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Im Wald am Timmendorfer Strand werden menschliche Überreste entdeckt - mit einer markanten Verletzung, die eindeutig auf Mord hinweist. Als kurz darauf ein weiteres Skelett in gleichem Zustand entdeckt wird, muss Kommissar Kempff ran. Dieser findet heraus, dass es in dem beschaulichen Ostsee-Ferienort eine jahrzehntelange, erbitterte Familienfehde gab. Bis die beiden "Clanoberhäupter" vor fünfundzwanzig Jahren plötzlich verschwanden ... Doch durch Kempffs Ermittlungen entflammt der Streit erneut und es verschwinden weitere Menschen. Kann der Kommissar den Fall rechtzeitig lösen, bevor die Fehde weitere Opfer fordert?
Nach seinem ersten Fall um einen Haiangriff am Timmendorfer Strand hat "Ostseehasser" Jan Kempff die Lübecker Bucht in sein Herz geschlossen - und steckt schon mittendrin in der nächsten Ermittlung.
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Seitenzahl: 356
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ZWEI WOCHEN SPÄTER
Angebissen. Kommissar Kempff und der Hai
Glashaus – Jeder hat etwas zu verbergen
Im Wald am Timmendorfer Strand werden menschliche Überreste entdeckt – mit einer markanten Verletzung, die eindeutig auf Mord hinweist. Als kurz darauf ein weiteres Skelett in gleichem Zustand entdeckt wird, muss Kommissar Kempff ran. Dieser findet heraus, dass es in dem beschaulichen Ostsee-Ferienort eine jahrzehntelange, erbitterte Familienfehde gab. Bis die beiden »Clanoberhäupter« vor fünfundzwanzig Jahren plötzlich verschwanden … Doch durch Kempffs Ermittlungen entflammt der Streit erneut und es verschwinden weitere Menschen. Kann der Kommissar den Fall rechtzeitig lösen, bevor die Fehde weitere Opfer fordert?
Christian Gailus schreibt Hörspiele, Krimis, Kinderbücher und Drehbücher, bei Lübbe sind u.a. der Thriller »Glashaus« und die Verschwörungsparodie »Chromosom 23« erschienen. Nach »Angebissen. Kommissar Kempff und der Hai« ist dies der zweite Fall, in dem er seinen Hamburger Kommissar am Ostseestrand ermitteln lässt. Selbst gebürtiger Hamburger ist er froh, sich nicht zwischen Nord- und Ostsee entscheiden zu müssen.
Christian Gailus
ABGENAGT
KOMMISSAR KEMPFFKOMMT AUF DEN HUND
Küstenkrimi
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Heike Rosbach
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Erik Lam | MUDRIK ILLIA | Myimagine | OLIVER-stockphoto | s_oleg | sumroeng chinnapan | Yuriy Kulik
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-8140-5
www.luebbe.de
www.lesejury.de
»Bis gleich!«, rief Kempff und öffnete die Haustür.
»Wo willst du hin?«, fragte Dörte vom Ende des Flurs.
»Ich geh joggen.«
»Joggen?«
»Joggen.«
Dörtes Kopf schob sich aus dem Schlafzimmer. Die wirren Haare und ihr glasiger Blick zeugten davon, dass sie noch vor wenigen Augenblicken gedöst hatte. Nach einer ziemlich wilden Nacht. Kempff musste grinsen.
»Du gehst joggen?«, fragte sie mit krächzender Stimme und räusperte sich. »Wozu?«
»Allgemeine Fitness«, antwortete Kempff. »Ist wichtig in meinem Alter.« Demonstrativ vollführte er eine Kniebeuge. Und weil’s so gut klappte, gleich noch eine hinterher.
»Hat dir der Sport letzte Nacht nicht gereicht?«, fragte Dörte, verschwand kurz im Schlafzimmer und kam dann mit einer notdürftig um ihren schlanken Körper gewickelten Decke auf den Flur getapst. Sofort war Kempff wieder von ihrer natürlichen Schönheit hingerissen: den kastanienbraunen Haaren, dem süßen Blick, den verlockenden Lippen. Als wäre Dörtes Anblick das Ergebnis intensiver Arbeit eines versierten Teams von Stylisten und nicht der hemmungslosen Lust zweier Liebender.
Kempff hatte diesen Anblick in den vergangenen Wochen sehr oft genossen. Anmut und Erotik verschmolzen bei Dörte zu einer unwiderstehlichen Melange, die Kempff schlagartig in einen Zustand der Begierde versetzte. Dann wollte er seiner Freundin nur noch nah sein, ihre Haut berühren, den Duft ihrer Haare inhalieren und mit ihrem Körper verschmelzen, auf dass nichts und niemand sie je wieder trennen würde.
Außer seinem Bauch. Der glich zwar noch keiner Abrissbirne, aber dennoch hatte Kempff in den vergangenen Jahren zugelegt, nicht zuletzt wegen Harriet, seiner zukünftigen Ex. Kempff konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann er mit ihr derart akrobatische Höchstleistungen vollführt hatte, wie er sie derzeit Nacht für Nacht mit Dörte zuwege brachte. Irgendwann vor dem Börsencrash wahrscheinlich, vielleicht sogar noch im alten Jahrtausend.
»Verlass mich nicht«, hauchte Dörte und versuchte ihn mit einem sehnsüchtigen Blick an sich zu ketten. Kempff legte seine Arme um ihre Taille und zog sie an sich. »Ich geh doch nur joggen«, hauchte er und fügte dann noch ein lässiges »Baby« hinzu.
*
Fünfzehn Minuten später fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Kempff brauchte ein paar Meter, um seine weichen Knie auf den bevorstehenden Lauf einzustimmen. Einen Quickie im Stehen hatte er zuletzt vor dem Fall der Mauer gehabt. Er sprintete den Weg zur Straße entlang und bog dann Richtung Barkauer See ab. Mittlerweile hatte er den Hormonflash verarbeitet und seine Füße hoben vom Asphalt ab, als hätte Kempff Sprungfedern unter den Sohlen. Und obwohl er seit Monaten nicht mehr laufen war, glaubte er, locker einen Marathon zu überstehen. Gar kein Problem.
Kempff fühlte sich so glücklich und beschwingt wie seit Jahren nicht mehr. Die gemeinsame Zeit mit Dörte wirkte wie ein Jungbrunnen auf ihn. Mit ihr kam er sich nicht mehr wie ein Fünfzigjähriger vor, der seine besten Jahre hinter sich hatte. Dörte hatte Lebensgeister in ihm geweckt, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass sie noch in ihm wohnten.
Jahrelang hatte er in einer Art Dämmerschlaf zugebracht, aber das war Kempff erst klar geworden, nachdem sich Harriet von ihm getrennt hatte. Einen Tag bevor sie gemeinsam auf die Malediven fliegen wollten, um ihre Silberhochzeit zu feiern. Fünfundzwanzig Jahre Ehe, das halbe Leben. Gemeinsam hatten sie ihre beruflichen Wege gefunden, ein Zuhause geschaffen und zwei Kinder großgezogen. Und dann hatte es plötzlich an der Tür geklingelt, und ein braun gebrannter Gigolo, der kurioserweise auf den Namen Marvin hörte, hatte Harriet abgeholt. Einfach so.
