A Curse Unbroken - Yvy Kazi - E-Book

A Curse Unbroken E-Book

Yvy Kazi

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Beschreibung

Kann sie ihm helfen, den dunklen Blutfluch zu brechen?

Gemma Stone ist eine moderne Hexe, die in den sozialen Medien zeigt, wie man die Kräfte der Magie im Alltag nutzen kann. Eines Tages trifft sie den attraktiven und mysteriösen Darren, der dringend ihre Hilfe braucht: Er will endlich den Blutfluch brechen, der ihn daran hindert, gewisse brisante Informationen ans Licht zu bringen. Schon bei Gemmas und Darrens erster Begegnung fühlen sie eine beinahe magische Anziehungskraft, und je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto tiefer wird ihre Verbindung. Doch Darren hat ihr nicht die ganze Wahrheit über sich gesagt, und während Gemma versucht, den Fluch zu brechen, stößt sie auf seine dunklen Geheimnisse - Geheimnisse, die ihre Welt in Flammen aufgehen lassen könnten ...

»Fantasy, die moderne Hexerei, tolle Spannungselemente und cozy Romance in einer einzigartigen, intelligenten Geschichte verbindet. Mystisch, magisch, mitreißend - für mich ein Jahreshighlight!« AVA REED, SPIEGEL-Bestseller-Autorin

Band 1 der MAGIC & MOONLIGHT-Reihe

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Seitenzahl: 642

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Prolog

Tagebucheintrag

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Tagebucheintrag

8. Kapitel

9. Kapitel

Tagebucheintrag

10. Kapitel

Tagebucheintrag

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Tagebucheintrag

14. Kapitel

15. Kapitel

Tagebucheintrag

16. Kapitel

17. Kapitel

Tagebucheintrag

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Tagebucheintrag

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Tagebucheintrag

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

Grimoire

Dankesworte

Die Autorin

Die Romane von Yvy Kazi bei LYX

Impressum

Yvy Kazi

A Curse Unbroken

Roman

ZU DIESEM BUCH

Gemma Stone ist eine moderne Hexe, die dank ihrer magischen Fähigkeiten die Energie aus Kräutern und Kristallen für Zauber nutzen kann. Obwohl die meisten Menschen nicht an Hexen und wahre Magie glauben, zeigt sie in den sozialen Medien, wie die Kräfte der Natur im Alltag angewandt werden können. Durch ihren Erfolg wird der mysteriöse Darren auf sie aufmerksam, der dringend Gemmas Hilfe braucht. Denn Darren wurde mit einem verbotenen Blutfluch belegt, den bisher niemand brechen konnte. Der Fluch hindert ihn daran, Informationen über eine drohende Gefahr zu veröffentlichen, die von den einflussreichsten Personen New Yorks ausgeht. Gemma will ihm unbedingt helfen, die Bedrohung abzuwenden – nicht nur weil es das Richtige ist, sondern auch weil sie sich wie magisch von dem attraktiven Hexer angezogen fühlt. Und je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto tiefer wird ihre Verbindung. Aber Darren hat Gemma nicht die ganze Wahrheit über sich gesagt, und während sie versucht, den Fluch zu brechen, stößt sie auf Darrens dunkle Geheimnisse – die ihre Welt in Flammen aufgehen lassen könnten …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält Elemente, die potenziell triggern können. Diese sind:

Mord, Schilderungen von schweren Erkrankungen und Tod von Familienmitgliedern.

Außerdem möchten wir darauf hinweisen, dass dieses Buch folgendes Thema erwähnt:

Pandemie (in der Vergangenheit liegend).

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Yvy und euer LYX-Verlag

Für Ursula Anna In Gedenken an die Ordner voller Geschichten, die ich nie beendet habe.

Wir alle sind Perfektion.D. H.

PLAYLIST

L. I. F. E. – Remady, Manu–L

Fuck it I love you – Lana Del Rey

Yeah! – Oscar Lang

Break My Broken Heart – Winona Oak

Cornflower Blue – Flower Face

On Repeat (feat. Cigarettes after Sex) – Goody Grace, Cigarettes After Sex, Lexi Jade

Pretty Boy – Lennon Stella

Back to You – Flower Face

I Love You – The Post Nobles

Another Life – Flower Face

Ways to Go – Zeph

The same – mehro

Season Of The Witch – Lana DelRey

Devil I Know – Allie X

Legends Never Die – League of Legends, Against The Current

I Love You – Acoustic – Woodkid

Rather Be – Acoustic Version – Matt Johnson

Make me feel so … – (feat. Dadi Feyr)

Become the Beast – Karliene

Could you love me while I hate myself – Zeph

PROLOG

Irgendwo in New York

»Nur zu, essen Sie. Sie müssen ja halb verhungert sein.« Die junge Frau mir gegenüber deutet lächelnd auf den Teller, der vor mir steht. Der Duft von Brathähnchen und Pommes steigt mir in die Nase, lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Wenn ich weniger verzweifelt wäre, würde ich sie vielleicht fragen, warum das Innere dieser komischen Einrichtung wie eine Mischung aus Gefängnis und Labor aussieht. Überall weiße Wände, geschlossene Türen und Metalloberflächen. Auch in der Mitte der weißen Tischplatte glänzt ein silbernes Symbol. Ist das ein Pentagramm? Mit diesen Dingen kenne ich mich nicht aus, aber es sieht irgendwie … spirituell aus.

Scheiße. Wen kümmert es? Mein Magen knurrt wie ein hungriger Wolf.

Gierig greife ich nach dem Fleisch. Jackpot! Die Mahlzeit ist noch heiß. Nach fünf Jahren auf den Straßen New Yorks ist eine warme Mahlzeit wie ein Stück Himmel auf Erden. Es ist schon eine Weile her, dass jemand gut zu mir war und sich um mich gesorgt hat. Die meisten Menschen eilen mit ausdrucksloser Miene an mir vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. Und wenn sie mich doch ansehen, dann, als wäre ich der letzte Abschaum. Nicht besser als das, was die Ratten in den Straßen zurücklassen.

Ich versenke meine Zähne in dem Fleisch. Verdammt, ist das gut.

»Meinen Sie, ich kann mich hier vielleicht irgendwo waschen?«, frage ich mit vollem Mund und vermeide jeden Blick in Richtung der verspiegelten Raumwand. Beim Eintreten habe ich den Fehler gemacht, mich anzusehen, und habe mich selbst nicht wiedererkannt. Mein Spiegelbild bestand nur aus verfilzten Haaren, riesigen Augen und einer Dreckkruste. Auf dem Papier bin ich vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, doch dank der verdammten Kälte New Yorks würde mich wahrscheinlich nicht einmal meine eigene Mom erkennen, wenn ich vor ihr stünde. Vom Wetter gegerbt, abgemagert, krank. Aber egal, wen interessiert’s?

Nur am Rande nehme ich zur Kenntnis, dass die Frau mir nicht geantwortet hat. Sie legt etwas auf den Tisch. Ist das ein schwarzer Stein?

Mit klarer Stimme spricht sie Worte, die in meinen Ohren keinen Sinn ergeben.

»Magic of damnation and death, we offer you his life and his last breath.«

»Was?«, frage ich verwirrt und kaue weiter. Doch das Huhn schmeckt mit einem Mal wie Sand, und meine Hände beginnen zu zittern. Eine eiskalte Klaue scheint sich um mein Herz zu legen, drückt es langsam zusammen, während aller Atem meinen Lungen entweicht. Purpurne Punkte tanzen vor meinem Sichtfeld. Ich brauche Luft!

»Hilfe.« Meine Worte sind kaum mehr als ein Röcheln. Aber wir sind allein. Wenn sich jemand jenseits der Spiegelwand aufhält, reagiert er nicht.

Sieht denn niemand, dass hier irgendetwas nicht stimmt? Meine Hände klammern sich an den Tisch, wie meine Seele an ihren Körper. Vergeblich.

Ich werde ersticken.

Das Letzte, was ich höre, ist die Stimme dieser Frau, während sie sich in Richtung der Spiegelwand wendet. »Er ist schwach. Es lohnt sich kaum.«

Mir wird schwarz vor Augen, bevor das Gewicht der Welt schließlich von mir abfällt.

So fühlt es sich also an – das Sterben.

Glücklicherweise zieht mein klägliches Leben nicht an mir vorbei – wenigstens diese Demütigung erspart man mir. Stattdessen sehe ich ihr Gesicht. Nicht das der Frau mir gegenüber, sondern einer Fremden, der ich nur ein Mal begegnet bin. Ich erinnere mich bis heute an ihre gütigen Augen, ihr mitfühlendes Lächeln, höre ihre glasklare Stimme durch die Dunkelheit, die mich jetzt umfängt.

»Brauchst du sonst noch etwas?«

Sie war der einzige Funken Wärme in den eiskalten Straßen New Yorks. Warum habe ich sie eigentlich nicht nach ihrem Namen gefragt?

TAGEBUCHEINTRAG

Gemma Stone. – Ich weiß nicht, ob ihr bewusst ist, dass ich ihr schon seit Monaten folge. (Rein virtuell versteht sich.)

Irgendwie verbringe ich momentan zu viel Zeit damit, über sie nachzudenken.

Sie hat irgendetwas an sich, das mich reizt. Ich kann nicht einmal sagen, ob im positiven oder negativen Sinne. Da ist zum Beispiel die Art, wie sie die Wimpern niederschlägt, wenn sie lächelt. Oder dieser Tick, bei dem sie den Kopf zur Seite neigt und mit ihren Haaren spielt, während sie über etwas nachdenkt. Gibt es Leute, die so etwas unbewusst tun, oder nutzt sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten, um Menschen in ihren Bann zu ziehen?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten:

1.) Sie manipuliert wissentlich Menschen für Ruhm und Geld.

