77 x Rostock - Reno Stutz - E-Book

77 x Rostock E-Book

Reno Stutz

4,7

Beschreibung

Von der Raumklammer bis zum Pferdeapfel Der überzeugte Rostocker, für den seine Stadt ohnehin die »schönste«, »bedeutendste « und »ehrwürdigste« in Mecklenburg-Vorpommern und natürlich darüber hinaus ist, muss nicht bekehrt werden. Für ihn ist dieses Buch letztendlich nur ein weiterer Beweis dafür, was er seit langem weiß: Rostock muss man gesehen haben! … Doch der Skeptiker! Der sollte seine Zurückhaltung kurz beiseite schieben und in diesen Reiseführer hineinlesen. Denn: Rostock hat eine Vielzahl an »Hinguckern«. Autor Reno Stutz kennt sie alle. Die bekannten Seiten, aber auch jene, die es kaum mal in einen Reiseführer schaffen und die selbst dem eingeborenen Rostocker nicht alle geläufig sein dürften. Denn wer, bitte schön, weiß etwas über eine Hinterhoftankstelle von anno 1922, an welcher Stelle trifft man Albert und Emile, unter welchem Kirchenchor kann man hindurchfahren, wo gibt es eine Raumklammer, die für trockene Füße sorgt, wo ist es möglich, noch einen richtig guten Knüppel zu essen, und an welchem Ort sind Pferdeäpfeln huldigende Spatzen als Denkmal verewigt?

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Reno StutzUlrich Loeper

77×Rostock

Was man nicht verpassen darf

HINSTORFF

Inhaltsverzeichnis

Rostock – eine Einleitung

Sie steckt überall – die Glückszahl Sieben

Östliche Altstadt

1Petrikirche/Slüter-DenkmalWo Rostock die Wolken kratzt

2Gerberbruch/FischerbruchVon Um- und Aufbrüchen

3Flussbad/MühlendammWenn »Hexen« zum Bade laden

4LohmühleEin Denkmal, das im Wege stand

5St. Nikolai, Schwibbogen und BornWohnen im Kirchendach

6Club der SeeleuteVom Restaurant »Schiller« zum schillernden Etablissement

7ViergelindenbrückeEine Raumklammer für trockene Füße

8KuhtorVon Rindviechern, Verbrechern und hoher Literatur

9Haus »Krahnstöver«Wo die Cola wirklich herkommt!?

10KerkhofhausHeiraten im Gedächtnis der Stadt

11Hugo GrotiusPionier des Seevölkerrechts im Zeichen der Sonne

12»Zur feuchten Geige« – »Albert & Emile« – »Altstädter Stuben«Von nobel bis deftig und kurios

13Zwischen Nostalgie und Ostalgie – der Grubenbäcker»Knüppel« contra Fastfood

14HMT – TorbogenHochkultur in alten Mauern

Nördliche Altstadt

15MönchentorWas Rostock mit Australien zu tun hat

16»Zur Kogge«Wo man an Land zur See fährt

17HausbaumhausWas eine Eiche alles tragen kann

18Wohngebiet Nördliche AltstadtAusgezeichnete Platte

19Hornscher HofMätressen, Schauspieler und noble Wohnungen

20WittespeicherEin Weltmarkführer aus der Schnickmannstraße

21Kasper Ohm up sin VosswallachHochmut – oder von Spatzen auf dem Pferdeapfel

22StadthafenkräneHiev up!

Stadtmitte

23Kröpeliner Tor54 Meter Wehrhaftigkeit und Bürgerstolz

24GrundgeyerEine himmlische Decke

25ChristuskircheIdeologische Trümmer oder eine Frage des Blickwinkels

26TeufelskuhlePlatz für ein ganzes Schloss

27»Die Trinkende«Huldigung an die Meistgestohlene

28»Heumond«Hier ist selbst das »stille Örtchen« bemerkenswert

29Große StadtschuleEin altehrwürdiges Haus der Bildung und der Musik

30MichaelisklosterWo Bücher besonders schön wohnen

31UniversitätshauptgebäudeVon wegen Funzel!

