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Der früh verstorbene Autor und Verleger Hubert Katzmarz ist als Vertreter einer originell gestalteten, vielschichtigen Fantastik in Erinnerung geblieben. Kollegen, Freunde und Weggefährten würdigen mit ihren Erzählungen den Mann, »der Geschichten machte«. Jeder Beitrag ist eine Verbeugung vor seiner Gabe, die Abgründe des menschlichen Lebens auszuloten. Vertreten in diesem Gedenkband sind Michael Engel, Andreas Fieberg, Thomas Franke, Jörg Isenberg, Boris Koch, Monika Niehaus, Ellen Norten, Malte S. Sembten, Michael Siefener, Christian Thielscher und Jörg Weigand. Mit einem Romanauszug von Hubert Katzmarz als Selbstzeugnis. »Hubert Katzmarz' Prosa ist makellos, es gibt heutzutage wenige Autoren der Fantastik, die sich mit ihm auch nur vergleichen können.« (Jörg Weigand) »Das Interessante an dem Band ist, dass man einen kleinen Eindruck davon gewinnt, welche literarischen Kreise Hubert Katzmarz hinterließ. Eine ganze Reihe von Fantastikautoren nennen ihn als Wegbereiter oder Inspiration. … Und wenn vielleicht die Schar treuer Leser klein ist, so hat doch Hubert Katzmarz dazu beigetragen, dass sie auch … nach seinem Tod eine faszinierende Bandbreite fantastischer Geschichten vorfinden … Traurig, aber in jeglicher Hinsicht fantastisch sind die in Geschichten verpackten Erinnerungen und Gedanken an Hubert Katzmarz … Andreas Fieberg gelang eine herzerwärmende Feier des Verlegers und Autors, der tiefe und andauernde Spuren in der deutschen Fantastik hinterließ. Die Texte in diesem Band beweisen es.« (Ralf Steinberg auf fantasyguide.de zur ersten Ausgabe der Anthologie) Mit einem Titelbild von Thomas Hofmann.
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Seitenzahl: 205
Andreas Fieberg (Hrsg.)
AndroSF 181
Andreas Fieberg (Hrsg.)
ABSCHIED VON BLEIWENHEIM
In memoriam Hubert Katzmarz MMXXIII
AndroSF 181
Der Autor Hubert Katzmarz hat zu Lebzeiten die neue deutsche Rechtschreibung abgelehnt und verfügt, dass seine Werke auch nach seinem Tod nicht verändert werden dürfen. Die alte Rechtschreibung in seinen in diesem Werk veröffentlichten Texten ist Absicht, kein Fehler.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
©dieser Ausgabe: September 2023
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Thomas Hofmann
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Andreas Fieberg
Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 347 5
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 755 8
Das Merkwürdigste – und Beunruhigendste – am Leben ist, wenn es aufgehört hat, so bringt es eine kluge Sentenz auf den Punkt. Der Faden reißt ab, ein Weg endet im Nichts, und der Freund und Chronist steht am Rand der Klippe, wo das Leben unvermittelt weggebrochen ist, und schaut in einen Abgrund. Die Rede ist mitten im Satz verstummt, die letzte Geschichte nicht zu Ende erzählt, das letzte Buch nicht vollendet. Der Stift hat den letzten Buchstaben nicht mehr aufs Papier setzen können, die Hand, die ihn hielt, ist nicht mehr. Der entgeisterte Blick dessen, der zurückbleibt, kehrt um und versucht, den Reichtum eines vergangenen Lebens zu erfassen.
In einer seiner ungeschriebenen Geschichten rückte Hubert Katzmarz ein Gemälde in den Mittelpunkt, das eine Festtafel zeigt. Links und rechts hängt ein Vorhang über dem Rahmen und verbirgt die Ränder des Bildes vor dem Betrachter. Ein Besucher unterhält sich mit dem Museumswärter über das Geheimnis des Kunstwerks. Die Menschen auf dem Bild scheinen ausgelassen zu feiern, trotzdem ist eine unsichtbare Störung, die Anwesenheit einer Bedrohung, zu spüren. Die Feiernden strengen sich ganz offensichtlich an, die Beunruhigung mit Wein, Weib und Gesang zum Schweigen zu bringen. Doch was könnte das sein? Als sich der Museumswärter entfernt, wagt es der Besucher, den Vorhang beiseitezuschieben. Mit am Tisch sitzt, so sieht er, inmitten der Gäste: der Tod.
