A Glorious Bastard - Alexander Kopplow - E-Book

A Glorious Bastard E-Book

Alexander Kopplow

0,0

Beschreibung

"Wenn wir schon zur Hölle fahren, dann mit Stil!" Kein Wort beschreibt Lysias den Zerstörer so gut dieses: unbesiegbar. Seit Jahrtausenden liegt der Unsterbliche mit den Göttern im Clinch, aber noch ist er aus jedem Kampf siegreich hervorgegangen. Inzwischen hat die Langeweile Einzug in das Leben des Unbesiegbaren gehalten. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als der junge Halbgott Reon ihn um Hilfe bittet. Er soll Reons Schwester aus dem Tartaros befreien, dem tiefsten Teil der Unterwelt und Heimat der Götter. Lysias kommt der Bitte nach - ohne zu ahnen, dass ihn der Weg direkt in seine persönliche Hölle führen wird. Und damit beginnt der erste Teil einer wahrhaft göttlichen Komödie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 182

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 1

Für einen Kampf auf Leben und Tod musste man entsprechend vorbereitet sein. Diese Lektion hatte Rowena bereits mit vier von ihrer Mutter gelernt und seitdem an jedem Tag ihres Lebens beherzigt.

Vorbereitung implizierte nicht nur das Schärfen von Waffen, das Anlegen von Rüstung oder das jahrelange tägliche Training. Genauso wichtig war die mentale Vorbereitung.

Nervosität war normal. Rowena kannte ihre eigenen Stärken und Schwächen, die ihres Gegners jedoch waren ihr weitestgehend fremd. Andererseits wäre sie mit ihren Fähigkeiten ebenfalls eine unbekannte Größe für ihren Widersacher, daher hoffte sie, ihn auf dem falschen Fuß erwischen zu können.

Rowena hatte gelernt, ein Schwert zu halten, noch bevor sie hatte laufen können. Ihre Mutter hatte oft erwähnt, sie sei das Wunderkind der Familie, ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder. Und Rowena hatte sich stets bemüht, diesen Ansprüchen zu genügen.

In einer Zeit, in der der Glaube an die Wissenschaft den Glauben an das Göttliche abgelöst hatte, war es für die Tochter einer leibhaftigen Göttin schwer, ihrer Abstammung treu zu bleiben. Heute Nacht jedoch würde sich Rowena einen Platz unter den Göttern verdienen.

Sorgfältig befestigte sie zwei Messer in den dafür vorgesehenen Holstern an ihren Beinen. Eines an der Wade, eines am Oberschenkel. An der Hüfte hing ein Schwert, das ihre Mutter ihr überlassen hatte, einzig und allein zu dem Zweck, den Widersacher der Götter zu töten.

Dutzende Helden waren bereits an dieser Herausforderung gescheitert, doch keiner von ihnen hatte eine Ausbildung wie Rowena genossen. Wenn ihre Mutter es von ihr verlangt hätte, hätte sie es auch mit dem Tod selbst aufgenommen.

Sie hoffte, ihr leuchtend rotes Haar unter der schwarzen Kapuze verbergen zu können. Obwohl die Nacht von den Lichtern der Stadt durchzogen wurde und die Menschen wie die Herren der Welt ohne Furcht vor der Dunkelheit durch die Straßen flanierten, wusste Rowena, in der Menge unterzugehen.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der die Menschen die Götter gefürchtet hatten. Opfergaben hatte man ihnen dargebracht, wann immer man es versäumt hatte, ein göttergefälliges Leben zu führen. Wenige hatten die Macht der Götter angezweifelt und diejenigen, die es gewagt hatten, sie dennoch herauszufordern, hatte ein unaussprechliches Schicksal ereilt.

Doch diese Ära war längst vergangen. Jetzt huldigte die Menschheit der Wissenschaft, die sich anmaßte, noch über den Göttern zu stehen, obwohl es so viel gab, was sie nicht erklären konnte. Insgesamt hatte das Göttliche wenig Einfluss auf den Alltag der Menschen.

