des Kummers, der Transzendenz und des Zweifels. Sie begegneten mir in den Chören alter Kirchenlieder, in der Einsamkeit des Waldes und in der Verbundenheit zwischen alten Freunden. Am Ende waren es weit über hundert. Fünfzig davon darf ich in diesem Buch mit Ihnen teilen.
So viele unserer Seelen sind müde geworden – abgestumpft. Denn das ständige Lärmen des Alltags übertönt nicht selten die sanfte Stimme des Herzens. Aber dort, in der Besinnlichkeit des fallenden Schnees, habe ich verstanden, dass jeder von uns, ähnlich wie die Inuit für den Schnee, sein eigenes poetisches Lexikon der Liebe braucht. Folgen Sie mir auf meiner Spur, und möge mit jeder Seite mehr Inspiration in Ihnen Funken schlagen.
Doch Vorsicht, beim Einfangen dieser fünfzig Funken habe ich gelernt, dass sich die Liebe nicht zähmen lässt. Sie folgt keinen Regeln; sie schreibt ihre eigenen immer wieder neu. Sie gleicht dem Nordlicht über dem Polarkreis – wild, verspielt und von uralter, schüchtern-scheuer Gestalt. In 50 Wörter für Liebe geht es also nicht darum, Ihnen ein Handbuch zu reichen, das Ihnen Schritt für Schritt zeigt, wie man liebt. Das wäre so, als wollte man den Lauf des Windes bestimmen.
Öffnen wir nun das erste Tor zu einer von vielen Welten, die alle ebenso real und verwegen sind wie die fünfzig Schneefelder der Inuit.
Doch bevor wir diese Wanderung antreten, lade ich Sie ein, einen Moment innezuhalten. Jeder von uns trägt eine einzigartige Geschichte der Liebe in sich – ob erlebt, ersehnt oder vielleicht sogar gefürchtet. Manche Herzen jubeln in Erinnerung an erfüllte Liebe, andere tragen die sanfte Melancholie des Verlusts. Und dann gibt es jene, die noch auf ihre erste Begegnung mit der Liebe warten, voller Hoffnung oder Zweifel.
All diese Erfahrungen und Gefühle sind wertvoll und verdienen es, gehört und verstanden zu werden. Wir werden in Worte eintauchen, die vielleicht längst vergessen oder noch nie gehört wurden, aber die Essenz dessen einfangen, was uns verbindet: unsere Fähigkeit zu fühlen, zu streben und zu wachsen.
UND NOCH ETWAS: Alle Gedichte, Geschichten und Zitate, die ohne Autorennamen abgedruckt sind, stammen aus meiner Feder. Als treuer Begleiter Ihrer Erkundungen empfehle ich Ihnen ein kleines Notizbuch, eine Kerze, reichlich Tee und viele bunte Stifte. Als passenden Soundtrack zum Buch habe ich eine Spotify-Playlist erstellt; diese können Sie über den QR-Code auf Seite 220 aufrufen.
Liebesbrief [ˈliːbəsˌbʀiːf]
Wir widmen uns der Poesie nicht wegen ihrerRaffinesse, sondern weil unsere leidenschaftlicheMenschlichkeit durch Lyrik, Ästhetik, Romantikund Liebe den wahren Lebenssinn findet.
Er war eine Selbstoffenbarung – mein erster Liebesbrief. Ich war fünfzehn, die Tinte dunkelgrün, meine Hände zitterten. Jeder Buchstabe, jeder Satz, sorgfältig mit Schmetterlingen im Bauch aufs Papier gebracht, war ein zaghafter Versuch, all meine Gedanken und meine stille Bewunderung auszudrücken. Mit Buntstiften verlieh ich dem Brief Farbe. Songzitate dienten als Stütze meiner unbeholfenen Erklärungen. Anonym wollte ich ihn senden – einzig, um mein Herz zu erleichtern. Um meinem Schwarm von jemandem zu erzählen, für den er eine neue Welt bedeutete. Doch ich lernte schnell, dass meine Art der Liebe – zumindest durch die Augen anderer – keinen Platz in einer Welt hatte, die doch so gnadenlos von heteronormativen Lebensentwürfen geprägt war. Das war die damalige Realität.
