Across the Beatles Universe - Felix Janosa - E-Book

Across the Beatles Universe E-Book

Felix Janosa

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Beschreibung

"Across The Beatles Universe" von Komponist und Beatles-Experte Felix Janosa ("Ritter Rost") ist ein humorvolles und sachkundiges Lesevergnügen für Beatles-Kenner, Liebhaber und Einsteiger. Die 40 Essays und Glossen bieten ein frisches und unverkrampftes Bild des Werdegangs, des Schaffens und des Nachruhms der "Fab Four". Bereits mit dem Coffeetable-Book "Die Beatles, das Universum und der Rest" (2023, Ueberreuter Verlag) konnte Felix Janosa zusammen mit Zeichnerin Paulina Eichhorn einen Erfolg im Sektor Musikbuch landen. Das neue Beatles-Buch geht in die Tiefe und beleuchtet die Songs und Persönlichkeiten der vier Liverpooler aus der Sicht des erfahrenen Komponisten, Musikproduzenten und immer noch begeisterten Hörers.

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Felix Janosa, geboren im Jahr der ersten Beatles-Single, ist den meisten deutschen Kindern und Eltern vor allem als Komponist der Ritter-Rost-Kindermusicalbücher bekannt, die er seit 1994 gemeinsam mit Autor und Zeichner Jörg Hilbert verfasst.

2023 veröffentlichte er gemeinsam mit der Designerin Paulina Eichhorn das hochgelobte Coffee-Table-Book »Die Beatles, das Universum und der Rest« (Ueberreuter Verlag). Da in dieses Buch jedoch nur ein Bruchteil der zahlreichen Beatles-Texte und – Aufsätze von Felix Janosa passte, folgt hier als Ergänzung das »Kleine Beatles-Lesebuch« mit 40 Glossen, Aufsätzen und humorigen Beatles-Storys.

INHALT

Vorwort

Bauwerker

Beatles populärer als je zuvor?

Das verpasste Konzert

Die bekannteste Coverband der Welt

Fun or Fact? Wie die nervösen vier Tonstudio-Debütanten, John, Paul, George und Pete 1962 doch noch gerade so einen Schallplatten-Deal bekamen

Best Of The Beatles

Konnten sich die Beatles ver-komponieren?

Frühe Strandjungs und Käfer im Vergleich

Beatles-Boom

Fun or Fact? Wie die zentrale Tanzschaffe der vier Pilzköpfe aus Liverpool im Jahr 1964 beinahe ein deutsche LP aufnahmen

Beatles versus Stones

Yesterday & Co. – Gastmusiker auf Beatles-Platten

Fun or Fact? Das Eigentor der Krauts im Jahr des Balls

Strawberry Fields Forever – vom Demo zum Master

Zeitgenössischer Schwurbel – Gould, Bernstein & Adorno

Vier Herren in bunten Uniformen

We’re Only In It For The Money

Zwei Sargdeckel für Tara Browne und Brian Epstein

Fun or Fact? Magic Alex, der Hofnarr

Yellow Submarine oder Das geheime Leben von Sir George Martin als Filmkomponist

Wie indisch war George Harrison wirklich?

Das Jahr des Apfels

Die schönsten Fades der Popgeschichte

Ukrainische Mädchen

Ein Walzer für Pensionisten

Nummer Neun, Nummer Neun

Fun or Fact? Was das musizierende Viererkollektiv »VEB Beatles« im Jahre Achtundsechzig alles so erlebte

Das graue Album

Die KI schreibt einen John Lennon-Text

Fun or Fact? John und Paul auf der Anklagebank

Die Kinofilme der Beatles – Wegweiser des Musik- und Popfilms?

