Abrechnung in Brodersby - Stefanie Ross - E-Book

Abrechnung in Brodersby E-Book

Stefanie Ross

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Beschreibung

Mordanschlag statt Doppelhochzeit: Landarzt Jan Storm schlägt zurück! Landarzt Jan Storm und sein Kumpel Jörg organisieren mit ihren Partnerinnen eine Doppelhochzeit, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Doch das turbulenteTreiben steht unter keinem guten Stern: Zunächst wird Jörg Opfer eines Einbruchs, wenig später entgehen Jan und ein ehemaliger Militärkamerad nur knapp einem Mordanschlag. Die Taten bleiben zunächst undurchsichtig. Bis eine Gruppe Soldaten in den Fokus rückt, die nicht nur verschwiegen, sondern auch brandgefährlich ist.

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Stefanie Ross

Abrechnung in Brodersby

Ein Landarzt-Krimi

Mehr von Stefanie Ross und Jan Storm:

Das Schweigen von Brodersby. ISBN 978-3-89425-490-2

Jagdsaison in Brodersby. ISBN 978-3-89425-584-8

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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

Cäcilienstraße 48, D-50667 Köln

Internet: http://www.grafit.de

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack, Hamburg.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/kira (Leuchtturm) und shutterstock/Evannovostro (Himmel), HTWE (Gras)

Lektorat: Dr. Marion Heister

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

eISBN 978-3-98708-004-3

Die Autorin

Stefanie Ross wurde in Lübeck geboren. Sie verbrachte einen Teil der Schulzeit in Amerika und unternahm später ausgedehnte Reisen, unter anderem durch die USA, Kanada und Mexiko. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre folgten leitende Positionen bei Banken in Frankfurt und Hamburg. Sie ist verheiratet, Mutter eines Sohnes, fährt gerne Motorrad und schreibt seit 2012 Thriller.

Kapitel 1

Die Farbe der Servietten? Jan Storm starrte auf die Mail seiner Frau. Es gab Fragen, die konnte er nicht beantworten. Diese gehörte dazu.

Er legte das Handy zurück in die Schublade seines Schreibtisches und stand auf, um den nächsten Patienten ins Sprechzimmer zu bitten. Das würde ihm etwas Aufschub verschaffen. Allerdings war es Freitagmittag und damit kurz vor Praxisschließung. Statt eines hilfesuchenden Menschen sah ihm lediglich seine Arzthelferin Gerda entgegen.

»Der letzte Patient kommt nicht.«

Jan dachte an seine Frau, die auf eine Antwort wartete. »Ich hoffe, er hat einen guten Grund.«

Gerda hob eine Augenbraue zu einem perfekten Bogen. Heute trug sie ihre weißblonden Haare zu einem sehr strengen Pferdeschwanz zurückgebunden und war mit der weißen Bluse zum dunkelblauen Kostüm hanseatisch korrekt gekleidet, sodass Jan sich bei diesem Anblick prompt an seine alte Geschichtslehrerin erinnerte.

»Er ist tot. Reicht das als Entschuldigung?«

Verdutzt und mit einem ersten Anflug von schlechtem Gewissen trat Jan an den Tresen seiner patenten Helferin heran und nahm die Akte, die dort lag. Jochen Merkle hatte ein Rezept gegen zu hohen Blutdruck abholen wollen. Er hatte die neunzig zwar schon deutlich überschritten, aber keinerlei ernste Erkrankungen gehabt.

»Was ist passiert?«

Gerda lächelte. »Er ist von seinem Vormittagsschläfchen nicht wieder aufgewacht. Seine Tochter war sehr gefasst und meinte, dass es zwar schade sei, dass der hundertste Geburtstag nun nicht mehr gefeiert werden könne, aber ansonsten sei sie glücklich, dass er so friedlich – im wahrsten Sinne des Wortes – eingeschlafen sei. Recht hat sie.«

»Verstehe.«

Prüfend musterte Gerda ihn. »Du scheinst dich über den früheren Feierabend nicht zu freuen.«

»Geht so.«

»Huch. Trüben dunkle Wolken euer Bilderbuchfamilienglück?«

Die melodramatische Betonung brachte Jan zum Schmunzeln. Eigentlich konnte er sich wirklich nicht beschweren. Er liebte seine Frau Lena und war vernarrt in seinen Sohn, der langsam anfing, die Welt zu entdecken, und mit seinem halben Jahr auf der Schwelle vom Baby zum Kleinkind stand.

»Nein. Ich soll was zur Farbe von Servietten sagen!«

Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit, dass Gerda losprustete wie ein kleines Mädchen.

»Ach, Jan. Du bist zu herrlich. Wenn dir Kugeln um die Ohren fliegen, bleibst du völlig ruhig. Du hast Nerven wie Stahlseile, wenn es um Patienten oder einen der Kriminalfälle geht, die du und deine Gang übernehmen, aber die Hochzeitsvorbereitungen treiben dich in die Flucht.«

Nun musste er selbst lachen. »Mir hätten ein paar Kisten Bier, ein paar Buddeln Whisky und ein ordentlicher Grill gereicht. Ich weiß nicht einmal, was der Unterschied zwischen Creme und Altweiß ist. Und ganz ehrlich: Ich will ihn auch gar nicht kennen.«

»Na, hast du ein Glück, dass ich noch etwas für dich habe, das deinen Weg nach Hause aufschiebt.«

Jan konnte nicht verhindern, dass er Gerda hoffnungsvoll ansah. »Ein Hausbesuch?«

»Wohl eher nicht. Heiner hat sich angekündigt. Es klang dringend, und er müsste jeden Moment hier sein.«

Das klang gut! Heute war Heiner Zeiske, der pensionierte Polizist, ein guter Freund von Jan. Als sie sich kennengelernt hatten, waren sie erbitterte Feinde gewesen. Dies hatte sich merkwürdigerweise ausgerechnet geändert, nachdem Jan Heiners Sohn als Verbrecher überführt hatte. Mittlerweile hatten sie schon einige kniffelige Fälle gemeinsam gelöst. So ungern Jan es auch zugab, er vermisste seine Zeit als Elitesoldat der Bundeswehr ab und zu. Auch wenn ihm die Arbeit in seiner Praxis gefiel, war da diese Seite in ihm, die Lena als »Adrenalinjunkie« bezeichnete. So ganz falsch lag sie damit nicht.

Heiners alter Lada, den er für Fahrten ins Jagdrevier nutzte, stoppte so dicht hinter Jans geliebtem Motorrad, dass er einmal tief durchatmete. Er liebte seine Ninja eben und nutzte die Kawasaki im Sommer wesentlich häufiger als seinen Audi.

Jan reichte ein Blick auf Heiners Miene, um zu wissen, dass Gerda mit ihrer Einschätzung recht hatte. Irgendetwas war nicht in Ordnung.

»Ich hole dir mal einen Klaren«, verkündete Gerda statt einer Begrüßung und drehte sich an der Tür noch einmal zu Jan um. »Aus medizinischen Gründen natürlich. Der gute Heiner ist ja ganz blass um die Nase.«

»Bin ich?«, fragte Heiner verdattert.

»Nö. Ich glaube, sie hat selbst Sehnsucht nach dem Birnenbrand von Hinnark. Bist du als Patient oder als Freund hier?«

»Wenn du mich so direkt fragst, bin ich gar nicht hier.«

»Aha.« Nun verstand Jan überhaupt nichts mehr.

Gerda kehrte mit drei Gläsern und einer Flasche aus der kleinen Pantryküche zurück. Bedauernd lehnte Jan ab. Alkohol und Rennmaschine waren keine gute Kombination.

»Nun erzähl mal, Heiner.« Gerda schob ihm ein gefülltes Glas hin.

Gegen den Tresen gelehnt, nahm Heiner es an. »Also eigentlich wollte ich ja mit Jan reden.«

Gekonnt überhörte seine Arzthelferin die Andeutung. »Kannst du ja auch. Da steht er und wartet. Nun schieß los. Er hat noch eine Hochzeit zu planen, und seine Frau und sein Sohn warten auf ihn.«

Manchmal könnte Jan ihr … Er kam nicht dazu, Gerda in die Schranken zu weisen, denn Heiner signalisierte ihm, es zu vergessen.

»Andrea hat mich angerufen. Sie klang reichlich durch den Wind und hat mich gebeten, mal vorbeizuschauen. Da ich Jan ausdrücklich nichts sagen sollte, bin ich sofort hierhergekommen.«

Die Logik verstand Jan. Andrea war die Fast-Ehefrau seines Freundes Jörg, eines Kieler Polizisten. Da die beiden auch heiraten wollten, hatte sie eine Doppelhochzeit geplant. Jan und Lena hatten zwar schon vor Fynns Geburt standesamtlich geheiratet, die Feier und die kirchliche Trauung jedoch auf die Sommermonate verschoben.

»Sie wird dich ja kaum etwas wegen der Farbe der Servietten fragen wollen«, überlegte Jan laut. »Jörg bleibt heute Nacht in Kiel. Da steht irgendeine Razzia auf dem Programm, bei der er vor Ort sein muss. Wenn sie mich nicht dabeihaben will, muss es was Ernsteres sein, weil sie Angst hat, dass ich es Jörg sage.«

Heiner prostete ihm zu. »Genau mein Gedanke. Ich helfe ihr ja gerne, aber Freunde zu hintergehen is nicht.«

»Dann lass uns hinfahren.«

»Mok wi«, stimmte Heiner auf Plattdeutsch zu und betrachtete die Flasche Birnenbrand so bedauernd, dass Jan sich gedanklich notierte, ihm eine zum Geburtstag zu schenken. Der Biobauer, von dem der Schnaps stammte, stellte nur kleine Chargen her, die schnell vergriffen waren, doch dank Lena, die dort Stammkundin war, hatte Jan ein paar Sonderrechte.