Dieses Motiv steht exemplarisch für einen Grundzug in Hubert Katzmarz’ Werk. Es zeigt, dass der eine Gedanke für ihn stets gegenwärtig war. Ihn selber dürfte der Herzstillstand aus heiterem Himmel bei Weitem nicht so unvorbereitet wie uns, seine Frau und seine Freunde, getroffen haben. Ich kann nicht glauben, dass das jetzt zehn Jahre her sein soll.
Es macht einen Unterschied, über Leben und Tod zu räsonieren und beides literarisch auszuloten, als tatsächlich damit konfrontiert zu werden. Nimmt man seine Geschichten ernst – todernst –, dann will es scheinen, als habe Hubert Katzmarz, der doch den oberflächlichen Kitzel, den manierierten Knalleffekt, die Pointe um ihrer selbst willen verabscheute, mit seinem Ende seine Botschaften beglaubigt. Die Wahrheiten, die sie bergen, tragen nun den Echtheitsstempel ihres Schöpfers. Leben und Kunst beziehen sich rekursiv aufeinander. Wie in einem Fraktal, einem Phänomen, dem Hubert Katzmarz in anderen Zusammenhängen große Aufmerksamkeit schenkte, enthalten sie sich gegenseitig. »Ich glaube, ich habe es gefunden«, formulierte er am Ende seiner Geschichte Geliebtes Tagebuch selbstironisch. »Deshalb, meine Damen und Herren, nun der Akt ohne Netz und doppelten Boden. Dem Leben so nah, wie man ihm nicht näherkommen kann. Alle Kunst ist Betrug. Diese einzige Sekunde der nackten Wahrheit. Trauert nicht um mich. Lebt wohl!«
Kennengelernt hatte ich Hubert Katzmarz 1984 dank einer Verknüpfung von Zufall und Missverständnis. Für eine Anthologie, die beweisen sollte, dass die damals nicht gut gelittene deutsche Science-Fiction und Fantastik besser als ihr Ruf war, sammelte Hubert Katzmarz Texte von Autoren, die ihm in jüngster Zeit aufgefallen waren. Auch mich hatte eine Anfrage erreicht, aber meine Einsendung war ohne Antwort geblieben. Einen Ratgeber für angehende Schriftsteller legte ich dahin gehend aus, dass es empfehlenswert wäre, den persönlichen Kontakt zu seinen Herausgebern zu suchen, und so stand ich bald vor der Tür eines verdutzten Hubert Katzmarz, dem die fragliche Empfehlung nichts sagte. Ich lernte jenes Domizil in der Bonner Südstadt kennen, das später in abgewandelter Form in seine Kurzgeschichte Heim Suchende eingehen sollte. Die aufwendig klimatisierte Wohnung schirmte ihn gegen die brütende Hitze des Sommers ab, und der Zigarettenrauch der »Player's Navy Cut«, die er damals noch in großen Mengen konsumierte, wurde in langen Fahnen durch die allerorten surrenden und rotierenden Ventilatoren gezogen und machte in der von Jalousien verschatteten Wohnung die Runde.
Hubert Katzmarz’ ehrgeiziges Projekt, »die Kräfte der deutschen Phantastik zu bündeln«, war inzwischen im Sande verlaufen, aber unser Gespräch über die Literaturgattung, für die wir uns – jeder auf seine Art – begeisterten, erlebte ich als äußerst fruchtbar. Wir lagen auf einer Wellenlänge, ging es uns doch um das unverfälschte Geschichtenerzählen, und nicht um Belehrung oder Selbstbespiegelung. Literarische Berührungspunkte waren schnell gefunden, in Ray Bradbury oder Isaac Asimov etwa überschnitten sich unsere Vorlieben. Hubert Katzmarz’ Weltbild war naturwissenschaftlich geprägt, er favorisierte die explizit wissenschaftlich orientierte Science-Fiction. Zu seinem Bedauern segelte mehr und mehr eine Fantasy, die mit der ursprünglichen Ausrichtung des Genres längst nichts mehr gemein hatte, unter dieser Fahne. Ebenso erteilte er esoterischem Geraune, das sich leicht in die Fantastik einfindet, eine klare Absage. All das waren Überzeugungen, denen ich ohne Zögern zustimmen konnte.