32PfeilstorchEin bewaffnetes Flugobjekt aus Afrika

33»Professorenhäuser«Wie Namen täuschen können

34BlücherdenkmalVom Fake zum Monument

35Brunnen der LebensfreudePornographisches inmitten der Stadt

36Reliefs bei McDonald’sKeramische Weisheiten versus Burger-Dunst

37Glockenspiel am Fünfgiebelhaus650 Kilogramm Metall für wohlklingende Töne

38JacobikirchplatzEine Baulücke wider das Vergessen

39KaufhäuserAls die Lade zum Schaufenster wurde

40»Rostocker Hof«Einkaufstempel hinter schöner Fassade

41AutohausWo PKWs Fahrstuhl fuhren

42StadtbibliothekVom Betten- zum Buch-Haus

43Tycho BraheOder wie verdient man sich eine goldene Nase

44HeiligengeisthofEin Kleinod inmitten städtischer Hektik

45»Alte Münze«Golddukaten und Sahnetörtchen

46Turm der MarienkircheBombowskis Kampf gegen die Bomben

47Astronomische UhrHightech aus dem Mittelalter

48Lange StraßeLuxus über dem Trümmerfeld

49Der MöwenbrunnenIst das Kunst?

50RathausschlangeDoppelzüngig oder aalglatt?

51StändehausEin bisschen Orient in Mecklenburg

52SteintorNichts für Kühe und Landesherren

Steintorvorstadt und Kröpeliner Torvorstadt

53WasserturmVon Räubern, Rittern – und einer Enttäuschung

54Max-Samuel-HausDer deutschen Geschichte begegnen

55Innerstädtisches GymnasiumBauhaus in Rostock

56Augustenstraße 44Die Goldenen Zwanziger im Hinterhof

57Theater des FriedensVom Einsatz prämierter Vorführapparate

58Peter-Weiss-HausVor der Literatur kam das Bier

59HNO-Klinik »Otto Körner«Mit Hals, Nasen und Ohren zum Nabel der Welt

60NavigationsschuleWie es gelang, das Steuerrad herumzureißen

61LindenparkVom Friedhof zum Naherholungsgebiet

62Campus UlmenmarktAntreten und austreten

Rund um die Innenstadt

63Gehlsdorf – Yachtclub RostockSegeln ist was für Wohlhabende?

64Matrosendenkmal KabutzenhofEin Brocken für die »Brocken«

65Heinkel-WandPolarisierende Vergangenheit

66NeptunschwimmhalleMit dem Aufzug zum Absprung

67Reutershagen – KunsthalleKünstlerisches Tor in die Welt

68ZooEine Erfolgsgeschichte mit tierischen Wendungen

69Neuer FriedhofGräber erzählen Geschichte

70Südstadt – KosmosDie Natur als Baumeister

71Schmarl – CapellaWenn Beton schwimmt

Warnemünde

72OstseeSehnsuchtsort und Schauplatz der Geschichte

73DünenKüstenschutz und die große Sturmflut

74»De Blachmantelsche«Geisterstunden in Warnemünde

75Edvard-Munch-HausEin Weltkünstler in Haus Nr. 53

76Der Umgangsbrunnen600 Jahre alt und nicht totzukriegen

77Stephan-Jantzen-ParkErinnerung an eine Legende

Rostock – eine Einleitung

Oh je, schon wieder ein Band über Rostock und Warnemünde. Dieser Gedanke drängt sich einem geradezu unerbittlich auf, so man in einem der Buchläden der Stadt weilt. Der Verständnisvolle unter den Bücherliebhabern wird sich sagen: Große Jubiläen stehen an, so 2018 die 800-jährige urkundliche Ersterwähnung der Stadt und 2019 der 600. Geburtstag der hiesigen Universität. Und ein neues Buch zu Ehren Rostocks, nun ja, die Idee ist nicht gerade originell, aber so schlecht wiederum auch nicht. Wenn einem nun mal nichts Besseres einfällt?

