Abenteuer Pubertät - Bernhard Stier - E-Book

Abenteuer Pubertät E-Book

Bernhard Stier

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Beschreibung

Miteinander durch die Pubertät

Pubertät ist ein großes Abenteuer, vermutlich das größte, das die Natur uns zu bieten hat. Und wie bei jedem Abenteuer sorgen fundierte Auskünfte darüber, was einen erwartet, dafür, dass es ein Vergnügen werden kann. Katja Höhn und Bernhard Stier erklären deshalb, was sich die Natur dabei gedacht hat: wie die Hormone eingreifen, was im Gehirn so los ist und wie man Teenager in dieser Phase bei besonderen Herausforderungen unterstützt. Sie liefern keine Rezepte, sondern machen die Faszination der Pubertät nachvollziehbar und bieten mit dem Verständnis, was in dieser Lebensphase vor sich geht, einen Schlüssel zum besseren Umgang mit Pubertierenden.

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Seitenzahl: 234

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Über dieses Buch

Miteinander durch die Pubertät Pubertät ist vermutlich das größte Abenteuer, das die Natur Ihnen und Ihren Kindern zu bieten hat. Und wie bei jedem Abenteuer sorgen fundierte Informationen und Vorbereitungen dafür, dass Sie diese Zeit gelassen und optimistisch erleben können. Der Jugendarzt Bernhard Stier und seine Tochter, die Diplompsychologin Katja Höhn, erklären deshalb, was sich die Natur bei der Pubertät eigentlich gedacht hat: wie die Hormone eingreifen, welchem Wandel das Gehirn unterworfen ist und wie man Teenager bei besonderen Herausforderungen unterstützt und fördert. Eine Fülle von Informationen hilft Ihnen, Ihr Kind in der Pubertät besser zu verstehen, und macht die Faszination dieser wichtigen Lebensphase nachvollziehbar. Dies ist der Schlüssel zu einem entspannteren Umgang miteinander.

Bernhard Stier/Katja Höhn

ABENTEUER PUBERTÄT

Was sich die Natur dabei gedacht hat

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.Wenn von »Jugendlicher«, »Betreuer«, »Ärzte« etc. die Rede ist, so sind immer beide Geschlechter gemeint, es sei denn, anders Gemeintes ist ausdrücklich erwähnt.

Copyright © 2017 Kösel-Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlag: Weiss Werkstatt, MünchenUmschlagmotiv: © shutterstock/Max kegfire/© shutterstock/ikoSatz: Uhl + Massopust, AalenIllustrationen: Stefan Dangl, MünchenHerstellung: Heidi NüblingRedaktion: Sylvi SchlichterISBN 978-3-466-31057-9www.koesel.de

V001

Dieses Buch widmen wir allen pubertierenden Jugendlichen. Möge es helfen, dass sie auf verständnisvolle Erwachsene treffen, die sie unterstützen in ihrer Entwicklung hin zu eigenverantwortlichem und humanem Handeln – die wesentlichen Voraussetzungen für den Erhalt unserer menschenfreundlichen Gesellschaft.

