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Laurel und Harry sind Konkurrenten beim Herald, wenn es um Titelgeschichten für die Zeitung geht. Nun müssen die beiden jedoch zusammenarbeiten, und aus ihrer Feindschaft wird überraschend schnell das Gegenteil. Wie gefährlich ihre Recherchen sind, erkennt die neugierige Reporterin fast zu spät. Jemand schickt ihr eine Schlange, deren Gift innerhalb von Sekunden töten kann – eine Drohung. Laurel hat aber auch ein persönliches Interesse an dem Fall der in den Sümpfen getöteten Frau. In Jugendjahren war sie in den Ehemann der Toten verliebt. Trübt das ihren Blick auf den Verdächtigen?
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Seitenzahl: 312
Nora Roberts
Affäre im Paradies
Roman
Aus dem Amerikanischenvon Roy Gottwald
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
1. KAPITEL
Ein Tollhaus. Ständig klingelten Telefone. Menschen schrien, murmelten oder fluchten, saßen irgendwo herum oder waren ständig in Bewegung. Aus allen Ecken kam das Geräusch klappernder Tastaturen, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit angeschlagen wurden. Die Luft war erfüllt vom Geruch abgestandenen Kaffees, frischen Brotes, von Tabakqualm und Schweiß. Ein Narrenhaus? Etliche der Anwesenden hätten dieser Bezeichnung für den Raum des ›New Orleans Herald‹ zugestimmt, besonders zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses.
Die meisten der Angestellten achteten nicht weiter auf das Chaos, es war so selbstverständlich wie das Atemholen. Es gab Augenblicke, da ein jeder von ihnen von seinen eigenen täglichen Krisen oder Triumphen den Kopf zu voll hatte, als dass er die Dutzend anderen Krisen und Triumphe, die hier noch passierten, mitbekommen hätte. Nicht dass man gegeneinander gearbeitet hätte. Sie alle hingen an ihrer exklusiven Schar von Journalisten. Aber jeder Einzelne würde sich auf seine oder ihre eigene Story, seine eigenen Quellen und seinen individuellen Stil konzentrieren und eifersüchtig darüber wachen. Ein erfolgreicher Zeitungsreporter lebt von der Schnelligkeit, dem Durcheinander und einer heißen Geschichte.
Matthew Bates hatte sich ganz dem Zeitungswesen verschrieben. Er hatte es von der Pike auf gelernt, als Zeitungsjunge auf der Lower East Side bis hin zum Reporter. Er hatte sich um den Kaffee gekümmert, Kopien gemacht, Nachrufe verfasst und über Blumenausstellungen berichtet.
Die Fähigkeit, eine Story aufzuspüren und sie erfolgreich zu vermarkten, hatte er nicht auf seinen Journalistiklehrgängen gelernt … er war damit geboren worden. Die Jahre seiner Seminare und Studien und seine Praxis hatten nur den Stil und die Technik seines Talentes verfeinert, das ebenso zu ihm gehörte wie die Farbe seiner Augen.
Im Alter von dreißig Jahren neigte Matthew gelegentlich zum Zynismus, besaß aber genügend Humor für das Auf und Ab des Lebens. Er mochte die Menschen, ohne sich Illusionen über sie zu machen. Er begriff und fand sich damit ab, dass Menschen von Grund auf lächerlich waren. Wie hätte er sonst in einem Raum voller Verrückter in einem Beruf arbeiten können, der ständig Menschen anprangerte und ausnutzte?
Vor einem Jahr hatte er New York verlassen, um diese Position beim ›Herald‹ anzunehmen, weil er eine Abwechslung wollte, vielleicht sogar brauchte. Ruhelos, dachte er jetzt bei sich. Er war ruhelos auf der Suche nach – irgendetwas. Und New Orleans war eine ebenso harte und spannendere Stadt wie New York, nur viel eleganter.
Er war Kriminalreporter, und sein Job gefiel ihm. Es war eine raue Welt, und Mord und Verzweiflung waren ein Teil davon, den man nicht ignorieren konnte. Der Mord, über den er gerade geschrieben hatte, war sinnlos und grausam gewesen. Aber so war das Leben – und so waren seine Geschichten. Jetzt verdrängte er den Tod des achtzehnjährigen Mädchens aus seinem Kopf. Zuallererst musste man objektiv sein, wenn man nicht einen neuen Beruf auszuprobieren gedachte. Aber er musste sich schon sehr anstrengen, um das Bild dieser Ermordeten aus seiner Erinnerung zu vertreiben.
Er sah nicht wie ein erfahrener, abgebrühter Reporter aus, und das wusste er auch. Als er noch um die zwanzig Jahre alt war, hatte ihn das sehr gestört, aber heute amüsierte er sich darüber.
Er war schlank und muskulös und fühlte sich in Jeans wohler als in Anzug. Seine Größe ließ ihn etwas schlaksig wirken. Sein dunkelblondes Haar zeigte nur selten den vorzüglichen Schnitt des guten Friseurs. Zumeist fiel es ihm in natürlichen Locken über die Ohren hinunter bis auf seinen Hemdkragen. Damit sah er noch mehr wie ein stiller, umgänglicher Mensch aus, der lieber am Strand saß als durch die Stadt raste. Mehr als eine Person hatte sich von seiner Fassade täuschen lassen, ohne den Menschen dahinter voll zu begreifen. Und wenn es dann – falls überhaupt – der Fall war, hatte Matthew seine Geschichte schon längst geschrieben.
Wenn er wollte, konnte er charmant, sogar elegant sein. Aber die sonst gutmütig dreinblickenden blauen Augen konnten vor Zorn blitzen oder, was noch gefährlicher war, seinen Gegenüber eiskalt anstarren. Hinter seiner aufgeschlossenen Art verbarg sich kalte, harte Entschlossenheit und aufbrausendes Temperament. Matthew fand sich mit einem Schulterzucken damit ab.
Mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen drehte er sich zu der jungen Frau um, die ihm gegenübersaß: Laurel Armand. Sie hatte ein Gesicht, das so romantisch wie ihr Name war. Sie wirkte zerbrechlich, was auf ihre Feingliedrigkeit und blasse Haut zurückzuführen war und was in einem Mann den Wunsch hervorrief, sie zu berühren. Ganz sanft zu berühren. Sie hatte leicht lockiges, dunkelbraunes, nach hinten gekämmtes Haar, das ihr bis zu den Schultern reichte. Haar, wie geschaffen dafür, seine Finger darin zu vergraben, sein Gesicht darin zu versenken. Ihre Augen besaßen die Farbe von dunklen, kostbaren Smaragden.
Es war das Gesicht einer Schönheit des neunzehnten Jahrhunderts, deren Leben sich um ein angenehmes Nichtstun und ihren vornehmen Hintergrund drehte. Und ihre Stimme war ebenfalls sehr weiblich, sehr ausgeglichen im Ton.
Diese Stimme, dachte Matthew, und sein Lächeln vertiefte sich, war ebenso trügerisch wie das Gesicht. Die Dame war eine gewitzte, ehrgeizige Reporterin mit einem Hang zur Hartnäckigkeit und einem heftigen Temperament, das er besonders gern herausforderte.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen tippte sie die letzte Zeile ihrer Geschichte. Zufrieden riss Laurel das Blatt aus der Maschine und visierte dann den Mann ihr gegenüber an. Sie wusste im Voraus, dass er sie wieder ärgern und dass sie – leider – wieder darauf hereinfallen würde.
»Hast du ein Problem, Matthew?« fragte sie sanft und leicht gelangweilt.
»Kein Problem, Laurellie.« Er sah, wie sie ärgerlich wurde, weil er ihren vollen Namen gebraucht hatte.
»Hast du keinen Mord oder bewaffneten Überfall, mit dem du dich beschäftigen kannst?«
Er verzog den Mund zu einem breiten Lächeln und vertiefte so die Lachfalten in seinem Gesicht. »Im Moment nicht. Na, klappst du für heute dein Nähkörbchen zu?«
Sie biss die Zähne zusammen, um den Schwall wütender Worte zu unterdrücken, die ihr auf der Zunge lagen. Matthew brachte es stets fertig, sie der Gefühle wegen, die bei ihrer Arbeit mit einflossen, aufzuziehen, und sie verteidigte sie stets aufs Neue. Aber diesmal nicht, sagte sich Laurel, als sie unter ihrem Schreibtisch die Hände zu Fäusten ballte: »Ich überlasse den Zynismus dir, Matthew«, antwortete sie honigsüß, doch ihre blitzenden Augen straften ihren Ton Lügen. »Darin bist du ja Meister.«
»Ja. Wollen wir darum wetten, wessen Story auf der Titelseite erscheint?«
Sie verzog ihre schön geschwungenen Brauen – eine Geste, die er besonders bewunderte. »Ich möchte mich nicht auf deine Kosten bereichern, Matthew.«
»Mir würde es aber überhaupt nichts ausmachen.« Lächelnd stand er auf, ging um ihren Schreibtisch herum und beugte sich zu ihrem Ohr hinunter. »Fünf Dollar. Obwohl deinem Vater die Zeitung gehört, kennen unsere Herausgeber doch den Unterschied zwischen einer Reportage und einer Hetzkampagne.«
Er sah, wie ihr die Siedehitze hochstieg, und vernahm das leise Ausatmen. Es war eine Versuchung, eine sehr große Versuchung, seinen Mund auf diese weichen, schmollenden Lippen zu pressen und den Zorn zu kosten. Doch trotz dieses drängenden Verlangens erinnerte Matthew sich, dass dies kein geeigneter Weg sei, sie zu überlisten.
»Wie du meinst, Matthew, aber setz zehn Dollar ein.« Laurel stand auf. Es machte sie wütend, dass sie gezwungen war, ihren Kopf zurückzulegen, um ihm in die Augen schauen zu können. Und es machte sie noch wütender, dass diese Augen sie selbstsicher und belustigt ansahen. Laurel fiel wieder in ihre Gewohnheit zurück, ihn sich klein, dick und mit beginnender Glatze vorzustellen. »Falls das deine Möglichkeiten nicht übersteigen sollte«, setzte sie hinzu.
»Dein ganz ergebener Diener, meine Liebe.« Er wickelte eine ihrer Haarlocken um den Finger. »Und um dir zu beweisen, dass selbst Yankees ritterlich sein können, werde ich dich von meinem Gewinn zum Lunch einladen.«
Sie lächelte ihn an und lehnte sich ein wenig an ihn heran, sodass ihre Körper sich leicht berührten. Matthew fühlte, wie eine überraschende Hitzewelle ihn durchlief. »Aber erst, wenn die Hölle gefriert«, antwortete Laurel und schob ihn zur Seite.
Matthew sah ihr nach, wie sie davonstürmte, dann steckte er lachend seine Hände in die Taschen. In dem Durcheinander um ihn herum fiel das keinem auf.
»Verdammt!« fluchte Laurel, während sie ihr Auto durch den stockenden Verkehr in die Innenstadt manövrierte. Matthew Bates war der irritierendste Mann, den sie je getroffen hatte. Sie rutschte gerade noch bei Gelb durch und haderte mit ihrem Schicksal. Wenn ihr Bruder Curt ihn nicht auf dem College kennen gelernt hätte, dann hätte Matthew niemals die Stellung beim … ›Herald‹ angetreten. Dann wäre er in New York unerträglich, statt Tag für Tag nur einen Meter von ihr entfernt unerträglich zu sein.
Nur widerwillig gestand sie sich ein, dass er der beste Reporter von allen war. Er war gründlich, seine Berichte waren aufschlussreich, und er besaß den Instinkt eines Bluthundes. Aber das machte den Umgang mit ihm nicht einfacher.
