Aber Monsieur! - Emma Darcy - E-Book

Aber Monsieur! E-Book

Emma Darcy

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Beschreibung

Die Übernachtung in Paris war nur als Zwischenstopp auf ihrem Weg nach Genf gedacht. Doch was Kristy hier erlebt, ist so abenteuerlich, dass es ihr ganzes Leben verändern soll: Im Hotel bekommt sie ungefragt die Luxussuite - und ein gut aussehender Fremder küsst sie voller Leidenschaft.

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IMPRESSUM

Aber Monsieur! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Emma Darcy Originaltitel: „A Marriage Betrayed“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1337 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Sabine Buchheim

Umschlagsmotive: GettyImages_AlinaYudina

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733756147

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

In jedem Leben gibt es Wendepunkte, manche sind die Folge reiflicher Überlegung, andere wiederum werden durch einen Zufall heraufbeschworen. Als Kristy Holloway ihre Reise von London nach Genf für eine Übernachtung in Paris unterbrach, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, dass das Schicksal ihrem Leben ein neues Ziel vorbestimmt hatte, von dem es kein Zurück mehr gab. Niemals.

Der Zwischenstopp war nicht geplant gewesen. Kristy hatte sich von einem Impuls, einem sentimentalen Impuls, leiten lassen. Ein nostalgischer Tribut an Betty und John, mit dem sie ihr schlechtes Gewissen hatte beruhigen wollen, denn wären ihre Adoptiveltern noch am Leben gewesen, hätte sie diese Reise nach Genf nie unternommen.

Aber beide waren nun tot und konnten sich nicht mehr gekränkt oder verraten fühlen. Tränen brannten Kristy in den Augen, als sie aus dem Taxi stieg und die imposante Fassade des Hotels „Levant Soleil“ betrachtete.

Das im Renaissancestil errichtete Gebäude galt als eines der renommiertesten Hotels von Paris und lag zwischen den Champs Elysées und den Tuilerien. Selbst wenn Kristy das preiswerteste Zimmer nahm, würden die Kosten ein gewaltiges Loch in ihre sorgfältig kalkulierte Reisekasse reißen. Trotzdem schob sie energisch alle Bedenken beiseite. Die Erinnerung an zwei innig geliebte Menschen war wichtiger als alles Geld.

Vor über vierzig Jahren hatten Betty und John Holloway ihre dreitägigen „Flitterwochen“ im Levant Soleil verbracht. Um diese einmalige Extravaganz woben sich unzählige romantische Geschichten, die Betty Kristy oft erzählt hatte. Jene kleinen Begebenheiten waren erneut zum Leben erwacht, als Kristy in Johns Nachlass eine alte Postkarte entdeckt hatte – ein Stück aus der Vergangenheit, das er all die Jahre gehütet hatte.

Einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen … Das war der Zweck von Kristys Aufenthalt in Paris und ihrer Reise nach Genf. Eine letzte Reminiszenz an das Paar, das sie wie seine eigene Tochter aufgezogen hatte, und der Wunsch, ein für alle Mal herauszufinden, ob es in der Rotkreuzzentrale in Genf irgendwelche Unterlagen über ihre richtige Familie gab.

Seit Johns Tod hatte sie sich treiben lassen und ihr eigenes Leben fast aus den Augen verloren. Nun war es an der Zeit, ihrem Dasein wieder eine Richtung zu geben, gegen die innere Rastlosigkeit anzukämpfen und die Sehnsucht zu stillen, die sie sich selbst nicht recht erklären konnte. Vor ihr lag die Zukunft, aber Kristy konnte keine klaren Tendenzen erkennen. Noch nicht.

Natürlich könnte sie jederzeit wieder als Krankenschwester arbeiten, aber dazu war sie noch nicht bereit. Die langen Monate, in denen sie John in seinem Kampf gegen den Krebs unterstützt hatte, waren auch für sie kräftezehrend und emotional anstrengend gewesen. Sie hatte das Gefühl, auf diesem Gebiet nichts mehr leisten zu können – jedenfalls vorerst nicht.