Fun or Fact? Pauls silberner Hammer ist Schuld

Der Rest vom Schützenfest

Das vierzehnte Album (Mix Tape)

Fab Four Fakes

Widder gegen Schwein

Nilsson Schmilsson

Pauls neue Sinfonie

Die Beatles-Erben

Mein gelbes Album: Clues For You All

Literaturverzeichnis

VORWORT

Als ich gemeinsam mit der Zeichnerin und Designerin Paulina Eichhorn im Oktober 2023 das Grafic Novel/Pop Art-Buch Die Beatles, das Universum und der Rest veröffentlichen durfte, hatten wir beide nicht damit gerechnet, dass uns die Beatles schon im November mit ihrer Single Now And Then helfen würden, dem Buch ein bisschen Aufmerksamkeit zu bescheren. Die Reaktionen auf unseren Versuch, ein »Beatles-Buch für alle« zu machen waren und sind immer noch erstaunlich positiv, sowohl die Beatles-Anfänger jeglichen Alters als auch die alten Hasen goutierten den künstlerischen und humorvollen Ansatz, den wir gewählt hatten.

Geplant hatte ich allerdings schon seit längerem ein ganz anderes Büchlein, nämlich dieses hier. Im Verlaufe der Jahre hatte ich mich als Dozent und Autor für Musiklehrbücher und pädagogische Zeitschriften so häufig mit dem Thema Beatles in vielen Einzelaspekten beschäftigt, dass ich eine Sammlung all dieser Artikel und Vorträge bei gleichzeitiger sprachlicher Straffung für lohnend hielt. Zu den alten, überarbeiteten Beiträgen kamen neue, humorige Vorlesetexte dazu, die ich für meine Beatles-Live-Events geschrieben hatte. Auch blieben bei der Arbeit zu Die Beatles, das Universum und der Rest etliche Ideen liegen, die ich in diesem Rahmen ausführen konnte.

Natürlich gibt es schon tausende von Veröffentlichungen über die Beatles, aber – so habe ich mir zur Entschuldigung gesagt – da macht eine mehr oder weniger den Braten auch nicht fett. Zumal ich glaube, dass meine immer noch anhaltende Begeisterung und mein hoffentlich tieferes Eintauchen in die Materie das ein oder andere Schmunzeln und Kopfnicken beim geneigten Lesenden finden wird.

Felix Janosa, Gressenich in der schönen Voreifel, Mai 2024

BAUWERKER

Wir schreiben das Jahr 1976. Als ich zu Beginn des neunten Schuljahrs jedem in meiner Klasse stolz erzählte, dass ich Komponist werden wollte, meinte Bauwerker – der mit den längsten Haaren von uns allen – nur trocken: »Lohnt sich nicht. Die Beatles haben schon alle guten Melodien weg komponiert.« Das gab mir zu denken. Wenn an diesem Argument etwas dran sein sollte, würde ich wohl Eisenhüttenkunde oder Maschinenbau studieren müssen, wie es mein soziales Umfeld mir nahelegte. Also legte ich mir zum Roten und Blauen Album noch schleunigst alle anderen Beatles-LPs zu und studierte sie eingehend. Ich war in der Tat baff: Die Beatles schritten in ihrer Musik von Album zu Album mit Siebenmeilenstiefeln voran und wiederholten sich scheinbar nie. Jeder Stil, jedes Genre, das John oder Paul anfassten, wurde zu etwas Neuem transformiert, und alles immer mit »guten Melodien«. 1:0 für Bauwerker.

Doch dann folgte ein weiterer, schicksalhafter Kauf: Binnen weniger Monate riss mir das legendäre Rocklexikon von Siegfried Schmidt-Joos (bäuchlings auf dem weißen Flokati liegend verschlungen, Schokolade links, Sprudel rechts, Buch in der Mitte) den Schleier von den Augen: Oh doch, da gab es noch ganz viel mehr als die Beatles, ein Universum von unterschiedlichsten Rock- und Pop-Künstlern, ein Meer der unbegrenzten musikalischen Möglichkeiten, die ich mir mangels Taschengeld zwar nicht alle auf LP kaufen konnte, mich aber trotzdem in meinem Berufstraum wieder bestätigten.