Matthews Artikel über den Mord war fundiert und brachte die Geschichte auf den Punkt. Am liebsten hätte sie ihm seine zehn Dollar in den Hals gestopft. Das hätte es ihm erschwert, sich damit zu brüsten.
In den zwölf Monaten, die sie ihn kannte und mit ihm arbeitete, hatte er nie so auf sie reagiert, wie es die anderen Männer taten. Er hatte keine Hochachtung vor ihr, sein Blick drückte keine Bewunderung aus. Sie hasste es zwar, ehrerbietig behandelt zu werden, aber seine Gleichgültigkeit fand sie ebenso abscheulich.
Er hatte sie niemals eingeladen … Nicht, dass sie das von ihm erwartet hätte, betonte Laurel vor sich selbst. Aber leider entging ihr so auch das Vergnügen, ihm eine Abfuhr zu erteilen. Obwohl er in ihr Wohnhaus gezogen war und direkt neben ihr wohnte, hatte er doch niemals, nicht einmal unter dem kleinsten Vorwand, an ihre Tür geklopft. Ein Jahr lang hatte sie gehofft, er möge es tun … damit sie ihm die Tür vor der Nase zuknallen konnte.
Stattdessen, dachte sie, und ihre Lippen wurden ganz schmal dabei, fällt er mir auf ein Dutzend andere Arten lästig. Er ließ boshafte, kleine Bemerkungen über ihre Freunde fallen – die noch irritierender waren, weil sie unweigerlich zutrafen. Im Augenblick war Jerry Cartier sein bevorzugtes Opfer, ein ultrakonservatives, irgendwie schwerfälliges Mitglied des Stadtrates. Laurel traf sich mit ihm nur, weil sie viel zu gutmütig war, um es zu unterlassen, und gelegentlich brachte er sie auf eine Spur, die sie in ihrem Artikel verwerten konnte. Aber Matthew versetzte sie in die unverzeihliche Lage, Jerry wider besseres Wissen verteidigen zu müssen.
Das Leben wäre leichter, dachte sie, wenn Matthew Bates noch immer in Manhattan an seinen Artikeln basteln würde. Und wenn er nicht so unglaublich attraktiv wäre. Laurel verbannte Matthew und auch ihre zehn Dollar, aus ihren Gedanken, während sie den dichten Straßenverkehr hinter sich ließ.
Obwohl die Sonne schon tief stand, leuchtete der Himmel noch immer. Die Wärme und das Licht flimmerten durch die Zypressen und ergossen sich auf die Straße. Tief zwischen den Bäumen lagen Schatten, ertönten die Geräusche von Insekten und Vögeln – den Tieren dieser Sumpflandschaft. Sie hatte immer gewusst, dass es in den Sümpfen Geheimnisse gab. Geheimnisse, Schatten, Gefahren. Sie trugen nur noch zu der Schönheit der Landschaft bei. Irgendwie war es aufregend zu wissen, dass so nahe an der Zivilisation noch eine andere Art von Leben – primitiv, räuberisch – existierte.
Als Laurel in die Straße einbog, die zu ihrem Familienstammsitz »Promesse d’Amour« führte, empfand sie das gewohnte Gefühl von Stolz und Ruhe. An jeder Seite der Auffahrt wuchsen Zedern, deren Kronen sich berührten und so die Straße in einen kühlen, dämmrigen Tunnel verwandelten.
Am Ende der Auffahrt hielt Laurel an und warf einen Blick auf das Gebäude. Es hatte zwei weitläufige Stockwerke und wurde von einer Fülle von Azaleen, Kamelien und Magnolien umgeben. Die zarten Farben der Blüten, ihr sanfter exotischer Duft – all das verstärkte den Eindruck der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Trägheit. Durch das heruntergekurbelte Fenster roch Laurel die Mischung aus Hitze und süßem Duft.
Die achtundzwanzig Säulen im dorischen Stil wirkten würdevoll und nicht im Mindesten prahlerisch. Jede Ecksäule war von Efeu überwuchert. Die schmiedeeisernen Muster des umlaufenden Balkons waren so zart wie schwarze Spitze, und französische Türen führten von dort in jeden Raum. Das Haus vermittelte den Eindruck von Beständigkeit, Sicherheit und Grazie. Laurel kam das Haus vor wie eine Dame, die mit den Jahren alt geworden war und jetzt über Charakter und Würde verfügte.
Sie nahm die Seitenstufen, die zur Veranda hinaufführten, und betrat das Haus, ohne anzuklopfen. Hier hatte sie ihre Kindheit und ihre Teenagerjahre verbracht. Ein breiter Korridor teilte das Haus in zwei Hälften und führte von der Vordertür bis in den hinteren Bereich. In der Luft hing der Geruch von Bienenwachs und Zitrone, der sich mit den Düften aus einer Schale voller Kamelienblüten vermischte. Auch ein Jahrhundert früher hätte dieser Geruch in der Halle gehangen. Laurel hielt nur kurz vor einem Drehspiegel, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, ehe sie in den vorderen Salon trat.
»Hallo, Papa.« Laurel trat auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, auf der frische Bartstoppeln sprossen.
William Armand war hoch gewachsen und sah mit dem dunklen Haar, in dem sich nur vereinzelt graue Strähnen zeigten, gut aus. Während er seine Tageszeitung temperamentvoll und zielstrebig leitete, wählte er für sein Privatleben eine gemächlichere Gangart. Er roch nach gutem Whiskey und Tabak. Einer alten Gewohnheit zufolge zerzauste er Laurel das Haar, das sie sich soeben erst gerichtet hatte.
»Hallo, Prinzessin. Eine gute Story über den Bürgermeister.« Verwirrt hob er eine Augenbraue, als ihm der plötzlich gereizte Ausdruck in ihrem Gesicht auffiel.