Wie man vermuten kann, blieb es nicht bei dieser einen Begegnung, es war der Beginn einer langen Freundschaft. Auf der Suche nach Gleichgesinnten gerieten wir an das, was sich selbst als »die Bonner Literaturszene« bezeichnete. Eine ihrer Keimzellen bestand aus einer Handvoll Studenten, die sich allwöchentlich zu Redaktionssitzungen trafen und ein Heft mit dem sprechenden Titel bon(n)mot herausbrachten. Neben bizarren und im Rückblick höchst amüsanten »Textdiskussionen« gab es auch öffentliche Lesungen, und zwar nicht zu knapp – das Publikum hatte kaum Zeit, die eine zu verarbeiten, da wurde schon die nächste angekündigt.
Das waren prägende Erfahrungen, die Hubert Katzmarz mit ironischer Brechung in den Anfangskapiteln seines Romans Ein Meisterwerk der Weltliteratur verarbeitete. Ein Auszug daraus, der in dieser Anthologie vorgestellt wird, wirft ein Schlaglicht auf Akteure und Ereignisse, die dem Autor damals als Vorlage dienten. Als regelmäßiger Gast der »Wetzlarer Tage der Phantastik« steuerte er zu der Sammlung Die Ewige Bibliothek, die 1990 von den Veranstaltern herausgegeben wurde, eine Novellenfassung des in Arbeit befindlichen Romans bei. Der Roman selber blieb unvollendet, die darin gezeigte Kunstfertigkeit jedoch war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Vieles von dem, was Katzmarz' kurze Prosa auszeichnet, kulminiert hier. Das Werk mit seinem einfallsreich konstruierten Plot und eingängigen Stil ist nicht nur stark in erzählerischer Hinsicht, sondern spiegelt auch deutlicher als sonst seine Weltsicht, den Blick hinter die Fassaden, das Gespür für die verborgenen Verbindungen und Zusammenhänge zwischen den Menschen und zwischen den Dingen des Lebens. Die Bitterkeit, die sonst in drastischen Darstellungen und düsteren Bildern aufscheint, wird hier gedämpft durch einen scharfsinnigen Humor, der beinahe versöhnlich klingt, aber nichts von der inneren Dramatik des Protagonisten wegnimmt.
Zunächst aber war die agile Literaturszene der Wahlheimat Bonn eine Spielwiese, auf der Hubert Katzmarz erste Gehversuche im Bücher- und Zeitschriftenmachen unternehmen konnte, die später in ernsthaftem verlegerischen Engagement mündeten. Am Anfang stand die Aufgabe, mithilfe des heimischen PCs den Publikationen der Kollegen, wie bon(n)mot oder BLitZ – Bonner literarische Zeitung, einen professionellen Auftritt zu verschaffen, und das noch, bevor das Schlagwort vom »desktop publishing« populär wurde. Die Anthologie Bonn literarisch (Bouvier Verlag) schließlich, für die Hubert Katzmarz ebenfalls die Druckvorlage erstellt hatte, führte 1987 zur Gründung eines eigenen Verlags, der damals noch unter dem Namen »Die Mücke« firmierte, Letzteres eine Idee des Mitbegründers Udo Weinbörner.
Nach dessen Weggang stieß ich als Mitgesellschafter zu dem Verlag, der immer Hubert Katzmarz’ Kind blieb und von seiner Vision von Literatur im Allgemeinen und der Fantastik im Speziellen geprägt war. Der kleine, aber äußerst rührige Verlag brachte in der kurzen Zeit seiner Existenz einschlägige Titel wie die Science-Fiction-Anthologie Rettet uns! (1988, herausgegeben von Jörg Weigand), die SF-Satire Minimom (1988) von Christoph Güsken, die feine Kurzgeschichtensammlung Der Störfaktor (1988) von Jörg Weigand und den viel beachteten Roman Die Mission der Päpstin Johanna (1990) von Monika Niehaus-Osterloh heraus – dieser Titel markierte auch die letzte gemeinsame Edition vor meinem Rückzug aus dem Verlag. Unter Hubert Katzmarz' alleiniger Ägide reüssierte Michael Siefener mit dem Erzählungsband Bildwelten (1993), veröffentlichte Manuel van Loggem den gewitzten Roman Das Liebesleben der Priargen (1994), und auch meine Kurzgeschichtensammlung Der Traumprojektor (1992) hatte Gnade in den Augen des ehemaligen Mitstreiters gefunden. Der süße Duft des Bösen schließlich (1996, wiederum herausgegeben von Jörg Weigand), ursprünglich für den Verlag Hubert Katzmarz geplant und schon als Buchblock fertiggestellt, erschien dann im Verlag des EDFC. Die Fantasia-Reihe des EDFC war es im Übrigen auch, in der Hubert Katzmarz zu dieser Zeit viele seiner eigenen Geschichten veröffentlichte, da allerdings unter Pseudonym. 1997 brachte er im Nachgang zu seiner verlegerischen Tätigkeit noch Michael Siefeners Roman Die Nonnen als liebevoll gestalteten Privatdruck heraus.