Der »militante« Rostocker, für den seine Stadt ohnehin die »schönste«, »bedeutendste« und »ehrwürdigste« unter den Städten Mecklenburg-Vorpommerns und natürlich darüber hinaus ist, muss nicht überzeugt werden. Für ihn ist jedes Buch über seine Heimat letztendlich nur ein weiterer Beweis dafür, was er seit langem weiß: Rostock muss man gesehen haben! Und besondere, sehenswerte Orte gibt es seiner Meinung unendlich viele. Sie nur in ein kleines Büchlein zu bringen, das ist für ihn schon ein Unding an sich.

Doch der Skeptiker! Der sollte seine Zurückhaltung kurz beiseite schieben und hineinlesen. Denn so wird er schnell merken – Rostock hat tatsächlich eine große Zahl an »Hinguckern«. Dem Einheimischen sind sie zumeist vertraut. Den Gästen »drängen« sie sich ob ihrer Größe geradezu auf und werden auch vom Unkundigen schnell gefunden und bestaunt. Allein der erste Blick ist schon bemerkenswert. Und der zweite – er befördert Weiteres hervor. Diese »verborgenen« Kleinode von der »zweiten« in die »erste« Reihe, quasi aus dem Versteck zu holen, ist ein Anliegen des vorliegenden Buches. Denn neben den berühmten »Highlights« erscheinen sie, oberflächlich betrachtet, etwas »unscheinbar«. Doch bei näherem Hinsehen erzählen sie interessante Geschichten.

Folgen Sie uns also durch enge Gassen und breite Straßen, lassen Sie uns prächtige Bürger- und himmelwärts strebende Gotteshäuser besuchen. Wir werden große Plätze überqueren, durch schattige Parks schlendern. Am Ufer der Warnow und an der Ostsee wird uns der Seewind um die Nase wehen. Begeben wir uns auf einen Gang durch das alte und neue Rostock.

Sie steckt überall – die Glückszahl Sieben

Eine Ziffer hat es den Rostockern seit jeher angetan, die Sieben. Warum es gerade diese ungerade Zahl ist, niemand weiß es genau. Auch wenn die Sieben in vielen Ländern Asiens, so zum Beispiel in Thailand und Japan, mit Unglück verbunden wird ... Rostock liegt in Europa – und hier gilt die Ziffer als Garant für Glück und Wohlstand. Im Mittelalter traf das zweifellos auf die mächtige Hansestadt an der Warnow zu, doch Rostock hat auch schlimme Zeiten erlebt. Dazu später mehr!

Die Sieben ist in der Stadt allgegenwärtig und das schon seit Jahrhunderten. Die Primzahl steckt in unzähligen Bauwerken der Stadt – und selbst in Reimen wird sie gepriesen. Sie wurde zum Wahrzeichen der Hansestadt:

Söben Toern to Sint Marien Kark

,

Sieben Türme der St. Marien-Kirche

,

Söben Straten bi den groten Mark

,

Sieben Straßen bei dem großen Markt

,

Söben Doerns, so da gaen to Lande

,

Sieben Tore, die in das Land führen

,

Söben Kopmannsbrüggen bi dem Strande

,

Sieben Kaufmannsbrücken bei dem Strand

,

Söben Toern, so up Rathus stan

,

Sieben Türme, die auf dem Rathaus stehen

,

Söben Klocken, so dakliken slan

,

Sieben Glocken, die zugleich schlagen

,

Söben Linnenböm up den Rosengarten:

Sieben Lindenbäume im Rosengarten:

Dat syn de Rostocker Kennewohrn.

Das sind die Rostocker Wahrzeichen.