»Nichts passiert einfach so«, hatte Kempffs Mutter ihm später gesagt. »Das mit Harriet ging schon viel länger.« Dann hatte sie akribisch die amourösen Verflechtungen von Kempffs Ehefrau in einem beeindruckenden Schaubild dargestellt. Ergebnis: Das Luder betrog ihn schon seit Jahren.
Was die Sache auch nicht besser machte.
Kempff hatte sich daraufhin den Kopf darüber zerbrochen, warum er nichts gemerkt hatte, obwohl es Anzeichen gegeben haben musste. Aber entweder hatte er sie nicht wahrgenommen – oder nicht wahrnehmen wollen. Weil er darauf hoffte, dass alles so blieb, wie es war. Kempff war ein Gewohnheitstier, und die Trennung von Harriet traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Kempff fiel in ein emotionales Loch, aus dem ihn Dörte rettete. Seine alte Jugendliebe, die er zufällig am Timmendorfer Strand wiedergetroffen hatte. Damit nahm sein Leben eine neue Wendung, und seine Motivation bekam neue Power.
Kempff bog in ein Waldstück ab. Der weiche Boden gab ihm zusätzlichen Schwung. Mit kräftigen Atemzügen sog er frische Morgenluft ein. Der Herbst deutete sich bereits an, und Kempff freute sich auf ausgedehnte Waldspaziergänge mit Dörte, gemütliche Nachmittage in ihrem warmen Haus und Weihnachten unter einem echten Tannenbaum …
Ein Hund hetzte an ihm vorüber, hielt ein paar Meter vor Kempff und legte einen Stock auf den Boden.
»Moin«, grüßte Kempff und joggte an ihm vorbei. Vielleicht sollte er sich auch einen Hund anschaffen, dachte er. Wenn er jetzt regelmäßig joggen ging, konnte etwas Gesellschaft nicht schaden. Dörte war leider kein Sportfreak, das hatte sie ihm bereits gestanden. Mit einem Hund könnte Kempff nicht nur hier an der Ostsee seine Runden drehen, sondern auch in Hamburg, wenn er unter der Woche seinen Dienst bei der Mordkommission verrichtete. Schön gemütlich um die Außenalster rum.
Oder sollte er pendeln? So weit war Timmendorfer Strand nicht von der Hansestadt entfernt. Allerdings brauchte er dann ein Zimmer, in dem er auch arbeiten konnte. Vielleicht könnte er das von Allenbach haben, das war nach dessen Ableben ja wieder frei. Aber vielleicht war es Dörte auch gar nicht recht, wenn Kempff bei ihr einzog. Darüber hatten sie noch nicht gesprochen. Und so ganz sicher war er sich auch nicht, ob er es ernsthaft in Erwägung ziehen sollte. Schließlich hatte er gerade erst ein Vierteljahrhundert Ehe hinter sich. Da konnte es nicht schaden, sich etwas Zeit zu lassen …
Der Hund überholte ihn erneut, legte den Stock auf den Boden und sah ihn erwartungsvoll an.
»Ich kann nicht … mit dir … spielen«, hechelte Kempff. »Ich muss … zurück … nach Hamburg.«
Der Hund bellte. Kempff lachte und joggte weiter.
Vielleicht sollte er das Thema einfach mal beim Frühstück ansprechen, dann wäre die Sache geklärt. Er musste ja auch nicht bei Dörte einziehen, ein Arbeitszimmer würde erst mal genügen, und das könnte ihm vielleicht Beringer besorgen. Oder Bürgermeisterin Wagner. Sie hatte Kempff mehrfach versichert, dass Timmendorfer Strand in seiner Schuld stand, nachdem er nicht nur einen geheimnisvollen Mord aufgeklärt, sondern auch noch einen Hai aus der Lübecker Bucht vertrieben hatte.
Schon witzig, dachte Kempff. Noch vor wenigen Wochen war er voller Skepsis an die Ostsee gekommen, und mittlerweile hatte er nicht nur eine Menge ausgesprochen netter Bekanntschaften gemacht, sondern fühlte sich auch richtig heimisch. Als würde er schon seit vielen Jahren nach Timmendorfer Strand kommen. Der Ort und seine Menschen waren ihm rasch ans Herz gewachsen.
Der Hund überholte ihn ein weiteres Mal und legte den Stock ab. Kempff blieb stehen und schnappte nach Luft. »Also gut, spielen wir Stöckchenholen. Aber nur einmal!«
Der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Kempff bückte sich und packte den Stock. Aber als er seine Hand um die glatte Oberfläche schloss, spürte er, dass etwas nicht stimmte. So fühlte sich kein Holz an! Er senkte den Blick und erschrak: Bei dem vermeintlichen Stock handelte es sich in Wahrheit um einen menschlichen Knochen.
*
Fünfzehn Minuten später waren Polizeichef Thielemann und Polizeimeister Beringer vor Ort und begutachteten den Fund nachdenklich.
»Sieht wie der Oberarmknochen eines Menschen aus«, sagte Beringer und kratzte sich hinterm Ohr. »Aber es gibt auch Tiere, die solche Knochen haben.«
»Und welche wären das?«, fragte Thielemann.
»Affen.«
»Ihr habt Affen hier im Wald?«, wunderte sich Kempff.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Thielemann und warf Beringer einen abschätzigen Blick zu. »Wir sind hier an der Ostsee, nicht in Ostafrika.«
»Nicht so schnell, Ansgar«, bremste ihn sein Kollege. »Der Affe könnte aus einem Zoo ausgebrochen oder aus der Obhut eines privaten Halters ausgebüxt sein. Vielleicht wurde er auch gestohlen, ist unterwegs gestorben und wurde dann hier vergraben.«
»Wie kommen Sie darauf, dass der Knochen vergraben war?«, fragte Kempff.
Beringer zuckte mit den Achseln. »Wenn das Skelett offen im Wald herumliegen würde, wäre das sicher jemandem aufgefallen. Einem Spaziergänger. Oder dem Förster.«
»Wer ist das?« Kempff zog seinen Notizblock hervor.
»Volker Michelsen«, sagte Thielemann.
»Ist er im Lande?«
Der Polizeichef nickte. »Ich rufe ihn an.« Er zog sein Smartphone aus der Tasche und trat einen Schritt zur Seite.
