Adramelech – Stein der Finsternis - Felix Fießer - E-Book

Adramelech – Stein der Finsternis E-Book

Felix Fießer

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Beschreibung

Ein mysteriöser oranger Stein wird bei Ausgrabungen in Syrien gefunden. Der Stein, der auch »das Auge« genannt wird, scheint auf geheimnisvolle Weise positiven Einfluss auf seine jeweiligen Besitzer auszuüben. Das erleben der gutherzige, ängstliche Ahmed, sowie der traurige, suchtkranke André am eigenen Leib. Dass dafür aber ein hoher Preis zu zahlen ist, wird den beiden Protagonisten erst später bewusst. Denn der Stein scheint ganz eigene Ziele zu verfolgen, die mit Mord und Totschlag durchgesetzt werden und bald auch zwielichtige und höchst brutale Gestalten von ganz anderem Kaliber auf den Plan rufen.

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Ähnliche


 

 

 

 

Felix Fießer

 

Adramelech

 

Stein der Finsternis

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Adramelech – Stein der Finsternis 

Nutzlos 

Überleben 

Mobbing 

Suche 

Liebe 

Startschuss 

Zwang 

Aufbruch 

Reise 

Hilfe 

Schicksal 

Talent 

Freundschaft 

Routine 

Chaos 

Besuch 

Erklärungen 

Vertrauen 

Umfeld 

Erkenntnis 

Schwarz 

Aussichtslos 

Enttäuschung 

Wut 

Verwirrung 

Weiß 

Hinweise 

Versöhnung 

Neuanfang 

Erfahrungen 

Hoffnung 

Flirt 

Hass 

Chat 

Jagd 

Erwischt 

Überfall 

Berufung 

Lehrjahre 

Gewalt 

Erleichterung 

Verrat 

Kontakt 

Rache 

Erlösung 

 

Das Buch

 

 

 

Ein mysteriöser oranger Stein wird bei Ausgrabungen in Syrien gefunden. Der Stein, der auch „das Auge“ genannt wird, scheint auf geheimnisvolle Weise positiven Einfluss auf seine jeweiligen Besitzer auszuüben. Das erleben der gutherzige, ängstliche Ahmed, sowie der traurige, suchtkranke André am eigenen Leib. Dass dafür aber ein hoher Preis zu zahlen ist, wird den beiden Protagonisten erst später bewusst. Denn der Stein scheint ganz eigene Ziele zu verfolgen, die mit Mord und Totschlag durchgesetzt werden und bald auch zwielichtige und höchst brutale Gestalten von ganz anderem Kaliber auf den Plan rufen.

 

 

***

Adramelech – Stein der Finsternis

 

 

Nutzlos

 

 

Das Geschäft ist gut gelaufen. Mehr Geld als Ahmad sich erträumt hat. Alles in einem kleinen Aktenkoffer. Auch Mahmud ist mit seinen zwanzig Prozent zufrieden. Der Stein ist von nun an in guten Händen. Man verabschiedet sich noch kurz, dann geht es für Ahmad in das Abraj Kudai- Hotel. Er durchquert die Lobby. Nimmt den Aufzug. Zwölfter Stock, vierundzwanzigster Stock, fünfundvierzigster Stock. Bing. Ahmad steigt aus. Greift nach dem Nothammer. Geht zur Fensterwand. Schlägt mit unmenschlicher Kraft zu. Die Scheibe zerbricht in tausend Scherben. Gäste und Personal starren Ahmad an. Er zögert keine Sekunde. Er springt nicht, er geht einfach einen Schritt nach vorne. Ein Schritt ins Leere. 45 Stockwerke nach unten. Der Aktenkoffer, eben noch so wichtig für ihn, hat sich geöffnet und die vielen herausflatternden Geldscheine leisten ihm für eine 50stel Sekunde Gesellschaft auf seinem freien Fall gen Boden. Wenig später werden ein paar von ihnen auch an seinem Einschlagspunkt eintreffen. Von Ahmad wird dann nur noch ein matschiges rotes Etwas übrig sein.