2.) Sie hat nicht den Hauch einer Ahnung davon, was sie ist.

So oder so: Ich werde herausfinden, welche der beiden Möglichkeiten der Wahrheit entspricht. Denn sie ist die Nächste auf meiner Liste.

D. H.

1. KAPITEL

Samstag, 10.9.

»Entschuldige, aber das ist Unfug«, versichere ich lächelnd in die Handykamera und streiche mir eine roséfarbene Haarsträhne hinter das Ohr. Dies ist nicht mein erstes Interview via Livestream, und ich weiß mittlerweile, was die Leute für gewöhnlich von mir erwarten: Freundlichkeit, Nachsicht und eine engelsgleiche Geduld. »Ich tanze bei Vollmond nicht nackt über Lichtungen. Und das nicht nur, weil es in Williamsburg wenig Wälder gibt.«

»Aber Spitzhut, Zauberstab und schwarze Katzen gehören schon zur Standardausrüstung einer Hexe?«, vermutet Hank und greift nach einer Tasse mit bemerkenswert hässlichem Aufdruck: dem Logo des Lokalsenders W’R’NY. Vermutlich hat niemand Lady Liberty gefragt, ob sie damit einverstanden ist, dass eine Comicversion von ihr in einem Kellnerinnen-Kostüm das Kürzel W’R’NY auf der Handfläche serviert. Die gelb-rote Farbwahl des Logos unterstreicht den aufdringlichen Eindruck, den ich auch von Hank habe. Er schluckt sein Getränk derart geräuschvoll herunter, dass ich kurz versucht bin, die Lautstärke meines Headsets herunterzuregeln.

»Sei mir nicht böse, aber ich glaube, du hast vollkommen falsche Vorstellungen«, korrigiere ich. »Für moderne Hexerei braucht es keinen Dresscode. Ich sitze zum Legen von Tarotkarten auch nicht in einem Sternenzelt auf dem Jahrmarkt. Jeder von uns – egal ob Mensch, Tier oder Pflanze – ist ein Teil dieses Universums. Alles um uns herum besteht aus denselben schwingenden, unsichtbaren Teilchen. Das, was wir Menschen von der Umwelt wahrnehmen können, liegt an der grundlegenden Beschaffenheit unseres auf vier Dimensionen beschränkten Wesens, allerdings sind diese Beschränkungen individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und können …«

»Aha«, unterbricht mich Hank und schlürft aus der Tasse, bevor er sie so energisch auf dem Tisch abstellt, dass ihm die Brille verrutscht. Er richtet sie und seinen Pferdeschwanz mit zwei Handgriffen, die so beiläufig wirken, als würde er das öfter tun. »Das klingt ja alles eher physikalisch als mystisch. Was hat es dann mit den Edelsteinen auf sich, die du ständig in die Kamera hältst?«

»Also, genau genommen, sind Bergkristalle und Rosenquarze keine Edelsteine, sondern Minerale.« Ob das wohl etwas ist, was die Zuschauenden dieses Livestreams interessiert? Meine Mom sagt immer, dass Aufklärung die beste Möglichkeit ist, um Vorurteile abzubauen, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass die Menschen damit eigentlich ganz glücklich sind. Es gibt schließlich gute Gründe dafür, dass die meisten Leute mit Bezug zur arkanen Welt sich eher im Verborgenen halten. Einer davon ist, dass die Menschheit Minderheiten jeder Art gegenüber noch nie besonders aufgeschlossen war. Dass ich jetzt hier vor der Kamera sitzen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, liegt vor allem daran, dass Hexerei heutzutage zumindest in gewissen Kreisen durchaus anerkannt ist. Ziemlich ironisch, wenn man bedenkt, dass es ausgerechnet meine Vorfahrinnen waren, die man in Salem öffentlich hingerichtet hat. Aber Zeiten ändern sich. Und während unsere Welt immer technisierter wird, sehnen sich viele nach Wundern und der Nähe zur Natur. Was soll ich sagen? Solange man nur die harmlosen, hübschen Seiten unserer Künste zeigt, lässt sich damit in den sozialen Medien einige Reichweite generieren. Vielleicht besitzen nicht alle angeblichen Hexenden, die auf WitchTok unterwegs sind, wirkliches Talent für die Hexerei, aber mich stört es nicht. Im Gegenteil: Irgendwie spielt es mir sogar in die Hände. Und das nicht nur, weil sie den momentanen Hype aufrechterhalten, der mir einen lukrativen Nebenjob sichert. Je mehr unfähige Hexende es gibt, umso überzeugter sind die Skeptiker davon, dass wir allesamt harmlose Spinner sind, die lediglich zu viel Salbei geraucht haben. Die Betonung liegt hierbei auf harmlos. Solange das so bleibt und die vorherrschenden politischen und religiösen Institutionen uns nicht als Bedrohung auf dem Schirm haben, droht keine Gefahr.

Aber Fakt ist: Magie existiert, und manche Menschen spüren eine Verbindung zu ihr. Andere wünschen sich, sie würden es. Und wieder andere glauben prinzipiell an nichts, was sie nicht selbst wahrnehmen können. So wie Hank und ein Großteil seiner Zuhörenden. Als ich vorhin versucht habe, den Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie zu erklären, haben sich prompt einige Menschen im Chat lustig gemacht, dann ausgeloggt. In dem Fall liegt es vielleicht auch an der Besonderheit der weißen Magie: Wenn man sich nicht wirklich darauf einlässt, funktioniert sie nicht. Böse Zungen behaupten, dass es sich bei den Zaubern höchstens um einen Placeboeffekt handeln kann, aber tatsächlich ist weiße Magie einfach zurückhaltend. Sie will sich niemandem aufdrängen, der sie nicht willkommen heißt. Das ist der grundlegende Unterschied zur schwarzen Magie: Damit kannst du Menschen verfluchen. Sie schadet und schert sich nicht darum, was sie anrichtet oder ob sie erwünscht ist. Logisch: Wer lässt sich schon freiwillig verfluchen? Aber manche Menschen sind nicht offen für Dinge, die sie nicht selbst wahrnehmen können. Da bin ich im wahrsten Sinne des Wortes machtlos.

»Stein bleibt Stein«, bestätigt Hank meine Gedanken so entschieden, dass ich fast wünschte, mich mit einem solchen zu unterhalten. Vielleicht täusche ich mich, aber ich habe den Eindruck, dass das Gespräch in etwa genauso produktiv wäre.

»Was Steine angeht: Ja und Nein. Es gibt Unterschiede zwischen einem simplen Stein und einem Kristall. Um einen Kristall herzustellen, und die Atome in solch einer perfekten Form anzuordnen, braucht es viel Energie. Enorm viel sogar. Wenn wir – rein physikalisch – davon ausgehen, dass Energien niemals verloren gehen, sondern nur ihre Erscheinungsform ändern, lautet die logische Schlussfolgerung: Die seit der Entstehung der Erde in ihr verborgenen Kristalle sind hochenergetisch. Sie haben quasi die in sie gefahrene Energie absorbiert und gespeichert und warten nur darauf, von uns geborgen und genutzt zu werden. Sehr vereinfacht ausgedrückt natürlich.«

»Natürlich«, äfft Hank mich nach. »Jetzt wird es also doch noch esoterisch. Oder wie soll ich mir das vorstellen? Die Energie eines Steins nutzen? Kann ich damit mein Handy aufladen?« Er hält sein Smartphone in die Kamera, als wollte er unterstreichen, wie lächerlich er die Idee findet. Dabei ignoriert er vollkommen, dass auch in Laptops und Smartphones Kristalle verbaut werden.

»Das wird so eher nicht funktionieren, weil Kristalle und Handys nicht auf einer Wellenlänge liegen«, erkläre ich und ignoriere Hanks süffisantes Grinsen. »Ich sehe, dass es dir zu abstrakt wird. Also sind wir ehrlich: Wenn du an die unterstützende Wirkung von Rosenquarzen glaubst, kannst du damit keinen Schaden anrichten. – Wenn du den Quarz nicht gerade dazu nutzt, um ihm jemanden an den Kopf zu werfen, versteht sich. Wenn du mir nicht glaubst, schadest du damit höchstens dir selbst. Das ist der Vorteil meiner Philosophie: Du kannst mich fragen, wie man Mondwasser herstellt und wofür man es benutzt – oder du lässt es bleiben und alles ist gut.«

»Für eine neunzehnjährige Schauspielstudentin, die in den sozialen Medien als ein …«, er wirft einen Blick auf seine Unterlagen und setzt die nächsten Worte in Gänsefüßchen, ›esoterisches Phänomen der Neuzeit‹ gefeiert wird, klingst du recht abgeklärt.«

Esoterisches Phänomen, hallen seine Worte in meinem Kopf nach. Wie das klingt. Allein die Formulierung lässt sich mir alle Nackenhaare aufstellen. Meine Hexerei ist nicht düster und elitär, sondern bodenständig, intuitiv und für jeden geeignet. Zumindest für jeden, der sich darauf einlässt. Hank gehört offensichtlich nicht dazu.

