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Die Geschwindigkeit, mit der Josh, Pitje, Nora und all die anderen durch die Welt stürmen, kann einen schwindlig machen. Ihre Neugier ist ebenso unbezähmbar wie mitreißend. Alle Oberflächen müssen abgetastet, alles muß im Bild festgehalten werden - freilich nicht 1:1 und schon gar nicht akribisch geordnet für die wohligen Erinnerungen der Enkel. Vor allem gilt es, die Geschwindigkeit der Neuronen im eigenen Kopf mit dem ekstatischen JETZT zu synchronisieren. Was fertig aussieht, ist nur Rohmaterial und muß immerzu neu zusammengesetzt und abgemischt werden. Selbstverständlich werden dabei die 10 goldenen Regeln der Lomographie hochgehalten, ebenso aber Super 8-Filme, Digitalkameras und Fotofixautomaten genutzt sowie alte Fotos durchgeblättert - und unweigerlich taucht die Frage auf, wie das unstillbare Nasenbluten zu erklären ist, das seit über drei Generationen die Familie plagt. Überall lauern Geschichten: von Lis und ihren Edelweißpiraten in den dreißiger Jahren, von Burkhard und dessen Freunden in den Sechzigern, und schließlich sogar solche aus der eigenen Vergangenheit zwischen Schallplatten, Filmsequenzen und drei schlagenden Herzen. Jörg Albrecht erzählt sie auf eine Weise, wie wir sie noch nicht vernommen haben.
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Seitenzahl: 305
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Jörg Albrecht
Drei Herzen
Roman
Jörg Albrecht
Roman
GERTRUDE STEIN schreibt,
We need only realize our parents,
remember our grandparents and
know ourselves and our history is complete.
ROLF DIETER BRINKMANN sagt,
Das stumme Atmen als Erzählen,
das Abhören der Geräusche,
die gelöschten Bänder einer vergangenen Unterhaltung, nochmal und nochmal
TOCOTRONIC singen,
eines ist doch sicher / eins zu eins ist jetzt vorbei / wir sind wie Agenten / jetzt ist es soweit
Auf Power schalten. Den roten Knopf drücken. Den roten Knopf gedrückt lassen. Den LCD ausklappen. Das Bild auf dem LCD abwarten.
Wie es sich aufhellt, wie es sich abdunkelt. Dazwischen verschwommene Konturen. Das Bild im Mutterleib. Vielleicht kennen wir da schon den verschwommenen Ausblick. Vielleicht haben wir unsere Worte da schon. Vielleicht ist die Welt da schon klein.
Die RECORD-Anzeige blinkt. Die RECORD-Anzeige ist rot. Der Ton ist verzerrt, das Bild verschwommen.
Nur die Tonspur läuft. Nur die Bildspur läuft. Nur die Hautzellen sind noch nicht abgestumpft. Jede Berührung ein elektrischer Schlag, jede Berührung das Aufleuchten eines Bildes. Bis sich Berührungen aneinanderreihen. Jede Berührungsserie ein Aufblinken von Bildern, jede Berührungsserie ein Film. Jeder Film fängt irgendwann an. Jeder Film hört irgendwann auf. Dazwischen das kleine Beben der Bilder. Was sagt der Seismograph.
Die RECORD-Anzeige bleibt rot, die RECORD-Anzeige blinkt.
Erst zwei hellblaue Punkte und eine Fläche aus Schwarz. Erst verschwommen, dann klar. Joshs Augen und Pitjes Haare. Erst in Bildbruchstücken, dann hochaufgelöst. Pitje sagt, Nur von innen. Josh fragt, Filmst du schon. Pitje hält etwas Hellgrünes aus Plastik vor sein Gesicht. Pitje hält etwas Hellgrünes aus Plastik vor seine schwarzen Augen.
Davor ist das Bild unscharf. Davor ist das Bild zu dunkel. Davor ist das Bild schwarz.
