Abgerechnet wird am Ende - Irene Dorfner - E-Book

Abgerechnet wird am Ende E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Ein Baby wird bei der Kriminalpolizei Mühldorf abgegeben. Es liegt nur ein Zettel mit einem Namen dabei: Leo Schwartz. In einer frischen Windel werden wertvolle Diamanten gefunden. Die Ermittlungen führen Leo Schwartz und die Kollegen bis nach Klausen in Südtirol – und enden dort in einer Katastrophe, die alles verändert…

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Abgerechnet

wird am

Ende

 

 

 

 

 

 

Krimi

 

 

 

 

 

 

Irene Dorfner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright

© ID Verlag Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

www.irene-dorfner.de

All rights reserved

 

Buchsatz und Coverdesign

www.autoren-zuckerl.de

 

Fotoquelle Cover

Kathrin Brummer

 

Lektorat:

Sabine Thomas, Stralsund

EarL und Marlies Heidmann, Spalt

FTD-Script, Altötting

 

 

 

 

 

VORWORT

 

In diesem spannenden Fall haben wir es mit einem echten Diamanten-Diebstahl zu tun, der tatsächlich in Klausen (Südtirol) während eines Reifenwechsels stattgefunden hat. Auch der Wert der gestohlenen Diamanten, die vorausgegangene Schmuckmesse und die Reifenpanne beruhen auf Tatsachen.

Leo Schwartz und die Kollegen haben sich der Sache angenommen, da Spuren in die oberbayerischen Ortschaften Tüßling und Erharting führen und somit in den Zuständigkeitsbereich der Mühldorfer Kriminalpolizei fallen.

Alle Namen und die Ermittlungen rund um diesen Diebstahl sind frei erfunden, alles ist reine Fantasie.

Aber wer weiß, vielleicht liegt ein Funken Wahrheit darin…

 

Ganz viel Spaß mit dem 48. Fall!!

 

 

 

 

Anmerkung

 

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst. 

 

 

…und jetzt geht es auch schon los:

 

 

 

 

 

 

 

1.

 

„Könnt ihr bitte mitkommen?“ Der Uniformierte blickte in die fragenden Gesichter der Kollegen der Mühldorfer Mordkommission.

„Warum?“, maulte Leo Schwartz.

„Es wurde etwas abgegeben.“ Mehr sagte der Mann nicht, der sich aber ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Der neunundfünfzigjährige Leo Schwartz hatte keine Lust, dem Kollegen zu folgen. Am gestrigen Sonntag und auch am Tag zuvor musste er seiner Vermieterin und Ersatzmutter Tante Gerda im Garten helfen. Jetzt litt er unter Muskelkater, der ihm jede Bewegung zur Qual machte. Theatralisch hielt er sich am Rücken und stöhnte, wobei er die Kollegen Hans Hiebler und Diana Nußbaumer ansah. Die machten aber keine Anstalten aufzustehen. Sie kannten Leo und seine Übertreibungen nur zu gut. Warum sollten sie ihn darin auch noch unterstützen?

„Würde einer von euch sich bequemen mitzugehen? Ihr seht ja, dass ich unerträgliche Schmerzen habe.“ Leo wurde ungeduldig und sah die Kollegen vorwurfsvoll an.

Diana stand auf. Hans dachte nicht daran, Leos Gejammer auch noch zu unterstützen.

„Sie müssen auch mitkommen, Kollege Schwartz. Vor allem Sie!“

„Warum ich?“

„Weil das, was abgegeben wurde, offenbar Ihnen gehört.“ Der Kollege übergab Leo mit einem fetten Grinsen einen Zettel.

„Leo Schwartz, Mordkommission“, las Leo vor, dann sah er den Kollegen an. „Warum haben Sie das, was offenbar mir gehört, nicht gleich mitgebracht?“

„Das wollte ich ja, aber die Treppenstufen waren ein Hindernis, deshalb entschied ich mich dagegen.“

„Ein Hindernis wofür?“

„Kommen Sie mit und sehen Sie es sich selbst an.“

„Mein Gott! Was ist denn das für ein Theater!“ Leo stand auf, wobei er laut stöhnte. Dass er sauer war, sah man ihm an.

Hans und Diana wurden neugierig und folgten Leo.

Als Leo und die Kollegen am Empfang der Mühldorfer Polizeiinspektion ankamen, trauten sie ihren Augen nicht. Dort standen ein Kinderwagen und eine dazugehörige Tasche. Leo sah in den Kinderwagen, darin lag ein schlafendes Baby.

„Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“, grinste der uniformierte Kollege vielsagend. Leo bemerkte, dass nicht wenige der anderen Kollegen hinter der Sicherheitsscheibe der Anmeldung hämisch lachten und jede seiner Bewegungen beobachteten. Im ersten Moment war Leo nervös und hilflos. Er wusste nicht, was das sollte und was er damit zu tun hatte. Aber genauso schnell beruhigte er sich wieder, denn er war sicher, dass es dafür eine logische Erklärung gab.

Dann betrat Rudolf Krohmer die Polizeiinspektion. Der Chef der Mühldorfer Polizei sah in den Wagen und lächelte.

„Wen haben wir denn da?“

„Keine Ahnung“, sagte Leo und übergab dem Chef den Zettel.

„Ist das Ihr Kind?“

„Natürlich nicht. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.“

„Hat niemand etwas gesehen?“, wandte sich Krohmer an die Kollegen, die alle die Situation an der Anmeldung verfolgten. Außer Kopfschütteln gab es keine Reaktion. Krohmer fragte nochmals nach, leider vergebens.

„Das gibt es doch nicht! Niemand hat etwas gesehen? Da spaziert jemand mit Kinderwagen in die Polizei und keinen interessiert das?“ Krohmer war sauer. „Finden Sie heraus, was es damit auf sich hat“, wandte er sich Leo, Hans und Diana zu. Krohmer bemerkte, dass sie immer noch von den anderen Kollegen beobachtet wurden. „Haben Sie nichts zu tun? Los! An die Arbeit!“

„Was machen wir mit dem Kind, Chef?“ Dass die Kollegen gafften, war Leo völlig egal. Er an deren Stelle wäre auch daran interessiert, was hier los war, deshalb kümmerte er sich nicht darum.