Als Rowena durch die abendlichen Straßen huschte, sah sie Leute, die in ihre Smartphones vertieft waren, immer auf der Suche nach dem nächsten, oberflächlichen Kick. Rowena, die ihr Leben in den Dienst der Götter alter, längst vergessener Zeiten gestellt hatte, konnte nicht anders, als diese Menschen zu verachten. Sie lebten für nichts und sie würden für nichts sterben. Im Licht der Geschichte war ihre Existenz bedeutungslos für alle außer sie selbst.

Die Fußgängerampel sprang auf Rot und Rowena blieb an der Straßenecke stehen. Ein Mann, dessen Gesicht kaum unter dem verfilzten Bart hervorlugte, torkelte auf sie zu. Der Geruch von Alkohol umwehte ihn, als er zwei Schritte von Rowena entfernt stehenblieb und sie neugierig musterte.

Rowena schaute unter ihrer Kapuze hervor und ihre Blicke trafen sich. Sie legte eine Hand an den unter ihrem Hoodie verborgenen Schwertgriff und nickte dem Obdachlosen knapp zu.

„Geh weiter“, sagte sie ruhig. „Das ist besser für uns beide.“

Der Mann stieß einen undeutlichen, brabbelnden Laut aus, dann torkelte er weiter, wobei er gerade genug Verstand besaß, nicht bei Rot über die Straße zu laufen.

Die Göttertochter seufzte erleichtert, als die Ampel umsprang und sie sich wieder in Bewegung setzen konnte, immer auf der Fährte ihres Ziels. Sie war nicht hier, um sich mit unbedeutenden Menschen zu streiten. Ihr Ziel war ein viel höheres.

Sie war geschickt worden, um Lysias zu töten. Den Zerstörer. Den Widersacher der Götter.

Ihr Weg führte sie zu einem selbst in der Nacht hell erleuchteten Hochhaus. An der Außenwand hingen Neonbuchstaben, die über die ganze Stadt hinweg zu sehen sein mussten. Dort oben würde sie sich eine Schlacht biblischen Ausmaßes mit ihrem Gegner liefern.

Rowena straffte die Schultern und betrat das Gebäude. An der Information saß ein gut gekleideter, jedoch gelangweilt aussehender junger Mann, der auf seinem Smartphone tippte.

Ohne ihm einen zweiten Blick zu schenken ging Rowena zu den Aufzügen, als gehörte sie hierher. Der Mann sah ihr nach, zögerte jedoch, sie aufzuhalten. Und bevor er sich entscheiden konnte, hatte sich die Aufzugtür bereits hinter Rowena geschlossen.

Sie spürte den Ruck unter ihren Füßen, als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Dreißig Stockwerke fuhr sie nach oben, bevor sie ausstieg. Von hier aus ging es zu Fuß weiter.

Zielstrebig folgte sie dem Flur, der um diese Tageszeit bereits dunkel und leer war. In den obersten Stockwerken waren Büroräume für Menschen untergebracht, die sich für sehr wichtig hielten und das der Welt zeigen wollten.

Rowena war absichtlich erst in den Abendstunden hergekommen. Je weniger Unschuldige in dieser Schlacht verletzt werden würden, umso besser. Die Menschen mochten ignorant und verkommen sein, aber einen unnötigen Tod wünschte Rowena ihnen dennoch nicht.

Sie wagte noch nicht, von einem eigenen Platz zwischen den Göttern bei den Sternen zu träumen, aber wenn sie aus dieser Schlacht siegreich hervorgehen sollte, war all dies plötzlich im Bereich des Möglichen.

Sie hatte das Ende des Ganges erreicht, an dem ein Bücherregal stand. Es war fast schon ein Klischee, aber man hatte sie gewarnt, wie sehr Lysias den dramatischen Auftritt liebte. Sie zog zwei bestimmte Bücher zurück und lauschte dem Mechanismus in der Wand, der das Regal zurückklappen ließ, sodass sich eine geheime Treppe öffnete.

Der Menge an Staub nach, die ihr beim Eintreten entgegenschlug, war dieser geheime Aufgang lange nicht mehr benutzt worden. Rowena fragte sich, wann es aus der Mode gekommen war, Neubauten geheime Treppen und Fluchttunnel zu verpassen. Sie fand beides äußert praktisch.