»Nur, um das noch mal klarzustellen: Die Schauspielerei und die Hexerei haben nichts miteinander zu tun. Die Schauspielkurse helfen mir vielleicht bei meinen Videos, aber ich bin keine Schwindlerin, falls du das andeuten möchtest. Ich stelle hier nichts dar, was ich nicht bin.«

»Und was bist du?«

»Eine von vielen Repräsentantinnen für Achtsamkeit, Selbstliebe und ganzheitliche …«, beginne ich und werde erneut unterbrochen, da ich Hank offensichtlich nicht die Antworten liefere, die er sich von diesem Interview erhofft hat. Mittlerweile habe ich ohnehin den Eindruck, dass ich nur eingeladen wurde, damit die Zuhörenden etwas zum Lachen haben. Es kostet mich einige Selbstbeherrschung, nicht zu seufzen. Warum habe ich dem Livestream überhaupt zugestimmt? Habe ich an einem Samstagabend wirklich nichts Besseres zu tun, als das hier? Ich bekomme nicht einmal Geld dafür, mich Hanks Spott auszusetzen. Dass sich irgendjemand von diesem Gespräch inspiriert fühlt, wage ich auch zu bezweifeln.

»Apropos andere Netzphänomene: Kennst du den DarkDuke?« Hanks Blick ist auf irgendetwas gerichtet, das sich außerhalb des Bildschirmausschnitts befindet, den ich einsehen kann. Vermutlich ein zweiter Monitor.

DarkDuke. Schon der Name sorgt bei mir für ein erneutes Seufzen, das ich mühsam unterdrücke. Ganz sicher gibt es in den sozialen Medien keinen, der noch nie etwas von dem Kerl gehört hat. Zumindest keiner, der auf WitchTok unterwegs ist. DarkDuke zeigt sich nie selbst vor der Kamera und klingt dank eines Stimmenverzerrers, als hätte er jahrelang nichts anderes getan, als nachts in zwielichtigen Bars Unmengen an Alkohol zu trinken. Wir haben beide in etwa gleich viele Follower, aber aus vollkommen verschiedenen Gründen. Während ich versuche, Menschen zu unterstützen, nutzt er seine Reichweite lieber dafür, sie vorzuführen.

»Ich kenne ihn nicht persönlich«, erwidere ich, »habe aber ein paar seiner Videos gesehen und weiß, dass er Heilkräuter, Minerale und Tarotkarten ebenso glaubwürdig findet wie Berichte über Ufo-Sichtungen, das Monster von Loch Ness oder den Yeti. Und dass er sich gelegentlich einen Spaß daraus macht, übersinnlich begabte Menschen im Internet vorzuführen, damit andere Leute sich daran erfreuen können.«

»Was sagst du dazu?«

»Wozu? Zu dem Yeti oder den Ufos?«, antworte ich ausweichend, weil ich meine Meinung über den DarkDuke lieber für mich behalte. »Dazu würde ich sagen, dass ich es anmaßend fände, davon auszugehen, dass wir die einzigen Lebewesen in diesem und allen anderen Universen sind.«

»Also glaubst du an Aliens?«

»Ich glaube zumindest nicht nicht an außerirdisches Leben.« Wenn ich nicht gleich gespürt hätte, dass dieses Interview mies läuft, hätte ich es wohl spätestens jetzt bemerkt. Da ich Hank nicht die Antworten gebe, die er für seinen Sender will, versucht er auf anderem Wege, mich aus der Reserve zu locken. Er ist nicht der Erste, der meine Ansichten ins Lächerliche ziehen möchte. Es gibt Menschen, die dankbar dafür sind, neue Impulse für ihr Leben zu bekommen und Menschen, die meine Ansichten vollkommen albern finden. Solange man mich nicht persönlich angreift, kann ich mit der Kritik umgehen. Wer Probleme mit Gegenwind hat, übt die Hexerei für sich allein im Wohnzimmer aus, statt seine Erfahrungen im Netz über WitchTok oder Instagram zu teilen. Im Gegensatz zum DarkDuke trage ich dabei keine Verkleidung, sondern halte mein ungeschminktes Gesicht in die Kamera. Ich mache es freiwillig, da ich weiß, dass es vielen Menschen die Kraft gibt, ebenfalls zu sich selbst zu stehen. Und das nicht nur in Bezug auf die Hexerei, sondern allen Bereichen des Lebens. So sitze ich also hier und übe mich in Selbstbeherrschung, die mir leider manchmal fehlt.

»Ich sehe gerade, wir haben eine Anfrage im Chat.« Hank hebt eine Augenbraue. »Von einem gewissen DarkDuke. Er schreibt: Überzeug mich davon, dass du keine Hochstaplerin bist. Leg mir die Karten. Nächsten Samstag. Live. In deinem Kanal. Wenn du dich traust.«

Irritiert blinzele ich zweimal. Ich kann die Mitteilung ebenfalls auf meinem Monitor lesen, bin mir aber nicht sicher, ob sie tatsächlich von dem richtigen DarkDuke stammt – oder sich jemand seinen Usernamen geliehen hat, um sich einen Scherz zu erlauben. Zumindest hat er bisher nie Interesse an meinem Kanal gezeigt, wir lebten in friedlicher Koexistenz nebeneinanderher. Wobei friedliche Koexistenz in dem Fall bedeutet, dass wir den jeweils anderen ignoriert haben. Aber wenn er das ändern möchte, bin ich bereit – auch wenn ich das Timing etwas seltsam finde. Er hätte sich jederzeit bei mir melden können und macht es gerade jetzt? Warum so öffentlich? Ob ihn der Radiosender auf mich angesetzt hat, um diesem Stream zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen? Das wäre zwar möglich, aber es ändert nichts an meiner Antwort.

»Ich lege dir die Karten, wenn du die dafür üblichen fünfundsiebzig Dollar überweist«, sage ich direkt in die Kamera und schenke ihm ein Lächeln.

Die Antwort erfolgt prompt.

DarkDuke:Ich zahle dir sogar 750 Dollar, wenn du den Livestream nicht abbrichst. Was auch immer passiert.

»Tut mir leid. Die fünfundsiebzig Dollar sind ein Festpreis und nicht verhandelbar«, lehne ich ab, weil ich nicht vorhabe, mich von ihm provozieren zu lassen. Auf welche Art und Weise auch immer. »Aber ich lege die Karten für niemanden, der zu feige ist, seine Kamera einzuschalten.«

DarkDuke:Keine Sorge. Die Kamera wird eingeschaltet sein.

Auch wenn mich das Gefühl beschleicht, dass diese ganze Aktion irgendein Trick ist, um mich vorzuführen, willige ich ein.

»Dann haben wir wohl ein Date.«

DarkDuke: Du wirst dir noch wünschen, es wäre eines, Gemma.

Wie meint er das? Es ist eine harmlose Online-Tarot-Session. Was sollte währenddessen passieren, dass ich meine Einwilligung bereue?

Selbst wenn ich mich unwohl fühle, zwinge ich mich weiterhin dazu, in die Kamera zu lächeln. Ich habe im Chat gesehen, dass uns einige meiner Fans zusehen und möchte nicht, dass sie mir anmerken, dass auch ich manchmal zweifle. Vielleicht ist das die Schattenseite hinter meiner Internetpräsenz: Ich plädiere so oft für Selbstliebe und dass meine Followerinnen ihre vermeintlich schwachen Momente annehmen und ausleben sollen. Und dann? Ertappe ich mich dabei, dass ich für sie stark sein will, um sie nicht zu enttäuschen. Dass ich für sie eine Art Safe Space kreiere, an dem das Motto Good vibes only herrscht. Auch in Augenblicken, in denen ich mich frage, worauf ich mich gerade eingelassen habe. Ich kenne den Begriff toxische Positivität. Natürlich ist es nicht okay, meine Schauspielkurse dafür zu nutzen, meinen Followerinnen vorzuspielen, dass nichts und niemand mich erschüttern kann. Aber ich habe noch nicht die richtige Mischung aus positiver Bestärkung und Authentizität gefunden, um mich geschickt unliebsamen Momenten wie diesem hier zu entziehen. Also bleibt mir nur eins: Augen zu und durch. Oder in dem Fall: lächeln und nicken.

Nach dem Livestream fahre ich meinen Rechner herunter, schalte mein Handy auf stumm und atme tief durch. Geschafft. Irgendwie war das überraschend unangenehm. Mein Blick zuckt zu dem rosafarbenen Plakat an meinem Kleiderschrank. WITCHES SUPPORTING OTHER BITCHES steht darauf in Großbuchstaben geschrieben. Das ist mein Motto. Der Grund dafür, dass ich Interviews wie diesem zustimme. Doch für den Rest des Abends werde ich nur noch Dinge machen, die mir guttun. Vielleicht tanze ich bei Vollmond nicht nackt auf Lichtungen, aber ich habe meine eigenen Rituale.

Ich streiche mir mit dem Zeigefinger über den linken Unterarm – über die Stelle, unter der mein Puls schlägt und wohin ich mir die Worte radical delicacy habe tätowieren lassen. Radikale Zartheit ist das Lebensmotto meiner Mom und ihrer Partnerin Laura. Es bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass man versuchen soll, sanft zu sich selbst und den Menschen in der Umgebung zu sein, weil das Leben schon hart genug ist, auch wenn wir es uns nicht gegenseitig zur Hölle machen. Kurz bin ich versucht, meine Moms anzurufen, aber ich habe das Gefühl, dass es mir danach nicht besser gehen wird, weil mich ihre Stimmen daran erinnern, wie sehr sie mir manchmal fehlen. Sie und mein Leben in Michigan. Das Haus mit der immer offenen Tür. Der Blick auf den See. Die Ruhe in der Nacht und das Schlafen bei geöffnetem Fenster. Ich mag New York, aber der permanente Geräuschpegel in einer Weltmetropole wie dieser ist für mich auch nach einem Jahr immer noch gewöhnungsbedürftig.