Mein erster Liebesbrief führte mich in eine Zerreißprobe, in der die Wünsche meines Herzens mit den Erwartungen der Gesellschaft brutal kollidierten. Die ersten Funken der Liebe verwandelten sich in glühende Kohlen des Selbstzweifels; die Tränen der Angst rannen – verborgen vor den Herzen der Welt. Es war eine Zeit des Versteckens, Suchens und Verleugnens. Ich veränderte mich, verlor mich fast, aber dann fand mich jemand, der mir Zuversicht schenkte. Eine Lehrerin, deren Herzenswärme mir einen sicheren Hafen bot. Sie lehrte mich, dass Liebe niemals falsch sein könne. Dass Liebe der Normierung erhaben sei. Sie erklärte mir, dass meine Ängste und Befürchtungen nicht aus der Art, wie ich liebte, entstanden, sondern aus einer Gesellschaft, die Liebe oft missverstand und in Furcht verkehrte. Diese Begegnung, so einfühlsam und erbauend, gab mir den Mut, meine Art zu lieben allmählich anzunehmen.
Langsam zeigte ich mich meiner Familie und meinen engsten Freunden. Sie fanden in meiner Offenheit Inspiration und neue Perspektiven. Unsere Freundschaften gewannen an Tiefe. Wurden authentischer. Doch auch Hass und Unverständnis blieben nicht aus. Doch nun war ich widerstandsfähiger. Die herabwürdigenden Worte und Beschimpfungen verstand ich bald als Ausdruck von Verletzungen jener, die sie aussprachen – als Zeichen ihrer eigenen inneren Kämpfe, Beschränkungen und Ängste.
Ich aber schrieb weiterhin Liebesbriefe, einen nach dem anderen. Hütete sie wie die kostbarsten Schätze. In ihnen fand ich Liebe zu allem um mich herum – zum Wald, zur Kunst, zur Schönheit und Kraft der Pflanzenwelt, die mich letztlich zu meiner späteren Berufung führte. Musik und Poesie wurden die Nahrung meiner Seele. Ja, die Geschichte der Poesie ist eine Geschichte der Liebesbriefe.
Das Wort »Poesie« stammt vom altgriechischen Wort »poiēsis« ab, was Schöpfung oder Herstellung bedeutet. In den Zeilen eines Gedichtes, eines Liebesbriefes, finden wir nicht bloß schöne Worte, sondern die Verdichtung dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein.
Ich rufe dazu auf, sich regelmäßig den Künsten hinzugeben, denn sie sind wie eine Schule der Liebe, und werden wir selbst zu Poeten, dann machen wir unsere Liebe unsterblich: Das behauptet zumindest William Shakespeare (1564–1616) in seinem Sonett 18. In diesem Gedicht versichert er seiner Geliebten, dass seine Verse ihre äußere und innere Schönheit für immer bewahren würden, selbst wenn die Jahreszeiten vergehen und die Jugend verblasst. Hat es funktioniert? Was meinen Sie? Ich finde schon:
Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen?
Nein, Du bist lieblicher und frischer weit –
Durch Maienblüthen rauhe Winde streichen
Und kurz nur währt des Sommers Herrlichkeit.
Zu feurig oft läßt er sein Auge glühen,
Oft auch verhüllt sich seine goldne Spur,
Und seiner Schönheit Fülle muß verblühen
Im nimmerruh’nden Wechsel der Natur.
Nie aber soll Dein ewiger Sommer schwinden,
Die Zeit wird Deiner Schönheit nicht verderblich,
Nie soll des neidischen Todes Blick Dich finden,
Denn fort lebst Du in meinem Lied unsterblich.
So lange Menschen athmen, Augen sehn,
Wirst Du, wie mein Gesang, nicht untergehn.