»Wissen Sie, was komisch ist?«, sagte Kempff unterdessen zu Beringer. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Hund mit mir spielen wollte.« Er warf dem Vierbeiner, der hechelnd neben ihnen lag, einen nachdenklichen Blick zu. »Es klingt vielleicht verrückt, aber ich glaube, er wollte mir den Knochen zeigen. Nach dem Motto Schau her, was ich gefunden habe …«
»Michelsen ist unterwegs«, sagte Thielemann und gesellte sich wieder zu ihnen. »Er weiß nichts von irgendwelchen Affen. Und er glaubt auch nicht, dass in seinem Wald ein Skelett herumliegen könnte, ohne dass er es bemerkt hätte. Er meint, es dauert Wochen, bis ein Leichnam vollständig skelettiert ist. Der Geruch wäre jemandem aufgefallen. Deshalb glaubt auch Michelsen, dass das Skelett vergraben gewesen sein muss.«
»Und der Hund hat es ausgebuddelt«, schlussfolgerte Kempff. »Okay, aber wie bringen wir ihn dazu, uns dorthin zu führen?«
»Wir könnten ihn fragen«, schlug Beringer vor und ging in die Hocke. »Na, bist du ein Feiner?« Er wollte den Vierbeiner streicheln, aber der Hund knurrte. »Wo hast du den Knochen gefunden? Hm? Zeigst du uns den Weg? Ja?«
Der Hund hechelte weiter.
Beringer seufzte. »Er versteht mich nicht.«
»Oder er will dich nicht verstehen«, sagte Thielemann. »Vielleicht riecht er, dass ihr eine Katze zu Hause habt.«
»Dann versuch du es doch mal.«
»Sie sollten es probieren«, sagte Thielemann zu Kempff. »Immerhin hat der Hund Ihnen den Knochen in den Weg gelegt.«
»Wenn Sie meinen.« Der Hauptkommissar ging in die Knie. »Hör mal, die Sache ist die …«
Der Hund hob neugierig den Kopf.
»Du hast mir ja vorhin den Knochen gebracht. Und wir fragen uns jetzt, ob es noch weitere gibt. Und ob du uns vielleicht hinführen könntest. Wäre das eventuell möglich?«
Der Hund bellte.
»Sie sollten die Frage einfacher formulieren«, schlug Beringer vor. »So in der Art von Zeig uns den Weg!«
Kempff seufzte und sah den Hund mit ernstem Blick an. »Zeig uns den Weg!«
Der Hund sprang auf und rannte los. Kempff warf Beringer und Thielemann einen erstaunten Blick zu. Dann folgte er dem Labrador.
Der Hund führte den Hauptkommissar durch dichtes Gestrüpp. Immer wieder verharrte er und blickte zurück, als wollte er sichergehen, dass ihn sein menschlicher Verfolger auch nicht aus den Augen verlor.
Kempff kam bei dem Tempo ganz schön ins Schwitzen. Vom leichtfüßigen Hochgefühl, das er zuvor beim Joggen verspürt hatte, blieb nicht viel übrig. Stattdessen meldete sich seine mangelnde Kondition in Form heftigen Seitenstechens.
Der Hund führte ihn immer tiefer in den Wald hinein. Kempff beschlichen Zweifel, ob das Tier wirklich verstanden hatte, was der Hauptkommissar von ihm wollte, und er dachte schon daran, die Verfolgung abzubrechen – da blieb der Vierbeiner plötzlich auf einer Lichtung stehen und bellte aufgeregt.
Als Kempff sie erreichte, musste er sich erst einmal an einem Baum abstützen. Sein Atem ging schnell, der Schweiß lief ihm in Strömen den Körper herunter. Kempff warf einen Blick zurück, aber von Beringer und Thielemann war nichts zu sehen. Der Hund bellte.
»Ich komm ja schon!« Kempff ging zu ihm. Der Hund saß zwischen den Blättern eines Farns. Nur sein Kopf mit der hängenden Zunge schaute aus dem Grün hervor, ein fast schon idyllisches Bild.
»Was hast du denn da?« Kempff ging in die Knie und schob den Farn beiseite. Eine symmetrische Knochenformation wölbte sich aus dem Boden. Frisch aufgeworfene Erde deutete darauf hin, dass der Hund den Knochen hier ausgegraben hatte. Ein Gefühl der Beklemmung stieg in Kempff auf. In seinem Unterbewusstsein hatte er die ganze Zeit geahnt, was er vorfinden würde – obwohl er gehofft hatte, dass er falschliegen und es sich doch lediglich um die Überreste eines Tiers handeln könnte. Diese Hoffnung war mit dem Fund der Knochenformation verflogen, denn es handelte sich dabei ganz eindeutig um das Skelett eines Menschen.
*
Beringer und Thielemann erreichten den Fundort, als Kempff gerade einen Anruf entgegennahm.
»Wo bleibst du denn, Hase?«, fragte Dörtes rauchige Stimme. Kempff musste grinsen. Sie nannte ihn Hase.
»Ich komme später«, sagte er mit leichtem Bedauern. »Ich habe im Wald eine Leiche gefunden.«
Sofort war sämtliche Verruchtheit aus Dörtes Stimme verschwunden. »Oh Gott, wer ist es?«
»Kann ich noch nicht sagen. Ist nur noch ein Skelett. Und das liegt vermutlich schon sehr lange hier.«
Dörte schwieg einen Moment. »Gehst du wieder auf Mörderjagd?« Die Sorge in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Nein, sicher nicht«, erwiderte Kempff. »Ich muss zurück nach Hamburg. Und eure Polizei ist ja wieder komplett einsatzfähig. Einen ungeklärten Todesfall bekommen die Kollegen auch ohne mich hin. Ich melde mich, sobald ich hier durch bin.«
»Pass auf dich auf.«
»Mach ich.« Kempff beendete die Verbindung.
In der Zwischenzeit war ein Mann näher gekommen, groß, kräftig gebaut, mit dunklen Augen und einem Vollbart wie ein Wikinger.
»Das ist Volker Michelsen, unser Förster«, stellte Thielemann ihn vor.
Kempff reichte ihm die Hand. »Jan Kempff. Danke, dass Sie so schnell kommen konnten.«
»Kein Problem, war sowieso gerade in der Nähe«, brummte Michelsen. »Wo ist das Skelett?«
Die Beamten zeigten ihm die Stelle mit den menschlichen Überresten. Der Förster unterzog die Knochen einer kurzen Überprüfung.
»Hast du das schon mal gesehen?«, fragte Thielemann.
»Nein, noch nie.«
»Wäre es möglich, dass Ihnen das Skelett entgangen ist?«, fragte Kempff.
Michelsen schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne den Wald hier wie meine Westentasche. Ein menschliches Skelett wäre mir mit Sicherheit aufgefallen.«
»Dann muss es vergraben gewesen sein«, stellte Kempff fest. »Und der Hund hat es ausgebuddelt. Kennen Sie den?«
Michelsen warf dem Labrador einen grimmigen Blick zu. »Nein, nie gesehen.«
»Haben Sie eine Idee, um wen es sich bei dem Skelett handeln könnte?«
Der Blick des Försters verfinsterte sich. »Ich weiß genau, wer das ist«, sagte er mit unheilschwangerer Stimme.
*
In der Polizeistation in der Wohldstraße war die Aufregung groß, als sich herumgesprochen hatte, was Hauptkommissar Kempff im Wald gefunden hatte.
»Seit Jahren haben wir hier in Timmendorfer Strand nur Kleinkriminalität«, brachte es einer der Beamten auf den Punkt. »Aber seit Sie hier sind, kriegen wir endlich auch die großen Fische.« Der Hauptkommissar wusste nicht, ob er das als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte.
