Abendblätter - Otto Jägersberg - E-Book

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Otto Jägersberg

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Beschreibung

Warum gibt es heute nur noch Silber-Metallic statt Grau? Wann knickt das Wort Dichter unter seiner ironischen Last zusammen? Warum wird Herwegh, einst der größte Dichter aller Zeiten, heute kaum mehr gelesen? Wo liegt die Weltzentrale des Verbrechens? Und was hat es mit dem »Machtblock der Vernunft« auf sich? In den Abendblättern steht Komisches neben Philosophischem, Gelehrtes neben Albernem, Absurdes neben Hintergründigem. Ein erhellendes, immer überraschendes Lesevergnügen.

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Seitenzahl: 73

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Otto Jägersberg

Abendblätter

Prosa

Diogenes

1

Amerikaner applaudieren, wenn die Sonne untergeht. Das macht sie sympathisch gegenüber denjenigen, die einen Sonnenuntergang hinnehmen wie ein Spiegelei.

2

Herweghs Ansehen. Eine verwickelte Geschichte. Er war ja mal der größte Dichter aller Zeiten. Goethe war nix dagegen. Als die Gedichte eines Lebendigen erschienen waren, 1841, machte Herwegh eine Deutschlandtour. Heute würde man Lesereise sagen. Da war aber was los. Empfangskomitee an jedem Bahnhof, Kutschfahrt zum Versammlungshaus durch jubelnde Volksmassen und so weiter. Die Damen flochten ihm mehr als Kränze, damals kreischten sie noch nicht, stickten dafür Herzen und Zeilen seiner Gedichte in Taschentücher. Herwegh war die Hoffnung für die Empfindsamen und die Patrioten, für die Anhänger einer freien Republik und die Abschaffung der Monarchie.

 

Kleiner Katalog der Gründe, die Georg Herweghs Ansehen schädigten:

 

Begabtes Kind, aber auf‌fällig, unberechenbar. Bewegungsstörungen, der ihn behandelnde Arzt erkennt Veitstanz und schreibt über die Krankheitsgeschichte Herweghs eine Broschüre.

 

Heiratet reiche Frau, dass sie jüdisch ist, spielt auch eine Rolle. Man nennt es nicht so beim Namen, man sagt orientalisch, er hat eine Orientalin geheiratet. Der Antisemitismus der damaligen Zeit ermöglicht es, dass einer deutschen Ehe eine Orientalin entstammt. Herwegh hat dazu das passende gesagt: Rassenforschung gehört in die Gestüte.

 

Lässt sich von König Friedrich Wilhelm IV. – dem Träumer auf dem preußischen Thron – einladen.

 

Führt eine kleine Legion von Paris nach Deutschland zur Unterstützung der Badischen Revolution. Was nicht einmal Hecker, Struve und ihren Revolutionären willkommen ist. Man will keine Unterstützung aus dem Ausland. Unpatriotisch. Und dann die Flucht nach der Schlacht bei Dossenbach. Unter dem Spritzleder der Kutsche seiner Frau habe er sich versteckt, wurde verbreitet, und im Volkslied bespottet. Den wahren Verlauf hat Emma Herwegh in einer Broschüre geschildert, Im Interesse der Wahrheit. Aber die interessiert keinen.

Ganz übel nimmt man ihm, dass er sich nicht freut. Als der Krieg gegen Frankreich siegreich zu Ende geht, 1871, Elsass und Lothringen ins Deutsche Reich annektiert werden, der preußische König Wilhelm – der Kartätschenprinz – zum deutschen Kaiser in Versailles ausgerufen wird, schreibt Herwegh: »Du bist im ruhmgekrönten Morden / das erste Land der Welt geworden: / Germania, mir graut vor dir!«

Kam nicht gut an.

 

Herweghs Sohn Marcel veröffentlicht Jahre nach dem Tod seines Vaters einen schlimmen Verdacht. Herweghs Tod in Baden-Baden, 1875, sei ein Mord gewesen, sein Vater sei von dem ihn behandelnden Arzt umgebracht worden. Mord durch eine Überdosis Morphium. Das ruft die Badener Ärzte auf den Plan, sie erklären sich solidarisch mit dem inzwischen verstorbenen Arzt und bezichtigen Marcel Herwegh des Rufmords.