W. Shakespeare, übersetzt von Friedrich Bodenstedt (1819–1892)
Es ist kein Zufall, dass es zu allen Dingen, die uns in der Welt begegnen, ein Lied, ein Gedicht oder ein Gemälde gibt. Ja, ich bin überzeugt: Die Künste sind ein Ausdruck unserer Liebe zur Welt. Indem sie durch uns hindurchschwingen, erzählen sie vom Wesen der Dinge – nicht von deren Beschaffenheit. Ja, Poesie ist unser Liebesritual.
Der Liebesbrief, den ich einst in jugendlicher Sehnsucht reimte, war mehr als eine Schwärmerei – er war auch eine lebensbejahende Botschaft an mich selbst, und so ist dieses Buch nun ebenfalls ein großer Liebes- und Dankesbrief – an die Liebe selbst. Eine Hymne und ein Mahnmal, auf dass wir diese jüngst errungene Freiheit, solche Zeilen öffentlich verfassen zu dürfen, auf ewig verteidigen!
Dieses Buch, in das Sie gleich eintauchen, ist durchdrungen von dem Glauben, dass Liebe eine herausfordernde, mehrdimensionale Sprache mit unsterblichen Geschichten ist. Wenn Sie nun auch am Fuß dieses Berges stehen, den ich in Worten zu erklimmen versucht habe, nutzen Sie die Funken, die von diesen Seiten aufsteigen, um Ihr eigenes Leuchtfeuer zu entfachen. Lassen Sie sich darauf ein, nicht nur die Gipfel zu bestaunen, sondern auch die verborgenen Täler und Schluchten Ihres Herzens zu durchsinnen. Sie halten bereits ein Streichholz in der Hand. Es liegt an Ihnen, sich nun an den fünfzig ausgewählten Texten zu reiben, denn:
Ich kann nicht anders. Ich muss schreiben.
Mich an Worten, Versen reiben.
Was oft bleibt stumm – in Reimen laut,
Weil Alltag uns die Sterne klaut.
Nichts Neues habe ich erdacht?
Worüber nicht schon frech gelacht.
Woran schon Herzen sind zerbrochen,
Was Freunde ewig sich versprochen.
Und doch, in jedem Wort, das fällt,
Erblüht ein Stück von meiner Welt.
In Strophen find’ ich neuen Mut,
Kann formen: Schmerzen, Eifer, Wut.
Im Vers, da ruft ein wildes Streben,
Zu finden einen Sinn im Leben.
Und weil du’s liest, so teil’n wir doch –
Ein kleines Stück vom Dichterjoch.
AUSPROBIEREN! Heute ist der Tag, an dem Sie einen Liebesbrief, ein Liebeslied, ein Gedicht verfassen. Oder vielleicht ein Bild malen. Nehmen Sie Stift und Papier zur Hand, und lassen Sie Ihre Gedanken und Gefühle frei fließen – ganz analog, ganz pur. Schreiben Sie an einen geliebten Menschen oder an sich selbst. Lassen Sie Ihre Worte eine Brücke zwischen Ihrem Herzen und der Welt um Sie herum bauen. Doch warum bleiben so oft die Leinwand weiß, die Noten ungespielt, die Worte ungeschrieben? Vielleicht, weil wir glauben, dass Kunst nur den Talentierten, den Auserwählten vorbehalten ist. Aber das ist ein Irrtum.
Wenn wir musizieren, Gedichte schreiben, Geschichten erzählen oder Skulpturen formen, betreten wir einen Raum voller Möglichkeiten. Es geht nicht darum, ob das Ergebnis gut oder schlecht ist, sondern darum, sich selbst im kreativen Prozess neu zu begegnen. Zögern Sie nicht. Malen Sie. Schreiben Sie. Tanzen und singen Sie. Finden Sie Ihre eigene Kunst! Denn am Ende sind wir – und müssen wir – alle Lebens- und Liebeskünstler sein.
