ABRECHNUNG (JET 4) - Russell Blake - E-Book

ABRECHNUNG (JET 4) E-Book

Russell Blake

5,0

Beschreibung

Im vierten Teil der atemlosen Thriller-Reihe von Bestseller-Autor Russell Blake sieht sich Jet ihrer bislang tödlichsten Bedrohung gegenüber: einem Feind mit scheinbar unerschöpflichen Ressourcen, der alles daran setzt, ihr Leben und das ihrer Freunde und Familie zu zerstören. Die Vergangenheit ruht nicht, egal, wo man sich vor ihr zu verstecken versucht. Für Jet gibt es keine andere Möglichkeit, als sich erneut in den unaufhaltsamen Racheengel zurückzuverwandeln und den Krieg von den Bergen Indonesiens bis zurück nach Washington zu bringen.

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JET 4: ABRECHNUNG

Russell Blake

Copyright © 2014 by Russell Blake

All rights reserved. No part of this book may be used, reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or by any information storage or retrieval system, without the written permission of the publisher, except where permitted by law, or in the case of brief quotations embodied in critical articles and reviews. For information, contact: [email protected].

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc. 350 Fifth Avenue. Suite 5300 New York, NY 10118 USA

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: JET IV – RECKONING Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Pascal Euteneuer

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-403-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

JET 4: ABRECHNUNG
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Über den Autor

Prolog

Papua, Indonesien

Massige, gelbe Erzlastwagen standen still auf einem weitläufigen Schotterplatz, die riesigen, zerbeulten Pritschen leer. Ein gelangweilter Wachposten saß in dem Pförtnerhaus und hörte auf einem kleinen, tragbaren Radio eine CD, während er über fast zweihundert Fahrzeuge Wache hielt. Nach einem langen Tag zerreibender Routine hatten sich die Schichtarbeiter verabschiedet und das unaufhörliche Brüllen der Motoren und Maschinen hatte nachgelassen. Über dem Gelände war eine unheimliche Stille verblieben, statt der Kakofonie, die tagsüber dort herrschte.

Der sintflutartige Regen war endlich zu einem Nieseln geworden, die Überreste eines Monsuns, der am Nachmittag vorbeigezogen war und fünfzehn Zentimeter Niederschlag in sechs Stunden über den Bergen ausgeschüttet hatte, was die Zufahrtsstraße schlammig, aber weiterhin befahrbar machte, wie es oft im September der Fall war.

Die größte Goldmine der Welt war nachts geschlossen und wartete auf die Rückkehr der beinahe zwanzigtausend Arbeiter, die im Morgengrauen kommen würden, um die Maschinen zu bedienen, welche die Spitze eines nahegelegenen Berges abgerissen hatten, um systematisch das wertvolle Erz zu fördern, das Gold, Silber und Kupfer beinhaltete – natürliche Ressourcen, die diese Region zu einer der reichsten auf dem Planeten machen sollten. In Wirklichkeit wurde der Wohlstand fast vollständig von der indonesischen Regierung und dem Unternehmen abgezapft, das die Mine betrieb. Als Kronjuwel des Unternehmens war die Mine für unvorstellbaren Gewinn verantwortlich, während der Großteil der Bevölkerung in den primitiven Zuständen der Eingeborenenstämme lebte. So, wie schon seit tausenden von Jahren.

Diese Lebensart war dem Tode geweiht. Das giftige Sediment von dem Tagebau hatte die Flüsse verstopft und die Tiere vergiftet, war in jeden Bereich des Ökosystems vorgedrungen und befleckte alles, was es berührte. Fischen, Jagen und fast jedes Vorhaben, das sauberes Wasser oder sauberen Boden benötigte, waren in dieser Region unmöglich geworden – ein akzeptabler Preis für das Konglomerat, das Milliarden im Jahr umsetzte, aber nichts für die indigene Bevölkerung tat, deren Land für immer ruiniert war.

Ein umherstreifender Wachposten leuchtete mit der Taschenlampe den Mann an, der die Fahrzeuge vom Wachhaus aus beobachtete, dann ließ er das Licht kurz über die gedrungenen Silhouetten wandern, bevor er weiter seine Route abschritt. Der Sicherheitsdienst war mit Pistolen und Schrotflinten ausgerüstet, aber es hatte seit Jahren keine Probleme auf dem Gelände gegeben und die Männer nahmen ihre Aufgabe gelassen – sie versprach nichts außer endloser Plackerei.

Scheinwerfer bahnten sich ihren Weg die schlammige Zufahrtsstraße entlang und ein Pick-up blieb vor dem Eingangstor stehen. Die Pritsche war voll mit lachenden Einheimischen, deren schokoladenbraune Haut vom Regen glänzte; der Niederschlag war ein Ärgernis, gegen das sie abgehärtet waren. Sie waren mit den Monsunen aufgewachsen – die regelmäßigen Stürme waren Routine, so wie der Sonnenuntergang über dem Meer, das ihre Insel umgab.

Ein Wachposten begrüßte die Wartungscrew der Nachtschicht mit einem Winken und wechselte einige Worte mit dem grinsenden Fahrer, bevor er die Schranke anhob und sie mit einer Handbewegung passieren ließ. Das Fahrzeug schlingerte ächzend vorwärts, die Federn spannten sich unter der Last ihrer menschlichen Ladung. Der Wachposten senkte die Schranke wieder ab, damit war seine einzige Aufgabe für die nächsten sechs Stunden erledigt.

Die eingeborenen Inselbewohner vermischten sich nicht mit den aus Indonesien eingeschifften Einwanderern und zogen es stattdessen vor, in einer der Unternehmenssiedlungen, die für die Arbeitskräfte gebaut worden waren, für sich zu bleiben. Die Inselbewohner waren verbittert darüber, dass sie von den Herrschern über ihr Land zu einer Minderheit geworden waren. Der Zustrom von Immigranten hatte, bestärkt von der indonesischen Regierung, die unbedingt den Einfluss der Eingeborenen eingrenzen wollte, den Anteil der nicht-indigenen Bevölkerung auf über fünfzig Prozent anwachsen lassen.

Versuche, eine unabhängige Nation zu etablieren, wurden im Keim erstickt, nachdem Indonesien faktisch die Westseite Neuguineas annektiert und eine eigene Regierung eingesetzt hatte. Ratifiziert wurde dieser Schachzug 1969 in einer Scheinwahl, an der die Bevölkerung nicht teilnehmen durfte – mit Ausnahme von eintausendfünfundzwanzig Repräsentanten der Einwohner Neuguineas, die von ihren Gouverneuren angewiesen worden waren, für die Regierung zu stimmen oder abgeschlachtet zu werden. Wenig überraschend war die Wahl einstimmig gewesen – und von den Vereinten Nationen anerkannt. Eine beschämende Annahme dieser Hochzeit mit vorgehaltener Waffe.

Als Folge lebten mehr als ein Drittel der Einheimischen von weniger als zehn Dollar pro Woche und fristeten ihr Dasein mit primitiver Landwirtschaft unter unwürdigen Bedingungen. Ein großer Teil der Inselbewohner wurde jedes Jahr von der Malaria dahingerafft, größtenteils aufgrund unzureichender Gesundheitsversorgung und Infrastruktur.

Auf über viertausend Metern war die Nachtluft dünn und die Söldner waren nach dem langen Marsch vom Basiscamp außer Atem. Grelle Scheinwerfer erhellten das kahle Produktionsgelände der Mine. Die Arbeiten waren vor Stunden beendet worden, und nur ein Trupp Sicherheitsleute verblieb, um das Areal vor Vandalismus oder Diebstahl zu schützen. Der Umriss der massiven Grube, die in das Herz des Berges geschnitten wurde, war in dem Zwielicht gerade noch erkennbar, der gähnende Schlund erstreckte sich über mehr als zwei Meilen.

Der Anführer der sechs Mann starken Gruppe deutete nach rechts zu der Seilbahn, die sich den Abhang des Berges entlangzog. Ein kurzer, muskulöser Mann mit einem großen, fest verschnürten Rucksack nickte, trennte sich dann von seinen Kameraden und machte sich auf den Weg zum Steuerungsbereich. Die anderen sahen ihm nach, wie er in der Dunkelheit verschwand, bevor sie ihre Blicke wieder auf den Anführer richteten, der auf die Gebäude unter ihnen deutete.

»Ihr kennt den Drill. Bringen wir es hinter uns. Ich möchte in spätestens einer halben Stunde verschwunden sein«, sagte er und gestikulierte in Richtung der Gebäude – eines Krankenhauses, einer Schule und den Produktionshallen.