Die Göttertochter holte tief Luft, um ihren Herzschlag zu beruhigen. Mit jedem Schritt kam sie ihrem Schicksal näher.

Der Hoodie fiel zu Boden, als sie den Aufstieg begann. Ihre Waffen klirrten bei jedem Schritt.

Sie hatte eine Taschenlampe mitgebracht, stellte nun jedoch fest, dass sie diese nicht brauchte. Kleine Notleuchten erhellten ihren Weg zum obersten Stockwerk.

Dann erreichte sie eine schwere Feuerschutztür. Aus dem Raum dahinter war leise Jazzmusik zu hören. Und wenn Rowena die Augen schloss, vernahm sie sogar ungleichmäßige Schritte.

Mit angehaltenem Atem zog sie das Schwert aus der Scheide. Das Gewicht der Waffe beruhigte sie.

Sie öffnete die schwergängige Tür, die genau wie der Eingang hinter einem Regal verborgen war. Der Geruch von Räucherstäbchen stieg ihr in die Nase, als sie in das dunkle, minimalistisch eingerichtete Wohnzimmer trat. Ihre Schritte wurden von einem schweren Teppich gedämpft.

Die Aura von Gefahr war beinahe körperlich spürbar. Mit beiden Händen den Schwertgriff umklammernd schlich Rowena vorwärts, als plötzlich das Deckenlicht aufleuchtete. Wie erstarrt hielt sie inne.

Im Durchgang zwischen Wohnzimmer und Küche erhob sich eine Gestalt. Hörner ragten aus dem deformierten Schädel, ein langer, in einem Widerhaken endender Schweif schlängelte sich über den Boden, als hätte er ein Eigenleben.

Die bizarre Erscheinung vor ihr hatte vage Ähnlichkeit mit einem Menschen, dennoch wäre der Begriff Bestie angemessener gewesen. Als Lysias sprach, entblößte er drei Reihen messerscharfer Zähne, dazu gemacht, jemandes Kehle aufzureißen.

„Du bist mutig, dich hierher vorzuwagen“, knurrte er, die in Krallen endenden Finger zu Fäusten geballt.

„Lysias, Widersacher der Götter!“, entgegnete Rowena und hoffte, er konnte nicht sehen, wie ihre Finger zitterten. „Ich wurde von meinen Ahnen geschickt, um deiner Existenz ein Ende zu setzen.“

Noch bevor sie den Satz hatte beenden können, stürzte Lysias sich auf sie. Seine scharfen Klauen streiften ihre Wange und hinterließen einen brennenden Kratzer darauf. Rowena warf sich zur Seite, rollte sich ab und war sogleich wieder auf den Beinen, um ihrem Angreifer mit einem Ausfall zuvorzukommen.

Die Klinge drang in seine Flanke ein und dunkles, heißes Blut spritzte ihr entgegen. Im nächsten Moment sah Rowena sich mit einem Maul voller Zähne konfrontiert. Mit einem Ruck zog sie das Schwert aus dem Fleisch ihres Gegners und tänzelte rückwärts, Lysias dicht auf den Fersen.

Ihr Puls hämmerte ihr in den Ohren.

Brüllend wie ein Bär setzte Lysias ihr nach. Rowena sprang auf die Couch, um ihm auszuweichen, schwang sich über die Lehne und duckte sich dahinter, als der Kiefer mit einem unheilvollen Geräusch erneut knapp über ihr zuschnappte. Für eine Sekunde sah sie die ungeschützte Kehle direkt über sich, war jedoch nicht schnell genug, sie mit dem Schwert zu treffen, bevor der Schweif der Bestie sie mit der Wucht eines Hammers im Nacken traf.

Mit einem mühseligen Stöhnen rollte Rowena sich erneut ab. Sie wusste nicht, wohin, vor ihren Augen drehte sich alles von der Kraft des Treffers. Sie wusste nur, dass sie Abstand zwischen sich und Lysias bringen musste, bevor dieser erneut zum Angriff übergehen konnte.

