Afrikas Kampf um seine Kunst - Bénédicte Savoy - E-Book

Afrikas Kampf um seine Kunst E-Book

Bénédicte Savoy

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Beschreibung

BÉNÉDICTE SAVOY STEHT AUF DER TIME-LISTE DER "100 MOST INFLUENTIAL PEOPLE 2021"
WIE AFRIKA SCHON VOR 50 JAHREN UM SEINE KUNST KÄMPFTE - UND VERLOR

Schon vor 50 Jahren kämpfte Afrika um seine Kunst, die während der Kolonialzeit massenweise in europäische Museen gelangt war. Und es fand durchaus Unterstützung im Westen. Am Ende jedoch war der Kampf nicht nur vergebens, er wurde auch erfolgreich vergessen gemacht. Auf der Grundlage von unzähligen unbekannten Quellen aus Europa und Afrika erzählt Bénédicte Savoy die gespenstische Geschichte einer verpassten Chance, einer Niederlage, die heute mit umso größerer Wucht auf uns zurückschlägt.

Afrikas Bemühungen um seine in der Kolonialzeit nach Europa verbrachte Kunst sind keineswegs neu. Schon bald nach 1960, als 18 ehemalige Kolonien die Unabhängigkeit erlangten, wurde von afrikanischen Intellektuellen, Politikern und Museumsleuten eine ungeheure Dynamik in Gang gesetzt. In ganz Europa suchten daraufhin Politikerinnen und Politiker, Journalisten, Akademiker und einige Musemsleute einen Weg, afrikanische Kulturgüter im Sinne einer postkolonialen und postrassistischen Solidarität zurückzugeben. Die Argumente aber, mit denen andere versuchten, die Forderungen aus Afrika zu entkräften und Lösungen zu verhindern, ähneln auf frappierende Weise denen von heute. Schließlich verlief alles im Sand. Bénédicte Savoy verfolgt den postkolonialen Aufbruch und sein Ersticken und fragt, welche Akteure, Strukturen und Ideologien damals dafür sorgten, dass das Projekt einer geordneten, fairen Rückgabe von Kulturgütern traurig scheiterte.

  • Ein historisches Lehrstück von unheimlicher Aktualität
  • Die Geschichte einer verpassten Chance nach dem Ende des Kolonialismus
  • Bénédicte Savoy ist Koautorin des vielbeachteten "Berichts über die Restitution afrikanischer Kulturgüter" für Emmanuel Macron
  • Nur zehn Prozent der afrikanischen Kulturgüter befinden sich heute auf afrikanischem Boden

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BÉNÉDICTE SAVOY

AFRIKAS KAMPF UMSEINE KUNST

Geschichte einer postkolonialen Niederlage

C.H.BECK

Zum Buch

Schon vor 50 Jahren kämpfte Afrika um seine Kunst, die während der Kolonialzeit massenweise in europäische Museen gelangt war. Und es fand durchaus Unterstützung im Westen. Am Ende jedoch war der Kampf nicht nur vergebens, er wurde auch erfolgreich vergessen gemacht. Auf der Grundlage von zahlreichen unbekannten Quellen aus Europa und Afrika erzählt Bénédicte Savoy die gespenstische Geschichte einer verpassten Chance, einer Niederlage, die heute mit umso größerer Wucht auf uns zurückschlägt.

Die Dynamik war schon bald nach 1960, als 18 ehemalige Kolonien die Unabhängigkeit erlangten, von afrikanischen Intellektuellen, Politikern und Museumsleuten in Gang gesetzt worden. In ganz Europa suchten daraufhin Politikerinnen und Politiker, Journalisten, Akademiker und einige Musemsleute einen Weg, afrikanische Kulturgüter im Sinne einer postkolonialen und postrassistischen Solidarität zurückzugeben. Die Argumente aber, mit denen andere versuchten, die Forderungen aus Afrika zu entkräften und Lösungen zu verhindern, ähneln auf frappierende Weise denen von heute. Schließlich verlief alles im Sand. Bénédicte Savoy verfolgt den postkolonialen Aufbruch und sein Ersticken und fragt, welche Akteure, Strukturen und Ideologien damals dafür sorgten, dass das Projekt einer geordneten, fairen Rückgabe von Kulturgütern traurig scheiterte.

Über die Autorin

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. 2016 erhielt sie den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie hat vielfältig zu Kunstraub und Beutekunst geforscht und ist eine der prominentesten Stimmen in der Debatte um die Rückgabe geraubter Kulturgüter in westlichen Sammlungen. Zusammen mit Felwine Sarr hat sie den vielbeachteten Bericht für Emmanuel Macron zur Restitution afrikanischen Kulturguts an die Herkunftsländer verfasst.