INHALT

EINLEITUNG

1. GRUNDLEGENDES ZUR PUBERTÄT

1.1 Drei Thesen zur Pubertät

1.2 Der Themenkanon der Pubertät

1.3. Der Pubertätsgenerator

1.4. Das Handwerkszeug der Pubertät

1.5. Die Entwicklungsstadien in der Pubertät

2. HORMONE, DIE RASTLOSEN BOTEN

2.1 Östrogene – die Lusthormone

2.2 Testosteron – Hormon der Stärke

2.3 Dopamin – das Glückshormon

2.4 Melatonin – der Taktgeber

2.5 Oxytocin – das Kuschel- und Treuehormon

3. NEUROBIOLOGIE

3.1 Pubertät von Anfang an

3.2 Gehirntuning/Pruning

3.3 Der bewusste Verstand

3.4 Das Bauchhirn

3.5 Schauplatz Gehirnbaustelle

4. SOZIALES BEWUSSTSEIN ENTWICKELN

4.1 Pubertärer Egoismus

4.2 Der Beginn des sozialen Lernens

4.3 Kooperation als evolutionärer Vorteil

4.4 Psychosoziale Kompetenz

4.5 Die Förderung der emotionalen Bindung

5. UNTERSTÜTZUNG IM TEENAGERALTER

5.1 Führen und Leiten

5.2 Fördern statt fordern

5.3 Motivieren statt demotivieren

5.4 Respekt und Anerkennung zollen

5.5 Kreativität, Ideenreichtum und Fantasie bestärken

5.6 Fazit

6. TYPISCHE STREITTHEMEN IN DER PUBERTÄT

6.1 Medienkonsum und Medienverhalten

6.2 »Um 22 Uhr bist du zu Hause!«

6.3 Liebe und Sex

6.4 Drogen

6.5 Piercing oder Tattoo – muss das sein?

7. BESONDERE HERAUSFORDERUNGEN WÄHREND DER PUBERTÄT

7.1 Essstörungen

7.2 Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom

7.3 Experimentierverhalten wird zu Risikoverhalten

7.4 Schule, das leidige Thema

7.5 Chronische Erkrankungen in der Pubertät

7.6 Pubertät und Adoption

8. JETZT SCHLÄGT’S DREIZEHN!

8.1 Pubertät als Chance für ALLE sehen

8.2 Ruhe bewahren

8.3 Raum geben

8.4 Klare Ansagen

8.5 Scheinlösungen vermeiden

8.6 Nicht persönlich nehmen

8.7 Zutrauen – Vertrauen

8.8 Unterstützung anbieten

8.9 Konstruktive Kritik

8.10 Logische (nachvollziehbare) Konsequenzen

8.11 Offene Türen

8.12 Vorbild sein

8.13 (Selbst-)Ehrlichkeit währt am längsten

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK: MIT EMPATHIE ZUM ZIEL

ANHANG

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Nützliche Internetadressen

Die Autoren

EINLEITUNG

Stellen Sie sich vor, es ist Pubertät und keiner geht hin! Warum sollte man auch, erscheint doch diese Lebensphase nicht immer in positivem Licht. »Süßer Horror Pubertät«, so schrieb ein Nachrichtenmagazin, ein auch nicht gerade Mut machender Buchtitel lautet: »Wie meine Eltern mit mir die Pubertät überleben«. Solche Zuschreibungen und Attribute lassen viele Eltern dieser Lebensphase besorgt oder zumindest mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Angesichts dessen, dass sie offenbar für alle Beteiligten sehr anstrengend zu werden droht, scheint es angebracht, sich gut dafür zu wappnen. Allein schon die Vielzahl der Ratgeber zu diesem Thema suggeriert, dass mit der Pubertät eine äußerst stressige Zeit am Horizont heraufzieht.

Dabei hatte doch alles so gut angefangen: Ein kleines Wesen hatte das Licht der Welt erblickt und sich in den Folgejahren prächtig entwickelt. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern scheint gut und vertrauensvoll, doch plötzlich tönt es: »Achtung, Pubertät!«. Muss das wirklich sein? Ja! Bislang ist es jedenfalls noch niemandem gelungen, die Pubertät zu überspringen, obwohl gern einmal behauptet wird, dass man darauf gut verzichten könnte. Diese so wichtige Zeit, die auch Land auf, Land ab als »zweite Geburt« bezeichnet wird, ist ein unumgänglicher Teil des Lebens. Jeder Erwachsene hat diese Phase durchlebt. Wenn wir uns an die eigene Pubertät erinnern, liegen Verklärung und Erleichterung oft eng beieinander. Schließlich ist ja alles gut gegangen. Wir haben es überstanden, oder etwas dramatischer formuliert: Wir haben es überlebt. Dabei geht es in der Pubertät kaum ums nackte Überleben, sondern vielmehr ums Erleben! Pubertät ist ein großes Abenteuer, eines der größten, das die Natur zu bieten hat. Und wie immer, wenn ein Abenteuer ansteht, mischen sich freudige Erwartung und Spannung mit Furcht und Beklemmung.

Wohin geht die Reise? Sie führt in Regionen, die allen Beteiligten neu und fremd sind. Und wie bei jeder Reise möchte man sich gern darüber informieren, was einen in diesen unbekannten Gefilden erwartet. Wir – die Autoren – wollen Ihnen mit diesem Buch eine umfassende Reisebeschreibung an die Hand geben.

Am Anfang steht Grundsätzliches: Worum geht es überhaupt in der Pubertät? Gibt es eine »Steuerzentrale« für die Pubertät? Mit welchen »Gepäckstücken« begeben wir uns auf die Reise?

Dann stechen wir mit Ihnen in See. Wir suchen verschiedene Inseln in der Weite des Gehirns auf und machen uns vertraut mit einer neuartigen Umgebung, die uns in der Pubertät noch fremder wird. Dabei lernen wir auch die rastlosen Boten des Körpers – die Hormone – kennen.

Nach all diesen neuen Erkenntnissen über diese spannende Lebensphase nähern wir uns dem Ziel unserer Reise: dem Verständnis dafür, weshalb es die Pubertät überhaupt gibt. Was hat sich die Natur dabei gedacht? Wie werden wir vom »Ich« zum »Wir« und damit mündiges Mitglied einer sozialen Gesellschaft? Start und Landung sind, wie bei so vielen Dingen im Leben, mit besonderen Herausforderungen verbunden. Wie können wir die Jugendliche in der Pubertät unterstützen, diese so wichtige Lebensphase gut zu bewältigen?

Am Ende der Reise steht ein Bericht unserer Erfahrungen, mit Tipps und Tricks zu ganz konkreten Themen, die wir weitergeben möchten.

