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Unter den Nordlichtern kommen sie sich näher Der diesjährige Sommer verspricht für Sophie und ihren besten Freund Jonas zu einem unvergleichlichen Abenteuer zu werden. Ihr lang ersehnter Roadtrip führt sie quer durch das atemberaubende Island, eine Insel, die mit ihren majestätischen Wasserfällen, sprudelnden Geysiren und imposanten Vulkanendie perfekte Kulisse für den Kurzfilm bietet, den sie für ihr Studium drehen möchten. Die Reise durch Island bietet nicht nur zahlreiche Highlights, sondern zwingt Sophie auch, sich ihren wachsenden Gefühlen für Jonas zu stellen. Die Isolation der atemberaubenden Landschaften Islands, kombiniert mit der intensiven Zeit, die sie miteinander verbringen, bringt eine neue Ebene der Intimität in ihre Freundschaft. Unter den magischen Nordlichtern kommen sich Sophie und Jonas näher als je zuvor, und Sophie steht vor der vielleicht schwierigsten Entscheidung ihres Lebens: Soll sie das Risiko eingehen und ihre Gefühle offenbaren, auch wenn dies ihre Freundschaft für immer verändern könnte? Dieser Roadtrip durch Island ist nicht nur eine Reise durch eine der spektakulärsten Landschaften der Welt, sondern auch eine Reise ins Innere, bei der Sophie und Jonas die Bedeutung von Freundschaft, Liebe und dem Mut, das Herz zu öffnen, entdecken. Die Frage bleibt: Wird Sophie ihre Angst überwinden und sich für die große Liebe entscheiden? Begleitet Sophie und Jonas auf ihrem unvergesslichen Sommerabenteuer durch Island, wo die atemberaubende Naturkulisse, verborgene Gefühle und die Chance auf die große Liebe auf sie warten. Werden sie den Mut finden, sich ihren wahren Gefühlen zu stellen, oder werden sie sich letztendlich gegen das Risiko entscheiden, um ihre Freundschaft zu bewahren? Taucht ein in eine Geschichte voller Emotionen, malerischer Landschaften und unvergesslicher Momente unter den Nordlichtern.
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Cover & Impressum
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
JONAS
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
JONAS
16. Kapitel
17. Kapitel
JONAS
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
JONAS
23. Kapitel
JONAS
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
JONAS
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
JONAS
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
JONAS
43. Kapitel
Epilog
Fünf Wochen später …
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für meinen Freund Robin.
Danke, dass du mein Nordlicht bist und alles ein bisschen heller und bunter machst.
Ich liebe dich.
»Du fehlst mir, Nike«, seufzte ich. »Köln ist ohne dich einfach nicht dasselbe.«
»Du fehlst mir auch, Soph«, entgegnete Nike sanft. Ihre Locken flatterten leicht im Wind. Allem Anschein nach saß sie draußen im Schatten eines Baumes. Plötzlich wackelte das Bild, und im nächsten Moment quietschte meine beste Freundin auf. »Sibaya, ich bin beschäftigt!«
Ein heiteres Lachen war zu hören, und als es Nike gelungen war, wieder die Kontrolle über ihr Handy zurückzuerlangen, erspähte ich schräg hinter ihr eine elegante Gepardin.
Ich musste schmunzeln. Der Anblick war mittlerweile nichts Neues mehr für mich.
Seit über zwei Monaten befand sich Nike nun als Tierschutz-Volunteer im Kruger-Nationalpark. Wir waren schon ewig befreundet und noch nie lange voneinander getrennt gewesen. Ich vermisste sie sehr.
Die Gepardin leckte Nike über das Gesicht, woraufhin sie erneut kicherte.
»Da hast du aber einen flauschigen Fan an deiner Seite«, sagte ich lachend.
»Scheint ganz so«, entgegnete Nike mit einem breiten Grinsen im Gesicht und strich Sibaya über das gefleckte Fell.
»Aber kommen wir zu deinem größten Fan«, griff ich das Thema auf. »Wie läuft’s mit Safari-Guide Liam?«
Ein verräterisches Rot schlich sich auf Nikes Wangen, und ihre Augen begannen zu funkeln. Es war unübersehbar, dass sie bis über beide Ohren in Liam verknallt war. Ich war gespannt, wie es bei den beiden weitergehen würde, sobald Nikes Zeit im Kruger-Nationalpark vorüber war. Hoffentlich fanden die beiden einen Weg. Insgeheim beneidete ich meine beste Freundin sogar darum, dass sie in Südafrika ihr Glück gefunden hatte, auch wenn ich es ihr natürlich von Herzen gönnte.
Nike strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
Sibaya hatte inzwischen ihren Kopf auf Nikes Schoß gebettet und schnurrte ausgiebig.
»Ich bin sehr glücklich«, antwortete Nike leise. »Diese Reise war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich hätte es bereut, wenn ich nicht meiner inneren Stimme gefolgt wäre.«
Ich nickte.
Nike legte den Kopf schief. »Aber kommen wir doch mal zu dir … Wie sieht’s mit deinen Islandplänen aus?«
»In einer Woche geht es los! Und ich sag’s dir, Nike, ich bin so unglaublich aufgeregt. Ich wollte schon so lange nach Island, und jetzt wird der Traum endlich Wirklichkeit«, sprudelte es aus mir heraus, und ich spielte an meinem Nasenpiercing herum. Allein beim Gedanken an die bevorstehende Reise ergriff mich unbändige Vorfreude. »Das Gröbste ist geplant. Unsere Überlegung ist, erst eine Woche durch Island zu reisen und anschließend noch vier Tage ein Tierschutzprojekt für Papageientaucher zu begleiten. Jonas und ich haben einen Campervan gemietet, den wir am Flughafen in Reykjavík entgegennehmen.«
»Das klingt einfach so gut«, schwärmte Nike. »Ein Roadtrip durch Island, noch dazu mit deinem besten Freund!«
Jonas und ich waren beste Freunde, seitdem ich denken konnte. Ich kannte ihn sogar länger, als es bei Nike und mir der Fall war. Noch dazu interessierten Jonas und ich uns wahnsinnig für Filme und Serien. Jede Woche trafen wir uns mindestens einmal in abwechselndem Rhythmus bei ihm oder bei mir zum Filmabend. Dabei entbrannten jedes Mal lebhafte Diskussionen über die Werke, die wir uns ansahen. Wir kamen bei der Auswahl der Filme auch nicht immer auf einen Nenner, da Jonas Science-Fiction bevorzugte, während es bei mir auch mal ein Horrorfilm sein durfte. So ein richtiger Schocker eben. Und zwischendurch sah ich mir gern Dokumentarfilme an, zum Beispiel Reportagen über die Tier- und Pflanzenwelt.