»Schnaps to go gibt’s noch nicht«, zog er Heiner auf. »Ich hole meine Sachen, dann kann Gerda hier klar Schiff machen und abschließen.«

Das empörte Schnaufen ignorierte er, denn diese ungeliebte Arbeit hatte sie sich nach ihrem Auftreten verdient.

***

Normalerweise wäre Jan mit seiner Ninja weit vor Heiner bei dem Bauernhaus angekommen, doch er ließ sich auf den letzten Metern Zeit und wurde prompt von einem reichlich irritiert wirkenden Touristen überholt. Erst als er den alten, schlammbespritzten Geländewagen im Rückspiegel entdeckte, gab er wieder Gas und bog in die schmale Straße ein, die ihn direkt zu seinem Ziel führte.

Das L-förmige Gebäude war zwar alt, aber hervorragend in Schuss. Jo Karge, der ein Ersatzvater für Jörg war, lebte hier mit seiner Frau Helga. Die beiden hatten sich in den unteren Teil des Hauses zurückgezogen und den weitaus größeren Trakt im ersten Stock Jörg, seiner zukünftigen Frau Andrea und ihrer Tochter Ida überlassen.

Auf der Fahrt hatte Jan überlegt, was er über die Pläne der Bewohner wusste, und das Ergebnis gefiel ihm nicht. Jo und Helga waren übers Wochenende in Hamburg, weil sie sich mit Freunden ein Musical ansehen wollten. Jo war zwar bereits über siebzig, aber als ehemaliger Kampfschwimmer noch top in Form und würde jeden Einbrecher in die Flucht schlagen. Jörg war in Kiel, und Ida hielt sich garantiert noch bei ihrem Freund auf. Damit war Andrea allein zu Hause, und wenn sie Heiner um Hilfe bat, hatte sie einen guten Grund dafür. Dass sie sich nicht direkt bei Jan gemeldet hatte, war typisch für sie. Ihr fiel es immer noch schwer, Hilfe anzunehmen, und sie hatte ewig das Gefühl, anderen zur Last zu fallen. Vermutlich sollte Jan froh sein, dass sie überhaupt jemanden angerufen hatte.

Er stoppte die Maschine vor der Haustür und klappte den Seitenständer aus. Heiner hielt direkt neben ihm.

»Wenn ich es richtig zusammenbekomme, ist Andrea alleine zu Hause«, überlegte Heiner laut.

Jan legte seinen Helm und die Handschuhe auf die Sitzbank. »So weit war ich auch schon. Dann lass uns mal nachsehen.« Er ging auf das Gebäude zu und blieb stehen, als die Tür aufflog.

Andrea stürmte heraus. »Verflixt noch mal, Heiner. Ich wollte doch keinen Wirbel veranstalten! Wieso hast du denn Jan informiert?«

Ehe das in einen Streit ausarten konnte, übernahm Jan das Kommando. »Heiner war bei mir in der Praxis, und du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mir keine Sorgen mache und den alten Haudegen alleine loslasse!«

Heiner runzelte die Stirn. »Haudegen klingt schräg, geht aber in Ordnung, doch das ›alt‹ überhöre ich mal lieber. Was ist denn los?«

Die Art und Weise, wie Andrea die Unterlippe zwischen die Zähne zog, alarmierte Jan.

»Keine Ausflüchte! Du willst doch nicht, dass wir umsonst den ganzen Weg gefahren sind.«

Andrea lächelte flüchtig. »Du meinst die ganzen zehn Kilometer? Oder wie viele sind’s?«

»Kommt hin«, erwiderte Heiner. »Bekomme ich einen Kaffee, während du uns erzählst, was los ist?«

»Na sicher. Kommt rein. Aber bitte versprecht mir, mich nicht auszulachen. Es geht nämlich um einen Einbruch, bei dem nichts geklaut wurde.«

Nach der Erklärung wandte sich Andrea ab, verschwand im Inneren und ließ sie einfach stehen.

Heiner schüttelte den Kopf und brummte etwas, das nicht sehr nett klang. Was immer es auch war, Jan schloss sich ihm gedanklich an. Das war doch … Ihm fehlten die Worte. Sie wechselten einen stummen Blick und folgten Andrea in die Wohnung im ersten Stock.

Kapitel 2

Andrea stand in der Küche, die sich direkt an den Windfang anschloss, und stellte einen Becher in den Vollautomaten. Dass sie sich nicht zu Jan umdrehte, ärgerte ihn.

»Willst du jetzt ein Ratespielchen veranstalten?«

Als sie sich schließlich doch umdrehte, schmunzelte sie erstaunlicherweise. »Wieso nicht? Ich könnte dich ja fragen, welche Servietten du gerne für die Feier hättest.«

Unwillkürlich musste Jan grinsen. »Dein Einbrecher ist ein sehr willkommener Grund, um mich vor der Antwort zu drücken. Also rede, ehe ich dir damit drohen muss, dass ich meinen Freund anrufe, der zufällig dein zukünftiger Mann ist.«

Andrea drückte auf einen Knopf, und die Geräusche des Mahlwerkes verhinderten für einen Moment jedes ernste Gespräch.

Kaum waren sie verstummt, übernahm Heiner das Verhör. »Wie kommst du auf die Idee, dass jemand eingebrochen ist?«

Andrea reichte ihm den Becher und strich sich eine Haarsträhne zurück. »Mich hat es schon stutzig gemacht, dass die Haustür unten nicht abgeschlossen, sondern nur eingeschnappt war.« Sie deutete auf die Küchentür. »Das da ist hier oben ja eigentlich unsere Wohnungstür. Wenn Jo und Helga hier sind, verriegeln wir sie nicht, aber heute Morgen habe ich das ganz sicher getan. Das mache ich immer, wenn die beiden unterwegs sind. Und als Krönung lagen dann im Flur Staubflocken unter der Luke zum Dachboden. Wir waren seit Ewigkeiten nicht mehr da oben, genauer gesagt seitdem ich Jörg die Weihnachtsdeko hochgereicht habe und er sie da oben verstaut hat. Danach habt ihr da zwar noch irgendwann diese Dämmschicht angebracht, aber das zählt ja nicht. So, und nun mal ehrlich, wie bescheuert klingt das für euch auf einer Skala von eins bis hundert?« Andrea breitete die Hände aus. »Das iPad von Ida steht auf dem Küchentisch, weil sie es vergessen hat. Das Teil ist locker noch achthundert Euro wert. In der Schale bei den Jacken lag ein Zwanziger, und der ist immer noch da. – Willst du auch einen Kaffee, Jan?«

»Nein, danke. Ist es okay, wenn ich mich unten und hier oben mal umsehe?«

»Natürlich, ich wäre dir dankbar. Ich bin nämlich gleich wieder runter, habe aber vorher noch oben bei uns die Tür abgeschlossen, obwohl ich gar nicht glaube, dass da jemand ist. Außerdem ist Ginger ja da, aber die pennt in der Küche und würde einen Einbrecher vermutlich nur anbetteln.« Sie lächelte verkrampft. »Ich komme mir so bescheuert vor. Und ausgerechnet heute ist Jörg nicht da!«

Der letzte Satz klang so empört, dass Jan schmunzeln musste. »Du hast alles genau richtig gemacht. Jetzt wartest du hier in der Küche, Heiner übernimmt die Absicherung vom Flur aus. Wenn was nicht stimmt, ruft er seine Ex-Kollegen. Ich gehe dann mal auf Einbrecherjagd.«

Andrea nickte. »Eigentlich wollte ich von Heiner nur wissen, was ich der Polizei sagen soll, aber das klingt gut. Pass auf dich auf. Und wie gut, dass ich heute Morgen noch aufgeräumt habe!«

Jan zwinkerte ihr zu, verließ die Küche und ging die Treppe wieder hinunter. Links befand sich der Bereich, den Jo als Werkstatt bezeichnete. Ihm reichte ein Blick, um festzustellen, dass sich darin niemand aufhielt. Auch den Rest des Erdgeschosses hatte er schnell überprüft. Weder im Wohnzimmer noch in dem kleinen Bad oder im Flur gab es mögliche Verstecke. Etwas verlegen sah er sich noch im Schlafzimmer von Jo und Helga um und konnte dort ebenfalls niemanden entdecken.

Danach eilte er die Treppe wieder hinauf in den ersten Stock. Hier sah es schon anders aus. Die Wohnung erstreckte sich über die gesamte Etage und bot der kleinen Familie genug Platz – allerdings einem Einbrecher auch jede Menge Möglichkeiten, sich zu verbergen.

Jan sah sicherheitshalber nicht nur in den Schränken, sondern auch unter den Betten nach, wurde aber nicht fündig. Er konnte es nicht begründen, hatte jedoch erstmals den Eindruck, dass sich hier jemand aufgehalten hatte, der nicht hierhergehörte. Die Staubflocken, die Andrea erwähnt hatte, entdeckte er sofort.

»Ich sehe mal ganz oben nach«, rief er ihr zu.