Einzigwirk [ˈaɪntsɪkᴠɪʀk]
Es war einst eine Zeit, als der Himmel seine Tore öffnete, um die Welt mit einer Vielfalt an Blumen zu beschenken. Alle Blumen erwachten zum Leben, schwebten im Morgenwind und spielten mit ihren frischgrünen Blättern, die wie hauchzarte Flügel flirrten. Ihre Kronen jedoch waren das grandioseste Geschenk: Gemalt in Farben des Regenbogens, verliehen sie der Welt Glanz und Pracht. Eine nach der anderen erhielt vom Himmel einen eigenen Namen und einen Platz in der Welt, auf dass sie dort erstrahlen und Freude spenden sollten. So schwärmten sie aus, um in Gärten, auf Wiesen, in Wäldern und selbst auf den höchsten Gipfeln ihr Dasein zu zelebrieren. Ganz heimlich, inmitten dieser Üppigkeit, fühlte sich ein kleines Wesen unendlich verloren. Eine Blume von solch zartem Blau, dass sie wie ein Fragment des Himmels selbst erschien. Dieses kleine Geschöpf hatte im ersten Getöse der Welt seinen Namen vergessen.
Verzweifelt wandte sich das Blümlein an die Rose und suchte Rat: »Rose, kennst du meinen Namen?« Die Rose, in ihrer blühenden, samtigen Pracht, neigte sich leicht und sprach: »Ich kenne viele Namen, die aus der Glut der Leidenschaft geboren und im Eifer des Begehrens gerufen werden. Doch deinen Namen, den kenne ich nicht.« Und mit diesen Worten widmete sie sich wieder ihren Dornen und Eroberungen.
Verunsichert setzte das kleine Blau seine Suche fort und erreichte die Lilie, deren Blütenblätter wie gespannte weiße Segel im Wind standen. »Lilie, weißt du vielleicht, wie ich heiße?« Die Lilie wisperte: »Mein Name ist ein Sinnbild der Reinheit und der makellosen Schönheit. Aber deinen Namen kenne ich nicht, mein Kind.« Nur immer im Außen suchend, wanderte die kleine Blume weiter und fragte sich: War sie denn kein Sinnbild? War an ihr nichts besonders? Bei der strammen Sonnenblume angekommen, fragte sie: »Sonnenblume, weißt du, wer ich bin?« Die Sonnenblume richtete ihren Blick stetig gegen das Licht und sprach: »Ich bin benannt nach meiner unablässigen Suche nach Licht und Freude. Ich bin stark und prächtig, aber dein Name ist mir fremd.« Geknickt zog das Blümchen weiter, es fühlte sich schwach und klein.
Erschöpft, aber stets Ausschau haltend, setzte es seine Suche in der Abenddämmerung fort. Als die Welt schließlich in sanftes Lila getaucht war, fand es die Nachtviole, die sich geheimnisvoll im Winde wiegte. »Nachtviole, kennst du meinen Namen?«, fragte die kleine Blume zaghaft. Die Nachtviole murmelte: »Ich berichte von Geheimnissen, die nur im Schleier der Dunkelheit gewagt werden, von den Knospen, die im Verborgenen aufbrechen. Ich kenne viele Namen, die im Dunkel erfunden werden, aber deinen, nein, den kenne ich nicht.« Wem wohl all die schönen Namen gehörten, von denen die Nachtviole schwärmte? Das kleine Blau wünschte sich, auch eine Geschichte erzählen zu dürfen; eine, die nur die seine war.
Auf einmal hörte es die Musik einer Glockenblume, die in der Ecke eines Steingartens ihre Melodien erklingen ließ. »Glockenblume, weißt du vielleicht, wer ich bin?« »Dein Name ist wie ein Lied, dessen Besetzung schon geschrieben, dessen Melodien aber erst komponiert werden müssen«, sang sie vor sich hin. Die kleine Blume war verwirrt. Was die Glockenblume wohl nur meinte?