Volker Michelsens Befragung fand im ehemaligen Büro von Rudi Allenbach statt. Nachdem Kempff den Fall um den verstorbenen Polizeichef aufgeklärt hatte, war der Raum an seinen Nachfolger Ansgar Thielemann gegangen. Aber weil der noch nicht dazu gekommen war, sich häuslich einzurichten, herrschte immer noch ein ziemliches Durcheinander. Kartons mit Allenbachs Sachen stapelten sich neben denen mit Thielemanns Zeug, Aktenstapel lehnten am Schreibtisch, und der Papierkorb quoll über. In das Chaos stellten die Beamten einen Stuhl, auf den sich Michelsen setzen konnte, während Thielemann und Kempff hinter dem Schreibtisch Platz nahmen. Sie wirkten ein bisschen wie Soldaten, die aus ihrem Schützengraben hervorlugten.
»Dann fangen wir mal an«, sagte Thielemann. »Nur fürs Protokoll: Dein Name ist Volker Michelsen?«
»Wird das hier ’ne offizielle Vernehmung?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich dann einen Anwalt will.«
»Wieso?«
»Is’ mein Recht.«
»Haben Sie etwas zu verbergen?«, mischte sich Kempff in die Befragung ein.
»Nein, hab ich nicht«, sagte Michelsen. »Ich hab bloß keine Lust darauf, dass mir später ’n Mord angehängt wird.«
»Mord?«, fragte Kempff interessiert.
»Am Skelett.«
»Wie kommen Sie darauf, dass die Person ermordet wurde?«
Michelsen lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete die beiden Polizisten stumm.
»Okay, Volker«, versuchte es Thielemann auf die kumpelhafte Tour. »Butter bei die Fische: Wer ist es?«
Michelsen schwieg.
»Du hast gesagt, du wüsstest, wer der Tote ist.«
»Da wusste ich ja noch nicht, dass mir ’n Mord angehängt werden soll.«
»Niemand hängt Ihnen einen Mord an. Bislang.« Kempff wurde langsam wütend. »Aber wenn Sie noch länger so ein Theater machen, überlegen wir es uns vielleicht noch mal. Was? Thielemann?« Er trat seinem Kollegen unauffällig gegen das Bein.
»Äh ja, genau«, stotterte Thielemann.
Michelsen schnaubte. »Ich denke, es ist Koslowski.«
»Koslowski?«, fragte Thielemann überrascht. »Der Koslowski?«
Der Förster nickte.
»Wer ist Koslowski?«, fragte Kempff.
Thielemann seufzte. »Um eine lange Geschichte kurz zu machen: ein vermeintlicher Dieb, der mit seinem Boot in der Ostsee kenterte und dessen Leiche nie gefunden wurde.«
»Und wie kommen seine sterblichen Überreste in den Wald?«
»Der Mörder hat sie hingeschleppt und vergraben«, erklärte Michelsen. »Nachdem er Koslowski das Licht ausgeknipst hat.«
»Haben Sie dafür Beweise?«
Michelsen beugte sich vor, und das Knirschen seiner Lederjacke klang wie ein Echo aus alten Zeiten. »Das habe ich im Gefühl.«
»Was war denn das?«, fragte Kempff, nachdem sie den Förster entlassen hatten. »Oder kam nur mir das komisch vor?«
Thielemann seufzte. »Das ist ein bisschen schwer zu erklären. Michelsen hat das mit Koslowski nicht erraten. Er hat das gespürt.«
Kempff verstand kein Wort.
»Ich weiß, es klingt seltsam, aber es gibt hier so eine Art Kraftquelle. Bewiesen ist es natürlich nicht. Aber viele Leute hier im Ort glauben, dass Timmendorfer Strand etwas Besonderes ist, dass die Gegend hier eine spezielle Aura besitzt.«
»Denkt das nicht jeder von seiner Heimat?«, fragte Kempff.
»Schon. Aber das hier geht tiefer. Bis in ganz alte Zeiten zurück. Es gibt Sagen über geheime Zeremonien, die hier stattgefunden haben sollen …«
Kempff zuckte zurück. »In Timmendorfer Strand?«
Thielemann nickte. »Solche Praktiken gab es natürlich an vielen Orten, das ist mir auch klar. Aber hier an der Ostsee waren sie besonders stark ausgeprägt. Und das hat einige heimische Chronisten dazu verleitet anzunehmen, dass es eine spirituelle Aura geben muss, die auf die Menschen wirkt. Eine Kraftquelle eben.«
»Und wegen dieser … Kraftquelle erkennt Michelsen, wessen Skelett das ist?«
»Ich weiß, dass sich so etwas nicht mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen lässt. Und ich will auch gar nicht behaupten, dass alles stimmt, was so geredet wird. Aber komplett ausschließen lässt es sich eben auch nicht …«
»Und was hat das alles mit diesem Koslowski zu tun?«
»Da müssen wir in der Zeit zurückgehen«, sagte Thielemann. »Bis zum 21. April 1921.«
»Das ist fast hundert Jahre her!«
»So weit reicht die Geschichte zurück.« Thielemann holte tief Luft, als würde er die Erinnerung an die Vergangenheit in sich hineinsaugen. »In jener Nacht tobte ein Sturm über der Ostsee. Ein Orkan, wie es ihn seit hundert Jahren nicht mehr gegeben hatte. Viele Küstenbewohner vermuteten dahinter den Zorn Gottes …«
»Sachlich bleiben«, mahnte Kempff.
»’tschuldigung. Jedenfalls: Der Sturm tobte, und das Licht des Leuchtturms in Travemünde erlosch. Der Leuchtturmwärter maß dem keine besondere Bedeutung bei, denn er rechnete nicht damit, dass sich in diesem Unwetter jemand raus aufs Meer traute. Aber er irrte sich, denn Walter Koslowski kämpfte da draußen mit seinem Boot. Ihm blieb auch gar nichts anderes übrig, denn er war auf der Flucht. Aber das kam alles erst viel später raus, nachdem man sein havariertes Boot am Strand gefunden hatte. Und darin das Stück Gold.«
»Gold?«, fragte Kempff neugierig.
»Koslowski war kein unbeschriebenes Blatt«, führte Thielemann weiter aus. »Er war als Gauner und Dieb bekannt und hatte mehrere Einbrüche in Schleswig-Holstein und Umgebung begangen. Die Polizei suchte nach ihm, deshalb setzte er sich nach Dänemark ab, vermutlich im Herbst 1920. Dort wurde im April 1921 ein Einbruch in einem Museum begangen und ein wertvoller Goldschatz entwendet, der Beuteschmuck vom grimmigen Niels, einem ziemlich üblen Wikinger, von dem behauptet wurde, er würde seine Opfer bei lebendigem Leib grillen und dann verspeisen. Niels hatte eine gewaltige Menge geraubtes Gold und Edelsteine angehäuft, die in Kopenhagen ausgestellt wurden. Der Museumsdirektor identifizierte das Gold-Medaillon an Bord des havarierten Boots als Stück aus seiner Sammlung. Als dann noch herauskam, dass das Boot kurz zuvor von Walter Koslowski gemietet worden war, war die Sache für die Behörden klar: Koslowski hatte den Schatz aus dem Museum gestohlen, war mit seinem Boot in den Sturm geraten und gekentert.«
»Und wie kommen seine sterblichen Überreste dann in den Wald?«, fragte Kempff.
