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In unserer Leistungsgesellschaft hat sich der moderne Mensch weit von seinen Wurzeln entfernt. Chronische Erkrankungen und psychosomatische Beschwerden haben sich mehr und mehr zu Volksleiden entwickelt. Ist das wirklich unser Schicksal? Thomas Lambert Schöberl kennt einen anderen Weg: Um nachhaltig und mit neuer Kreativität Herausforderungen unserer Zeit anpacken zu können, empfiehlt er, den Wundern der Natur und der ganzheitlichen Betrachtung der Welt und des Menschen wieder Raum zu geben und uns ihrer Bedeutung für Körper, Geist und Seele bewusst zu werden. Viele Menschen spüren immer deutlicher die Sehnsucht nach der Natur, nach mehr Ursprünglichkeit in ihrem Leben und einer neuen Definition des Lebenssinns. Auf poetische und doch ganz unmittelbare Weise erzählt der Autor von seinem eigenen Weg der Genesung und dem Prozess seiner Persönlichkeitsentwicklung. Als Heilpraktiker, Musiker und Kunstwissenschaftler entführt er uns einfühlsam in eine längst vergessene Bildsprache, die uns den immateriellen Reichtum und die unzähligen Perspektiven eines ganzheitlichen Weltbildes aufzeigt. Dass der Beruf des Heilpraktikers und das alte Wissen der Naturheilkunde schützenswerte und kostbare Kulturgüter sind, veranschaulicht er mit Erfahrungen aus seiner Naturheilpraxis. "Ja, wir sind wie Bäume mit starken Wurzeln, wir sind die Melodien eines kosmischen Reigens und die Gebete einer fortwährenden Schöpfung. Diesen Wurzeln, diesen inneren Gesängen, diesen kraftvollen Funken der Hoffnung sollten wir folgen - auch ins Ungewisse, in die tiefe Erde … bis in unsere Seelen." - Die eigene Geschichte: Lebensweg und Berufung zum Therapeuten - Die Wiederentdeckung der Natur: Vom immateriellen Reichtum und den Perspektiven der Ganzheitlichkeit - Schützenswert und kostbar: Ein Plädoyer für den Berufsstand des Heilpraktikers - Extra: Natürliche Empfehlungen für die Gesundheit
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Seitenzahl: 372
Für meine Mutter, meine liebe Großmutter,
meinen Schutzengel Daniel
und all die ungebrochenen, kreativen,
wilden und freien Geister dieser Welt
»Die Seele ist wie der Wind,
der über die Kräuter weht,
wie der Tau, der über die Wiesen sich legt,
wie die Regenluft, die wachsen macht.
Desgleichen ströme der Mensch ein Wohlwollen aus
auf alle, die da Sehnsucht tragen.
Ein Wind sei er, der den Elenden hilft,
ein Tau, der die Verlassenen tröstet.
Er sei wie die Regenluft,
die die Ermatteten aufrichtet
und sie mit Liebe erfüllt wie Hungernde.«
Hildegard von Bingen
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Thomas Lambert Schöberl
Grüne Seelen
Über die Weisheit der Natur
E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-600-1
(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-598-1, 1. Auflage 2021)
Mankau Verlag GmbH
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Lektorat: Julia Feldbaum, www.redaktionsbuero-feldbaum.de
Endkorrektorat: Susanne Langer-Joffroy M.A., Germering
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E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
Illustrationen: Wellcome Library, London. Wellcome Images [email protected]://wellcomeimages.org Hildegard von Bingen. Line engraving by W. Marshall. By: W. Marshall Published: -Copyrighted work available under Creative Commons Attribution only licence CC BY 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ (37); Jan Brueghel the Elder (Brussels 1568-Antwerp 1625) – Adam and Eve in the Garden of Eden – RCIN 405512 – Royal Collection, PD (64); Venus von Willendorf by MatthiasKabel / CC-BY-2.5 (65); Ouroboros by Zanaq / CC-BY-2.5 (66); From the 17th century Icelandic manuscript AM 738 4to, now in the care of the Árni Magnússon Institute in Iceland, PD (81); Huerto de las Hespérides, 1909, óleo sobre lienzo 4 x 3 m. (Museo Néstor), PD (105); © paulacobleigh – stock.adobe.com (107); Plato's Allegory of the cave, Engraving of Jan Sanraedam (1565-1607) after a painting of Cornelis Corneliszoon van Haarlem (1562-1638), PD (118); © scaliger – stock.adobe.com (145); Mankau Verlag (148); © Rachel Lerch – stock.adobe.com (151); © HP_Photo – stock. adobe.com (152); © coolpay – stock.adobe.com (187); © cceliaphoto – stock.adobe. com (190); Thomas Lambert Schöberl (208–210); © zwiebackesser – stock.adobe.com (241); © Andrea Izzotti – stock.adobe.com (261); © etfoto – stock.adobe.com (272); © vencav – stock.adobe.com (278)
Wichtiger Hinweis des Verlags: Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch sind sorgfältig recherchiert und geprüft worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den hier erteilten praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Die vorgestellten Hilfestellungen und Therapievorschläge sollen den Besuch beim entsprechenden Facharzt, Psychologen oder Heilpraktiker nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Inhalt
Vorwort – Sommerkind
Berufung – Eine Begegnung mit sich selbst
Heiler, Hexen, Helden – Die Ursprünge des Heilpraktikerberufs
Wer wird wie Heilpraktiker? Wege in den schönsten Beruf der Welt
Hexenjagd – Heilpraktiker sind unverzichtbar
Wie erkennt man einen seriösen Heilpraktiker?
Zum Verinnerlichen
Memento mori – Das Meer in mir
Leben ist Wandel und Veränderung!
Schöpfung – Ein Nachhauseweg
Natur wahrnehmen – Mit dem Atem fließt das Leben
Zum Verinnerlichen
Chancen eines ganzheitlichen Weltbildes – Zwischen Wissenschaft und Spiritualität
Die Schleier der Wirklichkeit – Vom »Ich« zum »Selbst«
Im Garten – Zwischen Kultur und Natur
Verzicht macht frei – Vom Schattenspiel zum Sonnentanz
Symptom Klimawandel – Eine Bilanz
Die Gesetze der Ganzheitlichkeit – Du bist die Welt!
Die Elemente, Qualitäten und Temperamente in der Heilkunst
Zum Verinnerlichen
Der Mensch – Von Körper, Geist und Seele und dem Klang der Gestirne
Wunderwerk Körper – Unser bester Freund
Blut – Kraftstoff des Lebens
Der Glaube versetzt Berge – Die Macht der Affirmation
Der Mensch braucht Hoffnung – Wege der Selbstwirksamkeit
Rituale – Kraftquellen der Achtsamkeit
Was ist Gesundheit? Selbstregulation statt Manipulation
Zum Verinnerlichen
Die Vielfalt der Natur – Wider den Konformismus
Die Kraft der Natur – Erweckung des Krafttieres
Aus der Praxis – Meine liebsten Heilpflanzen
Zum Verinnerlichen
Nachklang – Unsere Seelen sind grün!
Werden Sie aktiv!
Übersichten
Jahreslauf
Mondphasen und Affirmationen
Übungen und Anleitungen
Baummeditation
Übung: Baum des Lebens
Übung: Atmen trainieren für Beginner
Übung: Zwerchfellatmung
Übung: Ihr inneres Kind
Übung: Loslassen
Übung: Schenken lernen
Übung: Urteilen Sie nicht!
Übung: Auch mal Nein sagen
Übung: Teilen Sie sich mit!
Farbmeditation
Übung: Fühlen Sie!
Übung: Riechen Sie!
Übung: Schmecken Sie!
Übung: Hören Sie hin!
Übung: Ein Tag im Wald
Übung: Entwickeln Sie Ihren Kraftort!