 

Es kommt noch schlimmer. In der DDR wurde Herwegh zu den geistigen Vorvätern des Sozialismus gezählt, Gesammelte Werke erschienen im Aufbau Verlag. Allein das machte ihn im Kalten Krieg im Westen suspekt. Erst 1975 erschienen seine Gedichte wieder in der Bundesrepublik, bei Reclam, Stuttgart.

In Baden-Baden erinnerte der Kulturrat mit einer Tafel an Herwegh und brachte sie an dem schönen Haus am Sonnenplatz unter, in dem Herwegh aber nie gewohnt hatte. Er lebte hier, nach einer allgemeinen Amnestie der politischen Flüchtlinge aus der Revolutionszeit, von 1866 bis zu seinem Tode 1875 mit seiner Frau Emma und den drei Kindern in der Scheibenstraße und in der Sophienstraße.

Seine Beerdigung war ein Großereignis in Baden-Baden. Tausend Leute pilgerten zum Friedhof, alte 48er und Dichterkollegen wie Freiligrath. Beerdigt werden wollte er, wie auch Emma, nur in einem freien Land. Liestal bei Basel nahm sie auf. In Liestal befindet sich auch das Herwegh-Archiv.

3

Fußball ohne Geschrei, gibt’s das. Offensichtlich nicht. Wir planen: Fußball ohne Trommeln, Gesänge und Geschrei. Für Knurrhähne wie mich.

Fußball sakral, Spieler gemessenen Laufs, Publikum singt Choräle.

Der Ball ist rund. Das ist nicht das Schlechteste an ihm.

Bei sachgemäßem Umgang macht er auch keinen Krach.

4

Nietzsche in Baden-Baden. Sein Zustand: »Bis jetzt nicht gut. Schlaf‌losigkeit, Erbrechen, Erschöpfung. Doch vertrau ich Ort und Bad …« Ausgerechnet im Ort der lauen bis heißen Quellen absolvierte er eine »Kaltwasserkur«. Das heißt, Fußbäder in der Oos und kaltes Wasser in kleinen Schlucken. Er kotzte viel. Unser Großer Vorkotzer. Und schlief schlecht. Pfiff sich zu wenig Laudanum rein. Jünger schlief so seine zehn Stunden, weiß Gott womit. Und blieb bei der kleinsten Verstimmung den ganzen Tag im Bett. Fritz lief auch bei dicksten Kopfschmerzen von Brunnen zu Brunnen. Ein kleines Glas folgte ihm wie ein Hund. »Ich gehe viel im schneeigen Tannenwald spazieren, viele gute Wege.«

5

Tiere des Hauses. Kakerlaken, Stinkwanzen, Tauben, Mauersegler, ein Nashorn. Die Kakerlaken wohnen im Keller, Ursprungsquelle, die Stinkwanzen sind überall, die Tauben scheißen auf dem Dach, die Mauersegler kommen Ende April oder Anfang Mai, das Nashorn trabt vornehmlich nachts durchs Treppenhaus. Es schnaubt, wohl wegen der vielen Treppen hier.

6

Nur was alle tun, erschreckt niemanden.

7

Paul Flora. Lesereise durch die Schweiz. Ich: Grünkohl für Holland, und er: Als der Großvater auf die Großmutter schoss. Er las sein Vorwort, Tag für Tag, von Bern über Solothurn nach St. Gallen, nehm ich mal an, wir fuhren im Taxi, und durch ihn lernte ich viele Museen kennen: Kościusko in Solothurn, das Wagner-Haus in Tribschen. Flora war für alle Fälle Fachmann. Österreichische Bildung. Er erklärte mir sonderbare Sachen, zum Beispiel Hans Thoma, in Tribschen hängen ein paar für mich unglaublich fremdartig wirkende Sachen. Also Thoma hat hochdramatische Bilder zu Opern von Wagner gemalt. Siegfried besiegt den Drachen. Brünhild und die Walküren … Flora stand davor und bemerkte trocken: Guck die Füße an, der Thoma hat keine Ahnung von Füßen gehabt. Als der Großvater die Großmutter nahm, wovon Flora sich anregen ließ, ist »Ein Liederbuch für altmodische Leute«. Hrsg. von G. Wustmann. Erschienen 1886 bei Grunow in Leipzig. Mit Holzschnitten und zahlr. Textholzschnitten, 8 Seiten Vorwort, 184 Seiten, Halbleinen-Band mit Rückenvergoldung, meist stockfleckig, wird für so zwischen 100 und 200 Euro im Antiquariat angeboten …

8

Heilbronner Gegend.