»Weil es Gerüchte gab, nach denen der Ausfall des Leuchtfeuers kein Zufall gewesen war, sondern der Leuchtturmwärter es absichtlich löschte, um Koslowski in Seenot zu bringen und sich den Schatz unter den Nagel zu reißen. Aber Koslowski überlebte die Havarie. Deshalb ermordete ihn der Leuchtturmwärter und verscharrte seine Leiche im Wald.«
»Ziemlich abenteuerliche Geschichte«, sagte Kempff. »Was hat denn die Polizei damals ermittelt?«
»Nicht viel. Der Schatz war weg, Koslowski auch – alles andere waren Mutmaßungen. Und mehr kam, soweit ich weiß, nie heraus.«
»Und wieso soll der Mörder Koslowskis Leiche ausgerechnet im Wald verscharrt haben? Mehrere Kilometer von der Küste entfernt?«
»Um ganz sicherzugehen, dass sie nicht gefunden wird.«
»Bisschen schwach, oder?«
Thielemann zuckte mit den Achseln.
Kempff rieb sich das Kinn. »Sollte es uns zu denken geben, dass Michelsen uns diese Geschichte präsentiert? Oder ist sie hier bekannt?«
»Koslowski und der Schatz gehören zu Timmendorfer Strand dazu«, sagte Thielemann. »Die Geschichte wird gerne erzählt, wenn man etwas Unheimliches zum Besten geben will, denn es sind natürlich auch noch einige andere Varianten im Umlauf. Zum Beispiel die, dass Koslowskis Geist immer noch hier herumirrt und nach Rache trachtet. Manche sagen, dass er eine Kerze bei sich trägt, weil er wegen des erloschenen Leuchtfeuers panische Angst vor der Dunkelheit hat. Und manchmal, wenn jemand nachts in einem verlassenen Haus in und um Timmendorfer Strand ein Licht flackern sieht, glaubt er, es wäre der Geist von Koslowski, der ruhelos durch den Ort zieht und seinen Mörder sucht.« Thielemann lächelte. »Aber das sind sicher alles nur Geschichten. Nicht wahr, Herr Hauptkommissar?«
*
Kempff verfasste seinen Bericht und fuhr dann zurück zu Dörte. Zog man den esoterischen Nonsens ab, blieb eine im Wald vergrabene, verweste Leiche übrig. Um wen es sich dabei handelte, würde möglicherweise ein DNA-Test klären. Aber das konnte dauern. Alles andere würden seine Kollegen auch alleine rausfinden. Kempff musste endlich nach Hamburg. Doch vorher wollte er noch seine Freundin küssen.
»Ich bin wieder da«, rief er, als er das Haus am Barkauer See betrat. Niemand antwortete. Komisch, dachte Kempff. Dörtes Fahrrad stand doch draußen vor dem Schuppen. War sie vielleicht im Garten zugange?
Kempff sah im Wohnzimmer nach. Die Verandatüren waren geschlossen. Er warf einen Blick in den Garten, aber Dörte war nicht zu sehen. Hatte sie etwas vorgehabt und vergessen, es ihm zu sagen? Oder steckte etwas anderes hinter ihrer Abwesenheit?
Ein klammes Gefühl kroch Kempff in den Nacken. Woher es so plötzlich kam, wusste er nicht. Doch es war extrem intensiv, fast schon physisch greifbar. Automatisch tastete seine Hand nach dem Pistolenhalfter, aber er trug ja gar keine Waffe bei sich, schließlich war er nicht im Dienst.
Und jetzt?
Dörtes Luftpumpe lag auf dem Wohnzimmertisch. Kempff griff danach und pirschte zurück auf den Flur. Das beklemmende Gefühl wurde stärker, und die Ursache war ganz in der Nähe. Kempff warf einen Blick in Schafzimmer, Küche und Bad – alle Räume waren leer. Hatte er sich doch geirrt? Und sich von Thielemanns Gerede über mystische Kräfte und Geistererscheinungen einlullen lassen? Von Koslowski und dem grimmigen Niels?
Allenbachs Konterfei erschien vor seinem geistigen Auge. Kempff hatte die Umstände seines Todes erst vor wenigen Wochen aufgeklärt. Dabei hatte auch das Zimmer, das Dörte für den ehemaligen Polizeichef von Timmendorfer Strand eingerichtet hatte, eine Rolle gespielt. Das Zimmer mit der schwarz lackierten Tür. Kempff hatte es nur deshalb noch nicht wieder betreten, weil die Tür mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Aber ließen sich Geister von so etwas abhalten?
Er schlich zum Ende des Flurs. Das Vorhängeschloss war offen, und die Tür zu Allenbachs altem Zimmer war nur angelehnt. Vorsichtig und mit erhobener Luftpumpe schob Kempff sie auf. Was er vorfand, traf ihn unvorbereitet.
»Du?«, fragte er.
Dörte nahm den Kopfhörer ab. »Was machst du mit der Luftpumpe?«
»Ich dachte … du wärst ein Einbrecher.« Kempff ließ die Waffe sinken.
»Wie kommst du denn darauf?« Dörte legte den Kopfhörer beiseite und stand vom Boden auf.
»Ich habe gerufen, aber du hast nicht geantwortet«, erklärte Kempff. »Dann habe ich das Haus nach dir abgesucht. Aber dass du hier sein könntest, damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Wegen Rudi?«
Kempff nickte. »Schließlich war die Tür abgeschlossen. Und ich habe dich nie in dem Zimmer gesehen, seit ich hier bin.«
»Stimmt«, seufzte Dörte. »Aber ich habe mich lange genug von Rudis Einfluss herumkommandieren lassen. Das ist ab sofort vorbei.« Lächelnd legte sie die Hände um Kempffs Nacken. »Was ist denn los? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Habe ich auch«, sagte Kempff. »Dachte ich zumindest.« Er gab Dörte einen Kuss. Dann löste er sich von ihr und schaltete das Licht ein. Auf dem Fußboden stand ein Plattenspieler, auf dem sich The Seeds of Love von Tears for Fears drehte. »Hast du das gerade gehört?«
Dörte lächelte. »Das war früher meine Lieblingsplatte. Ich war echt überrascht, dass Rudi auch auf die Musik stand.«
Kempff legte die Stirn in Falten. »Was hat denn Allenbach damit zu tun?«
»Es sind seine Platten.« Dörte zeigte zu einem Stapel LPs, der an der Wand lehnte. »War ja schließlich auch sein Zimmer.«
»Ich dachte, er hat hier nicht gewohnt«, wunderte sich Kempff. »Du sagtest doch, er habe den Raum gar nicht genutzt.«
»Hat er auch nicht wirklich, soweit ich weiß. Aber ein paar Sachen hatte er schon untergestellt, und die Stereoanlage war sogar angeschlossen. Also hat er wohl auch hin und wieder Musik hier gehört.«
»Das passt mir nicht«, knurrte Kempff. »Allenbach ist tot. Trotzdem ist er hier präsent. Das finde ich nicht gut.«
Dörte lächelte. »Du bist ja eifersüchtig. Wie niedlich.«
»Bin nicht niedlich«, gab Kempff mürrisch zurück.