Anleitung zum siebentägigen Fasten nach Thomas Lambert Schöberl
Erster Tag
Zweiter Tag
Dritter bis siebter Tag
Achter Tag
Neunter bis zehnter Tag
Leberwickel
Rezepte für die Hausapotheke
Sonnentee
Mein geliebter »Waldesnacht-Tee«
Entspannungstee
Kräutertee bei Wassereinlagerungen
Brennnessel-Presssaft
Großmutters Holundersuppe
Balsam fürs Herz
Natürlicher Insektenschutz
Creme bei Sonnenbrand
Kamillensirup
Kühlender Tee
Danksagung
Register
Vorwort –Sommerkind
»Ich möchte sagen, dass ich immer noch im und vom
Sonnenschein meiner Kindheit lebe.«
Christian Morgenstern
Oft werde ich gefragt, warum ich so viel über die Wirkung von Pflanzen weiß und Ereignisse vorhersage, ohne dass es dafür bereits Anzeichen zu geben scheint. Um diese Frage zu beantworten, muss ich zurück in meine Kindheit reisen.
Ich wurde im Sommer 1989 in München–Schwabing geboren. Groß wurde ich jedoch auf dem Lande. Der Schulweg führte an Bächen und friedlichen Sommerwiesen entlang. Meine Kindheit war geprägt von der Stille und dem Duft des Waldes. Unter aromatischen Nadelhölzern und alten knorrigen Eichen erledigte ich meine Hausaufgaben. Täglich wurde mit dem Hund der Fuchsbau kontrolliert, und am Abend erkundeten wir mit den Ponys den Wald. Immer in der Hoffnung, dass sich im Abendlicht, in den langen Schatten des Holunders, ein Blick in die Welt der Zwerge und Feen erhaschen ließe.
Mein Weltbild basierte auf einem tiefen Urvertrauen in eine unendliche und perfekte Schöpfung. Die Natur war meine Kraftquelle. Ich baute im Wald geheime Erdhöhlen, und im Holunderbusch hatte ich mein Versteck, um dem Puls der Natur ganz nah zu sein. Ich liebte es, barfuß übers Moos zu laufen und im eiskalten Wildbach zu baden. Das klare Wasser durchdrang mich tief bis in die Seele und wusch meine Sorgen und Zweifel mit sich fort.
Ich wuchs in einem Frauenhaushalt auf und war umgeben von starken, geerdeten Persönlichkeiten. Da war meine Großmutter, die für ihr altes Heilwissen bekannt war und ihre Tage mit dem Sammeln von Beeren und Kräutern im Wald zubrachte. Im Garten baute sie Obst und Gemüse an. Meine Mutter war für ihre Kundinnen im übertragenen Sinne jahrzehntelang eine Art Geburtshelferin und Sprachrohr. In ihrem hübschen Dorfladen wirkte sie als Naturkosmetikerin und mischte ihren Besuchern für die verschiedensten Leiden Pasten, Salben und Tinkturen. Wenn wir krank waren, haben wir uns mit Hausmitteln selbst versorgt. Diese Selbstständigkeit manifestierte sich tief in meinem Weltbild.
Weil sich meine Familie ein Auge für die Schönheit und die Weisheit der Natur bewahrt hat, entdeckte ich früh die Leidenschaft für Naturmalerei und Musik. Stundenlang spielte ich im Wald Flöte und im Haus Klavier – bis die Tasten stecken blieben.
Die Natur war meine Inspiration und die Kunst mein Versuch, all diese Eindrücke zu konservieren und zu filtern. So war es nicht verwunderlich, dass ich sehr früh erkannte, dass sich das Leben nicht in einzelne Fragmente, Schubladen und Schulfächer zergliedern lässt. Betrachtet man zum Beispiel eine Pflanze nur außerhalb ihrer Umgebung, dann wird man sie nicht verstehen lernen.
Im Wald konnte ich beobachten, dass jede Pflanze, jeder Baum und jedes Tier einen wichtigen Teil eines komplexen Ganzen darstellen. Alle sind aufeinander angewiesen. Die Kunst und die Musik lehrten mich, dass uns allen eine uferlose kreative Schöpferkraft innewohnt, die sich aus den Wundern unserer Natur speist. Während wir mit Sprache und Schrift sehr weit entfernt vom Unbewussten kommunizieren, verbinden uns hingegen Musik und Kunst mit den uralten, kollektiven Strukturen unserer Seele. Die Künste ermöglichen uns die Verbindung mit den Rhythmen der Natur. Wenn wir uns der Musik oder der Kunst hingeben, befinden wir uns ganz im Hier und Jetzt. Es ist also nicht verwunderlich, dass in nahezu allen Kulturen und Religionen Kunst und Musik den Hauptgegenstand von spirituellen Festen, Riten oder Feiertagen bilden. Diese dem Alltag entrückten Inszenierungen menschlicher Kultur strukturieren das menschliche Leben, geben Halt, Hoffnung und Sicherheit, stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt, schaffen Identität, festigen Hierarchien und definieren Verantwortungsbereiche. Alles ist mit allem verbunden und bedingt sich gegenseitig.
Wenn wir am Abend im Kaminzimmer zusammenkamen, dann tauschten wir uns bis spät in die Nacht aus. Ja, Gespräche sind eine heilsame Medizin. Wir lebten nach dem Grundsatz, dass kein Streit, keine unausgesprochenen Sorgen und Ängste mit in die Nacht genommen werden. Nagte etwas am Herzen, so musste es ausgesprochen werden, um den neuen Tag ohne die Last des Vergangenen beginnen zu können. Selbstverständlich lassen sich nicht alle Herausforderungen durch ein einziges Gespräch meistern, doch im Anfang liegt alles verborgen, dann, wenn der erste Schritt getan ist.
Die Schlaflosigkeit unserer Gesellschaft ist ein Symptom ihrer Hemmnisse und der Schönwetter-Mentalität unseres Leistungssystems. Fakt ist, dass das Leben auch aus Sorgen, Herausforderungen, Hürden, Krankheit, Tod und Leid besteht. Wenn wir diese Bestandteile der menschlichen Existenz unsichtbar machen, in kleine Nischen abschieben, heißt das nicht, dass sie uns nicht mehr ereilen, sondern dass wir auf sehr ungesunde Weise verlernen, damit umzugehen, und diesen Schicksalsschlägen oft alternativlos ausgeliefert sind. Krisen sind nicht rational und statistisch erfassbar, nicht zwangsläufig vorhersehbar und von sehr individueller Bedeutung. Um das Leben als fühlendes Individuum gelungen, mutig und erfüllt zu meistern, braucht es größere Sinnzusammenhänge und einen verlässlichen inneren Kompass. Heute weiß ich, wie wichtig es ist, dass Patienten und Schüler lernen, ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen.
Hin und wieder war die Freundin meiner Mutter zu Gast. Sie war eine Seherin. Sie deutete die Tarotkarten und berechnete Horoskope. Neugierig und sensationslüstern lauschten wir Kinder den fantastischen Erzählungen der alten Dame. Wir Kinder lernten von ihr, die Geschehnisse des Lebens zu hinterfragen, zu deuten und in einen größeren Kontext zu betten. Meine Tante nicht zu vergessen: Mit ihrer außergewöhnlichen Menschenkenntnis lehrte sie mich die Kunst der Beobachtung und der schonungslosen Analyse. Sie war es, die mir mein erstes Herbarium schenkte und mir eine Hausapotheke mit verschiedensten Heilpflanzen einrichtete.