Da kam ein entfernter Freund von Martinas Vater, der mit Stoffen handelte, jeweilen ins Haus, wenn die Mutter gekocht hatte zu Mittag. Also fünf vor zwölf kam der. Und sagte, oh, riecht das gut, wie früher bei meiner Mutter. Natürlich durf‌te er bleiben und mitessen. Dann kam Martina ins Alter. Ballett interessierte sie und mindestens Schauspielerin wollte sie werden. Und der Vater sagte zum Textilhändler, jetzt nimmst du dafür die Martina in die Lehre. So wurde Martina Textilkaufmannslehrling, drei Jahre, drei Jahre Hass.

Zum Laden musste sie von ihrem Dreihundert-Seelen-Dorf mit der Fähre über den Neckar, wenn Hochwasser war, auch noch im Beiboot. Und wenn ein Schiff kam, wartete die Fähre, bis es durch war, und oben im kleinen Bahnhof wartete der Zug, bis die Fähre anlegte und Martina die sechzig Stufen hoch zum Bahnhof hastete. Sie stand morgens um halb sechs auf und war halb acht abends wieder zu Hause. Drei Jahre.

Im Monat verdiente sie achtzig Mark.

9

Wer nicht den Machtblock der Vernunft zu schleudern vermag, der vermag auch nicht mit ganzem Herzen zu lieben.

Ich denke, das steht bei Stif‌ter, sagt Regula, oder auch nicht. Vielleicht habe ich mir das auch nur ausgedacht.

10

Krapp. Krapp? Pflanze im Hagenauer Sand, aus der man den roten Farbstoff gewann, mit dem sich die schönen roten Militärhosen beknallen ließen.

Nördlich vom Wald stand die erste Erdölbohrmaschine. Pechelbronn, heute Merkwiller-Pechelbronn. 700 Einwohner. Sie gewannen da Petroleum für die Lampen, für Schmiere … Für Benzin taugte das Öl nicht. Wurde Ende des Zweiten Weltkriegs von den Amerikanern bombardiert, 3000 Leute sollen in den Raffinerien gearbeitet haben.

Die Wildschweine suhlten sich in dem Öl. War gut für die kleinen Verletzungen nach dem lustvollen Abscheuern von Zecken.

11

Dichter ist eine Ehrenbezeichnung, man verwende das Wort sparsam, bei häufigem Gebrauch knickt das Wort Dichter unter seiner ironischen Last zusammen. (Das Dach ist dicht, wozu noch Dichter?, hat Werner Dürrson gedichtet.) Schriftsteller klingt so handwerklich, wie einer, der am Setzkasten steht. Am ehesten ist Autor zutreffend, da ist der Urheberanspruch drin enthalten. Der Autor ist der Urheber von Selbstgemachtem, im Schreiben versetzt sich der Autor in einen autotelischen Zustand. Autos, griechisch – bedeutet Selbst, telos – Ziel … Schreiben ist eine sich selbst genügende Aktivität, wie Lesen und Hören. Man schenkt der Sache um ihrer selbst willen Aufmerksamkeit.

Ein Autor, der eine Reise unternimmt, um seine Texte vorzulesen, begibt sich auf ein anderes Gebiet, er wird zu einem literarischen Reisenden. Sobald er sich auf der Autobahn einfädelt oder den Zug besteigt, wird er zu einem Eindruckssammler, Bildaufschnapper und Fremde-Sitten-und-Gegenden-Bestauner, zu einem Deutschland- oder Europa-Kontrolleur. Der abendliche Auf‌tritt, die Lesung, das Vorlesen oder Aufsagen, dient dem Verkauf seiner Produkte. Einem Winzer vergleichbar, der seinen Wein einer Degustation aussetzt. Der literarische Reisende gibt seinen Hörern Worte zu trinken.