»Wenn du willst, können wir das Zimmer leer räumen«, schlug Dörte vor. »Die Sachen verschenken wir, dann kannst du den Raum so einrichten, wie du es möchtest.«
»Ich soll hier einziehen?« Kempff war überrascht, obwohl er beim Joggen ja exakt über diese Option nachgedacht hatte. Dennoch fühlte er sich von Dörtes Vorstoß überrumpelt.
»Du wohnst doch sowieso schon hier«, sagte Dörte. »Jedenfalls immer dann, wenn du mich besuchst. Mit einem eigenen Zimmer hättest du einen Platz für deine Sachen und könntest dich auch mal zurückziehen.«
Kempff zögerte. »Aber ich arbeite in Hamburg.«
»Ich meine ja auch nicht, dass du komplett mit Sack und Pack zu mir ziehst«, stellte Dörte klar. »Damit sollten wir uns schon noch etwas Zeit lassen. Schließlich haben wir uns ein Vierteljahrhundert lang nicht gesehen.« Sie schaute sich im Raum um. »Aber als Übergangslösung wäre das Zimmer nicht schlecht, oder?«
»Die Tapeten gefallen mir nicht.«
»Kleb dir neue dran.«
»Der Teppich ist blöd.«
»Wirf ihn raus.«
»Die Farbe an der Tür ist hässlich. Schwarz deprimiert mich.«
Dörte betrachtete ihn skeptisch. »Du musst das Zimmer nicht nehmen, wenn du nicht willst.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Es geht dir zu schnell?«
»Möglich.« Kempff seufzte. »Ich weiß ja, dass du es gut meinst. Aber vielleicht lassen wir uns noch ein bisschen Zeit. Okay?«
»Klar«, sagte Dörte und warf ihm einen abwartenden Blick zu. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
*
Auf der Rückfahrt nach Hamburg grübelte Kempff über die kleine Episode nach. Zwischen ihm und Dörte hatte sich etwas verändert, das er noch nicht richtig einordnen konnte. Als sie sich vor wenigen Wochen wiedergetroffen hatten, waren schlagartig die alten Gefühle in ihm erwacht; es waren dieselben Schmetterlinge im Bauch, die Kempff vor fünfundzwanzig Jahren in Erregung versetzt hatten. Damals hätte er Dörte sofort geheiratet. Ihre Beziehung war so eng gewesen, dass kein Blatt zwischen sie passte.
Dann kam Allenbach mit seinem überbordenden Charme und nahm sie ihm weg – von einem auf den anderen Tag. Nachdem sich der notorische Frauenaufreißer ein paar Wochen mit Dörte vergnügt hatte, sägte er sie kurzerhand ab und hinterließ wieder einmal ein gebrochenes Herz.
Kempff hätte seine große Liebe mit offenen Armen empfangen, aber Dörte war von Allenbach gebrochen worden. Ihre Verwundung reichte so tief, dass sie Hamburg verließ und spurlos von der Bildfläche verschwand. Kempff lernte Harriet kennen und blieb ein Vierteljahrhundert mit ihr zusammen.
Bis sie ihn verließ. Von einem Tag auf den anderen.
Kempff überkam eine dunkle Ahnung: War da etwa ein Muster zu erkennen, nach dem er sich verhielt, ohne es zu merken? Übersah er die Anzeichen einer drohenden Trennung, weil er sich von flatternden Schmetterlingen ablenken ließ? Und stand er deshalb jedes Mal wie der Ochs vorm Berg da, wenn ihn die Frauen abservierten? Passierte das womöglich gerade wieder?
Kempff wollte seine große Liebe unter keinen Umständen ein weiteres Mal verlieren. Aber er war sich unsicher, wie er sich verhalten sollte. Tat ihm und Dörte die räumliche Distanz gut, oder vergrößerte sie den Graben zwischen ihnen? Sollte er die Offerte mit dem Zimmer annehmen oder nicht? Kempff war sich unschlüssig. Er brauchte Rat.
Und einen Kaffee.
*
»Moin«, grüßte Becker, als Kempff ihr Büro im Polizeipräsidium in Hamburg-Alsterdorf betrat. »Schönes Wochenende gehabt?«
Der Hauptkommissar nickte knapp. »Und Sie?«
»Ebenso. Kaffee?«
»Ich mach schon.«
Kempff zog die Jacke aus und warf sie über die Lehne seines Stuhls. Er hatte Becker erst beim Allenbach-Fall richtig kennengelernt, als ihm der junge Polizist zur Verstärkung nach Timmendorfer Strand geschickt worden war. Becker hatte sich so gut geschlagen, dass der Hauptkommissar vorschlug, sie beide könnten es für ein paar Wochen als Team versuchen. Nur zur Probe, versteht sich. Aber bislang klappte es sehr gut. Kempff genoss Beckers Anwesenheit. Die Jugend und die Frische des jungen Mannes hoben seine Laune.
»Was ist denn das?«
Normalerweise.
Kempff starrte das weinrote Ding in der Kaffee-Ecke an, als handelte es sich um ein Ufo, das in seinem Büro notgelandet war.
»Eine Pad-Maschine«, sagte Becker. »Habe ich von zu Hause mitgebracht, für das Wochenende, weil die alte Maschine am Freitagnachmittag durchgeknallt ist.«
»Und wie geht das?«, fragte Kempff.
»Sagen Sie bloß, Sie kennen so was nicht?«
»Nur aus der Werbung.«
Becker stand auf und eilte zu Kempff. »Damit lässt sich der Kaffee viel schneller zubereiten.« Er griff nach der Packung neben der Maschine und langte hinein. »Na so was«, wunderte er sich. »Die Pads sind alle.«
»Das heißt, es gibt keinen Kaffee?«, fragte Kempff enttäuscht.
»Ich fürchte, nein. Soll ich schnell welche kaufen gehen?«
»Das wäre nett«, sagte Kempff – und stutzte. »Sagten Sie Wochenende? Waren Sie etwa hier?«
Becker nickte. »Ich habe durchgearbeitet.«
»Und Ihr Mann?« Kempff wusste selber nicht genau, wieso er darauf zu sprechen kam. Die Frage war plötzlich da gewesen. Einfach so. »Was sagt er dazu, wenn Sie das Wochenende durcharbeiten? Wird er da nicht sauer?«
Kempff kannte Dr. Abdullah Ibrahim, der als Arzt in einem Lübecker Krankenhaus arbeitete. Der Mediziner hatte nicht nur Dörtes Haibiss verarztet, sondern sich auch um Kempffs Verletzung gekümmert, die er sich beim Allenbach-Fall zugezogen hatte.
