À la carte - Otto Jägersberg - E-Book

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Otto Jägersberg

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Beschreibung

Warum gibt es bei uns keine Weinkönige? Passt Bier zu einer ernsthaften Kartoffelsuppe? Aufschnitt lieber fein oder normal? Lustvoll und schwelgerisch, präzise und skurril widmet sich Otto Jägersberg in seiner Kurzprosa nicht nur der Kulinarik, er streift bei seinen Alltagsbetrachtungen leichtfüßig durch die Nachbarschaft, in Gedanken über den Friedhof, neugierig durchs Boudoir und als Maler, Beobachter und komischer Chronist der Wirklichkeit durch Wälder und Städte.

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Seitenzahl: 108

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Otto Jägersberg

À la carte

Prosa

Diogenes

1

Aufrecht wundersam stehen die Bäume im Sturm und unter dem Schnee. Wie sie ihr Gleichgewicht ausbalancieren. Und ihre Wurzeln saugen den Saft der Wälder. In ihren Rinden erkennt man die Gesichter der Schwarzwälder, abgearbeitete, grimmige, sanfte, da gibt es zu sexuellen Deutungen anregende Aufplatzungen, da strotzen im Wuchs der Äste zweideutige Symbole. Wenn man rauskommt aus den Wäldern und sieht die ersten Menschen und ihre Gesichter, ist man enttäuscht.

2

Zum Glück meiner Kindheit gehörte es, dass meine Mutter es eingekocht und eingeweckt hatte. Pflaumen, Kirschen, Birnen. Wenn ich Glück brauchte, ging ich in den Keller, nahm ein Glas, zog am Gummiring und machte mich über das Glück her. Meist war mir danach schlecht.

3

Höllenlärm auf der Straße, Gebuddel auf dem Gehweg, sie verlegen Kabel für schnelleres Internet. Sofort geh ich noch langsamer als eh schon.

4

Vom Hund

Er fliege nicht mehr

Die Jahre die ihm noch gegeben seien

Möchte er mit dem Hund verbringen

Nach endlosen Erklärungen

Über seine enge Beziehung (zu seinem Hund)

Sagt seine Frau verzagt

Ich mag ihn ja auch

5

Auf Kniehöhe in Berlin, 1959. Am Kurfürstendamm 30, Ecke Uhlandstraße, besuchte ich die Bücherstube Schoeller, damals als literarischste Buchhandlung Deutschlands gerühmt. Im hinteren Teil der Buchhandlung, neben der Toilette (getarnt als Bücherwand), in Kniehöhe, fand ich einen Subskriptionsprospekt des Rhein Verlags Zürich von 1926 für den Ulysses von Joyce, »Privatdruck in beschränkter Auf‌lage: zwei starke Bände, in Bodoni-Antiqua auf Bütten gedruckt und in Halbleder gebunden«. Nicht für jedermann: »Zugelassen sind: Personen über fünfundzwanzig Jahre, die sich über ernstes literarisches Interesse ausweisen können.« Was für ein Dokument! Und liegt da zwischen theologischen Büchern und Lebensweisheitsratgebern in Kniehöhe seit Jahrzehnten. Das Ding wollte ich unbedingt haben und legte es Frau Rodig (geborene Marga Schoeller) vor. Woher haben Sie das?

Da – hinten – unten, Kniehöhe.

Kann ich Ihnen nicht verkaufen, ist ja Werbung … aber weil Sie es gefunden haben, können Sie es mitnehmen.

Ich nutzte die gute Stimmung, stellte mich vor, sei nur vorübergehend in Berlin, noch Lehrling in Münster, würde nach Abschluss meiner Lehrzeit gerne in Berlin, bei ihr, arbeiten. Gut, melden Sie sich.

Ich ging hin, ein Jahr später, und blieb. Ich hatte damals noch einfache Ziele. Jeden Tag einen Ulysses verkaufen, die Sonderausgabe, Rhein Verlag, 19,8o Mark. Das haute hin.

Nach zwei Jahren verließ ich Berlin und ging nach Zürich. Das war eine interessante Stadt damals. 12 Tageszeitungen. Allein die Neue Zürcher Zeitung erschien drei Mal am Tag! Sie meldeten gerade, dass die Friedhofsliegezeit für Joyce in Fluntern, gleich neben dem Zoo, um war und man das Grab aufheben wollte. Ich organisierte eine Rockergang, um die Asche von Joyce zu entführen. Bevor das geschehen konnte, wurde in letzter Stunde das Grab von Joyce zum Ehrengrab erklärt. Darin ruht er bis heute.