Unsere gemeinsamen Filmabende hatten schon fast so etwas wie Kultstatus erreicht. Einen solchen Abend ohne triftigen Grund ausfallen zu lassen kam einem Verbrechen gleich.
Es war deshalb vermutlich auch nicht weiter verwunderlich, dass Jonas und ich denselben Studiengang belegt hatten und Film und Fernsehen in Köln studierten. Von unserer Professorin hatten wir die megacoole Aufgabe erhalten, während der Semesterferien in Zweierteams einen Kurzfilm zu drehen, der dann auch auf einem Filmfestival an der Uni gezeigt werden würde. Es sollte eine Art Dokumentarfilm werden und die Besonderheiten einer bestimmten Landschaft porträtieren.
Der Drehort war frei wählbar gewesen. So hatten Jonas und ich uns für Island entschieden. Dieses Land bot einfach so viele Möglichkeiten, nicht nur landschaftlich und hinsichtlich der Tierwelt, sondern auch kulturell gesehen. Es würde zwar ein sehr kostspieliges Projekt werden, doch Island war schon immer ein großer Traum von Jonas und mir gewesen, weswegen wir beide auch ein bisschen Geld zur Seite gelegt hatten. Für mich war Island der Inbegriff von Freiheit, und ich sehnte mich schon lange danach, die einzigartigen Naturschauspiele dort mit eigenen Augen sehen zu können. Wo bekam man schon gleichzeitig Gletscher, Vulkane, Wasserfälle, Geysire, heiße Quellen und schwarze Sandstrände geboten? Zum Glück war es ein Leichtes gewesen, Jonas dafür zu begeistern, zusammen mit mir einen Film über Island zu drehen.
Praktisch war zudem, dass ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Jonas und ich würden nicht nur ein tolles Projekt für die Uni realisieren, nein, ich konnte es später auch als Imagefilm den World Wildlife Savers zur Verfügung stellen. Dabei handelte es sich um die Organisation, bei der Nike und ich ehrenamtlich arbeiteten und für die Nike aktuell in Südafrika tätig war. Die World Wildlife Savers hatten eine Kooperation mit einem Papageientaucherprojekt auf Island, dem Project Puffin. Jonas und ich planten, am Ende unseres Roadtrips noch vier Tage bei Project Puffin mitzuhelfen, dabei die Gegebenheiten vor Ort zu filmen und somit neue Volunteers auf dieses besondere Vogelprojekt aufmerksam zu machen.
Ich ließ meine Gedanken wandern. Alles klang so traumhaft. Island, Roadtrip, Camper, beeindruckende Landschaften, Zeit mit meinem besten Freund verbringen …
Eigentlich stand einer unvergesslichen Reise durch Island nichts mehr im Weg, doch es gab einen Haken an der Sache … Jonas war für mich viel mehr als nur ein bester Freund. Und er hatte keinen blassen Schimmer, wie es um meine Gefühle für ihn stand.
Nachdenklich grub ich meine Zähne in meine Unterlippe.
Nike musste mir meinen inneren Konflikt ansehen, da sie plötzlich sehr ernst dreinblickte. Ihr hatte ich als Einzige von meinen wahren Gefühlen für Jonas erzählt.
»Soph, dieser Roadtrip ist die beste Gelegenheit, um Jonas endlich zu offenbaren, was du für ihn empfindest. Sag es ihm! Was ist bitte romantischer, als dass ihr euch eure Liebe unter den Nordlichtern gesteht? Hach …« Nike seufzte so schwer, dass selbst Sibaya auf ihrem Schoß zusammenzuckte.
»Es gibt im August noch keine Nordlichter, Nike. Also … zumindest in der Regel nicht«, unterbrach ich sie.
Nike verdrehte die Augen und überging meinen Kommentar schlichtweg. »Sag es ihm, Sophie! Du wirst es sonst bereuen!«
Ich schüttelte traurig den Kopf. »Das kann ich nicht«, sagte ich leise. »Ich will ihn nicht verlieren.«
»Wer sagt denn, dass du ihn verlierst?«, fragte Nike mich, ihr Blick wurde weich. »Wer sagt denn, dass er nicht auch Gefühle für dich hegt und ihr beide euch einfach nicht traut, euch das einzugestehen?«
Hilflos zuckte ich mit den Schultern und schwieg.
Nike seufzte erneut. »Versteh mich bitte nicht falsch, Soph. Es ist ja nicht so, dass ich nicht nachempfinden könnte, wie es dir gerade geht. Ich verstehe dich vermutlich besser als jeder andere, und ich will dich auch ganz gewiss nicht zu irgendetwas drängen. Ich habe bloß Angst, dass du den gleichen Fehler machst wie ich und alles in dich hineinfrisst. Gefühle aufzustauen macht es meist nur noch schlimmer.«
Ich wusste, dass Nike auf die Sache mit ihrem Ex-Freund Tim (der trotz allem immer noch ihr bester Freund war) und das Verhältnis zu ihren Eltern anspielte. Monatelang hatte sie sich nicht getraut, ihnen zu sagen, dass sie nicht in das Familienunternehmen, »Sonnenfelds Weinspezialitäten«, einsteigen wollte. Und dass sie keine Gefühle mehr für Tim hatte, zumindest nicht auf die romantische Art und Weise.
Ich grunzte. »Ist fast schon ironisch, oder? Du trennst dich von deinem besten Freund, und ich hege Gefühle für meinen.«
Nike zuckte unbekümmert mit den Schultern und lächelte. »Weißt du, vielleicht ist das auch einfach nur ein Zeichen dafür, dass es umgekehrt genauso klappen kann. Meine Freundschaft zu Tim hat es überstanden, obwohl wir kein Paar mehr sind. Warum sollte also nicht auch deine und Jonas’ Freundschaft es verkraften können, wenn du ihm dein Herz öffnest?«
Darauf hatte ich keine Antwort.
Denn egal, wie recht Nike eigentlich mit dem hatte, was sie sagte … Meine Angst überwog.