Lassen Sie sich mitnehmen auf diese spannende Reise! Lassen Sie sich ein auf die Faszination, die von der Pubertät ausgeht! Erfahren Sie, warum diese Lebensphase so immens wichtig ist und was die Natur sich dabei gedacht hat. Am Ende wird hoffentlich, bei allen Bedenken, die Begeisterung obsiegen, und Sie werden an Gelassenheit gewinnen – eine wichtige Voraussetzung, um die Stürme, die nicht ausbleiben werden, gut zu überstehen.

Die Reise kann beginnen!

1. GRUNDLEGENDES ZUR PUBERTÄT

Im Folgenden werfen wir zuerst einmal einen Blick auf einige grundlegende Aspekte der Pubertät. So möchten wir uns der Frage stellen, warum die Natur die Pubertät überhaupt eingerichtet hat, warum also die Menschheit Pubertät braucht und warum jedes einzelne menschliche Individuum diese zu seiner Entwicklung durchlaufen muss. Außerdem werfen wir einen Blick darauf, wie die Pubertät eigentlich anfängt und welche körperlichen Veränderungen sie anstößt. Schlussendlich setzen wir uns auch noch damit auseinander, welchen »Sinn« pubertäres Verhalten durchaus haben kann bzw. hat. Damit wollen wir ein Fundament legen, auf dem wir im Folgenden aufbauen, oder anders gesagt, dies soll der Ausgangspunkt sein, von dem wir zur spannenden Abenteuerreise »Pubertät« aufbrechen.

1.1 Drei Thesen zur Pubertät

Wohl schon vor etwa 3000 Jahren beklagt eine Aufschrift auf einer babylonischen Tafel, dass die Jugend von Grund auf verdorben sei. Das kann uns gleich zu Anfang etwas beruhigen. Offensichtlich haben wir es mit keinem neuen Problem zu tun. Und obwohl sich die pessimistische Sichtweise auf die Jugend (und damit auf die Pubertät) kaum geändert zu haben scheint, ist die Menschheit daran bis zum heutigen Tag nicht gescheitert. Wir müssen von der Vorstellung loskommen, dass alles besser und einfacher wäre, wenn die Pubertät in gesellschaftskonformeren Bahnen verlaufen würde. Sehr schnell würden wir merken, dass das auch keine Lösung wäre. Vielmehr haben die vergangenen 3000 Jahre gezeigt, dass sie notwendig ist.

1. These:

Alles, was die Natur in der Pubertät geschehen lässt, hat seinen Sinn und hat sich bis zum heutigen Tage für den Fortbestand der Menschheit bewährt.

Was hat sich die Evolution nur dabei gedacht, eine so unangenehme und problematische Phase, die allen Beteiligten so viel abverlangt, zum unumgänglichen Bestandteil des Lebens zu machen? Für den Fortbestand der Menschheit ist es eher destruktiv, einen harmonischen Zustand allzu lange aufrechtzuerhalten. Es hat sich bewährt, wenn von Zeit zu Zeit die wichtigsten Themen unseres sozialen Zusammenlebens auf den Prüfstand kommen. So kann alter Ballast abgeworfen und Platz für Erneuerung geschaffen werden. Und das – naturgewollt – in jeder Generation aufs Neue. Die Pubertät ist in ihrem Wesen ein garantierter, sich immer wiederholender Erneuerungsprozess. Durch ihn werden alle Beteiligten auf natürlichem Wege auf den neuesten Stand des Lebens gebracht. Jugendliche in der Pubertät sind dabei Werkzeug und Motor zugleich.

Pubertät muss sein, damit die »überlebenswichtigen« Themen des Menschseins mindestens einmal pro Generation neu überdacht und gegebenenfalls angepasst, verändert oder überholt werden.

2. These:

Gehirn- und Identitätsentwicklung unterliegen ausschließlich dem Primat der Arterhaltung und Fortpflanzung, das heißt, sie werden vorrangig davon bestimmt.

Ist diese These nicht zu gewagt? Alles soll darauf angelegt sein, dass wir uns vermehren, um nicht auszusterben? Der Mensch, die Krone der Schöpfung, unterscheidet sich – zumindest diesbezüglich – nicht vom simpelsten Bakterium?

Das Leben ist auch ein ständiger Kampf ums Überleben. Und überleben kann nur, wer sich am besten auf die neuesten Gegebenheiten einstellt (Darwins berühmte Theorie des »survival of the fittest«). Bewegung und damit Positionsveränderung ist Leben, Stillstand ist Tod. Logisch, dass in diesem Prozess Fortpflanzung und Arterhaltung eine zentrale Rolle spielen. So nimmt es nicht Wunder, dass gerade in der Pubertät die sexuelle Orientierung und Partnerwahl als Teil der Identitätsentwicklung sehr ins Zentrum rücken (auch wenn sie nicht die einzigen wichtigen Themen sind – dazu später mehr). Anders, als das Wort »Fortpflanzung« suggeriert, geht es dabei nicht immer nur um die eigentliche Vermehrung. Wenn z. B. ein bestimmter Lebensraum nur begrenzte Ernährungsressourcen bietet, werden sich die Menschen nicht wie die Lemminge von einer Klippe stürzen, sondern andere Wege der Anpassung finden. So ist, wie die Geschichte immer wieder zeigt, das Ausweichen in andere Lebensräume (Völkerwanderung) eine Möglichkeit, mit begrenzten Ressourcen umzugehen. Eine andere sind die unterschiedlichen Spielarten der Sexualität, die nicht die Fortpflanzung zum Ziel haben, da eine unkontrollierte Vermehrung die Ressourcen weiter verknappen würde, sondern vielmehr die Erhaltung und Befriedigung des Sexualtriebes. Sexualität ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen und ein zentraler Bestandteil seiner Identität und Persönlichkeitsentwicklung. Homosexualität und Bisexualität sind also, evolutionär gesehen, durchaus sinnvoll. Demzufolge kommen sie als Spielarten der Sexualität neben der dominierenden Heterosexualität bei allen Säugetieren einschließlich des Menschen vor.