Die Männer hatten im Voraus den effizientesten Weg simuliert, ihr Ziel zu erreichen, und waren auf alles vorbereitet. Jeder einzelne von ihnen war mit einem modifizierten M4-Sturmgewehr mit Schalldämpfer, Laserpointer, Infrarotstrahler und PVS-17A Miniatur-Nachtsichtzielfernrohr ausgestattet. Doch trotz der Feuerkraft lautete ihre Mission lediglich, den Zielort zu erreichen, Sprengladungen in dem Gebäudekomplex zu platzieren, dazu zählten die Pipelines und sämtliche Kommunikationswege, und dann zu verschwinden – ohne in ein ausgedehntes Feuergefecht verwickelt zu werden, sofern sie es vermeiden konnten. Sollten sie jedoch ihren Fluchtweg freikämpfen müssen, so waren sie vorbereitet. Letztendlich war es denn Männern egal – sie alle hatten mehr als genug Kampfeinsätze hinter sich und waren daran gewöhnt; soweit man das als Mensch sein konnte.

Der Anführer bedeutete den Männern, sich aufzuteilen, und sie machten sich auf den Weg zu den ihnen zugewiesenen Zielen. Wie Geister verschmolzen sie mit der Nacht.

Ein Truck mit zwei Sicherheitsmännern kroch mit knatterndem Motor die Perimeterstraße entlang. Die Streifenfahrten waren verpflichtend. Alles schien in Ordnung. Wie jede Nacht, soweit sie beide zurückdenken konnten.

»Sag mal, hast du darüber nachgedacht, was du tun wirst, wenn wir endlich ein paar Tage freibekommen?«, fragte der Fahrer und versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen, um die Langeweile zu bekämpfen, die in ihrem Job ein ständiger Begleiter war.

»Nein, nicht wirklich«, sagte sein Partner. »Ich meine, ich muss mich um die Kinder kümmern und meine … Moment. Hast du das gesehen? Da drüben, bei der Pipeline?« Er deutete mit einem zitternden Finger auf die gewaltigen Rohrleitungen.

»Was gesehen? Hast du heute schon früher mit dem Trinken angefangen?«

»Ich habe etwas gesehen.«

»Etwas. Was war es?«, fragte der Fahrer, verringerte das Tempo weiter und drehte das Lenkrad nach rechts, um näher an die riesigen Pipelines heranzukommen, die den Schlamm – ein Gemisch aus Gold, Silber und Kupferkonzentrat – zum siebzig Meilen entfernten Hafen von Amamapare transportierten, wo er gefiltert und getrocknet und dann in die ganze Welt verschifft wurde.

»Ich weiß nicht. Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.«

»Bei den Rohren? Was sollte jemand da wollen?«, fragte der Fahrer bissig. »Da gibt es nichts zu holen.«

»Kann nicht schaden, nachzusehen.«

Der Truck kroch in Richtung der Pipelines.

»Ich sehe nichts. Du?«, fragte der Fahrer erneut. Sein Partner schüttelte den Kopf.

»Nein. Eine Sekunde. Was ist das, bei der Nahtstelle? Kannst du etwas erkennen?« Der Wächter deutete mit seiner LED-Taschenlampe auf die Rohre.

»Was meinst du?«

»Da drüben. Ich kann etwas sehen.«

»Ich nicht. Das ist Zeitverschwendung.«

»Du hast wahrscheinlich recht, aber lass uns trotzdem hingehen. Man kann nie wissen.«

Der Fahrer hielt an und beide Wachmänner stiegen aus. Der Beifahrer trug zusätzlich zu seinem Revolver eine Kaliber-Zwölf-Schrotflinte.

Sie umrundeten die Betonmauer, welche die Pipeline von der Zugangsstraße trennte. Die Strahlen ihrer Lampen spiegelten sich auf der Metalloberfläche der drei Rohre. Die Männer blieben zwanzig Meter davor stehen. In der Nähe einer Schnittstelle, wo die Abschnitte zusammengefügt waren, standen zwei Kästen von der Oberfläche ab.

»Was zur Hölle ist …?«

Die Brust des Fahrers wurde in einer blutigen Explosion zerrissen, als sie von drei schallgedämpften Kugeln durchbohrt wurde. Sein Ausruf von einem Gurgeln unterbrochen, stürzte er und landete mit dem Gesicht voran im nassen Dreck. Sein Partner schwenkte die Schrotflinte zurück zu der Straße, wo der Truck im Leerlauf stand. Er war nicht schnell genug. Mit einem feuchten Einschlag rissen zwei Kugeln Stücke aus seinem Gesicht und seinem Schädelknochen, bevor er überhaupt ein Ziel finden, geschweige denn abdrücken konnte.

Die schwarz gekleidete Gestalt eines Mannes trat aus den Schatten neben dem nahen Wartungsschuppen, den schallgedämpften Lauf einer M4 vor sich ausgestreckt, und rannte lautlos zu den beiden Leichen, um das Funkgerät vom Gürtel des Fahrers zu nehmen, bevor er einen Blick auf die Kästen über sich warf. Eine kleine rote LED blinkte dort. Er überprüfte noch einmal seine Armbanduhr, bevor er das Funkgerät in seinem Ohr antippte und murmelte.

»Jupiter hier. Ich habe zwei Wachen ausgeschaltet. Habe ihr Funkgerät, aber wir müssen davon ausgehen, dass ihr Fehlen bemerkt wird. Wie weit sind wir? Bitte um Rückmeldung. Over.«

Sekunden später antwortete eine flüsternde Stimme: »Seilbahn verkabelt. Werde in fünf Minuten mein nächstes Ziel erledigt haben. Bisher keine Unterbrechungen. Saturn, Over.«

»Mars hier. Werde in zehn Minuten mein Ziel erledigt haben. Bin einer Streife begegnet, aber aus dem Weg gegangen.«

Die anderen meldeten sich. Sie wären in zwanzig Minuten bereit zum Abhauen. Spätestens.

»Pluto hier. Ich bin auf dem Weg zum Kommunikationszentrum. Sehe euch in zwanzig am Treffpunkt. Findet heraus, ob es noch mehr Tote gibt. Keine Überlebenden.«

Der Gruppenführer dachte missbilligend über das zuletzt Gesagte nach und schüttelte stumm den Kopf, dann richtete er das Zielfernrohr wieder auf den Wachposten, der unter dem Überhang des im Dunkeln liegenden Gebäudes stand, in dem Verbindungskabel und das Kommunikationsequipment lagen, mit denen die Mine mit der Außenwelt verbunden war. Sie hatten immer gewusst, dass es Kollateralschäden geben würde, aber je mehr von dem Sicherheitspersonal draufging, desto größer war die Chance, dass sie die Mission abbrechen mussten, bevor alle Sprengladungen platziert waren.

Intuitiv traf er eine Entscheidung und drückte den Abzug. Die Waffe spuckte eine Ladung Tod in die Nacht und der nichtsahnende Wachtposten brach zu einer blutigen Masse zusammen. Es führte kein Weg daran vorbei. Er hatte den Mann fünf Minuten lang beobachtet, doch der Nieselregen hatte den Wächter an das Gebäude gefesselt und ihnen lief die Zeit davon.

Er konnte sich weder Fehler noch eine unvollständige Erfüllung ihrer Mission erlauben. Die Befehle waren eindeutig: Die Mine so lahmzulegen, dass sie monatelang betriebsunfähig sein würde. Man hatte ihnen klargemacht, dass die Bezahlung vom Erfolg ihrer Arbeit abhängig war und dass es keine Beschwerden über eventuelle Opfer geben würde. Das Ergebnis war entscheidend, und jeder, der sich ihnen in den Weg stellte, war entbehrlich.

Er lief zu dem Gebäude und trat, ohne den toten Wachposten zu beachten, an die geschlossene Tür heran, wo er eine kleine Sprengladung an dem Riegel befestigte. Zehn Sekunden später drückte er den Knopf, der kleine Detonator gab einen dumpfen Knall von sich und die Tür flog auf, das Geräusch übertönt von einem beginnenden Wolkenbruch. Er blickte zurück, um zu überprüfen, dass er immer noch allein war, dann rückte er in das Zwielicht des Gebäudeinneren vor.

Vier Minuten später trat der Anführer wieder aus dem Gebäude und scannte die Umgebung, dann sprintete er zu dem Truck des Toten und startete den Motor. Er hielt nur inne, um dem Rest seiner Gruppe einen Lagebericht zu erteilen, während er auf das Haupttor zufuhr. Die Wachen dort mussten auch aus dem Weg geräumt werden, aber das hatte er sowieso geplant, sobald die Sprengladungen platziert waren. Als letzten Punkt auf der Tagesordnung.