Bald waren alle Zweifel entkräftet. »Bauwerker, du hast keine Ahnung!« krähte ich als präpotenter Musiker und Notenschreiber und entließ ihn als erstes aus unserer gerade entstehenden Klassenband. Denn neben ernsthaften musikalischen Bedenken hatte ich die Vermutung, dass Bauwerker unter der Abdeckhaube seiner E-Gitarre einen nicht unbeträchtlichen Haschischvorrat versteckte, der meinen seriösen Karriereplänen diametral gegenüberstand. Jetzt, ohne den renitenten Bauwerker, würde eine großartige Zukunft für mich als progressiver Rock-Musiker oder genialer Pop-Produzent anbrechen …

Alles kam ganz anders. Ich hätte gewarnt sein können. Denn just an dem Tag, an dem ich stolz eine bei Saturn in Köln neuerworbene LP, Frank Zappas Studio Tan mit mir herum trug, spielte mir eben dieser Ralf Bauwerker in seiner ungelüfteten Bude eine Platte mit einem grässlichen Sound vor: Am Anfang hörte man Schritte von derben Stiefeln und dann setzte eine unsäglich laute Müll-Gitarre ein und ein röchelnder Sänger brüllte irgendetwas von Holidays In The Sun. Die Musik der Sex Pistols hatte sich auch bis ins kleine Hattingen an der Ruhr herumgesprochen und blieb auch dort. Ich war abgestoßen. Wenn sich so etwas durchsetzen würde, könnte ja jeder Musik oder Platten machen und wer bräuchte dann noch gute Keyboarder oder Songschreiber, geschweige denn Komponisten?

Der Rest ist schnell erzählt. Anstatt mir schleunigst eine rosa E-Gitarre zu kaufen, die Haare zu färben und eine Neue Deutsche Welle-Band zu gründen, studierte ich in Essen-Werden an der Folkwang Hochschule für Musik und wurde Komponist, Kabarettist, Produzent und Autor von musikpädagogischen Lehrbüchern. Aber – trotz meines beruflichen Weges etwas abseits der Popmusik – die Begeisterung für die Beatles ließ mich nie mehr los. Denn auf jeden Fall hatten sie schon ordentlich was weg komponiert.

BEATLES POPULÄRER ALS JE ZUVOR?

Natürlich waren die Beatles in den aktuellen Streaming-Charts 2022 nicht populärer als Drake, Bad Bunny oder Sängerin Halsey. Nie gehört von den dreien? Dann schauen wir mal ins Jahr 2023: Die beliebtesten drei Songs stammten von Miley Cyrus, Dave & Central Dee und Raye Ft 070 Shake. Da klingelt auch nichts?

Tja, das wird wohl am eigenen Alter liegen – oder an der Situation des aktuellen Mainstream-Pop. Die diversen und ordentlich unübersichtlichen Statistiken der aktuellen Pop-Trends sagen kaum noch etwas darüber aus, welchen kulturellen Widerhall aktuelle Künstler überhaupt noch haben, zu wenig ist auch im Musikgeschäft (im Gegensatz zu früher, als noch mit den Medien LPs oder CDs gehandelt wurde) mit Streaming von tanzorientiertem Pop zu verdienen.

Und hier scheinen die Altvorderen den Schallplattenfirmen immer noch sprudelnde Einnahmen zu versprechen, denn anders ist eine umfassende Renaissance der Musik der 1960-1980er Jahre mit hunderten von Re-Issues, Spezial-Editionen von LPs und CDs, umfangreichen Resterampen mit Unveröffentlichtem aus der Vergangenheit nicht zu erklären. Klar, die bald ins Altersheim wandernden Boomer sollen noch einmal zur Kasse gebeten werden. Aber offensichtlich sind es nicht nur klapprige Zeitzeugen, welche die alte Musik noch schätzen: Die Gruppe Queen erreichte durch anhaltende Live-Präsenz mit neuem Sänger und einem spektakulären BioPic wie Bohemian Rhapsody ein generationenübergreifendes Publikum, Künstler wie Elton John oder Udo Lindenberg gingen mit Film-Biographie und Live-Konzerten den gleichen Weg. Die Tatsache, dass »historische Popmusik« auch künftig für ordentliche Umsätze sorgen wird, zeigen Deals aus nicht allzu ferner Vergangenheit: Für 300 Millionen Dollar verkaufte Bob Dylan Ende 2020 seine Autorenrechte an Universal Music, ähnliche Mega-Deals schlossen Shakira, Stevie Nicks und Tina Turner ab. Den Vogel schoss Altrocker Bruce Springsteen ab, der seinen gesamten Musikkatalog für rund 500 Millionen Dollar an Sony veräußerte.