»Danke.« Sie lächelte schnell, sodass ihr Vater glaubte, er habe sich die Irritation nur eingebildet. Laurel drehte sich um und sah die Frau an, die in dem königsblauen Sessel saß.
Ihr Haar war schneeweiß, aber so voll und dicht wie Laurels. Es umrahmte ein gealtertes, faltiges und stark geschminktes Gesicht. Olivia Armand schämte sich ihrer Vergangenheit nicht. Ihre Augen, die so funkelten und so grün waren wie die Smaragde an ihren Ohren, begegneten Laurels Blick.
»Grandma.« Mit einem Seufzer beugte sich Laurel vor, um sie zu küssen. »Wirst du eigentlich nie alt?«
»Nicht, wenn ich etwas dabei zu sagen habe.« Ihre Stimme klang altersrau und überraschend sinnlich. »Du bist nicht anders«, fuhr sie fort und nahm Laurels Hand in ihre. »Das ist das gute Kreolenblut.« Nachdem sie Laurel kurz die Hand gedrückt hatte, lehnte sie sich in ihren Sessel zurück. »William, mach dem Kind einen Drink und schenk mir nach, wenn du schon dabei bist. Was macht dein Liebesleben, Laurellie?«
Lächelnd ließ sich Laurel auf dem Hocker zu Füßen ihrer Großmutter nieder. »Nicht so abwechslungsreich wie deins.« Ihr Vater blinzelte ihr zu, als er ihr das Glas reichte.
»Papperlapapp!« Olivia trank ihr Glas aus. »Ich werde dir sagen, was heutzutage mit der Welt nicht mehr stimmt: zu viel Geschäft und zu wenig Romantik. Dein Problem, Laurellie …«, sie hielt inne und wies mit dem Zeigefinger auf ihre Enkelin, »… ist, dass du deine Zeit mit diesem rückgratlosen Cartier verschwendest. Er besitzt kein feuriges Blut, um eine Frau im Bett zu wärmen.«
»Dem Himmel sei Dank!« sagte Laurel mit einem dankbaren Blick zur Zimmerdecke. »Da möchte ich ihn am allerwenigsten haben.«
»Es ist aber an der Zeit, dass du jemanden dort hast«, erwiderte Olivia.
Laurel zog die Augenbraue hoch, und ihr Vater hätte sich beinahe an seinem Drink verschluckt. »Nicht jeder von uns«, sagte Laurel ruhig, »verfügt über deine unzüchtige Fantasie.«
Olivia brach in Lachen aus und klopfte vergnügt auf ihre Armlehne. »Nicht jeder von uns gibt das zu, das ist der Unterschied.«
Laurel lächelte, weil sie die Unverschämtheit ihrer Großmutter unwiderstehlich fand. »Curt sollte eigentlich schon hier sein, nicht wahr?«
»Ja, jeden Augenblick.« William ließ sich in einen Sessel sinken. »Er rief an, kurz bevor du gekommen bist. Er bringt jemanden mit.«
»Eine Frau, will ich hoffen«, sagte Olivia unweigerlich, ehe sie ihr Whiskeyglas leerte. »Der Junge hat seine Nase in zu viele juristische Fachbücher gesteckt. Bei euch beiden«, fuhr sie fort und wandte sich wieder an Laurel, »werde ich wohl nie zur Urgroßmutter werden. Ihr beide seid viel zu sehr mit juristischen Fragen oder Zeitungen befasst, um einen Partner zu finden.«
»Ich bin noch nicht zur Ehe aufgelegt«, sagte Laurel ruhig und hielt ihr Glas gegen das Licht.
»Wer hat von Ehe gesprochen?« Olivia seufzte laut auf und sah ihren Sohn an. »Die heutige Generation hat keine Ahnung.«
In Laurels Lachen mischte sich das Geräusch der zufallenden Vordertür. »Das wird Curt sein. Ich halte es für besser, ihn vorzuwarnen, in welchem Gemütszustand du dich befindest.«
»Ein verdammt hübsches Mädchen«, murmelte Olivia, als Laurel hinausging. »Sie ist dein Abbild«, merkte ihr Sohn an, während er sich eine seiner Zigarren anzündete.
In dem Augenblick, als Laurel in die Halle kam, schwand ihr Lächeln, und sie biss die Zähne zusammen. Ihr Blick glitt von ihrem Bruder zu dem Mann an seiner Seite. »Oh, du bist es.«
Matthew ergriff ihre Hand und hob sie an seine Lippen, ehe Laurel sie fortziehen konnte. »Ah, südliche Gastfreundschaft.« Wirklich, dachte er, während sein Blick sie erfasste, sie ist schön. All diese Leidenschaft, all dieses Feuer, unter Elfenbein und Rosen. Eines Tages, Laurellie, schwor er sich im Stillen, setzen wir all das frei.
Laurel ignorierte die Wärme, die seine Lippen auf ihren Fingerknöcheln hinterlassen hatte, und wandte sich ihrem Bruder zu. Er hatte die eckigen und aristokratischen Gesichtszüge ihres Vaters und die Augen eines Träumers. Matthew fiel auf, dass der unterdrückte Groll in ihrem Gesicht liebevoller Zuneigung wich.
»Hallo.« Sie legte ihrem Bruder die Hände auf die Schultern und küsste ihn. »Wie geht es dir?«
»Gut. Viel zu tun.« Er lächelte sie abwesend an, als hätte er soeben erst gemerkt, wo er sich befand.
»Deine Arbeit könnte heute Abend Gesprächsstoff sein«, erklärte sie mit einem Auflachen. »Grandma hat wieder ihre komischen fünf Minuten.«
Er sah sie so gequält an, dass Laurel ihm noch einen Kuss gab. Armer Curt, dachte sie, er ist so scheu und so nett. Sie sah sich um und blickte direkt in Matthews Augen. Er beobachtete sie kühl, hinter seiner gleichgültigen Miene lag etwas Undefinierbares. Ein Schauer rann ihr über den Rücken, aber sie wich seinen Augen nicht aus.