 

 

 

Überleben

 

 

Der Krieg war im März 2011 ausgebrochen. Zuerst waren es nur ein paar Demonstrationen: Angestachelt durch den arabischen Frühling, waren Menschen auf die Straße gegangen und hatten Reformen gefordert. Sie wollten Veränderungen im Gesundheitswesen, Aufhebung des geltenden Notstandsgesetzes, Gewährleistung einer breiteren politischen Beteiligung und Einführung freier Medien. Aber vor allem wollten sie den verhassten Assad loswerden. Dieser tat, was alle Diktatoren tun, wenn das Volk sich gegen sie erhebt: Er ließ auf die Demonstranten schießen.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Teile des Militärs desertierten, schlossen sich den Demonstranten an und bildeten mit anderen Freiwilligen die freie syrische Armee. Rückendeckung bekamen sie aus Saudi-Arabien und zeitweise aus den USA. Nicht, dass beide Länder unbedingt die syrische Demokratiebewegung unterstützten, aber man wollte den Einfluss des Irans in der Region begrenzen, der traditionell mit dem Assad-Regime verbündet ist und deren Politik mitsteuerte.

Für einige Zeit sah es auch so aus, als ob die Rebellen einen schnellen Sieg erringen könnten. Immer mehr wichtige strategische Punkte im Land wurden übernommen und Assads Truppen zurückgedrängt. Aber dann rief Assad um Hilfe. Zuerst antwortete aus dem Osten der Iran, schickte Waffen, Güter und Soldaten. Dann von Westen die Hisbollah – Kämpfer, die in der Urbanwarfare erfahren waren und nach und nach die Städte zurückeroberten.

Aber auch mit dem neu entstandenen Kräfteverhältnis kam es nicht zur Ruhe. Mittlerweile waren nämlich die Fanatiker aus dem Failed State Irak eingetroffen: Zuerst die Al Nusra Front, dann der Islamische Staat. Beide gut mit Waffen ausgerüstet und mit ganz eigenen Visionen davon, wie das Gebiet zukünftig regiert werden sollte.

War man unter Obama noch in Syrien aktiv, hatte Trump bereits das Interesse verloren und die meisten Aktivitäten in der Region eingestellt.

Das kam Putin zugute: Der sah den Konflikt wohl als Möglichkeit, Russlands Bedeutung in der globalen Politik zu stärken: »Wir sind wieder wer und ärgern jetzt ein bisschen unseren Intimfeind in Übersee.«

Syrien war ein einziges Schlachthaus geworden. Wer fliehen konnte, floh, wer blieb, musste sehen, wie er zurechtkam. Oft war es sogar sicherer, sich einer der marodierenden Gruppen anzuschließen: Wenn man bewaffnet ist und andere ausplündert, wird man nicht selber zum Opfer. Kämpfen taten sowieso nur noch die Wenigsten. Jetzt ging es darum das Wenige was noch da ist, außer Land zu schaffen und zu Geld zu machen. Allen voran Öl.

Der 35jährige Ahmad indes hatte seine eigene Nische gefunden: antike Gegenstände. Vor Ausbrechen des Krieges hatte er als Wächter im Museum von Deir ez-Zor gearbeitet, er bewachte kunstvolle Gegenstände aus der Halaf-Kultur, dem aramäischen Reich, bis zu der Herrschaft der Umayyaden und Abbasiden. Als dann die Unruhen immer schlimmer wurden, waren die ersten Bewaffnetenin das Museum eingedrungen und hatten alles mitgenommen was nicht niet- und nagelfest war. Für Ahmad war direkt klar, dass er nicht für ein paar alte Tontafeln oder sonstigen Nippes sein Leben riskieren würde, aber er verstand, wie er jetzt ein bisschen Geld verdienen könnte. Denn das brauchte er dringend: Seine Frau Leyla und seine zehnjährigen Zwillinge Samira und Enisa zählten auf ihn. Bisher hatten sie sich ganz gut geschlagen. Hatten sich in einer Wohnung eines noch intakten Stadthauses in Al-Jawra versteckt. Auf dem Schwarzmarkt konnten sie, zwar überteuert, noch alles Wichtige kaufen, was sie brauchten, aber auch ihr Versteck musste bezahlt werden. Ihr Stadtviertel stand unter dem Schutz der freien syrischen Armee und die verlangte Geld von allen Einwohnern. Wer nicht zahlen konnte, hatte bald ein Problem und das konnte mitunter blutig enden. Ahmad hatte viele Gegenstände aus dem Museum versteckt, die er nach und nach verkaufte. Das reichte aber gerade mal zum Überleben. Sie mussten aus Syrien raus. Ahmad wusste auch schon genau wohin. Nicht in die Türkei und dann nach Europa, da wollten immer alle hin, klar. Aber Ahmad hatte andere Pläne: Er wollte nach Brasilien.