Über allem aber thronen die Beatles: Obwohl sie nur über einen Zeitraum von acht Jahren Plattenaufnahmen machten, sind sie die Gruppe mit den meistverkauften Tonträgern der Welt. Laut Angaben ihrer Plattenfirma EMI beläuft sich die Anzahl der verkauften Einheiten auf über eine Milliarde. Die Gruppe hat (falls die kesse Taylor Swift nach Manuskript-Abschluss nicht doch wieder zugeschlagen hat) mehr Multi-Platin-Auszeichnungen erhalten als jeder andere Künstler, 13 allein in den USA. Als die Beatles 2015 »online« gingen, bedankte sich die Plattform Spotify mit einer Statistik der ersten 100 Tage der Beatles: 2.793 Jahre Lennon-McCartney wurden binnen dieses Zeitraums weltweit auf Spotify gestreamt.

Der wahre und ungebrochene Beatles-Boom findet indes woanders statt: Das Netz befeuert seit zwei Jahrzehnten die Posts der Millionen Beatles-Fans, der Beatles-Conventions, der Beatles Facebook-Gruppen, der Live-Aktivitäten unzähliger Beatles-Coverbands. Dazu kommt das clevere Marketing des Beatles-Konzerns Apple, von dem Computer-Pionier Steve Jobs sich den Firmennamen klaute. Mit der Anthology, der Veröffentlichung von 6 CDs, 5 DVDs und einem gewichtigen Coffeetable-Book eröffnete die Firma 1994 den Reigen der nun nicht mehr abreißenden Restaurationen, Wieder- und Neu-Veröffentlichungen bis heute. Höhepunkte waren die 50-jährigen Jubiläen von Sgt. Pepper (2017), White Album (2018) und Abbey Road (2019) sowie das filmische Mammutwerk von Herr-der-Ringe-Regisseur Peter Jackson, der mit dem Release der neu geschnittenen Get Back-Aufnahmen 2022 alte wie neue Beatles-Fans begeistern konnte. Den vorerst letzten Vogel schoss Apple ab, als sie Ende 2023 mit den isolierten John-Vocals des Demos Now and Then in jahrzehnte-überspannender Bastelarbeit einen weltweiten Nr. 1-Hit landen konnte. Ein vorläufiges Ende ist nicht abzusehen.

DAS VERPASSTE KONZERT

1958 feierte Großbritannien das erste offizielle Rock’n’Roll-Hochamt: Buddy Holly, der Sänger mit der dicken Hornbrille und der weißen Solid-Body-Gitarre kam auf Tour! Am 2. März 1958 konnten die Briten ihn im Fernsehen live aus dem Londoner Palladium bewundern. Einige Musiker der späteren Rolling Stones waren zugegen und auch die Musiker, die ihre Band nach dem großen US-Vorbild »The Hollies« nennen würden. Buddy Holly machte am 20. März 1958 auch Halt in Liverpool für zwei Shows in der Philharmonic Hall – die perfekte Gelegenheit, das Rock’n’Roll-Idol auch dort live zu erleben. Drei Jugendliche namens John Winston Lennon, Paul McCartney und George Harrison waren länger schon im Holly-Wahn: Sie hatten sich selbstredend die Singles des Rock’n’Rollers gekauft und zu den Platten mitgespielt.