In dem Moment vernahm ich aus dem Hintergrund eine männliche Stimme, die etwas zu Nike sagte.
»Komme sofort«, rief Nike zurück, bevor sie sich wieder mir zuwandte. »Liam verlangt nach mir, unsere Fahrt in den Busch geht los. Tut mir leid, Soph. Ich hätte gern noch länger mit dir gequatscht.«
»Alles gut«, winkte ich ab. »Ich fahre gleich noch mal ins Büro zu den World Wildlife Savers, und heute Nachmittag treffe ich mich mit Jonas in der Stadt, um die restlichen Islandfragen zu klären und letzte Reisevorbereitungen zu treffen.« Erneut erfasste mich ein erwartungsvolles Kribbeln.
Mich hatte der Norden schon immer gereizt. Das Eis, die Weite, die Gletscher. Könnte vielleicht auch ein wenig daran liegen, dass Jonas und ich riesige Fans von Game of Thrones waren und einige Teile der Serie in Island gedreht worden waren. Wenn ich es recht bedachte, war es diese Serie gewesen, die mich überhaupt erst zu meinem Studiengang gebracht hatte. Na ja, und möglicherweise auch Harry Potter, Herr der Ringe, The Witcher, … Die Liste war lang.
Nike beugte sich noch einmal etwas näher an die Kamera. »Ich hab dich lieb, Soph. Und halt mich auf dem Laufenden, ja?«
»Ich dich auch, Nike. Und ja, das mach ich.«
Wir verabschiedeten uns voneinander, und ich schob mein Handy in die Hosentasche meiner Ripped Jeans.
Mein Blick fiel auf das Foto von Jonas und mir, das auf meiner Kommode im Flur stand. Wir hatten es im Phantasialand aufgenommen. Er trug mich huckepack, und wir beide strahlten in die Kamera. Das war vor etwa zwei Jahren gewesen. Damals war noch alles gut gewesen. Doch inzwischen sah ich ihn anders an. Nahm ihn mit anderen Augen wahr.
Ich schluckte.
Jonas und ich hatten uns immer alles erzählen können, wirklich alles. Nichts stand zwischen uns, und wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Bis jetzt.
Denn diese eine Sache konnte ich ihm nicht sagen.
Und es fühlte sich so an, als würde ich ihn hintergehen. Weil ich nicht ehrlich mit ihm war. Und in gewisser Weise auch nicht ehrlich mit mir selbst.
Ich fand immer wieder neue Ausreden, um mich nicht meinen Gefühlen für Jonas stellen zu müssen. Redete mir ein, dass es bestimmt nur eine Phase war. Dass wir ohnehin nicht zusammenpassten. Dass wir charakterlich viel zu unterschiedlich waren. Dass ich nicht der Typ Frau war, auf den Jonas stand, mit meinen zu großen Shirts, meinem Nasenring und meinem langen, blonden Haar, das ich zu einem rebellischen Side Cut trug.
Doch traf irgendetwas davon tatsächlich zu? Ich blickte in den Spiegel über meiner Kommode und warf meinem Abbild einen zweifelnden Blick zu. Was, wenn ich mir lediglich selbst im Weg stand, weil ich so ein Angsthase war?
Als ich das Büro der World Wildlife Savers betrat, herrschte gähnende Leere. Was mich nicht sonderlich überraschte, da sich der Sommer in Köln von seiner besten Seite präsentierte. Für die ganze Woche wurden Temperaturen um die 30 Grad vorhergesagt. Schon verrückt, dass es bei Nike in Südafrika gerade Winter war. Wobei die dortigen Winter selbstverständlich nicht mit unseren zu vergleichen waren.
Ich schaute in die einzelnen Bürozimmer, doch dort war niemand.
»Hallo?«, fragte ich, erhielt aber keine Antwort.
Die Einzige, die ich schließlich am Schreibtisch vorfand, war meine Chefin Dilara. Hinter ihr brummte ein Ventilator. Da bekamen »200 Grad Umluft« noch mal eine ganz neue Bedeutung. Selbst die Markisen, die vor den Fenstern heruntergekurbelt waren, brachten nicht den gewünschten Effekt. Hier hätte man Brathähnchen brutzeln können. Genauso fühlte ich mich auch. Wie ein Brathähnchen, das in seinem eigenen Saft schmorte.
Meine Haare klebten mir auf meiner linken und unrasierten Seite im Nacken, und obwohl ich ein weites T-Shirt trug, fühlte es sich unangenehm auf meiner Haut an. Ich strich mir über die Haarstoppeln auf der rechten Seite meines Kopfes. Ja, ein Side Cut hatte schon seine Vorteile und brachte zumindest teilweise eine angenehme Abkühlung.
Dilara blickte auf. »Sophie, wie schön, dich zu sehen!«
Ich musste schmunzeln. Dilara war der Inbegriff eines Workaholics. Diese Frau hielt wirklich nichts vom Arbeiten ab, nicht mal ein gebrochener Fuß. Inzwischen war zwar ihr Gips abgenommen und gegen eine Schiene ersetzt worden, aber sie musste sich grundsätzlich noch schonen und durfte nicht zu viel laufen.
»Solltest du nicht eigentlich zu Hause sein und deinen Fuß hochlegen?«, fragte ich anstelle einer Begrüßung, und mein Grinsen wurde noch etwas breiter.
Dilara deutete auf den Hocker unter ihrem Schreibtisch, auf den sie ihren Fuß gebettet hatte. Neben ihrem Arbeitsplatz lehnten zwei Krücken.
Das hatte ihr Arzt ganz sicher nicht mit »Ruhe« gemeint …
»Ob ich meinen Fuß zu Hause oder im Büro hochlege, ist doch egal«, befand Dilara. »Außerdem werde ich in meinen eigenen vier Wänden noch wahnsinnig! Ich kann nicht die ganze Zeit in meiner Wohnung rumsitzen und nichts tun!« Sie machte eine kurze Pause. »Gott, ist das eine Hitze!«
Sie zwirbelte ihr langes, schwarzes Haar auf und steckte es mit einer Klammer nach oben. Auf ihrer makellosen Haut war kein einziger Schweißtropfen zu sehen. Beneidenswert. Ich sah vermutlich so aus, als wäre ich in eine Fritteuse gefallen.