Wer ist er wirklich? fragte sie sich, und das nicht zum ersten Male. Und warum weiß ich das nach einem vollen Jahr noch immer nicht mit Sicherheit? Es verwunderte sie stets, dass ein Mann mit seiner Energie, seinem Witz und Zynismus, so gut Freund mit ihrem sanften, verträumten Bruder blieb. Es verwunderte sie ebenfalls, dass sie ihn als Typ nicht unterbringen konnte. Vielleicht war das der Grund, warum er ihr so oft im Kopf herumspukte. Unwillkürlich glitt ihr Blick zu seinem Mund. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Im Stillen fluchte sie.
»Ich denke, wir gehen jetzt hinein«, sagte Curt, dem die Spannung um ihn herum nicht auffiel. Er lächelte auf eine schnelle, jungenhafte Art, die seine sanften Augen belebte. »Dass Matthew hier ist, sollte dich eigentlich ablenken. Frauen abzulenken ist eines seiner besten Talente.«
Laurel schnaubte wenig damenhaft durch die Nase. »Darauf wette ich.«
Während Curt in den Salon ging, nahm Matthew Laurels Hand und schob sie unter seinen Arm. »Eine neue Wette, Laurellie?« murmelte er. »Nenn mir den Einsatz.«
Irgendwie klangen die leise gesprochenen Worte überheblich. Mit einer ärgerlichen Bewegung, die ihm sehr gefiel, warf sie den Kopf zurück. »Wenn du meine Hand nicht loslässt, werde ich …«
»Wirst du dich in Verlegenheit bringen«, beendete Matthew den Satz für sie, als sie die Schwelle zum Salon überschritten.
Dieser Raum hatte Matthew schon immer gefallen – die verblassenden Farben und das glänzende alte Holz. Manchmal, wenn er hier war, vergaß Matthew die Jahre, die er im überfüllten dritten Stock eines billigen Mietshauses zugebracht hatte, mit einer Heizung, die mehr Krach als Wärme von sich gab. Dieser Teil seines Lebens war vorüber, dafür hatte er schon gesorgt. Schuhe, die zu klein waren, ein immer halb leerer Magen – ein Ehrgeiz, der zumeist größer als seine Erfolgsaussichten war. Nein, er würde den Erfolg nie als etwas Selbstverständliches betrachten. Er hatte zu viele Jahre darum kämpfen müssen.
»Du hast also den Yankee mitgebracht!« Olivia strahlte Matthew an und freute sich auf das, was kommen würde.
Curt begrüßte seinen Vater, küsste, wie es sich gehörte, Olivias Wange und beschäftigte sich dann mit den Drinks. Grandma hatte diesen ganz bestimmten Ausdruck in ihren Augen.
»Miss Olivia.« Matthew ergriff die ihm gereichte Hand und hob sie an die Lippen. »Sie sind schöner denn je.«
»Sie Schelm«, schalt sie ihn, aber ihr Vergnügen war unüberhörbar. »Sie haben mich seit einem Monat nicht mehr aufgesucht … eine gefährlich lange Zeit in meinem Alter.«
Matthew küsste noch einmal ihre Hand und blickte ihr lächelnd in die blitzenden Augen. »Ich halte mich nur deshalb fern, weil Sie mich nicht heiraten wollen.«
Laurel unterdrückte ein Lächeln und nahm am anderen Ende des Raumes Platz. Musste er so verdammt charmant sein?
Aus Olivias Lachen klang die reine, weibliche Wertschätzung. »Vor dreißig Jahren hätte ich Ihnen, Sie Verführer, vielleicht eine Chance gegeben, selbst wenn Sie ein Yankee sind.«
Matthew nahm das Glas, welches Curt ihm mit einem dankbaren Blick reichte und wandte sich wieder Olivia zu. »Miss Olivia, ich hätte bestimmt nicht Reißaus genommen.« Er stützte sich nun auf die Lehne ihres Sessels. Ganz wie ein Lieblingsneffe, dachte Laurel ärgerlich.
»Nun, dafür ist der Zeitpunkt jetzt verstrichen«, entschied sie mit einem Seufzen, ehe sie zu Laurel hinüberschaute. »Warum lässt du dich nicht mit diesem Teufel ein, Laurellie? Er ist der richtige Mann, um das Blut einer Frau in Wallung zu bringen.«
Laurels Wangen röteten sich vor Ärger und vor Verlegenheit, als Matthew sie angrinste. Sie verharrte in eisigem Schweigen und verfluchte ihre helle Haut.
»Nun, das ist ein feiner, weiblicher Trick«, bemerkte ihre Großmutter und klopfte Matthew auf den Oberschenkel. »Und sehr gut für den Teint. Ich könnte doch tatsächlich auch heute noch auf Wunsch erröten, selbst nachdem ich einen Ehemann und drei Liebhaber hinter mich gebracht habe.« Zufrieden mit dem vernichtenden Blick, den ihre Enkelin ihr zuwarf, sah Olivia wieder zu Matthew hoch. »Sie ist ein gut aussehendes Mädchen, nicht wahr?«
»Reizend«, pflichtete Matthew ihr bei und amüsierte sich ebenso königlich wie Olivia.
»Sie wird einmal prächtige Söhne in die Welt setzen.«
»Möchtest du noch etwas zu trinken, Mutter?« fragte William, dem nicht entgangen war, dass seine Tochter kurz davor war aufzubrausen.
»Ein glänzender Vorschlag.« Sie reichte ihm ihr leeres Glas. »Sie haben die Gartenanlagen noch gar nicht bewundert, Matthew. Sie sind jetzt am schönsten. Laurellie, bring diesen Yankee nach draußen und zeig ihm, wie ein richtiger Garten auszusehen hat.«
Laurel sah ihre Großmutter eisig an. »Ich bin überzeugt, dass Matthew …«
»… es gefallen würde«, beendete er den Satz für sie und stand auf.