Und nun wird die Sache etwas seltsam: Buddy Holly war da, alle hippen Liverpooler Jugendlichen fieberten dem Ereignis entgegen, nur die künftigen Beatles fehlten, sie besuchten das Konzert nicht. Mangelndes Taschengeld? Eine nicht zu cancelnde eigene Konzertverpflichtung? Weder waren die Eintrittspreise zu hoch, noch hatte die damalige Amateur-Band irgendeinen Auftritt im Kalender stehen. Die Beatles brauchten von Woolton, dem Stadtteil, in dem sie aufwuchsen, nur vier Kilometer in die Stadtmitte fahren, um Buddy Holly live zu sehen. Sie taten es nicht, sondern schauten sich stattdessen in der Nachbarschaft drei unbekannte Bands an, die Texans, die Bluegenes und die Sioux City Skiffle Group. Auch Beatles-Archivar und Nr. 1-Autor Mark Lewisohn konstatiert ratlos: »Warum sie hier waren und nicht in der Stadt in der Philharmonic Hall bleibt ein Rätsel.«1

Eine profane, aber gar nicht so abwegige Erklärung geistert durch die Beatles-Foren: Da die weiblichen Bekannten der Beatles und Beatles-Freunde so auf Buddy Holly abfuhren, wäre die Gruppe eifersüchtig gewesen. Meine eigene Interpretation des Nicht-Ereignisses: Lennon hatte eine Mischung aus präpotentem Hochmut und Angst, dass Buddy Holly einfach zu gut sein könnte. Als Musiker kennt man sehr gut das Gefühl aus der Jugend, von einem Konzert manchmal nur beschämt gewesen zu sein, weil der Künstler oder die Künstlerin so gut war, dass man sich selbst mit seinen eigenen mickrigen Fähigkeiten nur schlecht fühlte, anstatt einfach nur Spaß an der Musik zu haben.

Nun denn, die Beatles waren noch sehr jung und hatten eine tolle Chance verpasst, vor allem die, sich ein Autogramm von Holly zu besorgen und dem guten Mann mal die Hand zu schütteln. Wie alle pop-beflissenen Lesenden wissen, wäre dies auch die letzte Gelegenheit gewesen. Aber zumindest die nächste Chance ergriffen unsere Prä-Beatles.

Der Liverpooler Elektrowarenhändler Percy Philips hatte nämlich eine Geschäftsidee: Mit einer Bandmaschine und einer Disc Cutting Machine lockte er Liverpooler Nachwuchsmusiker an, bei ihm zu Hause »eine Schallplatte aufzunehmen«. Und so betraten am 12. Juli 1958 auch John, Paul und George gemeinsam mit den beiden anderen Quarrymen Colin Hanton (Drums) und John Lowe (Piano) das viktorianische Haus Nr. 38 Kensington, um dort zwei Titel auf einem zerbrechlichen Schellack-Unikat zu verewigen: That`ll Be The Day von Buddy Holly und In Spite Of All The Danger, eine Eigenkomposition von Paul und George – heute die wahrscheinlich wertvollste Schallplatte der Welt.

1 Mark Lewisohn: Tune In (US-Ausgabe, Hardcover) S.167, Übers. Janosa

DIE BEKANNTESTE COVERBAND DER WELT

Was braucht man als familiäre Grundvoraussetzung, um die bekannteste und vielleicht auch größte Band der Welt zu werden? Zwei Dinge ganz sicher nicht: Wohlhabende Elternhäuser und geordnete Familienverhältnisse. Wie der kurz skizzierte Familien-Background der Beatles zeigt, ist vor allem eins nötig: Musik im Elternhaus.