Von nun an hatte ich meine eigene kleine Kinderapotheke. Dementsprechend schwankte mein Berufswunsch zwischen Förster, Lehrer und Apotheker. Später erkannte ich dann, dass die heilkundigen Frauen im Umfeld meiner Mutter Heilpraktikerinnen waren und sich genau in diesem Berufsfeld all die spannenden Fachgebiete meiner Traumberufe zu einer ganzheitlichen Berufung verknüpften. Diese Heilpraktikerinnen waren nicht nur Heilerinnen, sondern naturkundige Seelsorgerinnen und verfügten über eine tiefgründige Diagnosefähigkeit. Sie reduzierten den Menschen nicht auf seine Symptome, sondern betrachteten ihn als ein komplexes, ganzheitliches Seelenwesen, dessen Bedürfnisse tiefer reichen, als die Linderung körperlicher Leiden.
Getrieben von einer unstillbaren Neugier auf das Leben an sich, wurde ich Musik- und Kunstlehrer. Meine Heilpraktikerausbildung startete ich noch während meines zweiten Studienabschlusses – mit vierundzwanzig. Seit ich denken kann, wohnt mir ein Drang inne, den Menschen, die Spiritualität und die Natur in Einklang zu bringen. Wer die Natur als seinen Lehrer erkennt, versteht, wie selbstverständlich lebenslanges Lernen ist. Heilpflanzen, die Untersuchung des lebenden Blutes und spirituelle Lebensberatung sind heute die Schwerpunkte meiner Naturheilpraxis.
Nach meiner Ausbildung verließ ich mein Heimatdorf und gründetet auf dem Familiengrundstück meiner Großmutter und zugleich meinem Geburtsort eine Naturheilpraxis. Ich habe also meinen Lebensmittelpunkt vom Land in die Stadt verlegt.
Schon immer habe ich die Herausforderung geliebt, und so habe ich mir zum Ziel gesetzt, dem modernen Großstädter aufzuzeigen, dass die Natur vor der eigenen Haustür beginnt. Auch die Stadt bietet unzählige Möglichkeiten für ein grünes Leben im Rhythmus der Jahreszeiten. Ich habe mir um mein Haus herum einen großen Garten angelegt, der mich mit Obst, Gemüse und Kräutern versorgt. Er symbolisiert die Schöpferkraft, die in uns verborgen liegt und darauf wartet, Blüten treiben zu dürfen.
So viel zu meiner Geschichte. Aber was hat das alles nun mit Ihnen zu tun? Welchen Mehrwert können meine Erfahrungen und dieses Buch für Ihr Leben haben? Dieses Buch soll als Schnittstelle dienen, es soll Augen öffnen, Impulse geben und Ihnen bei der körperlichen und spirituellen Wiederentdeckung der Natur praktische Hilfestellung leisten. Die Natur ist der Schoß des Lebens. Sie ist der Ursprung und das Ziel aller Dinge. Sie hält alle Weisheiten bereit, die wir für ein glücklicheres Leben brauchen. Sie ist die stumme Zeugin einer unendlichen und uferlosen Schöpfung. Mutter Erde ist die Grundlage unserer Intuition, und wenn wir wieder lernen, ihr zu begegnen, so finden wir Ruhe und Stille und schöpfen daraus ungeahnte Kraft. Sie zeigt uns, dass das eigene Leben einer Bestimmung folgt. Diese Bestimmung ist ein kostbares Geschenk, das uns ein freies Leben, unabhängig von äußeren Erwartungen und Normen, ermöglicht.
Wir begegnen der Natur aber weder im Außen noch im Zerlegen und Analysieren ihrer einzelnen Bestandteile und Glieder. So wie der Geist eines Kunstwerks und die Individualität einer Person offenbaren sich die Schönheit und Weisheit unserer Mutter Erde erst in Würdigung und Berücksichtigung ihrer Ganzheitlichkeit.
Als Heilpraktiker und Lehrer ist die Natur und der ganzheitliche Blick auf die Welt meine tägliche Arbeit oder, anders ausgedrückt, meine persönliche Abenteuerreise, auf der ich staunend immer wieder aufs Neue lerne, wachse, zweifle, erkenne, hoffe, fühle, scheitere, verstehe und suche.
Ich möchte Ihnen den wunderschönen Beruf des Heilpraktikers näherbringen, seine Notwendigkeit in unserem Gesundheitssystem veranschaulichen und Ihnen Einblicke in mein ganz persönliches Leben als ganzheitlich arbeitender Heilpraktiker gewähren.
Das Hörbuch »Grüne Seelen«
Naturerleben ist für mich eine ganzheitliche Lebenserfahrung, die alle Sinne miteinschließt. Ich lade Sie dazu ein, die Weisheit der Natur auch in Form meines ganz persönlichen Hörbuchs zu entdecken. Mit viel Herzblut sind im Entstehungsprozess dieses Buches zahlreiche eigene Melodien, Lieder und Gedichte »auf die Welt gekommen«, die Sie im Hörbuchformat genießen können. Es wurde von mir selbst produziert, komponiert und vertont. Darüber hinaus kann der Soundtrack zum Hörbuch unter dem Künstlernamen »Summerchild« gestreamt und heruntergeladen werden. So haben Sie dieses schöne Buch immer auch als Reisebegleiter, als akustische Untermalung beim Spaziergang oder beim Meditieren dabei.
Die Natur ist eine hervorragende Medizin, und sie lässt uns an ihrer Leben spendenden Kraft teilhaben, wenn wir unseren Platz in dieser großen Schöpfung finden. In jedem von uns steckt das Potenzial, seine Urkraft zu entwickeln. Haben Sie den Mut, bestehende Glaubenssätze zu hinterfragen und neue Muster zu entwickeln! Entdecken Sie die Natur in sich!
Berufung – Eine Begegnung mit sich selbst
»Man muss an seine Berufung glauben
und alles daransetzen, sein Ziel zu erreichen.«
Marie Curie
Als soziale Wesen sind wir darauf angewiesen, dass wir schwingungsfähig sind und unseren Mitmenschen mit Empathie begegnen. Die goldene Regel der Christen: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« oder »Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst!«, bringt es auf den Punkt.
Lebt man danach, eröffnet sich die wunderbare Möglichkeit, den anderen ohne die Verzerrungen der eigenen Ansprüche anzunehmen. Als Nächstenliebe ist helfendes Handeln für andere Menschen zu verstehen. »Liebe« bedeutet hier jede dem Gedeihen des Mitmenschen zugewandte uneigennützige Gefühls-, Willens- und Tatenhandlung. Der »Nächste« kann jeder Mensch sein, der uns begegnet, aber der Schlüssel zur Empathie liegt in einer gesunden Selbstliebe verborgen – in einer entwickelten, reflektierten und emotional anpassungsfähigen Persönlichkeit. Selbstliebe bedeutet somit nicht, dass man ein ungesundes Leben führen kann oder gar ein Leben, das ausschließlich auf den eigenen Vorteil hin ausgerichtet ist. Nein, Selbstliebe bedeutet, Verantwortung zu übernehmen!
Wir leben in einem System, das auf Konkurrenz, Leistung und Klassenspaltung basiert. Dass uns eine solche Form des Zusammenlebens auf Dauer krank und wenig glücklich macht, liegt auf der Hand. Wenn wir uns den Wald als Vorbild nehmen, dann stellen wir fest, dass der einzelne Baum in seiner gesamten Wachstumsphase die Bäume ringsum integriert und rücksichtsvoll achtet, anstatt sein Kronendach über alle Maßen auszubreiten. Er gesteht auch seinen Artgenossen einen Platz an der Sonne zu, denn er weiß instinktiv, dass er selbst und ebenso alle anderen nur in der Gemeinschaft stark sind. Ein einzelner Baum hält keinem großen Sturm stand, aber als Wald stützen sich die Bäume gegenseitig. Zum Gelingen eines gesunden Wachstums und eines fruchtbringenden Zusammenlebens gesellen sich Farne, Pilze, Insekten, Vögel und Tiere zu ihnen. Im steten Austausch spenden sie sich gegenseitig Nährstoffe, Wohnraum, speichern füreinander Wasser, Licht und Wärme, und selbst der Tod des Einzelnen wird zum Lebensraum und Geburtsmoment Tausender neuer Lebensformen.