Glücklicherweise haben meine Moms Verständnis dafür, dass sich unser einziger Kontakt manchmal auf kommentarlose Schnappschüsse von meinem Tag beschränkt. Sie machen mir deswegen nie Vorwürfe und unterstützen mich bei all meinen verrückten Ideen – ganz egal, ob es dabei um die Gründung eines Onlineshops für Kunstdrucke oder das Schauspielstudium in New York geht.

Seufzend erhebe ich mich vom Stuhl und verdränge den Gedanken an mein altes Leben. Ich bin freiwillig hierhergezogen, weil es eine riesige Chance ist. Und dafür, dass ich früher nie besonders viel Kontakt zu Dad oder meinem Bruder hatte, läuft es mit unserem Zusammenleben echt gut. Die beiden sind cool, nur eben nicht Mom oder Laura. Dads Wohnung im Loftstil ist kein ehemaliges Kinderheim am See. Und statt ständig wechselnde Besucher zu empfangen, ist er aufgrund seines Berufes als Reportagefotograf selbst andauernd auf Reisen. Mein neues Leben ist anders, aber anders muss ja nicht verkehrt sein.

2. KAPITEL

»Mau.«

Erschrocken fahre ich herum und blinzele die große, schwarze Katze an, die soeben auf die Balustrade der Dachterrasse gesprungen ist. Kopfschüttelnd umfasse ich ihren Brustkorb und setze sie auf dem Gartenstuhl neben mir ab. Selbst mit der Geschicklichkeit einer Katze sollte man so hoch oben nicht auf Umrandungen herumlaufen, wenn man nicht wirklich über sieben Leben verfügt.

»Musst du dich immer so anschleichen?«, frage ich – rein rhetorisch, da ich weiß, dass Taro mir nicht antworten kann. Nicht heute Nacht. Denn in Vollmondnächten ist mein Bruder ganz dem tierischen Teil seiner Natur als Wertier unterworfen. In fast allen anderen Nächten hingegen kann er seine Erscheinung frei wählen. Mit einer Ausnahme: Der Neumond unterbindet seine besondere Magie und macht ihn für vierundzwanzig Stunden menschlich.

Während ich also auf der Terrasse stehe und mit Wasser gefüllte Phiolen im Mondlicht wende, beobachtet mich Taro mit zur Seite geneigtem Kopf und zuckt ab und an mit einem Ohr. Es gab schon Momente, da habe ich ihn um seine gestaltwandlerischen Fähigkeiten beneidet, aber Vollmondnächte und der darauf folgende Tag gehören nicht dazu. Selbst wenn manche Menschen von übernatürlichen Dingen fasziniert sind, passen Wertiere selten in ihr Weltbild. – Und so hält mein Bruder diesen Teil seines Ichs geheim. Er achtet immer sehr penibel darauf, dass bloß kein Katzenhaar in unserer Wohnung oder an der Kleidung zu finden ist. Nichts, was auch nur die harmloseste Rückfrage provozieren könnte. Normale Menschen fänden es vermutlich nicht abwegig, mal ein Katzenhaar irgendwo zu haben, aber Taro ist eben Taro. Und wenn er es so wünscht, bewahre ich sein Geheimnis.

Vielleicht habe ich auch nur so gut reden, weil ich mit dem Ausleben meiner Begabung momentan kaum Konsequenzen zu befürchten habe, außer vom Rest der Welt als verschroben abgetan zu werden. Ein Wertier hingegen könnte in der Tat einige Wissenschaftler auf den Plan rufen, die sich Taros DNA gerne mal im Labor ansehen würden. Und selbst wenn es heutzutage weitaus bessere Untersuchungsmethoden gibt, als jemanden in feine Scheibchen zu schneiden, um ihn zu mikroskopieren, kann ich verstehen, dass er ein halbwegs normales Leben vorzieht.

Dad, der recht wenig zu unseren Begabungen beigetragen hat – außer einer sehr interessanten Wahl seiner Sexualpartnerinnen natürlich –, unterstützt uns bei allem, was wir tun. Wenn er gerade mal nicht verreist ist, hilft er Taro beim Putzen der Wohnung und seinen Studienprojekten und mir beim Fotografieren der Sachen für meinen etsy-Shop. Er steht auch dann zu uns, wenn ich Dinge tue, die andere Menschen seltsam finden. Zum Beispiel bei herbstlichen Temperaturen Kristalle, Tarotkarten und Phiolen auf der Dachterrasse auslegen und Taro hinter dem Ohr kraulen, während er dem Mond ein leises Lied singt. Von wegen Katzenmusik – seine Melodie berührt etwas tief in mir. Etwas, was mich dazu bringt, kurz die Augen zu schließen. Farbige Explosionen in Purpur und Orange glimmen in meinem Inneren auf, während ich Taros Gesang lausche. Synästhesie nennen es die Wissenschaftler, wenn bei einem Sinneseindruck ein zusätzlicher Reiz ausgelöst wird. Es ist eine Spielart der Evolution, die in verschiedenen Varianten und Ausprägungen existiert. Bei mir ist es vor allem Musik, die Farbeindrücke hervorruft. Ebenso wie das Gen, das Taro zur Werkatze macht, wird auch die Synästhesie vererbt – nur eben sehr viel häufiger.

Ich lasse mich für ein paar Sekunden in Taros Welt entführen und kraule weiterhin sein Ohr. Er hat unglaublich weiches und seidiges Fell, aber er duldet Streicheleinheiten nur, wenn er an Vollmond ganz seiner tierischen Natur unterworfen ist. An den übrigen Tagen des Monats, an denen er sein Erscheinungsbild frei wählen kann, verwandelt er sich zurück, bevor meine Hand auch nur in seine Nähe kommt. Es gibt ohnehin nur wenige Menschen, denen er sich in seiner felinen Gestalt je gezeigt hat: unserem Dad, seiner Mom und mir. Mit seinen neunzehn Jahren hatte er laut eigener Aussage noch nie eine feste Freundin, obwohl sich einige junge Studierende der Akademie auf dem Flur nach ihm umdrehen. Eigentlich kein Wunder: Er hat Dads Größe und helle Augen geerbt, dazu den eher athletischen Körperbau seiner Mom und ebenso ihre dichten, dunklen Haare. Selbst meine beste Freundin Hazel, die normalerweise nicht zu Schwärmereien neigt, ist ihm und seiner zurückhaltenden Art verfallen. Auch wenn ich schwören könnte, dass in seinem Blick jedes Mal ein Funke aufglimmt, sobald er sie ansieht, weist er all ihre Annäherungsversuche ab. Dementsprechend geschmeichelt sollte ich mich wohl fühlen, dass er mich hier freiwillig besuchen kommt, obwohl im Lexikon unter dem Eintrag Einzelgänger bestimmt sein Name steht: Taro Takahashi.

»Du hast mir noch immer nicht verraten, wie sich die Verwandlung für dich anfühlt«, murmle ich und wende mich wieder den im Sternenlicht schimmernden Phiolen zu, um sie sacht zu drehen.

Dies ist eines meiner Rituale: Meinen Vorrat an Mondwasser aufstocken, weil sich das durch die Energie des Mondes belebte Wasser nun einmal nur an Voll- oder Neumond herstellen lässt. Das wäre eigentlich auch eine schöne Anekdote für den Livestream gewesen. »Hey, Hank. Wusstest du, dass Vollmondwasser kräftigend und Neumondwasser reinigend wirkt?« Dann hätte er gleich noch mehr gehabt, über das er sich in seiner Engstirnigkeit lustig machen kann. Seufzend verdränge ich den Gedanken und beobachte Taro dabei, wie er mit der Pfote einen schimmernden Mondstein vom Tablett angelt. Manchmal leistet er mir hier oben Gesellschaft, manchmal sitzt er auf der Fensterbank seines Zimmers und starrt hinaus, in anderen Nächten ist er regelrecht unauffindbar. Ich weiß nicht, was ihn umtreibt, denn er redet nie über seine tierische Natur. Zumindest nicht mit mir.

Als ich mitten in der Nacht mit dem Körbchen voll schillernder Phiolen und aufgeladener Kristalle zurück hineingehe, da sie ausreichend Energie getankt haben und mir langsam kalt wird, fällt mein Blick auf Dads Piano. Manchmal, wenn er mal wieder wochenlang am anderen Ende der Welt unterwegs ist, kommt mir diese Wohnung viel zu groß vor. Die roten Backsteinwände mit den gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien, das senfgelbe Ledersofa, die Coffee Table Books auf dem Glastisch … Alles hier schreit förmlich nach Dad, aber es ist nur Stille, die antwortet.

Um das Gefühl der Einsamkeit zu unterdrücken, stelle ich das Tablett mit den leise aneinanderklirrenden Phiolen auf dem Tresen der offenen Küche ab und setze Taro und mir einen Topf mit Hafermilch auf.

Ich habe kaum damit angefangen, in der Küche herumzuhantieren, da springt Taro neben mir auf die Arbeitsplatte und betrachtet die schillernden Phiolen. Er stupst mit seiner Pfote immer wieder eines der Glasfläschchen an, weil der sich darin spiegelnde Mond Lichtreflexe ins Wasser zaubert, die ihn faszinieren. Irgendwie ist sein Verhalten süß, vor allem deswegen, weil es eigentlich so gar nicht zu meinem vorbildlich erwachsenen Bruder passt.