Beim im Oktober 1940 geborenen John Winston Lennon war es Mutter Julia, eine semi-professionelle Entertainerin und Sängerin, die den jungen John mit Mundharmonika, Banjo und frechen Liedern versorgte. Wer sich für Johns dramatische Jugend mit Tante Mimi, bei der er aufwuchs, und dem schwierigen Verhältnis zur früh verunglückten Mutter Julia interessiert, sollte sich den wundervollen Spielfilm Nowhere Boy (GB 2009, R: Sam Taylor-Wood) anschauen.

Beim im Juni 1942 geborenen Paul McCartney war es der Vater, der sich neben seinem Verkäuferjob als Trompeter in einer Jazzband betätigte und auch kompetent Klavier spielte und sang. Genau wie John litt Paul unter dem frühen Verlust seiner Mutter, sie starb, als Paul 14 war.

Beim Jüngsten, dem 1943 geborenen George glänzte der Gitarre spielende Vater als Matrose und Busfahrer zwar meist durch Abwesenheit, hatte sich aber auf seinen Seereisen eine umfangreiche Grammophonplatten-Sammlung zugelegt, die den Sohn musikalisch auf die Spur brachte.

Ringo Starr, geboren als Richard Starkey, war – wie Lennon im Jahr 1940 geboren – der älteste der Beatles. Der Vater war Bäcker, verließ aber die Familie, als Ringo drei Jahre alt war. Da nun die Mutter die Familie mit Jobs über Wasser halten musste, wuchs Ringo bei den Eltern seines abwesenden Vaters auf. Zum Schlagzeug kam Ringo, weil er als Kind viele Monate im Krankenhaus verbringen musste und im Hospital zum Glück mit Perkussions-Instrumenten beschäftigt wurde.

Schwierige Bedingungen, zudem weit ab vom Schuss, ganz weit entfernt von der Musik-Metropole London. Erst als die Beatles Teenager wurden, begann sich die Lage zu bessern: England hatte die drastischen Sparmaßnahmen der Labour Regierung nach dem Weltkrieg überstanden und mit der Krönung von Königin Elizabeth II. 1953 zogen die ersten TV-Geräte in englische Haushalte ein. 1954 wurden die letzten Lebensmittelrationierungen gestrichen, die Wirtschaft begann unter einer konservativen Regierung wieder zu boomen. In diese Situation fiel der Aufstieg des Mersey Beats in Liverpool: Angestachelt von den aufregenden Rock’n’Roll-Singles aus USA, die in der Hafenstadt Liverpool als erstes angeliefert wurden, gründete man Bands. Die damalige Skiffle-Mode ermöglichte es auch Jugendlichen ohne viel Taschengeld mit zwei Gitarren, einem Waschbrett und einem selbst gebastelten Kisten-Bass, sich als Band zu fühlen. John Lennons »Quarrymen« war eine dieser zahlreichen Skiffle-Bands, die sich in Großbritannien um diese Zeit zusammen taten.

Eine kleine Sensation bietet hier heute das Internet: Gibt man bei YouTube »Quarrymen Live« ein, kann man Aufnahme-Fetzen vom Pfarrfest in Liverpool-Woolton hören, von genau jenem Sommertag im Jahre 1957, an dem sich John und Paul zum ersten Mal begegneten. Deutlich ist Johns Stimme zu hören mit Lonnie Donegans Puttin’ On The Style und Elvis Presleys Baby, Let’s Play House. Bald nach diesem Treffen wurde Paul Mitglied der Gruppe, kurze Zeit später auf Empfehlung Pauls der junge George.