Aber auch außerhalb der Fantastik hatte er sich als Verleger für Autoren stark gemacht, deren Literatur ihm am Herzen lag, hier wären Giorgos Krommidas mit Ithaka (1989) oder Manuel van Loggem mit Tod im Topf (1990) hervorzuheben, daneben würdigte er das Erzähltalent seines Vaters Josef Katzmarz mit der Herausgabe der Sammlung Zwischenzeiten. Geschichten aus dem Ruhrgebiet (1992), die inzwischen an der Universität Bochum als markanter Vertreter für die Literatur »aus dem Pott« behandelt wird – woran auch das Lektorat durch den Verleger, der für die adäquate Verschriftung des »Ruhrgebietsdeutsch« sorgte, seinen Anteil hatte.
Obwohl Hubert Katzmarz ab Mitte der 90er-Jahre aus gesundheitlichen Gründen auf weitere Buchprojekte verzichten musste, blieb er der Literatur und namentlich der SF- und Fantastik-Szene als Verleger treu. Zusammen mit Michael Siefener, der sich bekanntermaßen rasch einen Namen in dem Genre gemacht hatte, brachte er ein Magazin heraus, das sich den Erzählungen einer breit gefächerten Fantastik verschrieben hatte. Ursprünglich sollte dieser »Story-Reader für Phantastik« den Titel »Ikaros« tragen, doch nachdem das – nicht ganz ernst gemeinte – Bedenken geäußert wurde, dass diese Sagengestalt jene gewesen sei, die abstürzte, gingen die Herausgeber auf Nummer sicher und entschieden sich mit einem Augenzwinkern gegen das schlechte Omen und für die naheliegende Alternative: daedalos. Das Magazin erschien von 1994 bis 1996, zwischendurch gab es eine Zwangspause, dann wurde das Magazin 1998 wiederbelebt und erschien bis zum Jahr 2000. Der Versuch eines Neuanfangs im Jahr 2002 brachte nicht den erhofften Erfolg. Dessen ungeachtet waren viele von den in daedalos vertretenen Autoren bereits oder sind seither zu einer festen Größe geworden, und etliche von ihnen finden sich auch in diesem Gedenkband wieder, wie Jörg Isenberg, Boris Koch, Monika Niehaus, Malte S. Sembten, Michael Siefener, Uwe Voehl oder Jörg Weigand.
Es gab Zeiten, da drohte hinter Hubert Katzmarz’ Tätigkeit als Verleger sein Wirken als Autor zu verschwinden, dabei war doch erst sein eigenes Schreiben Ausgangspunkt und Triebfeder für das literarische Engagement im Dienste Dritter gewesen. Bis zum Schluss übte er den Spagat zwischen Verlegerdasein und einem Leben als Autor. Es war ja keineswegs so, dass da ein Verleger in seinen Mußestunden selber zur Feder griff, sondern vielmehr ein leidenschaftlicher Schriftsteller aus der Not heraus verlegerisch tätig wurde, um die Verbindung zur Literatur wirtschaftlich fruchtbar zu machen. Dass auch dieser Traum platzte, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist, dass Hubert Katzmarz jeden der beiden Äcker mit dem gleichen kompromisslosen Einsatz bestellte. Er schenkte sich nichts, ging bis an die Grenzen, die ihm seine komplizierte Lebenslage setzte. Erst sehr spät besann er sich darauf, sich selbst zu schonen. Seine Duldsamkeit nahm oft Züge der Selbstzerstörung an, nur dort, wo er sich im Existenziellen bedroht fühlte, pochte er auf sein Recht oder vielmehr auf das, was davon noch übrig geblieben war. Immer ging er den schweren Weg, einen anderen gab es für ihn nicht. Vor ihm lag eine kafkaeske Zusammenballung von Hindernissen, die es zu überwinden galt. Angefangen bei einer in der Kindheit qualvoll abtrainierten Linkshändigkeit, massiven Allergien, einer angegriffenen Gesundheit, über eine allgegenwärtige Bürokratie, mit Finanzbeamten, die in seinen Augen eine sadistische Freude daran hatten, ihn in ausweglose Situationen zu bringen, sowie einer Politik, die Kleinunternehmern wie ihm das Leben schwer machten, administrativen Anordnungen, die wie Knüppel zwischen seinen Beinen waren, bis hin zu einem schon kulturfeindlich zu nennenden Bonner Umfeld mit einem an heimischen Literaturprojekten wenig interessierten lokalen Feuilleton.