Sie richtete den Blick gelangweilt auf ihn. »Ich möchte nicht …«
»… unhöflich sein«, ergänzte er ruhig und half ihr aus dem Sessel.
O doch, genau das will ich, dachte Laurel, während sie die Tür zum Garten öffnete. Sie sehnte sich danach, unhöflich zu sein. Aber nicht vor ihrer Familie, und das wusste er.
»Mir scheint, das macht dir auch noch Spaß, nicht wahr?« zischte sie ihn an, nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war.
»Macht mir was Spaß?« entgegnete Matthew.
»Mich in Rage zu bringen.«
»Es ist ausgeschlossen, etwas nicht zu genießen, bei dem jemand Meister ist.«
Sie musste lachen und ärgerte sich darüber. »Nun schön, das ist der Garten.« Sie machte eine ausholende Geste. »Und du willst ihn ebenso wenig sehen, wie ich ihn dir zeigen möchte.«
»Falsch«, sagte Matthew schlicht und nahm wieder ihre Hand.
»Lass das sein!« Wütend wollte Laurel ihm die Hand entreißen, was ihr aber nicht gelang. »Das ist eine ganz neue Sitte, die du dir da angewöhnt hast.«
»Ich habe gerade herausgefunden, dass sie mir gefällt.« Er zog Laurel von der Terrasse zu einem der schmalen Pfade, die sich durch die Blumenbeete wanden. »Außerdem, wenn du dich jetzt nicht von deiner besten Seite zeigst, lässt sich Olivia einfach etwas anderes einfallen.«
Allzu wahr, gestand Laurel sich ein. Sie würde sich mit dem Mann neben ihr abfinden müssen. Wenigstens gab es einen schönen Sonnenuntergang, und der Garten roch wie das Paradies. Es war schon lange her, dass sie sich die Zeit genommen hatte, ihn in der Abenddämmerung aufzusuchen.
»Zu dieser Tageszeit hat der Garten mir immer am besten gefallen«, sagte Laurel, ohne nachzudenken. »Es ist, als sähe man die Frauen mit ihren Reifröcken über die Wege rascheln. Im Pavillon hat ein kleines Orchester gespielt und überall hängen bunte Laternen.«
Matthew wusste, dass sie eine romantische Ader besaß, einen Hauch der Verträumtheit ihres Bruders, aber sie hatte bisher sorgfältig darauf geachtet, das vor ihm zu verbergen. Instinktiv wusste er, dass es auch jetzt nicht ihre Absicht gewesen war, aber der Garten hatte sie schwach gemacht. Er fragte sich, während sein Daumen flüchtig über ihre Knöchel glitt, welche anderen Schwächen sie wohl noch haben mochte. »Er hätte damals nicht anders geduftet als heute Abend auch«, murmelte Matthew und stellte fest, wie exquisit ihre Haut im goldenen Licht der untergehenden Sonne leuchtete. »Heiß und süß und geheimnisvoll.«
»Als ich noch ein Mädchen war, bin ich manchmal in der Dämmerung hier herausgekommen und habe mir eingebildet, mit jemandem verabredet zu sein.« Die Erinnerung ließ sie lächeln, ein wenig verträumt, ein wenig sehnsüchtig. »Manchmal war er dunkel und stürmisch, manchmal groß und blond, aber immer gefährlich und unpassend. Die Art von Mann, aus dessen Fängen der Vater des jungen Mädchens sie befreien würde.« Sie lachte und ließ ihre Finger über eine wächserne, weiße Kamelienblüte gleiten. »Eigenartig, dass ich solche Träume hatte, wo mein Papa doch wusste, dass ich viel zu ehrgeizig und praktisch veranlagt war, um mein Herz an einen solchen …«
Laurel verstummte, als sie sich umsah und Matthew dicht vor sich fand – so dicht, dass es an seinem Geruch lag, dass ihre Sinne sich regten, weniger an dem der Blüten. Es war sein Atem, den sie auf ihrer Haut spürte, und nicht die schwüle Abendluft. Das Licht war goldgetränkt und rosig angehaucht. Verschwommen, zauberhaft. In diesem Licht sah er aus wie einer der Männer, von denen sie geträumt hatte.
Matthew strich leicht über ihr Handgelenk. Ihr Puls ging nicht regelmäßig, aber jetzt war es nicht der Ärger, der ihn aus dem Rhythmus brachte. »Einen was?«
»An einen solchen Gauner zu verlieren«, beendete Laurel nach einer Weile ihren Satz.
Sie sprachen leise, als verrieten sie sich Geheimnisse. Die Sonne sank tiefer und die Schatten wurden länger.
Sein Gesicht ist so schmal, dachte Laurel plötzlich. Es ist das Gesicht eines Mannes, der Schwierigkeiten nicht aus dem Weg gehen würde. Seine Augen waren wachsam, aber ihr war schon früher aufgefallen, wie leicht er seine Gedanken verbergen konnte. Vielleicht entlockte er deshalb den Leuten Informationen, ohne so zu wirken, als wäre das seine Absicht. Und sein Mund … Woran lag es, dass ihr nie aufgefallen war, wie verlockend, wie sinnlich seine Lippen waren? Oder hatte sie sich nur einfach eingeredet, es fiele ihr nicht auf? Er wäre bestimmt nicht weich, dachte sie, während ihr Blick an seinen Lippen hing. Sein Mund wäre bestimmt hart und hätte einen durchaus männlichen Geschmack. Sie könnte sich ein wenig näher zu ihm beugen und …
Als ihr auffiel, wohin ihre Gedanken glitten, riss Laurel verschreckt die Augen auf. Ihr Puls raste unter Matthews Fingern, und rasch entzog sie ihm die Hand. Himmel, was war nur in sie gefahren? Er würde sie monatelang aufziehen, wenn er auch nur im Mindesten wüsste, wie nahe sie gewesen war, einen Narren aus sich zu machen.