Wir müßten klein sein, sage ich und knie mich hin. Neben einem orangen Telefon ohne Kabel mein hellgrüner Märchenfernseher. Neben dem hellgrünen Märchenfernseher meine Kniescheibe unter Kord. Neben meiner Kniescheibe unter Kord Josh und Pitje. Josh und Pitje sortieren aus einem Schuhkarton die schönsten Aufkleber der Siebziger und die schrecklichsten Aufkleber der Achtziger aus. Neben den schrecklichsten Aufklebern der Achtziger und den schönsten Aufklebern der Siebziger ein vergilbter Karton. Unter dem vergilbten Karton die PVC-Platten des Dachbodens meiner Eltern.
Wir müßten klein sein, sage ich und bleibe stehen und zoome an die PVC-Platten heran. Auf den PVC-Platten des Dachbodens meiner Eltern liegen japanische Zeichen. Die japanischen Zeichen der Kameragebrauchsanweisung liegen hier, wenn ich nah genug an die PVC-Platten heranzoome.
Der Zoom ist zu stark, der Zoom ist zu schnell. Das Bild verschwimmt. Joshs hellblaue Augen und Pitjes schwarze Augen gehen ineinander auf.
Fünf Jahre früher passiert das zum ersten Mal. Fünf Jahre früher sehen wir von der alten Halde hinunter auf unsere kleine Stadt. Nach dem Konzert von Samba singen wir, Es war schon so eine Sensation, wie du in meinen Kopf reinkamst. Dann hält Josh seine Lomo irgendwo neben uns. Es ist doch dunkel, sage ich, und Josh sagt, Goldene Regel der Lomographie Nummer 3. Drei Sekunden später blute ich aus der Nase. Drei Sekunden, nachdem Josh gedrückt hat. Auf dem Bild drei Köpfe, die übereinanderliegen. Drei Augenpaare, die übereinanderliegen. Hellbraun, schwarz, hellblau. Da gehen unsere Blicke ineinander auf. Da verschränken sich unsere Blicke.
Das erste Mal das Bild der Lomo sehen, das erste Mal die verschränkten Blicke. Durch die Haut die Nervenstränge der anderen sehen, durch die Haut meine Adern pulsieren sehen, mein Herz, durch die Haut Blut in die Nase schießen sehen.
Das Blut über den japanischen Zeichen der Kameragebrauchsanweisung oder dem Muster der PVC-Platten trocknen sehen. Die Angst, Blut könnte in die Kamera gelaufen sein. Josh sagt, Wenn der Blutpegel zu hoch ist, schwappt es über. Wenn der Blutpegel zu niedrig ist, hört das Herz auf zu schlagen. Mit dem Blutpegel sinkt die Frequenz. Jedes Herz fängt irgendwann an. Jedes Herz hört irgendwann auf. Dazwischen das Anschwellen und das Zusammenziehen. Was sagt der Bewegungsmelder.
Das Blut auf den PVC-Platten in eine Richtung zeigen sehen. Die Ausläufertropfen auf dem vergilbten Karton entdecken. Die Ausläufertropfen zählen. Den vergilbten Karton bewundern. Pitje fragt, Noch mehr Aufkleber. Josh fragt, Auch von innen.
Ist die Bandgeschwindigkeit da noch Short Play. Ist die Bandgeschwindigkeit da schon Long Play. Ist die Zoomgeschwindigkeit da schon verlangsamt.
Dann öffnen wir den vergilbten Karton, oder öffne ich den vergilbten Karton, oder öffnen meine blutverklebten Hände den vergilbten Karton. Der Pegel steigt, die Nase pulsiert. Schade, kein Pantonstuhl, sagt Pitje. Schade, keine Adidastasche, sagt Josh. Mein Herz schwillt an, mein Herz zieht sich zusammen, mein Herz schwillt an. Mit einer Frequenz von neunzig Megahertz. Mit einer Frequenz von neunzig Gigahertz. Mit einer Frequenz von neunzig Terahertz.
Die RECORD-Anzeige blinkt zu schnell, die RECORD-Anzeige blinkt nicht mehr, die RECORD-Anzeige bleibt rot. Die Zoomgeschwindigkeit bleibt hoch.
Der verschwommene Blick durch die Digitalkamera, wenn der Zoom zu stark ist. Der verschwommene Blick durch das Fruchtwasser. Die verschwommene Erinnerung an die erste Embryonalphase.