»Der Stab für die Luke ist an der Garderobe.«

Jan verzichtete darauf, zu erwähnen, dass er den bereits in der Hand hielt, und öffnete den Verschluss an der Decke. Langsam senkte sich die Klappe, und er konnte mit dem Haken eine Leiter ausziehen.

Nachdem sich dort oben vor mehreren Wochen ein Marder eingenistet hatte, hatte er Jörg geholfen, den Zugang zum Dachboden zu modernisieren und die Dämmung zu erneuern. Daher wusste er, dass Staub oder kleine Fusseln nur beim Öffnen nach unten rieseln konnten. Da oben würde sich niemand aufhalten, aber er wollte wissen, ob der Eindringling noch andere Spuren hinterlassen hatte.

Jan stieg die Stufen hinauf und schaltete das Licht ein. Doch nichts geschah. Er nutzte sein Handy als Taschenlampe. Dass die Glühbirne kaputt war, konnte dem Verschleiß geschuldet sein, dass der erste Karton einer ordentlichen Reihe ein ganzes Stück verrückt worden war, gefiel ihm allerdings nicht. Jörg und er hatten die Sachen damals möglichst platzsparend verstaut.

Jan begutachtete die einfache Lampe und schraubte die Birne heraus, um sie später zu überprüfen. Dann sah er aus dem Fenster. Von hier aus konnte er den kompletten Bereich vor dem Haus überblicken. Ein möglicher Einbrecher würde so rechtzeitig gewarnt werden und abhauen können. Das würde auch die Staubflocken erklären. Doch was hatte er hier gesucht? Es gab die Weihnachtsdeko, die Andrea erwähnt hatte, und ein paar Kartons mit Sachen, die Ida gehörten.

Vielleicht war das ja eine logische Erklärung. Teenager waren manchmal unberechenbar, vielleicht hatte das Mädchen an eine der Kisten gewollt und war in Panik geraten, als die Lampe kaputtgegangen war.

Jan fotografierte mit seinem Handy die Kartons, verließ den Dachboden, schloss die Luke und ging wieder in die Küche.

Ehe er von seiner Entdeckung berichten konnte, packte Heiner ihn am Arm.

»Ich habe mich noch mal unten umgesehen und will dir was zeigen. Komm mal mit.«

Neugierig folgte er seinem Freund zurück ins Erdgeschoss und dort in Helgas Küche. Auch Andrea schloss sich ihnen an.

Heiner drückte die Klinke der Glastür, die zur Terrasse führte, und öffnete sie. »Voilà!«, sagte er wie ein Zauberkünstler. »Und du kannst mir nicht erzählen, dass Jo sie offen gelassen hat, denn …«, er tippte auf einen grauen Kasten an der Wand, »… Jo hat auf Helgas Wunsch extra eine Alarmanlage installiert, um diese Tür abzusichern, und ich habe ihm dabei geholfen. Wir fanden das zwar beide Quatsch, weil es ja niemand hört, wenn sie lostobt und sie keine automatische Verbindung zur Polizei hat, aber sie wollte es gerne. Und so ganz unrecht hatte sie ja auch nicht, denn zumindest wären sie wach geworden oder eben Jörg und Andrea, wenn nachts jemand das Schloss geknackt hätte. Und damit sind wir beim zweiten Punkt. Ich sehe keine Aufbruchspuren, und das deutet auf einen Profi hin – oder doch auf Jos Schusseligkeit. So, und nun bist du dran, Jan.«

»Ich habe das Gefühl, dass jemand auf dem Dachboden war. Haltet mich nicht für verrückt, aber zum einen lag da irgendwie ein anderer Geruch in der Luft als die letzten Male, als ich da oben war, und zum anderen war ein Karton verrückt.« Er zeigte den beiden auf seinem Handy, was er meinte. »Entweder war Ida das, vielleicht mit einem Mitschüler, oder es gab einen Einbrecher.«

»Ida hatte keine Freistunde, die war in Kappeln«, erklärte Andrea sofort. »Ich weiß, was du mit dem Geruch meinst. Mir ging es auch so, ich wollte nur nicht noch hysterischer wirken.«

Heiner schnaubte. »Du und hysterisch? Nun red mal keinen Mist. Ich weiß noch von früher, dass Hausbewohner so etwas oft nach Einbrüchen erwähnt haben. Man sollte immer auf seine Instinkte hören, denn unbewusst nehmen wir Dinge wahr, die uns gar nicht richtig klar sind. Damit bleiben zwei Fragen: Was haben der oder die Täter hier gesucht? Und was machen wir mit dir und Ida? Ihr solltet heute Nacht nicht alleine bleiben. Vielleicht gibt’s eine Verbindung zu Jörgs Job, obwohl mir keine einfällt.«

Andrea knetete die Hände. »Ach was, ich kann auf mich aufpassen. Ida hat sich gerade per WhatsApp gemeldet, sie möchte gerne bei Jonas übernachten, und ich habe es ihr erlaubt.«

Jan schüttelte den Kopf. »Dann pennst du bei uns im Gästezimmer, oder ich bleibe hier. Alleine bleibst du hier ganz bestimmt nicht.«

»Aber …«

Heiner hob eine Hand. »Vergiss es, Andrea. Jan hat recht. Habt ihr Weiber nicht noch was wegen dieses ganzen Hochzeitsgedöns zu klären? Das passt doch.«

Jan hielt sich sicherheitshalber eine Hand vor den Mund. Nur wenn man sehr genau hinsah, erkannte man, dass Heiner sie absichtlich mit seiner Formulierung provozieren wollte.

Andrea setzte zu einer heftigen Erwiderung an, doch im letzten Moment kniff sie die Augen zusammen und atmete tief durch. »Nun wäre ich dir fast auf den Leim gegangen, du alter Gauner! Wenn du Lena und mich noch mal als ›Weiber‹ und unsere Hochzeit als ›Gedöns‹ bezeichnest, werden wir dir einen Platz neben den schlimmsten Klatschtanten von Brodersby zuteilen!« Sie sah Jan unsicher an. »Wenn es nicht zu viel Mühe macht, würde ich tatsächlich lieber bei euch schlafen.«

Er ahnte, was sie das Eingeständnis kostete. »Klasse. Aber sag mir mal eins: Habt ihr echt die schlimmsten Klatschweiber von Brodersby eingeladen? Ich glaube, ich muss mir die Gästeliste mal genauer ansehen.«

Andrea grinste schelmisch. »Sieh dir lieber die Serviettenfarbe an. Jörg hat sich schon gemeldet, wir warten nur auf dich.«

Jan rollte lediglich mit den Augen und hörte aufmerksam zu, als Andrea sich nun erkundigte, welche offiziellen Möglichkeiten sie hatte, der Sache nachzugehen. Die Antwort von Heiner war vernichtend: im Prinzip keine. Sie konnten dank ihrer Beziehungen versuchen, die Spurensicherung zu bewegen, sich das Haus anzusehen, doch dann würde Jörg vermutlich sofort davon erfahren. Da Heiner es ausschloss, dass sie verwertbare Spuren finden würden, winkte Andrea ab.

»Dann vergessen wir das Ganze. Danke für die Nachhilfe, und ich kommentiere das blöde System lieber nicht. Wir können gleich los, ich muss nur noch meine Zahnbürste einpacken, die Meerschweinchen füttern und mir die verwöhnte Diva schnappen, die Jörg ›Hund‹ nennt.«

Die Bezeichnung passte zu Ginger, der Jörg aus unerfindlichen Gründen viel zu viel durchgehen ließ und die entsprechend schlecht erzogen war.

Kapitel 3

Erst als Jan seine Maschine im Carport neben seinem Haus stoppte, fiel ihm ein, dass er Lena besser vorgewarnt hätte, dass sie einen unerwarteten Übernachtungsgast hatten.

Mit Fynn auf dem Arm kam sie ihm entgegen und lachte. »Du bist ja wieder in Bestform! Andrea hat sich schon selbst angekündigt, weil sie sich dachte, dass du es vergisst. Aber viel schlimmer ist, dass ich eine Wette verloren habe und mich jetzt um den ganzen Dekokram kümmern muss.«

Er gab ihr einen Kuss und nahm ihr das Kind ab, das schon seine kleinen Arme nach ihm ausgestreckt hatte. Allerdings galt das Interesse eindeutig dem Motorrad und nicht dem Vater.

Bereitwillig setzte Jan ihn auf die Sitzbank, hielt ihn dabei aber fest.

»Wenn er mit sechzehn auch so ein Teufelsding fahren will, bist du schuld!«

»Dafür muss er achtzehn sein. Mindestens. Das mit Andrea tut mir leid, kennst du den Hintergrund?«

»Ja, und deshalb bin ich auch nicht böse. Ist doch völlig klar, dass sie in so einem Fall bei uns schläft.«

»Und was hast du für eine Wette verloren?«

Lena prustete los. »Es ging darum, ob ihr merken würdet, dass wir euch mit der Frage nach der Farbe der Servietten nur ärgern wollen. Obwohl nur ein Smiley erlaubt war, hat Jörg es sofort geschnallt und sich welche mit nackten Frauen gewünscht und uns vorgeschlagen, die auf der Reeperbahn zu kaufen. Ich wette, du hast stattdessen die Farben gegoogelt! Mensch, Jan! Als ob ich dich mit so einem Mist belästigen würde. Das war doch nur so ein kleiner Pikser, weil ihr euch so elegant aus der ganzen Vorbereitung raushaltet. Aber nun muss ich diesen Part leider komplett übernehmen.«

»Tut mir leid«, erwiderte er und zog den Kopf etwas ein. Vermutlich hätte er genauer hinsehen müssen, doch bei dem Thema hatte er darauf verzichtet. Ihm hatte ein Blick genügt. »Aber ich habe die perfekte Besetzung für diesen Job! Frag Liz. Meine Tante brennt doch darauf, euch zu helfen, und sie liebt im Gegensatz zu euch so einen Tüddelkram.«

Entgeistert sah Lena ihn an. »Wieso bin ich nur nicht selbst darauf gekommen? Das muss die Stilldemenz sein. Mist. Ach so, das habe ich auch vergessen: Hartmut hat versucht, dich auf Festnetz zu erreichen, es klang ziemlich dringend. Vielleicht rufst du ihn mal an.«

Jan hielt Fynn mit einer Hand fest und fischte mit der anderen sein Handy aus der Lederjacke. Tatsächlich. Sein ehemaliger Vorgesetzter bei der Bundeswehr hatte dreimal versucht, ihn anzurufen. Das hieß dann wohl, dass es irgendwo brannte.