Ich blickte mich um. »Wo sind denn die anderen?«
»Ich habe ihnen für den Rest des Tages freigegeben«, antwortete Dilara. Meine Chefin war nicht nur eine der wenigen festangestellten Mitarbeiter bei den WWS, sondern auch die Leiterin der Organisation. »Heute passiert hier ohnehin nicht mehr viel. Die meisten sind bei dem Wetter im Freibad oder sitzen in einer Eisdiele. Diese Hitze macht einen ja auch völlig matschig im Kopf.«
Da hatte sie wohl recht.
»Aber um deine Frage zurückzugeben … Was machst du eigentlich hier? Mit dir hatte ich gar nicht gerechnet. Solltest du nicht voll und ganz mit deinen letzten Planungen für Island beschäftigt sein?« Dilara musterte mich.
Ich ließ mich ihr gegenüber auf einen Stuhl plumpsen. »Ach, ich wollte noch ein paar Informationen über das Tierschutzprojekt in Island zusammensuchen, Project Puffin. Außerdem wollte ich nach dem Rechten schauen. Du weißt doch, wie gern ich hier bin.«
Und das stimmte wirklich. Ich mochte unser Team und die Arbeit, die wir machten. Sie war für mich eine Herzensangelegenheit. Selbst wenn Nike und ich nur für wenige Stunden in der Woche aushalfen.
Dilara lächelte mich an. »Nike und du, ihr seid eine Bereicherung für die Organisation. Hast du eigentlich mal wieder etwas von ihr gehört?«
»Wir haben gerade geskypt«, sagte ich. »Es geht ihr bestens. Südafrika bekommt ihr gut.«
»Die Fotos, die sie ab und zu schickt, sind auch einfach traumhaft!« Dilara seufzte auf. »Aber ich bin mir sicher, dass Jonas und du in Island ebenfalls ganz tolle Aufnahmen machen werdet. Es wäre wirklich schön, wenn wir mit einem kurzen Clip mehr Interesse an Freiwilligenarbeit auf Island generieren könnten.«
Ich nickte begeistert. »Auf jeden Fall. Also, was meinst du? Was darf in dem Film unter keinen Umständen fehlen? Hast du noch Tipps für mich? Du warst ja schon einmal auf der Insel aus Eis und Feuer.«
Dilaras Augen leuchteten auf. Sie beugte sich zu mir.
»Also, ihr müsst auf jeden Fall den Golden Circle machen, bestehend aus dem Thingvellir-Nationalpark, dem Geothermalgebiet mit seinen Geysiren und dem Wasserfall Gullfoss. Das ist ein absolutes Must-see, wenn man Island besucht. Wenn ich an meine Islandreise vor ein paar Jahren denke, komme ich gleich wieder ins Schwärmen …«
»Alles klar, ist notiert!« Ich tat so, als würde ich in der Luft ein Häkchen setzen.
Nachdem Dilara und ich noch ein wenig über dies und das gequatscht hatten, verabschiedete ich mich von ihr, um mich auf den Weg zu meinem Treffen mit Jonas zu machen.
***
Am Neumarkt angekommen, entdeckte ich ihn schon von Weitem an unserem Treffpunkt. Er stand wie verabredet vor unserer Lieblingseisdiele. Bisher hatte er mich noch nicht entdeckt, da er seinen Blick auf sein Handydisplay gerichtet hatte. Vermutlich war er schon dabei, mir eine WhatsApp-Nachricht zu schreiben und zu fragen, wo ich denn blieb.
Ich grinste. Tatsächlich war Jonas derjenige von uns beiden, der immer superpünktlich war. Ich hingegen … Na ja, ehrlich gesagt, zählte Pünktlichkeit nicht zu meinen Stärken. Jonas hatte sich schon mehr als einmal darüber beschwert. Ich wusste aber auch, dass er mir nie richtig böse war, wenn ich mal wieder zu spät kam, ebenso wenig Nike.
Kurz blieb ich stehen und beobachtete meinen besten Freund. Betrachtete den konzentrierten Ausdruck, der um seine Augen lag. Das schwarze Shirt, das perfekt seine breite Brust betonte. Die dunkelblonden Haare, die den Sommer über deutlich ausgeblichen waren und plötzlich gar nicht mehr so dunkel wirkten. Die helle Jeans und die abgetretenen weißen Sneakers.
Mein Herzschlag beschleunigte sich bei seinem Anblick.
Noch nie hatte ich solche Gefühle in der Gegenwart eines Mannes verspürt. Noch nie. Wobei ich auch noch nie eine feste Beziehung gehabt hatte, immer nur lockere Sachen. Oft sahen die Typen dann doch eher einen Kumpeltyp in mir. Oder ich fand die Männer mit der Zeit langweilig.
Bei mir war es in Liebesdingen bisher immer kompliziert verlaufen. Liebe war für mich ein Mysterium. Doch in seinen besten Freund verliebt zu sein war noch tausendmal komplizierter.
In meiner Hosentasche brummte es. Noch bevor ich einen Blick auf mein Handy warf, wusste ich, dass Jonas mir geschrieben hatte.
Wo bleibst du? Du hast unser Treffen doch wohl nicht vergessen?
Ich begann nun ebenfalls zu tippen, meine Mundwinkel zuckten unkontrolliert.
Bin schon da. Sieh dich mal um.
Jonas hob irritiert seinen Blick und schaute in alle Richtungen. Doch ehe er mich entdecken konnte, tauchte ich hinter einem Pflanzenkübel ab, der vor einem Restaurant stand. Als ich mir sicher war, dass Jonas wieder mit seinem Handy beschäftigt war – jetzt noch viel verwirrter –, schlich ich mich von der anderen Seite von hinten an ihn heran. Er war jetzt nur noch schätzungsweise zehn Meter von mir entfernt. Manchmal hatten die Menschenmengen in Köln auch ihr Gutes. Ich verschmolz mit der Masse.
Wieder vibrierte mein Handy.
Hä, wo bist du denn?
Ich kicherte in mich hinein. Als es mir schließlich gelungen war, zu Jonas aufzuschließen, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und legte ihm meine Hände aufs Gesicht.
Erst versteifte er sich, doch das änderte sich bereits nach einer Sekunde.
»Soph?«, fragte er. Er griff nach meinen Händen, nahm sie sanft von seinem Gesicht und drehte sich zu mir um. Als er meinem frechen Grinsen begegnete, lachte er auf. Sein Lachen sandte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken.