Und was Männer betraf … Auch in dieser Hinsicht hatte sich nichts getan, seit Trevor sich von ihr getrennt hatte. Es hatte ihn gestört, dass sie sich ausschließlich um Johns Pflege gekümmert hatte. Ihre Beziehung war schlichtweg an den vielen, nicht eingehaltenen Verabredungen gescheitert. Nicht dass Trevor Kristys große Liebe gewesen wäre … Sie wusste selbst nicht, was sie erwartete, aber bislang hatte keiner der Männer, mit denen sie ausgegangen war, überwältigende Gefühle in ihr geweckt.

Sosehr sie es auch bedauert hatte, auf Trevors angenehme Gesellschaft verzichten zu müssen, in Anbetracht von Johns Krankheit, die kurz nach Bettys Tod ausgebrochen war, hatte Kristy keine andere Wahl gehabt. Sie schuldete ihren Adoptiveltern zu viel, um John nicht all die Pflege und den Zuspruch zu geben, die er verdiente.

Und hier war sie nun: achtundzwanzig Jahre alt, ohne Familie, ohne Partner und ohne Karriere, auf die sie sich hätte konzentrieren können – kurz gesagt, ohne einen Fixpunkt in ihrem Leben, der ihr Halt gegeben hätte.

Seufzend verdrängte Kristy die trüben Gedanken und näherte sich dem Eingang des Hotels.

Der Portier beendete sein Gespräch mit einem eleganten Paar, das gerade das Hotel verlassen hatte, und warf einen flüchtigen Blick auf Kristy. Seine soeben noch freundliche Miene änderte sich so schlagartig, dass Kristy unwillkürlich der Atem stockte. Erstaunen, Zweifel, Verwirrung und Ungläubigkeit wechselten in seinem Mienenspiel, das schließlich Fassungslosigkeit und Schock widerspiegelte.

War irgendetwas mit ihrer Kleidung nicht in Ordnung? Zugegeben, die Jeans und der Parka entsprachen kaum dem neuesten Modetrend, und die bequemen Turnschuhe wirkten vielleicht ein bisschen schäbig, aber nichtsdestotrotz war dieses Outfit heutzutage eine Art Uniform für Reisende in aller Welt und wurde überall anstandslos akzeptiert. Andererseits verlieh ihr der Rucksack, den sie mit sich herumschleppte, nicht unbedingt eine Aura von Klasse – und dies hier war zweifellos ein erstklassiges Hotel.

Insgeheim beruhigte Kristy sich damit, dass niemand sie fortschicken konnte, solange sie im Stande war, für die Unterkunft zu bezahlen. Gewiss rührte der abweisende Gesichtsausdruck nur von der Hochnäsigkeit des Portiers her. Sie beschloss, den Mann mit einem freundlichen Lächeln zu entwaffnen.

Ihr Lächeln war eindeutig ihr größter Vorzug, obwohl Betty auch immer von ihrem Haar geschwärmt hatte. Der rotgoldene Farbton war sehr selten, und die dichten Locken fielen ihr wie eine Löwenmähne über die Schultern. Ihr Gesicht hingegen war nicht annähernd so auffallend, aber sie persönlich fand es recht hübsch. Nase und Mund waren gerade und ebenmäßig – nichts Besonderes also –, nur ihre Augenfarbe hatte ihr bereits einige Komplimente eingebracht, da ein so klares Blau nur selten in Verbindung mit rotblondem Haar vorkam.

Der Portier ließ sich allerdings nicht von ihrem Lächeln beeindrucken. Im Gegenteil, er schien sogar schockiert darüber zu sein. Kristy entschied, dass sie ihn vermutlich am leichtesten dadurch gewinnen könnte, indem sie ihn in seiner Muttersprache anredete.

„Bonjour, Monsieur“, begrüßte sie ihn liebenswürdig. Sie besaß ein angeborenes Talent für Fremdsprachen, das es ihr ermöglichte, sich mühelos jedem Land anzupassen, in das Johns Militärdienst sie geführt hatte.

„Bonjour, Madame.“

Nun, sonderlich begeistert klang das nicht. Eher eine kühle Formalität. Kristy versuchte erst gar nicht, „Madame“ in „Mademoiselle“ zu korrigieren. Der Mann fühlte sich in ihrer Gegenwart eindeutig unwohl und winkte einen Pagen herbei, der ihr eilfertig den Rucksack abnahm. Zumindest war sie nicht fortgeschickt worden.