Zu Anfeindungen, Behördenwillkür, Diskriminierungen und biografischen Verwerfungen gesellten sich, als wäre all das noch nicht genug, immer wieder aufflackernde Selbstzweifel. Nicht selten sind es ja gerade die Großen, die davon geplagt werden. So erging es auch Hubert Katzmarz, der sich als Autor allzu oft selber im Wege stand. Auszeichnungen spielte er herunter oder leugnete sie gar, das Interesse von Förderern und Fürsprechern wehrte er bescheiden ab, vielversprechende Verlagsverträge schlug er aus, weil er sich den damit verbundenen Verpflichtungen nicht gewachsen fühlte. In einer seltsamen Spiegelung nahm die Öffentlichkeit, die er erreichte, diese kritische Haltung auf und schien ihn damit zu bestätigen. Die Zuflucht zu einem Pseudonym – Bertram Kuzzath – bot nur trügerischen Schutz. Warum auch hatte er ausgerechnet dieses Pseudonym gewählt? Handelte es sich doch um ein Anagramm seines Namens, so als wollte er sagen, seht her, ich maskiere mich, damit ihr mich erkennt. Ursprünglich ein Kunstgriff seines raffiniert verschachtelten Romans, in dem der Held Bertram Kuzzath seinem Ur-Ahn Zamburt Zarthek (ebenfalls ein Anagramm) nachspürt, benutzte er es bald auch für seine anderen Publikationen.
Zum Glück ist die Frage nach der Qualität seiner Texte mittlerweile geklärt. Wie groß der beiderseitige Irrtum von Leserschaft und Autor gewesen war, erwies sich spätestens mit der posthumen Sammlung von verstreuten Geschichten in dem Band »Nachtwanderung« (Verlag Medusenblut, 2004), und letzte Zweifler wurden mit der zweibändigen Werkausgabe (»Schattenspiel«/»Alptraumhaft«), 2013 in der p.machinery erschienen, eines Besseren belehrt.
Als Autor war Hubert Katzmarz, wie bereits angedeutet, familiär vorgeprägt, denn auch sein Vater schrieb mit Ambition und mit Erfolg. Schon sehr früh hatte der junge Katzmarz seinen ersten Text zu Papier gebracht (Die Geschichte vom fliegenden Fisch), der auch aus heutiger Sicht noch zu beeindrucken weiß. Hellsichtig nimmt er ein Leitmotiv vorweg, das für Hubert Katzmarz' Leben bestimmend werden sollte: der Kampf gegen die Zumutungen des Lebens und die Forderung der Mitwelt, Erwartungen zu entsprechen, die vermeintlich Glück bringend, in Wirklichkeit aber unangemessenen und verfehlt sind – dies als eine Erfahrung, die er mit uns allen, die sich nach individueller Freiheit und einem selbstbestimmten Leben sehnen, teilte.