Gleich hinterm Zaun wälzen sich Löwen im Staub, und ein Nilpferd planscht im Pool.

6

Aufschnitt hieß das Wort für Wurst. Feiner oder normaler. Bei unserem Kaufmann Kneilmann am Albersloher Weg lag der vorgeschnitten in schön arrangierten Stapeln. Im Feinen waren auch ein Scheibchen Schinken und ein Rädchen Kalbsleberwurst mit Trüffel (die Trüffel waren schwarz gefärbte Champignonstückchen). Beim Auf‌trag »vom Normalen bitte« glitt die Gabel der Lebensmittelfachverkäuferin elegant über den Schinkenhaufen und die Kalbsleberwursträdchen hinweg.

7

Ziele haben. Man sieht’s bei den Hunden. Sie lechzen danach.

Ein erwachsener Mensch sollte keine Ziele haben. Das lenkt nur ab vom Leben.

8

Am liebsten hätte er Friseur werden wollen. Da konnte man noch elegant sein, höf‌lich, Manieren zeigen. Die letzte Chance, sich von den anderen zu unterscheiden, die ins Elektronische oder Medizinische driften wollten. Er träumte davon, Friseur zu sein. Mit dem Kamm in der Hand. Sein Kamm in den Haaren der Welt. Verwalter der Haare. Heger und Pfleger. Gestalter, Designer. Und dieses Gleiten der Haare zwischen seinen Fingern. An das Rasiermesser, an den Umgang des Rasiermessers, dachte er noch gar nicht.

9

»Schwäne, die kleine Augen haben und lange Hälse, mit denen sie die Leute nicht mögen.«

Irmgard Keun

10

Zeit, das ist die, die immer schon vorbei ist. Zeit ist das nicht Haltbare und deswegen eine Herausforderung für Uhrmacher. Die können Zeit zu etwas Verlässlichem machen, etwas Nachprüfbarem und Voraussehbarem, eben war es 5 vor 12, und morgen wird es das wieder sein zur selben Zeit. Die haben den Tick und die, die damit rumlaufen, den Tack.

11

Warum gibt es bei uns keine Weinkönige? Weinköniginnen gibt’s an jedem zweiten Rebberg. Sie können Riesling und Müller-Thurgau sagen. Aber Weinkönige? Dabei haben sich viele Männer zu Weinkennern hochgetrunken. Sie können die Unterschiede von Riesling und Müller-Thurgau sogar schmecken. Manche Frauen sind begeistert, wenn sie solch einen Weinkenner kennenlernen. Endlich können sie vertrauen und sich verlassen und noch ein Glas mehr trinken. Der Weinkenner entwickelt sich dabei zwangsläufig zum Frauenkenner. Als solchem obliegt ihm freilich noch mehr Verantwortung. Die Frage, warum es bei uns keine Weinkönige gibt, ist weiter unbeantwortet.

12

Damit ein Buch ein gutes Buch ist, muss schon auch Quatsch drinstehn. Ein gutes Buch hat Fehler, die den Leser erfreun.

13

Die Himmelskuh. Seit zwanzig Jahren ist die Himmelskuh Alkoholikerin. Man hält ihr zugute, dass es wegen ihres Mannes ist, dessen Vergangenheit sich zu der Zeit überraschend als die eines Nazis präsentierte. Dokumente waren von einem Historiker vorgelegt worden, die ihren Mann in üblem Licht zeigten. Todesurteile wegen unerlaubtem Entfernen von der Truppe hatte er noch verfügt, als der Krieg für jedermann erkennbar verloren war. Und anderes. Alles unerfreulich. Dabei war ihr Mann auch guter Katholik gewesen, hatte einem Kreis bekennender Katholiken in ihrer Heimatstadt angehört, der in Opposition zur Naziführung stand. Sie fing also das Saufen an und hat bis heute nicht aufgehört. Der Vater von Hans nannte sie die Himmelskuh. Weil sie fromm war und beschränkt und fünf gesunden Kindern das Leben geschenkt hatte. Hans besucht die Neunzigjährige einmal die Woche, nicht gern. Begrüßt wird er von der stattlichen Polin, die das Haus der Himmelskuh versorgt. Sie küsst ihn und er küsst sie bei der Begrüßung, und das bringt die Himmelskuh regelmäßig zur Weißglut. Sie hält die Polin für eine Schlampe und behandelt sie entsprechend. Die Polackin klaut, sagt sie, die Polackin stinkt, sagt sie auch gern, und dass es mit Deutschland weit gekommen sein müsse, wenn in ihrem Haus eine Polackin ihr freches Haupt erheben dürfe. Hans windet sich, aber er ist der einzige Besuch, den die Himmelskuh noch bekommt, außer den Kindern, die aber weit weg wohnen. Der Mann der Himmelskuh war einmal der Freund seines Vaters in diesem Widerstandskreis gewesen. Er ist es dem Andenken an seinen Vater schuldig, die Himmelskuh einmal die Woche zu besuchen. Nicht lange, eine Stunde, und er ist froh, wenn er wieder draußen ist. Einziger Lichtblick ist die Polin, die ihn küsst.