Im Ökosystem Wald ist alles von einem tiefen Sinn durchdrungen. Auch wir Menschen müssen unserer individuellen, inneren Bestimmung folgen, um ganz im Sinne der Nächstenliebe andere Menschen an unseren Gaben teilhaben lassen zu können. All das setzt Großzügigkeit voraus! Großzügigkeit gegenüber unseren Mitmenschen und uns selbst. Wenn ich in meinem Leben reife Früchte ernten möchte und auf Chancen und Gerechtigkeit hoffe, so muss ich auch selbst fruchtbare Saat ausbringen.
In den Worten Pablo Picassos: »Der Sinn des Lebens besteht darin, deine Gabe zu finden. Der Zweck des Lebens ist, sie zu verschenken.«.
Großzügigkeit, Nächstenliebe und Individualität scheitern meist an der Missgunst und dem Neid des Einzelnen. Im Buch der Sprüche (14,30) steht geschrieben: »Ein gelassenes Herz bedeutet Leben für den Leib, doch Knochenfraß ist die Leidenschaft.«
Dieser Vers will uns sagen, dass uns die Orientierung am Außen, an Besitz, Prestige oder dem Erfolg anderer daran hindert, unserer eigenen Berufung zu folgen. Wenn uns Eifersucht, Gier oder Selbsthass zerfressen, lernen wir erst gar nicht, auf diesen zarten leisen Ruf in uns zu hören. Alles wird übertönt vom Frust und von der Anstrengung, es den anderen gleichzutun.
In Jakobus (4,1 – 2) heißt es: »Woher kommen Kriege bei euch, woher Streitigkeiten? Etwa nicht von den Leidenschaften, die in euren Gliedern streiten? Ihr begehrt und erhaltet doch nichts. Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet.«
Wenn wir nur ein Auge dafür haben, wie die Gesetze der Ganzheitlichkeit in den Leben anderer wirken, werden wir oft blind für die Optionen unserer eigenen Welt. Der Weg zur inneren Zufriedenheit, zur eigenen Gesundheit oder in die eigene Berufung wird nicht gelingen, wenn Sie versuchen, ausschließlich den Wegen anderer zu folgen.
Es klingt so selbstverständlich, aber die wenigsten Patienten, die neu in meine Praxis kommen, haben sich bisher tatsächlich gefragt, ob zur Besserung ihrer Situation womöglich eine gänzlich neue Lebenshaltung der erste Schritt sein könnte. Unser Leben besteht aus Lektionen und Prüfungen. Neid, Passivität und Geltungssucht sind nur einige wenige davon. Wenn Sie diese Motive zum Antrieb Ihres Handelns wählen, wird dies früher oder später durch das Leben selbst entlarvt und Ihr Selbstbild erschüttert werden. Wahre Freude entsteht im Inneren und ist das Resultat eines mutigen, dynamischen Lebens. Richten Sie Ihre Gedanken immer wieder neu aus. Seien Sie nie zu alt oder zu jung! Die verschiedenen Phasen und Zyklen unseres Lebens sind gleichwertig, und diese Gewissheit spendet uns die Zuversicht, dass jede Einsicht ihre Zeit hat. Vergleichen Sie sich nicht mit Ihren Mitmenschen, lassen Sie sich nicht auf den Wettstreit der Leistungsgesellschaft ein, sondern seien Sie einzigartig.
Ich musste über viele Jahre lernen, dass meine Andersartigkeit gut ist und dass sie mir gefällt. Einzigartigkeit hat Wert! »Wasche dein Herz vom Bösen rein, Jerusalem, damit du gerettet wirst! Wie lange noch wohnen in dir deine frevelhaften Gedanken?« (Jeremia 4,14). Am Beispiel der Israeliten sehen wir, dass Habsucht, Gier und Neid nicht ins gelobte Land führen. Die Orientierung am Außen führte die aus Ägypten befreiten Israeliten auf eine vierzigjährige Reise durch die Wüste, und viele von ihnen erlebten die Ankunft nie. Die nur etwa 400 Kilometer weite Reise der Israeliten wurde zu einer 40 Jahre dauernden Irrwanderung eines ganzen Volkes.
»Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene« (Römer 12,2).
Natürlich fordert eine solche Lebenseinstellung Einsatz, Geduld und Fleiß. Sie werden Ihren Tagesablauf verändern müssen, möglicherweise früher aufstehen, alte Gewohnheiten ablegen und neue Dinge lernen müssen, dann werden Sie aber erkennen, dass sich die eigene Berufung in der Zusammenarbeit mit anderen erfüllt. Während der ersten Jahre meiner Praxistätigkeit habe ich viel Schmerz, Einsamkeit und emotionale Entfremdung in den Gesichtern der Menschen gesehen. Sie kamen aus so vielen Beweggründen. Ich erkläre meinen Patienten, dass ihr Schmerz, egal ob physischer oder psychischer Natur, in erster Linie in guter Absicht kommt. Schmerzen wollen uns schützen. Sie sind unmissverständliche Signale, die uns, ganzheitlich betrachtet, zur Umkehr auffordern.
Ich sehe meine Gabe und meine Berufung als Heilpraktiker nicht darin, ein Verwalter von Krankheiten zu sein. Ich sitze meinem Besucher gegenüber, um ihm neue Räume zu öffnen und um ihm bedingungslose Liebe zu schenken. Um sich dazu zu befähigen, braucht es eine sehr bewusste Routine der Selbstfürsorge. Ich liebe es, Bäume zu besuchen, zu umarmen und mit ihnen zu sprechen. Ich klage ihnen meine Sorgen und Ängste. Das ist eine Übung, die ich ganz besonders mag. Ich sitze auch gern mit geschlossenen Augen am Fluss und stelle mir vor, wie das Wasser all meine Sorgen mit sich wegträgt. Dann schöpfe ich neue Kraft und Inspiration für meine Arbeit.
Eine von vielen Möglichkeit, wie wir die eigenen Talente nachhaltig entwickeln können, ist somit der Beruf, den wir wählen.
Das Wort Beruf kommt von Berufung. Das Ständesystem des Mittelalters kannte die »innere Berufung« und die »äußere Berufung«. Die Arbeit der Menschen war sehr stark vom christlichen Weltbild eines göttlichen Plans bestimmt. Im Zuge der Säkularisierung verschwanden die religiösen Aspekte der Arbeit, die sozialen Verpflichtungen blieben jedoch im Rahmen der Arbeitsteilung erhalten. Heute sind mit dem Berufsinhalt, neben der Sicherung eines Einkommens und dem Erwerb von Rentenansprüchen, auch persönliche Lebens-Inhalte, individuelle Interessen, Wertvorstellungen, Ziele, soziales Ansehen und gesellschaftliche Wertschätzung verknüpft. Unser Beruf bestimmt maßgeblich unsere Sicht auf die Welt.
Beruf und Privatleben formen und beeinflussen sich im gegenseitigen Wechselspiel. Hier wird bereits spürbar, dass sich eine Kluft zwischen unserer natürlichen Sehnsucht nach Gemeinschaft, gesellschaftlicher Wertschätzung, schöpferischer Freiheit und dem normierten, vom Menschen und vom Produkt entfremdeten Berufsleben unserer Zeit auftut. Oft beobachte ich, dass der einseitige Berufsalltag meiner Patienten einer dringend notwendigen Lebensumstellung im Weg steht. Die berufliche Monotonie lässt ihre Sinne, Gedanken, ihre Intuition und ihre Lebenskraft verkümmern. Während einzelne Firmen ihre Mitarbeiter im Bereich Achtsamkeit und Ressourcenmanagement schulen, ist der großen Masse an Arbeitgebern bei der Vorstellung, mit wachen, bewussten und achtsamen Mitarbeiten konfrontiert zu sein, eher unwohl. Ja, einem ganzheitlichen, achtsamen Blick auf die Welt wohnt ein gesellschaftskritisches Potenzial inne.