Neunzig Terahertz. Einundneunzig Terahertz. Zweiundneunzig Fotos im vergilbten Karton. Das oberste Foto, ein Sommerfoto, geschossen von meiner Großmutter väterlicherseits. Ein See, vier Jungen in Baströcken, Zigaretten im Mund. Rückseite: Sommer 1942. Oder aber: Das oberste Foto, ein Hochzeitsfoto. Mein Vater im schwarzen Anzug, mit schwarzer Brille, mit schwarzem Haar, geht meiner Mutter entgegen, meine Mutter im weißen Kleid, mit weißem Blumenstrauß und weißem Haar. Rückseite: Mai 1973. Oder aber: Das oberste Foto, ein Geburtstagsfoto. Mein achtzehnter Geburtstag, Kathryn, Nora, Pitje, Josh und ich, mit Malzbierflaschen und zu engen T-Shirts, im Hintergrund Joshs Kofferplattenspieler, auf dem sich eine Langspielplatte dreht. Rückseite: August 1999. Oder aber: Das oberste Foto, ein Bild im Mutterleib. Zwei Augen und ein schwarzes Haar. Rückseite: ohne Datum. Ist das das oberste Foto.
Auf der obersten Tonspur: Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein. Auf der obersten Bildspur: Pitjes Gesicht, Joshs Gesicht, mein Gesicht, die ineinander übergehen, digital.
Die verschwommene Erinnerung an die erste Embryonalphase. Die verschwommene Erinnerung an die erste Fötalphase. Die verschwommene Erinnerung an die erste Säuglingsphase. Die klarer werdende Erinnerung an später. Das leichter werdende Erinnern. Das Kopfhörerkabel als Nabelschnur. Das Kratzen der Nadel auf Vinyl als Stillgeräusche. Immer mehr als eine Tonspur. Immer mehr als eine Bildspur. Immer mehr als eine Spur auf der Haut, die Haut nur durchlässig für Schweiß und Zigarettenrauch.
Da ist die Bandgeschwindigkeit schon lange Long Play. Da ist die Bandgeschwindigkeit lange nicht mehr Short Play. Die RECORD-Anzeige blinkt nicht mehr. Die Zeitanzeige ist weiß.
Dann öffnen wir den vergilbten Karton. Dann öffnen wir den vergilbten Karton nicht nur. Dann schütten wir den vergilbten Karton aus. Wir lösen die Tonspuren auf. Wir lösen die Bildspuren auf. Wir lösen mit unseren Blicken aus und zerlegen den Film in ein Bild und noch eins und noch eins. Kleiner und kleiner. Wir wollen klein sein. Nur von innen, fragt Pitje.
Ein Bild fällt und noch eins und noch eins. Bis der vergilbte Karton leer ist. Bis alle Bilder übereinanderliegen. Eins plus eins gleich drei. Aber eigentlich müssen wir doch subtrahieren.
Ein Foto weniger. Einundneunzig Fotos. Einundneunzig Terahertz. Neunzig Terahertz. Meine vom Nasenbluten blutigen Finger halten ein Bild. Du zoomst zu schnell, sag ich. It’s cool to be überquick, sagt Pitje. Josh drückt auf seine Lomo und sagt, Goldene Regel der Lomographie Nummer 6. Ein Foto mehr.
Ein Foto weniger. Ein schwarzweißes Foto. Meine Großmutter väterlicherseits, an eine Hauswand gelehnt. Auf der Hauswand Buchstaben aus Kreide, die ich nicht erkennen kann. Sie lacht nicht, sie lächelt nicht, sie will nicht fotografiert werden. Sie trägt lange Strümpfe, die bunt sein könnten, sie trägt eine Baskenmütze, sie trägt einen Fotoapparat um den Hals, sie trägt einen Bauch. Rückseite: März 1945. Meine Großmutter väterlicherseits sabotiert den nationalsozialistischen Staat, sie verteilt keine Flugblätter, sie versteckt keine Menschen, sie fotografiert. Fotografien von einem Land, das bald nicht mehr da sein wird. Von innen wird das Land kleiner. Von innen wird der Körper größer. Im Bauch meiner Großmutter väterlicherseits mein Vater. Da ist die erste Embryonalphase schon vorbei.