Gleich darauf wurde die Tür für sie aufgerissen. Kristy hätte dem Portier gern ein Trinkgeld gegeben, um zu beweisen, dass sie dieses Hotels würdig war, aber er hatte den Blick bereits auf einen imaginären Punkt über dem Empfangstresen gerichtet. Sie konnte sich des unbehaglichen Eindrucks nicht erwehren, dass er sie für eine Art Alien hielt.

Der Page eilte an ihr vorbei zur Rezeption. Einer der Empfangschefs wandte sich zu ihr um. Schieres Entsetzen spiegelte sich auf seinen Zügen wider. Was, um alles in der Welt, war nur los? Warum rief ihr Anblick eine so sonderbare Reaktion hervor? War sie tatsächlich in diesem Hotel nicht erwünscht?

Für Kristy ergab das alles keinen Sinn. Aber falls man sie tatsächlich hinauswarf, würde sie sich trotzdem nicht an ihrer Reise in die Vergangenheit hindern lassen. Sie war hierhergekommen, um – soweit es ihr möglich war – nachzuvollziehen, was Betty vor vierzig Jahren empfunden hatte. Trotzig blieb sie stehen und sah sich in der weitläufigen Halle um.

In einen sanften goldenen Schimmer getaucht … magisch. Dies waren Bettys Worte gewesen, und sie trafen noch immer zu. Der gelbliche Schein der Lampen wurde von den mit gemasertem Sienamarmor verkleideten Wänden reflektiert. Der Boden war mit schwarzen und weißen Marmorfliesen bedeckt, genau wie Betty es beschrieben hatte, und die weit ausladenden Kristalllüster an der Decke trugen zu der märchenhaften Umgebung bei.

Das Foyer war luxuriös, aber nicht übertrieben ausgestattet. Es verströmte eine Atmosphäre des Reichtums und guten Geschmacks, die durch die elegant gekleideten Gäste betont wurde. Niemand trug hier Jeans. Nicht einmal Designerjeans. Und was Turnschuhe anging … Kristy vermutete, dass keiner der Gäste sich in den Dingern auch nur beerdigen lassen würde.

Sie passte nicht hierher. Das war die ungeschminkte Wahrheit. Betty und John hatten zweifellos ihre beste Hochzeitsgarderobe angehabt, als sie hier abgestiegen waren. Man kam nicht einfach spontan in dieses Hotel.

Aber nun ist es geschehen, und ich brauche mich dessen nicht zu schämen, tröstete Kristy sich. Sie wollte lediglich ein Zimmer für eine Nacht. Damit hätte sie ihr Ziel erreicht, und sie sah keinen Grund, weshalb sich das nicht bewerkstelligen lassen sollte. Wenn sie erst einmal aus dem Foyer verschwunden wäre, würde sie für niemanden mehr ein Problem darstellen. Außerdem war es nicht verboten, einer sentimentalen Laune nachzugeben.

Der Page bewachte mit undurchdringlicher Miene ihr Gepäck. Sowohl er als auch der Angestellte am Empfangsschalter ließen sie nicht aus den Augen. Kristy hasste es, irgendwo nicht willkommen zu sein, aber diese Leute bedeuteten ihr nichts. Die Erinnerung an eine Hochzeitsreise vor vierzig Jahren war ihr wichtiger als die Billigung des Hotelpersonals.

Da sie nicht bereit war, sich einschüchtern zu lassen, näherte sie sich dem Tresen. Der Angestellte, ein hagerer Mann mit schütterem Haar, richtete sich kerzengerade auf. Offenbar war er für die „schwierigen“ Gäste zuständig.

„Kann ich Ihnen behilflich sein, Madame?“

Einstudierte Floskeln, dachte Kristy geringschätzig. Er wollte ihr überhaupt nicht helfen. Die besorgt gerunzelte Stirn und die in seinen Worten anklingende Entrüstung verrieten, dass er sie so schnell wie möglich loswerden wollte.

„Ich möchte ein Zimmer für heute Nacht. Nur diese eine Nacht“, betonte sie in der Hoffnung, ein so kurzer Aufenthalt würde ihn milder stimmen. Zumindest konnte er sich nicht über ihr Französisch beschweren, es war nahezu akzentfrei.