Zurück zum Hamsterrad des Alltags. Ein Europäer mit einer achtzigjährigen Lebenserwartung verbringt rund acht Jahre seines Lebens mit Arbeit, vierundzwanzig Jahre mit Schlaf und zwölf Jahre mit Fernsehen. Es ist nicht verwunderlich, dass ich in meinem Praxisalltag feststelle, dass Berufswahl, Freizeitgestaltung und Konsumverhalten sich gegenseitig stark beeinflussen. Doch liegen besonders am Arbeitsplatz und in der Gestaltung unserer Freizeit wichtige Faktoren für eine gesunde Psyche und eine stabile körperliche Gesundheit verborgen.
Unser Arbeitsleben setzt den Tag- und Nachtrhythmus außer Kraft. Smartphones und elektrisches Licht rauben vielen Menschen die Ruhe zum Schlaf. Früher war die Hauptaufgabe des Menschen die Nahrungssuche. Heute stopfen wir uns mit industriell hochverarbeiteten Füllstoffen voll, die uns nicht nähren, sondern als trügerische Ersatzbefriedigung Entzündungen, Allergien und Fettsucht fördern. Das ständige Abgehetztsein, oft, ohne einen wirklich produktiven, sichtbaren und nachhaltigen Sinn der eigenen Arbeit zu erkennen, führt zur Verkümmerung unserer Atemmuskulatur. Flaches, gestresstes Atmen fördert Müdigkeit, Schlafprobleme, Herzerkrankungen, schwächt das Immunsystem, lähmt den Magen-Darm-Trakt und befeuert Nacken- und Rückenschmerzen. Beobachten Sie Ihre Atmung – sie verrät viel über unseren physischen und psychischen Gesundheitszustand.
Kommen neue Patienten in meine Praxis, ist es üblich, dass ich neben einer sehr ausführlichen Krankenanamnese auch den Lebensweg und den beruflichen Werdegang meiner Besucher studiere. Alles ist wichtig! Genau das zeichnet die Naturheilkunde aus. Und nein, dabei geht es nicht um Placebo-Gespräche. Es geht um die strategische Entwicklung eines neuen Lebenskonzeptes. Dieses herausfordernde Ziel braucht vollste Aufmerksamkeit und viel Zeit. Für viele Menschen hört sich das anstrengend an. Wir haben verlernt, uns Zeit für uns selbst zu nehmen, und damit meine ich nicht die tägliche Dosis Fernsehen, Internet oder Selbstoptimierung im Fitnessstudio. Weil wir vergessen haben, wie es ist, Zeit in der Stille zu verbringen, sich produktiv mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen und Innenschau zu betreiben, erscheint vielen die Vorstellung einer tief forschenden, naturheilkundlichen Sitzung beim Heilpraktiker als anstrengend.
Oft dauert es eine Weile, bis Patienten erkennen, dass eben diese Vernachlässigung ihrer selbst, also das unentwegte Suchen im Außen, den Kern ihres Problems birgt.
Weitere wichtige Informationen über mein Gegenüber entdecke ich in der Familiengeschichte, in Schicksalsschlägen, prägenden Lebensereignissen und in Vorerkrankungen aller Art. Wie ist der enge Freundeskreis aufgebaut, was verrät der Beruf, welche Sehnsüchte, Wünsche und Ängste bringt ein Patient mit, und, ja, sogar die Gestaltung der eigenen Wohnung spielt beim Erstgespräch eine wichtige Rolle.
Der Versuch, den Menschen in seiner Ganzheit kennenzulernen, ist eine wichtige Voraussetzung, um die meist brachliegenden Selbstheilungskräfte zu wecken. Dabei ist Geduld und Einfühlsamkeit ein wichtiger Therapiebaustein. Die Bereitschaft des Patienten, Zeit in diese Prozesse zu investieren, ist von ganz entscheidender Bedeutung. Viele Menschen beginnen erst durch Schicksalsschläge verschiedenster Art, ihren Lebensweg zu hinterfragen. Wenn wir mit offenen Augen durchs Leben gehen und damit aufhören, existenzielle Fragen zu verdrängen, wird es uns möglich, auch ohne schmerzhafte Erfahrungen »umzukehren«. Es ist von äußerster Wichtigkeit für das eigene Seelenwachstum, dass man die Konsequenzen des eigenen Handelns stets hinterfragt. Was löse ich mit meinen täglichen Entscheidungen aus? Nützt mein Verhalten zum Beispiel meiner Gesundheit oder den Menschen in meinem Umfeld? Wie wirkt sich mein Konsumverhalten auf Natur, Tier- und Pflanzenwelt aus, oder unterstütze ich durch meinen Beruf oder meinen Lebenswandel menschliches Leid und die Ausbeutung von Arbeitskräften? Auf welchen Kosten, die andere tragen müssen, ist mein Leben aufgebaut? Lassen Sie zu, dass auch Ihre alltäglichen Entscheidungen zu echten Gewissensfragen werden, denn unser Gewissen ist ein unsichtbarer Draht zum Göttlichen, der Schlüssel zur Intuition, der Weg zur Ganzheitlichkeit, ein Pfad zu uns selbst und zu unserer Berufung. Wir können eben immer nur so gesund und glücklich sein wie unser Umfeld.
Mein großes Interesse für Überlegungen dieser Art führte dazu, dass ich mich schon früh zum Heilpraktiker berufen fühlte. Ich verspürte einen tiefen Drang, die in mir sprudelnde Neugier gegenüber dem Leben und der Natur auch in anderen Menschen zu wecken. Anderen Menschen die Augen für die Schönheit und Komplexität der Natur zu öffnen, war mir schon immer ein großes Anliegen. Dass wir bei der Begegnung mit der Natur nur uns selbst begegnen, ist vielen von uns gar nicht bewusst. Es ist faszinierend, wie sehr sich Menschen verändern, wenn sie einen Urlaub am Meer, in den Bergen oder auch nur ein paar Stunden im Wald verbringen. Immer wieder beobachte ich, wie klar ihr Blick wird, sich ihre Haut, ihre Art zu sprechen und vor allem ihr Denken verändert und sich der Schleier des Alltags langsam wie ein Nebel auflöst. Raus aus dem Büro und rein ins Grüne!
Mein Beruf erleichtert mir eine solche Lebenseinstellung, und aus meiner Perspektive erscheint die Frage, die man mir so oft stellt, warum ich nicht Arzt, sondern Heilpraktiker geworden bin, wie eine rhetorische Frage.
Besonders schätze ich die Unabhängigkeit und Vielseitigkeit des Heilpraktikerberufs. Die Therapiefreiheit von Heilpraktikern sorgt dafür, dass unsere Praxen einige der wenigen Orte im Gesundheitswesen sind, die noch wirklich gelebte Individualität verkörpern. So ist es jedem einzelnen Heilpraktiker möglich, aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung und Philosophie sein ganz spezielles Angebot zu entwickeln. Das ist etwas sehr Wertvolles, denn ganzheitliche Heilung vollzieht sich immer im zwischenmenschlichen Kontakt.