Wenige Minuten später sitzen wir nebeneinander auf der Theke in der vom Mondschein erhellten Küche. In den Händen halte ich meinen warmen Becher und baumele mit den Füßen, während Taro seine Milch aus einem Schälchen schleckt.

Auch wenn ich mir an Vollmond manchmal einsam vorkomme, weil ich niemanden zum Reden habe und ich meine Rituale allein abhalten muss, statt sie mit meinen Moms zu zelebrieren, fühlt es sich in diesem Moment absolut richtig an, hier zu sein. Nicht nur, weil die beiden so keine Chance dazu haben, jeden meiner Handgriffe mit Argusaugen zu bewachen, sondern weil ich es spüre. Da ist diese Stimme, tief in mir, die mir sagt, dass ich genau hierher gehöre. Nach New York. Und wenn man seiner eigenen Intuition nicht vertrauen kann, wem denn dann?

3. KAPITEL

Montag, 12.9.

»Bis später, Taro!«, rufe ich gewohnheitsgemäß durch den Flur, schnappe mir meinen Wollschal von der Garderobe und lasse die metallene Eingangstür unserer Wohnung hinter mir ins Schloss fallen.

Da keine Antwort kam, ist mein Bruder bestimmt schon früh zur Akademie aufgebrochen. Den gesamten gestrigen Tag war er noch bis Mitternacht an seine tierische Gestalt gebunden. Meistens kann er es am nächsten Morgen kaum erwarten, das Haus wieder zu verlassen. Diesen unbändigen Drang nach Freiheit hat er bestimmt von seiner Mom. Ich weiß nicht viel über sie, aber dass sie eine Weltenbürgerin ist, steht außer Frage. Als sie bemerkt hat, dass sie mit Taro schwanger ist, hat sie Japan verlassen und versucht, in New York sesshaft zu werden. Doch am Ende war ihre Sehnsucht nach der Welt größer und sie hat Taro bei Dad gelassen, der allerdings genauso gern reist wie sie. Dieses Gen ist definitiv an mir vorübergegangen. Ich bevorzuge das Verweilen an einem Ort – und möglichst spätes Aufstehen. Also gehe ich heute allein zur Allbright Academy Of Modern Arts. Der Künstlerakademie, die Taro und ich gemeinsam besuchen, wenn auch in unterschiedlichen Studiengängen. Taro lernt wie unser Dad Reportagefotografie. Da auch seine Mom Journalistin ist, liegt ihm das Beobachten und Dokumentieren irgendwie im Blut. Zumindest sind seine studentischen Leistungen herausragend, und ich wünschte, ich könnte dasselbe über meine behaupten.

Mir den Schal um den Hals wickelnd nehme ich die Treppe nach unten und werde an der Haustür vom typischen Geruch unserer Straße begrüßt: Smog und geröstete Kaffeebohnen. Es gibt durchaus Schlimmeres, als direkt neben einem Café zu wohnen.

Dass Dads Wohnung in Brooklyn, genauer gesagt dem wunderschönen Williamsburg, liegt, ist kein Zufall, sondern seinem Pragmatismus zu verdanken. Vor einigen Jahren hat er die Wohnung von den Preisgeldern gekauft, die er als prämierter Reportagefotograf erhalten hat. Heutzutage wäre sie mindestens viermal so teuer und absolut unerschwinglich für uns, obwohl Dad nicht schlecht verdient.

Wie viele New Yorker gehe ich gern kurze Wege zu Fuß und die Akademieist von hier aus nur einen Katzensprung #nopunintended entfernt.

Das ist tatsächlich eine der Sachen, die ich an New York liebe: Man braucht nicht für jede Strecke ein Auto. Ja, der Umzug aus einer eher ländlichen Gegend in Michigan direkt in die pulsierende Weltmetropole war ein kleiner Kulturschock, aber im Großen und Ganzen liebe ich das Stadtleben und vor allem unser Viertel. Hier reihen sich schicke Boutiquen, trendige Cafés und lebhafte Restaurants aneinander. Straßenkunst verleiht den Wohngebäuden und umfunktionierten Fabriken neuen Glanz, während der Uferbereich am East River einen atemberaubenden Blick auf Manhattan bietet. Williamsburg ist, auch dank der Gründung der Academy und dem Zuzug Kunstschaffender aller Art, zu einer der coolsten Wohngegenden New Yorks geworden. Zugegeben: Nicht alle Alteingesessenen sind darüber erfreut. Ultraorthodoxe Juden und Hipster sind in ihren Ansichten selten kompatibel, aber wir leben friedlich nebeneinanderher. – Ja, auch mit den Investmentbankern in teuren Maßanzügen, die mittlerweile ihren Weg aus Manhattan hier rüber gefunden haben.

Das Café neben der ehemaligen Fabrik, in der wir wohnen, heißt Beans&Herbs. Ich beschließe, einen kleinen Abstecher zu machen, und mein herbstliches Outfit mit einer Pumpkin Spice Latte abzurunden. Wie der Name erraten lässt, stehen auf der Getränketafel über dem Tresen des Cafés überwiegend Kaffee- und Teespezialitäten. Der Einrichtungsstil ist eine Mischung aus dem industriellen Flair dieses ehemaligen Fabrikviertels, warmen Holztönen und Grünpflanzen, die jeden freien Zentimeter ausfüllen. Selbst von den Wandregalen und der Decke hinab wachsen Ranken, die dem Wort Großstadtdschungel eine ganz neue Bedeutung verleihen. Die Geruchsmischung der verschiedenen Teesorten, durchzogen vom Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen und täglich wechselnder Backwaren, ist beim Betreten jedes Mal wieder ein wenig gewöhnungsbedürftig, mir aber mittlerweile so vertraut, als würde ich nach Hause kommen.

Um diese Uhrzeit – für die meisten Menschen irgendetwas zwischen Frühstück und Mittag – ist es recht leer. Nur ein junger Mann sitzt am Tresen, liest auf seinem Tablet und nippt an einem Kaffee. Seine Aura ist unauffällig, aber leicht getrübt, was vermutlich bedeutet, dass er wegen irgendetwas mies drauf ist. Blonde Haare (in der Mitte länger als an den Seiten), hellblaues Hemd (mit hochgekrempelten Ärmeln), dunkelblaues Sakko über der Stuhllehne (dazu allerdings keine Anzughose, sondern Jeans) und rote Chucks. Er wirkt auf mich wie ein Typ der Marke BWL-Student, hipper Immobilienmakler oder verarmter Investmentbanker. Jemand, der mit Geld zu tun hat, aber bodenständig wirken möchte, oder den Leitspruch Fake it till you make it verinnerlicht hat.

»Eine Pumpkin Spice Latte mit Hafermilch, bitte«, bestelle ich bei der freundlichen Barista, die laut ihrem Namensschild Beryl heißt. Mir ist schon ein paarmal aufgefallen, dass auch ihre Aura besonders ist, in dem Fall allerdings besonders kräftig. Leider kann ich es nicht wirklich deuten, weil mir meine Synästhesie beim Aurensehen ständig dazwischenfunkt und die Farbeindrücke verfälscht. Eine kräftige Aura könnte bedeuten, dass mein Gegenüber mit mindestens einem Fuß in der arkanen Welt beheimatet ist oder aber einfach nur sehr gute Laune hat. Ihrem strahlenden Lächeln nach ist es vielleicht Letzteres. Sie trägt heute ein Kleid mit Sonnenblumenmuster, das nicht nur perfekt zu ihren leuchtenden Augen passt, sondern sie wie den personifizierten Sommer wirken lässt. Sie ist fast jeden Tag hier und hat stets alles bestens im Griff, obwohl sie manchmal ein wenig entrückt wirkt. Zumindest habe ich sie schon mehrfach Selbstgespräche führen gehört. Leise summend nickt sie mir zu und greift eine Packung Hafermilch aus dem Kühlschrank hinter dem Tresen.

Auf ein Handzeichen hin überreiche ich ihr meinen Mehrwegbecher und höre, wie der Typ neben mir leise schnaubt. Noch während ich mich frage, ob das Timing Zufall war, weil vielleicht gerade in ebendieser Sekunde sein Aktienkurs gefallen ist, schaut er von seinem iPad auf. Er sieht mir in die Augen, so forschend und direkt, als würde er darin etwas suchen, doch bevor er es gefunden hat, wandert sein Blick zu meinem Wollschal weiter.

»Ist alles okay?«, vergewissere ich mich, weil mich irgendetwas an seiner intensiven Musterung irritiert.

»Sicher doch. Das Getränk passt perfekt zu deinem Schal«, antwortet er mit einer tiefen Stimme, die älter klingt als er aussieht. Er neigt leicht den Kopf zur Seite, was einen Ohrring an seinem rechten Ohr aufblitzen lässt. Es ist eine kleine, schlichte Creole. Ein ungewöhnlicher Schmuck für einen jungen Mann im Anzug.

»Danke«, versuche ich meine Verwirrung zu überspielen. »Mein Schal fühlt sich geschmeichelt. Er bekommt selten solche Aufmerksamkeit.«

»Kannst du ihn mal fragen, ob er mit einem plötzlichen Wintereinbruch rechnet?«

»Und wenn es so wäre?«

Schulterzuckend widmet er sich wieder seinem iPad. »Wäre ich vollkommen falsch gekleidet und würde beim Verlassen des Cafés entsetzlich frieren.«

»Darren?«, bittet Beryl. »Sei nett zu ihr. Viele Menschen lieben Pumpkin Spice und frischen Kürbis in ihrem Getränk.«

»Menschen, die beim ersten gelben Blatt am Baum ihre Stiefel und Karoschals auspacken vielleicht«, stimmt er zu und wirft einen vielsagenden Seitenblick auf meinen karierten Minirock.