Er zögerte. „Wir haben eine Suite …“

Kristy blickte ihm fest in die Augen. Anscheinend glaubte er, sie könne sich eine teure Suite nicht leisten. „Ich möchte ein Zimmer. Ein ganz normales Zimmer. Für eine Nacht. Können Sie mir damit etwa nicht dienen?“

Ihr herausfordernder Tonfall schien ihn zu erschrecken. Vielleicht fürchtete er eine peinliche Szene. „Doch, Madame“, versicherte er rasch. „Ein Zimmer lässt sich selbstverständlich auch arrangieren.“

„Ihr preiswertestes Zimmer“, fügte sie nachdrücklich hinzu, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Seine Augenbrauen schossen förmlich in die Höhe. „Oui, Madame“, erwiderte er verblüfft.

Er reichte ihr das Anmeldeformular, und Kristy füllte es aus. Sie fühlte sich, als hätte sie einen kleinen Sieg über Eitelkeit und Snobismus gewonnen. Warum das Personal sie allerdings hartnäckig mit „Madame“ anredete, war ihr ein Rätsel, aber sie tat es als unwichtig ab. Sie hatte eingecheckt. Das allein zählte.

Sie schob das Papier über den Tresen. Der Empfangschef nahm es entgegen und überflog die Angaben, die sie zu ihrer Person gemacht hatte. Sie hätte schwören mögen, dass er um Fassung rang, während er ihre Daten studierte. Wahrscheinlich wunderte er sich, dass sie Amerikanerin und keine Französin war.

Das erklärte jedoch nicht, warum er plötzlich so hektisch wurde und das Formular unter den Tisch schob, als wäre es vergiftet. Er griff nach einem Zimmerschlüssel, reichte ihn dem Pagen und deutete übertrieben eifrig zu den Aufzügen.

Der Page setzte sich sofort mit dem Rucksack und dem Schlüssel in Bewegung, doch Kristy war über die Reaktion des Empfangschefs verärgert. Sie schätzte es absolut nicht, herumgeschubst oder von oben herab betrachtet zu werden. Ihr ausgeprägter Freiheitsdrang gebot, dass sie sich derartigem Druck entzog.

Also rührte sie sich nicht von der Stelle und sah sich neugierig in der Halle um. Ihr Blick fiel auf ein Paar, das in einer Nische saß und sich so angeregt gestikulierend unterhielt, wie es nur Franzosen vermochten. Die Frau war eine hinreißende Brünette, deren schwarz-weißes Kostüm zweifelsfrei von einem Pariser Topdesigner stammte. Sie verlieh dem Begriff „chic“ eine neue Bedeutung.

Ihr Begleiter war noch atemberaubender, die perfekte Verkörperung aristokratischer Eleganz. Er sah aus wie der klassische Franzose: hohe Stirn, eine etwas zu lange, aber wohlgeformte Nase, markantes Kinn und ein überaus sinnlicher Mund. Der dunkelgraue, maßgeschneiderte Anzug betonte die Geschmeidigkeit seines muskulösen Körpers.

Irgendetwas an ihm weckte Kristys Aufmerksamkeit, so als würde sie ihn kennen, obwohl sie sicher war, dass sie sich an ihn erinnern würde, falls sie ihm schon einmal begegnet wäre. Dieses sonderbare Gefühl veranlasste sie, ihn ein wenig genauer zu betrachten.

Er trug das schwarze Haar glatt zurückgekämmt. Auf Kristy wirkte er wie ein Kunst- und Musikliebhaber, der außerdem gutes Essen und edle Weine zu schätzen wusste. Die spöttisch hochgezogenen Brauen deuteten darauf hin, dass es ihm Vergnügen bereitete, alles infrage zu stellen, und das Funkeln in seinen dunklen Augen zeigte, dass ihm nichts entging.

Seine Züge verrieten Leidenschaft und eine gewisse Neigung zum Zynismus, Kristy schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er besaß eine Reife, die man nur durch jahrelangen Erfolg – worin auch immer – gewinnen konnte.

Unwillkürlich beneidete sie die Frau, die bei ihm war. Die beiden feierten etwas. Eine Champagnerflasche steckte in dem silbernen Eiskühler, der neben den beiden Kristallkelchen vor ihnen auf dem Tisch stand. Vielleicht die Flitterwochen? überlegte Kristy und verspürte bei diesem Gedanken einen nagenden Schmerz.