Sein Headset klickte und eine weitere Meldung kam herein – vier seiner Männer waren fertig und bereit abzuhauen. Der fünfte Mann murmelte ein knappes Update – er wäre bald fertig.

Die Lichter des Trucks schwangen in Richtung des Tores, das die Hauptzufahrtsstraße der Mine verschloss, und als der Anführer näherkam, hallte der charakteristische Knall einer Schrotflinte aus einem der Gebäude in der Nähe. Er versteifte sich, als das Funkgerät des toten Wachpostens rauschend zum Leben erwachte.

»Mindestens ein Eindringling in Sektor C. Ich stehe unter Beschuss. David hat einen Schuss abgefeuert, aber er wurde getroffen. Ich glaube nicht, dass er es schaffen wird.« Die Stimme klang panisch. Zwei Schüsse kleineren Kalibers hallten aus der gleichen Gegend, dann drei weitere. Pistolen, dem Klang nach zu urteilen.

Einer der Wachposten am Haupttor blickte mit zusammengekniffenen Augen auf den näherkommenden Truck und richtete seine Schrotflinte darauf, während sein Partner ins Innere des Gebäudes hechtete. Die Finte, die den Anführer nahe genug an die beiden heranbringen sollte, um sie auszuschalten, hatte sich gerade in Luft aufgelöst. Er trat hart aufs Gas und riss das Lenkrad nach links, während er die Bremse durchdrückte. Der Truck schlitterte kontrolliert auf das Tor zu. Der Bariton der Schrotflinte erklang von der Wachhütte, dann explodierten die Windschutzscheibe und das Passagierfenster und Glas regnete auf ihn herab. Der Truck wurde langsamer und blieb stehen. Er sprang heraus, rollte sich auf dem Boden ab und versuchte die schützenden Räder zwischen sich und den Wachposten zu bringen.

Ein weiterer tiefer Knall. Schrot grub sich in den Kies neben ihm und beide Hinterreifen platzten. Der Anführer atmete tief ein, wich zur Seite des Rads aus und schnitt den ersten Wachposten mit zwei abgehackten Salven aus seinem Gewehr auseinander; dann pausierte er, wartete auf weitere Schüsse. Er wurde mit einer weiteren Explosion belohnt. Er rollte von dem Truck weg und feuerte gleichzeitig seine Waffe ab. Der zweite Wachposten flog nach hinten und knallte gegen die Wand. Seine Waffe rutschte ihm aus der Hand. Der Anführer ließ, nur um sicherzugehen, eine weitere Salve folgen und zerfetzte den Kopf des Mannes. Er hörte weitere Schüsse hinter sich – die Pistole – dann legte sich Stille über die Mine, im selben Moment, in dem sein Headset zum Leben erwachte.

»Hier ist Neptun. Ich wurde getroffen, aber die Ladung ist platziert.«

Der Anführer tippte gegen das Headset. »Wie schlimm?«

»Schulter. Nicht tödlich. Ich schaffe es trotzdem zum Treffpunkt. Habe zwei Wachen ausgeschaltet.«

Neptuns Stimme war angestrengt, aber ruhig.

»Sonst jemand in deiner Nähe?«

»Negativ, aber ich sehe Lichter näherkommen, wir können uns also auf eine Verfolgungsjagd gefasst machen.«

»Wir können nicht auf dich warten, wenn du aufgehalten wirst.« Die Stimme des Anführers war flach und emotionslos.

»Verstanden. Ich werde dort sein.«

Ein weiterer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass sie drei Minuten bis zum Treffpunkt hatten. Er griff in seinen Rucksack, zog eine rote Sprühdose hervor und trat an die gefallenen Wachposten heran. Seine Augen scannten die Umgebung und er hielt sein M4 bereit. An der Hütte zog er ein Paar Latexhandschuhe über, drückte den Deckel von der Sprühdose, warf ihn achtlos beiseite und sprühte dann sorgfältig die Nachricht, die man auf den Hüttenwänden finden würde. Als er fertig war, nahm er ein Handtuch aus der Tasche, wischte die Dose ab und warf sie achtlos in den Kies neben dem Körper des Sicherheitsmannes, den er zuerst abgeschlachtet hatte. Er trat einen Schritt zurück, um seine Arbeit zu begutachten, nickte, dann nahm er ein Handy aus der Tasche und machte einige Bilder.

Sollten die Regierung oder der Konzern versuchen, den Angriff auf die Mine zu vertuschen, würden die Bilder innerhalb von vierundzwanzig Stunden im Internet auftauchen und ihnen keine Wahl lassen, als zuzugeben, dass die Unruhen in der Gegend so außer Kontrolle geraten waren, dass es unsicher war, ob die Operation überhaupt noch tragbar war. Seine Männer hatten zwei ähnliche gesprühte Nachrichten an strategischen Stellen hinterlassen, damit es keine Zweifel an den offensichtlichen Motiven der Angreifer geben konnte. Das Geräusch durchdrehender Motoren von dem Gelände kündigte die Ankunft der Nachtschicht an und er erkannte zwei Fahrzeuge, die sich näherten. Er rechnete die Distanz im Kopf aus. Er hatte nicht mehr als dreißig Sekunden. Er joggte zum Tor und zog drei Granaten aus der Tasche, dann wartete er darauf, dass die Trucks in Reichweite kamen. Als das Licht der Scheinwerfer über die Ladefläche des von ihm zurückgelassenen Trucks wanderte, zog er den Stift aus der ersten Granate und warf sie, so weit er konnte. Zufrieden beobachtete er, wie sie über den Truck segelte und auf der Straße landete.

Die erste Explosion bremste die ankommenden Wächter aus und nach der zweiten und dritten Granate waren sie stehen geblieben, jedes Verlangen nach Konfrontation von den Sprengladungen ausgelöscht. Er wartete nicht darauf, das Resultat der nächsten Detonation zu sehen, sondern rannte zu der dunklen Böschung, die den Berg hinunterführte und verschwand im Laufschritt in der Dunkelheit. Hinter ihm wurde der Mineneingang kleiner. Sein Funkgerät erwachte wieder zum Leben – sein Stellvertreter informierte ihn ruhig, dass alle Männer am Treffpunkt angekommen waren. Er bestätigte, dann drehte er sich um und zog einen Fernzünder aus der Tasche. Er blickte auf den Eingang. In einer blitzschnellen Bewegung hob er den Zünder über den Kopf, klappte gleichzeitig mit dem Daumen den Plastikschutz zur Seite und drückte den Knopf.

Ein markerschütternder Knall durchbrach die Nacht, als die Explosionen gleichzeitig an den verschiedenen Stellen im Komplex ausgelöst wurden. Feuer stieg von den acht sorgfältig gewählten Zielen in die Luft auf und verwandelte den Himmel in ein Inferno. Die Pipeline, die das wertvolle Erz transportierte, war an zwei Stellen unterbrochen, die Kommunikationsanlage zerstört, und, was am schlimmsten für die Operation war, die Brechanlagen waren von strategisch platzierten Sprengladungen hoffnungslos demoliert worden. Weitere Explosionen von Treibstofftanks und Fässern voll brennbarer Flüssigkeit erklangen von unterhalb des Gebirgskamms, aber er hatte sich bereits umgedreht und rennend auf den Weg gemacht.

Sie mussten von der Mine weg. Der schwerste Teil war geschafft. In einigen Minuten würden drei weitere seiner Männer die ihnen zugewiesenen Ziele in neun Meilen Entfernung in die Luft jagen und die Pipeline endgültig lahmlegen. Für den Moment machte er sich keine Sorgen, von den übrigen Minenwachen verfolgt zu werden – er hatte Leute aus seinem Team beauftragt, scharfe Reifenkiller auf der Straße auszulegen, um jegliche Verfolger auszuschalten. Als er zwei Minuten später den Treffpunkt erreichte, waren seine Männer bereits anwesend, Neptun mit einer Feldbandage an der Schulter, und die Motoren zweier dunkler Transporter schnurrten leise in der Höhenluft. Alle Augen folgten ihm, als er zur Fahrertür des ersten Transporters ging und gleichgültig seinen Rucksack abschüttelte, um ihn zusammen mit seinem Gewehr in den Ladebereich zu werfen. Er setzte sich hinter das Steuer und gestikulierte zu seinen Männern.

»Lasst uns verdammt nochmal von hier verschwinden.«

Zwei weitere Explosionen halten von weiter unten über den Berg. Die Pipeline war zerstört, genau im richtigen Moment. Die Söldner brauchten keine weitere Aufforderung und stiegen in die Fahrzeuge. Sekunden später rollten sie die Straße entlang. Ohne Lichter. Stattdessen benutzten sie die Nachtsichtgeräte, um sich in dem Nieselregen zurechtzufinden, bis sie einige Meilen weiter waren, in der Nähe der nächsten Konzernstadt. Sobald sie in Tembagapura waren, würden sie die Transporter stehenlassen und auf Motorräder umsteigen, dann verschwinden. Ihr Job auf der Insel war erledigt.