Das niederdeutsche Gedicht über die »Rostocker Kennewohrn« (Rostocker Kennzeichen) stammt aus dem Jahre 1596. Verfasst hat es der Dichter und Chronist Peter Lindeberg. Etwas rätselhaft ist die Sache schon, galt die Sieben in dieser Zeit doch auch als Zahl der Hexen. Und das 16./17. Jahrhundert war jene Epoche, in der Hexen und Zauberer unerbittlich gejagt wurden. Auch in Rostock loderten unzählige Male die Scheiterhaufen.

Wie Lindeberg gezählt hat, wissen wir nicht, denn es gab zum Beispiel mehr als sieben Kaufmannsbrücken. Sei es wie es sei: Unsere Vorfahren begegneten der mystisch aufgeladenen Sieben mit Ehrfurcht und verarbeiteten sie weiterhin in ihren Bauwerken. Schließlich zählt der Name Rostock sieben Buchstaben. Spötter erwähnen allerdings gerne, dass die Universität der Stadt in ihren schlechtesten Jahren nur sieben Studenten hatte. Aber von solchen Dingen, zumal sie mit Sicherheit unwahr sind, will der »wahre« Rostocker nichts hören.

Östliche Altstadt

Beginenberg

1 Petrikirche/Slüter-DenkmalWo Rostock die Wolken kratzt

Seit Jahrhunderten prägt der gewaltig in den Himmel aufragende Turm von St. Petri die Silhouette Rostocks. Wer sich von der Landseite der Stadt nähert, wird schon von weitem durch den 117 Meter hohen Kirchturm willkommen geheißen. So manches »Gott sei Dank« oder »Geschafft« dürfte dem Munde des Kaufmanns oder Reisenden im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit entsprungen sein, wenn er, auf holpriger Straße fahrend, des gewaltigen Gotteshauses ansichtig wurde.

Zugleich diente das Wahrzeichen der Stadt seit dem 15. Jahrhundert den Seefahrern als Landmarke. Seinerzeit war es sogar 127 Meter hoch und von Schiffen, die den Rostocker Hafen anlaufen wollten, schon von weither erkennbar – gute Sicht vorausgesetzt. 1543 zerstörte jedoch ein Blitzschlag den Turm. Die Katholiken der Stadt sahen darin ein Zeichen Gottes, das die Anhänger Luthers strafen sollte. Wie andernorts hatte auch an der Warnow die Reformation in jenen Jahren begonnen, den Einfluss der althergebrachten Kirche zurückzudrängen. Nichtsdestotrotz: Der Turm wurde wieder aufgebaut und diente seit 1578 – allerdings nun um 10 Meter gekürzt – weiter als Orientierungsmarke. Bis 1942, dann stürzte der Petrikirchturm erneut brennend zu Boden. In der Nacht vom 26. zum 27. April des Jahres hatten britische Bomben das Gotteshaus schwer zerstört. 52 Jahre gingen ins Land, in denen das Kirchenschiff zwar wieder aufgebaut wurde, doch der Turm ein ungekrönter »Stummel« blieb. Erst im November 1994 hob ein gewaltiger Kran die drei Segmente der neuen Kirchturmspitze in die Höhe. Eine technische Meisterleistung und für die Zuschauer ein bewegendes Spektakel. Seither ist St. Petri wieder vollständig und weithin als Rostocker Wahrzeichen sichtbar. Die in 45 Meter Höhe eingebaute Plattform – man kann sie per Fahrstuhl oder über 196 Treppenstufen erreichen – bietet einen einmaligen Rundumblick.

Der Hügel, auf dem nachweisbar 1252 die erste Kirche namens St. Petri gebaut wurde, atmet wie kein anderer Ort die Geschichte Rostocks. Denn hier entstand die erste Ansiedlung »deutschstämmiger« Einwanderer. Und vor den Mauern des mächtigen Sakralbaus weist das Slüter-Denkmal auf den Wegbereiter des Protestantismus in Rostock hin. Der Sohn eines Dömitzer Fährmannes verkündete in St. Petri das Wort Luthers. Als die Kirche die Zahl der Gläubigen nicht mehr fassen konnte, wich der Rostocker Reformator auf den Friedhof anbei aus. Unter einer großen Linde predigte er fortan nicht mehr in Latein, sondern in verständlichem Plattdeutsch.