Der Mann schenkte seiner Begleiterin plötzlich ein strahlendes Lächeln, und Kristy stockte der Atem. Auf einmal wünschte sie nichts sehnlicher, als dass dieses Lächeln ihr gelten möge – allein ihr. Erschrocken wandte sie den Blick ab.

Der Page wartete sichtlich ungeduldig neben dem Lift. Sie hatte ihn nicht um seine Dienste gebeten. Als Gast dieses Hotels hatte sie das Recht, sich nach eigenem Gutdünken zu bewegen, und brauchte auf seine Wünsche keine Rücksicht zu nehmen. Das Paar, das sie beobachtet hatte, tat jedenfalls mit der größten Selbstverständlichkeit, was ihm behagte. Sie schaute noch einmal zu ihnen hinüber und empfand eine ihr sonst völlig fremde Abneigung.

Kristy vermochte später selbst nicht zu sagen, was dann geschah. Waren ihre negativen Wellen quer durch die Halle zu den beiden gedrungen? Der Mann zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten. Er hob den Kopf, wandte sich von seiner Begleiterin ab und richtete den Blick so eindringlich auf Kristy, dass sie kaum noch zu atmen wagte. Langsam erhob er sich, auf seinem Gesicht spiegelte sich … ja, was eigentlich? Erstaunen … Ungläubigkeit, Schock … Schuldbewusstsein … Zorn?

Beim Aufstehen stieß er versehentlich mit der Hand gegen ein Glas. Es fiel um und rollte über den Tisch, während die goldgelbe Flüssigkeit sich auf den Boden ergoss. Instinktiv, aber offenbar zu heftig, griff er danach – und der ganze Tisch kippte um. Eiswürfel und Kristallsplitter prasselten auf die Marmorfliesen, begleitet von einem Strom perlenden Champagners.

Der Mann achtete kaum auf das Chaos, das er angerichtet hatte, und sah Kristy so vorwurfsvoll an, als wäre sie an allem schuld.

Sie hatte das sonderbare Gefühl, als hätten Zeit und Raum sie in eine andere Dimension katapultiert. Ihr Puls begann zu rasen, ihr Herz klopfte, als wollte es Zerspringen, und hinter ihren Schläfen pochte es heftig. Wie durch einen dichten Nebel registrierte sie, dass die Frau aufsprang, sich an den Arm des Mannes klammerte und seine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken wollte. Dann spürte Kristy eine Hand auf ihrem eigenen Arm und kehrte jäh aus dem tranceartigen Zustand, der sie gefangen gehalten hatte, zurück. Der Mann vom Empfangstresen stand neben ihr.

„Ihr Zimmer, Madame“, erinnerte er sie nervös. „Der Page wartet am Aufzug auf Sie.“

„Oh! Ja. Okay.“ In ihrer Verwirrung hatte sie ihre Französischkenntnisse völlig vergessen.

Es kostete sie ungeheure Willenskraft, sich von der peinlichen Szene abzuwenden. Es war nicht ihre Schuld gewesen. Wie auch? Sie war hier ein Niemand. Sie kannte den Mann nicht, und der Mann kannte sie nicht. Sie hatte sich diese merkwürdige innere Verbundenheit bestimmt nur eingebildet.

Der Page hielt die Türen des Lifts für sie auf. Der Rucksack lag bereits in der Kabine. Der junge Angestellte schüttelte angesichts des Durcheinanders in der Halle bekümmert den Kopf, als Kristy an ihm vorbeiging.

„Ein bedauerliches Missgeschick“, sagte sie verlegen.

„Un scandale“, äußerte er halblaut und drückte auf einen Knopf der Schalttafel. „Un scandale terrible!“, fügte er finster hinzu.

2. KAPITEL

So ein melodramatischer Unsinn, dachte Kristy und verdrängte gleichzeitig ihr Unbehagen.

Derartige Zwischenfälle mochten in einem so exklusiven Hotel vielleicht ungewöhnlich sein, aber das gut geschulte Personal würde sich unverzüglich darum kümmern, den Schaden zu beseitigen. Ein paar zerbrochene Gläser und etwas verschütteter Champagner bedeuteten wohl kaum einen „schrecklichen Skandal“.