Sexualität und Arterhaltung sind essenziell für die Menschheit. Ein zentrales Thema der Pubertät ist daher die sexuelle Orientierung und Partnerwahl.

Wenn wir dieser zweiten These folgen, dass für die Entwicklung der Menschheit die Entwicklung des Individuums notwendig ist, stellt sich natürlich die Frage, wie sich sicherstellen lässt, dass sich die Menschheit immer wieder optimal an ihre Umwelt anpasst? Richtig: Die Menschen müssen optimal auf die jeweils herrschenden Umweltbedingungen eingestellt werden, die bestehenden Risiken kennenlernen, sich möglichst mit ihnen auseinandergesetzt haben und sie im Idealfall bewältigen können. Dafür muss jeder einzelne Mensch diese Gegebenheiten austesten. Und daraus folgt:

3. These:

Das für die Pubertät typische exzessive Austesten, das gesteigerte Erregungsniveau, das Risikoverhalten dienen der Optimierung arterhaltender Individuen und sind von der Natur gewollt.

Man kann nicht grundsätzlich erwarten, dass sich der Mensch willentlich auf jedes sich bietende Abenteuer stürzt, zumal, wenn der sichere Ausgang nicht garantiert werden kann. Wie lässt sich dennoch erreichen, dass Individuen immer wieder neue Lebensumstände erproben, sich daran anpassen und damit bestmögliche Überlebensstrategien für die menschliche Gattung finden? Die Natur hat dafür folgendes Rezept gefunden: Man nehme eine Lebensphase – nämlich die Pubertät –, die geprägt ist von Individualisierung (Ich-Bezogenheit), gepaart mit Infragestellen des Althergebrachtem, bei gleichzeitig stattfindendem Umbau des Kontrollorgans, nämlich des Gehirns. Damit der Drang zum Austesten und Experimentieren auf jeden Fall sichergestellt ist, legt die Natur die Messlatte für das Glücksgefühl in dieser Lebensphase etwas höher, das heißt, die Empfindlichkeit für das Glückshormon (Dopamin) wird heraufgesetzt – es braucht deutlich mehr Dopamin, um ein Glücksgefühl, den »Kick«, zu entwickeln. Hier spielt ganz entscheidend das sogenannte Belohnungszentrum eine Rolle. Jugendliche in der Pubertät sind bereit, höhere Risiken einzugehen, um ein positives Gefühl hervorzurufen. Dass dieses Experimentierverhalten nicht zur unkontrollierten Selbstgefährdung, sondern zu Risikokompetenz, die wichtig und notwendig für den Fortbestand der Menschheit ist, führt, dafür ist dann allerdings nicht mehr die Natur, sondern das jeweilige Umfeld zuständig. Die Natur bietet »nur« die optimierten Voraussetzungen, bestimmte Verhaltensweisen auszuprobieren. Das jeweilige Umfeld ist für den Rahmen (Toleranzbereich) verantwortlich, in dem sich dies alles abspielt. Nicht die Natur des Menschen, sondern auch sein Umfeld bestimmt also maßgeblich die Richtung seiner Entwicklung!

In der Pubertät wird naturgegeben experimentiert. Es werden Risiken eingegangen, um Risikokompetenz zu erreichen. Das Ausmaß des Experimentierverhaltens bestimmt aber das jeweilige Umfeld.

1.2 Der Themenkanon der Pubertät

Helfen uns die drei Thesen dabei, eine Vorstellung davon zu bekommen, welchen Sinn die Lebensphase »Pubertät« hat, so fehlt uns jetzt noch das Wissen zu den Themen, um die sich die Pubertät dreht. Dazu im Folgenden mehr:

Eigentlich sollte man sich einmal den Spaß machen, an einem belebten Einkaufstag in der Fußgängerzone einer beliebigen Stadt möglichst viele Jugendliche und Erwachsene zu fragen: »Worum geht es eigentlich in der Pubertät?« Garantiert würde man innerhalb von einer Stunde eine große Bandbreite von Antworten zu hören bekommen, von: »Na ja, ums Erwachsenwerden halt …«, bis hin zu: »Darüber spricht man nicht auf der Straße …!« Dennoch bliebe man vermutlich ziemlich ratlos zurück. So eine Befragung würde die sehr subjektiven Erfahrungen der Befragten mit dieser besonderen Lebensphase zum Ausdruck bringen. Es ließen sich davon aber kaum allgemeine Aussagen ableiten.

