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Du bist in New York City, Manhattan, im Village, und du kennst dich ziemlich gut aus, in den Straßen der Stadt. Denkst du. Aus so vielen Filmen und Serien kennt man das. Denken deine Augen. Und dann, auf einmal, merken sie, sie kennen nichts.
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Seitenzahl: 25
Jörg Albrecht
Aber nicht überall
SuKuLTuR
Jörg Albrecht
Aber nicht überall
SuKuLTuR2014
Schöner Lesen Nummer 138ein SuKuLTuR-Produkt
1. Auflage Dezember 2014Alle Rechte vorbehalten
Text: Jörg AlbrechtCover: Stefan Mosebach
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
SuKuLTuR, Wachsmuthstr. 9, 13467 [email protected] · www.sukultur.de
ISBN 978-3-95566-043-7
1
IMMER MEHR ODER WENIGER, ALS MAN SEIN SOLL
Du bist in New York City, Manhattan, im Village, und du kennst dich ziemlich gut aus, in den Straßen der Stadt. Denkst du. Aus so vielen Filmen und Serien kennt man das. Denken deine Augen. Und dann, auf einmal, merken sie, sie kennen nichts. Und du läufst eine Straße herunter, immer noch benommen von dieser Mischung aus kältestem Schatten und brutalem Sonnenlicht. Du bleibst stehen, deinen Coffee To Go in der Hand, um zwei Jungen zuzusehen, die sich streiten, um ein Videospiel. Und auf einmal hält dir jemand die Augen zu, hält sie für fünf Sekunden zu, und du hältst es nur fünf Sekunden aus, weil du Angst hast, und nach genau fünf Sekunden sagt eine Stimme: Guess who, löst die Hände, du drehst dich um und glaubst es nicht. Für einen Augenblick nur, sehr kurz, vergißt du, zu tun, was du immer tust. Du bist außer dir. Für einen Augenblick bist du Teil von jemandem, den du gar nicht kennst. Oder doch kennst? Doch! Aus den alten Zeiten des Kinos. Und niemand, niemand glaubt dir.
Ich weiß nicht, wie oft in meinem Leben das Kino mein Leben gerettet hat. Wie oft ich im Dunkeln gesessen habe und geweint, und niemand sah es. Ich weine, wenn etwas bricht. Ja, ich kann nicht anders. So wie andere weinen, sobald Whitney Houston singt, zu flimmernden Bildern, muß ich weinen, sobald die Handlung bricht, die Handlung, die ich vor mir sehe, sich einem Bruch aussetzt, aussetzen muß, wenn in diesem Bruch etwas aussetzt, die Zeit, das Handeln, das sonst so gewiß scheint, überhaupt die immer so selbstsichere Realität. Wenn dieser Bruch darin besteht, daß das, was vorher war, nicht mehr unausweichlich ist, sondern selbst ein Bruchteil. Und auf einmal sagt nichts mehr: So ist es, so und nicht anders! Ein Schock. Es ist nicht alles einfach so, es ist mal so, mal so und mal so, und wie ist es jetzt gerade, mal schauen, ja?
Kann es sein, daß das Poetische sich dort aufhält? Und, mehr noch: Daß dort auch das Politische sich bewegt? In einem Riß der Wahrnehmung?1