Der Beruf des Heilpraktikers hat sich über Jahrhunderte hinweg behauptet und in der Gesellschaft etabliert. Ungeachtet aller Trends und Zeitgeister ist der Heilpraktiker ein Brückenbauer zwischen Medizin, Naturkunde, Spiritualität und Seelsorge geblieben. Zahlreiche weitere Berufe und Bewegungen sind aus ihm hervorgegangen. Es bestehen enge Verbindungen zwischen der Entstehung der Reformhäuser, der biologischen Landwirtschaft, der reformpädagogischen Bewegungen oder der Etablierung von den heute so beliebten Fasten- und Naturheilkundezentren. Das Heilpraktikerwesen stellt also eine wichtige Opposition zum Massenbetrieb der konventionellen Gesundheits-, Ernährungs-, Umwelt- und Bildungspolitik dar. Es waren überwiegend Heilpraktiker, die in den 80er-Jahren die Kunst der Akupunktur, Meditation und Yoga in den Westen importierten. Anfangs verlacht, sind diese Verfahren heute Therapiemethoden, die selbst von Ärzten verordnet und von Krankenkassen anerkannt werden.
Heilpraktiker waren ihrer Zeit oft weit voraus. Im Gegensatz zur akademischen Medizin speist sich das Heilwissen der Heilpraktiker aus der rein praktischen Erfahrung vieler Generationen. Daraus entwickelte sich später der Begriff der Erfahrungsheilkunde. Unbestritten: Der medizinische Fortschritt unserer Zeit ist ein großer Segen, und wissenschaftliche Standards sind in der flächendeckenden Behandlung von akuten Erkrankungen und medizinischen Notfällen ein großer Gewinn, doch fasst unser menschliches Leben auch eine nicht messbare, eine nicht objektivierbare Seite in sich. Es gibt Dinge, die nicht erlernt, sondern nur erfahren werden können.
Genau hier beginnt die faszinierende Welt eines Heilpraktikers.
Heilpraktiker wird man nicht aus falschen Motiven. Weder das Versprechen auf Reichtum noch Prestige, Macht oder Einfluss sind Motor unserer Berufswahl. Nein, es ist die Überzeugung, dass wir Menschen dazu in der Lage sind, eine gerechtere, grünere, liebevollere Welt im Einklang mit der Natur zu gestalten.
Oft entspringt der Entschluss zu einer Heilpraktikerausbildung aus der Erfahrung mit einer eigenen Erkrankung oder ist das Ergebnis einer überstandenen Lebenskrise. Auch spirituelle Erfahrungen, das Erleben medizinischer Wunder oder der Wunsch nach einer sinnerfüllten beruflichen Veränderung führen zum Heilpraktikerberuf. Im Austausch mit unseren Patienten und im Kontakt mit der Natur bekommen Heilpraktiker unglaublich viel zurück – das ist ein nicht materieller Reichtum. Ein Reichtum, der die Seele nährt. Heilpraktiker sind die Lobby der Natur, deren Stimme in Zeiten des Klimawandels, der Umweltverschmutzung und der Zunahme von chronischen Erkrankungen nicht verstummen darf. In Zeiten eines kommerzialisierten, von Eliten beherrschten Gesundheitssystems, einer monopolisierten Ernährungswirtschaft und der Ausbeutung ganzer Gesellschaftsschichten stellt der Heilpraktikerberuf eine wundersame Waldlichtung dar, die, einmal entdeckt, eine Schatzkammer innovativer, längst vergessener Visionen, einer nachhaltigen und gesunden Zukunft offenbart.
In meiner Praxis bin ich für viele Patienten die letzte Anlaufstelle nach einer langen Odyssee. Nach der Ernüchterung, dass auch Heilpraktiker keine übersinnlichen Alchemisten sind, folgt die Erkenntnis, dass der Weg der Heilung ein aktiver Weg der Umkehr ist. Umkehren bedeutet für mich den Weg der Erlösung wählen. Ein Sich-Lösen von materiellen Dingen, von Profilneurosen, Sexismus, Macht und Konsum. Dabei geht es nicht darum, diese Dinge zu verteufeln, sondern darum, ihnen nicht mehr ausgeliefert zu sein. Wir müssen uns fragen: Wo begegnen mir in meinem Leben Angebote, die ich annehmen sollte, und von welchen Dingen sollte ich dringend Abstand nehmen? Welche Erfahrungen dienen der Entwicklung meiner Seele? Ihre Antwort auf diese Fragen entscheidet, welchem Geist Sie in Ihrem Leben künftig folgen, welche Vorbilder und welche Lehrer Sie wählen – kurz: in welche Richtung Sie sich ganzheitlich, als Körper, Geist und Seele, entwickeln und welchem Ruf Sie folgen.
Wenn ich als Heilpraktiker und Lehrer immer wieder feststellen muss, dass viele Menschen ihre Autos, Uhren oder Haustiere besser pflegen als ihren eigenen Körper, dann stimmt mich das nachdenklich.
Wir missachten die Gesetze der Natur und sind dem Größenwahnsinn verfallen. Wir beuten unseren Planeten, die Tier- und Pflanzenwelt aufs Schändlichste aus und behandeln unsere Mitmenschen als moderne Sklaven, um den Wohlstand weniger Menschen zu sichern – ganz abgesehen davon, dass dieser umkämpfte Wohlstand eher einem Opium entspricht, das dafür sorgt, dass keiner das vorhandene System hinterfragt. Wir lechzen einem Wohlstand hinterher, der uns oft chronisch krank und übergewichtig macht, unsere Faulheit fördert und uns seelisch und geistig verarmen lässt. Diese Zustände sind das Endresultat aus dem Von-der-Natur-getrennt-Sein, einem Rückgang von Spiritualität, einer Verarmung von Sprache, Kunst und Kultur als Folge eines ungezähmten Kapitalismus. Wir wollen immer mehr und definieren unseren Wert als Menschen über Rang, Besitz oder die Anzahl von Bewunderern und Followern.
Wir haben verlernt, unserer Intuition zu lauschen und ihr zu vertrauen. Eine gesunde und ausgebildete Intuition muss aber trainiert werden. Intuition fußt nicht auf Wissen, sondern speist sich aus gelebten Erfahrungen und der Vielfalt an erfahrenen Emotionen. Intuition lässt sich nur durch emotionale Arbeit, Achtsamkeit und Lebensmut ausbauen. Intuition ist Verbundenheit mit der Natur. Wenn sich die Grenze zwischen dem Ich und dem Gegenüber, dem Baum, dem Wind, dem Partner, der Musik, dem Kunstwerk oder der Gemeinschaft auflöst, dann sind wir schwingungsfähig, sprichwörtlich auf einer gemeinsamen Wellenlänge. Diese intuitiven Flow-Erlebnisse, in denen wir ganz im Hier und Jetzt ruhen, Zeit und Raum ihre Bedeutung verlieren, Konzentration der schier uferlosen Aufmerksamkeit weicht und Produktivität und Erholung Hand in Hand gehen, sind für die meisten Menschen ein völlig unbekanntes Phänomen. Und doch ist dieser Zustand des Flows, die Verbindung zur Natur, das Vertrauen auf die eigene Intuition und die Gewissheit, als Teil einer großen Schöpfung gut und richtig zu sein, Bestandteil eines uralten und essenziellen menschlichen Erfahrungsschatzes.