Mit knirschendem Kies unter den Reifen entfernten sie sich von dem Chaos, das sie verursacht hatten, die Lichter Tembagapuras lockten durch den sanften Regenschleier. Drei weitere Attacken auf Außenposten des indonesischen Militärs hatten zeitgleich mit ihrem Angriff auf die Mine stattgefunden und damit Verwirrung und Chaos gestiftet, um ihre Flucht zu verschleiern. Bis man das volle Ausmaß des Schadens verstanden hatte, wären sie an Bord der Helikopter, die sie auf einem abgeschiedenen Feld erwarteten, und auf dem Weg zum Flughafen von Mopah, wo sie von zwei Propellerflugzeugen auf die neuguineische Seite der Insel und von dort aus weiter nach Australien gebracht würden, wo sie in Sydney untertauchen und weitere Befehle erwarten sollten – fünf Millionen Dollar reicher, für eine einzige Nacht blutiger Arbeit.

Kapitel 1

Alan blickte von seinem Fenstersitz aus dem Jumbojet, der sich gerade schwerfällig durch die turbulenten Bedingungen beim Endanflug auf den Internationalen Flughafen von Buenos Aires kämpfte. Er kratzte sich seinen Zweitagebart und streckte die Arme, ein Versuch, seine Muskeln nach zehn Stunden, eingeklemmt in einem Economyclass-Sitz im Nachtflug von Mexiko City, zu lockern. Schlaf war unmöglich gewesen und er hatte sich mit einem weiteren langen Reisetag abgefunden; während der Verspätung in Mexiko hatte er für diesen Nachmittag eine Überfahrt auf der Fähre von Buenos Aires nach Montevideo, Uruguay, gebucht.

Unter ihm wurden die Landefeuer sichtbar und die Räder dampften auf dem Asphalt, als das riesige Flugzeug die Piste entlangrollte und bremste. Die Landschaft schoss an ihm vorbei. Eine Flugbegleiterin meldete sich über die Lautsprecheranlage, hieß sie am Internationalen Flughafen Ministro Pistarini willkommen und bat die Passagiere, sitzen zu bleiben. Alan blickte auf seine Armbanduhr und stellte sie auf Ortszeit um, während er durchrechnete, wie lange es dauern würde, vom Flughafen in den Außenbereichen der weitläufigen Stadt zum Fährhafen in der Nähe des Inlandsflughafens an der Küste zu kommen. Wenn der Zoll nicht zu viele Probleme machte, sollte er es schaffen. Gerade so.

Aufgrund einer technischen Schwierigkeit vor dem Abflug hatte der Flug dreieinhalb Stunden Verspätung und das Flugzeug voller verunsicherter Fluggäste war gezwungen gewesen, zum Gate zurückzukehren, während eine Wartungscrew hektisch einen fehlerhaften Warnsensor reparieren musste. Niemand durfte das Flugzeug verlassen und der Pilot hatte ihnen halbstündlich über Lautsprecher versichert, dass es nicht mehr lange dauern würde – eine offensichtliche Lüge, die mit jeder vergangenen Stunde den allgemeinen Unmut noch verstärkt hatte. Als das Flugzeug endlich abhob, war die Luft verbraucht und die Passagiere ruhelos, nachdem ihr bereits langer Flug durch eine fehlerhafte Verkabelung zum Marathon geworden war.

Das Flugzeug rollte zum Gate und alles beschleunigte sich, auch wenn Alan am Ende der Kabine saß und so zu den letzten gehörte, die aussteigen durften. Da er zum Glück nur sein Handgepäck hatte und die argentinische Einreisebehörde effizient arbeitete, dauerte es nur eine halbe Stunde, bis er einen Taxifahrer anwies, ihn so schnell wie möglich zur Fähre zu bringen.

Ein Slum in der Nähe des Stadtrands, gebaut aus Teerpappe und alten Paletten, verunstaltete die Landschaft. Eine Wolke aus Abgasen und Rauch lag über der Gegend wie giftiger Nebel. Das Taxi raste auf dem modernen Highway daran vorbei und kurze Zeit später waren sie in Buenos Aires, wo eine scheinbar endlose Reihe von schäbigen Wohnblocks, planlos gebaut, um in einer der bevölkerungsreichsten Städte der Welt bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, die Skyline verschandelten.

Alan kramte nach seinem Handy, schaltete es an. Nachdem es Netz gefunden hatte, sah er, dass er sieben verpasste Anrufe hatte. Er hörte seinen Anrufbeantworter ab. Er hatte zwei Nachrichten von Jet; knapp, wie von ihr gewohnt, die zweite mit einer Spur von Sorge darüber, dass er nicht geantwortet hatte. Er überprüfte die Uhrzeit – der letzte Versuch war vor fünfundzwanzig Minuten gewesen, doch als er die Wahlwiederholung betätigte, kam nur ein leises Rauschen aus der Leitung, kein Klingeln. Er wusste aus Erfahrung, dass es etwas dauern würde, bevor sein Handy zu Ferngesprächen fähig war, und er nahm sich vor, noch einmal zu versuchen, Jet zu erreichen, bevor er an Bord der Fähre ging – ihr Flug sollte gerade abheben, aber falls er verspätet war, bestand die Möglichkeit, dass sie ihr Handy noch eingeschaltet hatte und er könnte sich bei ihr melden und sicherstellen, dass alles in Ordnung war.

Es dauerte schließlich über eine Stunde bis zum Fährterminal. In der Zwischenzeit hatte Alans Magen angefangen zu knurren – das Essen im Flugzeug war bestenfalls dürftig gewesen und er hatte sich zwingen müssen, es hinunterzuwürgen. Er blickte wieder auf seine Uhr und hoffte genug Zeit für ein Mittagessen zu haben. Selbst das schlechteste argentinische Diner wäre Lichtjahre besser als die Flugzeugverpflegung. Er übergab dem Fahrer ein Bündel Ortswährung, ging mit schnellen Schritten zum Ticketschalter und sicherte sich seinen Platz auf dem Schiff mit einem weiteren Haufen Scheine. Der Verkäufer wies ihn darauf hin, dass die Fähre bereits beladen wurde – er solle sich beeilen. Sie würden in zwanzig Minuten ablegen und dieser späte Nachmittag war besonders geschäftig, obwohl die Rederei ein viel größeres Schiff als sonst benutzte, während der Katamaran, der sonst für die Überfahrt zuständig war, gewartet wurde. Alan bewegte sich zur Schlange und reihte sich geduldig in die Menschenmenge, die darauf wartete, durch die Sicherheitskontrolle gelassen zu werden und an Bord des riesigen Schiffs zu gehen. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus und er drehte sich, um den Einstiegsbereich zu überblicken. Auf der anderen Seite der langen Haupthalle drehten sich zwei Männer weg, um das Schiff anzusehen, aber nicht, bevor Alan einen dabei erwischte, wie er ihn anstarrte.

Der Kleinere der beiden sagte etwas zu seinem Partner, der lachte und deutete dann auf das Schiff. Alans Augen suchten weiter die Menge ab, er war sich bewusst, dass seine Sinne nach der Zeit im Flugzeug und unter Schlafentzug, Fehlalarm schlagen konnten. Eine Frau in der Nähe des Zeitungsstands sah ihn an und senkte die Augen, als er ihren Blick erwiderte. Sie nahm sich wieder die Ausgabe der Vogue vor, die sie durchgeblättert hatte, bevor sie eine andere Zeitschrift aussuchte und zur Kasse ging.

»Hey, Kumpel, kannst du vielleicht weitergehen?«

Der Mann hinter ihm, untersetzt, in einen billigen Anzug gekleidet, deutete mit einem Kopfnicken auf Alan, der bereits einige Meter hinter der nächsten Person in der Schlange stand. Alan erwiderte seinen Blick mit blutunterlaufenen Augen und murmelte eine Entschuldigung, bevor er weiterschlurfte. Als er das nächste Mal den Salon absuchte, war die Frau verschwunden, genau wie die beiden Männer am Fenster.