 

 

 

Mobbing

 

 

Noch lange vor dem Krieg hatte Ahmad nicht als Museumswächter, sondern als Krankenpfleger gearbeitet, der Chefarzt war damals ein gewisser Dr. Malik Hakimi gewesen. Ein Libanese aus Beirut, der gerne mal nach Feierabend ein Bierchen trank und die NBA verfolgte. Ahmad war zufällig der einzige Basketballfan weit und breit, in Syrien ist eher Fußball beliebt, und so kam es, dass beide des Öfteren abends im Aufenthaltsraum Spiele guckten, über Züge spekulierten und sich über den Greatest of all time stritten. Für Ahmad war das natürlich Jordan, für Malik aber LeBron James. »Jordan war fünfmal MVP«, »LeBron hat die Goldmedaille geholt«, »höchster NBA-Karriere-Punkteschnitt«, »die meisten Triple-Doubles in den Playoffs« »Space Jam!« Wie dem auch sei, aus den vielen kleinen Streitgesprächen entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft. Dementsprechend fiel der Abschied auch nicht leicht, als Malik nach Recife auswanderte. In Brasilien gibt es eine große libanesische Diaspora-Gemeinde, die besonders im Medizin-Sektor aktiv ist. So auch Maliks Onkel, der ihm eine hohe Stelle im örtlichen Krankenhaus versprochen hatte, wenn der Neffe denn bald kommen würde. Auf dem Gebiet der Endokrinologie war Malik geradezu eine Koryphäe und so jemanden brauchte man jetzt ganz dringend in Recife, so der Onkel. »Syrien geht doch vor die Hunde. Assad wird uns niemals frei leben lassen. In Brasilien darfst du sein, was du willst. Wenn du schlau bist, kommst du einfach mit«, versuchte Malik Ahmad zu überzeugen. Damals kniff Ahmad aber noch. »Viel zu weit weg. Die Kinder gehen doch gerade hier zur Schule. Wie soll ich das Leyla erklären?« Der entscheidende Grund war aber eher, dass Veränderungen Ahmad einfach nicht so sehr lagen. Trotz der Entfernung verloren die beiden aber nicht den Kontakt zueinander – per E-Mail wurde eifrig weiter über den Goat gestritten.

Als dann der Krieg bereits wütete, wiederholte Malik das Angebot. Ahmad stand mittlerweile drastischen Veränderungen in seinem Leben etwas aufgeschlossener gegenüber. Die Route stand fest: Erstmal nach Jordanien, dann weiter nach Saudi-Arabien und von dort aus mit dem Schiffdirekt nach Recife. Auch Geld würde Malik schicken. Das mit dem Schicken gestaltete sich dann nur etwas schwierig, denn Ahmad konnte nicht einfach in die nächste Bank spazieren und etwas abheben. Die Filialen gab es einfach nicht mehr. Mittlerweile wurde in Ahmads Umgebung alles bar bezahlt und Sachgegenstände hatten oft mehr Wert als Papiergeld. Um die Finanzierung für eine Flucht aus Syrien musste er sich also selber kümmern. Erstmal im Ausland angekommen, würden die Banken schon wieder funktionieren, aber bis dahin musste jede Menge Wegzoll an Milizen, Soldaten und andere Kriminelle gezahlt werden.

Die Sache war klar: Ahmad brauchte Geld, und zwar schnell. Die Einschläge kamen immer näher, wortwörtlich, und das Museum war bereits leergeräumt. Sein Abnehmer hingegen, ein Jordanier namens Faruk, bekundete immer wieder Interesse an neuen Artefakten. Zwar hatte das international council of museums gedroht, rote Listen zu erstellen, um antike Gegenstände aus Syrien zu kennzeichnen, aber das dauerte eben, und bis dahin lief das Geschäft.