Lena war bereits ans Motorrad getreten. »Ruf ihn an, ich übernehme unseren verhinderten Rennfahrer.«

Jan wählte die Nummer, und Hartmut meldete sich sofort.

»Gut, dass ich dich doch noch erreiche. Mich hat’s unerwartet nach Kiel und Eckernförde verschlagen. Wie wäre es mit einem späten Mittagessen bei eurem Griechen, ehe ich zurückfahre? Lena und Fynn sind natürlich ausdrücklich mit eingeladen.«

»Und ich dachte schon, du kommst mit der nächsten Reaktivierung um die Ecke. Natürlich, gerne. Ich vermute, du wirst aber mit mir vorliebnehmen müssen. Sekunde, ich kläre das kurz ab.«

Lena war noch dabei, Fynn zu überzeugen, seinen Platz auf dem Motorrad freiwillig aufzugeben.

»Hast du Lust, mit Hartmut und mir im Zeus zu essen?«

»Nee. Aber nett, dass ihr fragt. Das ist mir mit dem Kleinen zu viel Umstand und ich will Andrea nicht ausgerechnet jetzt als Babysitter einspannen. Wie wäre es, wenn du Andrea und mir was mitbringst?«

»Gute Idee.«

Auch wenn Jan es vorsichtshalber verbarg, gefiel ihm die Aussicht auf ein nettes Essen mit dem General um einiges besser als ein Nachmittag mit den beiden Frauen. Wäre er mit Lena alleine gewesen, hätte das natürlich anders ausgesehen.

Kaum hatte er sein Handy weggesteckt, sah Lena ihn spöttisch an. »Ich weiß genau, was du denkst: lieber Hartmut als das Gesabbel von Andrea und mir. Dafür überzeugst du Fynn, den Platz auf deiner Ninja zu verlassen.«

»Hey, die Gedanken sind frei! Und beweisen kannst du schon mal gar nichts.« Er nahm seinen Sohn einfach von der Sitzbank, und als Fynn wütend protestieren wollte, wirbelte er ihn durch die Luft. Sofort krähte das Kind vor Vergnügen und vergaß das Motorrad.

»Na, das ist auch eine Art, ihn zu überreden, seinen Lieblingsplatz aufzugeben.«

Jan schielte zu seiner Frau. »Sauer?«

Sie lächelte verschmitzt. »Nur, weil mir das nicht eingefallen ist.«

Er zog sie mit einer Hand an sich und hielt mit der anderen seinen Sohn sicher an seine Brust gedrückt. Einen Moment lang genoss er einfach nur die Nähe von Frau und Kind, dann hörte er, dass ein Wagen vor dem Carport anhielt. Andrea war eingetroffen. Widerwillig löste er die Umarmung.

»Von diesem Familienkuscheln bekomme ich nie genug«, sagte Lena, und Jan nickte stumm.

Dankbar dachte er daran, dass sein Leben mittlerweile nahezu perfekt war. Zwar vermisste er ein wenig die Aufregung in seinem früheren Job oder bei den Kriminalfällen, die er in den letzten Monaten mit seinen Freunden gelöst hatte, aber man konnte eben nicht alles haben. Außerdem war er ehrlich genug zuzugeben, dass ihm die Vorstellung, sich in Gefahr zu begeben, nicht mehr so behagte, seit er Vater geworden war. Kurz fragte er sich, ob es seinem verstorbenen Freund Michael ebenso gegangen war, als er und Andrea Eltern geworden waren. Doch darüber dachte er lieber nicht weiter nach, denn sosehr er Andrea und Jörg ihr Glück auch gönnte, war ihm Michaels Tod noch in schmerzhafter Erinnerung. In seinen ersten Wochen in Brodersby hatte ihn der alptraumhafte Einsatz, bei dem Michael getötet worden war, immer wieder eingeholt, und er hatte schon befürchtet, dass sein Neubeginn scheitern würde. Doch mittlerweile konnte er damit leben. Meistens.

»Ich fahre dann wieder«, sagte er und vergrub die traurigen Erinnerungen tief in sich.

»Willst du dich nicht umziehen oder duschen?«, hakte Lena sichtlich verwundert nach.

»Mache ich nachher.«

Er würde ihr nicht die Stimmung verderben, indem er ihr verriet, dass er eine kurze Tour mit der Ninja brauchte, um die Vergangenheit abzuschütteln. Allerdings hatte er das Gefühl, dass sie ihn durchschaute, denn früher hatte er dies auch oft so gemacht.

»Fahr vorsichtig«, bat sie lediglich.

»Mache ich, und es wird auch nicht zu spät werden, denn Hartmut muss ja noch zurück nach Kiel.«

Er ignorierte Lenas skeptischen Blick, schob das Motorrad wieder aus dem Carport und winkte Andrea zu, ehe er die Maschine startete und losfuhr.

Früher wäre er vermutlich stundenlang über Landstraßen und Autobahnen gerast, um die Minuten zu vergessen, in denen sein Freund verblutet war und er nur hilflos hatte zusehen können. Heute reichte eine kleine Tour von ungefähr dreißig Minuten, die ihn an der Schlei entlang bis zur kleinen Fähre in Lindaunis führte, ehe er das Zeus ansteuerte. Der Mercedes mit dem Y-Kennzeichen verriet ihm, dass Hartmut bereits eingetroffen war.

Damals war Hartmut als Oberst sein direkter Vorgesetzter gewesen, heute war er General und führte nicht nur diverse KSK-Teams, sondern war auch mit allen möglichen Verwaltungsaufgaben beschäftigt. Mit reichlicher Verspätung fiel Jan auf, dass es sich vermutlich keineswegs um ein harmloses Treffen handelte, denn in gut vier Wochen sahen sie sich sowieso bei seiner Hochzeit, zu der Hartmut und seine Frau eingeladen waren. Es musste also einen anderen Grund geben, denn nur für ein kurzes, gemütliches Essen hätte sein ehemaliger Vorgesetzter den Weg von Kiel hierher bestimmt nicht auf sich genommen.

Jan durchquerte den Speiseraum, begrüßte den Wirt und einige Gäste mit einem Lächeln und einem knappen Nicken und entdeckte Hartmut in der Nische, in der er sonst gerne mit Lena saß.

Obwohl Hartmut ihm freundlich entgegensah, reichte Jan ein Blick, um zu wissen, dass er mit seiner Einschätzung richtiglag.

Er begrüßte Hartmut, setzte sich und seufzte. »Willst du mir vorm Essen die Laune verderben oder erst danach?«

»Wie immer direkt auf den Punkt.« Hartmut sah zu dem Lederetui, das neben seinem Gedeck lag.

Jan pfiff leise. »So schlimm, dass du deine Pfeife vermisst?«

»Ja.«

Als Dimitri, der Wirt, sich ihrem Tisch näherte, signalisierte Jan ihm, noch kurz zu warten.

»Dann lass es uns abhaken, damit wir uns erfreulicheren Themen widmen können.«

»Paul Winkler ist vor zwei Tagen tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Es sah nach Selbstmord aus, aber die Obduktion sagt was anderes.«

Es war also noch schlimmer, als Jan gedacht hatte. Vor einigen Monaten hatten er und seine Freunde Paul Winkler aus dem Verkehr gezogen, als der ehemalige Soldat versucht hatte, mit aus der Ostsee geborgenem Giftgas aus dem Zweiten Weltkrieg ein mieses Geschäft aufzuziehen. Winkler hatte Anspielungen gemacht, dass hinter dem Zwischenfall, bei dem Michael ums Leben gekommen war, andere Dinge steckten, jedoch keine Einzelheiten verraten. Sein Wissen hatte er gegen einen Deal für Straffreiheit eintauschen wollen, war damit jedoch gescheitert. Somit lag die Schlussfolgerung auf der Hand.

Jan räusperte sich, da er seiner Stimme nicht traute. »Du vermutest, dass hinter dem Mord an ihm die Drahtzieher stecken, die auch für Michaels Tod verantwortlich sind?«

Hartmut breitete die Hände aus. »Ich weiß es nicht. Eigentlich halte ich das für unwahrscheinlich, denn egal wie man es dreht und wendet, ihr seid damals in einen unglücklichen Hinterhalt geraten. Mit fällt nicht ein, wie man das hätte konstruieren können. Es gibt allerdings jemanden, der genau diese Theorie vertritt.«

Jan hatte genug damit zu tun, die Bilder von damals aus seinem Kopf zu vertreiben, die plötzlich wieder so präsent waren, als wäre das alles erst gestern geschehen. Er brauchte einen Moment, bis er begriff, worauf Hartmut hinauswollte. Florian Schwenker, der früher zu seinem Team gehört hatte, arbeitete mittlerweile beim Bundesnachrichtendienst und war an der Festnahme von Winkler beteiligt gewesen.