Zuletzt begegnete sie einer alten Lotusblüte, die weise über das Wasser des Teiches schwebte, auf dem der Mond und die Sterne glitzerten. »Lotusblüte, weißt du meinen Namen?«, rief es in seiner Not. Die Lotusblüte blickte das Blümlein eindringlich an und überließ es einem Rätsel: »In dir ruht ein Name, den der Verstand nicht erfragen, sondern nur das Herz erfühlen kann. Einer, der sich wie der Wind nur durch das Säuseln der Blätter zu erkennen gibt, aber für das Auge unsichtbar bleibt. Die Liebe, die du suchst, ist kein Schlüssel für ein verschlossenes Tor! Sie ist ein Pfad, der sich in den Herzen anderer fortsetzt. Selbst wenn dein Name verblasst, dann ist es das ›Einzigwirk‹, das ihn alle Zeiten überdauern lässt.«
So saß das kleine Blau nun da. Wieder allein. Aber mit all den Geschichten, Berufungen, Leidenschaften und Rätseln der anderen Geschöpfe in seinen Gedanken. Sein eigener Name? – er blieb ihm unbekannt. Da, ganz plötzlich, trat der Gärtner aus dem Halbdunkel hervor, als hätte er seit Anbeginn der Zeit über das Blümlein gewacht. Und als er sich niederließ, so sanft wie das ewige Licht, das den Morgen der Schöpfung erleuchtete, verstand die Blume, dass es den Gärtner immer schon gekannt hatte, ein uralter Wächter, dessen Name im Herzen des Blümleins ein stilles Echo fand, zu tief für Worte, zu erhaben, um ihn laut auszusprechen.
»Mein Kind«, sprach er würdevoll, »warum versinkst du in Zweifel? Hier, unter den funkelnden Sternen und zwischen all dem blühenden Leben?« Das kleine Blau erwiderte schluchzend: »Ich kenne meinen Namen nicht, und ohne ihn bin ich ein Niemand.« Doch der Gärtner lächelte und sprach: »Oh wahrhaft, dein Name ist mir so bekannt wie jedem Stern am Firmament. Aber er ist nur ein Hauch gegen die Unendlichkeit deines Wesens. Du bist die Abenteuer, die du erlebst, die Harmonien, die du singst, und du bist in den Herzen all jener, die du berührst.« Das Blümlein schaute sprachlos zu ihm auf. Die Last der Unsicherheit fiel von ihm ab. »In dir. Da ist eine ganze Welt – bereit, entdeckt zu werden. Entfalte sie! Teile sie! Sei nicht die Geschichten der anderen. Vergewissere dich deiner selbst.« Und mit diesen Worten war der Gärtner so sanft verschwunden wie die Dunkelheit dem Morgen.
Schließlich enthüllte sich dem kleinen Blau seine wahre Bestimmung: Es war nicht bloß ein verlorenes Blümchen unter dem unermesslich großen Himmel, sondern ein Teil dessen. Jeder, der sein zartes Blau betrachtete, fand darin ein Abbild des Himmels. Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne seine taunassen Blätter küssten, erhob das Blümchen seine Stimme im Glanz des neuen Tages und verkündete mit demütiger Gewissheit: »Ich bin das Vergissmeinnicht. Mein Name ist ein Versprechen, eine Erinnerung an den Himmel – in dir, in mir, in uns.« Von nun an konnte das Vergissmeinnicht eine eigene Geschichte erzählen. Von seiner Suche und von seiner Begegnung mit dem Gärtner und dessen planvoller Schöpfung.
Die Reise der Liebe beginnt bei uns selbst, auch wenn wir das gern vergessen. Manchmal denke ich, dass unsere Beziehungsprobleme damit beginnen, dass wir uns selbst nicht wirklich kennen – oder lieben. Wir suchen nach Bestätigung in den Augen anderer, als ob jede ihrer Handlungen ein Urteil über unseren Wert wäre. Genau betrachtet bedeutete das, dass wir unentwegt von anderen Menschen wissen wollen, wer wir selbst sind. Dann beziehen wir alle Handlungen unserer Mitmenschen auf uns selbst. Wenn jemand nicht zurückruft oder eine Nachricht unbeantwortet bleibt, nehmen wir das sofort persönlich und zweifeln an uns. Freunde, die uns übersehen, Kollegen, die uns nicht mögen – all das interpretieren wir dann als Konsequenz unserer Mangelhaftigkeit. Dabei vergessen wir, dass die Vorlieben, Geschichten und Handlungen anderer Menschen nichts über uns aussagen. Wir übertragen unsere Identitätskrisen auf sie. Aber das kann niemals funktionieren.