14

Therapiestunde Gelassenheitstraining im Wartezimmer und im Flur. Beim Doktor. Was man alles sieht und liest. Vielen geht es schlecht. Leben auch in den Illustrierten, die man nicht leben möchte. Ganz groß Gala, sie bringen zweimal dasselbe Foto einer Frau im Hosenanzug, vorne in der Legende als geschmacklos bezeichnet, hinten in der Partykolumne als toll.

Larissa sah heute traurig aus.

Frau Werner hatte Gesundheitssandalen an, die quietschen.

Das Mädchen mit dem dicken Hintern lief zehnmal den Flur rauf und runter.

Mein Blut soll im Leib vortreff‌lich kreisen.

Auch die Sumpfgegend des Körpers unter dem Sichtgerät vorzüglich geordnet.

Leberwerte ein bisschen gestiegen. Ich sei, gab ich an, in den letzten Tagen dienstlich zu manchen Gläsern genötigt worden.

15

Kunsthonigsenator, Kunstwarenminister, Kulturbürgermeister, es gibt so schöne Berufe. Dennoch, die Gesellschaft sollte sich nicht um Kunst kümmern. Davon werden nur die Museen voll. Da glauben die Leute dann, Kunst zu sehen. Mag ich mag ich nicht. Geschmacksfragen. Die moderne Kunst macht es ihnen leicht, ihre Unverständlichkeit erspart die Peinlichkeit, etwas nicht verstehen zu können.

16

Ich aß Spinat, ein Pfund Spinat, vom Markt, eine Plastiktüte voll Spinat, ich wusch den Spinat, ich tat ihn in kochendes Wasser, husch, ich goss ihn ab, ich schälte eine Zwiebel, schnitt eine Zwiebel, schälte eine Knoblauchzehe, schnitt sie, tat Zwiebel und Knoblauch in eine Pfanne, in der heiße Butter schwamm, packte den Spinat dazu, drehte ein paarmal um, salzte, probierte, nahm nacheinander drei Portionen Spinat auf den Teller, aß, oh, war das gut.

17

Warn wir in Passau. Oder in Amsterdam. Drittes Programm, Arte? Zwei oder drei Flüsse, ein Denkmal im Wasser, eine Nixe wie in Kopenhagen. Auch ein Mädchen mit schönen Haaren in verzweifelter Lage. Ein Drogensumpf, dieses Passau. Dann knallen Schüsse. Durch die Nacht. Das ist heute ja beinah überall so.

Passau ist wie Amsterdam. In den Häusern gehen schmale, steile Treppen hoch. Nur weg vom Erdboden. Der ist schnell nass in solchen Städten. Flüsse steigen, Wasser quillt rein, schnell die Treppe hoch. Feuchte Wände. Wer kostbare Erstausgaben gehortet und nicht wasserfest gesichert hat, bereut es.

18

Zum Stolpern braucht’s nichts mehr als eigene Füße.

19

Es regnete vornehm, zurückhaltend, kostbare Tropfen. Wer jetzt unterwegs war, genoss es. Die Mauersegler, gerade vor zwei Tagen eingetroffen, waren abgezogen. Irgendwo wird’s wärmer sein und die Sonne scheinen. Alles für die Begattung günstiger. Der Vogelfreund glotzt blöde, die Vögel kümmert’s nicht. Der Altbestand reißt weiter Würmer aus der Erde. Meisen tummeln sich. Erdbodentiere sieht man nicht.