„Für solch einen Fall gibt es Vorschriften. Zuerst muss das Jugendamt informiert werden, das dann weitere Schritte einleitet. Natürlich könnte man das Kind auch unterbringen, bis die Mutter ausfindig gemacht wird, was allerdings nicht üblich ist. - Das Kind wurde Ihnen anvertraut, Herr Schwartz, Sie entscheiden.“

„Ich möchte nicht, dass es den Behörden übergeben wird, zumindest nicht sofort. Wenn Sie erlauben, würde ich anders vorgehen. Keine vernünftige Mutter würde ihr Kind einfach abgeben, da steckt mehr dahinter. Vielleicht eine persönliche Tragödie? Eine Torschluss-Handlung? Ich weiß es nicht, aber das finden wir raus. Wir suchen nach der Mutter und geben ihr das Kind zurück. Das Polizeigebäude ist mit Kameras ausgestattet, das dürfte nicht allzu schwer werden. Sollten wir wider Erwarten die Mutter nicht finden, entscheiden wir neu.“

„Einverstanden.“

„Aber erst muss sich Fuchs das alles genau ansehen, um Spuren zu sichern. Niemand fasst den Kinderwagen und die Tasche an, verstanden?“

„Gute Idee, aber das machen wir nicht hier. Hier zieht es, das ist zu gefährlich fürs Kind“, entschied Krohmer. Kleinkinder waren empfindlich und solange das Baby in der Obhut seiner Polizei war, war er für dessen Wohl mitverantwortlich.

Leo zog Handschuhe an, nahm den Kinderwagen und die Tasche und ging damit zur Kantine, die im Erdgeschoss gut zu erreichen war. Inzwischen rief Hans die Spurensicherung. Friedrich Fuchs war erstaunt, dass der Einsatz diesmal im Haus stattfand. Dass es sich um ein Baby handelte, interessierte ihn nicht wirklich. Vom Kinderwagen, der Tasche und den darin befindlichen Gegenstände wurden Fingerabdrücke und sämtliche Spuren aufgenommen. Parallel kümmerte sich Diana um die Kameraaufzeichnungen, die sie jetzt auf einem Speicherstick zusammen mit ihrem Laptop bei sich hatte. Sie hätte sich die Bilder auch in Ruhe im Büro ansehen können, aber dann würde sie verpassen, was in der Kantine vor sich ging, und das wollte sie auf keinen Fall.

Das Baby schlief tief und fest. Alle verhielten sich sehr leise, um das Kind nicht zu wecken. Zwei Kollegen kamen laut schwatzend und lachend in die Kantine, wovon das Baby aufwachte. Alle kommentierten das mit verständnislosem Kopfschütteln. Das Kind weinte und schrie, aber niemand wusste, was zu tun war. Schließlich nahm Hans das Kind auf den Arm und versuchte es zu trösten, was ihm sehr gut gelang.

„Was ist es? Junge oder Mädchen?“, wollte Krohmer wissen.

„Keine Ahnung. Die sehen doch alle gleich aus“, sagte Hans.

„Das ist ein Junge, das Jäckchen ist hellblau“, meinte die dreiunddreißigjährige Diana.

„Das sagt heute doch nichts mehr“, brummte Leo. „Man kann Kindern doch heute alle möglichen Farben anziehen, schließlich leben wir nicht mehr im Mittelalter.“

„Wussten Sie, dass das mit der geschlechtsspezifischen Babykleidung noch vor gut einhundert Jahren genau andersherum war?“, bemerkte Krohmer, der diese Weisheit von seiner Frau hatte. „Früher war blau die Farbe der Reinheit und der Jungfrau Maria, weshalb man Mädchen blau anzog. Somit galt Rosa, das kleine Rot, als Farbe der Jungs. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war Blau die Farbe der Matrosen und der Arbeiter, erst dann wurden Jungs blau gekleidet und Mädchen rosa.“

„Wir werden das Geschlecht gleich herausfinden“, lachte Hans. „Riecht ihr das? Der kleine Wurm gehört dringend gewickelt. Ich habe keine Ahnung von Babys. Irgendwelche Freiwilligen?“

„Gib her, das ist doch kein Hexenwerk“, sagte Leo und stellte sich nicht ungeschickt an. „Ein Mädchen“, lächelte er, als er das Baby säuberte. Hans und Diana drehten sich zur Seite, beiden wurde fast schlecht von dem Gestank. Leo schien das nichts auszumachen, auch Krohmer verzog keine Miene. Als Leo eine frische Windel in die Hand nahm, hielt er kurz inne und sah Hans an. „Damit stimmt etwas nicht, gib mir eine andere.“ Er wog die andere Windel in der Hand und hielt sie ins Licht, gegen die hatte er nichts einzuwenden. Er brauchte einen Moment, um die Klebetechnik der Windel zu verstehen, schaffte es dann aber recht schnell und die Kleine war frisch gewickelt und angezogen.

„Gut gemacht, Herr Schwartz, ich bin beeindruckt“, klopfte Krohmer ihm auf die Schulter. Auch andere Kollegen, die die Szene beobachteten, nickten anerkennend.

Hans untersuchte die von Leo bemängelte Windel genauer, denn auch er merkte, dass damit etwas nicht stimmte. Sie war viel zu schwer, sehr viel schwerer als die anderen. Als er sie ins Licht hielt, fiel ihm ein weiterer Unterschied auf. Als er sie abtastete, fühlte er mindestens zwei harte Gegenstände, die dort nicht reingehörten. An der Windel war manipuliert worden, das bestätigten auch zwei stümperhafte Klebestellen. Mit einem Messer, das ihm Diana reichte, schnitt er die Windel vorsichtig auf - und fand darin zwei Edelsteine. Er legte beide auf den Tisch. Die Steine funkelten im Schein der vielen Deckenlampen.