In seiner Eile, sie zu erreichen, hatte das Biest den Beistelltisch umgeworfen. Scheppernd zerschellten Gläser, als der Tisch auf ihnen landete, alle anderen Geräusche wurden durch den Teppich erstickt.

Rowena hatte inzwischen den Durchgang erreicht. Sie sah, wie Blut aus der Wunde des Widersachers strömte. Lysias hatte eine Hand darauf gepresst und fixierte sie mit kühlem Blick.

Sofort warf Rowena sich wieder in den Kampf. Sie täuschte eine Finte an, um einem weiteren Treffer des unerwartet starken Schweifs zu entgehen.

Mit einem Kampfschrei warf sie sich auf ihren Gegner. Die Klinge ihres Schwertes grub sich tief in seine Schulter. Der Aufprall ließ sie beide zu Boden gehen.

Lysias verbiss sich in ihrem Arm. Rowena konnte die drei Reihen von Zähnen spüren, die dabei waren, ein Stück Fleisch einfach herauszureißen. Sie ließ das Schwert in seiner Schulter stecken und langte stattdessen nach dem Messer an dem Holster ihres Beines.

Die Kehle des Biests bot keinerlei Widerstand, als sie das Messer hineinrammte. Brüllend und Blut spuckend ließ Lysias von ihr ab. Er wand sich mit einer solchen Kraft unter ihr, dass Rowena ihn nicht festhalten konnte.

Mit aller Kraft presste sie ein Knie gegen seine verwundete Kehle, in der Hoffnung, die Luft könnte ihm ausgehen. Doch stattdessen wurde sie nur wie bei einem Rodeo abgeworfen, während Lysias sich unter Qualen am Boden wand. Ihr Schwert steckte immer noch in seiner Schulter, doch darum schien er sich gar nicht zu kümmern. Für einen Todesstoß brauchte sie es allerdings noch.

Das Blut ihres Feindes bedeckte inzwischen ihre Hände. Atemlos wischte sich Rowena den Schweiß aus dem Gesicht. Ihr Körper zitterte nicht länger, als sie auf die Beine kam, in einer Hand das Messer.

Mit einem dumpfen Knurren setzte Lysias sich auf. Seine kalten Augen fixierten Rowena mit einer Mordlust, die kein wildes Tier empfinden konnte, nur ein Mensch. Eine Hand hatte er auf die blutende Wunde am Hals gepresst, die andere jedoch war noch einsatzfähig. Sein Schweif peitschte auf und ab.

Ganz langsam umrundeten die beiden Kontrahenten einander. Rowena sah sich selbst im Vorteil. Ihr Gegner war verwundet und hatte ihre Kampfstärke bisher offenbar unterschätzt, sonst hätte er sich nicht auf eine direkte Konfrontation mit ihr eingelassen. Jetzt jedoch schien er den Kampfgeist seiner Herausforderin anzuerkennen.

Der nächste Angriff würde über Sieg oder Niederlage entscheiden. Rowena mochte in außerordentlicher körperlicher Verfassung sein, doch auch sie konnte ein Gefecht nicht ewig hinziehen, ohne an Kraft und Schnelligkeit einzubüßen.

Die Gewissheit, dass einer von ihnen innerhalb der nächsten Minuten sterben würde, musste auch Lysias überkommen haben. Anstatt sich wie bisher blind in den Kampf zu stürzen und auf seine Überlegenheit zu vertrauen, verfolgte er Rowena jetzt nur noch mit seinen Blicken.

Ganz langsam hob er die freie Hand und griff nach dem Schwert in seiner Schulter. Kaum dass seine Fingerspitzen den Knauf berührten, stürzte Rowena vor.

Sie zog das zweite versteckte Messer hervor, rammte das erste in seinen Unterarm und griff nach dem Schwert. Als der Schweif wie erwartet auf ihren Kopf zugerast kam, riss sie das verbliebene Messer hoch und hielt es eisern vor sich.