Beim inoffiziellen Start der Rock’n’Roll-Ära, am 3. Mai 1960 im Liverpool Stadium waren jedoch John, Paul und George, inzwischen umbenannt in »Beatles«, wieder nicht dabei. Allan Williams, der Besitzer des Jacaranda Clubs in Liverpool, hatte aus den USA Gene Vincent und Davy Jones gewinnen können, lokale Gruppen waren Gerry and the Pacemakers, Cass and his Casanovas und Rory Storm and the Hurricanes, bei letzt genannter Gruppe auf dem Schlagzeugstuhl ein gewisser Ringo Starr. Trotz des miserablen Sounds glich das Box-Stadion einem Tollhaus, die Beatles schauten – für den Gig noch als zu schlecht befunden – in die Röhre. Doch eben jener Manager Allan Williams gab den Beatles ab August 1960 die Chance, in Hamburg aufzutreten, wenige Tage vor der Abreise setzten John und Paul Pete Best auf den Schlagzeugstuhl, Bass spielen durfte Johns Freund, Kunstschulstudent Stuart Sutcliffe. Besonderes Glück für junge Bands und die Beatles im Besonderen: 1961 schaffte das Königreich die Wehrpflicht ab, die Beatles und andere junge Bands konnten zusammen bleiben und sich kontinuierlich entwickeln. Zudem befand sich der US-Rock’n’Roll in einer kreativen Krise: Buddy Holly war bei einem Flugzeugabsturz gestorben, Elvis leistete in Deutschland seinen Militärdienst ab. Dazu hatte im Brill Building zu New York eine neue Generation von jungen Songwritern das kommerzielle Regime über die US-Popmsik übernommen, für den angesagten Teenie-Highschool-Pop wurden jetzt Tanzschritt-Songs oder weinerliche Herzbrech-Hymnen fabriziert. Den Beatles blieb also in Hamburg genügend Zeit, ihr Handwerk in ungezählten Stunden auf der Bühne gründlich zu erlernen. Und das taten sie, indem sie sich ohne Ende Coversongs draufschafften.

Die folgenden Song-Zusammenstellungen basieren auf den Daten von Mark Lewisohn, dem schon erwähnten EMI-Archivar und Top-Beatles-Experten auf der Welt. Seine akribischen Dokumentationen und eloquenten Veröffentlichungen sind die wichtigste Quelle für mich und tausend andere, die frech genug sind, über die Beatles zu schreiben, obwohl sie die Fab Four niemals persönlich kennengelernt, geschweige denn als Zeitzeuge irgendwo live gesehen haben.

Die erste Liste zählt alle Evergreens and Traditionals auf, welche die Beatles in Hamburg und anderswo performten. Dies ist die bunte Mischung aus Tin-Pan-Alley-Songs und altbackenen Heulern, die immer gerne von älteren Zuschauern angefragt wurden, die sichere Bank beim Fünf-Uhr-Tanztee. Einige dieser Titel nahmen die Beatles 1961 mit Tony Sheridan auf, andere spielten sie bei ihrer Decca-Audition am Neujahrstag 1962. Nur Till There Was You schaffte es auf das Album With The Beatles und war ein Highlight bei der Royal Variety Performance, als die Beatles 1963 der Queen und der Londoner High Society vorspielten.

Ain’t She Sweet, Beautiful Dreamer, Begin The Beguine, Better Luck Next Time, Darktown Strutters Ball, Espana Cani, Falling In Love Again, Guitar Boogie, Third Man Theme, Hey Ba-Ba-Re-Bop, Home, Honey Hush, The Honeymoon Song, Honky Tonk Blues, A House With Love In It, How High The Moon, I Remember You, I Wish I Could Shimmy Like My Sister Kate, The Man With The Golden Arm, Moonglow, My Bonnie Lies Over The Ocean, Red Sails In The Sunset, September In The Rain, September Song, Till There Was You, True Love, Walk Right In, When, When The Saints, The World Is Waiting For The Sunrise, Your Feet’s Too Big, Jambalaya, You Win Again

Die folgenden Titel stammen von Sänger und Gitarristen Lonnie Donegan und anderen Skiffle-Gruppen, welche direktes Vorbild für John Lennons Quarrymen waren.