»Du bist und bleibst verrückt.«
Ausgerechnet jetzt fielen mir Nikes Worte ein, dass ich Jonas endlich die Wahrheit sagen sollte.
Ich musste ihn eine ganze Weile lang regungslos angestarrt haben, da Jonas mich irgendwann anstupste.
»Hey, Sophie, alles in Ordnung bei dir? Du wirkst so in Gedanken versunken.«
Ich erwachte aus meiner Trance.
Jonas bedachte mich mit einem wunderschönen schiefen Lächeln, das ein Grübchen auf seiner linken Wange entstehen ließ. Und eben jenes Lächeln sorgte dafür, dass sich meine Eingeweide zusammenzogen. Seit wann hatten sich da eigentlich verdammt noch mal diese Schmetterlinge eingenistet?
Ich wollte doch nur, dass alles so unkompliziert zwischen Jonas und mir war wie früher. Warum hatte ich mich auch ausgerechnet in meinen besten Freund verlieben müssen? Als ob es nicht genügend andere Männer in Köln gab! Aber die waren nun mal alle nicht er …
Mir fiel auf, dass Jonas mich noch immer musterte und mit einem Blick bedachte, als würde er sich fragen, ob ich ernsthaft krank sei. Und irgendwie war ich das ja auch. Liebeskrank.
Da ich auf keinen Fall wollte, dass Jonas mir mein Gefühlschaos von der Nasenspitze ablesen konnte, riss ich mich jedoch zusammen und deutete nun ebenfalls ein Grinsen an.
»Sorry, ich bin heute nicht ganz auf der Höhe. Das sind echt nicht meine Temperaturen.«
»Wem sagst du das?« Jonas lüftete sein Shirt. Der Duft seines Aftershaves wehte zu mir herüber und bewirkte, dass meine Gefühle schon wieder durcheinandergerieten.
Sophie, jetzt reiß dich zusammen, sonst wird das nie etwas mit Island!
Betont selbstbewusst straffte ich meine Schultern. »Eis?«
»Da fragst du noch? Da warte ich schon den gesamten Vormittag drauf.« Jonas lachte.
Wir suchten uns ein schattiges Plätzchen unter einem Schirm, neben uns plätscherte sanft ein Brunnen.
»Wie geht es Nike eigentlich in Südafrika?«, hakte Jonas neugierig nach, während wir auf die Bedienung warteten.
»Bestens.« Ich strahlte. »Wir haben vorhin noch miteinander gesprochen.«
Ein Kellner kam auf uns zu, und nachdem Jonas und ich bestellt hatten (ein Früchtetraumbecher für mich und ein Schokoladenbecher für Jonas), machten wir uns an die letzten Islandplanungen. Jonas holte sein Handy hervor und tippte darauf herum.
»Kannst du dir vorstellen, dass wir in sechs Tagen schon auf Island sind? Wahnsinn!«
Ich schüttelte den Kopf, und erneut schlich sich ein vorfreudiges Lächeln in mein Gesicht. »Nein, kann ich nicht. Aber das wird so was von cool!«
Die freundliche Bedienung brachte unser Eis. Jonas machte sich mit Begeisterung über seinen Schokobecher her.
Ich wusste ganz genau, was als Nächstes passieren würde, und beobachtete Jonas amüsiert. Er schob sich den ersten Löffel Eis in den Mund.
»Eins, zwei, …«, zählte ich.
»Haaatschiii«, kam es laut von Jonas, kaum dass ich bei »drei« angelangt war. Ich prustete los.
»Du kannst mir nicht erzählen, dass das keine Macke ist«, sagte ich und schmunzelte.
Jonas sah mich empört an. »Das ist auch keine Macke! Das muss eine Art Allergie sein!«
Wir hatten schon etliche Diskussionen darüber geführt, warum er partout bei jedem ersten Bissen Schokolade, sei es in reiner Form, als Eis oder Kuchen, niesen musste. Und es passierte immer nur beim ersten Mal, wenn er von der Schokolade kostete.
Jonas behauptete, es sei eine Allergie. Ich hingegen war mir ziemlich sicher, dass das eine Macke war. Allerdings eine äußerst süße Macke.
Hatte nicht jeder von uns irgendwie seine Ticks? Andere kontrollierten fünf Mal, ob sie ihr Handy eingesteckt hatten, nachdem sie die Wohnung verlassen hatten. Manch andere glaubten, es bringe Unglück, wenn sie eine schwarze Katze sahen.
Und ich? Tja, ich ließ beim Trinken immer einen Bodensatz im Glas, warum auch immer. Egal, ob es Wasser, Kaffee oder Saft war. Als kleines Kind hatte ich meine Mutter damit nur allzu oft in den Wahnsinn getrieben. Vor allem dann, wenn sie den Geschirrspüler einräumte und dabei den restlichen Inhalt des Glases ungewollt über den Fußboden kippte.
»Meinst du, die Leute finden uns manchmal komisch?«, fragte Jonas mich in dem Moment passenderweise.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ist das nicht egal?«
Bei 99,9 % der Menschen war es mir wirklich total egal, welche Meinung sie von mir hatten. Ich meine, was juckte es mich?
Die Einzigen, bei denen es mir wichtig war, was sie von mir dachten, waren Freunde und Familie, allen voran Nike und Jonas. Die beiden waren neben meinen Eltern die wichtigsten Menschen in meinem Leben.
Ich seufzte auf, als ich einen Löffel von dem Früchtebecher nahm. So lecker!
»Manchmal beneide ich dich um deine Coolness«, antwortete Jonas.
»Was soll ich sagen …« Ich tat so, als würde ich mir die Anerkennung von der Schulter klopfen. »Das war jahrelanges Training!«
»So, kommen wir zu unserer Packliste …«, nuschelte Jonas zwischen zwei Löffeln Eis und starrte auf das Display seines Handys.
Ich zog die Augenbrauen hoch und unterdrückte ein Schmunzeln. »Du hast dir echt eine Packliste geschrieben?« Das war so typisch Jonas. Ich kannte keinen Kerl, der besser organisiert und strukturiert war als er.