Alan seufzte und kratzte sich am Bart. Sein Gehirn spielte ihm Streiche. Niemand wusste, dass er in Buenos Aires war, geschweige denn, dass er mit der Fähre nach Uruguay reiste. Der Stress der letzten achtundvierzig Stunden hatte ihn paranoid gemacht – und der Schlag gegen den Kopf machte es nicht besser. Er schmerzte immer noch und als er ihn reflexartig berührte, zuckte er zusammen. Der mysteriöse Russe hatte ihm den Lauf seiner Pistole übergezogen und als er zu Boden gefallen war, hatte er seinen Kopf ein weiteres Mal angeschlagen. Der zuständige Arzt hatte Alan geraten, eine Woche lang im Bett zu bleiben – ein Rat, den er selbstverständlich ignoriert hatte. Stattdessen hatte er es vorgezogen, Los Angeles so weit wie möglich hinter sich zu lassen.

Die Schlange bewegte sich vorwärts und er platzierte sein Handgepäck und das Handy auf dem Laufband, damit die Security sicherstellen konnte, dass er weder Waffen noch Heroin nach Montevideo schmuggelte. Der Prozess war knapp und oberflächlich, mehr Show als sonst irgendetwas. Aus Erfahrung wusste er, dass er ein Karbonfasermesser hätte tragen können, das niemand entdeckt hätte, wenn er das wollte. Was er damit auf der Fähre angefangen hätte, wäre die andere Frage – sie war nicht wie ein Flugzeug, das als fliegende Waffe benutzt werden konnte.

An Bord suchte er sich einen Platz am Fenster und blickte auf das Terminal zurück. Die beiden Männer waren zurückgekehrt und sahen das Schiff an. Ein beklommenes Kribbeln machte sich in seinem Magen breit und er kämpfte gegen die Nervosität an. Er brauchte Schlaf, keine Paranoia. Selbst, wenn dort zwei Männer die Fähre beobachteten. Davon gab es wahrscheinlich hunderte im Laufe des Tages, die auf von Bord gehende Passagiere warteten oder ihren abreisenden Liebsten zuwinkten.

Als ob sie seine Gedanken erahnt hätten, drehten sich beide Männer um und entfernten sich von den übergroßen Glasfenstern. Der Schiffsmotor wurde lauter, die Leinen waren gelöst und an Deck befestigt.

Dann waren sie unterwegs, das gleichmäßige Wummern der Motoren verwandelte sich in ein dumpfes Dröhnen, als sich die Drehzahl erhöhte und sie Kurs auf etwas nahmen, das wie das offene Meer wirkte, in Wirklichkeit aber eine riesige Bucht war, wo der Rio de Plata in den Atlantik mündete. Einhundertzwanzig Meilen nördlich erwartete Montevideo seine Ankunft.

Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte erneut. Dieses Mal klingelte es, bevor eine Nachricht verkündete, dass der Empfänger nicht erreichbar war – Jet war also jetzt in der Luft, unterwegs nach Buenos Aires. Er schickte ihr eine SMS, dass er auf dem Weg nach Uruguay war, und schickte dann eine Nachricht mit gleichem Inhalt an ihre blinde E-Mail-Adresse, in der er sie bat, ihn anzurufen, sobald sie in Argentinien angekommen war, und erklärte, dass er sie in Montevideo treffen würde.

Das Schiff nahm Fahrt auf und flog bald mit dreißig Knoten über die Bucht. Alan sah Buenos Aires dabei zu, wie es in der Ferne verschwand, während sie auf dem Weg nach Nordosten waren, parallel zur Küste, mit der Strömung in dieser Richtung auf ihrer Seite, wo sich das Flusswasser ins Meer ergoss.

Die Fahrt war ruhig, und als die Snackbar öffnete, kaufte er sich ein Sandwich und ein Soda, dann setzte sich auf einen Platz an einem Fenster.

Sein Plan war es, ein Hotel in Montevideo zu finden und dort die Nacht zu verbringen und am nächsten Tag Jet zu treffen, sobald sie angekommen war  … und was dann? In Wahrheit hatte er darüber hinaus keinen Plan. Er hatte nach dem Terroranschlag spontan beschlossen, Los Angeles zu verlassen und seine Rücktrittserklärung beim Mossad einzureichen, als er verstanden hatte, was die Zukunft für ihn bereithielt. Weiter, als nach Südamerika zu reisen und auf Jet zu warten, hatte er noch nicht gedacht. Viel hing von Jet ab, und davon, was sie wollte. Sie mussten untertauchen und mit Hannah von vorn anfangen, nachdem sie von der Bildfläche verschwunden waren  … aber abgesehen davon war die Zukunft unklar.

Seine Gedanken wanderten zu Jet. Die Exfreundin seines Bruders, die Mutter des Kindes seines Bruders, die schönste Frau, der er je begegnet war und so tödlich wie Belladonna. Diese Eigenschaft teilte Alan mit ihr; er war nur in wenigen Dingen Experte – dem Suchen und Ausschalten von Zielen in Undercover-Missionen, wo er in ständiger Gefahr schwebte. Was würde er tun, jetzt, wo er beim Mossad gekündigt hatte? Einen Eckladen eröffnen? In einer Fabrik arbeiten? Als Versicherungsvertreter?

Alan machte sich keine zu großen Sorgen um seine direkte finanzielle Zukunft; er hatte es geschafft, eine größere Menge Geld auf seinen operativen Konten zurückzulegen, als er im Jemen gewesen war, und hatte nie sein Gehalt verprasst. Er hatte also genug für einige Jahre. Und natürlich war Jet jetzt stinkreich – aber es war nicht sein Geld, und er war unsicher, was er davon halten sollte, von ihr abhängig zu sein. So oder so musste er eine Möglichkeit finden, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das würde sich schon ergeben, nahm er an. Zuerst musste er sich entscheiden, wo er in einer Woche sein wollte, dann konnte er sich darum kümmern, wie es langfristig weitergehen sollte.

Die Chemie zwischen ihnen stimmte auf jeden Fall. Sie war eine berauschende Ansammlung von Widersprüchen und nach Jahren der Einsamkeit fühlte er ihren unwiderstehlichen Sog. Die Anziehung schien beidseitig zu sein, aber er wollte nichts erzwingen. Was auch immer geschehen sollte – falls etwas geschehen sollte – würde von allein kommen.

Nachdem er aufgegessen hatte, kehrte er zu seinem Platz zurück und döste ein. Das sanfte Schaukeln des Schiffs brachte die Erschöpfung der langen Reise zurück. Er hatte gerade begonnen, von fesselnden smaragdgrünen Augen zu träumen, als ihn eine Hand an der Schulter wachrüttelte. Er schreckte auf und griff instinktiv nach dem Handgelenk und bereitete sich darauf vor, zuzuschlagen, bevor er sich entspannte, als er sah, dass es nur ein Crewmitglied war.

Alan löste seinen Griff und zwang sich zu voller Aufmerksamkeit.

»Was ist?«, fragte er benommen.

»Entschuldigen Sie, Sir  … wir suchen nach einem Angel Perozzi«, sagte der Mann.

»Und?«

»Sind Sie Señor Perozzi?«

»Nein. Warum suchen Sie ihn?«

Das Besatzungsmitglied blickte unsicher und zuckte dann mit den Schultern. »Wir ordnen die Reisenden den Fahrzeugen zu und er ist der Einzige, der noch fehlt – sein LKW ist an Bord, aber er hat seine Papiere nicht abgegeben. Es ist kein Problem. Danke für Ihre Zeit«, sagte er und wandte sich der nächsten Sitzreihe zu.

»Oh, okay. Was für ein Fahrzeug?«

Der Mann überprüfte sein Klemmbrett. »Hier steht nur LKW.«

»Passiert so etwas öfter?«, fragte Alan und das beklemmende Kribbeln kehrte zurück.

»Das ist das erste Mal. Aber ich arbeite erst seit sechs Monaten hier.«

»Na ja, viel Glück. Wo sind die Autos überhaupt geparkt?«

»Auf dem untersten Deck, aber der Bereich ist abgesperrt, bis wir kurz vor dem Hafen sind, damit niemand nach unten gehen kann. Unternehmensvorschrift.«

»Ah. Er wird wohl kaum schwimmen gegangen sein, Sie werden ihn schon finden. Warum machen Sie nicht einfach eine Durchsage über die Sprechanlage?«

»Sie ist kaputt. Nun gut, schlafen Sie ruhig weiter, Sir. Es tut mir leid, Sie gestört zu haben.«

»Kein Problem«, sagte Alan und schloss die Augen wieder, doch sein Verstand kam nicht zur Ruhe.

Es war wahrscheinlich gar nichts. Der Fahrer war auf der Toilette oder irgendwo auf der riesigen Fähre eingeschlafen. Trotzdem spürte er ein nervöses Flattern im Magen. Im Einsatztraining hatte er gelernt, niemals auch nur die kleinsten Unstimmigkeiten zu ignorieren. Sie konnten den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.