Der Schweif traf es mit einer solchen Wucht, dass die Klinge einmal hindurchgetrieben wurde und auf der anderen Seite wieder heraus kam. Rowena ließ alle Waffen fallen, packte stattdessen ihr Schwert und stieß es mit einem Siegesschrei einmal durch den Kopf ihres Gegners.

Sie hörte, wie Lysias fiel, und spürte, wie sein Blut ihren Körper traf. Schwer atmend taumelte sie zurück, um den letzten Todeszuckungen zu entgehen. Doch als sie sich wieder gesammelt hatte, war Lysias bereits sämtliches Leben entwichen.

Für einige Sekunden lauschte Rowena atemlos der Stille nach dem Kampf. Nur ihr eigenes Keuchen und ihr rasender Herzschlag waren zu hören. Dann erreichte die Erkenntnis, den Sieg über den ewigen Widersacher der Götter davongetragen zu haben, endlich ihr Bewusstsein.

Unter Siegesgeheul riss Rowena ihr Schwert in die Höhe. Sie hatte kaum noch die Kraft, es über ihren Kopf zu heben, jetzt, da ihr Adrenalinpegel zurückging.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung. Vorsichtig trat sie näher an Lysias' Leiche heran und stieß diese probeweise mit der Schwertspitze an.

Die Mundwinkel des Toten verzogen sich, dann begann er zu lachen. Prustend und lachend rollte sich Lysias auf die Seite und setzte sich auf, um die Messer aus seinem Arm und der Schweifspitze zu ziehen.

Entsetzt wich Rowena zurück. Vor ihren Augen verwandelte sich die eben noch blutig zugerichtete Bestie in einen Mann, der von jedem anderen Menschen auf der Straße nicht zu unterscheiden gewesen wäre. Sämtliches Blut verschwand von einem Moment zum anderen, genau wie die Hörner oder die mörderischen Zähne.

Lysias kicherte noch immer vor sich hin, als er aufstand und sich imaginären Staub aus der Kleidung klopfte. Als er Rowenas Blick bemerkte, wurde sein Lachen nur noch lauter.

„Das hat wirklich Spaß gemacht, findest du nicht?“ Er strich sich durch das kurze, schwarze Haar, hielt die Luft an und kicherte dann erneut. „Ich hatte wirklich überlegt, ob ich mein Blut nicht grün färben sollte, damit es noch bestialischer aussieht.“

Als hätte Rowena ihn nicht gerade mehrfach durchbohrt, schlenderte Lysias zu dem umgekippten Tisch und richtete ihn auf. Dann schenkte er sich einen Drink ein.

„Ich bin hier, um deiner Existenz ein Ende zu setzen“, ahmte er sie nach und schüttelte sich dabei vor Lachen.

„Nichts für ungut, Prinzessin. Im Vergleich zu den Helden, die die Götter mir sonst so schicken, war deine Darbietung wirklich außerordentlich. Aber an deinen rhetorischen Fähigkeiten musst du wirklich noch arbeiten.“

Rowena wusste nicht, wie ihr geschah. Eben noch hatte sie gegen ein fürchterliches Monster gekämpft, den Widersacher der Götter, jetzt lachte Lysias sie aus, als hätten die Jahre harten Trainings nichts bedeutet.

„Dein Schwert“, sagte Lysias in diesem Moment und deutete auf die Waffe in ihrer Hand. Er hatte aufgehört zu lachen und schmunzelte jetzt nur noch vor sich hin. „Gib es mir.“

Mit einem Ruck, der Rowena überraschte, riss sich ihr im Magma eines Vulkans geschmiedetes Schwert aus ihrer Hand und flog quer durch den Raum zur Couch.

Lysias streckte sich, bis seine Schultern knackten.

„Wirklich sehr unterhaltsam. Wie alt bist du? Sechzehn, siebzehn?“

„Neunzehn“, stammelte Rowena, die noch immer nicht verstanden hatte, was gerade geschehen war. Sie starrte auf den Blutfleck im Teppich, der mit jeder Sekunde kleiner wurde und dann ganz verschwand. Ganz genau so erging es der Bisswunde an ihrem Arm.