»Ja klar, du etwa nicht? Ich will nichts vergessen.«
»Das Wichtigste ist doch unsere Video- und Kameraausrüstung, oder? Und unsere Reisedokumente … Da fällt mir übrigens ein, dass ich meinen neu beantragten Personalausweis noch bei der Stadt abholen muss. Mir ist vor vier Wochen nur durch Zufall aufgefallen, dass mein alter bereits abgelaufen ist.«
Jonas starrte mich entgeistert an. »Dir fällt wenige Wochen vor unserem Roadtrip durch Island auf, dass dein Perso abgelaufen ist? Nur durch Zufall?«
»Ist doch alles gut gegangen.« Ich grinste.
Jonas schüttelte ungläubig den Kopf. »Manchmal machst du mich echt fertig, Soph. Wie kannst du nur immer so gelassen bleiben?«
Von wegen gelassen … Wenn der wüsste, wie aktiv die Schmetterlinge in meinem Bauch waren. Ich musste wohl ein wenig üben, auch in anderen Bereichen meines Lebens etwas mehr Gelassenheit an den Tag zu legen, sonst drehte ich noch durch. Die Sache mit den Gefühlen war echt crazy.
Wieder zuckte ich betont locker mit den Schultern. »Da ich wusste, dass du dir ohnehin Stress wegen allem machst, kann ich gerne den gelassenen Part übernehmen«, zog ich Jonas auf.
»Haha«, machte er nur. »Dir macht das gerade unheimlich Spaß, Witze über mich zu machen, oder?«
»Unsinn. Ich lache mit dir, nicht über dich.«
Jonas gab lediglich ein Brummeln von sich. Mein Blick schweifte über sein Shirt, das seine starken Schultern betonte.
»Wie ist es eigentlich möglich, dass jemand, der so ein Sportmuffel ist wie du, solch breite Schultern hat?«, fragte ich. »Das ist einfach nicht fair.«
Manchmal quälte ich mich einmal in der Woche ins Fitnessstudio, aber nicht, um sportlicher zu werden, sondern nur, damit ich mehr essen und mir weiterhin ungesundes Zeug in den Rachen schieben konnte. Im Gegensatz zu Jonas war ich nicht damit gesegnet, essen zu können, was ich wollte.
»Ich würde ja gerne deine Worte aufgreifen und ebenfalls sagen, dass das jahrelanges hartes Training war, aber es ist wohl wirklich nur meinen guten Genen geschuldet.«
Mein bester Freund grinste breit. Ein bisschen selbstverliebt war er übrigens auch.
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist so unfair, ehrlich.«
Jonas starrte schon wieder auf seine Packliste, als wollte er noch mal ganz genau kontrollieren, dass er an alles gedacht hatte. Dann sah er auf und lächelte mich an. »Das wird ein richtig cooler Roadtrip, Soph! Was soll jetzt eigentlich noch schiefgehen? Mal abgesehen von deinem Perso …«
Was noch schiefgehen konnte?
Dass meine Gefühle vollkommen verrücktspielten, wenn Jonas und ich allein durch Island reisten, noch dazu auf engstem Raum in einem Van?
Oh, verdammt, was hatte ich mir da nur eingebrockt?
»Hast du deinen Perso eingesteckt?«, hakte Jonas nach, als wir mit unseren gepackten Trekkingrucksäcken am Frankfurter Flughafen standen. Selbstverständlich durfte auch unsere Videoausrüstung nicht fehlen. Ich freute mich schon darauf, Island in seiner rauen Schönheit vor die Linse zu bekommen. Ich war mir sicher, dass Jonas und ich einmalige Landschaftsaufnahmen machen würden.
»Ja doch.« Ich rollte mit den Augen. »Das hast du mich auch gestern Abend schon gefragt. Und den Tag davor. Und den Tag davor.«
Jonas grinste. »Ich weiß halt, wie verpeilt meine beste Freundin manchmal ist«, kommentierte er und verpasste mir einen Knuff in die Seite. Was mir wieder einmal vor Augen führte, dass er in mir nicht mehr als eine Freundin sah. Eine Freundin, mit der man herumalbern konnte.
Ich seufzte innerlich auf und ging kurzerhand einen Deal mit mir selbst ein. Wenn ich wollte, dass dieser Roadtrip mit Jonas funktionierte und mir meine eigenen Gefühle nicht im Weg waren, würde ich lernen müssen, sie auszublenden. Daher beschloss ich, meine Emotionen zumindest für die Zeit unserer Reise in die hinterste Ecke zu verdrängen und dort hinter dicken Mauern einzusperren.
Denn Jonas meine Gefühle zu gestehen war keine Option. Zumindest nicht jetzt oder in näherer Zukunft. Dafür musste ich selbst erst einmal wissen, was ich wollte. Wie katastrophal wäre es, wenn Jonas und ich uns näherkämen und ich dann das Interesse an ihm verlor? So wie mir das bei Männern schon oft gegangen war. Damit würde ich ihn wahnsinnig verletzen … Oder es würde genau andersherum ablaufen: Jonas würde merken, dass er mich doch gar nicht so toll fand und lieber eine Freundin haben wollte, die besser zu ihm passte und ähnlich tickte wie er. War ich bereit, unsere Freundschaft dafür aufs Spiel zu setzen? Ich konnte mir mein Leben ohne meinen besten Freund nicht vorstellen.
»Sag mal, träumst du schon wieder?«, holte Jonas mich aus meinen Gedanken zurück. »Diesmal kannst du es aber nicht auf die Hitze schieben, im ganzen Gebäude läuft die Klimaanlage auf Hochtouren.« Er hob einen Mundwinkel zu einem verschmitzten Grinsen.
Mist, allmählich wurde mein Verhalten wirklich auffällig.
»Sorry, ich weiß auch nicht, was im Moment mit mir los ist«, gestand ich. »Vielleicht liegt es an der Vorfreude auf Island.« Das war zumindest nicht vollständig gelogen.
Jonas nahm seinen Rucksack von den Schultern und öffnete das große Fach. »Ich habe dir übrigens was mitgebracht. Vielleicht schürt das deine Freude noch mehr.«
Es raschelte und knisterte, als er in seinen Rucksack griff, und kurz darauf hielt er mir eine durchsichtige Tüte entgegen.
»Lakritz!«, stieß ich hervor, und meine Mundwinkel hoben sich ganz von selbst zu einem riesigen Strahlen. Jonas hatte mir nicht nur irgendeine Süßigkeit mitgebracht, nein, es war mein Lieblingslakritz: kleine Brezeln, die extra noch gezuckert waren.