Aber du bist nicht mehr auf einer Mission. Du bist fertig, hast das hinter dir gelassen. Das ist nur der Rest von der Anspannung nach einem knapp überlebten Terroranschlag oder eine Nebenwirkung von dem Schlag gegen den Kopf.

Er versuchte wieder einzuschlafen, aber sein Verstand erlaubte es ihm nicht. Er rutschte auf dem Sitz hin und her, um eine komfortablere Position zu finden, aber seine Gedanken drehten sich im Kreis, spielten Szenarios durch. Was hatte das zu bedeuten? Bestand doch Gefahr? Wenn ja, von wem und warum?

Nachdem er zehn Minuten lang ergebnislos versucht hatte einzuschlafen, ergab er sich dieser matten Rastlosigkeit, die mittlerweile seine Realität bestimmte, und öffnete ein Auge einen Spalt weit. Der Steward kam zurück, nachdem er das andere Deck abgesucht hatte. Alan fing seinen Blick ein und der Mann schüttelte mit einem weiteren Schulterzucken den Kopf, bevor er auf die Treppen zum nächsten Deck zuging und sie hinaufstieg.

Das Alarmgefühl war nun stärker geworden. Vielleicht war alles in Ordnung. Oder vielleicht war etwas ganz falsch.

Er stöhnte hörbar und traf dann eine Entscheidung.

Irgendwie musste er auf das Unterdeck kommen und den Truck finden, der dem verschwundenen Fahrer gehörte. Nur, um sich zu beruhigen. Das war alles. Es war wahrscheinlich gar nichts und er übertrieb einfach und suchte nach einem Notfall, nach einer Bedrohung, wo keine existierte. Er wusste, dass es ein Nebeneffekt davon war, in ständiger Gefahr zu leben, undercover im Einsatz, wie er es jahrelang bei der Terrorzelle im Jemen gewesen war. Man kam nach Hause und mähte den Rasen und war auf einmal fest davon überzeugt, dass der Nachbar einen beobachtete, oder dass in jedem Auto, das die Straße entlangkam, Schützen saßen, die gekommen waren, um dich auszuschalten. Das war Teil des Jobs.

Trotzdem, es konnte nicht schaden, nachzusehen.

Alan stand auf, hängte sich seine Tasche über die Schulter und ging auf die Treppen zu, die zum Hauptdeck führten. Er blickte auf seine Uhr – sie waren seit einer guten Stunde unterwegs, hatten also noch zweieinhalb vor sich, bevor sie in Uruguay ankamen.

Ein kurzer Blick würde ganz schnell gehen.

Nur, um sicherzugehen. Sonst nichts.

Um seine Gedanken zu beruhigen.

Er musste nur herausfinden, wie er in einen verschlossenen, möglicherweise bewachten Frachtraum auf einem Schiff kommen sollte, das mit Höchstgeschwindigkeit durchs Wasser schoss, um dort Schatten nachzujagen.

Kinderspiel.

Kapitel 2

Auf dem Hauptdeck wanderte Alan die Länge des Schiffs entlang und versuchte sich ein Bild von dem Fußverkehr dort zu verschaffen, und davon, wie viele Besatzungsmitglieder ihren Rundgang machten. Auf etwa halber Strecke fand er das Treppenhaus, das in den Bereich führte, in dem die Autos transportiert wurden, doch es war mit einer Kette abgesperrt. Zum Glück waren beinahe alle Passagiere auf den oberen Decks und bestaunten die Küste, die in der Ferne an ihnen vorbeiflog. Nach einigen Augenblicken, die er sich in der Nähe herumdrückte, duckte er sich unter der Kette durch und machte sich leise auf den Weg die Treppen hinunter.

Tiefer im Inneren des Schiffs war das gleichmäßige Dröhnen der Maschinen ausgeprägter. Zehn Meter weiter kennzeichnete ein Schild über einer Doppeltür den Parkbereich, und er schlich langsam und auf jedes Lebenszeichen achtend darauf zu. Soweit er wusste, war außer ihm niemand auf diesem Deck.

Die Türen waren verschlossen, aber das Schloss war ein älteres Modell, primitiv und kein großes Hindernis für ihn. Bei diesem Winkel ein Kinderspiel, den Riegel mit einer Kreditkarte zu verschieben. Er zog eine Karte aus seiner flachen Brieftasche und hatte Sekunden später die Tür geöffnet.

Das Innere des Fahrzeugraums war dunkel und Alan musste seinen Handybildschirm benutzen, um ihn zu beleuchten. Das Handy vor sich haltend suchte er nach den Trucks. Der charakteristische Geruch von Benzin und Motoröl vermischte sich mit Gummi und Abgasen zu einem drückenden Ambiente, und er war froh, wieder von hier verschwinden zu können, sobald er seinen Verstand beruhigt hatte.

In der Nähe des Hecks erkannte er die charakteristischen Silhouetten von LKW-Ladeflächen und ging zielstrebig darauf zu. Ein dunkelblauer LKW mit dem Logo eines multinationalen Anlagenbauers war ihm am nächsten, doch eine kurze Untersuchung enthüllte nichts Verdächtiges. Er hatte befürchtet, sich mit Vorhängeschlössern an den Pritschen herumschlagen zu müssen, aber es gab keine – wahrscheinlich eine Zollvorgabe.

Der nächste LKW war leer, er kehrte unbeladen aus Argentinien zurück.

Der zwölf Meter lange Container des dritten LKWs war verschlossen.

Alans Nackenhaare stellten sich auf und die leichte Nervosität in seinen Eingeweiden flammte zu echter Panik auf. Keiner der anderen LKWs war verschlossen. Diese Unstimmigkeit war ein schlechtes Zeichen.

Er untersuchte das Vorhängeschloss. Ein Industriemodell, ziemlich schwer zu knacken.

Aber nicht unmöglich.

Das einzige Problem war, dass er keine Dietriche hatte.

Alan ging zu den Autos und suchte die Innenräume nach etwas ab, das hilfreich wäre. Nachdem er fünf Fahrzeuge durchwühlt hatte, begann er damit, die Kofferräume zu öffnen, in der Hoffnung auf einen Werkzeugkasten. Laut den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung musste zumindest eines der Fahrzeuge irgendeine Art von Werkzeug haben, das er benutzen konnte.

Bei einem älteren Ford wurden seine Mühen schließlich belohnt. Ein roter Kasten mit einem vollen Satz Werkzeuge, die aussahen, als wären sie für Rohr- und elektrische Arbeiten bestimmt, lag in dem Kofferraum. Er fand schnell ein paar, die ihm von Nutzen sein konnten, dazu noch etwas steifen Draht, und er begann sich einen Satz primitiver Dietriche zu bauen. Er bog den dicken Metalldraht mit zwei Zangen zurecht und kappte den Rest mit einem Drahtschneider, als er fertig war.

Drei Minuten später war er wieder an dem LKW, schob die kruden Werkzeuge in das Schloss und hoffte, dass die Bolzen mitspielen würden. Ein Schweißtropfen lief seine Stirn hinab und blieb an seiner Nasenspitze hängen, während er sich auf seine Aufgabe konzentrierte. Nach einigen fruchtlosen Versuchen sprang der Mechanismus mit einem Klicken auf.

Er zog den Bügel aus dem Gehäuse und legte es auf dem Stoßdämpfer zur Seite, dann hievte er die Tür auf. Das Geräusch hallte in dem geschlossenen Raum wie Kanonenfeuer von den Wänden wider. Alan zuckte zusammen, vergaß aber seine Vorsicht, als ihn ein überwältigender Gestank überrollte. Das Unbehagen in ihm explodierte wie eine Supernova, als er mit dem schwachen Handylicht die hoch aufgestapelten Säcke beleuchtete. Er kannte diesen Geruch nur zu gut.

Die Tür zum Frachtraum flog laut klappernd auf und er duckte sich zwischen die umstehenden Autos. Harsche Lichter sprangen flackernd an, bevor eine Stimme erklang.

»Wir wissen, dass jemand hier ist. Komm raus. Du kannst nicht entkommen – es gibt nur einen Weg nach draußen«, warnte eine männliche Stimme.

Er schielte zu dem Container hoch. Es war nur eine Frage der Zeit, bevor sie den offenen LKW und die Autos mit den offenen Kofferräumen fanden. Er überlegte, ob er den Anweisungen folgen sollte und erklären, was er hier wollte, aber er verwarf die Idee schnell wieder. Er musste eine Möglichkeit finden die Besatzung zu warnen und zum Handeln zu zwingen, ohne involviert zu werden oder Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das bedeutete, dass er es auf die andere Seite des Frachtraums schaffen musste. Wenn er an der Besatzung vorbeischleichen konnte, während sie mit dem LKW beschäftigt waren, hatte er eine Chance.