Sie verzichtete auf jeglichen Kommentar, während der Lift lautlos nach oben glitt. Der Page und sie hatten offenbar nicht die gleiche Wellenlänge. Außerdem war sie noch immer zutiefst aufgewühlt von der überwältigenden Ausstrahlung dieses Mannes.

Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches erlebt. Möglicherweise hatten Kummer, Stress und Erschöpfung ihr Nervensystem angegriffen und sie emotional aus dem Gleichgewicht gebracht. Sogar die spontane Entscheidung, im Levant Soleil abzusteigen, erschien ihr auf einmal lächerlich. Zumindest war es ziemlich unüberlegt gewesen, wenn man die Reaktion des Personals bedachte. Oder maß sie dem Ganzen zu viel Bedeutung bei und machte aus einer Mücke einen Elefanten?

Und was den Mann betraf, der all die widersprüchlichen Gefühle in ihr ausgelöst hatte … Gab es so etwas wie eine Bekanntschaft aus einem früheren Leben? Verwundert über diese absurde Idee schüttelte Kristy den Kopf. Vermutlich versetzte das Hotel sie in diese romantische Stimmung – Bettys und Johns Flitterwochenhotel. Die starke Faszination für den attraktiven Fremden hatte ihr Wahrnehmungsvermögen getrübt und sie Dinge sehen lassen, die gar nicht existierten.

Genauso gut könnte eine Äußerung seiner Begleiterin ihn verärgert haben. Kein Wunder, dass er Kristys Blicke als lästig empfunden hatte, insbesondere nachdem er den Tisch umgeworfen hatte. Niemand legte bei einer so peinlichen Szene Wert auf Zeugen. Es war dumm, mehr hineinzuinterpretieren.

Der Aufzug stoppte. Die Türen öffneten sich. Kristy hatte inzwischen die Fassung wiedergewonnen und war fest entschlossen, sich während ihres kurzen Aufenthaltes in Paris durch nichts mehr aus der Ruhe bringen zu lassen.

Der Page geleitete sie in ein Zimmer, das absolut nichts Preiswertes an sich hatte. Sie erschrak eingedenk des Preises, den sie am nächsten Tag dafür bezahlen musste, aber dann sagte sie sich, dass sie schließlich hier sei, um die Atmosphäre und das Ambiente auf sich wirken zu lassen. Die Kosten waren nebensächlich.

Kristy suchte in ihrer Handtasche nach ein paar Münzen für das Trinkgeld. Ein völlig überflüssiges Unterfangen, wie sich zeigte. Der junge Mann floh förmlich aus dem Zimmer. Die Höflichkeit der Leute im Hotel endete offenbar an der Tür – allem Anschein nach war man nun sicher, dass Kristy kein Unheil mehr heraufbeschwören könnte.

Obwohl es sie maßlos störte, wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden, betrachtete sie neugierig ihre Umgebung. Endlich war sie allein. Sie würde niemanden stören, und niemand konnte sie stören.

Das Schlafzimmer war wunderhübsch. Bis auf wenige schwarze Accessoires ganz in Weiß, Beige und Braun gehalten, wirkte es sehr elegant und pariserisch. Die Ausstattung war allerdings zu modern, um bereits vor vierzig Jahren hier gewesen zu sein. Die Logik sagte Kristy, dass das Mobiliar seit Bettys und Johns Aufenthalt gewiss mehrfach ausgetauscht worden war, aber dennoch war sie sicher, die beiden hatten sich damals genauso wohl gefühlt wie sie sich heute. Selbstverständlich hatte das Verliebtsein alles noch mehr verzaubert.

Das Bad mit den Marmorfliesen war der Gipfel an Luxus. Kristy konnte sich lebhaft vorstellen, wie Betty in dieser Dekadenz geschwelgt hatte. Kostbare Sanitärobjekte gehörten nicht zu den Annehmlichkeiten der Entwicklungsländer, in denen John während seiner Militärlaufbahn häufig stationiert gewesen war. Betty hatte sich zwar nie darüber beklagt, aber „Zivilisation“ war für sie untrennbar mit einem funktionierenden Badezimmer verbunden gewesen.