»Danke, Jonas!« Voller Verzückung griff ich nach der Tüte, die Jonas mir entgegenhielt, doch er riss sie im letzten Moment zur Seite, sodass ich ins Leere fasste.
»Unter einer Bedingung«, sagte er. »Bitte iss die Dinger nicht die ganze Zeit neben mir im Flieger, wenn du nicht möchtest, dass ich dir auf den Schoß kotze.«
Jap, liebevoll konnten wir beide.
Ich legte mir einen Finger ans Kinn und tat so, als würde ich überlegen. Doch lange hielt ich es nicht aus. »Okay, Deal.«
Dann schnappte ich mir den Beutel und griff gierig hinein. Als ich das erste Lakritz im Mund hatte, schloss ich für einen Moment genießerisch die Augen. In Lakritz könnte ich mich reinlegen.
Jonas deutete ein würgendes Geräusch an. »Ich werde nie verstehen, wie du das Zeug in dich reinschaufeln kannst.«
Jonas hasste alles, was irgendwie mit Süßholzwurzel oder Anis zusammenhing. Ich hingegen liebte auch Ouzo, er hasste den Geschmack.
Vielleicht funktionierten wir als Freunde gerade deshalb so gut, weil wir so unterschiedlich waren und uns in vielerlei Hinsicht ergänzten.
»Und, bist du bereit für Island?« Ein freudiges Funkeln trat in Jonas’ Augen.
»Da fragst du noch?« Ich schob mir das nächste Lakritz in den Mund und reckte meine Hand gen Himmel. Oder besser gesagt gen Flughafendecke. »Island, wir kommen!«
***
Als wir am Flughafen in Keflavík landeten, war es bereits früher Abend. Der Himmel war trist und wolkenverhangen, und vereinzelt fielen Regentropfen.
Doch ich nahm mir vor, meine Freude davon nicht trüben zu lassen. Jonas und ich waren darauf vorbereitet, dass das Wetter in Island zum Teil sehr unbeständig und unberechenbar war, selbst in den Sommermonaten. Dementsprechend hatten wir auch gepackt. Schlechtes Wetter war nichts, was gute Outdoorbekleidung nicht wettmachen konnte. Und ich war optimistisch, dass sich in den nächsten Tagen die Sonne zeigen würde.
Am Flughafen wurden Jonas und ich von dem Betreiber des Autoverleihs, über den wir unseren Campervan gemietet hatten, abgeholt und ins Büro nach Reykjavík gefahren.
Jón, ein freundlicher, schlaksiger Mann, erklärte uns bereitwillig und ausführlich die Technik und die Ausstattung unseres Mietwagens. Er wirkte tiefenentspannt, und ich fand ihn auf Anhieb sympathisch.
Für Jonas und mich hatte von Anfang an festgestanden, dass wir mit einem Campervan durch Island reisen wollten, allein schon deshalb, weil wir damit viel flexibler waren. Wir konnten in eigenem Tempo reisen, die Vielfalt des Landes genießen und waren nicht auf eine Unterkunft angewiesen, die wir nach einer bestimmten Tagesetappe und bis zu einer bestimmten Uhrzeit erreichen mussten. Mir gefiel die Flexibilität, die wir dadurch hatten. Noch dazu waren die Unterkünfte auf Island verdammt teuer, sodass sich ein Camper für Jonas und mich in jeder Hinsicht lohnte.
Als ich einen Blick ins Innere des Wagens warf, erfasste mich ein glückliches Kribbeln. Ich war bisher nur einmal in einem Camper gereist, damals hatte ich mit meinen Eltern eine Rundreise durch Italien gemacht. Das war eine gefühlte Ewigkeit her. Meine Erfahrung, was das Campingleben anging, hielt sich also in Grenzen. Wobei ich zuversichtlich war, dass mir das Van Life gefallen würde, da ich das Abenteuer liebte und nicht viel Komfort beim Reisen brauchte.
Jonas und ich hatten uns für einen kleinen, aber feinen Camper mit Standheizung entschieden, einen Dacia Dokker. Wir hatten uns zuvor auf etlichen Reiseblogs informiert und des Öfteren gelesen, dass eine Standheizung ein Komfort war, auf den man nach Möglichkeit nicht verzichten sollte. Selbst im Sommer konnte der kalte Atlantikwind, der vom Meer über die Insel zog, das Auto sehr schnell auskühlen. Und da Jonas und ich tagsüber höchstwahrscheinlich sehr viel draußen in der Natur unterwegs sein würden, wollten wir es wenigstens abends kuschelig warm haben. Sogar Bettwäsche hatten wir beim Autoverleih direkt dazubuchen können!
Natürlich gab es deutlich größere und komfortablere Campervans, aber der Dacia genügte unseren Ansprüchen vollkommen. Das hier sollte schließlich kein Luxusurlaub werden, sondern ein Roadtrip, bei dem die Zeit in der Natur und das Entdecken der Insel an erster Stelle standen.
Der einzige Nachteil an unserem recht preiswerten Camper war, dass wir damit nicht die F-Roads befahren durften, was bedeutete, dass wir mehr oder weniger auf die Ringstraße beschränkt waren, die entlang der Küste von Island verlief. Bei den F-Roads handelte es sich um Hochlandrouten, die in die Berge führten und nicht asphaltiert waren. Jene Straßen durften nur von Wagen mit Allradantrieb befahren werden – was unser Camper nun mal nicht hatte.
Jonas und ich hatten jedoch ausgiebig die Vor- und Nachteile abgewogen und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Ringstraße genügend Highlights zum Filmen bot. Außerdem würden wir Wanderungen unternehmen und so weiter in die unwegsame Landschaft der Insel vordringen.
Von Jón erfuhren wir, dass in Island bis vor einigen Jahren sogar noch Wildcampen erlaubt war, doch inzwischen waren die Gesetze aufgrund der stetig zunehmenden Touristenzahlen verschärft worden. Was ich ehrlicherweise auch nachvollziehen konnte. Wenn durch die vielen Besucher irgendwann die Landschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, fand ich es besser, dass man auf feste Campingplätze auswich. Die Landschaft und die Natur waren ein unbezahlbares Gut, und die Wildnis musste geschont werden.
Nachdem Jón uns den Schlüssel ausgehändigt hatte und auch die letzten Formalitäten geklärt waren, konnte es losgehen.