In unserer modernen Welt sind die Folgen der Abwesenheit dieser gelebten Weisheit an allen Ecken und Enden sichtbar. Alkoholismus, Drogensucht, übersteigerte Sexualität, männliche Machtgebärden, die Unterdrückung des Weiblichen, Burn-out, Depressionen und der unstillbare Durst nach Event, Konsum und oberflächlicher Dauerunterhaltung sind Symptome einer nicht zur Ruhe kommenden Gesellschaft, die sich aber zugleich vor der Option einer geerdeten und aufmerksamen Weltsicht fürchtet. Reduktion, Achtsamkeit und Intuition sind Spiegel, die uns auf uns selbst zurückwerfen. Sie helfen uns, unsere Gedanken neu auszurichten. Doch mittlerweile sind wir Meister darin geworden, die sehnsuchtsvollen Bilder unserer Seele, die Erinnerungen an Mitgefühl und Naturverbundenheit, zu verdrängen. Verdrängung und Normierung sind die Lebensbewältigungsstrategien unserer Zeit. Die Natur jedoch kommuniziert nonverbal, unmittelbar und direkt – und das ist die Sprache unseres Unbewussten. Emotionen gelten in unserer aufgeklärten, evidenzbasierten Welt als vage, nicht verlässlich und unstet. Weit gefehlt! Emotionen lassen sich nicht erklären, man erlebt sie. Im Spiegel der Natur, der Intuition, der Nächstenliebe oder auch der Achtsamkeit landet man bei sich selbst – etwas, das wir unser ganzes Leben lang zu vermeiden scheinen.
Als Heilpraktiker versuche ich, meinen Patienten Wege und Methoden aufzuzeigen, die ihnen helfen, sich selbst liebevoll und in Frieden zu begegnen. Die Verbindung zur Natur ist hierbei Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit, das Alpha und Omega aller Interventionen. Die Begegnung mit dem Unbekannten, den dichten Farnwäldern, den knorrigen alten Baumwipfeln, den Höhlen und Schluchten und den endlosen Tundren der eigenen Seele ist eines meiner obersten Lebensprinzipien. Wenn wir nur das tun, was wir gewohnt sind und was uns gefällt, können wir uns nicht verändern. Jetzt fragen Sie: Warum sollte ich mich verändern? Ich bin gut so, wie ich bin. Gehört nicht Selbstliebe zu einer gesunden Lebenseinstellung, und ist es nicht gerade die Selbstliebe, die uns zur Nächstenliebe befähigt? Ja, das stimmt. Dennoch unterliegen auch Liebe, Selbstannahme und Selbsterkenntnis einem steten Fluss. Wandel, Reifung und Weiterentwicklung sind Urprinzipien der Natur, und so gibt es nichts Schädlicheres für uns und unsere Umwelt, als wenn wir aus dem Wunsch nach Sicherheit Veränderung und Wandel unterdrücken.
Als Heilpraktiker setze ich sogenannte Reize. Diese Reize stimulieren auf körperlicher, geistiger oder seelischer Ebene unsere körpereigenen Programme, wie zum Beispiel unser Immunsystem, unsere mentale Abwehr, unser Gefühlsleben oder gar verschüttete oder verdrängte Erinnerungen. Erst wenn wir in Resonanz mit uns selbst treten, können Selbstheilungskräfte aktiv werden. Wenn wir also nur das tun, was uns scheinbar gefällt, arbeiten wir gegen eines der natürlichsten Gebote unserer Mutter Erde – den Wandel.
»Bleib, wie du bist!«, steht auf Geburtstagskarten geschrieben und indirekt auch in den meisten Beipackzetteln schulmedizinischer Blutdruck- und Blutfettsenker, Schmerzmittel, Psychopharmaka oder vieler weiterer milliardenfach eingenommener, synthetischer Präparate. Mit dem fatalen Satz »Bleib, wie du bist!« bauen wir uns ein eigenes Gefängnis mit vergoldeten Gitterstäben und wundern uns doch, warum der Blutdruck nicht sinkt, die Dosis steigt, wir uns immer wieder in die gleiche falsche Person verlieben, an den gleichen Hürden scheitern und uns zunehmend unfrei fühlen. Es ist eben, ungeachtet der Folgen, allzu einfach, nur die Dinge zu tun, die wir bereits kennen. Nachhaltige Heilung findet immer auf allen Ebenen der menschlichen Existenz statt, dem Körper, dem Geist und der Seele. Jede dieser drei Ebenen ist immateriell, aber auch physisch eng mit der Natur und ihren Elementen verbunden.
Wagen Sie mit mir gemeinsam den Sprung in ein Ihnen bisher vielleicht noch fremdes Weltbild, und entdecken Sie Ihre verborgenen Potenziale. Stellen Sie sich also erneut die Frage und erst recht im beruflichen Kontext: Was will diese Welt von mir und ich im Gegenzug von dieser Welt, und was kann aus diesem Zusammenspiel entstehen, das allen nützt?
In diesem Sinne möchte ich Sie mit dem »Gleichnis von den anvertrauten Talenten« aus Matthäus 25,29 dazu auffordern, dass Sie Ihre Begabungen erkunden und als ein Geschenk betrachten. Wenn Sie Ihre individuellen Fähigkeiten für einen größeren gemeinschaftlichen Zweck fruchtbar machen, wird die Herrlichkeit der Schöpfung auch in Ihrem eigenen Leben immer spürbarer. »Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat« (Matthäus 25,29).
Egal wofür Sie ein besonderes Händchen haben, egal was Ihnen besonders leichtfällt und egal womit Sie einen Beitrag zum Gelingen einer Gemeinschaft beitragen können, all diese kleinen und größeren Fähigkeiten dienen keinem Selbstzweck, nein, wie Sie mit ihnen »wirtschaften«, also ob Sie sie vermehren, teilen und als Nährboden für weitere gute Taten und seelisches Wachstum verwenden, entscheidet letztlich über das Gelingen und Scheitern Ihres eigenen Lebens.
Mit jedem Schritt, mit dem wir uns unserer Umwelt liebevoll und kreativ nähern, kommen wir auch uns selbst näher, und das Ausmaß unserer Großzügigkeit und Offenheit der Welt gegenüber wird zum Maß, an dem auch wir gemessen werden.
Ganzheitliches Wachstum funktioniert exponentiell! Das heißt, dass jeder Lernerfolg, den wir feiern, den nächsten vorbereitet und der Prozess des lebenslangen Lernens zunehmend leichter wird.
Es ist wohl kein Zufall, dass Sie zu diesem Buch gegriffen haben. Doch kein Heilpraktiker, kein Missionar, kein Politiker und auch kein Wissenschaftler kann Sie davon überzeugen, wie einzigartig und wertvoll Sie sind! Es sind gelebte Überzeugungen, die Liebe und die Leidenschaft zur eigenen Berufung, die uns voranbringen. Damit wäre die Saat Ihres ganzheitlichen Wachstums ausgebracht!
Heiler, Hexen, Helden – Die Ursprünge des Heilpraktikerberufs
»Der ist ein Arzt, der das Unsichtbare weiß, das keinen
Namen hat, keine Materie und doch seine Wirkung.«
Paracelsus
Die Wurzeln der Naturmedizin reichen weit bis in die Antike und die Frühgeschichte der Menschheit zurück. Die Naturheilkunde ist tief in unserem kollektiven Unbewussten verankert. Neben der Pflanzenheilkunde und der traditionellen europäischen Naturheilkunde basieren die historischen Ursprünge unseres Berufsstands auch auf der Viersäftelehre des Altertums. Diese Lehre beschreibt in ihren Grundzügen, dass alles Geschaffene den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde entspringt. Diesen vier Elementen entsprechen die Zustände warm, kalt, trocken, feucht. Wie überall in der Natur spiegeln sich die vier Elemente und deren Qualitäten auch im menschlichen Körper wider. Befinden sich die Elemente nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zum Ganzen, werden wir krank. Jeder Überfluss oder Mangel eines Elementes ist schwächend, beziehungsweise krank machend. Hiermit wird ganz schnell deutlich, dass die Ursprünge der Heilkunde überwiegend philosophischer Natur sind.