„Donnerwetter!“, sagte Krohmer. Er nahm Gummihandschuhe und sah sich die Steine genauer an. „Ich bin kein Fachmann, aber ich denke, dass die echt sind. Wenn ich richtig liege, sind die ein Vermögen wert. Es geht also nicht nur um das Kind, sondern um sehr viel mehr.“

„Wir müssen die Kleine unterbringen und umfassende Ermittlungen einleiten“, entschied Leo und sah seinen Chef an. „Das Kind wurde uns anvertraut, das sollten wir sehr ernst nehmen. Sollten die Steine tatsächlich echt sein, sind die viel wert und daran sind bestimmt einige Leute interessiert. Solange wir nicht wissen, was das hier zu bedeuten hat, bleibt das Kind bei uns, die Edelsteine selbstverständlich auch. Würden Sie das übernehmen, Chef? Können Sie das Kind sicher unterbringen?“

„Das kann ich machen, obwohl mir nicht ganz wohl dabei ist. Aber ich bin Ihrer Meinung, Kollege Schwartz. Bis wir wissen, was das hier soll, bleibt das Kind in unserer Obhut. Wenn Sie fertig sind, Kollege Fuchs, werden die kleine Maus und ich jetzt gehen.“

„Ich habe alles, was ich brauche. Von mir aus können Sie gehen.“

„Sehr gut. Dann erwarte ich Ergebnisse. Dass Sie sich ab sofort nur noch um diesen Fall kümmern, muss ich nicht extra betonen?“ Krohmer sah dabei nicht nur Fuchs, sondern auch Leo, Hans und Diana an.

„Natürlich nicht.“

„Außerdem verlasse ich mich darauf, dass vor allem über das Kind nicht gesprochen wird. Instruieren Sie die Kollegen, die das Kind gesehen haben. Kein Wort darüber!“

„Alles klar. Wohin bringen Sie die Kleine?“

„Ich habe eine Idee, aber die behalte ich für mich. Solange wir nicht wissen, was das alles soll, halten wir den Aufenthaltsort der Kleinen geheim. Es ist besser, wenn niemand weiß, wo ich das Kind unterbringe. Dasselbe gilt auch für die Edelsteine.“

„Alles klar, Chef.“

Erst jetzt bemerkte Krohmer den Aufdruck auf dem T-Shirt des Kollegen Schwartz. Dort stand: ICH BIN NICHT STUR SONDERN MEINUNGSSTABIL.

„Endlich mal ein Spruch, der gut zu Ihnen passt.“

„Sie haben diesmal nichts dagegen einzuwenden?“, strahlte Leo.

„Eine angemessene Kleidung wäre mir zwar lieber, aber damit kann ich leben.“

Krohmer nahm die Diamanten, die Tasche und den Kinderwagen, drehte sich um und ging zu seinem Wagen. Er wusste sehr gut, wem er das Baby übergeben wollte, denn dafür gab es für ihn nur eine Lösung.

 

„Warum ich? Warum wurde die Kleine und damit die Steine mir anvertraut? Was soll das?“

„Für mich gibt es dafür nur eine Antwort: der- oder diejenige kennt dich persönlich und vertraut dir.“

„Das können nicht allzu viele sein.“

„Spinnst du?“, rief Diana. „Du kannst zwar unangenehm, sehr direkt und auch beleidigend sein, aber du bist zuverlässig und ehrlich. Ich persönlich kenne niemanden, der dir nicht vertrauen würde. Sehen wir uns die Überwachungsbilder an, dann sind wir schlauer.“

 

Leo, Hans und Diana waren enttäuscht. Die Überwachungsbilder waren zwar gestochen scharf, aber die Person, die den Kinderwagen zur Polizei brachte, war darauf nicht zu erkennen. Die Mütze war tief ins Gesicht gezogen, die Haare sah man nicht. Die Statur und Größe waren durchschnittlich, die Kleidung ebenfalls.

„Wir wissen noch nicht mal, ob das eine Frau oder ein Mann war“, maulte Hans, wobei Leo ihm zustimmte.

„Das ist eindeutig eine Frau, das sieht man am Gang“, meinte Diana.

„Bist du dir ganz sicher?“

„Ich bitte dich, das sieht man doch. Schau doch, wie die Frau geht. Bemüht gerade, den Kopf immer nach unten. Dass im und am Polizeigebäude Kameras hängen, ist dieser Person nicht unbekannt.“

„Was ist mit dem Fahrzeug?“

Diana schüttelte den Kopf.

„Auf den Aufzeichnungen deutet nichts auf ein Fahrzeug hin. Es sieht ganz danach aus, als wäre die fragliche Person zu Fuß gekommen.“

„Was für ein verdammter Mist! Wir haben bisher nichts, nicht den kleinsten Anhaltspunkt. Was sagt Fuchs?“

Hans rief Fuchs an, der aber auch nicht wirklich etwas beitragen konnte.

„Die Fingerabdrücke sind nicht in unserem System“, war die ernüchternde Antwort des Kollegen Fuchs. „Aufgrund der DNA-Spuren, die ebenfalls nicht registriert sind, kann ich nur mit Sicherheit sagen, dass es sich um weibliche DNA handelt. Und zwar von zwei Frauen.“

Die Kriminalbeamten waren noch enttäuschter als zuvor.

„Mehr haben Sie nicht?“

„Nein.“ Fuchs war enttäuscht, denn für die kurze Zeit hatte er für seine Begriffe sehr viel herausgefunden. Ohne einen Gruß legte er auf.

„Dann haben wir nur die Edelsteine.“ Hans warf seinen Kugelschreiber weit von sich. Die Chancen darauf, die Mutter schnell zu finden, waren gleich Null.

„Es gibt Eintragungen bezüglich der Geburt in Krankenhäusern und Standesämtern. Das wird eine Heidenarbeit werden, denn wir wissen ja noch nicht mal, wie alt das Kind ist und ob es hier überhaupt zur Welt kam. An die Arbeit, Leute, es gibt viel zu tun“, sagte Leo.