Becker winkte ab. »Der hatte Bereitschaftsdienst und war eh nicht zu Hause.«
»Na dann. Und was haben Sie zu den Morden rausgefunden?«
Becker lotste Kempff zu seinem Schreibtisch. »Wir haben uns doch gefragt, wieso es plötzlich zu so vielen Doppelmorden kommt.« Er blätterte die Akte auf, und ein unappetitliches Foto kam zum Vorschein: Ein blutüberströmter Mann lag neben der Leiche einer Frau mit weit aufgerissenen Augen.
»Ernst Schneider und seine Sekretärin«, erläuterte Becker. »Erst hat sie ihn erstochen, dann sich selbst vergiftet.« Er blätterte weiter. »Sören Heilmann und seine heimliche Geliebte. Erst hat er sie erdrosselt, dann sich selbst erhängt.« Becker blätterte weiter. »Und schließlich Inga Bertram und ihr Fahrer Benjamin. Sie erschießt erst ihn, dann sich selbst.«
Kempff nickte. »Und weiter?«
»Die Frage ist, ob diese Taten zusammenhängen, und wenn ja, wie«, dozierte Becker. »Wieso kommt es innerhalb von wenigen Wochen zu insgesamt drei Doppelmorden?«
»Und? Warum?« Kempff spürte, wie ihm der Koffeinentzug zusehends den Verstand vernebelte. Er musste dringend seinen inneren Motor zum Laufen bringen.
»Es gibt ein Muster«, sagte Becker und zeigte auf ein kleines gelbes Heft, das neben seiner Tastatur lag. »Romeo und Julia. Das berühmteste Liebespaar der Welt.«
»Soll das heißen, Romeo ist der Mörder?«, fragte Kempff erstaunt.
»Es geht um das Muster, das den Morden zugrunde liegt«, beeilte sich Becker zu erklären. »Romeo und Julia bringen sich um, weil ihre verfeindeten Familien ihre Liebe nicht zulassen. Auch bei den drei Doppelmorden entsprechen die Beziehungen nicht dem gesellschaftlichen Stand der Opfer: Chef und Sekretärin, Juniorchef und heimliche Geliebte, Frau vom Chef und Chauffeur.«
»Sie glauben, die haben sich alle umgebracht, weil sie ihre Liebe nicht ausleben konnten?«
»Nein, aber ich glaube, es soll so aussehen. Und diese drei Pärchen haben sich gar nicht selber umgebracht, sondern wurden ermordet. Von einem Serienmörder.«
»Ein Serienmörder? Gibt es dafür noch weitere Indizien außer Shakespeares Drama?«
»Bislang nicht«, gestand Becker. »Aber ich habe da so ein Gefühl …«
»Wir sind Polizisten«, unterbrach ihn Kempff. »Wir sollten uns auf den Verstand verlassen, nicht auf das Gefühl.« Er nahm das Reclamheft und steckte es ein. »Ich werde trotzdem mal einen Blick hineinwerfen, wenn Zeit ist.« Sein Handy klingelte.
»Ja?«, sagte er in das Uralt-Nokia.
»Hier ist Thielemann.«
»Was gibt’s?«
»Der Gerichtsmediziner sagt, bei dem Skelett aus dem Wald gibt es Anzeichen für ein Fremdverschulden.«
»Es handelt sich also um Mord?«
»Könnte sein.«
»Also wurde dieser … wie hieß er noch?«
»Koslowski.«
»Koslowski wurde erst gerettet und dann ermordet?«
»Bei der Leiche handelt es sich nicht um Koslowski«, sagte Thielemann. »Der Pathologe schätzt das Alter des Skeletts auf zwanzig bis dreißig Jahre. Koslowski verschwand aber bereits vor hundert Jahren. Er kann es nicht sein.«
»Wer ist es dann?«, fragte Kempff.
»Das wissen wir noch nicht.« Thielemann holte Luft. »Können Sie kommen, Herr Hauptkommissar? Und sich die Sache mal ansehen?«
»Ich bin schon in Hamburg«, gab Kempff ein wenig überrascht zurück.
»Können Sie trotzdem kommen?«, fragte Thielemann. »Es ist nämlich so: Der Hund hat eine zweite Leiche gefunden.«
*
Als Kempff die Pathologie in Lübeck erreichte, wartete Thielemann bereits mit ernstem Blick auf ihn. »Zwei Tote innerhalb von ein paar Stunden. Da ist mir wohler, wenn jemand Erfahrenes einen Blick auf die Sache wirft.«
»Den einen oder anderen Toten haben Sie doch sicher auch schon gehabt«, wandte Kempff ein.
Thielemann nickte. »Klar, aber an die wirklich schwierigen Fälle sind wir nie richtig rangekommen.«
»Was soll das heißen? Wer hat die denn sonst bearbeitet?«
»Mein Vorgänger. Der ehemalige Polizeichef Rüdiger Allenbach.«
Als die beiden Polizisten den tristen Raum mit den Neonröhren betraten, empfing sie ein kreischendes Geräusch. Thielemann zeigte zu einem Mann, der ihnen den Rücken zugekehrt hatte und mit etwas beschäftigt war, das offenbar ziemlich anstrengend war.
»Doktor Streck«, brüllte er. »Der Pathologe!«
»Zweck?«
»Streck!«
»Zeck?«
Thielemann setzte seine zum Trichter geformten Hände an den Mund. »Doktor Streck. Ich sag’s Ihnen lieber gleich, der ist ein wenig …«
In diesem Augenblick beendete der Mann sein Werk, und das kreischende Geräusch war schlagartig verschwunden.
» … wunderlich!«, brüllte Thielemann so laut, dass die Scheiben klirrten.
Der Mann im Kittel fuhr herum. Er trug Schweißerbrille und Mundschutz, und seine weißen Haare standen zu Berge, als hätte er gerade zwei blanke Drähte in eine Steckdose gesteckt. In seiner Hand hielt er eine Flex, von der Blut tropfte.
»Moin«, grüßte Thielemann ihn. »Darf ich Ihnen Hauptkommissar Kempff von der Mordkommission in Hamburg vorstellen?«
Kempff reichte Streck die Hand, aber der machte keine Anstalten, die Offerte anzunehmen.
»Sie kommen zu spät«, sagte er stattdessen und legte die Flex weg.
»Zu spät wofür?«, fragte Thielemann verwundert.
»Wozu«, verbesserte ihn Streck und schlich an ihnen vorbei. »Zur Obduktion der Leichen.« Mit einer energischen Bewegung riss er die braune Plane von einem der vier parallel aufgestellten Chromtische. Ein Skelett kam zum Vorschein. Kempff vermutete, dass es sich um die sterblichen Überreste handelte, die er beim Joggen entdeckt hatte.
»Sind Sie etwa schon fertig?«, fragte Thielemann überrascht.