»Komm schon. Es macht doch keinen Sinn. Zeig dich«, drängte eine andere Stimme. Es waren also mindestens zwei.

Schritte erklangen auf dem Metallboden und kamen vorsichtig näher. In der Hoffnung, dass man ihn über das Geräusch nicht hören konnte, schlich Alan langsam von dem LKW weg und bewegte sich in Richtung der nächsten Wand, wo er hinter einem Kombi in Deckung ging. Sein Timing musste perfekt sein, damit er in dem Moment zur Tür kam, in dem sie den LKW erreichten, und er musste ein gutes Stück zurücklegen – mindestens einhundert Meter.

Der einzige Vorteil war, dass die Besatzungsmitglieder sich keine Mühe gaben, ihr Näherkommen zu verbergen. Das Geräusch ihrer Stiefel auf dem Deck klang wie Trommelschläge, selbst gegen die Motorengeräusche. Alan tastete sich die Wand am gegenüberliegenden Ende des Frachtraums entlang, duckte sich hinter Autos und spähte durch Windschutzscheiben, um zu sehen, wo sie waren.

»Hey, Sergio. Schau dir das an«, flüsterte einer der Männer zehn Meter entfernt und zwei weitere Paar Stiefel bewegten sich auf ihn zu. Sie hatten die geöffneten Kofferräume gesehen. Ihm rannte die Zeit davon.

Er hastete in Richtung der Tür und hatte bereits drei Viertel der Strecke zurückgelegt, als seine Tasche hörbar gegen eines der Fahrzeuge schlug. Sein Atem stockte und er erstarrte, wartete auf ein Zeichen, dass sie ihn gehört hatten, und entspannte sich einige Sekunden später. Er musste vorsichtiger sein – die Erschöpfung ließ ihn unvorsichtig werden.

Den Ausgang vor Augen beschleunigte Alan seine Schritte. Er war beinahe dort, als hinter ihm eine Stimme erklang: »Keine Bewegung.«

Alan wägte ab, ob er rennen sollte, aber er unterdrückte den Impuls. Langsam legte er seine Tasche neben sich ab, dann hob er die Hände über den Kopf. Stiefel kamen näher und er lauschte konzentriert, versuchte seine Bewegungen richtig zu timen – es wäre ein Kinderspiel, das Besatzungsmitglied zu entwaffnen, wenn er eine Pistole hatte. Die Chancen dafür standen gut, dem gebrüllten Befehl nach zu schließen.

Sein Körper spannte sich an, bereit herumzuwirbeln und die Beine des Besatzungsmitglieds wegzutreten, dann wurde alles schwarz, das charakteristische Plopp eines Schlagstocks gegen seinen von der Verletzung bereits mitgenommenen Hinterkopf war das Letzte, was Alan wahrnahm, bevor er das Bewusstsein verlor.

***

Alan kam auf dem Boden eines kleinen Raumes mit Metallwänden und einem hohen, rechteckigen Fenster zu sich. Die gesamte Kammer war in einem schäbigen Grau gestrichen und stank nach Schimmel. Drei Männer standen neben der Stahltür, die Arme verschränkt, und beobachteten ihn misstrauisch. Er fasste sich an den Kopf und betastete vorsichtig die frische Beule, dann blickte er auf seine Finger. Daran klebte etwas Blut, aber es hätte schlimmer sein können.

»Er ist wach«, sagte das kleinste Besatzungsmitglied, sein grobschlächtiges Gesicht wirkte unbarmherzig in dem spärlichen Licht.

»Sieht etwas mitgenommen aus, oder?«, fragte der Mann neben ihm kopfschüttelnd, bevor er sich an Alan wandte: »Sie sind verhaftet. Wir werden Sie in Polizeigewahrsam übergeben, sobald wir in Montevideo sind, das ist in …«, er blickte auf seine Armbanduhr, »anderthalb Stunden.«

Der Raum verschwamm, als Alan sich aufzusetzen versuchte. Er wartete einige Sekunden, dann versuchte er es noch einmal, dieses Mal erfolgreich. Er sagte nichts, sondern blieb still, während er seine Gedanken ordnete.

Das dritte Besatzungsmitglied warf ihm ein weißes Handtuch zu. »Halt dir das an den Kopf. Es ist nicht so schlimm, aber du wirst die Blutung stoppen wollen.«

Alan streckte die Hand zu der Stelle aus, wo es auf dem Boden gelandet war und Schmerz explodierte in jedem Winkel seines Bewusstseins. Er knüllte das Handtuch zusammen und presste es gegen die Beule, dann begutachtete er mit blutunterlaufenen Augen die Männer, bevor er sprach.

»Es ist nicht so, wie es aussieht«, begann er.

»Natürlich nicht. Ich meine, vielleicht müssen wir Sherlock Holmes rufen oder so was. Schauen wir mal. Wir haben einige aufgebrochene Autos, einen aufgebrochenen LKW, ein geknacktes Schloss … nein, der Fall ist auf jeden Fall eine harte Nuss«, spottete das kleinere Besatzungsmitglied. Seine Kameraden kicherten.

»Die Autos waren alle unverschlossen. Ich habe sie nicht aufgebrochen.«

»Spar dir das für die Polizei. Vielleicht interessieren die sich für die technischen Feinheiten. Mir sind sie egal.«

»Du verstehst das nicht. Wir schweben in Gefahr. Alle auf dem Schiff. Der LKW …«

»Gefahr? Wovon zur Hölle redest du da?«, unterbrach ihn der mittlere Mann.

»Der LKW. Er ist voller Dünger. Es ist eine Bombe.«

»Natürlich.«

»Im Ernst. Das Ammoniumnitrat in dem Dünger fungiert als Sprengstoff, wenn man die richtige Kombination aus Inhaltsstoffen benutzt. Dieser LKW ist voller Dünger. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass irgendwo ein Zünder ist, in dem massenhaft Brennstoff oder vielleicht Semtex steckt. Wenn ich recht habe, dann wäre die Explosion groß genug, um das Schiff zu zerstören.«

Die Männer tauschten Blicke aus.

»Ach so, also bist du gar kein Dieb, sondern wir retten die Menschheit vor … vor was genau? Einem LKW voller Scheiße? Mach dich nicht lächerlich.«

»Es ist die Wahrheit.«

»Für die Bullen musst du an der Story noch arbeiten.«

Alan schüttelte frustriert den Kopf. Eine schlechte Idee, wie ihm das aufkommende Schwindelgefühl erneut klarmachte.

»Woher wusste ich dann, dass ich in den LKW schauen musste?«, konterte er.

»Hmm, harte Nuss. Wir haben jeden gefragt, ob er der Fahrer des LKWs im Frachtraum ist. Also schauen wir mal. Du hast dir spontan eine Story zusammengesponnen und dieses absurde Szenario als Deckung für deinen Einbruch benutzt? Gut genug für mich.«

Die Männer lachten wieder.

»Ihr müsst mir zuhören.«

»Nein, ich denke, du musst verstehen, dass die Spielchen vorbei sind. Wir haben dich auf frischer Tat dabei ertappt, wie du Autos aufgebrochen hast. Du hattest Dietriche. Und du hast drei Pässe mit verschiedenen Namen. Wenn das nicht nach einem Kriminellen klingt, weiß ich auch nicht mehr. Also spar dir die Ammenmärchen. Niemand kauft sie dir ab.«

»Das ist ein Riesenfehler. Wir schweben alle in Gefahr.«

»Ich weiß. Ich kann es spüren. Die Welt geht bald unter. Es sind die Maya.«

Mehr Gelächter.

Alans Stimme wurde fester. »Lasst mich mit dem Kapitän sprechen.«

»Aber natürlich. Wir werden Sie in Kürze dorthin begleiten. Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas anbieten? Ein Sorbet? Vielleicht einen Champagner?«

»Hört mir zu …«

»Es reicht. Ich gehe nach unten und sehe mir den Truck an, nur um zu bestätigen, dass du Scheiße redest. Aber hör auf, mich mit diesen Märchen zu langweilen.«

»Nein … wenn du nicht weißt, was du tust, könntest du einen Mechanismus auslösen …«

»Ach ja, richtig. Weil der LKW eine Bombe ist. Jemand möchte die Fähre nach Uruguay in die Luft jagen. Aus welchem Grund genau?«

Alan drehte den Kopf zu schnell und zuckte vor Schmerz zusammen. »Ich … ich weiß es nicht …«, gab er zu. Es klang sogar für ihn schwach.

»Riiiichtig. Einfach so.« Der kleinere Mann sah seine Gefährten an. »Wir sind hier fertig. Sperrt ihn ein«, sagte er und öffnete die Tür. Die anderen Männer folgten ihm nach draußen.