Pubertät geschieht in jeder Kultur, in allen Ländern, allen Bevölkerungsgruppen der Welt. Ist sie überall anders? Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Der Verlauf und das Themenspektrum sowie das Konfliktpotenzial können durchaus unterschiedlich sein, dennoch gibt es so etwas wie einen universellen Themenkanon.

An oberster Stelle stehen die drei zentralen Fragen:

»Wer bin ich?«

»Was bedeutet Sexualität für mich?«

»Was bin ich für andere?«

Wer bin ich?

Schon die erste Frage ist ungeheuer komplex. Ihre Beantwortung kann weit über den Pubertätszeitraum hinausgehen und uns ein Leben lang begleiten. Um ein Individuum zu werden, genügt es nicht, einfach zu existieren. Dieser Prozess erfordert Abgrenzung, eigenständiges Handeln und das Erkennen des eigenen Wertes, wichtige Voraussetzungen z. B. für die Partnerwahl. Grundsätzliche Fragen wie: »Wer sind oder waren eigentlich meine Eltern?« müssen geklärt werden. Für die Identitätsentwicklung aller Jugendlichen ist das Hinterfragen der Eltern und generell der Erwachsenen sowie die Auseinandersetzung mit ihnen und ihren Wertvorstellungen sehr wichtig. Gerade auch für Adoptivkinder und Kinder, die aus Ei- oder Samenspenden hervorgegangen sind, sind die Fragen nach der eigenen Herkunft von enormer Wichtigkeit; man ist gut beraten, sich rechtzeitig darauf einzustellen.

Was bedeutet Sexualität für mich?

Auch diese Frage hat es in sich. Es scheint zuerst einmal offensichtlich, dass es um ein glückliches, befriedigendes Sexualleben geht. Aber darum handelt es sich tatsächlich nicht primär. Vielmehr müssen Jugendliche in der Pubertät überhaupt erst einmal erfahren, was es so alles gibt – eben nicht nur »Heteros«, sondern auch Homosexualität, Bisexualität und Transsexualität. Was steckt davon in mir, was passt zu mir, und wie bin ich als sexuelles Wesen? Was ist meine Richtung? Auch diese Frage findet typischerweise ihre Antwort in der Pubertät. Die Suche danach kann sehr schwierig und manchmal erst nach längerem Irrweg erfolgreich sein.

Was bin ich für andere?

Sind die vorausgegangenen Fragen hoffentlich befriedigend (wenn auch nicht unbedingt abschließend) geklärt, hilft dies sehr dabei, den individuellen Platz in der Gesellschaft zu finden und auf die Frage »Was bin ich für andere?« oder »Was bedeute ich anderen?«, eine Antwort zu erhalten. Letztlich knüpft sich daran – nach Klärung der Frage des »Woher« (siehe oben) – die Frage nach dem »Wohin«: Wo ist mein Platz im großen Menschengetümmel? Wie kann ich mich einbringen und wie kann ich mich verwirklichen?

Bewältigung der Entwicklungsaufgaben

Diese drei zentralen Fragen sind eingebettet in diverse Entwicklungsaufgaben – individuelle intellektuelle, körperliche und psychische Reifung, sexuelle Entwicklung und Identitätsfindung, Loslösung von den Eltern und Hinwendung zu den Gleichaltrigen mit neuer Rollenfindung.

Natürlich wird kein Mädchen und kein Junge in der Pubertät Stift und Papier zur Hand nehmen, um diesen Themenkanon zu bearbeiten. Der Drang, diese Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und die richtigen Antworten für uns selbst zu finden, ist tief in unserem Inneren verwurzelt, und dort werden die zugehörigen Probleme und Fragen auch be- und verarbeitet. Wenn Sie bei Ihrem pubertierenden Kind genau hinhören und hinschauen, werden Sie rasch merken, dass bestimmte Problempunkte, Fragen und Auseinandersetzungen immer wieder auftauchen. Freuen Sie sich über diese kleinen Einblicke in das pubertierende Seelenleben und nutzen Sie die Gelegenheiten des Beziehungsaufbaus auf neuer Ebene. Sie können sicher sein, dass Sie bei aller notwendigen Distanz weiterhin eine ganz wichtige Bezugsperson sind und bleiben.

1.3. Der Pubertätsgenerator

In der Steiermark in Österreich kann man die Gsellmann’sche Weltmaschine besichtigen. Der erste Gedanke beim Anblick dieses bunten, schrillen, aus unzähligen Details zusammengesetzten und von kleinen Motoren ohne sichtbaren Sinn und ohne greifbares Ergebnis mit viel Getöse, Pfeifen und Summen angetriebenen Ungetüms ist: »Da steht er – der Gegenstand gewordene Pubertätsgenerator!« Man schwankt zwischen Faszination und Unverständnis angesichts so viel scheinbar unsinnig vergeudeter Energie und Ressourcen – genau wie bei der Pubertät. Aber auch in anderer Hinsicht gibt es Parallelen.