Ob er das Kleidungsstück auch in ein Gespräch verwickeln will?

Ich sehe ihn herausfordernd an, doch er wendet sich kopfschüttelnd ab.

Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit: karierte Röcke, Stiefel, buntes Laub, Kuschelschals, klare Luft, warme Getränke und goldene Sonne. – Wenn er nicht in der Lage dazu ist, die Schönheit darin zu erkennen, ist es sehr bedauerlich, aber geht mich nichts an. So beschließe ich, ihn zu ignorieren, und warte, bis mein Getränk fertig ist. Ich zahle mit meinem Smartphone, nehme den Becher und wende mich zum Gehen, als der Fremde erneut aufsieht.

Er zögert, bevor er Worte sagt, die mich irritieren. »Pass auf dich auf.«

Verwundert verharre ich in der Bewegung. Meint er mich? Da wir allein sind und er vermutlich nicht ebenfalls zu Selbstgesprächen neigt, ist das wahrscheinlich. Aber warum? Wieso macht er sich erst über mich lustig, nur um mich anschließend zu bitten, auf mich aufzupassen?

»Danke, gleichfalls. Mein Schal und ich werden aufeinander achtgeben«, ist alles, was mir spontan dazu einfällt.

Ich habe das Café schon fast verlassen, da höre ich, wie er noch etwas sagt.

»Auf einer Skala von 1 bis 10 war das maximal eine Zwei«, resümiert er.

Sekunde. Bewertet er ernsthaft unsere Begegnung?

Wie charmant.

Mit einem Lächeln im Gesicht drehe ich mich zu ihm herum. »Eine Zwei? Wie überaus schade, denn die Aussicht auf dieses ausgesprochen unsägliche Herbstgetränk hebt meine Laune dermaßen, dass ich dir sicher mindestens eine Fünf gegeben hätte.«

»Eine Fünf?«, wiederholt er, legt das iPad auf dem Tresen ab und erhebt sich von seinem Hocker. Mit einer Hand in der Hosentasche kommt er zu mir herübergeschlendert. So entspannt, als wäre er sich seiner Wirkung auf Menschen durchaus bewusst. Bis eben habe ich mir nicht die Zeit genommen, ihn eingehend zu betrachten, doch er ist groß, athletisch und so gestylt, als käme er gerade von einem Businessmeeting. Ich bin mir sicher, dass sein beinahe arrogantes Schmunzeln absolut dazu geeignet wäre, Geschäftspartner in die Knie zu zwingen ‒ oder aber Herzen zu brechen. Zumindest meines schlägt bei jedem seiner Schritte schneller. Nicht als hätte es Angst vor ihm, sondern als wollte es sich für einen Schlagabtausch wappnen.

Keine Armlänge entfernt bleibt er vor mir stehen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht ignorieren, dass er bemerkenswert gut riecht. Frisch geduscht, nach teurem Aftershave und mit einem Hauch von … Ist das Salbei?

Er mustert mich. Fast zu aufmerksam für meinen Geschmack. Ich spüre seinen intensiven Blick förmlich auf meiner Haut kribbeln. Er gleitet über mein Outfit, verharrt kurz an den gefärbten Haaren und endet bei meinen Augen. Wow. Seine sind nicht einfach nur dunkelblau, denn unzählige helle Sprenkel lassen seine Iriden wie ein Stück des Nachthimmels wirken. Ein Mundwinkel des Fremden zuckt, als würde es ihn einige Mühe kosten, mein Lächeln nicht zu erwidern. »Vielleicht gebe ich dir und deinem Getränk einen Sonderpunkt für Schlagfertigkeit.«

»Vielleicht ziehe ich dir im Gegenzug einen für akute Unhöflichkeit ab«, erwäge ich und neige den Kopf zur Seite, während ich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr streiche. Es ist nur eine winzige Geste, aber sie entgeht seiner Aufmerksamkeit nicht.

»Also treffen wir uns in der Mitte?«, schlägt er mit lockendem Unterton vor.

Für den Bruchteil einer Sekunde unterliege ich einem geistigen Aussetzer und stelle mir vor, dass er es wortwörtlich gemeint hat. Dass wir den letzten Abstand zwischen uns überwinden und … Und was? Uns küssen? Das wäre ziemlich absurd. Wer küsst schon einen völlig Fremden? Warum verschwende ich überhaupt einen Gedanken daran? Und wieso ist die Vorstellung davon so überaus reizvoll? Nur weil er ganz attraktiv aussieht und gut riecht?

Räuspernd befeuchte ich meine Lippen und verdränge das eigenartige Kopfkino. »Wir einigen uns also auf eine Dreikommafünf?«

»Ein bemerkenswert mutiger Vorschlag von jemandem, der nicht einmal weiß, worum es geht.«

»Dann wolltest du also nicht deine Meinung über mein Aussehen oder mein Outfit kundtun?«, hake ich nach.

Es fühlt sich wie ein kleiner Sieg an, als er den Kampf verliert und mir tatsächlich ein Lächeln schenkt. Die Geste, mit der er nach seinem Ohrring tastet und daran herumspielt, wirkt beinahe verlegen. »Das Aussehen meiner Mitmenschen benoten? Hältst du mich für dermaßen oberflächlich?«

»Was wolltest du denn sonst bewerten?«

»Finde es heraus, Gemma«, schlägt er vor, hebt provozierend eine Augenbraue und wendet sich von mir ab.

Finde es heraus. Er sagt es, als würden wir uns wiedersehen. Als wäre das hier mehr als nur eine ebenso flüchtige wie bedeutungslose Begegnung in einem Coffeeshop. Dabei habe ich ihn noch nie zuvor im Beans&Herbs gesehen, obwohl ich seit einem Jahr fast täglich hier bin.

Ich sollte einfach gehen, stattdessen sehe ich ihm hinterher, als könnte ich die Antwort auf meine Frage von seinem Rücken ablesen.

»Sekunde!«, rufe ich ihm nach, als ich aus meinem Bewunderungsmodus erwache. »Hast du mich gerade Gemma genannt? Folgst du mir etwa auf TikTok?«

»Naheliegende Vermutung«, ist alles, was er dazu sagt.

»Verrätst du mir vielleicht auch deinen Namen?«

Er zögert, bevor er sich doch noch einmal zu mir herumdreht. »Für dich? Einfach nur Darren.« Das Lächeln, das er mir dieses Mal schenkt, ist eindeutig dafür geschaffen, um Herzen zu brechen.

Also beschließe ich, meines in Sicherheit zu bringen, das Café zu verlassen und in meinen zwei Millionen Followern nicht nach einem mit blonden Wuschelhaaren und faszinierend blauen Augen zu suchen. Nur um ihn zu blockieren natürlich. Nicht, weil mich der Gedanke reizt, ihn anzuschreiben, um dieses Gespräch fortzuführen.

Auf dem Weg zur Akademie rede ich mir ein, dass der Tag von nun an nur besser werden kann. Von einem Follower mit einer Zwei bewertet zu werden (auf welcher Skala auch immer), war kein großartiger Start. Zumindest behalte ich meinen Optimismus, bis ich eines der Backsteingebäude betrete, die zur Akademie gehören, und im Flur alles andere als freundlich begrüßt werde.

»Du wirst in der Hölle landen, Stone!«, ruft mir eine Kommilitonin entgegen, die ihrer perfekten Körperhaltung und dem fliederfarbenen Wickeljäckchen nach zu urteilen vermutlich irgendetwas mit Tanz studiert.

»Ich teile in den sozialen Medien Sprüche für mehr Selbstbewusstsein. Wenn ich dafür in der Hölle lande, dass ich anderen Menschen helfen will, sagt das mehr über die Auslegung deiner Religion aus als über mich. Und besonders kreativ war deine Verwünschung auch nicht. Wie wäre es stattdessen mit: Ich wünsche dir, dass die Verfilmung deines Lieblingsbuches eine grauenvolle Besetzung bekommt?«, erwidere ich das Erste, was mir in den Sinn kommt. Die Sprüche, die ich poste, sind nicht einmal Zauber, keine Affirmationen. Sie sind nur Erinnerungen daran, sanft zu sich selbst zu sein. Nein zu sagen, wenn die Antwort auf eine Frage nicht wirklich vielleicht lautet. Dass es okay ist, sich eine Pause zu nehmen, wenn der Akku leer ist. Was soll daran bitte verwerflich sein? Davon abgesehen, glaube ich nicht an eine Hölle, sondern daran, dass wir alle dorthin zurückgehen, woher wir kamen. So wie alles auf der Erde auch wieder zur Erde zurückkehrt und sich unser Universum in den Zyklus aller Universen einreiht, die je existiert haben und noch existieren werden.

Es ist, wie ich Hank sagte: Im Grunde bestehen wir alle aus Sternenstaub. Das ist nicht esoterisch, sondern eine physikalische Tatsache.

»Du bist einfach nur schräg«, antwortet sie kopfschüttelnd und wendet sich ihren Freundinnen zu, die bestätigend kichern.