Überschattet wurde Hubert Katzmarz’ Werdegang von einer latenten Form der Epilepsie, deren Diagnose im Elternhaus selbst vor dem Heranwachsenden verschwiegen wurde, der nicht ahnte, welche Ursache das »ungebremste Feuern sämtlicher Synapsen« hatte, wie er es später beschrieb, und das ungefragte Bilderfluten heraufbeschwor. Von seiner Umwelt blieben diese nur Sekunden währenden Absenzen in der Regel unbemerkt, nur enge Vertraute ahnten, was dann in ihm vorging. Seine Ideenflucht zeigte ihm ungezählte Gestaltungsmöglichkeiten und Alternativen auf, die alle zu verfolgen unmöglich war, zumal wenn sie einander ausschlossen. So konnte es nicht selten passieren, dass sich seine überbordende Vorstellungskraft selber lahmlegte. Umso erstaunlicher ist das Werk, das er trotz aller Hemmnisse geschaffen hat. Auf seine Art war Hubert Katzmarz ein produktiver Autor – sein Werk geht nicht in die Breite, sondern in die Tiefe, was in meinen Augen von größtem Wert ist.
In der Geschichte hat eine epileptische Erkrankung große Persönlichkeiten – auf dem Gebiet der Literatur wäre etwa Dostojewskij zu nennen – nicht daran gehindert, Großes zu vollbringen. Im Gegenteil, es hat den Betroffenen zu einem anderen Blickwinkel verholfen. Die Perspektive von Wahrnehmung und Denken ist oft nur um ein Iota verschoben, das indes ausreicht, um in Verbindung mit einer Begabung eine schrecklich vertraute Welt zu öffnen, die sich unter ihrem Blick zu neuen Horizonten weitet. Die Ergebnisse sind andersartig und dennoch auf frappierende Art plausibel. Weniger die gesundheitliche Einschränkung der Epilepsie an sich, als vielmehr das durch sie veränderte Erleben und die verschobene Wahrnehmung der Welt spiegeln sich in Hubert Katzmarz’ Literatur wider.
Er war vielleicht von Anfang an eher als seine Umgebung in der Lage, die Knoten, Verwicklungen und Ungereimtheiten des Lebens zu erkennen, denn sein eigenes Denken und Erleben war stets davon herausgefordert, die Knoten zu lösen – oder kunstvoll zu umgehen –, auf die er unablässig stieß.
Das alles zusammengenommen – das literarische Talent und die Herausforderungen, die es zu meistern galt – schickten seinen wachen und luziden Geist auf Wege abseits ausgetretener Pfade. Die Welt, durch Hubert Katzmarz’ Augen gesehen, ist eine andere Welt, und in seinen Werken hat er sie nachgestaltet. Seine Sicht der Dinge vermag auch fremde Augen für dieses Erleben zu öffnen, seine literarischen Darstellungen spannen Räume für den Leser auf, die er betreten, die er durchwandern und erforschen kann. Die Geschichten haben stets eine Dimension, in die man eintauchen darf, bei aller Fremdheit wirken sie dennoch vertraut.
Nach einer gängigen Auffassung holt die Fantastik das Unterdrückte, Verdrängte, Vergessene aus dem Dunkel und hebt es auf die Bühne der Kunst. Mir scheint, dass Hubert Katzmarz den umgekehrten Weg gegangen ist, denn in seinem Werk betreibt er genau das Gegenteil – ihm war daran gelegen, die Dämonen, die ihn bedrängten, mit dem Wort zu bannen und schreibend das Üble an den Ort zurückzuschicken, von dem es emporgekrochen war. Hubert Katzmarz hat das Genre für sich genutzt und auf den Kopf gestellt. Er war der Überzeugung, dass nicht das ins sogenannte »Unbewusste« Verdrängte uns am meisten quält, sondern vielmehr das, was nicht vergessen werden kann, was das Denken und Fühlen hartnäckig besetzt. Das erklärt seine strenge rationale Herangehensweise, die wohlüberlegte Gestaltung, mit der er den Schrecken in den Griff zu bekommen suchte. Kalkül, Präzision, Scharfsinn und Hellsichtigkeit sind Merkmale seiner Geschichten. Hubert Katzmarz' Material ist das Irrationale, aber das Werkzeug, mit dem er es bearbeitet, ist die Ratio. Kontrolle war lebenswichtig, die Angst vor dem Verlust der Kontrolle allgegenwärtig.