„Immer noch ein Teenager“, kommentierte Lysias mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Du solltest dir Gedanken um Jungs und deinen Führerschein machen, nicht darum, wie du andere Leute abstechen kannst. Deine Bemühungen in Ehren, aber bis du mir das Wasser reichen kannst, dürften noch ein paar Jahrtausende vergehen. Wenn es so weit ist, darfst du dich gerne wieder melden.“

Der Boden tat sich unter Rowena auf. Plötzlich stürzte sie in die Tiefe, ihr Magen überschlug sich und sie kniff in Todesangst die Augen zusammen. Als sie wieder blinzelte, fand sie sich unten vor dem Gebäude wieder.

Kapitel 2

Nachdem Lysias die Wohnung mit einem Wink seiner Hand wieder in Ordnung gebracht hatte, schenkte er sich einen Drink ein und trat an die Fensterfront, um den Ausblick über die nächtliche Stadt zu genießen. Er schmunzelte noch immer in sich hinein. Beim nächsten Mal würde er sich selbst Flügel verpassen, sodass sein für gewöhnlich jugendlicher Herausforderer ihn dramatisch aus dem Fenster werfen konnte.

Als die Götter vor vielen Jahrhunderten angefangen hatten, ihm Helden oder ihre eigenen Kinder zu schicken, um ihn zu töten, hatte Lysias erst verletzt reagiert und einige aus heutiger Sicht unnötige Blutbäder veranstaltet. Aber in den letzten Jahrhunderten war er klüger geworden. Wann immer ihm ein gut ausgebildeter Teenager-Halbgott gegenüberstand, lieferte er sich mit diesem einen dramatischen Kampf, um dessen Ego nicht zu verletzen. Letztendlich entledigte sich Lysias der jungen Helden mit einem Handschlag. Manchmal tötete er sie dabei, meistens jedoch ließ er sie am Leben. Götter konnten furchtbar nachtragend sein, wenn man ihre Kinder tötete.

Sein Blick fiel auf das Schwert der jungen Herausforderin. Es lag noch immer auf der Couch. Die Klinge glänzte im dämmrigen Licht der Wohnung. Kein Tropfen Blut war mehr darauf zu sehen und vom Stahl selbst schien ein kaum merkliches Leuchten auszugehen. Vermutlich eine magische Waffe.

Lysias leerte sein Glas, griff nach dem Schwert und nahm es mit in den angrenzenden Raum. An den Wänden reihten sich Speere, Dreizacke, Schwerter jeglicher Zeitalter und Kulturen und einige leere Halterungen für zukünftige Waffen. An dieser Wand brachte Lysias seine neueste Errungenschaft an.

Weshalb noch kein Halbgott versucht hatte, ihn zur Abwechslung mal zu erschießen, anstatt immer mit antiquierten Waffen herumzufuchteln, war ihm ein Rätsel. Vermutlich hatte es damit zu tun, wie altmodisch Götter waren.

Im nächsten Moment hatte er die Göttertochter bereits vergessen. Seine Gedanken kreisten nun darum, was er für eine Nacht in den Clubs der Stadt anziehen sollte, und diese Angelegenheit erschien ihm deutlich ernster als ein Kampf gegen eine Halbwüchsige.

Seine Wahl fiel auf ein dunkelgrünes Hemd, das er mit einem Zauber belegt hatte, sodass die Muster sich für den Betrachter zu bewegen schienen. Obwohl es Lysias nicht kümmerte, was die Menschen mit ihren achtzig, neunzig Jahren Lebensspanne von ihm dachten, war es ihm wichtig, gut gekleidet zu sein. Im Laufe der Jahrhunderte hatte es sich stets als nützlich erwiesen, gut gekleidet zu sein, mit Ausnahme der französischen Revolution.

Zu dieser war Lysias leider zu spät gekommen. Es war ein Zeitalter gewesen, in denen Nachrichten sich nur langsam um die Welt verbreiteten, und als es ihn dann endlich nach Frankreich verschlagen hatte, waren die meisten Adligen bereits geköpft worden.