Die zweite Embryonalphase. Die zweite Fötalphase. Die zweite Säuglingsphase. Denn eigentlich wollen wir klein sein, klein sprechen, kleine Worte, kleine Bilder. Eigentlich schlagen unsere Herzen mit immer weniger Frequenz. Eigentlich sollten wir uns subtrahieren, ein Lidschlag weniger, ein Atemzug weniger, ein Wort weniger. Die Welt kleiner machen. Guck in den Märchenfernseher.
Die zweite Embryonalphase. Die zweite Fötalphase. Das Ohr als Nabel, der angeschlossen sein will. Der Körper als Körper. Nach vierzig Wochen beträgt das Gewicht dreitausendzweihundert Gramm. Nach vierzig Wochen wird der Fötus zum Neugeborenen. Wer kappt die Nabelschnur.
Von innen ist die Welt kleiner, sage ich, oder sagt Josh das oder sagt Pitje das, wo sind wir, wann ist das. Wir stehen nicht auf dem Dachboden, wir tanzen im kleinen Club mit Teppich, der Schweiß läßt meine Strähnen an den Schläfen kleben, von den Schläfen bis zum Hals. Dann ist mein Kopf zu klein. Von innen ist der Kopf größer, denke ich, als Pitje und Josh und ich am DJ-Pult stehen und uns Neues vom Trickser wünschen. Von innen sehen wir unsere Bewegungen nicht, dafür brauchen wir ein Mädchen mit schwarzen Haaren, das uns sagt, Eure Bewegungen machen euch einander ähnlich. Ist Nora das Mädchen mit den schwarzen Haaren oder Kathryn oder. Im Halbschatten sind sie kaum zu unterscheiden.
In der Embryonalphase sind wir kaum zu unterscheiden. In der ersten Embryonalphase. Dann das differenzierende Wachstum. Dem Embryo beim Wachsen zuhören. Nach drei Wochen beginnt das Urherz zu schlagen. Nach drei Monaten mißt der Embryo neun Zentimeter. Nach drei Monaten ist der Embryo kein Embryo mehr. Wie langsam der Embryo wächst.
Wie langsam die Bilder fallen, sagt Josh. Kannst du Zeitlupe einstellen, fragt Pitje. Ein Bild fällt und noch eins. Während die Bilder in Zeitlupe fallen, werden Josh und Pitje auf dem LCD immer größer, bis sie die Bilder und den vergilbten Karton verdecken.
In der Embryonalphase decken sich unsere Bilder fast. In der zweiten Embryonalphase haben wir noch fast dieselbe Haarfarbe, fast dieselben Frisuren. In der zweiten Embryonalphase tragen wir alle ein zu enges T-Shirt mit Rückennummer. Dann das differenzierende Wachstum. Josh hält seine Lomo vor sein linkes Auge. Pitje hält den Gitarrenakkord. Ich halte die Digitalkamera mit meiner rechten Hand und meine linke vor die Nase. Die Tonspur zeichnet das Wachsen auf.
Den anderen beim Wachsen zuhören. Den anderen in den Kopf hineinhören. Den Engrammen beim Bilden der Erinnerungen zuhören. Den Erinnerungen erst in Mono zuhören, dann in Stereo. Dem Kopf beim Wachsen zuhören. Den Kopf in den Kopfhörer hineinwachsen fühlen.
Von innen ist der Kopf größer, denke ich. Von innen ist die Welt, die wir betrachten, die Welt, von innen sind die anderen einfach da. Es war schon so eine Sensation, wie du in meinen Kopf reinkamst, singt Pitje. Von innen ist die Welt kleiner, sagt Josh, guck auf das Ultraschallbild, hör auf den Ultraschallton.
Auf der mittleren Tonspur: Wir brauchen mehr als nur eins zu eins. Auf der mittleren Bildspur: Verschwommene Oberkörper und Köpfe auf Super 8.