Okay, zugegeben: Manche dieser Partikelkonstellationen sind fieser als andere. Und solange es Menschen gibt, die nicht müde werden, sich über mich und andere lustig zu machen, werde ich weiterhin in den sozialen Medien aktiv sein, um meinen Followerinnen den Rücken zu stärken. Manchen von ihnen geht es längst nicht so gut wie mir. Sie haben keine Familien, die sie täglich und bedingungslos unterstützen. Ob mich die Worte meiner Kommilitonin verletzen? Ja, klar. Aber nicht so sehr, dass ich einknicke.

Ich schüttle den Kopf, als könnte ich damit den Nachhall des Gekichers wie lästiges Wasser aus meinem Ohr schütteln und gehe durch den Flur bis zum schwarzen Brett hinüber, vor dem sich bereits einige meiner Mitstudierenden versammelt haben. Kurz nach Beginn des Wintersemesters werden die Besetzungslisten für die in diesem Semester anstehenden Projekte ausgehängt. Da an der Allbright oft interdisziplinär gearbeitet wird, ist es üblich, dass sich die Studierenden unterschiedlicher Studiengänge bei ihren Projekten gegenseitig aushelfen. Meist gibt es zu Semesterbeginn kurze Einführungen in all das, was ansteht und man tauscht sich untereinander aus. Die Studiengänge Darstellendes Spiel, Kreatives Schreiben, Dramaturgie, Szenografie und Kostümdesign planen ein gemeinsames Theaterstück, um Spenden für die Akademie zu sammeln. Mediendesigner suchen Darsteller für ihre Kurzfilme, und auch Modedesigner und Fotografen können quasi immer Models für ihre Imagefilme brauchen. Für uns Schauspielerinnen gibt es reichlich zu tun. Also bewirbt man sich für die Projekte, die einen interessieren. Und dann?

Steht man eines Montagmorgens vor den Besetzungslisten, scannt sie nach seinem Namen ab und weiß schon anhand der Art und Weise, wie einem die beste Freundin zur Begrüßung die Arme um den Hals schlingt, dass es für keine der Hauptrollen gereicht hat. Vermutlich nicht einmal für eine Nebenrolle in den wirklich vielversprechenden Projekten.

»Tut mir leid, Gem«, murmelt Hazel und legt ihren Kopf auf meiner Schulter ab.

Ihren Namen muss ich auf den Listen gar nicht lange suchen. Sie hat die Hauptrolle im anstehenden Theaterstück, wurde für eine Modenschau, zwei Fotoshootings und einen Kurzfilm gebucht. Außerdem wird sie an einigen Stellen als Zweitbesetzung angegeben. Dass sie nicht die Hauptbesetzung wurde, liegt vermutlich einzig und allein daran, dass die Dozierenden ein Auge darauf haben, dass niemand übermäßig viele Aufträge bekommt. Schließlich brauchen wir auch noch Zeit, um uns um die eigenen Studieninhalte zu kümmern. Das werde ich in diesem Semester ausreichend erledigen können. Im Theaterstück spiele ich eine so unbedeutende Nebenrolle, dass sie nicht einmal einen Namen hat (alias Dämon Nummer 4) und bei einem Fotoshooting steht ein Sternchen hinter meinem Namen: *wenn sie Kleidergröße 6 oder kleiner trägt. Was ich zwar tue, trotzdem hinterlässt der Zusatz einen schalen Beigeschmack.

Da Taro dieses Semester nur Reportagen fern der Akademie aufnimmt, braucht auch er meine Hilfe nicht. Wer die Aushänge sieht, kann zumindest nicht behaupten, dass ich durch Dads Einfluss Vorteile im Studium hätte. Definitiv nicht. Ich musste dieselbe Aufnahmeprüfung wie alle anderen absolvieren und jetzt mit ihnen um die interessantesten Rollen kämpfen.

Hazel seufzt und lässt die Arme sinken. »Ich weiß, wie gern du beim Imagefilm gegen Mobbing mitgemacht hättest. Die Leute sind einfach schrecklich oberflächlich. Lass dich durch die nicht davon abbringen, deinen eigenen Weg zu gehen. Okay?«, versucht sie mich zu unterstützen. »Du bist eine tolle Schauspielerin.«

Ob sie mit eigenem Weg meinen Kleidungsstil, die roséfarbenen Haare oder meine öffentlich ausgelebte Hexerei meint, lässt sie offen. Wahrscheinlich ist nichts davon hilfreich, auf den Besetzungslisten weiter nach oben zu wandern.

»Ist schon okay«, versichere ich und drücke leicht ihre Hand. »Wer weiß, wozu es gut ist? So habe ich wenigstens Zeit für meine eigenen Sachen.« Für meinen etsy-Shop, Tarot-Sessions – und all die anderen Dinge, die mir wichtig sind, aber nicht unbedingt massenkompatibel. Man sagt an der Akademie zwar, dass Individualität und Kreativität im künstlerischen Bereich großgeschrieben werden, doch dabei geht es eher um das Tragen von Jutebeuteln mit Statement-Aufdruck oder die Fähigkeit, am Lagerfeuer eine Gitarre auszupacken und spontan ein Jack-Johnson-Lied anzustimmen, das alle verzaubert. Sich zu weit abseits der Norm zu bewegen kommt auch hier nicht überall gut an.

»Ich habe übrigens eine Kleinigkeit für dich«, sagt Hazel so unvermittelt, als wollte sie mich aufmuntern. »Meine Mom hat beim Aufräumen etwas gefunden und möchte, dass ich es dir gebe.« Sie sucht kurz in ihrem Rucksack und zieht einen eiförmigen Rosenquarz hervor. »Er ist ganz hübsch. Sie meinte, vielleicht kannst du ihn für deine Kristallsammlung brauchen.«

Alles, was mir über die Lippen kommt, ist ein nicht sehr eloquentes »Äh«, während ich das Ei entgegennehme und vorsichtig auf der Hand wiege. »Das ist … Wo hat deine Mom es her?«, frage ich und betrachte den Quarz, der an seinem oberen Ende ein kleines Loch aufweist.

»In irgendeiner Schublade wiedergefunden. Warum guckst du so irritiert?«

Wie soll ich Hazel das nur erklären? »Dann hoffe ich mal, dass es nicht die Nachttischschublade war«, scherze ich. »Ich glaube, das ist ein Yoni Ei.«

»Ein was?« Hazel sieht mich so verwirrt an, dass ich mich zu einer Ergänzung genötigt fühle.

»Die benutzt man beim Beckenbodentraining, um sich mit seiner Weiblichkeit zu verbinden. Hier oben kann man ein Rückholbändchen anbringen. Falls du verstehst, was ich meine.«

»Oh.« Hazel starrt auf das Ei in meiner Hand. Ihre Wangen laufen so hochrot an, dass ich wünschte, nichts gesagt zu haben. »Ich denke nicht, dass Mom … Sie würde nicht … Und wenn doch, hätte sie es bestimmt gründlich gereinigt.«

»Alles gut. Wenn sie es nicht mehr benötigt, nehme ich es gern.« Da Hazel noch immer unangenehm berührt wirkt, plaudere ich einfach weiter. »Kristalle jeder Art werden oft gebraucht gekauft. Das ist unschlagbar nachhaltig. Und man sagt, dass die Kristalle sich selbst ihre Wege suchen. Wenn dieser also zu mir wollte, werde ich ihm ein gutes Zuhause geben. Obwohl ich mich noch immer frage, warum das Universum mir Beckenbodentraining empfiehlt. Mein Sexleben ist momentan nicht existent, und mit Inkontinenz hatte ich bisher auch keine Probleme.«

Hazel schließt die Augen und legt sich eine Hand vor das Gesicht, als würde das dabei helfen, die Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen. »Können wir vielleicht einfach so tun, als hätte Mom den Rosenquarz gekauft, weil sie ihn hübsch fand und dachte, es wäre ein Kettenanhänger? Bitte? Themawechsel: Begleitest du mich am Freitag auf die Demo?«

»Demo?« Aus meinen Gedanken gerissen lasse ich den Quarz in meine Manteltasche gleiten. Wenn wir uns nicht verspäten wollen, müssen wir ohnehin zu unserem Seminar, also setzen wir uns in Bewegung.

»Hast du es noch nicht mitbekommen?«, fragt Hazel, ohne jeden Vorwurf in der Stimme. »Am Freitag findet eine großangelegte Demo gegen Bürgermeister Caden und die L. I. F. E. Inc. statt.«

»Du meinst diesen neuen Energiekonzern, der gerade die gesamte Stadt mit seinen Werbeplakaten tapeziert? – Für ein besseres Morgen«, zitiere ich den Slogan und mache eine weit ausholende Geste, um die Botschaft zu untermalen. Kleinlaut entschuldige ich mich, als ich dabei fast einer anderen Studierenden den Kaffee aus der Hand schlage.

Hazel hakt sich bei mir unter, damit ich nicht erneut auf die Idee komme, mit dem Arm durch die Luft zu fahren. »Genau der. Caden und die L. I. F. E. Inc. wollen gemeinsam das Gesetz gegen Fracking ändern und in New York wieder Schiefergas fördern. Ist das zu fassen? Angeblich haben sie ein superumweltschonendes Verfahren entwickelt. Wer’s glaubt.« Hazel verdreht ihre grünbraunen Augen und öffnet uns die Tür zum Seminarraum. Die meisten sind bereits anwesend und natürlich gibt es auch hier kein anderes Thema als den Aushang der Besetzungslisten. Als Hazels Name mehrfach fällt, wird es ihr zu viel.