»Du redest von Florian.«

»Ja. Der MAD hat die Ermittlungen übernommen, und nun rate mal, wen sie für zwei Monate mit an Bord haben wollen.«

Die Antwort lag auf der Hand. Jan war damals Teamchef gewesen, gleichzeitig Michaels bester Freund, und er war Winkler im letzten Winter bereits auf die Spur gekommen, ehe Florian aufgetaucht war. Für die Zeit ihrer gemeinsamen Ermittlungen war er als Offizier reaktiviert worden und hatte diese Phase durchaus genossen – nicht nur wegen des Solds. Anscheinend war dies nun wieder vorgesehen.

»Du weißt schon, dass ich einen Job habe und in vier Wochen heirate?«

Hartmuts Mundwinkel zuckten, und schließlich grinste er offen. »Das ist kein Nein, Herr Major. Nachdem wir alles geklärt haben, kann ich schon vorm Essen einen Ouzo gebrauchen. Wie sieht’s bei dir aus?«

»Ich muss noch fahren.«

»Das ist ebenfalls kein Nein.« Hartmut winkte Dimitri zu.

Kapitel 4

An Ausschlafen am Wochenende war seit Fynns Geburt nicht mehr zu denken. Da war dieser Samstag keine Ausnahme. Das leise Gemecker seines Sohnes läutete den neuen Tag bereits in den frühen Morgenstunden ein. Jan störte das nicht, als Soldat und Arzt war er es gewohnt, mitten in der Nacht geweckt zu werden. Lena hatte mit den nächtlichen Unterbrechungen deutlich mehr zu kämpfen, sodass Jan freiwillig ein ums andere Mal aufstand, um Fynn zu beruhigen.

Es faszinierte ihn jeden Tag aufs Neue, wie schnell aus einem Baby ein Kleinkind wurde. Hatte es sich am Anfang nur um elementare Bedürfnisse wie Hunger, Wärme und natürlich Nähe gedreht, forderte der Junge nun auch Beschäftigung. Neugierig erkundete Fynn auf dem Bauch rutschend die Welt und wollte alles anfassen und genaustens untersuchen.

Jan stand leise auf und eilte ins Kinderzimmer. Eine neue Windel und ein quietschendes Plüschtier reichten, um Fynns Stimmung zu ändern. Vergnügt saß er wenig später in der Küche in seinem Hochstuhl und deutete auf den Kaffeevollautomaten, dessen Geräusche ihm gefielen.

Dann war die Reihenfolge wohl geklärt: erst Kaffee, anschließend der Brei für Fynn. Damit konnte er gut leben.

Jan richtete sich auf eine längere Zeit ein, in der er Fynn bespaßen musste, aber Ginger und Tarzan kamen gähnend in die Küche getrottet. Besonders der riesige schwarze Neufundländermix, den Lena und Jan adoptiert hatten, begeisterte das Kind immer wieder. Tarzan hatte sowieso kein übermäßiges Temperament, doch mit Fynn bewies er eine unendliche Geduld. Solange Ginger allerdings hier war, würde Jan es nicht riskieren, seinen Sohn auf den Boden zu setzen. Dafür war die Hündin viel zu ungestüm. Dennoch war mit den beiden Hunden für ausreichend Ablenkung gesorgt, und Jan konnte in Ruhe über den gestrigen Abend nachdenken.

Er wusste, dass Florian davon überzeugt war, dass Jans Team damals absichtlich in einen Hinterhalt gelockt worden war, um in erster Linie Michael zu töten. Doch obwohl er sonst Florians Instinkte schätzte, war er hier anderer Meinung. Da Winkler niemals über die Hintermänner des geplanten Giftgasdeals gesprochen hatte, könnte auch dies das Motiv für den Mord sein. Andererseits war da noch der angebliche Einbruch bei Andrea, Michaels Witwe. Konnte es da einen Zusammenhang geben?

Jans Überlegungen drehten sich im Kreis, und er kam zu keinem Ergebnis. Selbst wenn Florians Theorie richtig sein sollte, hatte er keinen Ansatzpunkt, dem er nachgehen konnte. Hartmut hatte ihm einen USB-Stick mit allen möglichen Berichten überlassen, aber wenn die Lösung darin zu finden gewesen wäre, hätte Florian sie schon gefunden.

Fynns leises Quengeln beendete die Grübeleien. Es wurde Zeit für den Brei. Kaum hatte Jan seinen Sohn gefüttert, hörte er vor dem Haus Motorengeräusche. Jörgs Passat stoppte hinter dem Audi. Jan ging mit Fynn auf dem Arm schnell zur Haustür.

»Bloß nicht klingeln, die pennen noch alle. Du bist ganz schön früh dran.«

»Ich wollte auch nur nachsehen, ob schon jemand wach ist. Ich bin doch nicht so irre und wecke nachher noch den kleinen Schreihals. Der ist ja harmlos, aber seine Mutter …« Jörg hob die Schultern, als ob er frieren würde.

Jan grinste nur. Jörg hatte sich von Lena vor Kurzem eine ordentliche Standpauke eingehandelt, als er nachmittags aus Versehen das Kind geweckt hatte. Das hatte offenbar ziemlichen Eindruck auf ihn gemacht.

»Nimm dir einen Kaffee, sag Ginger Moin und komm mit auf die Terrasse, da können wir in Ruhe reden. Aber lass die Hunde bitte in der Küche.«

Jörg atmete tief durch. »Also hat mein Gefühl mich nicht getäuscht. Andrea hat keineswegs einfach nur so hier übernachtet.«

Da es draußen bereits fast zwanzig Grad waren, zog Jan dem Kleinen nur eine dünne Jacke über und setzte ihn auf den Bereich des Rasens, wo sie ein Loch ausgehoben und mit Strandsand gefüllt hatten. Fynn liebte es, dort herumzurobben und im Sand herumzutasten. Als Arzt hatte Jan es mit Erstaunen beobachtet, wie sehr dieses Spielen die motorischen Fähigkeiten des Jungen gefördert hatte.

Es dauerte eine Weile, bis Jörg auf die Terrasse kam und Jan die Ereignisse des Vorabends für ihn so knapp wie möglich zusammenfassen konnte.

Jörg schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich dachte eigentlich, mein Zugriff gestern wäre aufregend gewesen, aber das hier klingt spannender.«

»Lief denn bei euch alles gut ab?«

»Ja, keine Probleme. Das war schon fast zu glatt. Denkst du ernsthaft, bei uns wurde eingebrochen und das hängt mit Michaels Tod zusammen?«

»Ehrlich gesagt nein. Dann wäre doch dein Arbeitszimmer das Ziel gewesen und nicht der Dachboden. Ich habe nirgends Spuren entdecken können außer dort. Aber ich frage mich mittlerweile, ob dafür nicht auch ein Marder verantwortlich sein könnte.«

»Das war auch mein erster Gedanke. Da gibt es nur einen Haken: Andrea lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Wenn ihr Gefühl sagt, dass jemand in der Wohnung war, dann glaube ich ihr.«

Jan zögerte kurz, gab seinem Freund dann aber recht. »Könnte es mit deinem Job zusammenhängen?«

Jörg nippte an seinem Kaffee. »Das habe ich auch überlegt. Ich habe mir in den letzten Jahren natürlich einige Feinde gemacht, aber erstens glaube ich nicht, dass die meine Adresse kennen, denn es ist überall nur die Kieler Wohnung bekannt, in der ich ab und zu übernachte, und zweitens würde ich dann mit Vandalismus oder einer Sprengfalle rechnen, aber nicht mit einem Einbruch, bei dem nichts gestohlen wird.«

»Dann bin ich offiziell ratlos«, gab Jan widerwillig zu und dachte lieber nicht darüber nach, dass dies auch für die Nachforschungen über seinen Bundeswehreinsatz galt. Schon jetzt fühlte er sich nicht besonders gut dabei, seinen alten Sold zu kassieren und den Auftrag nicht zu erfüllen.

Da sein Becher leer war, stand Jan auf. »Was hältst du davon, wenn wir uns in deiner Wohnung noch einmal genau umsehen? Vielleicht ist Heiner und mir gestern etwas entgangen? Außerdem könntest du mich beim Zeus rauslassen, da steht meine Ninja.«

Jörg erhob sich ebenfalls. »Gute Idee.«

Als Jan sich der Terrassentür zuwandte, lachte Jörg. Irritiert blieb er stehen und drehte sich um.

Jörg grinste breit. »Hast du nicht was vergessen?«

Jan wollte schon fragen, was er meinte, als sein Blick auf Fynn fiel. Anscheinend war er noch nicht richtig munter. Wie hatte er nur seinen Sohn vergessen können, der ruhig im Sand spielte? Lena hätte ihn völlig zu Recht umgebracht.

Es war Zeit für ein Ablenkungsmanöver. »Ich wollte natürlich warten, bis Lena wach ist und nur Kaffeenachschub holen.«

Jörgs Grinsen wurde noch breiter. »Ist klar …«

Erst fast zwei Stunden später erreichten sie das Bauernhaus von Jo und Helga. Lena war zwar recht bald aufgestanden, aber sie hatten noch gemeinsam gefrühstückt. Andrea hatte sie erst begleiten wollen, aber dann doch nachgegeben.