20

Sie kuckt scharf geradeaus

links oder rechts gibt’s nicht

dafür bin ich ja da

Ein Storch ruf ich noch einer

Drei Rehe rechts am Waldrand ruf ich

Der Penner ruft sie hast du das gesehn

Auch sieht sie viele betrunkene Anfänger

Blinde Taube Idioten eingeschlafene Volldeppen

Kühe rechts ruf ich

eine Kutsche mit zwei Pferden vorne dran

dass es das noch gibt

hinter Emmendingen

21

Der Mieter sah im Wald die jungen Frauen, die im Nachbarhaus wohnten, wie wild sich küssen. So was gab’s, wusste er schon. Jetzt im Wald und im Haus nebenan. Am Abend konnte er nicht einschlafen. Nebenan die jungen Lesben. Was mochten sie jetzt treiben? Im Internet sah er ihnen lieber zu als den Normalen. Wenn sie sich Penisse umschnallten oder Stöpsel hinten reinschoben, schaltete er schnell um. So’n Scheiß. Aber was sie sonst miteinander so anstellten, war ziemlich lecker.

22

Wenn es mal nicht weitergeht, ist es Zeit, eine Kartoffelsuppe zu machen. Auch wenn keine Kartoffeln da sind. Möhren auch nicht, aber eine kleine Zwiebel ist noch da. Also bitte.

Und ein Getränk ist zur Kartoffelsuppenzubereitung leicht eingeschenkt. Und schmeckt auch. Es könnte noch ein zweites Glas genehmigt sein. Also. Das Radio, das man zur Überbrückung der zwangsläufig sich bei der Zubereitung der Kartoffelsuppe einstellenden Monotonie mit in die Küche gebracht hat, ist schnell ausgeschaltet, da die von der Funkzentrale dem Programm diktierte Munterkeit zur Ernsthaftigkeit der Zubereitung einer vernünftigen Kartoffelsuppe nicht recht passen will. Auch scheint die Stimme der Moderatorin stark regionalisiert, München etwa, eher kein Kartoffelland. Aber ein Bier könnte man noch reinpfeifen. Das passt. So vergeht die Zeit beim Zubereiten einer nahrhaften Kartoffelsuppe.

23

Leben ist Lesen. Es bedarf ja nur des Ortes und des Augenblicks, dass ein Buch sein Auge aufschlägt und uns anblickt, magischer Moment einer unwiderstehlichen Anziehung, die aus dem Objekt der Begierde ein Lieblingsbuch entstehen lassen kann. Ähnlich geht es uns auch mit Lieblingsmenschen, Sekunden nur, Ort und Augenblick – und die Wahl ist getroffen. Und kann ein Leben dauern. Lieblingsbuch und Lieblingsmensch, man liest in beiden ein Leben lang.

24

Der Maler Brax malte einen Zyklus: Der Strolch. Ein Bilderbogen verruchter Taten. Viel Grün und Schwarz, rote Horizonte. Wurde ihm gleich abgekauft. Daraufhin wuchs dem Brax das Verlangen, den Strolch kennenzulernen. Er machte sich, Staffelei, Pinsel, Farben unterm Arm, auf in die Wälder und rief: Ich bin’s, Brax, der Maler, ich will dich malen nach der Natur, hallo, Strolch, hörst du mich, ich will dir nix, nur dich malen.

Plötzlich raschelte es im Unterholz, und ein normal aussehender Mann in normalen Klamotten stand vor ihm: Heinrich heiß ich, mal mich, aber einen Hut will ich auf dem Kopf haben, einen mit einem Dachspinsel dran, der sich gewaschen hat.

Mach ich, sagte Brax, Dachspinsel kann ich aus dem Kopf, und baute seine Staffelei auf, würdest du bitte, lieber Heinrich, ein wenig mehr aus dem Schatten treten, hier, zum Beispiel, in diesen Lichtfleck.

Kein Problem, sagte Heinrich, trat ins Licht und posierte.

So ging das drei Stunden, bis es 18 Uhr war. Schluss für heute, rief der Brax.

Heinrich verschwand im Unterholz. Brax ging nach Hause.

Drei Tage machten sie das so. Der Strolch posierte, der Brax malte. Bis das Bild fertig war. Fertig, rief Brax.

Der Strolch sah sich das Bild an und sagte, gut gemacht, wie ich leib und lebe. Aber die roten Schuhe. Ich hab doch gar keine.

Rote Schuhe sind quasi mein Markenzeichen, sagte Brax. Die zieh ich jedem an, den ich male.

Was geschieht nun mit dem Bild, fragte der Strolch.

Entweder du kaufst es mir ab, sagte Brax, oder ich stell es aus. Dann können alle sehen, was für ein toller Hirsch du bist und ich für ein toller Maler.

25

Radikal regional

Gestern die Blumen im Eimer

Vor Dostojewski im Park

Heute vor Achern