Ähnlich wie der österreichische Bauer Franz Gsellmann über mehr als zwei Jahrzehnte alle möglichen Dinge zusammentrug, von denen er meinte, dass sie für seine Weltmaschine zu gebrauchen sein könnten, so sammeln wir bis zur Pubertät Kenntnisse und Erfahrungen, die dann in der Pubertät darauf geprüft werden, ob sie für unsere individuelle Weltmaschine von Wert sind. Sie bilden den Fundus, aus dem die Pubertät schöpft.

Aber gibt es so etwas wirklich im Gehirn – einen Pubertätsgenerator? Ein Zentrum, welches für das Einsetzen und die Steuerung der Pubertät verantwortlich ist? Nach wie vor muss noch sehr viel geforscht werden, bis diese Frage erschöpfend beantwortet werden kann, doch es gibt auch schon viele Erkenntnisse dazu.

Wo, wann und wie entsteht Pubertät?

Eine zentrale Rolle beim Einsetzen der Pubertät spielen die GnRH-Neurone: Diese Nervenzellen setzen die Gonadotropin releasing Hormone frei, die wiederum die ersten körperlichen Veränderungen auslösen. Die GnRH-Neurone gelten deshalb als Impulsgeber der Pubertät. Die circa 1000 bis 3000 sehr speziellen Zellen haben, bevor sie im Gehirn aktiv werden, eine längere Reise hinter sich, nämlich vom Riechhirn bis hin zum Hypothalamus. Das ist eine Region im Bereich der Sehnervenkreuzung, quasi im »Gehirnkeller« am Boden des Zwischenhirns, nicht größer als ein 5-Cent-Stück und nur etwa 15 Gramm schwer. Der Hypothalamus kontrolliert wichtige Körperfunktionen wie den Wasserhaushalt, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, die Körpertemperatur, den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Fortpflanzung und eben auch den Zeitpunkt des Einsetzens der Pubertät.

Wie aber wissen die GnRH-Neurone, dass ihr Dornröschenschlaf beendet ist und die Arbeit beginnt? Nach dem bisherigen Stand der Forschung erfolgt ihre Aktivierung durch sogenannte Neuropeptide, Botenstoffe im Gehirn, z. B. das Kisspeptin und das Neurokinin B. Diese wiederum werden in ihrem Wissen um den richtigen Zeitpunkt unterstützt von Genen und hormonellen Botenstoffen. Diese geben einerseits einen gewissen genetischen Rahmen vor (ethnische und familiäre Herkunft sowie der Zeitpunkt des Einsetzens der Pubertät bei den Vorfahren spielen eine Rolle), andererseits melden sie, dass bestimmte körperliche Voraussetzungen erfüllt sind, um in die Pubertät und in die Geschlechtsreife einzutreten. Dafür müssen nämlich bestimmte Fett- und Energiedepots vorhanden sein. Ein vorzeitiges Einsetzen der Pubertät würde sonst den Organismus überfordern und sein Überleben gefährden. Eine zentrale Rolle scheint dabei das Hormon Leptin zu spielen. Es wird von den Fettzellen des Körpers produziert und ist eines der Hormone, die dem Hypothalamus im Gehirn übermitteln, wie viele Fettreserven vorhanden sind. Von Menschen mit Mutationen des Leptin-Gens ist bekannt, dass sie nicht in die Pubertät kommen, solange kein Leptin gebildet wird. Wird das Hormon künstlich zugeführt, setzt auch bei ihnen die Geschlechtsreife ein. Mangelnde Energiedepots bei einer Pubertätsmagersucht machen sich ebenfalls stark bemerkbar: Magersüchtige Kinder und Jugendliche weisen ebenfalls eine verspätete Pubertätsentwicklung auf.

Es ist so weit, wenn die Zeit reif ist

Am besten stellen Sie sich den Beginn der Pubertät so vor: Die Koffer für die anstehende lange Reise sind gepackt, der Proviant eingekauft. Sie haben sich jahrelang vorbereitet, alles ist fertig! Alles? Nein, es fehlen noch die Reiseunterlagen! Die, so wurde Ihnen versichert, werden Sie bekommen, wenn alle Wetter- und Umweltbedingungen möglichst günstig stehen für Ihre Reise. Die Benachrichtigung über den Reiseantritt erfolgt aber geheimnisvollerweise nicht nur durch einen, sondern durch mindestens zwei Briefe (Hormone). Schließlich steht ja nicht irgendeine Reise, sondern die Reise Ihres Lebens bevor! Einmal begonnen, gibt es kein Zurück mehr; und eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Der richtige Zeitpunkt will also sehr gut kontrolliert und wohlüberlegt sein. So sitzen Sie also auf Ihren Koffern und warten (zum Glück nicht wirklich, auch wenn für Jugendliche, die später als Gleichaltrige in die Pubertät kommen, dieses Warten tatsächlich zu einer nervenzehrenden Geduldsprobe werden kann). Endlich kommen die beiden Briefe. Beide zusammengesetzt enthalten den Code, den Sie brauchen, um endlich Ihre Reiseunterlagen zu bekommen. Sind Sie bereit? Los geht’s!