»Ich glaube, es ist besser, wir gehen zurück«, sagte sie kühl. »Es ist beinahe Zeit fürs Dinner.«
Matthew verspürte den Drang, sie an sich zu ziehen und sich den Kuss zu nehmen, den sie ihm fast gegeben hätte. Aber wenn er das täte, dann würde er auch den allerkleinsten Fortschritt vereiteln, den er gemacht hatte. Er hatte sie seit Langem gewollt – viel zu lange schon – und war klug genug zu wissen, dass sie die üblichen Annäherungsversuche des Erstbesten abweisen würde. Matthew hatte sich für eine unüblichere Annäherung entschieden und fand, auch das hatte seine Reize.
Die Geduld, erinnerte Matthew sich selbst, war ein wichtiger Teil des Erfolges.
Aber sie verdiente einen kleinen Seitenhieb, weil sie ihn dazu brachte, sich vor Verlangen und Frustration zu verzehren.
»So bald schon?« Seine Stimme klang mild, seine Miene war ironisch. »Wenn Olivia dich mit Cartier hier herausgeschickt hätte, dann hättest du den Spaziergang wohl kaum so schnell beendet.«
»Sie hätte mich niemals mit Jerry hierher geschickt«, sagte Laurel, ehe sie begriff, was sie damit ausdrückte.
»Aha.« Der Tonfall war beabsichtigt, sie zu verärgern.
»Fang nicht mit Jerry an«, fuhr Laurel auf.
Matthew lächelte sie unschuldig an. »Habe ich das?«
»Er ist ein sehr netter Mann«, fing sie erregt an. »Er hat gute Manieren und ist – harmlos.«
Matthew lachte mit zurückgeworfenem Kopf.
»Ich werde dir sagen, was du bist«, sagte sie mit leiser, zitternder Stimme. »Du bist unerträglich.«
»Viel besser.« Er konnte nicht widerstehen, trat näher an sie heran und fasste ihr Haar mit einer Hand. »Ich habe nicht den Wunsch, nett, wohlerzogen oder harmlos zu sein.«
Sie wünschte sich, seine Finger hätten nicht ihren Nacken gestreift. Die Berührung löste einen eigenartigen kleinen Schauer aus. »Dein Wunsch sei dir erfüllt«, sagte sie, nicht ganz so ruhig. »Du bist lästig, flegelhaft und …«
»Gefährlich?« half er ihr nach und senkte den Kopf, sodass ihre Lippen nur noch wenig voneinander entfernt waren.
»Leg mir keine Worte in den Mund, Matthew.« Sie bemühte sich, gleichmäßig zu atmen, trat einen Schritt zurück und stieß an die Wand des Spaliers. Sie wäre ausgewichen, hätte er sich nicht so schnell bewegt und ihr den Weg abgeschnitten.
»Auf dem Rückzug, Laurellie?« Nein, es lag nicht nur an ihrem Zorn, dachte er, als er den heftigen Pulsschlag an ihrem Hals sah. Dieses Mal nicht.
Sie wurde von Wärme erfüllt, wie von einem trägen Strom. Laurel richtete sich auf und hob das Kinn. »Ich habe es nicht nötig, den Rückzug vor dir anzutreten. Es ist schon schlimm genug, dass ich dich Tag für Tag beim ›Herald‹ ertragen muss, aber ich habe es auch verdammt nicht nötig, hier herumzustehen und meine Zeit zu vertrödeln. Ich gehe hinein«, sie schrie es beinahe, »weil ich hungrig bin!«
Sie schob ihn aus dem Weg und stürmte zum Haus zurück. Matthew blieb einen Moment stehen und sah ihr nach – dem wippenden Haar, den langen, graziösen Schritten, dem kochenden Zorn. Sie ist, dachte er, schon ein Teufelsweib. Sie zu lieben muss ein faszinierendes Erlebnis sein, dachte er. Er hatte die Absicht, diese Erfahrung zu machen, und sie auch, und zwar bald.
2. KAPITEL
Weil der Ärger des vergangenen Abends immer noch in ihr kochte, entschloss sich Laurel, zu Fuß in die Redaktion zu gehen. Eine halbe Stunde in der warmen Luft, ihr Weg inmitten der Menschen, Schaufenster betrachten, und hie und da etwas vom Gespräch der anderen Fußgänger aufschnappen – das alles würde ihre Erregung schnell besänftigen. Die Stadt war, wie das außerhalb gelegene Haus auf der Plantage, Laurels beständige Liebe. Sie betrachtete es nicht als Widerspruch, sich zu der eleganten Zeitlosigkeit von »Promesse d’Amour« ebenso hingezogen zu fühlen wie zu der hektischen Eile des Geschäftsverkehrs.
Solange sie sich erinnern konnte, hatte sie mit diesen beiden Welten zu tun gehabt und sich in beiden gleichermaßen wohl gefühlt. Sie war ehrgeizig – und sie war romantisch. Praktisches Denken und Verträumtheit waren beide ein Teil ihres Wesens, und das Hin und Her war ihr nie zu viel geworden. Im Augenblick fühlte sie sich mit dem Krach und der sie umgebenden Eile wohler als mit der Erinnerung an den dämmrigen Garten.
Worauf hatte Matthew es angelegt? fragte sie sich noch einmal und steckte die Hände in die Taschen. Laurel hatte das Gefühl, sie kenne Matthew gut genug, um zu verstehen, dass er selten etwas ohne verborgene Absichten tat. Er hatte sie in dieser Weise noch nie zuvor berührt. Stirnrunzelnd starrte sie in eine Auslage und rief sich in Erinnerung, dass Matthew Bates sie das ganze Jahr lang so gut wie nie berührt hatte. Und gestern Abend … Gestern Abend war etwas beinahe Unverfängliches an der Art gewesen, wie er mit den Fingern über ihren Nacken gestreift war und ihr Handgelenk gestreichelt hatte. Beinahe unverfänglich, wiederholte sie. Aber ihre Reaktion darauf war ganz und gar nicht verfänglich gewesen.