Meistens waren die Gegenstände von Sammlern gekommen, die ihren Besitz dem Museum überlassen hatten, aber ab und zu wurden auch »neue« Artefakte – nachdemsie von Wissenschaftlern eingehend untersucht wurden – dem Museum zur Verfügung gestellt. Zum Glück hatte Ahmad während seiner Zeit als Wächter nicht nur ein fulminantes Geschichtswissen ansammeln können, er wusste auch, wo die jeweiligen Ausgrabungsstätten waren. Und wie der Zufall so wollte, war kurz vor Ausbrechen des Krieges genauso eine Stätte in der Wüste, nahe von Abu as Sayyid, etwa siebzig Kilometer von Deir ez-Zor entfernt, gefunden worden. Man wusste damals noch nicht genau, was man da tatsächlich entdeckt hatte, aber nach ersten Vermutungen handelte es sich um einen Schrein oder eine Art Kultstätte für irgendeinen altertümlichen Gott. Viel entscheidender war, was man bisher davon zu Tage gefördert hatte. Kleine Figuren aus Bronze, die wohl Tiere darstellten, reich besetzt mit Edelsteinen, und noch viel wichtiger: in besonders gut erhaltenem Zustand. Ahmad hatte eine der Figuren an den Jordanier verkaufen können und von dem Gewinn seine Familie mehr als zwei Monate durchgebracht. Damals hatte er noch nicht den Mut aufbringen könnenSyrien, zu verlassen, hatte auf ein baldiges Ende des Krieges gehofft, aber würde er nochmal so eine Figur in die Finger bekommen, wäre das für Ahmad und seine Familie die sicher Ausreisekarte aus diesem Höllenloch.

Das Problem war nur, wie sollte er zur Stätte hingelangen? Die Nachbarschaft teilte sich ein Auto, einen alten Mercedes 200 D. Gegen genug Geld und ein Pfand an die freie Syrische Armee würde er den Wagen benutzen dürfen, hörte sich ja schon mal ganz gut an. Aber dann kam das nächste und auch entscheidende Problem: Die Stätte lag auf dem Gebiet des IS. Die extremen Salafisten waren unaufhaltsam voranmarschiert und hatten Landstrich um Landstrich eingenommen. Milliardengewinne aus dem illegalen Ölhandel hatten sie mit den neuesten Pick-Ups, Sturmgewehren, Granaten, Sniper-Gewehren, Raketenwerfern und Katyusha-Raketen ausgestattet. Von ihrer Brutalität ganz zu schweigen. Ahmad kannte die Geschichten und Videos: Einen Bekannten hatten sie beim Zigarettenrauchen erwischt und ihm kurzerhand die rechte Hand abgeschnitten. Das war aber noch gar nichts: Viel lieber trennten sie Köpfe ab, filmten das Ganze mit dem Handy und sorgten dafür, dass es auch möglichst viele Leute sahen. Purer Terror.

Aber wie weit würden diese Verrückten schon die Wüste bewachen? Da gab es doch nichts. Die Ölfelder waren weit entfernt und strategisch wichtige Punkte waren dort auch nicht zu finden, soweit Ahmad das beurteilen konnte. Natürlich, die Straße würde irgendwann überwacht werden, aber vielleicht gab es ja die Möglichkeit, das Auto vorher zu verstecken und einen guten Teil der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Er musste einfach wissen, wo der nächste Kontrollposten war und ob er es von da aus schaffen konnte. Vielleicht konnte er was bei dem örtlichen Soldaten erfahren, aber dann müsste er auch eine Ausrede haben, warum er in die Wüste wollte.

Einer seiner Nachbarn war ständig unterwegs, verdiente wohl im Schmuggel ein bisschen mit, die freie syrische Armee ließ ihn gewähren, einmal, weil er alle Waren – also alle von denen sie wussten – bei ihnen versteuerte, und zum anderen, weil er auch bestimmte Luxusgüter liefern konnte, die bei den Soldaten äußerst beliebt waren: Smartphones, Laptops, Zigaretten oder auch Captagontabletten. Er wusste bestimmt, wo die Posten verteilt sind, welche Wege sicher waren und wo man sich besser nicht blicken ließ. Also nahm Ahmad sich vor den Schmuggler bei nächster Gelegenheit in ein Gespräch zu verwickeln.

Beim mittäglichen Tee war die Gelegenheit. Es hatte Kämpfe in der Nähe gegeben, darum hatten die Soldaten eine Ausgangssperre verhängt. Die ganze Nachbarschaft war in den wenigen Kellern des Viertels versammelt, und wie der Zufall so wollte, war der Schmuggler genau im selben Keller wie Ahmad gelandet. Jackpot.

 

 

 

Suche

 

 

»Salam aleikum.« Ahmad bot dem Schmuggler eine Zigarette an und nickte auf den freien Platz neben diesem.