Jörg ging um das Haus herum zur Hintertür und untersuchte das Schloss sorgfältig. »Keine Spuren, aber echte Profis hinterlassen eigentlich auch keine.«

»Das war auch mein Gedanke«, stimmte Jan sofort zu. »Wir hatten früher im Einsatz so kleine Sonden als Werkzeug, bei denen du das Schloss auseinandernehmen und untersuchen müsstest, um festzustellen, dass wir da gewesen sind.«

»Das grenzt den Kreis der Täter schon mal ein. So eine Ausrüstung ist nichts für Einbrecherbanden, sondern für Geheimdienste und ähnliches Gesocks.« Als Jan eine Augenbraue hob, winkte Jörg ab. »Spezialeinheiten der Bundeswehr und der Polizei ausdrücklich ausgenommen.«

Wenn Jan sich nicht sehr irrte, war das aber durchaus eine Spitze gegen Florian gewesen. Die beiden verstanden sich leider nicht, im Gegenteil, es war Abneigung auf den ersten Blick gewesen, und die gegenseitigen Frotzeleien hatten einen Schärfegrad, der es in sich hatte.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der militärische Abschirmdienst Interesse an eurer Wohnung hat«, überlegte Jan laut.

»Aber immerhin kommen sie dir auch sofort in den Sinn.«

So hatte er das zwar nicht gemeint, doch er verzichtete auf eine Fortsetzung der Diskussion. »Was ist mit der Alarmanlage?«

»Ich habe Jo oft genug gesagt, dass die nichts taugt. Er hat sie sowieso nur Helga zuliebe installiert, aber das wird nun geändert. Ich will eine haben, die sofort eine Nachricht auf mein Handy schickt, wenn sich hier jemand dran zu schaffen macht.«

»Gute Idee. Lass die Meldungen auch auf mein Gerät leiten. Wenn du in Kiel bist, springe ich ein.«

Dass Jörg sofort nickte, verriet Jan, dass sein Freund die Situation ernst nahm.

Sie kehrten zur Haustür zurück und sahen sich jedes Zimmer gründlich an. Bei Jo und Helga waren sie schnell fertig, weil ihnen nichts auffiel und sie es auch nicht merken würden, wenn irgendetwas fehlte oder bewegt worden war. In den Räumen von Jörg und Andrea nahmen sie sich mehr Zeit.

Im Schlafzimmer und Kinderzimmer hielten sie sich nur kurz auf, doch im Arbeitszimmer betrachtete Jörg so lange ein Regal, in dem er verschiedene Ordner aufbewahrte, dass Jan schon ungeduldig wurde. Schließlich zog sein Freund einen heraus und fuhr mit dem Finger über die obere Kante.

»Hier hätte ich eine Staubschicht erwartet. Die Unterlagen sind so alt, dass ich sie eigentlich schon ins Altpapier werfen wollte. Außerdem stehen die ganzen Ordner exakt ausgerichtet, darauf achte ich überhaupt nicht. Und ehe du fragst: Andrea und Ida auch nicht, die würden an die Sachen noch nicht einmal rangehen, weil sie wissen, dass das mein alter Kram ist. Das interessiert sie nicht.«

Auf der Treppe waren polternde Schritte zu hören, dann stürmten Ida und ihr Freund Jonas ins Zimmer. Beide Teenager blieben abrupt stehen. Statt sie zu begrüßen, machte Ida ein Gesicht, als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte.

»Ich hab’s dir gleich gesagt«, meinte Jonas dann auch noch.

Jörg verschränkte die Arme vor der Brust. »Was?«, fuhr er die beiden im besten Polizistenton an.

Ida wirkte nun so zerknirscht, dass Jan Mitleid mit ihr bekam. Doch im nächsten Moment stellte sie sich gerader hin. »Es ist ja nichts passiert, und dein dämliches Regal hat eine kostenlose Generalreinigung erhalten!«

Das erklärte dann die Dinge, die Jörg aufgefallen waren.

»Und wieso hast du hier das Staubtuch geschwungen und die Ordner anscheinend mit dem Lineal ausgerichtet?«

»So etwas Blödes würde ich nie tun! Das war Jonas!«

Jörg sah Jonas an.

»Also, das war so … Wir mussten aus technischen Gründen das Regal etwas abrücken, aber das blöde Ding hat sich mit dem ganzen Kram nicht bewegt. Da haben wir es eben schnell ausgeräumt. Und hinterher natürlich wieder alles ordentlich verstaut. Wir hätten nie gedacht, dass dir das überhaupt auffällt.«

Obwohl seine Mundwinkel kurz zuckten, behielt Jörg seine ernste Miene bei. Jedenfalls einigermaßen. »Würdest du mir dann bitte auch noch die technischen Gründe nennen? Eigentlich hatten wir doch die klare Regelung, dass mein Zimmer für euch tabu ist.«

Jonas und Ida lieferten sich ein Blickduell, das der Junge schließlich verloren gab.

»Ich hatte versucht, von der Steckdose da vorne ein Ladekabel bis zum Schreibtisch zu legen, und mich etwas verschätzt. Das blöde Ding ist dann irgendwie hinterm Regal verkeilt, und wir mussten es ein ganzes Stück abrücken.«

»Wie kann sich denn ein Kabel dahinter verfangen?«

Nun lachte Ida hell. »Na ja, es war ja noch der Stecker dran, und es könnte sein, dass ich versucht habe, es wie ein Lasso zu werfen, was gründlich schiefgegangen ist. Und ehe du nun noch weitermeckerst, wir mussten eine Internetrecherche für die Schule machen. In Küche und Essecke war Mama am Backen, und bei mir hatten wir keinen Platz.«

»Du meinst, dein eigener Schreibtisch sah mal wieder wie eine Müllhalde aus. In Zukunft sagt ihr es mir einfach, wenn ihr hier etwas verändert habt. Und nun zischt ab.«

Die beiden waren blitzschnell weg.

Jan seufzte. »Und damit stehen wir wieder am Anfang.«

»Ja. Ich sehe mir noch den Dachboden an, aber das wird uns auch nicht weiterbringen.«

Jan verkniff sich die naheliegende Frage, warum sein Freund es dennoch tat. Vermutlich hätte er an Jörgs Stelle ebenso gehandelt.

Eine halbe Stunde später waren sie endgültig überzeugt, dass niemand im Haus etwas verändert oder gestohlen hatte.

Kapitel 5

Montagmorgen fuhr Jan ausnahmsweise mit einem unguten Gefühl in die Praxis. Er mochte die Arbeit mit den Patienten, und es war immer wieder ein befriedigendes Erlebnis, wenn er jemandem helfen konnte, aber nun beschäftigten ihn andere Probleme.

Nachdem er sich die Dokumente auf dem USB-Stick durchgelesen hatte, waren etliche Erinnerungen zurückgekehrt, doch er hatte weiterhin keine Antwort auf die Frage, ob sich hinter den damaligen Ereignissen etwas anderes als ein einfacher Hinterhalt und fürchterliches Pech verbarg. Er war bereits kurz davor gewesen, Hartmut anzurufen und den Auftrag abzulehnen, doch sein ehemaliger Vorgesetzter war ihm zuvorgekommen und hatte ihm eine kurze und knappe Nachricht geschrieben, in der sinngemäß stand, dass niemand Wunder erwarte, aber auch niemand voraussetze, dass Jan umsonst und vor allem ohne jede offizielle Legitimation Nachforschungen anstelle.

Zunächst hatte Jan nicht begriffen, was Hartmut mit dem Satz meinte, dann war ihm klar geworden, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, an dem er klären würde, ob es damals in Afghanistan Dinge gegeben hatte, die ihm entgangen waren und die letztlich zum Tod von Michael geführt hatten. Hartmut hatte das offenbar früher als er selbst gewusst.

Manchmal hatte er das Gefühl, sein ehemaliger Vorgesetzter kannte ihn besser als er sich selbst. Das musste ihm nicht gefallen.

Er stellte seine Ninja vor der Praxis ab und wurde von Gerda mit vorwurfsvollen Blicken empfangen. Da er sich keiner Schuld bewusst war, musste er wohl warten, bis sie ihm mitteilen würde, was er verbrochen hatte. In der Regel dauerte es nicht lange, bis sie ihm detailliert schilderte, was genau er falsch gemacht hatte.

Wenig später knallte sie ihm einen Becher Kaffee auf dem Schreibtisch und wollte wortlos aus dem Behandlungszimmer stürmen. Es reichte!

»Stopp! Was genau habe ich verbrochen?«

Gerda wirbelte herum, und man hätte meinen können, sie wäre so alt wie Ida und hätte nicht bereits die fünfzig erreicht. »Was war denn nun bei Andrea? Du hättest mir ja wenigstens mal eine WhatsApp schicken können! Heiner hat nur was von ›nichts Konkretes‹ geknurrt. Danach war ich auch nicht schlauer.«

Darum ging es? Manchmal hatte Jan noch Probleme mit der Besonderheit des Dorflebens, dass jeder alles wissen wollte. Er war nicht einmal auf die Idee gekommen, Gerda über den merkwürdigen Nicht-Einbruch zu informieren. Da er keine Lust auf einen Krieg mit ihr hatte, gab er nach.