Kristy wollte gerade den Rucksack auspacken, als es leise klopfte. Als sie die Tür öffnete, sah sie sich einem würdevollen Gentleman in einem Nadelstreifenanzug gegenüber. Obwohl er nicht größer war als sie, strahlte er herablassende Autorität aus.

„Auf ein Wort, Madame“, begann er sanft.

Sie lächelte ihn an. „Und wer sind Sie?“

Er schmunzelte. „Ein wirklich gelungener Scherz, Madame.“

Falls es ein Scherz war, hatte Kristy ihn jedenfalls nicht begriffen.

„Darf ich hereinkommen?“, erkundigte er sich höflich.

Sie zögerte. Ein Fremder war ein Fremder, besonders dann, wenn er sich so sonderbar benahm. „Wozu?“, fragte sie misstrauisch.

Er verzog entschuldigend das Gesicht. „Dieses Zimmer … Es hat einen Irrtum gegeben. Wenn Sie mir erlauben würden, den Fehler zu korrigieren …“

„Oh!“ Nun war ihr alles klar. Er gehörte zum Management. War er hier, um ihr zu sagen, dass dies nicht der billigste Raum sei, oder würde man sie am Ende doch noch aus dem Hotel werfen?

Er rang die Hände und verriet dadurch eine gewisse Besorgnis über ihre eventuelle Verärgerung. „Ein höchst unglücklicher, bedauerlicher Irrtum …“

Kristy zuckte mit keiner Wimper. Insgeheim fragte sie sich, ob es sich lohne, sich darüber aufzuregen. Falls das gesamte Personal gegen sie war, konnte es ihr mühelos den Aufenthalt vergällen.

„Ich muss darauf bestehen“, fuhr der Mann verlegen fort, „wenn Sie mir die Formulierung verzeihen, dass Sie das Zimmer räumen.“

Sie gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Sie könnte ihren Standpunkt verteidigen und vielleicht sogar eine Entschädigung für den Fehler des Hotels herausschlagen, aber war die Angelegenheit einen Streit wert? Glücklicherweise hatte sie noch nicht ausgepackt, sodass ihr zumindest die Demütigung erspart blieb, ihre Habseligkeiten unter den Augen dieses Mannes wieder in den Rucksack zu stopfen.

„Bitte gestatten Sie mir, Madame, Sie zu einer … äh … Unterkunft zu bringen, die Ihren … nun … Bedürfnissen eher entgegenkommen dürfte“, erklärte ihr Vertreiber mit ausgesuchter Höflichkeit. Eine bessere Formulierung, um sie in ihre Schranken zu verweisen, hätte er nicht finden können.

„Sie sind ein Meister des Takts, Monsieur“, meinte Kristy trocken.

Leider entging ihm der ironische Unterton in ihren Worten völlig. Stattdessen strahlte er über das vermeintliche Kompliment. „Wir genießen – wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten – einen weltweiten Ruf für Takt und … Einfühlungsvermögen. Danke.“

„Die Unterkunft, zu der Sie mich bringen möchten … Ich hoffe, sie ist preiswert, Monsieur“, erwiderte Kristy unumwunden. „Wissen Sie, ich habe nicht viel Geld …“

„Sagen Sie nichts, Madame. Diskretion. Trost. Verständnis. Bei meiner Erfahrung …“ Er breitete die Arme aus in einer Geste, die die ganze Welt in seine Diskretion, seinen Trost und sein Verständnis einschloss.

„Wenn das so ist … Ich hole nur noch mein Gepäck.“ Kristy wollte nicht die Dienste eines weiteren Pagen in Anspruch nehmen, nicht in diesem Hotel.

„Non, non, Madame. Gestatten Sie mir, es für Sie zu tragen.“

Kristy war erstaunt. Sie hätte gedacht, es wäre unter seiner Würde, als Gepäckträger zu fungieren. Er hat es wirklich eilig, mich loszuwerden, überlegte sie in einem Anflug von Zynismus.

Sie trat einen Schritt beiseite und winkte ihn lässig herein. Er nahm den Rucksack, während sie ihre Handtasche holte. Hierher zu kommen war ein naiver Tagtraum, schalt sie sich im Stillen, als sie das Zimmer verließen. Die Vergangenheit war vorbei und konnte nicht wieder belebt werden. Wenigstens hatte sie das Hotel gesehen. In Anbetracht der Umstände war das auch genug.