»Wa Aleikum Salam.« Der Schmuggler griff nach der Kippe und machte eine einladende Handbewegung neben sich. Ahmad setzte sich. »Du bist viel unterwegs, ich müsste bald eine Reise nach Süden antreten. Kannst du mir vielleicht ein paar Tipps geben?«

»Nach Süden? Bis nach Tadmur?«

»Nein, nicht so weit.«

»Dazwischen ist nur Wüste. Was willst du in der Wüste?«

»…«

»Hah. Du willst wissen, wo die Grenzposten des IS sind? Willst deinen Kopf behalten? Kein Problem, ich kann dir helfen, Bruder, aber das kostet dich etwas.« »Wieviel?«

»600.000 Lira.«

»So viel habe ich nicht.«

»Dann tut es mir leid für dich.«

»Halt wenn ich wiederkomme, kann ich es bezahlen, sogar mehr.«

»Gut, jetzt muss ich doch nachfragen: Was willst du in der Wüste?«

»Ich kann es dir nicht sagen.«

»Hast du dort einen Schatz vergraben?«

»…«

»Na schön, woher weiß ich, dass du wiederkommst?«

»Meine Frau und meine Kinder sind noch hier.«

»In diesen Zeiten sind viele ehrbare Männer zu Feiglingen geworden und haben ihre Familien im Stich gelassen.«

»Ich nicht!« Der Schmuggler warf Ahmad einen scharfen Blick zu.

»Wann willst du los und wann kommst du wieder?«

»Morgen früh werde ich aufbrechen in der Nacht bin ich wieder zurück. Ich schwöre es beim Propheten.«

»Na gut, ich erkundige mich. Aber noch etwas, solltest du nicht zurückkehren und mich nicht bezahlen…« Der Schmuggler strich sich mit der Handkante über den Hals.

»Hast du das verstanden?« Ahmad nickte. Der Schmuggler stand auf und verließ den Keller.

Ahmad hasste Warten. Es gibt Menschen, die schalten in solchen Fällen in einen Art Stand-By-Modus, lassen die Zeit und die Welt an sich vorbeifahren, meditieren so vor sich hin. Andere beschäftigen sich einfach mit etwas, sind produktiv, nutzen die Möglichkeit. Ahmad gehörte nicht dazu: Warten stresste ihn. Er war nicht in der Lage einen anderen Gedanken zu fassen, außer »wann wird der Schmuggler zurückkehren? Wann weiß ich wie es weitergeht? Wann kann ich selber aktiv werden?« Spielen mit den Töchtern? – unmöglich. Ein Gespräch mit Leiyla führen? – auf keinen Fall. Lieber dahocken. Mit den Beinen zappeln. Im Sekundentakt auf die Uhr schauen.

Das Problem an Krieg sind nicht nur die verheerende Gewalt, der Hunger, die Zerstörung und Traumatisierung, sondern einfach, dass Krieg auch aus jeder Menge Untätigkeit besteht und auf nichts Verlass war. Es konnte genauso gut sein, dass der Schmuggler nie wieder käme: Auf dem Weg von Milizionären aufgegriffen, von einem Querschläger getroffen, auf die Schnelle ein besseres, lukrativeres Geschäft gemacht und ganz einfach vergessen, dass er eben noch im Keller eine Abmachung getroffen hatte. Die Möglichkeiten waren unbegrenzt. Ahmad war in seiner eigenen kleinen persönlichen Hölle gefangen. Er strich mit dem Zeigefinger über den Boden.

Und dann kam der Schmuggler doch noch die Treppe runter. Eine solche Anspannung fiel von Ahmad ab, dass er am liebsten die Luft gesprungen wäre – ging im niedrigen Keller natürlich nicht. Hätte auch blöd ausgesehen. Der Schmuggler breitete eine Karte vor Ahmad aus. Es war die komplette Deir ez-Zor- Region zu sehen. Mit rotem Filzstift waren Punkte markiert. »Dort ist der Grenzposten des IS. Bis hierhin kannst du mit dem Auto die Straße befahren. Ab hier werden sie dich sehen und wenn du umdrehst, werden sie dich verfolgen. Wenn sie dich haben, werden sie dich sehr genau untersuchen, weil du ja anscheinend was zu verbergen hast. Wenn sie nichts finden, werden sie dich foltern, weil du dann wahrscheinlich irgendwas weißt. Wenn sie nichts aus dir rauskriegen, werden sie dich zur Sicherheit töten. Wenn sie irgendwas finden, werden sich dich aus Prinzip töten.