Das Kunstvolle in Hubert Katzmarz’ Literatur erschließt sich nicht jedem Leser sofort, selbst eine – letztlich nur scheinbare – Schlichtheit mancher Stücke sperrt sich gegen einen mühelosen Konsum. Der Leser ist gefordert, sich womöglich ernsthafter als sonst auf die Beispiele eines Genres einzulassen, das viel zu oft zu Unrecht als trivial verschrien ist. Hubert Katzmarz schreibt über die Unausweichlichkeit des Menschseins, seine Helden sind Getriebene, Gequälte, ins Schicksal Geworfene, ausgeliefert an eine Welt, die ihnen oft als Feind gegenübertritt. Das ist nicht schön, das liest sich nicht angenehm, geht uns jedoch alle an und macht es schwer, sich der Faszination der Geschichten zu entziehen. Der Röntgenblick des Autors enthüllt verborgene Mechanismen, entlarvt eine Welt, die trotz allem Scharfsinn rätselhaft bleibt, in der Mächte walten, die sich der Kontrolle entziehen. Die Geschichten handeln vom Unerklärlichen und Finsteren, das bleibt, selbst wenn alle Winkel ausgeleuchtet sind. Sie sprechen das Unsagbare an, rühren an das Unantastbare. Seine gegen den Strich gebürsteten und doch in sich harmonischen, formvollendeten Stücke liefern unbequeme Einsichten, erzählen vom Unglück, das in einer von Banalität mehr und mehr eingeschnürten Welt wieder freies Atmen ermöglicht. Darin lässt sich auch ein Trost finden: Man weiß, man ist mit dem Schrecken nicht allein.
Niemand hatte mit dem Autor Hubert Katzmarz gerechnet, und gerade darin offenbart sich eine der Stärken seiner Geschichten: Sie stehen alleine da, sind beispiellos, ohne Vorgänger oder Nachfolger. Eine Geschichte wie Doppelte Hochzeit etwa, die vor Augen führt, wie sich ein kaskadenartiger Zusammenbruch jedweder Kommunikation ereignet, wenn Telepathie einen schrankenlosen Gedankenaustausch gestattet, war mir bis dato nicht begegnet. Lange ist die Nachtwanderung, der gelungene Versuch, einen vielschichtigen Traum getreulich wiederzugeben, unter Hubert Katzmarz' Erzählungen mein Favorit gewesen, dann wiederum berührte mich die geheimnisvolle Poesie eines Kleinods wie Schattenspiel. (Zu Recht sind die beiden letztgenannten Texte titelgebend für zwei seiner Sammlungen geworden.) Mit Herkules oder Die Stufen des Aufstiegs zeigte er, dass er auch den Balanceakt zwischen Trivialem und Doppelbödigem zu meistern wusste. Er beherrschte eben alle Register, wenn er sie auch nicht in jedem Fall bediente.
Gegen Ende hatte Hubert Katzmarz noch ein Projekt geplant, das er als Das Lebensbuch betitelte, und darunter stand: Das Buch vom Leben und vom Sterben und vom Tod und vom Durst nach Leben. Auf dem Vorsatzblatt benannte er seinen Antrieb als schöpferischer und gestaltender Mensch: »Wenn der Einsame spricht, spricht er zu sich. Und doch meint er dich. Hörst du ihn nicht?«
Hubert Katzmarz wird noch lange Zeit durch diese Welt geistern, jedenfalls so lange, wie seine Geschichten gelesen werden und er in unserem Gedächtnis gegenwärtig ist. Und wenn es mit rechten Dingen zugeht, wird seine Literatur auch unsere Erinnerungen überdauern. Das ist es, worum es ihm bange war und von dem er nicht wusste, ob er es verdient hatte. Eine Vorstellung, angeregt von der Schlussszene aus Arthur Machens Berg der Träume, verfolgte ihn: dass ihm die Putzfrau mit dem Besenstiel die Augen zudrückt und dass seine Manuskripte mit dem Kommentar »Und mit so einem Unsinn hat er sich sein ganzes Leben befasst« in den Abfall geworfen werden. Hubert Katzmarz sehnte sich danach, durch sein Schreiben unvergessen zu bleiben. Das ist ihm gelungen, er wird nicht vergessen werden. Die Bedeutung eines Menschen erkennt man an der Tiefe der Spuren, die er zieht. Die Spuren von Hubert Katzmarz sind beträchtlich, er hat sie hinterlassen als Freund in der Erinnerung derer, die ihm nahestanden, und als Autor und Verleger bei Kollegen und Weggefährten. Davon legt diese Sammlung Zeugnis ab, ohne ihn gäbe es sie nicht.