Die Petrikirche liegt am Alten Markt. Das Slüter-Denkmal befindet sich östlich zwischen Gotteshaus und Stadtmauer. Öffnungszeiten für Aussichtsturm und Besichtigung der Kirche: Mai bis September täglich 10:00 bis 18:00 Uhr, Oktober bis April täglich 10:00 bis 16:00 Uhr. In der Regel bleiben Kirche und Turm an Karfreitag und Silvester geschlossen. Auch während Gottesdiensten und Veranstaltungen ist keine Besichtigung möglich. Informationen unter www.petrikirche-rostock.de.

2 Gerberbruch/FischerbruchVon Um- und Aufbrüchen

Innerhalb weniger Jahre hat sich das Petriviertel am östlichen Stadtrand zu einem attraktiven Wohngebiet entwickelt. Zwischen Warnow und Stadtmauer gelegen, entstand hier auf knapp sechs Hektar ein neues Quartier mit etwa 450 Eigenheimen, Wohnungen, einem Parkhaus, einem Kindergarten und einer Sporthalle.

Bis 2010 lag die Fläche weitestgehend brach und stand regelmäßig unter Wasser. Lediglich eine Straßenbahntrasse durchquerte das hochwassergefährdete Gebiet in Richtung Dierkow und Toitenwinkel. Nichts weist mehr darauf hin, dass dieses flache, moorige Gelände außerhalb der Rostocker Stadtmauer einst eine herausgehobene Bedeutung besaß. Wären da nicht die eigenartigen Straßennamen Gerber- und Fischerbruch.

Begeben wir uns also zurück in die Geschichte, am besten ins 13. Jahrhundert. In jener Zeit befand sich hier einer der Wirtschafts-Cluster der Hansestadt. Das sumpfige, von vielen Bächen durchzogene Gebiet, der sogenannte Bruch, zog Gerber, Fischer und Küter magisch an. Hier fanden sie ideale Bedingungen – der Fischer mit der nahegelegenen Warnow ausreichende Fanggebiete, der Gerber genügend Wasser zum Spülen sowie Waschen der Tierhäute und der Küter zum Schlachten des Großviehs. Man befestigte die Ufer der Wasserläufe, legte beidseitig Straßen an und baute Häuser. Kneipen, Herbergen und eine Badestube folgten.

Der Fischerbruch wurde erstmals 1262 und der Gerberbruch 1289 erwähnt. Beschirmt durch die nahegelegene, dem Schutzheiligen der Fischer gewidmete Nikolaikirche, gingen hier mehr als 30 Bruchfischer ihrem Gewerbe nach. Von Stadtbränden und von den Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges blieben die Bruchstraßen weitgehend verschont. Dem Zahn der Zeit, aber auch dem Neubau der Straßenbahntrasse vom Steintor in die östlich gelegenen Neubaugebiete, fielen dann zahlreiche Häuser des Fischer- und Gerberbruchs zum Opfer. Die Gräben wurden zugeschüttet. Regelmäßig überschwemmte die über die Ufer tretende Warnow das Gelände, insbesondere Parterrewohnungen waren permanent gefährdet. Haus um Haus wurde freigezogen. Die Bausubstanz zerfiel zusehends und wurde im Laufe der Jahre abgetragen.

Hochwässer müssen die Bewohner des neu errichteten Petriviertels nicht mehr fürchten. Alle Straßen haben eine Höhe von 2,50 Meter über Null. Die Bodenplatten der Häuser beginnen sogar erst bei 3,10 Meter. Boote, die hier früher allgegenwärtig waren, dienen heute nur noch der Freizeitgestaltung, nicht mehr der Rettung von Hausrat, Leib und Leben.

Besonders markante Gebäude im Viertel sind die im Fischerbruch 27 und 28, entworfen vom Rostocker Architekten Christian Blauel. Hinter den abwechslungsreichen Fassaden verbergen sich äußerst energiesparende Häuser.