Wieder antwortete der Pathologe nicht, sondern enthüllte einen zweiten Chromtisch mit derselben theatralischen Geste. Das Skelett unter dieser Plane glich dem ersten wie ein Ei dem anderen.
»Diese Leiche hier ist mindestens zwanzig Jahre alt«, erklärte Streck und umkreiste den Tisch in einer Art Schleichgang, der Kempff an Gollum aus Der Herr der Ringe erinnerte. »Und sie wurde mindestens einmal verlegt.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Kempff. Streck warf ihm einen finsteren Blick zu, schüttelte den Kopf und machte weiter, als hätte er den Zwischenruf nicht gehört.
»Zwischen den Knochen fanden sich nicht nur Erdreste des Fundorts, sondern auch Sand. Das deutet darauf hin, dass die Leiche erst am Strand vergraben war, dann wieder ausgebuddelt und in Muttererde gebettet wurde.«
Streck sprach Mutter mit einem viel zu langen M und einem viel zu tiefen U aus, sodass Kempff ein leichter Schauer über den Rücken lief. Es klang wie ein Schlund, der sich unter den Füßen eines Wanderers auftat, um ihn zu verschlingen.
»Auch die zweite Leiche ist mehr als zwanzig Jahre alt«, fuhr Streck fort und schlich zum nächsten Chromtisch. »Hier gibt es keine Hinweise auf eine Verlegung.« Er blieb stehen und warf den beiden Polizisten einen ernsten Blick zu. »Dafür aber etwas anderes.« Ruckartig stieß seine rechte Hand vor und zeigte auf den Brustkorb des Skeletts. »Zwischen der dritten und vierten Rippe befindet sich eine Spur«, sagte er. »Ein feiner Abschliff der Knochen, exakt gegenüberliegend.«
Kempff trat zu ihm und beugte sich über die Knochen. »Wo?«
»Dort.«
»Ich kann nichts erkennen.«
»Schon mal dran gedacht, ’ne Brille anzuschaffen?« Streck machte eine rasche Bewegung an Kempffs Ohr und hielt plötzlich eine Lupe in der Hand.
»Wo kommt die denn her?«, fragte der Hauptkommissar überrascht.
»The world ist full of mysteries and magic«, sagte Streck mit geheimnisvoller Stimme. »Versuchen Sie es jetzt noch einmal.«
Kempff nahm die Lupe und betrachtete die Rippen erneut. Diesmal sah er die Kerbe deutlich. »Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, der Mann wurde erstochen«, sagte Streck. »Und zwar hiermit.« Eine weitere rasche Bewegung, und Streck hielt Kempff eine rund dreißig Zentimeter lange und vier Zentimeter breite Holzklinge unter die Nase.
Der Hauptkommissar zuckte erschrocken zurück. »Wo haben Sie die her?«
»Ausgesägt.« Streck setzte die Klinge an die Kerben. »Um das hier zu demonstrieren.« Langsam schob er sie zwischen die Rippen. »Wie Sie sehen, wurde der Einstichwinkel so gewählt, dass die Klinge mitten ins Herz traf. Ergo wurde das Opfer nicht nur getötet, sondern gezielt ermordet. Eine Tat im Affekt scheidet aus.«
Kempff war beeindruckt. »Der Täter besaß anatomische Kenntnisse?«
»Sie haben’s erfasst. Darüber hinaus hat sich das Opfer vermutlich weder gewehrt noch bewegt, denn um einen derart gezielten Stich auszuführen, muss die Klinge exakt angesetzt und dann langsam ins Fleisch geschoben werden. Das bedeutet …«
»Das Opfer hat geschlafen«, wagte sich Thielemann vor.
Streck schüttelte seufzend den Kopf. »Ich denke eher, es war betäubt. Aus dem Schlaf wäre es bei einem derartigen Stich aufgeschreckt.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Kempff. »Alles andere können Sie ausschließen?«
»Nahezu«, erwiderte der Pathologe. »Es handelte sich also um eine gut vorbereitete und gezielte Tat. Was mich zu Leiche Nummer zwei bringt.« Er wirbelte herum. Kempff und Thielemann folgten verblüfft.
»Was sehen Sie?«, fragte Streck.
Kempff und Thielemann beäugten das Skelett.
»Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken«, stellte Thielemann nach einer Weile fest.
Kempff zuckte mit den Achseln. »Ich seh auch nichts.«
»Das wundert mich nicht«, sagte Streck mit Genugtuung in der Stimme. »Denn es gibt auch nichts zu sehen. Jedenfalls nicht aus diesem Blickwinkel.« Er drehte sich zu Thielemann. »Was haben Sie denn da am Auge?« Strecks Rechte schoss vor und hielt plötzlich einen glänzenden Metallstab zwischen den Fingern.
»Ein Teleskopspiegel«, sagte er. »Genau das, was ich jetzt brauche.« Er zog den Metallstab aus und schob den Spiegel schräg unter den Beckenknochen. »Und jetzt sehen Sie bitte in den Spiegel.«
»Da sind auch zwei Kerben«, murmelte Kempff. »Die sehen ziemlich ähnlich aus.«
»Sie sind nicht nur ähnlich, sondern identisch«, sagte Streck. Und während er mit einer Hand den Teleskopspiegel in Position hielt, führte er mit der anderen die Holzklinge an die entsprechende Stelle und schob sie zwischen die Knochen. Sie passte perfekt.
Kempff richtete sich auf. »Also wurden beide Opfer mit derselben Waffe getötet.«
Streck nickte. »Ex-akt.«
»Dann müssen wir nur noch herausfinden, um wen es sich handelt«, sagte Thielemann.
Streck wirbelte einmal im Kreis herum und hielt plötzlich eine Akte in der Hand.
»Nelson Krog und Holm Borchers«, sagte er. »Das konnte ich anhand der Zahnprofile, die noch im Archiv herumliegen, eindeutig feststellen.« Er gab den Beamten die Akte. Und um seinen Mund spielte ein Lächeln.
Zum Abschied reichte der Pathologe Kempff die Rechte; allerdings nur, um sie im letzten Moment zurückzuziehen und auf einmal einen Plastikblumenstrauß in der Hand zu halten.
»Komische Type«, sagte der Hauptkommissar, als er und Thielemann zum Parkplatz gingen.
»Stimmt, Streck ist etwas speziell, aber das hat seinen Grund«, erklärte Thielemann. »Der wollte als Kind unbedingt ein berühmter Magier werden. Aber seine Eltern haben darauf bestanden, dass er Medizin studiert, andernfalls würden sie ihn enterben. Die Strecks waren nämlich eine ziemlich vermögende Familie. Also fügte sich Streck junior, rächte sich aber, indem er Pathologe wurde und sich fortan nur noch mit Toten beschäftigte.«
»Und wieso arbeitet er noch?«, wunderte sich Kempff. »Mittlerweile müsste er sein Erbe doch angetreten haben, oder leben seine Eltern noch?«
»Nein, die sind tot. Vor ein paar Jahren hat seine Mutter ihren Mann erschossen und sich danach in einem Brunnen ertränkt.«
Kempff blieb abrupt stehen. »Wie bitte? Warum?«