Wir beginnen den Weg der reifen Liebe als ein Vergissmeinnicht. Dabei ändern wir immer wieder unseren Namen. Nichts bleibt, wie es war – nur das Einzigwirk ist die Konstante in diesem Wandel, und jeder Moment ist eine neue Begegnung mit dem göttlichen Gärtner, der uns unermüdlich zur Blüte ruft.
GEWUSST? In spirituellen Traditionen symbolisieren Namen oft Identität und Bestimmung. Darum sind in vielen Kulturen hin und wieder auch Namensänderungen üblich. In der Bibel signalisieren Namensänderungen – etwa von Jakob zu Israel, vom Saulus zu Paulus oder von Sarai zu Sara – fundamentale Verwandlungen des Charakters und des Lebensweges. Auch heute kann eine Namensänderung ein bewusster Akt der Selbstbestimmung und ein Meilenstein auf dem individuellen Entwicklungspfad sein. Moderne Beispiele dafür sind Geschlechtsangleichungen, bei denen die Wahl eines neuen Namens die Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität symbolisiert, oder die Annahme eines spirituellen Namens bei Eintritt in ein Kloster oder nach intensiver Yogapraxis, die eine tiefgreifende persönliche Transformation widerspiegeln. Auch im Kontext der Ehe kann die Namensänderung eine bedeutende Rolle spielen, indem sie die Verbindung und das gemeinsame Leben eines Paares symbolisiert. Welche Bedeutung hat Ihr eigener Name in Ihrem Leben? An welchem Punkt Ihres Lebensweges stehen Sie, und welche Namensänderung könnte Ihre persönliche Entwicklung und Ihre Geschichte widerspiegeln?
Bollwerksbann [ˈbᴐlwɛʀksˌban]
Der Engel Schwingen streichen sacht,
Durch Zedern, die wir sorgsam hegen.
Geduld lässt Wurzeln tiefer reichen.
Ihr Segen kommt als Blütenregen.
Die Liebe wächst wie frisches Grün,
Im Garten dieser sanften Kraft.
Wo Säuseln lässt das Herz erbeben,
Dass Mensch erkennt, was ihn erschafft.
Schon haben wir ein Haus erbaut,
Aus Rosen, Efeu, Sonnenschein.
Was gestern war, ein Samen klein,
Lädt morgen reich zur Ernte ein.
So lasst uns zärtlich wirken, lieben,
Mit Leib und Seel’, mit Ruh’ und Acht.
In deinem Garten wird bestehen,
Was du mit Herz und Hand vollbracht.
Zärtlichkeit verwandelt Berührungen in Poesie. Ihre Tränen, wie Tautropfen, wässern verborgene Wurzeln, die jeden Riss im Bollwerk unserer Ohnmacht finden. In dieser Sensibilität gedeiht die Kreativität eines geduldigen Gärtners. Die grünen Ranken der Zärtlichkeit überwinden jedes Hindernis und führen uns unter blühenden Bögen und entlang gewundener Promenaden zu weiteren Kapiteln dieses Buches: Fürsorge, Verliebtheit, Sexualität, Freundschaft und Bedingungslosigkeit. Ja, in dieser Oase weht ein Hauch von Sanftmut, ein leises Säuseln, das uns an das Wesen der Liebe vermittelt.
IMPULS: Ein Mann steht auf einem Berg, umgeben von tosenden Naturgewalten. Sturm, Erdbeben, Feuer – doch in keinem dieser mächtigen Phänomene findet er, wonach er sucht. Erst als alles verstummt, im »stillen, sanften Sausen« eines leisen Windhauchs, begegnet der Prophet Elia dem Göttlichen (1 Kön 19,11–13). Diese unerwartete Wendung hinterfragt nicht nur Elias Erwartungen, sondern auch unsere eigenen Vorstellungen – und ermutigt uns, den Fokus vom Spektakulären hin zum Feinen, zum Detail zu verschieben.