»Heiner hat aber recht. Wir wissen es nicht. Theoretisch könnte es sein, dass jemand in der Wohnung von Jörg und Andrea gewesen ist.«

»Na, das wird man doch wohl sehen!«

Jan seufzte. »Wenn das so wäre, gäbe es die Unsicherheit nicht. Es gab ein paar Spuren auf dem Dachboden, die aber auch von einem Marder stammen könnten. Es fehlt nichts.«

Gerda ging zu dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und ließ sich darauffallen. »Das ist ja merkwürdig. Es gab doch diese Einbrecherbanden aus Osteuropa, die einige Häuser in der Gegend ausgeräumt haben, aber die hätten auch was mitgenommen.« Sie rieb sich übers Kinn und schlug dann auf die Schreibtischplatte. »Es sei denn, sie wurden gestört!«

Jan verkniff sich eine ironische Bemerkung, schließlich waren Jörg und er nicht ganz dämlich. »Auch dann hätten sie irgendwelche Spuren hinterlassen. Da wirkte nichts so, als ob jemand überstürzt geflohen ist.«

»Stimmt auch wieder. Dann ist das ja eine komische Geschichte. Bei jedem anderen hätte ich behauptet, dass sich da jemand was zusammentünt, aber doch nicht bei Andrea. Die weiß es schon, wenn sie so was sagt. Und was macht ihr jetzt?«

»Die Augen offen halten und die Alarmanlage aufrüsten. Mehr fällt uns nicht ein.«

»Mir auch nicht.« Sie stand auf. »Na, das ist ja ein Ding. Darüber muss ich noch mal nachdenken! Und mich mal umhören, wer sich hier so herumtreibt, der hier nicht hergehört. Apropos. Da fällt mir was ein. Ich habe dir noch einen Patienten am Mittag reingeschoben. Das ist ein ganz feiner älterer Herr, der gerade hergezogen ist und noch keinen Hausarzt hat. Da er ein Rezept für seine Pillen gegen Bluthochdruck braucht, habe ich ihm einen Termin gegeben.«

»Und wann genau hast du das getan?«

»Na, am Samstag, als Conrad und ich am Hafen in Kappeln waren.«

Warum fragte er eigentlich? Für Gerda schien diese Art der Akquise das Normalste der Welt zu sein. Da er ihr jedoch kaum böse sein konnte, wenn sie ihm zu neuen Patienten verhalf, schüttelte er nur lächelnd den Kopf. »Du sollst doch deinen Feierabend genießen und nicht immer an die Arbeit denken.« Gespannt wartete er, ob die Botschaft ankam.

Zunächst nickte Gerda, dann funkelte sie ihn an. »Jan! Das sage ich doch sonst immer zu dir.«

Nun lachte er laut. »Treffer, versenkt.«

Gerda bedachte ihn mit einem strengen Blick, der nur halbwegs überzeugend war. »Eine alte Frau so zu veralbern! Also ehrlich, Herr Doktor. Ich kümmere mich dann mal um die Vorbereitung der Sprechstunde.«

Der Tag verlief wie so oft im Sommer recht entspannt. Neben einigen altbekannten Einwohnern mit kleineren Beschwerden verirrten sich auch zwei Touristen mit einer Verstauchung und einer starken Erkältung in Jans Praxis. Nichts davon beschäftigte ihn übermäßig, sodass er in Gedanken zwischen den einzelnen Terminen immer wieder über die Vergangenheit nachdachte, jedoch keinen Schritt weiterkam.

Kurz vor der Mittagspause legte Gerda ihm das Formular auf den Schreibtisch, mit dem sie die wichtigsten Patientendaten abfragten. »Das ist der Herr, den ich heute Morgen erwähnt habe. Norbert Eisler.«

Der Name kam Jan bekannt vor, er konnte ihn jedoch nicht einordnen. Er überflog die Angaben. Der Mann war fünfundsechzig Jahre alt, hatte als Adresse eine Straße in Port Olpenitz angegeben und weder ernste Vorerkrankungen noch Allergien.

»Dann bitte ihn mal herein.«

»Mach ich.«

Der Anblick seines neuen Patienten löste keine Erinnerung in Jan aus, dennoch stutzte sein Gegenüber deutlich, ehe er ihn begrüßte.

Jan deutete einladend auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Gerda sagte mir, dass Ihnen Tabletten ausgegangen sind?«

»Das ist richtig, Herr Doktor. Ich bin ja nun endgültig in mein neues Haus direkt am Wasser gezogen und habe gar nicht darauf geachtet, dass ich Nachschub brauche. Dass ich Ihre charmante Helferin am Wochenende getroffen habe, war wie ein Wink des Schicksals.«

Nach der Beantwortung einiger Fragen und einer kurzen Untersuchung stand Jans Eindruck fest.

»Ich denke, dass auch ein Medikament mit niedrigerer Dosierung ausreicht. Hat Ihnen Ihr früherer Arzt erklärt, dass es Mittel und Wege gibt, Ihren Blutdruck auf natürliche Art in den Griff zu bekommen?«

Eisler lächelte gequält. »Nein, aber ich habe mich im Internet informiert. Sie meinen, mehr Bewegung, weniger Rotwein und Fett?«

»Ganz genau. Ihr Gewicht ist für Ihr Alter absolut in Ordnung, aber mit etwas mehr Bewegung könnten Sie schon eine Menge erreichen. Sie erwähnten ja, dass Sie überwiegend am Schreibtisch oder im Sessel sitzen. Ihre neue Heimat lädt doch zu langen Spaziergängen förmlich ein. Darüber hinaus stellt sich in der Medizin immer mehr heraus, dass es für den Blutdruck keine pauschalen Grenzen gibt, sondern es viel mehr auf die individuelle Betrachtung ankommt. Ich würde es daher tatsächlich gerne mit einem leichteren Medikament probieren und dies in ungefähr vier Wochen überprüfen. Sollten Sie vorher Beschwerden haben oder sich auch nur einfach unwohl fühlen, können Sie jederzeit vorbeikommen.«

»Das hört sich vernünftig an. Eine Frage hätte ich noch, die ist allerdings etwas außerhalb des Protokolls. Und selbstverständlich müssen Sie nicht antworten.«

»Und was interessiert Sie?«

»Ich hörte, dass Sie früher bei der Bundeswehr waren. Ist das richtig?«

Da dies in der Umgebung bekannt war, nickte Jan lediglich und war gespannt, worauf Eisler hinauswollte.

»Tja, der Verein war auch mein alter Arbeitgeber. Und ich muss zugeben, dass mir Ihr Name bekannt vorkam, ich aber nicht ganz sicher bin, ob ich richtigliege. Mein Einsatzgebiet war die logistische Unterstützung von … nun, nennen wir es sensiblen Einheiten, die in Calw stationiert sind.«

Nun machte es endlich klick bei Jan. »Ich erinnere mich an Ihren Namen. Sie waren Oberst. Und Sie waren bereit, manchmal unkonventionelle Abkürzungen beim Beschaffungsprozess zu nehmen. Allerdings kann ich mich an keine persönliche Begegnung erinnern.«

Eisler tippte sich an die Stirn. »Wie schön, dass die grauen Zellen doch noch ihren Dienst tun. Sie haben völlig recht. Ich habe meinen Schreibtisch kaum verlassen und von dort aus alles geregelt, was es zu regeln galt. Sie waren in einem ganz anderen Teil der Kaserne untergebracht, und die Kommunikation lief per Mail … oder per Formular.«

Jan verzog den Mund, als er sich an den Bürokratiewahnsinn der Bundeswehr erinnerte, der allerdings von den Regelungen der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung noch übertroffen wurde.

»Die Welt ist wirklich ein Dorf«, fiel ihm nach der Erklärung nur ein, denn schlagartig wuchs Misstrauen in ihm. Es war ein merkwürdiger Zufall, dass er ausgerechnet hier und jetzt auf einen ehemaligen Offizier aus dem Bereich Logistik seiner alten Einheit stieß. Doch im nächsten Moment ermahnte er sich, es nicht zu übertreiben. »Wie lange wohnen Sie denn schon hier oben?«

»Seit gut einem halben Jahr. Davor habe ich fast die gleiche Zeit nach einem vernünftigen Objekt gesucht. Port Olpenitz war letztlich ein Kompromiss. Die Lage direkt am Wasser ist ein Traum, aber die ganze Bauart erinnert schon etwas an unsere alte Umgebung.«

Weder Jan noch Jörg waren Fans von dem Ressort, das in Rekordzeit hochgezogen worden war, da der vorhandene Platz dermaßen ausgenutzt worden war, dass es sehr eng war. »Sie meinen, es erinnert an eine Kaserne?«

»Ganz genau. Vielleicht hat mir meine Vergangenheit geholfen, über diesen Mangel hinwegzusehen. Meine Frau hat mir ein wenig Geld aus ihrer Familie hinterlassen, sodass es für eines der Kapitänshäuser gereicht hat. Damit bin ich nicht mitten in diesem Ferienwohnungsgewusel.«

»Ich verstehe, was Sie meinen. Wenn Sie sich von dort aus nördlich halten, steht einem netten Spaziergang an der Ostsee nichts im Wege, und Sie vergessen die etwas suboptimale Bebauung.«

Eisler legte den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Das nenne ich mal eine treffende Beschreibung. Vielen Dank, Herr …« Er zögerte. »Wie lautet denn eigentlich die korrekte Anrede? Herr Doktor? Major Storm? Oder kombiniert man beides?«

Nun lachte Jan. »Für alte Kameraden reicht auch Jan«, bot er an, obwohl Eisler ranghöher und älter war. Doch irgendwie erschien ihm dies passend.