It’s A Long Way to Tipperary (1954) Rock Island Line (1954) Worried Man Blues (1955) Railroad Bill (1956) Freight Train (1957) The Cumberland Gap (1957) Midnight Special (1957) Maggie Mae (1957) No Other Baby (1958) Corrine, Corrina (1960)

Die eher bescheidene Liste von moderneren Blues- und Prä-Soul-Titeln zeigt, dass die Beatles im Gegensatz zu den Stones, den Who, den Kinks oder Zombies kaum etwas mit Chicago Blues, der Musik von Muddy Waters oder Willy Dixon am Hut hatten. Auf den Punkt gebracht: Die Stones waren Blues-Snobs, die Beatles Rock’n’Roller.

Lloyd Price: Mailman Blues (1954) Ray Charles: I’ve Got A Woman (1955) Hallelujah, I Love Her So (1956) A Fool For Yyou (1959) What’d I Say (1959) Don’t Let The Sun Catch You Crying (1960) Sticks And Stone (1960) Hit The Road, Jack (1961) Fats Domino: Ain’t That A Shame (1955) I Know (1955) I’m In Love Again (1956) Coquette (1958) I’m Gonna Be A Wheel Someday (1959) I Will Always Be In Love With You (1960)

Elvis Presley ist rein statistisch gesehen der Interpret, dessen Titel die Beatles am häufigsten coverten. Doch trotzdem war die Abgrenzung zum großen Vorbild ausgemachte Sache: Keiner dieser Elvis-Titel landete auf einer EMI-LP der Gruppe.

That’s Alright (1954) Mystery Train (1955) Blue Moon Of Kentucky (1954) Good Rockin’ Tonight (1954) Baby, Let’s Play House (1955) I Forgot To Remember To Forget (1955) Don’t Be Cruel (1956) Hound Dog (1956) Love Me Tender (1956) Lawdy Miss Clawdy (1956) Just Because (1956) Party (1957) That’s When Your Heartaches Begin (1957) I’m Gonna Sit Right Down And Cry (1961) Heartbreak Hotel (1956) All Shook Up (1957) Loving You (1957) Baby I Don’t Care (You’re So Square) (1957) I’ll Never Let You Go (1958) Jailhouse Rock (1958) It’s Now Or Never (1960) Tonight Is So Right For Love (1960) Wooden Heart (1960) Are You Lonesome Tonight (1961) His Latest Flame (1961) I Feel So Bad (1961) Wild In The Country (1961)

Ähnliche Zurückhaltung übten die Beatles bei ihren anderen Rock’n’Roll-Heroen. Zwar beherrschten sie einen Großteil des drei bis vier Jahre zurückliegenden Rock’n’Roll-Materials, doch für die beginnenden 1960er Jahre erscheint ihnen das Material zu altbacken, nur Little Richards Long Tall Sally schaffte es noch auf eine ihrer EMI-Veröffentlichungen.

Little Richard: Ready Teddy (1956) Long Tall Sally (1956) Rip It Up (1956) Miss Ann (1956) Lucille (1957) Tutti Frutti (1957) Send Me Some Lovin’ (1957) Can’t Believe You Wanna Leave (1957) Good Golly Miss Molly (1958) Ooh! My Soul (1958) Gene Vincent: Be Bop A Lula (1956) Lazy River (1956) Wedding Bells (1957) Dance In The Streets (1958) Baby Blue (1958) Time Will Bring You Everything (1958) The Wayward Wind (1958) Summer Time (1958) Over The Rainbow (1959) Say Mama (1959) Wild Cat (1959) Jerry Lee Lewis: Great Balls Of Fire (1957) Whole Lotta Shakin’ (1957) It’ll Be Me (1957) Mean Woman Blues (1957) Down The Line (1958) High School Confidential (1958) Fools Like Me (1959) Livin Lovin Wreck (1961) Eddie Cochran: Twenty Flight Rock (1957) C’mon Everybody (1959) I Remember (1959) Teenage Heaven (1959) Three Steps To Heaven (1960) Duanne Eddy: Ramrod (1958) Movin’ And Groovin’ (1959) Three-Thirty Blues (1959) Johnny Cash: All Over Again (1958) Bo Diddley: Crackin’ Up (1959) Road Runner (1960)