Egal, wie gut Lysias sich kleidete, die Menschen um ihn herum schienen stets unbewusst zu spüren, dass er nicht zu ihnen gehörte. Sie konnten den Finger nicht darauf legen, aber etliche seiner Bekanntschaften ließen sich dazu hinreißen, ihn als außergewöhnlich oder überirdisch zu bezeichnen.

Er erreichte einen Club, in dem man ihn bereits kannte. Seit der Eröffnung vor wenigen Jahren kam er regelmäßig hierher. Er mochte die Atmosphäre und das Klientel, wenn auch nicht die Musik.

Egal, wie viel Vergnügen etwas am Anfang bereiten mochte, wenn man es zu oft wiederholte, wurde es ohne Ausnahme fade. Lysias hatte diese Erfahrung mit allem machen müssen, was er in seinem langen Leben ausprobiert hatte.

Es gab wenig, was er nicht versucht hatte. Handwerklich war er so geschickt wie im Umgang mit Instrumenten, Worten oder Waffen. Drei Jahre hatte er in einem Kloster verbracht und kein Wort gesprochen, um innere Einkehr oder Erleuchtung oder was auch immer zu finden. Für einige Jahrhunderte hatte er sich die Zeit damit vertrieben, Weltreiche aufzubauen, nur um dann zum Feind überzulaufen und diese wieder zu zerstören.

Zahlreiche Volker hatten ihn als Gottkönig verehrt, aber auch das war ihm mit der Zeit langweilig geworden. Das 21. Jahrhundert bot fantastische Möglichkeiten der Ablenkung. Musik, Filme, Videospiele, Pornographie, Fallschirmspringen. Aber nichts davon hatte Lysias' Langeweile für mehr als ein paar Monate vertreiben können.

Er hatte jede Droge ausprobiert, die die Menschheit zu bieten hatte. Zwar stellte das seinen Kopf für eine Weile ruhig, befriedigte den inneren Drang, etwas zu erleben, aber nie.

Lysias bahnte sich den Weg durch die Menge an tanzenden, verschwitzten und alkoholisierten Leibern. Am liebsten hätte er sich einfach fallen lassen und wäre dem Rhythmus der Musik gefolgt, aber so einfach war es nie.

Die gesamte Menschheit schien sich in einem ewigen Kreislauf zu befinden. Zu lang, als dass ein Mensch ihn hätte nachverfolgen können, doch wenn man die Generationen verfolgte, fanden sich doch Muster. Diese Muster zogen sich durch alles, was die Menschen schufen.

Filme und Theaterstücke folgten stets derselben Struktur. Dasselbe galt für Literatur, Kunst und Musik. Und so dauerte es nicht lange, bis Lysias auch dieser Beschäftigung überdrüssig wurde.

Er spielte mit dem Gedanken, sich an der Bar noch einen Drink zu holen, vielleicht mit einigen alleinstehenden Damen zu flirten und eine davon mit nach Hause zu nehmen. Aber diese Aussicht lockte ihn heute Nacht nicht.

Nach weniger als einer Stunde zog er bereits weiter durch die nächtliche Stadt, immer auf der Suche nach etwas, das die tödliche Langeweile vertreiben konnte.

Er ärgerte sich darüber, den Kampf gegen die Göttertochter nicht weiter in die Länge gezogen zu haben. Es brachte sein Blut in Wallung, mit jemandem zu kämpfen, der es wirklich darauf abgesehen hatte, ihn zu vernichten – auch wenn Lysias natürlich niemals wirkliche Gefahr drohte.

Seine Gedanken schienen seine Schritte beeinflusst zu haben, denn ehe er es sich versah, hatte er das Bahnhofsviertel erreicht. Der einzige Ort in dieser sterilen, kindersicheren Welt, in der man noch wirklich den Kitzel der Gefahr verspüren konnte.

Die Menschen in diesen Gebieten hatten ihre Hoffnungen verloren und dem abgeschworen, was saubere, sterile, kindersichere Menschen Rechtschaffenheit nannten. Mit solchen Begriffen konnte Lysias schon lange nichts mehr anfangen. Sich als großer Retter aufzuspielen machte weniger Spaß als Chaos und Unheil über die Welt zu bringen.