Offensichtlich hatte er sie doch in einem unbedachten Augenblick erwischt … Absichtlich, fand Laurel und runzelte die Stirn noch mehr. Sie hatte keine Aufregung oder Vorfreude verspürt, sondern einfach Überraschung, von der sie sich jetzt restlos erholt hatte. Der Garten war verträumt, romantisch gewesen. Sie war stets empfänglich für Stimmungen, und nur deshalb hatte sie ihm wohl diese dummen Sachen gesagt. Und darum hatte sie, wenn auch nur für eine Minute, herausfinden wollen, wie es wohl wäre, von ihm gehalten zu werden.
Blüten und Sonnenuntergang. In einer solchen Umgebung könnte eine Frau selbst den Teufel anziehend finden. Wenigstens zeitweilig.
Aber sie war nicht gewillt, sich von einem absurden Vorfall in einer Traumwelt ihren Tag verderben zu lassen. Entschlossen, das alles zu vergessen und den Mann dazu, der das verursacht hatte, wollte sie weitergehen.
»Guten Morgen, Laurellie.«
Vor Überraschung wäre Laurel fast gestolpert, aber eine Hand hielt sie am Arm fest. Gütiger Himmel, gab es in ganz New Orleans keinen Ort, wo man ihm nicht entkommen konnte? Sie drehte sich um und warf Matthew einen langen, kühlen Blick zu. »Pech mit dem Auto gehabt?«
Hochmut steht ihr gut, überlegte er, genau wie Zorn. »Es ist ein schöner Tag zum Laufen«, entgegnete er glatt und hielt sie beim Arm, während sie die Straße überquerten. Er war nicht so dumm, ihr mitzuteilen, dass er sie das Haus zu Fuß hatte verlassen sehen und dem Impuls nachgegeben hatte, ihr zu folgen.
Laurel befreite sich aus seinem Griff, nachdem sie die andere Seite erreicht hatten. Warum, zum Teufel, hatte sie nicht ihren Wagen genommen, so wie sie es an jedem Morgen tat? Da sie es zu keiner Szene auf der Straße kommen lassen wollte, musste sie mit ihm weitergehen. Als sie ihn wieder ansah, fing sie seinen belustigten Blick auf, der wohl ausdrücken sollte, er habe ihre Gedanken genau erraten. Sie verwarf die Absicht, ihm ihre Handtasche über den Kopf zu hauen, und lächelte kalt.
»Nun, Matthew, mir scheint, du hast dich gestern Abend gut unterhalten.«
»Ich mag deine Großmutter, sie ist sehr schön«, sagte er so schlicht, dass sie auf der Stelle stehen blieb. Als ihre Brauen sich zusammenzogen, lächelte er und fuhr mit dem Finger ihren Nasenrücken entlang. »Ist das nicht erlaubt?«
Mit einem Schulterzucken nahm Laurel ihren Weg wieder auf. Wie sollte sie ihn verabscheuen, wenn er so reizend und ehrlich war? Doch Laurel unternahm einen neuen Versuch. »Du ermutigst sie.«
»Sie braucht keine Ermutigung«, stellte er präzise fest. »Aber es macht mir trotzdem Spaß.«
Es gelang Laurel nicht, ein Lachen zu unterdrücken. Der Bürgersteig war so voller Menschen, dass sich ihre Arme beim Gehen zwangsläufig berührten. »Es scheint, als hättest du nichts dagegen, dass sie dich als meinen …«
»… Liebhaber sieht?« schlug er mit seiner schrecklichen Angewohnheit, immer ihre Gedanken zu Ende zu führen, vor. »Ich glaube, Olivia hat, trotz ihrer, hm, liberalen Einstellung, etwas Dauerhaftes im Sinn. Sie hat das Haus aus gutem Grund erwähnt.«
Verblüfft starrte Laurel ihn mit offenem Mund an. Er lächelte, und ihr Sinn für Komik gewann die Oberhand. »Du solltest besser sicherstellen, dass sie auch noch etwas Bargeld dazuwirft. Der Unterhalt des Hauses kostet ein Vermögen!«
»Ich gebe zu, ich fühle mich versucht.« Er fing die Spitzen von Laurels Haar mit den Fingern ein. »Das … Haus«, sagte er, als sie zu ihm aufsah, »ist nicht etwas, das ein Mann leicht ablehnt.«
Sie warf ihm einen Blick zu, mit dem sie ihn noch nie angesehen hatte. Unter den Wimpern hervor, hitzig, belustigt und unwiderstehlich. »Matthew«, sagte Laurel sanft grollend, »du bringst mich dazu, Jerry ernsthafter in Erwägung zu ziehen.«
Dann, dachte er, während Verlangen in ihm erwachte, werde ich ihn um die Ecke bringen müssen. »Olivia würde dich enterben.«
Laurel lachte und schob gedankenverloren ihren Arm unter den seinen. »Oh je, die Qual der Wahl, vor die eine Frau sich gestellt sieht. Mein Erbe oder meine Gefühle. Ich glaube, es ist höchst bedauerlich für uns beide, dass du nicht mein Typ bist.«
Matthew hatte seine Hand schon am Griff der Glastür zum ›Herald‹-Gebäude, ehe Laurel sie aufziehen konnte. »Du bringst mich dazu, Laurellie«, sagte er ruhig, »deine Ansichten zu ändern.«
Sie hob eine Braue und war nicht mehr so selbstsicher, wie sie es noch vor einem Augenblick gewesen war. Warum waren ihr diese raschen Stimmungswechsel an ihm früher nie aufgefallen?