„Was machen wir mit der Presse?“

„Kein Wort zu niemandem, verstanden? Wenn das mit dem Kind und vor allem mit den Edelsteinen publik wird, ist die Hölle los. Das wird Wellen schlagen, die ich mir nicht vorstellen möchte. Spekulationen und Mutmaßungen, die uns alle nur aufhalten. Außerdem möchte ich mich nicht mit irgendwelchen Pseudo-Eltern herumschlagen, die nur scharf auf die Diamanten sind“, sagte Leo. „Absolutes Stillschweigen!“

„Dann halt du dich auch daran und plaudere zuhause nicht über den Fall“, sagte Hans. „Wenn deine Frau Wind davon bekommt, sind wir geliefert.“

Leo nickte, auch wenn er wusste, dass ihm das nicht leichtfallen wird. Seine Frau kannte ihn sehr gut und würde sehr schnell feststellen, dass er ihr etwas verheimlichte. Leo war sehr schlecht darin, Dinge vor seiner Frau zu verheimlichen, aber irgendwie musste er es schaffen, diesmal standhaft zu bleiben. Wie er das anstellen sollte, wusste er noch nicht.

 

Dass Sabine Schwartz in ihrer Funktion als Journalistin der örtlichen Tageszeitung das kleinste Problem werden würde, ahnte in dem Moment noch niemand.

 

 

 

2.

 

„Hört mal zu: in Klausen – italienisch Chiusa - wurden vor einem Jahr Diamanten geklaut, die bis heute noch nicht aufgetaucht sind.“

„Klausen? Wo ist das genau?“

„Südtirol, in der Nähe von Bozen. Ein deutscher Händler fuhr von der Schmuckmesse Vicenzaoro 2023 mit seinem Wagen nach Hause. Auf Höhe Bozen fuhr er wegen eines Reifenschadens von der Autobahn ab, um den Reifen in einer Werkstatt in Klausen reparieren zu lassen. Dort war das Fahrzeug für einige Minuten unbeaufsichtigt, die Diamanten wurden aus dem Kofferraum gestohlen. Laut Aussage des Bestohlenen waren die Diamanten in einem eigens dafür konstruierten und sehr sicheren Koffer untergebracht. Die italienische Polizei leitete umfangreiche Ermittlungen ein. Es stellte sich heraus, dass der Händler bereits seit der Messe von zwei Fahrzeugen verfolgt wurde, die auch vermutlich für den Reifenschaden verantwortlich waren. Trotz vieler Aufzeichnungen konnte man die Fahrzeuge nicht einwandfrei erkennen und zuordnen. Zwei Männer wurden verhaftet, mussten aber aufgrund mangelnder Beweise wieder freigelassen werden. Einer war Aussteller der Messe, der andere ein vorbestrafter Mechaniker der fraglichen Werkstatt in Klausen.“

„Und die Diamanten? Was ist mit denen?“

„Die sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.“ Diana sah die Kollegen mit großen Augen an.

„Von wie vielen Diamanten sprechen wir?“

„Von zwei Diamanten.“

„Nur zwei Stück?“

„Das reicht für einen spektakulären Diebstahl völlig aus, zumal deren Werte enorm sind. Einer hat einen Wert von rund 1,5 Millionen Euro, der zweite sogar 3,5 Millionen Euro. Der deutsche Händler war versichert.“

„So viel? Wahnsinn! Auch wir haben zwei Steine gefunden. Trotzdem erscheint mir der Wert etwas zu hoch, allerdings habe ich keine Ahnung von Diamanten“, sagte Hans. „Du meinst, das könnten tatsächlich unsere Diamanten sein?“

„Warum nicht? Die Diamanten auf den Fotos sehen den unsrigen verdammt ähnlich. Vielleicht sollten wir mit den italienischen Kollegen Kontakt aufnehmen?“

„Ich weiß nicht“, murmelte Leo. „Ich sehe da keinen Zusammenhang. Was habe ich mit Diamanten, Italien oder diesem Klausen zu tun? Und wie passt das Baby dazu? Das alles sagt mir nichts. Wer ist denn der Mann, der bestohlen wurde?“

„Der Name ist Manfred Schramm. Du wirst es nicht glauben, der Mann lebt in Erharting.“

„In unserem Erharting?“

„Natürlich meine ich unser Erharting. Den Ort gleich nach Töging.“

„Sicher?“

„Denkst du, ich bin blöd?“

„Das wird ja immer verrückter. Der Bestohlene lebt also in Erharting, in unserem Zuständigkeitsbereich. Das macht das Ganze noch interessanter, aber auch verworrener.“

„Was ist jetzt? Soll ich die italienischen Kollegen kontaktieren?“, drängelte Diana.

„Die werden uns nicht einfach so ihre Ermittlungsakte übergeben“, sagte Hans und nahm sein Smartphone. „Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern in Europa ist immer noch sehr schwierig, da nehme ich uns nicht aus. Offene Grenzen haben daran nichts geändert. Niemand will sich in die Karten sehen lassen, außerdem ist man auf Klugscheißereien von anderen Staaten nicht scharf. Ich habe aber eine Idee, wie wir die Sache vielleicht regeln könnten.“

 

Lucrezia Mandola erkannte die Nummer ihres Exfreundes Hans Hiebler sofort. Ihr Tag bei Interpol im französischen Lyon hatte gerade erst begonnen, den Cappuccino vor sich hatte sie noch nicht einmal angerührt. Nicht, dass sie grundsätzlich so spät anfing, das war dem Überstundenabbau und einer Personalbesprechung geschuldet.

„Hans? Wie schön von dir zu hören. Wie geht es dir und deiner Frau?“

Nach einem kurzen Plausch kam Hans schließlich auf den Grund seines Anrufes. Mit kurzen Worten schilderte er, was passiert war.