3 Flussbad/MühlendammWenn »Hexen« zum Bade laden

2005 übernahm der Rostocker Wasserballverein »Lederhexen« das Flussbad am Mühlendamm. Über zwei Jahre lang wurde gewerkelt und gebaut, die letzten Arbeiten konnten 2008 abgeschlossen werden. Seither lockt das vor den Toren der Altstadt gelegene Fluss- und Sonnenbad an der Warnow unzählige Wasserratten und -sportler an.

Die Geschichte der beliebten Anlage begann 1833. Damals eröffnete der Privatunternehmer Joachim Vick, wie es bedeutungsvoll hieß, an der Oberwarnow vor dem Mühlentore eine öffentliche Badeanstalt. Zunächst nur männlichen Besuchern vorbehalten, wurde die neue Attraktion wenig später auch für Frauen und Mädchen zugelassen. Natürlich waren die Geschlechter streng voneinander getrennt – versteht sich! 1842 erweiterte Vick sein Etablissement durch eine »Wasserheilanstalt«, nachdem er sich bei dem berühmten österreichischen Wasserarzt Vincenz Prießnitz im schlesischen Bad Gräfenberg hatte ausbilden lassen. Schnell sprach sich die Qualität der Rostocker Anstalt herum, so dass die Kuren mit Warnowwasser schon bald Patienten aus ganz Mecklenburg und sogar darüber hinaus anlockten. Das erst recht, als das Angebot später durch die Eröffnung eines russischen Dampfbades und eines römisch-irischen Bades vervollständigt war. Die anstaltseigene Pension zeigte sich stets gut ausgebucht. Das Flussbad und seine Einrichtungen, so bemerkte der Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Rostock – Professor Julius Uffelmann – 1889, befände sich »in flottem Betrieb«. Nach Jahren des Aufstiegs vertrieb der Erste Weltkrieg die Lust am Baden und Kuren. Das privatgeführte Unternehmen geriet in eine finanzielle Schieflage und wurde 1921 verkauft. Als auch noch die Badeanstalt vor dem Faulen Tore am östlichen Stadthafen durch eine Sturmflut zerstört wurde, waren die Rostocker Stadtväter im Zugzwang. Sie verfügten wenig später den Bau einer neuen Badeanstalt am Mühlendamm. 220000 Reichsmark, eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hohe Summe, stellten sie zur Verfügung. Schon 1922 öffnete die städtische Badeanstalt ihre Tore. Auf das Luft- und Sonnenbad mussten die Rostocker und ihre Gäste aber noch bis 1925 warten.

Nach Jahren des Auf und Ab, kurzzeitigen Schließungen und Wiedereröffnungen, war 2003 Schluss. Das traditionsreiche Flussbad wurde geschlossen, das Gelände zum Verkauf ausgeschrieben. Wären da nicht die »Lederhexen« gewesen!

Das Flussbad (Mühlendamm 36) ist vom 1. Mai bis zum 30. September geöffnet – allerdings nicht bei schlechtem Wetter. Öffnungszeiten an Schultagen täglich von 14:00 bis 19:00 Uhr, sonst 11:00 bis 19:00 Uhr. Weitere Informationen unter 0381/1289920 oder www.lederhexen-ev.de.

4 LohmühleEin Denkmal, das im Wege stand

Jeden Tag nutzen Tausende Rostocker die Straßenbahn, um von den östlichen Neubaugebieten Dierkow und Toitenwinkel in die Innenstadt zu fahren. »Mit 60 km durch die Stadt und nicht geblitzt«, so ein Slogan der Rostocker Straßenbahn AG. Die modernen Triebwagen sausen durch den Gerberbruch, rechter Hand St. Petri und St. Nikolai zurücklassend. Am Mühlendamm geht es dann noch in eine Rechtskurve, ein kurzer Blick auf die bemalte Hauswand Am Bagehl 4, und schon taucht die Haltestelle Steintor/IHK auf. Niemand ahnt, dass es zwischen dem Gemälde und der zügigen Fahrt einen Zusammenhang gibt. Woher auch, liegt die Geschichte doch bereits Jahrzehnte zurück. Begeben wir uns also in das Jahr 1986.