Ist die Bandlaufgeschwindigkeit schneller als bei Super 8. Ist die Zoomgeschwindigkeit schneller als bei Super 8. Ist der Blick in den hellgrünen Märchenfernseher vergleichbar mit Super 8.
Von innen ist die Stadt kleiner, sagt Pitje und hält sich den hellgrünen Märchenfernseher vor sein schwarzes Auge. Von innen sehen wir das Dickicht nicht, dann können wir den Wald aus Zeichen zu einer Stadt aus Zeichen machen. Pitje senkt den hellgrünen Märchenfernseher und schaut mich an. Ich schaue ihn durch die Kamera an. Josh drückt auf die Lomo.
Die zehn goldenen Regeln der Lomographie, 1: Lomographie ist Teil deines Lebens, 2: nimm die Kamera mit, wo immer du gehst, 3: benutze sie Tag und Nacht, 4: bring die gewünschten Objekte so nah wie möglich an die Linse, 5: denk nicht, 6: sei schnell, 7: es ist vorher nicht wichtig zu wissen, was du auf Film gebannt hast, 8: erst recht nicht nachher, 9: schieß aus der Hüfte, 10: denk nicht über Regeln nach.
Wie viele Bilder hast du mit deiner Lomo in deinem kurzen Leben gemacht, fragt Pitje. Wie viele Bilder hast du mit deinem Kopf in deinem kurzen Leben gemacht, fragt Josh. Ein Bild fällt und noch eins und noch eins. Bis der vergilbte Karton leer ist. Bis alle Bilder übereinanderliegen.
Da sind meine Großeltern, da sind meine Eltern, da bin ich. Eins plus eins gleich drei. Was sagt das Stratometer.
Auf der untersten Tonspur: Wo fing das an und wann. Auf der untersten Bildspur: Der musikalische Embryo. Was sagt das Stratometer. Was sagen die Engramme. Was sagt der Ultraschall.
RECORD. In den Augen. AUFNAHME. In den Ohren. Welche Taste für die Neuronen. Welche Farbe. Ein rotes, blinkendes Licht. Ein rauschendes Band. Und dahinter. Ohren und Augen verschließen sich gern wie Wunden, aber. Hinter den Störgeräuschen ist immer etwas zu hören. Hinter der RECORD-Anzeige [störend] ist immer etwas zu sehen. Irgend etwas staut sich an. Etwas Rotes zum Beispiel. Etwas Lautes zum Beispiel. Etwas Pulsierendes. Einfach hindurch sehen. Einfach hindurch drehen. Mit den Augen. Über die Neuronen der Netzhaut. Was da auftrifft. Was da eintritt, mit dem Anfang des Bandes. Und dahinter. Dahinter eine Fotosammlung. Dahinter eine blutende Nase. Und als Schablone an der Fensterscheibe der Winter 1978. Kein Wunder, daß hier ein Blitz zuschlägt.
Keine Explosion. Keine Detonation. Nur ein elektrischer Blitz. Dann ein Lichtblitz. Dann eine Tausendstel Sekunde. Und dann. Meine Großmutter väterlicherseits, gebeugt über ihre Fotosammlung. Im Hintergrund ein zugeschneites Fenster. Im Vordergrund tränende Augen und Blut. Die Nase meiner Großmutter väterlicherseits blutet. Sie kann nicht anders als zu bluten. Zum wievielten Mal in ihrem Leben, das eineinhalb Stunden später endet, blutet sie. Alle Orte, an denen meine Großmutter väterlicherseits aus der Nase blutet, in einer Landkarte, als rote Tropfen. Der See im Grünen zum Beispiel. Die Dunkelkammer zum Beispiel. Der Fußboden mit der ausgebreiteten Fotosammlung. Meine Großmutter väterlicherseits sitzt auf einem Hocker über der Fotosammlung, vollkommen in Farbe. Die Fotosammlung liegt vor ihr, vollkommen in Schwarzweiß. Der Aufbau eines Schwarzweißnegativfilms. Der Aufbau eines Farbnegativfilms. Vielleicht liegt da einfach der Unterschied. Der Unterschied, den die Nase nicht aushält. Irgend etwas reißt oder knirscht. Wie einmal gefrorenes Eis.
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