„Ich verstehe, ihr braucht meine Hilfe.“

„So ist es. Es dauert ewig, bis auf unsere Anfrage bezüglich der Akteneinsicht geantwortet wird, wenn sie nicht sofort im Papierkorb verschwindet.“

„Das ist leider so, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich könnte dir Geschichten erzählen, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. - Ich kümmere mich darum und melde mich wieder.“ Lucrezia könnte sofort in Südtirol anrufen und mit dem zuständigen Kollegen sprechen, entschied sich dann aber dagegen. Sie nahm ihr Adressbuch aus der überdimensionierten Handtasche und sprach mit ehemaligen Kollegen. Durch die Hintertür kam sie hier vielleicht schneller voran. Lucrezia war überrascht, wie groß das Interesse an den offenbar gefundenen Diamanten war. Von dem Diebstahl im letzten Jahr und den Ermittlungen hatte Lucrezia nichts mitbekommen, was sie jetzt ärgerte. Im französischen Lyon war sie weit von ihrer Heimat Italien entfernt. Sie las die Informationen im Netz und notierte Einzelheiten, die ihre ehemaligen Kollegen nannten und die nicht in der Presse bekannt waren. Endlich erfuhr sie den Namen des zuständigen Ermittlers: Fulvio Esposito. Sie notierte dessen Telefonnummer, die sie umgehend wählte. Der Mann war stur und zurückhaltend. Aber da Lucrezia einige Ränge über ihm stand, musste er ihr zuhören. Als er verstand, dass die gestohlenen Diamanten aus Klausen in Deutschland aufgetaucht sein könnten, wurde er hellhörig. Die Begeisterung darüber wuchs und wuchs. Er verlangte nach Einzelheiten, aber die wollte oder konnte Lucrezia nicht nennen.

„Wenn das stimmen sollte, dann wäre das eine Sensation“, rief Esposito. „Die Diamanten gelten als verschollen, sie sind seit dem Diebstahl nirgendwo aufgetaucht. Wenn sie jetzt doch wieder da sind, gibt das ganz neue Ermittlungsansätze.“

Lucrezia ließ sich von der Begeisterung anstecken. Es ärgerte sie, dass sie vorher noch nie von diesem Diebstahl gehört hatte. Es war lange her, dass sie in ihrer Heimat Italien war. Die ganze Sache interessierte sie mehr und mehr. Dann rief sie Hans zurück, der gespannt auf ihren Rückruf gewartet hatte.

„Es war nicht einfach, aber ich sprach mit dem zuständigen Ermittler Fulvio Esposito, der die Sondereinheit mit Sitz in Bozen leitet, die nach dem Diebstahl der Diamanten gegründet wurde. Esposito war überrascht und sehr interessiert an euren Informationen.“

„Bekommen wir die Ermittlungsakte?“

„Er hat es mir in Aussicht gestellt, aber was heißt das schon. Du weißt doch, wie das läuft, Hans. Bis Akteneinsicht gewährt wird, müssen Vorgesetzte und deren Vorgesetzte um Erlaubnis gebeten werden, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Ich habe einige Kollegen in Florenz, Rom und Mailand informiert, die Druck auf Esposito ausüben werden. Ob das was bringt, kann ich nicht versprechen. Mehr kann ich im Moment nicht tun.“

„Du hast uns sehr geholfen, vielen Dank.“

Lucrezia Mandola lehnte sich zurück. Sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand. Ob das was brachte? Sie wusste es nicht. Wenn Esposito sich querstellte, liefen ihre Bemühungen ins Leere. Vielleicht war es besser, wenn sie sich persönlich mit einbrachte. Aber wie sollte das funktionieren?

 

Leo, Diana und Hans machten sich sofort an die Arbeit. Sie suchten nach Informationen über Manfred Schramm. Über den italienischen Kollegen Fulvio Esposito war nichts zu finden, was nicht überraschte. Es gab in Italien keine Unterlagen über Polizisten, auf die die Deutschen zugreifen könnten.

„Es gibt wenige Informationen über Manfred Schramm. Ein freier Schmuckhändler, der für diverse Häuser arbeitet. Er ist vierundvierzig Jahre alt, ledig, keine Kinder. Es gibt keine Eintragungen“, fasste Diana zusammen. „Ich habe kurz mit ihm telefoniert, er ist zuhause.“

„Heute ist Montag, was macht der Mann zuhause?“

„Urlaub? Büroarbeiten? Ich weiß es nicht. Der Mann ist selbstständig, der wird sich seine Zeit vermutlich frei einteilen können“, meinte Hans nicht ohne Neid. Es war lange her, dass er sich um seine privaten Angelegenheiten kümmerte, wofür er einfach keine Zeit hatte.

„Sehen wir uns den Typen mal an“, entschied Leo. „Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat.“

 

Leo und Hans begegneten dem Chef Rudolf Krohmer auf dem Parkplatz, dürftige Informationen wurden weitergeleitet.

„Haben Sie die Kleine sicher untergebracht?“

„Selbstverständlich, die Steine auch.“

„Und wo ist das Kind?“

„Das werde ich auch Ihnen nicht sagen. Je weniger wissen, wo es sich aufhält, desto besser.“

 

Die beiden Kriminalkommissare fuhren davon.

„Der macht vielleicht ein Theater“, maulte Hans. „Uns kann er doch sagen, wem er das Kind anvertraut hat. Die Kleine ist sicher bei seiner Frau.“

„Das denke ich auch. Trotzdem kann ich ihn irgendwie verstehen. Ein falsches Wort oder ein Leck und die Kleine ist in Gefahr. Krohmer weiß, was er tut, wir müssen ihm vertrauen.“ Über die Diamanten dachte Leo nicht nach, die waren ihm im Moment egal. Die lagen irgendwo sicher verstaut, mehr musste er nicht wissen. Ihn interessierte brennend, was es mit dem Kind und den Diamanten auf sich hatte und wie er selbst dazu passte.

 

Krohmer sprach noch mit einem Kollegen. Bevor er das Polizeigebäude betreten konnte, wurde er aufgehalten.

„Herr Krohmer! Schön, dass ich Sie persönlich antreffe.“

„Doktor Grössert? Guten Morgen.“

Der Mühldorfer Anwalt mit eigener Kanzlei schien sehr aufgeregt, was nicht zu dem sonst so selbstsicher auftretenden Mann passte. Krohmer wurde neugierig, was Doktor Grössert von ihm wollte. Die Begegnungen zwischen den beiden einflussreichen Männern beschränkte sich auf öffentliche Veranstaltungen, bei denen Höflichkeiten ausgetauscht wurden, mehr aber nicht. Krohmer schätzte den Mann zwar als Anwalt, aber als Vater des ehemaligen Kollegen Werner Grössert, der vor einigen Jahren nach München wechselte, war er zur damaligen Zeit eine ziemliche Niete. Wie es heute war, wusste Krohmer zwar nicht, aber sein Urteil war gefällt.