»Sehr gerne. Norbert ist völlig in Ordnung. Nur bei Nobby oder ähnlichen Verhunzungen schalte ich auf stur.« Er stand auf und lächelte. »Nun will ich dich aber auch nicht länger aufhalten. Ich hätte nur eine ganz kleine, eindeutig private Frage.«

»Und die wäre?«

»Deine Gerda war in Kappeln mit einem Mann unterwegs. Weißt du zufällig, ob das vielleicht ihr Bruder war?« Seine Wangen röteten sich, und er stellte sich gerader hin. »Das war wohl nicht überaus unauffällig.« Er räusperte sich. »Mich interessiert, ob sie vielleicht Single ist.«

»Da muss ich dich enttäuschen. Sie hat eine Schwester und ist in festen Händen.«

»Mist. Sie ist nicht nur äußerst attraktiv, sondern auch überaus pfiffig.«

So hätte er Gerda zwar nicht beschrieben, aber im Prinzip stimmte er ihm zu.

Norbert verabschiedete sich deutlich verlegen, und Jan sah ihm kopfschüttelnd nach.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, riss Gerda sie wieder auf. »Und?«, erkundigte sie sich.

»Was meinst du?«

»Was sagst du zu ihm? Er ist doch nett, oder?«

»Ist er. Wir kennen uns sogar, allerdings nur auf dem Papier, persönlich hatten wir nie miteinander zu tun. Ist mit dir und Conrad alles in Ordnung? Vielleicht hätte ich ihm nicht sagen sollen, dass du in festen Händen bist?«

Sie sah ihn so verblüfft an, dass er seine Worte am liebsten zurückgenommen hätte.

»Was denkst du denn nur? Ich wollte doch nur wissen, ob es sich gelohnt hat, dass ich ihn als Patienten geangelt habe. Aber dass er sich nach mir erkundigt hat, ist ja herzallerliebst. Er ist ja schon ein Schnuckelchen, aber gegen Conrad hat er natürlich keine Chance.«

»Natürlich …«, wiederholte Jan gedehnt.

»Jan! Ich muss noch was erledigen. Du kommst ja hoffentlich alleine klar. Also ehrlich!«

Vor sich hin schimpfend verschwand sie.

Kapitel 6

Jan genoss es, seine Praxis für sich allein zu haben. Gerda nahm ihm vieles ab, vor allem die ständigen Formalitäten mit der Krankenkasse, wofür er äußerst dankbar war, doch seit Fynns Geburt wusste er es zu schätzen, wenn er ein paar Minuten nur für sich hatte.

Er schob den Stuhl zurück und legte seine Füße auf den Schreibtisch. Perfekt. So konnte er in Ruhe nachdenken und … Vor seiner Praxis hielt ein Fahrzeug. Er weigerte sich, den Kopf zu drehen. Dass er Mittagspause hatte, war auf dem Schild neben der Tür deutlich zu erkennen. Eine Wagentür wurde zugeschlagen. Jan fluchte innerlich. Das klang nicht nach einem Notfall, sondern nach einem unbelehrbaren Touristen. Vielleicht half es, wenn er die Türklingel einfach ignorierte.

Schritte näherten sich. Jemand befand sich eindeutig in den Praxisräumen. Da hatte Gerda wohl vergessen abzusperren. Wobei er nicht ausschließen konnte, dass sie das vielleicht auch absichtlich getan hatte.

»Jan? Bist du hier?«, fragte ein Mann, mit dem er nicht gerechnet hatte.

Jan grinste breit. »Nein. Ich habe Mittagspause und bin nicht hier.«

Die Tür zu seinem Behandlungszimmer flog auf, und Florian Schwenker stürmte in den Raum. »Sehr witzig, Boss!«

Die alte Anrede, die noch aus der Zeit stammte, als Florian zu seinem Team beim KSK gehört hatte, konnte Jan ihm einfach nicht abgewöhnen. Er stand auf, und sie umarmten sich zur Begrüßung fest.

»Mit dir hätte ich noch nicht gerechnet«, sagte Jan schließlich und deutete einladend auf den Besucherstuhl.

»Danke, aber ich habe zu lange im Wagen gesessen. Kann ich uns einen Kaffee machen?«

»Klar. Hast du Hunger? Dann hole ich was vom Zeus.«

»Wenn du mich so fragst …«

Zwanzig Minuten später saßen sie sich bei einer riesigen Portion Gyros mit Pommes und gemischtem Salat gegenüber.

Jan zeigte mit seiner Gabel auf Florian. »Erzähl mir nicht, dass du zufällig hier bist.«

»Nee. Ich freue mich zwar auf deine Feier, aber eigentlich bin ich hier, um mit dir noch mal alles durchzugehen, was damals geschehen ist. Ich weiß, dass ich was übersehe, und bin sicher, gemeinsam kommen wir drauf.«

Florian musste nicht konkreter werden, Jan wusste auch so, dass es um den Hinterhalt ging, bei dem Michael ums Leben gekommen war. Kurz überlegte er, ihm von dem eventuellen Einbruch bei Jörg zu erzählen, ließ es dann aber. Da die beiden sich nicht besonders gut verstanden, kam es ihm falsch vor.

»Dann weißt du von Hartmuts Aktion?«

»Ja, ich war von der Idee begeistert. Nicht dass ich Einfluss darauf gehabt hätte, aber das ist genau das, was ich mir gewünscht habe.«

Normalerweise arbeitete Florian beim Bundesnachrichtendienst, der im Inland nicht aktiv werden durfte.

»Machst du das Ermitteln als Hobby oder …?« Jan ließ den zweiten Teil der Frage absichtlich zwischen ihnen stehen.

Florian grinste breit. »Eindeutig oder. Genau wie ein gewisser Herr Major bin ich zum MAD abkommandiert, weil der alles das darf, was wir nicht dürften.«

Der Gedanke gefiel Jan, denn dadurch bekamen sie die Möglichkeit, fast wie Polizisten zu agieren. Prompt fiel ihm Jörg ein, der auf die Zusammenarbeit vermutlich nicht besonders begeistert reagieren würde.

Florian kniff die Augen zusammen. »Du denkst an deinen Freund vom LKA? Der wird garantiert vor Freude an die Decke hüpfen, dass ich wieder an Bord bin.«

»Tja …«, sagte Jan nur und überlegte bereits, wie er Jörg und Florian dazu bringen konnte, vernünftig zusammenzuarbeiten. Ihm fiel nichts ein. Daher ging er auf das Thema nicht weiter ein. »Mir ist heute übrigens ein ehemaliger Kamerad aus dem Logistikbereich über den Weg gelaufen.«

Sofort erwachte Florians Jagdtrieb. »Wer denn?«

»Hätte ich dir ja gesagt, wenn du mich nicht unterbrochen hättest.«

»Sorry, Herr Major. Ich …« Florian stutzte. »Verdammt, du bist mir dann ja wieder vorgesetzt!«

Jans Grinsen glich vermutlich einem Zähnefletschen, doch das hatte Florian sich auch verdient. »Hast du was dagegen? Wenn ich mich an unsere letzte Zusammenarbeit erinnere, dann …«

Florian unterbrach ihn energisch. »Du wolltest mir was über einen Logistiker erzählen und nicht über längst verjährte Dinge reden, Boss.«

Zumindest gegen die Anrede konnte Jan nun nicht mehr protestieren. Er schmunzelte über Florians Versuch, davon abzulenken, dass Jörg, Jo und Jan ihn damals in letzter Sekunde gerettet hatten, als er den Verbrechern in die Hände gefallen war.

»Gerda hat ihn in Kappeln am Hafen kennengelernt und sozusagen für unsere Praxis akquiriert. Als er heute hier war, um sich ein Rezept abzuholen, hat er meinen Namen erkannt. Norbert Eisler, Oberst im Ruhestand. Er kannte unser Team oder zumindest meinen Namen durch diverse Beschaffungsprozesse.«

Fast in Zeitlupe schob sich Florian das letzte Stück Gyros in den Mund. Jan hörte förmlich, wie sein Gehirn auf Hochtouren lief. Ausnahmsweise schwieg er, bis sie das Papier und die Verpackungen in einer Tüte verstaut hatten.

»Ich checke ihn. Das passt und passt auch wiederum nicht. Ein Logistiker in hoher Position ist genau das, was ich suche. Allerdings wäre der doch nicht so dämlich, sich offen bei dir zu zeigen.«

»So weit war ich auch schon. Wenn du ihn dir ansiehst, dann überprüf mal, wann er sich hier ein Haus gekauft hat. Er sagte vor einem halben Jahr, nachdem er die gleiche Zeit lang gesucht hat. Und das Geld dafür hat er von seiner verstorbenen Frau.«

Florian trank einen Schluck Wasser und starrte an Jan vorbei durchs Fenster ins Freie. So zurückhaltend kannte Jan ihn nicht, und er wurde misstrauisch.

»Was ist?«

»Ich überlege, ob ich mittlerweile paranoid werden könnte. Für mich klingt es, als ob da jemand schon im Vorfeld alle Fragen beantwortet hat, die wir uns stellen könnten.«

So hatte Jan das noch nicht betrachtet, aber so ganz passte es nicht. »Nach dem Datum seines Umzugs habe ich ihn gefragt, weil mir der Zufall auch ein wenig heftig erschien.«