Urväter dieser Lehre sind Galenus und Dioskurides. Sie waren im 17. Jahrhundert die ersten großen Lehrmeister der westlichen Medizin. Die Pfeiler ihrer Medizin waren das Erbe der antiken Naturphilosophen. Ihre Lehre entspricht der eines rational gebauten Kosmos, in dem der Mensch als Bestandteil in das natürliche Geschehen mit einbezogen ist. Dass alles Seiende aus den vier Elementen geschaffen ist, überträgt Polybios (200 – 120 v. Chr.) auf die Körpersäfte Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle.
Kurz gefasst werden Krankheiten über die Jahrhunderte hinweg auf Basis dieser sogenannten Säftelehre erklärt. So verfährt auch die berühmte Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179), die beispielsweise die Wirkung der Zitrone als eher warm statt kalt beschreibt und zu einer Auskochung von Zitronenblättern rät, um Fieberschübe zu lindern.
Aus heutiger Sicht lassen sich vor allem Zivilisationserkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II, eine Vielzahl an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie zum Beispiel Bluthochdruck, Adipositas oder Erschöpfungszustände mit dem Prinzip der Säftelehre bildhaft erklären. Wichtig ist, dass in einer modernen, aufgeklärten Welt die Säftelehre nicht wörtlich, sondern bildhaft verstanden wird. Für den Bluthochdruckpatienten kann also die Regulierung seiner Überfülle an Säften durch einen Aderlass (z.B. Blut spenden oder eine umfangreichere Blutabnahme), eine Fastenkur und eine Lebensumstellung mit mehr Bewegung und weniger Stress durchaus hilfreich sein. Einen geschwächten Patienten mit Blutarmut und Untergewicht würde dieses Verfahren logischerweise weiter schwächen, da er ja schließlich an einem Mangel leidet.
Um unser Gegenüber zu erreichen, braucht es eine verständliche und bildhafte Sprache, die auch in die tieferen Ebenen unseres uralten Bewusstseins vordringt. Man würde der Geschichte des Heilpraktikerberufs aber nicht gerecht, wenn man seine Wurzeln ausschließlich auf die Ursprünge der Säftelehre zurückführte.
Schon im antiken Griechenland gab es den Archiatros, eine Art Amtsarzt. Seine Aufgabe war es, die freien Heiler, also heilkundige Laien, im Blick zu haben und zu kontrollieren. Spätestens seit dieser Zeit wird zwischen dem anerkannten Arzt und dem heilkundigen Laien differenziert. Ein weitaus bedeutenderer Ursprung des Heilpraktikers liegt in der Tradition der heidnischen Waldvölker Europas und des Baltikums verborgen. Das Heilwissen der Germanen, Kelten, Balten und Slawen ist bis heute in der traditionellen Pflanzenheilkunde, im ganzheitlichen Naturverständnis und in den zahlreichen Ritualen unserer Kultur sichtbar. Heilpraktiker sind die Erben der sogenannten Walas, der heidnischen Seherinnen, Schamanen und Priester. Nachfahren der verfolgten Kräuterweiber und Hebammen des Mittelalters. Nachfolger eines Pfarrers Sebastian Kneipp (1821 – 1897) und der Äbtissin Hildegard von Bingen. Was all diese praktischen Laien auszeichnete, ist ihre tiefe Verwurzelung im Volk und ihr ganzheitliches Weltbild.
Heilung war für die Menschen von jeher ein Prozess, der über die physische, sichtbare Welt hinausführte. So war es üblich, dass die Aufgabe des Heilers oft auch mit spirituellen Aufgaben einherging. Das Weltbild der Menschen war geprägt von Analogien und der Vorstellung einer Synchronizität des gesamten Kosmos. Sie fühlten sich eingebettet in das System Natur, das größer als sie selbst und der Einzelne war. Folglich wurde Krankheit als ein multifaktorielles Geschehen verstanden, dessen Ursprung im Verlust einer natürlichen Balance zu suchen war. Götter, Ahnen, Naturwesen, Ernährung, individuelle Taten und Entscheidungen waren die Quellen der Symptome. Für diese Völker, wie auch für die Ureinwohner Amerikas, war es unvorstellbar, Raubbau an der Natur zu betreiben, denn die Erkenntnis, dass der Mensch als Teil der Natur auch für deren Fortbestehen verantwortlich ist, wurzelte tief in ihrem Weltbild. Krankt die Natur, wird auch der Mensch krank. Ahnenkulte sorgten für ein verantwortungsvolles Handeln gegenüber folgenden und vorangegangenen Generationen.
Die Worte Demut, Staunen, Sünde und Umkehr sind heutzutage nicht sehr beliebt. Das Staunen und die Demut vor der Natur sind jedoch tief ergreifende Erlebnisse, die uns wieder wertschätzungsfähig machen. Auch »Umkehr« wird oft falsch verstanden.
Hierzu eine kleine Geschichte:
Rabbi: »Einen Tag vor deinem Tod kehre um.« Schüler: »Wann soll ich umkehren, ich weiß doch gar nicht, wann ich sterbe?« Rabbi: »Siehst du, darum kehre vorsichtshalber heute um!«
»Zu wissen, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, verschafft einen klaren Blick«, so kommentierte Vera F. Birkenbihl einen ihrer Vorträge vor Studenten und schaute in verdutzte Gesichter. Dieser Vortrag hatte mich ebenfalls sehr berührt und mich zu einer achtsamen Lebensführung motiviert. Heilpraktiker zeigen ihren Patienten auf, dass das Menschsein eine spirituelle, ganzheitliche Erfahrung ist. Spiritualität ist für mich der Prozess, das Leben ganzheitlich zu erfahren, die Schönheit der Schöpfung zu erkennen, innezuhalten, das Leben zu beobachten und zu spüren, was es mit mir macht.
Ganzheitlichkeit leben bedeutet für mich aber auch die Fähigkeit, durch Dankbarkeit und aktiven Altruismus wahres Glück zu empfinden. Gestaltungswille und Mut zum Aufbruch sind weitere wichtige Elemente einer spirituellen Lebensführung, weil wir nur durch aktives, verantwortungsvolles Handeln die wertvolle Entwicklung vom Objekt zum Subjekt vollziehen können. Auf die einzelnen Bausteine dieser Lebensführung kommen wir aber im Laufe dieses Buches jeweils gesondert zu sprechen.
Bis heute ist Hildegard von Bingen vielen Menschen eine Leitfigur
Nun aber zurück zum Ursprung der Naturheilkunde und deren Vertretern. Hildegard von Bingen war zum Beispiel Heilerin, Visionärin, Komponistin und Theologin, während die Heiler der heidnischen Waldvölker Ratgeber, Richter, Seher und Heiler zugleich waren. Im Rahmen der fortschreitenden Christianisierung verschwanden die alten »Hexen«, Heiler und Schamanen der eingeborenen Waldvölker mehr und mehr von der Bildfläche. Ihr weises Naturwissen überlebte aber im Volksglauben und in dessen Mythen, Märchen und Traditionen. Unter der Vorherrschaft der katholischen Kirche wurde die Kräuterheilkunde anfangs verboten und unter Strafe gestellt.
Die Vorstellung einer belebten Natur, deren Heilkräfte magischen Ursprungs schienen, waren aus Sicht der Kirche gefährlicher Aberglaube und Ketzerei. Trotz verschiedenster Methoden der Missionierung ließ sich des Naturglaubens der einfachen Bevölkerung nur schwer Herr werden, und so kam es, dass sich eine vom Orient geprägte Klostermedizin entwickelte. Während die alten Urkräuter der nordischen Wälder in Vergessenheit gerieten, wurden in Klostergärten neue, bisher nicht winterfeste Heilpflanzen aus fernen Regionen kultiviert. Dazu zählten Salbei und Rosmarin. Das Konzept einer christkonformen Heilkunde war geboren. Nicht zuletzt auch, um die alten Traditionen der einfachen Bevölkerung in einem neuen christlichen Weltbild aufzulösen.