Bereits seit Jahren drängten Verkehrsplaner, den zwischen 1984 und 1987 auf der grünen Wiese errichteten Stadtteil Dierkow an das Straßenbahnnetz der Stadt anzuschließen. Bis 1974 zuckelten die alten Gotha-Straßenbahnwagen vom Steintor kommend durch den Bagehl, über die Altschmiedestraße an St. Petri vorbei und dann weiter in Richtung Dierkow/Gehlsdorf. Dann übernahmen Busse den Personentransport, stießen mit der Errichtung des gewaltigen Neubaugebietes aber sehr schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Eine neue Straßenbahnlinie musste her, zumal die Planer mit Toitenwinkel bereits ein zweites großes Neubaugebiet auf dem Reißbrett hatten. Da die mittlerweile eingesetzten langen Tatra-Straßenbahnen unmöglich die alte Strecke durch die östliche Altstadt nehmen konnten, wurde eine neue Trasse notwendig. Und diese sollte nun mitten durch die Rostocker Lohmühle, einem technischen Denkmal von außerordentlichem Wert, führen.

Noch 1982 stand das historische Gebäude auf der zentralen Bezirksdenkmalliste. Doch vier Jahre später wurde die 1540 erstmals erwähnte und bis 1914 arbeitende Lohmühle, die die Gerber mit dem aus Eichenrinde gewonnenen Lohepulver belieferte, abgetragen. Zwar hatte der Rat des Bezirkes verfügt, die Mühle im Original an einer anderen Stelle wieder aufzubauen, doch es blieb bei dem ehernen Vorsatz. Unsachgemäße Lagerung und der fehlende Wille zum Wiederaufbau führten in den 90er-Jahren zum Totalverlust. Lediglich das große Wandgemälde erinnert an den Standort der letzten Lohmühle Mecklenburgs und an einen »schwarzen Tag« der Rostocker Denkmalpflege.

Der ehemalige Standort der Lohmühle ist sowohl von der zentralen Haltestelle Steintor/ IHK (Straßenbahn, Bus) als auch von der Straßenbahn-Haltestelle Gerberbruch zu erreichen (jeweils ca. 200 Meter Fußweg).

5 St. Nikolai, Schwibbogen und BornWohnen im Kirchendach

Die dem Heiligen Sankt Nikolai geweihte Kirche in der östlichen Altstadt zeigt schon von weitem an, dass sie etwas Besonderes ist. Dabei fällt vor allem das ungewöhnliche Dach des Langhauses auf. Dieses wird von einer Vielzahl von Fenstern und Loggien unterbrochen. Streng genommen haben wir es seit 1976 nicht mehr mit einem Gotteshaus zu tun, sondern vielmehr mit einer Büro- und Wohnkirche. Denn zwei Jahre zuvor wurden die Gemeinden von Nikolai und St. Petri zusammengelegt und der Beschluss gefasst, erstere Kirche aufzuheben.

Vor diesem Hintergrund begannen 1976 der Umbau des Turmes und der Ausbau des Dachstuhls des 1260 erstmals urkundlich nachweisbaren Sakralbaus. Das wuchtige Turmmassiv wurde in acht Etagen unterteilt und mit einem Fahrstuhl versehen. 1978 zogen Mitarbeiter der kirchlichen Verwaltung in ihre ungewöhnlichen Büroräume ein. Als besonders schwierig erwies sich der Einbau der Wohnungen über dem Hallenschiff. Da die Tragfähigkeit der vorhandenen Pfeiler für die notwendige Betondecke nicht ausreichte, wurden sie Schicht für Schicht heruntergenommen. An ihrer Stelle stehen heute Säulen aus Stahlbeton, ummantelt mit den mühevoll abgetragenen Originalmauersteinen.