„Haben Sie einen Moment für mich? Es ist dringend.“

„Worum geht es?“

„Nicht hier, Herr Krohmer.“

„Gut, gehen wir in mein Büro.“

Krohmer hatte eigentlich keine Zeit für den ungebetenen Gast, wollte aber nicht unhöflich sein. Zudem wollte er den Mann nicht vor den Kopf stoßen, vielleicht konnte er ihn und seinen Einfluss irgendwann brauchen.

„Worum geht es, Doktor Grössert?“

„Meine Tochter ist verschwunden. Sie erinnern sich an Gundula?“

„Ja, ich erinnere mich. Seit wann ist sie abgängig?“

„Sie wollte heute um acht Uhr zum Frühstück bei uns sein, aber sie kam nicht. Telefonisch können wir sie nicht erreichen. Da ist etwas passiert, daran gibt es keinen Zweifel. Bitte helfen Sie uns.“ Doktor Grössert klang sehr verzweifelt.

„Entschuldigen Sie bitte, aber wir haben jetzt erst zwölf Uhr. Vielleicht ist der Akku ihres Telefons leer oder jemand hat sie aufgehalten.“

„Nein, das passt nicht zu Gundula. Sie ist immer zuverlässig und pünktlich. Einfach ohne eine Nachricht nicht zu erscheinen ist nicht ihre Art. Ihr ist etwas zugestoßen, das steht außer Frage.“

„Mir sind die Hände gebunden, Doktor Grössert. Es gibt Vorschriften, wann die Polizei aktiv werden darf.“

„Deshalb bin ich bei Ihnen und bitte Sie persönlich um Hilfe, Herr Krohmer. Ich spüre, dass meiner Gundula etwas passiert ist. Meine Frau ist derselben Meinung, auch sie macht sich große Sorgen.“

Krohmer sah Doktor Grössert an. Der Mann spielte kein Theater, man konnte die Angst in dessen Augen sehen.

„Gut, fangen wir von vorn an. Wann wurde der heutige Besuchstermin vereinbart?“

„Vor knapp drei Wochen. Meine Frau und ich waren im Urlaub. Meine Tochter rief mich an und bat um ein Treffen. Ich spürte sofort, dass ihr etwas auf dem Herzen lag, über das sie dringend mit mir sprechen wollte. Aber ich war nicht da, saß in Mauritius fest. Gundula hatte Verständnis dafür, obwohl sie enttäuscht klang. Seit gestern sind wir zurück, das Treffen sollte gleich heute stattfinden. Gestern Abend haben wir noch miteinander telefoniert.“

„Hat sie irgendwelche Gründe für das Treffen angeführt?“

„Nein, darüber hat sie kein Wort verloren. Sie wollte dringend mit mir sprechen. Nicht mit meiner Frau, sondern mit mir, das hat sie ausdrücklich betont. Sie brauchte mich, ihren Vater. Können Sie verstehen, wie sehr ich leide? Sie brauchte meine Hilfe und ich war nicht für sie da, damit komme ich nur sehr schlecht zurecht.“

„Vielleicht braucht sie nur einen juristischen Rat?“

„Möglich, aber das hätte sie auch mit jedem anderen Kollegen klären können. Ich habe eine andere Vermutung: sie ist in Schwierigkeiten und weiß nicht weiter.“

„Gut. Ich kümmere mich darum. Ihre Tochter heißt mit Nachnamen Hafeneder?“

„Ja, das ist richtig, Ihr Gedächtnis ist phänomenal, Herr Krohmer.“

„Ist sie liiert? Hat sie einen Partner?“

„Das weiß ich nicht, in diese Dinge mische ich mich nicht ein. Bis vor einem halben Jahr war sie mit Patrick liiert. Dessen Nachnamen weiß ich nicht und der interessiert mich auch nicht. Sie wissen, wen ich meine?“

Krohmer nickte. Ja, er erinnerte sich noch sehr gut. Damals war Gundula in einer sehr schwierigen Lage und Patrick war einer derjenigen, der sie rettete. Es ging um Adlerholz, das ihm seit damals ein Begriff war.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Krohmer, aber ich fand einfach, dass Patrick nicht der richtige Umgang für meine Tochter war. Er entspricht einfach nicht unseren Vorstellungen. Wir wollten ihn nicht in der Familie haben, was ich Gundula zu verstehen gab und sie hat es verstanden. Ich muss zugeben, dass ich erleichtert war, als ich von der Trennung erfuhr. Gundula hat etwas Besseres verdient als diesen Muskelprotz.“

„Was arbeitet Patrick?“

„Keine Ahnung, das hat mich auch nie interessiert.“

„Und sie hat keinen neuen Partner?“

„Das weiß ich nicht, ich habe sie nicht danach gefragt. Wenn sie mir etwas von sich aus erzählt, freue ich mich darüber, aber von mir aus würde ich niemals nachfragen. Obwohl wir in den letzten Jahren regelmäßigen Umgang pflegen, gehen wir sehr vorsichtig miteinander um. Die vielen Jahre, die wir getrennt voneinander verbrachten, gingen nicht spurlos an uns vorbei. Sie kennen das doch, Herr Krohmer: jeder führt sein eigenes Leben.“

„Das kenne ich nur zu gut“, murmelte Krohmer, der auch kurz davor war, den Kontakt zu seinem Sohn Mason zu verlieren, was sich zum Glück geklärt hatte. „Kommt Ihre Tochter normalerweise mit dem Auto?“

„Ja, sie fährt einen grünen Kleinwagen. Ich wollte ihr einen Wagen schenken, der besser zu ihr passt, aber sie wollte das nicht. Sie ist einfach sehr bescheiden, wie ihre verstorbene Mutter.“