Das Prophetentum, oft missverstanden als Hellseherei, zeigt sich hier als eine hochentwickelte Form der Intuition. Propheten waren Menschen mit einer ausgeprägten Sensibilität für gesellschaftliche Strömungen, einem außergewöhnlichen Verständnis der menschlichen Natur und der Fähigkeit, das Sublime im Gewöhnlichen zu erkennen. In der Kultivierung von Zärtlichkeit und Sanftmut liegt also der Schlüssel zu unserer ganz eigenen »prophetischen« Ader.
GEWUSST? Im Laufe der Jahrhunderte hat die Menschheit vielfältige Wege gefunden, Zärtlichkeit und Nähe zu zelebrieren. Eine besondere Tradition aus den Niederlanden und Flandern ist das Queesting, das im 17. und 18. Jahrhundert populär war. Diese Praxis ermöglichte es Paaren, sich auf intime, aber nicht sexuelle Weise kennenzulernen. Sie verbrachten Zeit gemeinsam im Bett, sprachen und kuschelten, um ihre Gefühle und ihre Kompatibilität zu erkunden. Das Queesting verdeutlicht, dass Zärtlichkeit eine eigene, nicht-sexuelle Qualität besitzt, die tiefe Bindungen fördern kann. Das erinnert an die kindliche Unmittelbarkeit, als man mit Freunden unter der Bettdecke Geheimnisse austauschte und eine authentische Verbundenheit erlebte – etwas, für das wir uns auch als Erwachsene wieder mehr Zeit nehmen sollten. Carl Rogers (1902–1987), ein amerikanischer Psychologe und einer der Begründer der humanistischen Psychologie, betonte, dass solche Momente, in denen man sein Gegenüber wertschätzt und authentisch erlebt, entscheidend für die Entwicklung und das Bestehen einer erfüllenden Beziehung sind.
Schwanenritter [ˈʃvaːnənˌˈʀɪtɐ]
Vergib ihnen, wenn du die Fesseln ihrer Erwartungensprengst; du bist mehr, als sie zu fassen vermochten.
Wörter für die Liebe begegnen mir oft unerwartet – und an den verschiedensten Orten. Zum Beispiel hier am Wasser. Als mein Herz poetisiert, was am Tag geschehen ist, breitet sich just über dem Nymphenburger Schlosskanal ein Abendrot aus, das all meine Zweifel heilt.
Ich beobachte die stolzen Schwäne beim Abheben. Stelle mir vor, wie sie in ihrer unvergleichlichen Anmut die weiten, wilden Wasser dieser Welt bereisen. Sie erinnern mich an Liebe. An Schönheit. An Boote. Ja, an Schwanenboote. In die man euphorisch einsteigt, aber aus denen man nie mehr auszusteigen wagt. Auf immer und ewig. In guten und schlechten Zeiten. Eine »Hoch-Zeit« jagt die nächste, und das Leben trinkt sich Mut an – zum Tanz des allerletzten Schwurs. Wir betrachten Schwäne als Symbole der Treue. Zumindest in Märchen, in Kunst und Musik. Ihre monogamen Beziehungen gelten als Musterbeispiel für Beständigkeit und Hingabe. Sie brüten gemeinsam, ziehen ihre Jungen auf und vollführen synchrone Tänze, die ihre Liebe lobpreisen. In der Welt der Schwäne fliegen Treue und Freiheit zusammen unter ein und demselben Himmel.
Ein Schwan müsste man sein! Gewiss stellen Schwaneneltern keine überzogenen Ansprüche an den Gatten ihrer Tochter. An deren gemeinsamen Wohnort oder gar an die Anzahl der Enkelkinder. Schwäne sind Einzelgänger, bis sie in einem uralten Tanz der Liebe ihren Gefährten wählen. Keine Herde. Keine Sippe. Kein König, der über ihre Partnerschaft wacht.
Schwäne werden grau geboren. Über die Jahre werden sie immer weißer und weiser. Ganz so, als würden sie sich ihre Unschuld und Anmut Stück für Stück erringen – im Flüggewerden, in der Konfrontation mit der großen Freiheit. Ihre Schönheit mag uns blenden. In den schimmernden Gewässern der Loyalität lauern unvorhersehbare Strudel, während unter den erhabenen Flügeln der Hingabe Lasten der Opferbereitschaft haften. Schwäne fliegen anders als naive Turteltauben und draufgängerische Falken. Schwäne gehören zu den schwersten Flugvögeln. Sie starten auf dem Wasser und nutzen weder den Absprung aus luftigen Höhen noch ist es ihnen möglich, auf warmen Luftströmen sorglos dahinzugleiten. Nein, sie kämpfen sich förmlich gen Himmel und erzeugen dabei einen wunderschönen, surrenden Klang.