Kaum dass wir Platz genommen hatten – Jonas hinterm Steuer, ich auf der Beifahrerseite –, stieß ich einen ausgelassenen Jubelschrei aus, in den Jonas schließlich mit einfiel. Unser Islandabenteuer konnte beginnen! Auf die Freude hin musste ich mir gleich noch eine Lakritzbrezel in den Mund schieben, woraufhin Jonas nur das Gesicht verzog. Er sah wirklich zum Anbeißen aus, wenn er diese saure Schnute zog.
Ich warf einen Blick auf mein Handy. »Ich würde sagen, dann steuern wir jetzt unseren ersten Campingplatz an, was meinst du?«
»Aye, aye, Madam«, salutierte Jonas, was mich zum Lachen brachte.
Wie mir mein Onlinereiseführer über Island verriet, lag der Campingplatz in Reykjavík sehr zentral im Herzen der Stadt – und es war auch der einzige Campingplatz, den die Stadt überhaupt zu bieten hatte.
Während wir unser erstes Ziel ansteuerten, drehte Jonas das Radio auf, und wir sangen vergnügt zu Can’t Tame Her von Zara Larsson mit. Auch wenn Zara Larsson eine schwedische Popsängerin war und ich normalerweise lieber rockige Musik wie die von Linkin Park oder Skillet bevorzugte, passten die Vibes des Songs ganz hervorragend zu unserer Stimmung. Selbst die Regentropfen, die gleichmäßig auf unsere Windschutzscheibe platschten, taten unserer guten Laune keinen Abbruch.
Ich schickte Nike und meinen Eltern eine kurze Nachricht, dass wir gut gelandet waren und mittlerweile auch schon unseren Van in Empfang genommen hatten, dann erreichten wir den Campingplatz von Reykjavík.
Doch leider folgte bereits am Eingangstor die große Ernüchterung: Der Campingplatz war vollständig belegt. Wie hatten Jonas und ich nur so blauäugig sein können und uns nicht wenigstens für unseren Anreisetag vorab um einen Schlafplatz gekümmert? Daran hatte nicht einmal der gut organisierte Jonas gedacht.
Wir schauten reichlich blöd aus der Wäsche.
Der Mann an der Rezeption zuckte bedauernd mit den Schultern und kratzte seinen langen Bart.
»Es tut mir leid, aber wir sind bis auf den letzten Stellplatz belegt. Das hier ist der einzige Campingplatz in Reykjavík, und gerade in den Monaten Juni, Juli und August ist hier die Hölle los«, brummte er mit tiefer, bassiger Stimme und auf Englisch.
Verdammt! Ich strich mir eine nervige Haarsträhne aus der Stirn und spielte ratlos an meinem Nasenpiercing.
Jonas stieß ebenfalls einen Fluch aus. »So ein Mist, warum habe ich das nicht bedacht? Und was machen wir nun?«
Tja, gute Frage. Ob es half, meinen Charme spielen zu lassen? Einen Versuch war es wert.
Ich nahm den Mann an der Rezeption ins Visier. »Und es ist wirklich gar nichts zu machen? Nicht mal für eine einzige Nacht?«, versuchte ich es noch einmal mit leicht verzweifelter Miene.
Der Mann schüttelte erneut den Kopf. »Nein, leider nicht.« Himmel, dieser Klang! Mit seiner Stimme hätte er locker der Leadsänger einer Rock- oder Death-Metal-Band sein können. Den vielen Festivalbändern nach zu schließen, die er um sein Handgelenk trug, war er tatsächlich ein Fan von rockiger Musik. Da teilten wir offenbar den gleichen Geschmack.
»Ich schätze mal, es wäre nicht sonderlich klug, sich mit dem Fahrzeug an den Straßenrand zu stellen und einfach dort eine Nacht zu bleiben?«
Wieder schüttelte der Mann den Kopf. »Würde ich an eurer Stelle nicht wagen. Wenn ihr an den falschen Kontrolleur geratet, dann wird das verdammt teuer für euch.«
Na großartig. Ich seufzte.
»Und jetzt?« Mit fragendem Blick drehte ich mich zu Jonas um, der ähnlich desillusioniert wirkte wie ich.
»Den Start in unser Filmabenteuer habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.«
Plötzlich wurde der Mann vom Campingplatz hellhörig. »Ihr seid zum Filmen auf die Insel gekommen?«, fragte er neugierig und in gebrochenem Deutsch. Hier auf dem Campingplatz kam er vermutlich mit sehr vielen Sprachen in Kontakt, und ich konnte mir vorstellen, dass es viele deutsche Touristen auf der Insel gab.
Jonas nickte. »Ja, wir wollen einen Kurzfilm über Island drehen. Es ist ein Projekt von unserer Uni.«
»Das klingt interessant«, erwiderte der Mann. »Ich wollte früher immer Film studieren, aber letzten Endes ist alles anders gekommen.«
Ich lächelte ihn müde an. »Danke für Ihre Hilfe«, sagte ich, als der Mann Jonas und mich auf einmal zurückhielt. »Wartet mal, ich hätte da vielleicht noch eine Idee.«
Er griff nach einem Zettel und kritzelte etwas darauf. Anschließend drückte er mir das Blatt Papier in die Hand.
»Fragt nach Sonya. Meine Cousine führt in der Innenstadt ein kleines Bed & Breakfast. Natürlich ist auch das vollständig belegt, allerdings hat sie noch ein winziges Apartment, das sie normalerweise nur an Einheimische vermietet, weil die Touristen hier schon überhandnehmen. Sagt ihr, dass Mágnus euch schickt.«
»Danke …«, stammelte ich und steckte den Zettel in meine Hosentasche. Damit hatte ich nicht gerechnet. Hinter der brummeligen Fassade verbag sich ein herzensguter Mensch. »Das ist wirklich nett.«
Jonas’ Gesicht hellte sich schlagartig auf. »Ja, vielen Dank, Mágnus!«
»Nicht der Rede wert. Ach, und noch was: Lasst euch von Alfa nicht einschüchtern. Hunde, die bellen, beißen nicht.«
Kurz sahen Jonas und ich uns verdutzt an. »Wer ist Alfa?«, hakte ich schließlich nach.
»Das werdet ihr noch früh genug erfahren«, antwortete Mágnus geheimnisvoll, als ein Anruf an der Rezeption einging.
Er hob die Hand zum Gruß, und auch wir verabschiedeten uns.