Jetzt beginnen die GnRH-Neurone zu arbeiten. Das wiederum führt zur Bildung der sogenannten Gonadotropine: dem Luteinisierenden Hormon (LH) und dem Follikelstimulierenden Hormon (FSH). Beide wirken auf die Keimdrüsen (Gonaden); beim Jungen sind dies die Hoden, beim Mädchen die Eierstöcke. Im weiblichen Körper bewirkt das FSH die Reifung der Eibläschen und die Produktion von Estradiol. Das LH steuert den Eisprung (Ovulation), die Ausbildung des Gelbkörpers (Corpus luteum) und die Progesteron-Produktion. Bei männlichen Jugendlichen stimuliert das LH die Reifung der Leydig-Zellen und die damit verbundene Testosteronproduktion. LH und FSH zusammen wirken auf die letzten Stadien der Spermienentwicklung.

Damit beginnt unter anderem der Tanz der Geschlechtshormone, der Östrogene und des Testosterons. Der Organismus ist sozusagen startklar und die turbulente Reise in die Pubertät nicht mehr aufzuhalten. Unter dem Einfluss der genannten Hormone verändern sich der weibliche und männliche Organismus beträchtlich. Aber Pubertät ist mitnichten der Sieg der Hormone über den Verstand! Hormone üben zwar ihren Einfluss an zahlreichen Zentren im Gehirn in unterschiedlicher Weise aus und haben einen wichtigen Einfluss z. B. auf die zum Teil unterschiedliche Gehirnentwicklung bei Mädchen und Jungen. Dennoch sind sie nur ein Zahnrad im Getriebe des pubertären Reifungsprozesses.

Lange Zeit glaubte man, die Gehirnentwicklung sei mit Beginn der Pubertät abgeschlossen. Heute wissen wir: Das Gegenteil ist der Fall, jetzt geht es erst richtig los! Obwohl die Pubertät zu den faszinierendsten Lebensabschnitten des Menschen gehört, liegt nach wie vor vieles darüber im Dunklen. Aber es ist auch beruhigend, dass wir noch lange nicht alles wissen, sonst könnte man womöglich auf die Idee kommen, diese Sturm-und-Drang-Zeit zu glätten und gefälliger zu gestalten. Und damit würde uns allen sehr viel verloren gehen.

1.4. Das Handwerkszeug der Pubertät

Nun ist also der Startschuss gesetzt für all die körperlichen Veränderungen, die auch alle anderen Entwicklungen beim Teenager auf seinem Weg ins Erwachsenenleben anstoßen. Er muss sich ab diesem Zeitpunkt darauf vorbereiten, auf die unterschiedlichsten Herausforderungen im Leben reagieren zu können. Welches Handwerkszeug gibt ihm die Pubertät dazu in die Hand?

Pubertät als Individualisierungsprozess

Der Pubertätseintritt ist offensichtlich äußerst feinsinnig geregelt – wird nun alles Weitere dem Zufall überlassen? Ist es ausschließlich Sache des einzelnen Individuums, wie diese Lebensphase anzugehen ist? Nein. Das Risiko für ein Misslingen wäre viel zu groß, wenn es da nicht innere Antriebe gäbe, die zwar bedingt formbar, aber nicht willentlich steuerbar sind und das pubertierende Individuum die Entwicklungsaufgaben unweigerlich angehen lassen. Nur das »wie« wird vom jeweiligen persönlichen Umfeld beeinflusst. Das ist wiederum auch notwendig, denn schließlich soll am Ende des Prozesses ein erwachsenes Individuum stehen, welches sich in seinem individuellen Umfeld möglichst optimal zurechtfindet und um seinen Platz in der Gesellschaft weiß.

Was hat es nun mit den »inneren Antrieben« auf sich und wie und wodurch finden sie ihren Ausdruck in der Pubertät? Der Antrieb zum Experimentieren, zu Auseinandersetzung und Provokation stellen das Handwerkszeug der Pubertät dar. Diese inneren Bedürfnisse sollen gewährleisten, dass es auf jeden Fall zu entsprechenden Aktivitäten beziehungsweise zur Auseinandersetzung mit wichtigen Entwicklungsaufgaben kommt und am Ende möglichst ein brauchbares Ergebnis steht.