»Leute? Können wir uns bitte um wirklich wichtige Dinge kümmern? Wie zum Beispiel die Demo am Freitag? Die Zukunft der Umwelt geht uns schließlich alle an!«

»Ihr und euer Öko-Kram«, stöhnt Felix, was wohl bedeuten soll, dass er uns nicht begleitet.

Uns – denn ich für meinen Teil habe mich schon entschieden: Ich werde Hazel unterstützen. Nicht nur, weil mir die Umwelt und die Zukunft New Yorks am Herzen liegen, sondern auch, weil ich weiß, wie wichtig ihr diese Sache ist. Vorsichtshalber werde ich uns ein paar Schutzzauber anfertigen. Spontan kommen mir kleine Zaubersäckchen in den Sinn. Manche nennen diese Talismane Grigri. Sie werden zum Beispiel mit einem schützenden Kristall, ein paar unterstützenden Kräutern und einer Spruchrolle zur Manifestation gefüllt und am Körper getragen. Vielleicht habe ich diese Art von Vorsicht von meinen Moms, aber man weiß schließlich nie, was auf Demonstrationen so passiert.

4. KAPITEL

Mittwoch, 14.09.

»Na, was macht ihr Schönes?«, fragt Taro, als er aus seinem Zimmer geschlendert kommt, um sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank zu holen.

Hazel zuckt beim Klang seiner Stimme so unwillkürlich zusammen, dass sie ihr soeben begonnenes Plakat noch einmal neu anfertigen muss, weil der Filzstift in ihrer Hand einen ungewollten Schlenker zeichnet.

Der Esstisch, an dem wir sitzen, ist unter den Papieren, Stiften, Pappen und Holzstäben kaum noch zu erahnen.

»Wir basteln Protestschilder für die Demo am Freitag.« Ich halte mein fertiges Exemplar hoch. Zugegebenermaßen ist der Spruch darauf nicht sehr kreativ. Er lautet einfach nur:

L. I. F. E. – for a better tomorrow.

Hazel war etwas erfindungsreicher. Auf ihrem aktuellen Entwurf steht: What I stand for is what I stand on. – Die Worte werden um ein paar gezeichnete Füße ergänzt, die auf einer Miniaturausgabe unserer Erde stehen. Wenn auch einer Erde, die dank Taros Auftritt eine markante Kurve aufweist.

»Wir gehen am Freitag auf diese Demo gegen die L. I. F. E. Inc. Möchtest du auch mit?«, fragt Hazel beinahe schüchtern, obwohl sie normalerweise alles andere als zurückhaltend ist.

Taro zuckt mit einer Schulter, schlägt die Kühlschranktür zu und gießt sich Melonenlimonade in ein Glas. »Sicher. Warum nicht? Vielleicht ergeben sich ein paar interessante Fotomotive.«

»Cool.« Hazels Stimme rutscht in ungeahnte Höhen, was bei der angehenden Schauspielerin selten der Fall ist. Selbst wenn sie nervös ist, ist sie Meisterin darin, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Sie räuspert sich leise, als wären ihr die Worte unserer Dozierenden in den Sinn gekommen: Sprechen Sie langsam und mit tiefer Stimme, das suggeriert Macht. Niemand nimmt Sie ernst, wenn Sie in diesem piepsigen Tonfall reden. »Ich meine, das wäre großartig. Diese Demo ist immerhin wichtig und deine Fotos sind …« Sie verstummt, als Taro neben sie tritt, das Chaos auf dem Tisch mustert und sie schließlich anlächelt. »Heiß«, platzt sie heraus.

»Meine Fotos sind heiß?«, fragt er amüsiert und nippt an seiner Limo, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Habe ich das gerade laut gesagt?« Prompt bilden sich rote Stressflecken an ihrem Hals.

»Aber du hast ja recht. Meine letzte Fotoreportage war über Restaurants in Williamsburg, in den Küchen ging es wirklich heiß her«, bestätigt Taro noch immer lächelnd und mustert Hazel. »Oder meinst du die über Feuerwehrmänner im Einsatz? Die war auch sehr schweißtreibend.« Als wäre der zunehmende Rötegrad von Hazels Haut noch nicht bedenklich genug, lehnt Taro sich gegen den Tisch und winkelt ein Bein an, sodass es wie zufällig Hazels Oberschenkel berührt. »Aber nichts von all dem war wohl so eruptiv wie Dads Reportage über Vulkanausbrüche.«

Für einen Moment wirkt es, als wollte Hazel am liebsten auf die Toilette flüchten, doch sie besinnt sich eines Besseren. »Du weißt genau, wie ich das meinte«, gesteht sie kleinlaut und bringt Taro zum Lachen, aber er hat sich sofort wieder gefasst.

»Ja, und es ist süß von dir, nur weißt du genau, dass du für mich wie eine kleine Schwester bist.«

»Autsch«, murmle ich mit Blick auf mein Plakat, lege es beiseite und nehme mir ein neues Blatt.

»Aber in meiner Rolle als großer Bruder werde ich euch Freitag gern begleiten«, sagt er erneut. »Und falls ihr nachher Hilfe beim Nageln braucht, gebt Bescheid. Ihr wisst ja, wo mein Zimmer ist.« Er stößt sich vom Tisch ab und verabschiedet sich so lautlos, wie er erschienen ist. Ein Hoch auf seine Katzengene.

»Ich hasse es, wenn er das tut«, murrt Hazel.

»Sich anzuschleichen? Oder dich kleine Schwester zu nennen? Das würde jede nerven«, bestätige ich. »Es nervt sogar mich. Ich meine, ich bin nur drei Monate jünger als er. Als ob ihm diese drei Monate einen ungeahnten Vorsprung an Lebenserfahrungen bieten würden.«

An der Stelle werfen mir die meisten Menschen einen irritierten Blick zu, doch es stimmt: Dad hat bei seinen Reisen um die Welt zwar nicht die Frau fürs Leben gefunden, es aber dennoch geschafft, in kurzem Abstand Kinder mit zwei Hexen zu zeugen, die nicht einmal auf demselben Kontinent beheimatet sind. Da Hazel die Geschichte schon kennt, überhört sie den Teil geflissentlich.

»Warum tut er das?«, fragt sie seufzend. »Mich abzuweisen, nur um dann in der nächsten Sekunde wieder eine Anspielung fallen zu lassen. Ich meine, er dürfte mich jederzeit nageln, wenn er es so gut tut, wie er küsst.«

Naserümpfend zeichne ich die Silhouette eines Bären auf mein Papier. Ich weiß, dass Hazel und Taro sich vor ein paar Wochen einmal geküsst haben. Obwohl sie mir beide unabhängig voneinander davon erzählt haben, kann ich immer noch nicht nachvollziehen, wie es dazu kam. Hazel hat bei mir übernachtet, wollte nachts auf die Toilette, ist dabei zufällig Taro über den Weg gelaufen – und dann haben sie sich geküsst. Einfach so, obwohl normalerweise keiner von beiden zu impulsivem Verhalten neigt. Dass der Kuss alles andere als harmlos war und beinahe zu spontanem Sex auf dem Flur geführt hätte, ist eine Information, auf die ich verzichten könnte. Es gibt Details, die möchte ich über meinen Bruder nicht hören. Seit dem Zusammentreffen ist Hazel Taro endgültig verfallen, während er sie davon zu überzeugen versucht, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Da er ebenfalls keine Antwort darauf finden kann, warum er und Hazel aneinanderkleben geblieben sind wie zwei Magnete, schiebt er es auf eine Mischung aus ungünstigem Mondstand und Hormonen.

»Bist du eigentlich nervös?«, wechselt Hazel so unvermittelt das Thema, dass ich ihr nicht ganz folgen kann.

»Du meinst wegen der Demo? Nein. Unsere Schutzzauber habe ich schon vorbereitet und vertraue darauf, dass uns nichts passieren wird.«

»Nein, ich meinte wegen deines Livedates mit diesem DarkDuke-Typen. Ich kenne mich in der Szene nicht so gut aus wie du, aber selbst ich habe bereits Artikel darüber gelesen, dass er sich einen Spaß daraus macht, Hexen und alle, die sich für übernatürlich begabt halten, vorzuführen. Letztens lief im Fernsehen sogar eine Doku über eine Wahrsagerin, ein Medium und einen Heiler, die absolut am Boden und pleite sind, nachdem er sie live auseinandergenommen hat.«

»Was wohl nichts anderes bedeutet, als dass er ein unsympathischer Typ ist, der kein Problem damit hat, die Existenzen von Menschen zu zerstören, um sein übergroßes Ego noch weiter aufzublasen. Ich meine: Warum tut er das? Was hat er davon? Und selbst wenn diese Leute Schwindler waren: Was geht es ihn an?«

»Auf jeden Fall bekommt er viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien. Wie du. Nur irgendwie auf der anderen Seite der Macht, falls du verstehst, was ich meine. Du bist rosa und positiv und lebendig. Und sein ganzer Kanal ist düster und gruselig und gesichtslos.«

»Eben. Was will er mit der Aufmerksamkeit, wenn er nie sein Gesicht zeigt?« Ich verstehe ihn nicht. Aber wie soll man jemanden begreifen, der kaum mehr als ein Phantom ist? Seufzend widme ich mich lieber wieder meiner Skizze. »Da ich nicht vorhabe, dauerhaft von den Einnahmen meines etsy-Shops zu leben, kann er gern versuchen, mich vor laufender Kamera auseinanderzunehmen, wenn es ihm damit besser geht. Die meisten Leute halten mich eh für seltsam, da kommt es auf den Livestream auch nicht mehr an.«