„Was ist mit dem Kfz-Kennzeichen?“

„Damit kann ich nicht dienen. Auf jeden Fall ein Münchner Kennzeichen, aber mehr weiß ich nicht. Das sind Dinge, um die ich mich noch nie gekümmert habe. Wenn ich doch nur besser aufgepasst hätte! Was bin ich nur für ein oberflächlicher Vater! Ich weiß nicht, mit wem sie Umgang pflegt, wer ihre Freunde sind oder ihr Lebenspartner ist, ich kenne noch nicht mal ihr Kfz-Kennzeichen.“

„Letzteres ist das kleinste Problem. Sie sagten, Sie haben regelmäßigen Kontakt mit Ihrer Tochter?“

„Wir telefonieren alle zwei bis drei Wochen, außerdem sehen wir uns zu den Feiertagen. So, wie sich das für eine anständige Familie gehört. Gundula besucht uns und wir besuchen sie. Meine Frau hält sich darin zurück, sie überlässt mir den Kontakt zu meiner Tochter. Bevor Sie einen falschen Eindruck bekommen: Meine Frau hat Gundula ins Herz geschlossen.“

„Hat Ihre Tochter Freunde in Mühldorf oder Umgebung?“, fuhr Krohmer fort, ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen.

„Wie ich schon sagte, kenne ich ihren persönlichen Umgang nicht. Wenn sie hier ist, kommt sie zu uns und wir verbringen gemeinsam Zeit miteinander. Ob und wen sie hier sonst noch besucht, kann ich Ihnen nicht sagen. Darüber hat sie nie ein Wort verloren, auch zu meiner Frau hat sie diesbezüglich nie etwas gesagt. Seit unser Werner in München lebt, haben die beiden regelmäßigen Kontakt. Ich weiß, dass sie sich mögen und sehr viel Zeit miteinander verbringen. Ich habe bereits mit Werner gesprochen, aber er konnte mir auch nicht helfen.“

„Lassen Sie mich raten: Ihr Sohn hält Ihre Sorge für übertrieben?“

„Ja, das stimmt. Er hat mich regelrecht abgewimmelt und mich vertröstet, was aber sicher seiner Arbeit geschuldet war, schließlich rief ich ihn im Büro an. Werner meinte, dass ich übertreibe und hat sich über mich lustig gemacht. Trotzdem glaube ich, dass Gundula in Gefahr ist und deshalb bin ich hier und bitte Sie um Ihre Hilfe.“

„Ich kümmere mich darum, allerdings kann ich Ihnen nichts versprechen.“

„Das genügt mir, Herr Krohmer.“

 

Rudolf Krohmer stand am Fenster und sah Doktor Grössert zu, wie der in seine Luxuskarosse stieg und davonfuhr. Mitleid stieg in Krohmer auf. Wenn etwas mit dem eigenen Kind los ist, dann ist das immer eine schlimme Sache. Sollte etwas mit seinem Mason sein, wüsste er nicht, was er tun sollte.

Obwohl sich Krohmer sicher war, dass Gundula Hafeneder wohlbehalten wieder auftauchte, blieb ein unangenehmes Gefühl, das er nicht beschreiben konnte.

Und Krohmer lag richtig damit, denn die ganze Sache nahm Ausmaße an, die niemand für möglich hielt…

 

 

 

 

3.

 

„Normales Einfamilienhaus, nicht auffällig. Das Auto ist spießig, außerdem schon über zehn Jahre alt und sehr billig“, murmelte Hans, der aufgrund des Jobs von Manfred Schramm einen aufwändigeren Lebensstil erwartet hatte. „Als Diamantenhändler kann man offenbar keine großen Sprünge machen.“

Leo waren diese Dinge egal. Er wurde schon oft getäuscht und ließ sich auch diesmal nicht von solchen Äußerlichkeiten beirren. Auf dem zerschlissenen Klingelschild stand nur der Name SCHRAMM. Ob der Mann hier wirklich allein lebte?

Der Mittvierziger öffnete die Tür barfuß in Jeans und T-Shirt. Ein gutaussehender Mann, der sicher wusste, welche Wirkung er auf seine Mitmenschen hat. Er gab sich sympathisch, aber nicht aufgesetzt. Trotzdem ließen sich Leo und Hans nicht davon täuschen. Vor allem Hans registrierte sofort die edlen Designerklamotten, den teuren Schmuck und die noble Armbanduhr, die er sich niemals leisten könnte.

„Wie kann ich Ihnen helfen, meine Herren“, strahlte Schramm, wobei die perfekten Zähne zum Vorschein kamen. Ob die echt waren?

„Kriminalpolizei Mühldorf. Mein Name ist Schwartz, das ist der Kollege Hiebler. Es sind neue Fragen zu dem Diamanten-Diebstahl aufgetaucht.“

Beide Kriminalbeamten bemerkten das Zucken um die Mundwinkel. Der Mann war bemüht, Haltung zu bewahren, was ihm aber nicht sehr gut gelang.

„Der Diebstahl in Südtirol?“

„Gibt es außer diesem noch Diebstähle, von denen wir nichts wissen?“

„Natürlich nicht“, lächelte Schramm gequält. „Ich habe leider im Moment keine Zeit für Sie, das tut mir leid. Ich habe einen Termin, den ich nicht verschieben kann. Wissen Sie was? Ich erledige alles so schnell wie möglich und komme dann zu Ihnen aufs Revier. Wäre das Ordnung?“ Schramm sprach sehr ruhig und lächelte freundlich, diesmal aber aufgesetzt.

„Das geht in Ordnung. Sechzehn Uhr?“ Leo gab ihm seine Visitenkarte.

„Das passt perfekt, bis dahin habe ich alles erledigt. Ich bin um sechzehn Uhr bei Ihnen. Und nichts für ungut!“

 

„Was war das denn?“ Hans war verwirrt. „Hat der wirklich einen Termin oder wollte er uns nur nicht ins Haus lassen?“

„Das finden wir raus. Fahr einmal um den Block und stell den Wagen an einer anderen Stelle ab. Mal sehen, ob uns der Typ für dumm verkaufen will.“

 

Schramm schloss die Tür, sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Von der freundlichen Art war nichts mehr zu sehen. Die Polizisten waren weg, vorerst hatte er Ruhe vor ihnen. Wütend nahm er sein Smartphone.