Experimentieren

Beim Stichwort Experimentieren fällt jedem, der mit Jugendlichen in der Pubertät zu tun hat, sofort eine Reihe von Verhaltensmustern ein, die der Umwelt meist Kopfzerbrechen bereiten:

RauchenAlkohol trinkenillegale Drogen ausprobierensexuelle Erfahrungen sammelnexzessive Beschäftigung mit Computerspielen und sozialen MedienTattoos und Piercings/»Körperschmuck«risikoreiche Freizeitaktivitäten (z. B. Bungeejumping)

Zuerst einmal müssen wir aber zwischen Experimentierverhalten und Risikoverhalten unterscheiden. Oft durcheinandergebracht und manchmal synonym verwendet, beschreiben die beiden Begriffe etwas völlig Unterschiedliches.

Experimentierverhalten ist im Jugendalter absolut notwendig, um Risikokompetenz und Lebenskompetenz zu erlangen. Es handelt sich also um eine wichtige Entwicklungsleistung.

Um erfolgreich im Leben zu sein, müssen wir experimentieren, und beim Experimentieren gehen wir unweigerlich Risiken ein. Es ist immer mit Risiken behaftet, etwas Neues auszuprobieren. Unser Leben ist dementsprechend voll davon. Es ist ein Risiko, laufen zu lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, und jeder von uns hat dabei die eine oder andere Schramme davongetragen. Es ist ein Risiko, sich langsam von den Eltern zu lösen, den Kindergarten, die Schule, die Ausbildung anzutreten. Risiken sind fester Bestandteil des Lebens, und um Risikokompetenz zu erlernen, müssen wir mit ihnen experimentieren.

Lebensstrategie heißt, eine möglichst optimale Balance zwischen Risiko und Vorsicht zu finden, stimuliert durch Glück und Freude. Sicher haben Sie schon öfter den inneren Flow, das Glücksgefühl, erfahren, wenn Sie ein Risiko gemeistert haben. Dabei haben Sie sicher auch Ihren Zugewinn an Stärke und Selbstsicherheit registriert. Für die Evolution hat sich die Risikoaufnahme als vorteilhaft erwiesen: Ein gesundes Maß an Risikobereitschaft gewährleistet eine flexible Anpassung an Veränderungen. Risikobereitere Individuen haben somit einen Überlebensvorteil und geben wiederum eine erhöhte Risikobereitschaft an ihren Nachwuchs weiter. Das Erlernen des Umgangs mit Risiken, die eine Gesellschaft bietet, bedeutet, dass man sich besser integrieren und anpassen kann. Innovationen sind ohne Risiken nicht zu haben!

Es ist also keineswegs verwunderlich, dass Jugendliche in der Pubertät Experimentierverhalten zeigen und dabei auch mit legalen und eventuell illegalen Drogen in Kontakt kommen. Gerade auch beim Sexualverhalten muss experimentiert werden, braucht es doch hier unbedingt einen Kompetenzzuwachs. Es sind gar nicht einmal so sehr die Jugendlichen selbst, die sich aussuchen, womit sie experimentieren. Ihr Umfeld und der gesellschaftliche Kontext, in dem sie aufwachsen, bestimmen vielmehr, womit sie experimentieren müssen. Wie sich das Experimentierverhalten durch gesellschaftliche Einflüsse wandelt, zeigt sich sehr deutlich bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die, verglichen mit ihren nicht migrierten Altersgenossen, in der westlichen Gesellschaft einen deutlichen Wandel im Experimentierverhalten zeigen.

Es liegt also primär in der Verantwortung der Gesellschaft, welche »Experimentierfelder« sie vorgibt. So führte z. B. die Einführung der sogenannten Alkopops zu einem sprunghaften Anstieg des Alkoholkonsums unter Jugendlichen.

Die Natur will, dass experimentiert wird. Dafür gibt es zwei deutliche Hinweise: Zum einen findet das Experimentierverhalten vor allem in der mittleren Adoleszenz statt; diese bezeichnet ungefähr den Altersbereich zwischen 14 und 17 Jahren, also den Höhepunkt der Pubertät. Genau in diese Phase fällt die Zeit der intensivsten Umbauprozesse im Gehirn. Das heißt auch, dass die innere Kontrolle stark beeinträchtigt ist. Jugendliche haben in diesem Pubertätsabschnitt eine geschwächte Gefühls- und Verhaltenskontrolle. Dabei ist es der Natur leider ziemlich egal, wer damit wie zurechtkommt oder auch nicht. Es geht schließlich um die Stärkung des Individuums, damit es sich in der Gesellschaft behaupten kann – im Sinne der Arterhaltung. Die Gesellschaft beziehungsweise das Umfeld tut also gut daran, Kontrollen und Risikominimierungsstrategien im Auge zu haben. Ein Jugendlicher drückte dies so aus: »Jugendliche müssen – wenn sie Interesse daran haben – Kontakt mit diesen Sachen (wie Alkohol und Nikotin – Anmerkung der Autoren) haben, aber Eltern sollten es verbieten.«1 Die pubertierenden Jugendlichen wissen also häufig ganz genau, was sie lassen sollten, aber es ist nicht ihre Aufgabe, danach zu handeln. Das Korrektiv sind die Erwachsenen!