»Ihr macht einen Fehler …« Das Klirren der zufallenden Stahltür, gefolgt von dem Riegel, der kratzend vorgeschoben wurde, schnitt seinen Protest ab.

Alan wusste, dass er recht hatte. Der Dünger, das Schloss, der verschwundene Fahrer … und diese Idioten würden es zulassen und sie alle umbringen.

Er musste hier herauskommen. Er hatte sein Bestes getan, sie zu warnen. Alan hatte keine Zweifel daran, dass der LKW eine Bombe war, und wenn diese Idioten dafür verantwortlich sein wollten, jeden Passagier an Bord mit ihrer Fahrlässigkeit umgebracht zu haben, dann konnte er sie nicht davon abhalten, aber er würde bestimmt nicht Teil dieser Statistik werden.

Er stellte sich unsicher auf die Beine, schritt auf das große, rechteckige Fenster zu und untersuchte das Glas und die Dichtung am Rand, bevor er wieder für einen Moment vom Schwindel überwältigt wurde und sich hinsetzen musste. Dem Kielwasser und den Motorengeräuschen nach zu urteilen, war er etwa auf Höhe des Wasserspiegels in Hecknähe. Was er mit dieser Information anfangen sollte, war eine andere Frage, aber so oder so; er musste etwas tun.

Kapitel 3

»Er hat recht – es ist Dünger«, murmelte Gustavo, der Besatzungschef, zu seinen Untergebenen. Die zwei unglücklichen Besatzungsmitglieder tauschten besorgte Blicke aus.

»Also kann es sein, dass es eine Bombe ist?«, fragte einer von ihnen.

»Das glaube ich nicht im Geringsten. Ich glaube, er hat sich einfach eine Story mit dem ausgedacht, was er zur Verfügung hatte, damit es nicht so aussieht, als hätte er genau das getan, wonach es aussah«, sagte Gustavo. »Habt ihr nie diesen Film gesehen? Keyser Söze«, er knurrte den Namen mit heiserer Stimme, »ein pathologischer Lügner.«

»Aber warum? Es wird alles auffliegen, wenn die Bullen ihn verhören. Was ist, wenn sie feststellen, dass es keine Bombe ist, sobald wir im Hafen ankommen?«

»Er kann das als Verteidigung benutzen – er dachte, dass es so wäre, und hatte Angst, dass es so war, aber es stellte sich heraus, dass er Unrecht hatte. So kann er behaupten ein Held zu sein; wenn auch ein fehlgeleiteter.«

»Warum durchsuchen wir den LKW nicht jetzt und beweisen, dass es unwahr ist?«

»Es ist nicht unser LKW. Wir haben keine Erlaubnis, ihn zu durchsuchen – er ist fremdes Eigentum. Wir haben keinen hinreichenden Verdacht. Und an allererster Stelle habe ich keine Lust, mich durch zwanzigtausend Pfund Mist zu wühlen.« Gustavo schüttelte den Kopf. »Apropos, haben wir mittlerweile den Fahrer gefunden?«

Beide Besatzungsmitglieder schüttelten den Kopf. »Nein. Die Sache hier hat uns etwas abgelenkt.«

»Das ist das einzige beunruhigende Puzzlestück. Findet den Fahrer und ich werde mir gar keine Sorgen mehr machen«, wies Gustavo sie an.

»Wir suchen weiter.« Das erste Besatzungsmitglied zögerte. »Was sollen wir jetzt machen?«

»Ich sage dem Kapitän Bescheid und wir funken den Hafen an, damit ein paar Polizisten bereitstehen, um ihn festzunehmen. Mehrere Ausweise mit verschiedenen Namen müssen illegal sein. Was auch immer er vorhat, es ist nichts Gutes. Soviel steht fest. Dass er überhaupt in den Fahrzeugbereich gekommen ist, bedeutet, dass er das Schloss auch geknackt hat. Nein, das ist ein übler Kerl. Ich wünschte nur, wir hätten den verdammten Fahrer gefunden …«

»Sollen wir das wieder zumachen?«, fragte einer der Männer, mit dem Kopf auf die Containertür deutend.

»Warum nicht? Der Gestank verdirbt mir den Appetit.«

***

Nach fünfundvierzig Minuten, die er damit verbracht hatte, die Fensterdichtung Stück für Stück abzutragen, war sie beinahe vollständig entfernt. Alans Hände waren von dem Unterfangen verkrampft, aber er machte weiter, sich nur zu bewusst, dass er jeden Moment in eine andere Galaxie gesprengt werden konnte. Die Menge an Dünger in dem zwölf Meter langen Container war genug, um selbst ein Schiff dieser Größe in seine Einzelteile zu zerlegen. Der Gedanke trieb ihn an. Seine Kopfschmerzen waren noch immer schlimm, aber das Schwindelgefühl und die Orientierungslosigkeit waren vorübergegangen und er fühlte sich besser als in dem Moment, in dem er sein Bewusstsein wiedererlangt hatte.

Zehn Minuten später sackte das Glas zurück und er konnte die schwere, zentimeterdicke Scheibe ins Wasser treten. Er streckte den Kopf heraus und erkannte sofort, dass die Fähre noch immer mindestens zwanzig Meilen von der Küste entfernt war und sich mit enormem Tempo bewegte. Es wäre Selbstmord von der Seite des Schiffs ins Wasser zu springen – die Schiffsschrauben würden ihn einsaugen und zu Hackfleisch verarbeiten, wenn er es nicht schaffte, weit genug vom Schiff wegzukommen.

Wenn er Glück hatte und den Schiffsschrauben ausweichen konnte, wäre die Wassertemperatur wahrscheinlich zu kalt, um das Dutzend Stunden darin zu verbringen, das er bräuchte, um an Land zu schwimmen. Aus Erfahrung wusste er, dass er in zehn Grad kaltem Wasser ohne Schwimmhilfe bestenfalls fünf bis sechs Stunden überleben würde – und er wäre nahezu gelähmt für die letzten drei, und das, obwohl er körperlich in Topform war.

Er hatte also nicht viele Optionen.

Aber zumindest hatte er jetzt eine Möglichkeit, den geschlossenen Raum zu verlassen. Er zog sich halb durch das Fenster und blickte nach oben. Im Schiffsrumpf befanden sich kleine Einkerbungen, die gute Haltegriffe abgaben, auch wenn es mit dem Wind, der mit vierzig Meilen pro Stunde gegen ihn ankämpfte, schwer werden würde. Der Wind schlug ihm ins Gesicht, als er ein letztes Mal hinausspähte, dann streckte er die Arme über den Kopf, fasste den ersten Griff und zog sich daran hoch. Er musste lediglich vier Meter überwinden, dann wäre er direkt unter dem Hauptdeck, wo er einen kleinen Vorsprung erkannte, an dem er sich zum Heck des Schiffs entlanghangeln konnte.

Dort wo die Gischt getrocknet war, verkrustete Salz die Außenhülle und hinterließ eine schmierige Schicht. Er brachte seine gesamte Kraft auf, um nicht abzurutschen, als er sich höher zog. Dann fanden seine Füße eine Einkerbung und er konnte seine Beine benutzen. Ihm wurde bewusst, dass er hier vollkommen den Elementen ausgesetzt war, ein Fliegenschiss an der Seite eines gigantischen Schiffs und dass die winzigste Fehleinschätzung in einer Katastrophe enden konnte.

Als sich seine Finger endlich um die Kante des Hauptdecks krümmten, spürte er sein Schwindelgefühl zurückkehren und er musste den Rest seiner Kraft aufbringen, um sich den letzten Meter hochzuziehen. Der knappe Vorsprung, an den er sich klammerte, führte zehn Meter hinter ihm zu einem Außendeck am Heck, wo er ein Rettungsboot an einem Kran und andere Notfallausrüstung sehen konnte. Zentimeter für Zentimeter hangelte er sich entlang, bis er unter das Rettungsboot kriechen konnte. Seine Uhr sagte ihm, dass sie in fünfundzwanzig Minuten den Hafen erreichen würden, was bedeutete, dass sie noch immer fünfzehn Meilen von der Küste entfernt waren, aber er wollte es nicht riskieren, noch eine Sekunde länger auf der Fähre zu bleiben.

Alan griff nach den Schwimmwesten, zog sich hektisch eine davon über, griff nach einer zweiten Weste für zusätzlichen Auftrieb und kletterte über die Reling. Er warf einen letzten Blick zurück auf das Schiff, dann blickte er konzentriert auf das Kielwasser, das sich hinter dem großen Schiff herzog und sprang ins Nichts.