„Die Bullen waren hier!“, schrie er. „Hast du gehört, Margrit? Die Bullen standen vor meinem Haus!“

„Beruhige dich. Was wollten sie?“

„Offenbar gibt es noch Fragen zu dem Diamanten-Diebstahl. Ich konnte sie auf heute Nachmittag vertrösten.“

„Ach so. Das ist doch völlig normal, warum reagierst du so panisch?“

„Ich habe nicht mit der Polizei gerechnet. Du hast doch versprochen, dass sich bis übermorgen niemand für die Frau interessieren wird. Du hast gesagt, dass wir nur warten müssen, bis sie redet.“

„Das wird sie auch, keine Sorge. Die Polizisten waren wegen des Diebstahls bei dir und nicht wegen ihr, beruhige dich.“

„Plötzlich steht die Polizei vor meiner Tür - wie hättest du denn darauf reagiert?“

„Jetzt bleib mal ruhig und atme tief durch. Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren, verstanden? Nichts und niemand wird je hinter die ganze Geschichte kommen, da bin ich mir ganz sicher. Wie denn? Wir bekommen die Diamanten und die Pillen zurück und alles ist gut.“

„Meine Nerven sind echt am Ende. Hat sie immer noch nichts gesagt?“

„Nein, kein Wort. Sie ist bockig und stur. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie reden wird. Wir müssen das Kind finden und darum musst du dich kümmern, und zwar schnell! Wenn wir ihr damit drohen, wird sie reden. Ich hoffe doch, dass du nach der Göre suchst!“

„Ich bin dran, das habe ich dir doch versprochen. Und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich mich daran.“

„Gut. Finde das Kind, dann haben wir alles in unseren Händen und alles wird gut. Das Problem ist gelöst, wenn sie endlich redet. Finde das Kind, Manfred!“

„Ich sagte doch, dass ich dran bin! Entschuldige, mein Engel, ich wollte dich nicht anschnauzen. Ich mache mir Sorgen, Margrit. Das alles gleitet uns aus den Händen und nimmt Ausmaße an, die mir nicht gefallen. Was wird aus der Frau? Sie weiß zu viel und wird plaudern, sobald wir sie frei lassen.“

„Das ist mir klar, deshalb wird sie auch nicht freikommen.“

„Was soll das heißen?“

„Je weniger du weißt, desto besser. Ich kümmere mich um das Problem, du bist dafür viel zu weich. Um die Frau musst du dir keine Gedanken machen, hörst du? Streich sie einfach aus deinem Gedächtnis. Und wegen der Polizei brauchst du dich auch nicht sorgen. Beantworte einfach deren Fragen und bleib ganz ruhig. Das hast du in Italien geschafft und das schaffst du auch jetzt wieder.“

„Das sagst du so leicht, ich habe echt Schiss.“

„Reiß dich zusammen, hörst du? Du bist stärker, als du glaubst. Und kümmere dich um das Kind, wir brauchen es als Druckmittel!“

„Ja, das weiß ich!“

„Ich liebe dich, mein Schatz. Sobald wir die Diamanten und die Pillen haben, können wir endlich ein neues Leben beginnen. Dann lässt man uns in Ruhe und wir haben genug Geld, um ganz von vorn anzufangen.“

„Ich kann es kaum erwarten, mein Engel.“

 

Margrit saß im Wohnzimmer des fremden Hauses mitten im oberbayerischen Tüßling, wo sie noch nie zuvor gewesen war. Das Nest war ihr zuwider. Alles eng, klein und spießig. Sie war für die große Welt gemacht und freute sich auf ein unbeschwertes Leben. Aber noch war es nicht so weit. Sie sorgte sich um ihren Liebsten. Manfred verlor langsam die Nerven. Es war gut, dass sie ihm nicht erzählte, dass sie eine weitere Frau in ihrer Gewalt hatte, die zu neugierig geworden war. Warum sie sie nicht einfach gehen ließ? Das war nicht möglich, sie könnte zur Polizei laufen. Diese Frau wusste nichts, das war Margrit schnell klargeworden. Trotzdem musste sie sie in den Keller sperren, wo sie vermutlich nie wieder rauskam. Um diese Frau machte sich Margrit keine Gedanken, die war nicht wichtig. Sie würde sie so lange mit dem Nötigsten versorgen, bis sie endlich die Informationen hatte, die sie und Manfred dringend brauchten – und dann würde sie sie wie diese bescheuerte Elfie einfach zurücklassen. Aber diese verstockte, hinterfotzige Frau, die den ganzen Schlamassel verursacht hatte, sagte kein einziges Wort. Nur sie konnte ihr und Manfred helfen, aus der ganzen Scheiße als Gewinner rauszukommen. Aber die Frau redete nicht, kein Wort. Margrit ging in den Keller und stand voller Hass vor der Frau. Wenn sie endlich reden würde, war alles schnell vorbei. Aber sie war stur und sehr zäh. So sehr sie sie auch malträtierte, sagte sie kein Wort. Auch Drohungen gegenüber schien sie immun zu sein. Es war an der Zeit, die Taktik zu ändern. Sie musste noch härter vorgehen. Das machte Margrit keinen Spaß, aber Elfie bettelte ja geradezu darum.

 

Von all dem wusste Manfred Schramm nichts. Er überließ diese widerliche Arbeit seiner Freundin, die dafür sehr viel besser geeignet war als er selbst. Schramm war durcheinander. Dass die Polizei vor der Tür stand, wusste er nicht.

„Der Typ hat uns angelogen“, sagte Leo nach einer guten Stunde. „Er fährt nicht weg und er bekommt auch keinen Besuch. Warum hat er nicht einfach unsere Fragen beantwortet? Der hat Dreck am Stecken, das ist amtlich.“

„Das sehe ich auch so. Wollen wir noch warten?“

„Nein, fahren wir ins Präsidium. Hier verschwenden wir nur wertvolle Zeit. Schramm kommt heute Nachmittag, dann nehmen wir ihn uns genauer vor.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„Dann wird er uns von unserer unfreundlichen Seite kennenlernen.“

 

Krohmer saß wie auf Kohlen. Endlich rief Werner Grössert zurück.

---ENDE DER LESEPROBE---