Fast alle, die wir bei der Planung der Anthologie zu seinen Ehren angesprochen haben, sind bereitwillig unserer Einladung gefolgt und haben eine Geschichte beigesteuert. Manch einer wählte einen Text, der noch in der Schublade lag und von Thema oder Stimmung her dem Anlass entsprach, andere setzten sich hin und verfassten eine Erzählung, die ganz auf den Verstorbenen, sein Leben oder sein Schaffen zugeschnitten war. Zweifellos allen gemeinsam ist, dass sie Zustimmung und Anerkennung des Geehrten gefunden hätten.
Christian Thielschers »Ruhe sanft!« zählt zu den Geschichten, die der Freund und Kollege noch zu seinen Lebzeiten goutiert hat. Es spricht für Hubert, dass ihn besonders die Passage erheiterte, in der er selber karikiert wurde.
Gleiches gilt für den Auszug aus Michael Siefeners beklemmendem unheimlichen Roman »Die Nonnen«, in der der Protagonist, ein junger Autor am Anfang seiner Laufbahn, auf einen Verleger mit Ecken und Kanten trifft. Auch über »Ich bin nicht Kafka!« von Michael Engel, einem Kollegen aus der damaligen Bonner Literaturszene, konnte sich Hubert Katzmarz, der Franz Kafka über alle anderen stellte, köstlich amüsieren.
In »Vor der Tür« erzählt Boris Koch von einer Begegnung, die nicht den gängigen Klischees entspricht und den Held erst recht beunruhigt.
In »Gier« von Jörg Isenberg gerät ein frustrierter Autor in den Sog der Ereignisse an einem Sanatorium, das er besser nicht betreten hätte.
Jörg Weigand wirft in »Der mysteriöse Flug« die Frage auf, ob ein verstorbener Freund die Geschicke der Hinterbliebenen zu beeinflussen vermag, wohingegen Monika Niehaus ein Problem schildert, mit dem wohl jeder Autor in seinem Leben einmal zu kämpfen hat – der Schreibblockade –, und einen originellen Weg aus dem Dilemma weist.
Der Tod ist nicht sofort zu erkennen, meint der Herausgeber in »Der Mann im Ei«, und woran merkt man eigentlich, dass das Leben vorbei ist?
Malte S. Sembten schließlich verdanken wir die titelgebende Erzählung der Sammlung, in der er anspielungsreich und eindringlich schildert, was eine unvollendet gebliebene Geschichte für einen Schriftsteller bedeuten kann.
Thomas Frankes »Saudade« ist eine Elegie über Abschied und Verlust, Vergeblichkeit und Ausweglosigkeit. Aus derselben Feder stammt der Text »Sisyphos«, der als würdiger Epilog den Gedenkband beschließt.
Dank gebührt nicht zuletzt Hubert Katzmarz’ Witwe Ellen Norten, die sich in rührender Weise um den literarischen Nachlass ihres verstorbenen Mannes kümmert und das Entstehen dieses Gedenkbandes nach Kräften unterstützt hat. Die gestandene Journalistin überrascht mit einer Geschichte, in der es um eine Fähigkeit des Protagonisten geht, die für ihn Segen und Fluch zugleich ist (»Der Tag, an dem die Welt verduftete«).
Kurze Autorenvitae und von Fall zu Fall einen persönlichen Kommentar der Mitwirkenden zu Hubert Katzmarz findet der Leser am Ende des Bandes.
Andreas Fieberg
Bonn, im Oktober 2013
Hubert Katzmarz wurde am 3. November 1952 geboren, somit war 2022 ein Katzmarz-Jahr: Der unvergessene Autor und Verleger wäre 70 Jahre alt geworden. 2023 ist ebenfalls ein Katzmarz-Jahr: Es jährt sich der Todestag zum zwanzigsten Mal. Anlass genug, diese Anthologie, die vor zehn Jahren in memoriam erschienen ist, neu aufzulegen. Denn alles, was in ihr zu dem Verstorbenen zum Ausdruck gekommen ist, gilt unverändert und ist es wert, erneut gewürdigt zu werden.
Wir stellen die Anthologie den drei jüngsten Katzmarz-Bänden, die anlässlich der Jahrestage erscheinen, an die Seite: der Gesamtausgabe »Im Garten der Ewigkeit«, dem Romanfragment/Novelle »Ein Meisterwerk der Weltliteratur« sowie einer zweiten