Das Prinzip lautet: »Schweres tun, um loszulassen.« Wahre Treue ist nicht nur eine verborgene Muschel im tiefen See der Liebe, sondern eine kostbare Perle, die aus einem einzigen Sandkorn der Hingabe entsteht. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Perle nicht als fertiges Geschenk vererbt wird oder gar als Naturzustand existiert. Treue ist ein andauernder Prozess der Authentizität und des individuellen Wachsens. Wie die Muschel das Sandkorn langsam umspinnt und es nach und nach in eine Perle verwandelt, so ist die Treue ein prozesshafter Akt, der unsere Einstellung zum Leben und zur Liebe immer neu hinterfragt. Und diese Reflexion betrifft damit erst einmal nur uns selbst. Wir müssen uns selbst am Sandkorn reiben, bevor wir von der Treue singen und mit ihr tanzen können.
Wir Menschen werden oft genug vor solchen Erfahrungen bewahrt. Diese Bewahrung, die eher einer Behinderung gleicht, nennen wir dann euphemistisch: Tradition, Kultur, Religion, Werte, Moral, Ehre. So soll verhindert werden, dass unser innerer Kompass neue Flugrouten auslotet. Wir sollen alle als weiße Schwäne geboren werden und weiße Schwäne bleiben. Aber genau deshalb werden Liebe und Leben für so viele Herzen in unserer Welt eher zum Grauen als zu einem weisen Ergrauen. Wir leugnen unser Menschsein und verlieren dessen wahren Kern – die Liebe – aus den Augen. Liebe: die Fähigkeit, unsere Unvollkommenheit anzunehmen und im Kontext der Ganzheitlichkeit des Seins zu feiern.
Vielleicht projizieren wir also lediglich unseren Wunsch nach unerschütterlicher Bindung in das weiße Schwanenkleid? Ein Echo unseres frühkindlichen Trennungsschmerzes? Die Sehnsucht nach göttlicher Erlösung und Überwindung menschlicher Banalitäten? Die Schwäne bleiben stumm zu ihren eigenen inneren Kämpfen. Vielleicht sind sie keine Botschafter der Treue – sondern Illusionskünstler, die von Zeit zu Zeit abtauchen, um aus den Fluten neugeboren emporzusteigen? In einer Welt, die sich rapide verändert, müssen wir uns fragen: Kann echte Treue wirklich existieren? Oder ist sie nur ein Ideal, das wir hochhalten, um äußerlich Ordnung in unser emotionales Chaos zu bringen? Wie oft halten wir an Menschen oder Traditionen fest, weil sie Sicherheit versprechen, und übersehen dabei die Chance, diese Sicherheit in uns selbst zu entwickeln?
Am Ufer des Nymphenburger Schlosskanals, wo die Schwäne wie Figuren aus einem Märchen über das Wasser schweben, verschmelzen Geschichte und Legende. Hier wurde König Ludwig II. von Bayern (1845–1886) geboren, der sich als Schutzherr der bayerischen Schwäne bezeichnete. Seine Faszination für diese Vögel spiegelte sich in seinem gesamten Lebenswerk wider – und wortwörtlich in seinem Schloss »Neuschwanstein«.
Auch er wurde in ein Schwanenboot getrieben. Förmlich hineingeboren. Seine Fahrt darin blieb einsam, denn seine unterdrückte Bisexualität und sein verborgenes Liebesleben stehen symptomatisch für das zermürbende Spannungsfeld zwischen Identität und öffentlicher Person. Im 19. Jahrhundert, einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Wandels, durchlief das Konzept der Treue zwar allmählich eine Weiterentwicklung, doch Ludwigs Schicksal war noch an die Zwänge einer alten