Also besser, wenn du denkst, dass sie dich gesehen haben; gerade weiter auf sie zu fahren und den Wegzoll bezahlen. Wenn du nicht zahlen kannst, wirst du – du kannst es dir denken – getötet. Bezahlst du, bete besser zu Allah, dass die Hunde gute Laune haben. Natürlich kannst du dann immer noch getötet werden.« Ahmad schluckte.Der Schmuggler fuhr fort: »Hier nimmst du die Abzweigung, es ist ein Trampelpfad, hört aber irgendwann auf, führt dich an den Rand der Wüste, der Boden ist hart genug, dass du drauf fahren kannst, halte dich immer nach Osten und du kommst wieder zur Straße. Ab hier hast du den Posten umfahren. Der Nächste kommt dann erst wieder in Kobajjep. Du schuldest mir 600.000!« Ahmad nickte.

In derselben Nacht sprach sich Ahmad mit dem Nachbarschaftskomitee ab. Nicht, dass dieses viel zu sagen hätte, aber es war wichtig, um an das Gemeinschaftsauto heranzukommen. Ein Grund für die Benutzung musste er nicht vorbringen, man vertraute ihm. Oft hatte er seinen Gewinn aus dem Verkauf von Artefakten mit den anderen geteilt. In dieser Nachbarschaft musste niemand hungern, solange die Soldaten einem nicht alles wegnahmen, und das waren genau die, deren Einverständnis Ahmad wirklich brauchte. Also legte er sein bestes Benehmen an den Tag, kratzte das obligatorische Bestechungsgeld zusammen und bat beim örtlichen Kommandanten um Audienz. Um dahin zu kommen, musste er einen Spießrutenlauf vorbei an bewaffneten Halbwüchsigen hinlegen, die ihn keines Blickes würdigten und so aussahen, als ob sie jederzeit bereit wären, ihm einfach aus Spaß in den Kopf zu schießen. Der Krieg hatte das gesellschaftliche Zusammenleben doch nachhaltig verändert.

»Habibi, natürlich kannst du das Auto nehmen, wir lassen dich aus der Stadt raus. Aber wenn du nicht zurückkommst, gehört deine Frau uns,« erklärte ihm ein vernarbter, knorriger Offizier, der statt eines militärischen Barretts eine französische Baskenmütze über seine verfilzten Haare gestülpt hatte. Ahmad hatte verstanden, verheimlichte Leyla die Aussage des Kommandanten aber lieber.

Am nächsten Morgen ging es früh los. Sechs Uhr war Ahmad bereit und das Auto mit dem nötigen Benzin betankt. Auch eine Schaufel hatte er besorgt, er wusste nicht genau wie eine Ausgrabung durchgeführt wurde, aber eine Schaufel konnte ja nicht schaden. Er küsste Frau und Töchter zum Abschied, passierte die örtlichen Soldaten, strich über den Innenraum des Kleinwagens und fuhr in Richtung der südlichen Stadtgrenze. Ab und an wurde er noch innerhalb der Stadtangehalten. Dann musste er einen krakelig geschriebenen Wisch vorzeigen, der ihm von dem Kommandanten ausgestellt worden war, dieser wurde gründlich von den Milizionären gemustert, woraufhin er doch recht schnell durchgewunken wurde. Ahmad hatte keine Ahnung, wie die Soldaten erkennen konnten, dass der Zettel tatsächlich von dem Kommandanten geschrieben worden war, aber irgendwie funktionierte es ja. Vielleicht hatte dieser aber auch einfach gestern seinen Leuten Bescheid gesagt, dass ein Mercedes 200D kommen würde und passieren dürfe.

Nach der Stadt kam die Einöde. Kilometerweit war nichts zu sehen. Manchmal Straßenschilder – fast alle mit Einschusslöchern. Die Sonne strahlte durch sie hindurch. Dann sah Ahmad aber etwas, das ihn den Magen umdrehen ließ: Jemand hatte Stangen in den Boden gerammt. Vier Stück an der Zahl. Darauf war etwas aufgespießt. Noch bevor Ahmad es genau erkennen konnte, wusste er schon, woran er gleich vorbeifahren würde: die Köpfe von vier Ungläubigen. Er war jetzt auf dem Gebiet des IS – hatte das Kalifat betreten. Die Köpfe waren Warnung und Willkommensgruß zu gleich.

---ENDE DER LESEPROBE---