Inhalt

Tafelteil

Einleitung

1965: Bingo

1971: You Hide Me

1972: Preußischer Kulturbesitz

1973: Null

1974: Zunehmend global

Africa Report

Mobilmachung in der BRD

Asante-Regalia

1975: Pause

1976: «German Debate»

1977: Festac’77

1978: Offensive, Defensive

Offensive

Abwehr

1979: Ein Gespenst geht um in Europa

1980: Listenkrieg

1981: Lost Heritage

1982: Mexiko und die Griechen

1983: Bremen

1984: Open End

1985: Zurück in die Zukunft

Epilog

Zeittafel

Anmerkungen

Einleitung

1965 Bingo

1971 You Hide Me

1972 Preußischer Kulturbesitz

1973 Null

1974 Zunehmend global

1975 Pause

1976 «German Debate»

1977 Festac’77

1978 Offensive, Defensive

1979 Ein Gespenst geht um in Europa

1980 Listenkrieg

1981 Lost Heritage

1982 Mexiko und die Griechen

1983 Bremen

1984 Open End

1985 Zurück in die Zukunft

Epilog

Quellen und Literatur

Archive

Audiovisuelle Medien (chronologisch)

Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur

Bildnachweis

Personenregister

Tafelteil

Tafel 1: Cover der JanuarAusgabe 1965 von Bingo, einer in Dakar erscheinenden Monatsschrift. Darin publizierte Paulin Joachim unter dem Titel «Gebt uns die Negerkunst zurück» den wohl ersten Aufruf zur Restitution afrikanischer Kulturgüter.

Tafel 2: Titelseite der offiziellen nigerianischen Informationsbroschüre zum panafrikanischen Festival von Dakar 1966. Die graphische Gestaltung machte unmissverständlich deutlich, dass die aus Benin City stammende, seit 1910 im Besitz des British Museum befindliche «Queen Idia Mask» als Teil des kulturellen Erbes Nigerias beansprucht wurde, auch wenn ihre Restitution erst viele Jahre später gefordert werden sollte.

Tafel 3: Mobutu Sese Seko, Präsident von Zaire, vor dem Plenum der Vereinten Nationen in New York am 4. Oktober 1973. Seine damals gehaltene Rede gilt gemeinhin als Stunde Null der weltweiten Restitutionsdebatte der 70er und 80er Jahre.

Tafel 4: Cover des in New York erscheinenden Africa Report im Januar 1974. In dieser Ausgabe erschien die lange Reportage von Susan Blumenthal zur weltweiten Diaspora afrikanischer Kunst und zur Zukunft der Museen in Afrika.

Tafel 5: Ab 1971 zirkulierte in der DDR eine Briefmarkenserie zu den ethnologischen Sammlungen des Völkerkundemuseums in Leipzig, des heutigen Grassi Museums. Darunter befand sich auch eine Marke mit dem aus Benin City stammenden «Gedenkkopf im Udo-Stil» (Inv. Nr. MAf 29815), nachgezeichnet von Gerhard Voigt.

Tafel 6: Hans-Georg Wormit, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Stephan Waetzold, Generaldirektor der Staatlichen Museen in Berlin (West) im Gespräch, Anfang 1974. Beide wehrten sich ab 1972 vehement gegen Leih- und Restitutionsgesuche aus ehemals kolonisierten Ländern, insbesondere Nigeria.

Tafel 7: Im Rahmen des panafrikanischen Festivals Festac’77 erschienenes Plattencover der Band Sonora-Gentil & Tabansi Stars International mit dreifach abgedrucktem Festival-Emblem auf Englisch, Französisch und Arabisch.

Tafel 8: Cover der im Nachgang zur Konferenz «Lost Heritage» in London (1981) veröffentlichten Broschüre. Die Zeichnung spielt auf das gängige Motiv des Museums als Gefängnis an und kombiniert gleich zwei sensible Objekte des British Museum: die «Queen Idia Mask» und ein Fragment des Parthenonfrieses.

Tafel 9: Cover des Sonderheftes zu Restitutionen der UNESCO-Zeitschrift Museum, französische Ausgabe, 1979.

Tafel 10: Amadou Mahtar M’Bow am Tag seiner Wahl zum Generaldirektor der UNESCO im November 1974. Unter seiner Führung avancierte die Restitutionsfrage zu einem Hauptanliegen der internationalen Organisation.

Tafel 11: Starmoderator Roger Gicquel während der Abendnachrichten im französischen Fernsehsender TF1 am 19. Juni 1979. «Wenn man die kulturelle Identität schützen will, muss man das künstlerische Erbe präsentieren, ähm, bewahren und es deshalb in einigen Fällen auch restituieren. Daran führt kein Weg vorbei.»

Tafel 12: Ekpo Eyo im Jahr 1989. Das Pressefoto entstand anlässlich eines Vortrags des nigerianischen Archäologen im Museum of Fine Arts, Houston. In den 70er und 80er Jahren gehörte Eyo zu den engagiertesten Restitutionsverfechtern auf dem afrikanischen Kontinent. Er übernahm 1986 eine Professur für afrikanische Kunst und Archäologie an der Universität von Maryland in den USA.

Tafel 13: Poster zur Wanderausstellung Treasures of Ancient Nigeria: Legacy of 2,000 Years im Metropolitan Museum, New York. Die von Ekpo Eyo kuratierte Ausstellung zeigte sensationelle Kunstwerke aus unterschiedlichen nigerianischen Museen. Sie diente gleichzeitig der politischen Anklage gegen westliche Institutionen, die sich weigerten, Objekte beninischer Provenienz an Nigeria auszuleihen oder zu restituieren.

Tafel 14: Szene aus der ZDF-Talkshow «Haltet den Dieb. Kunstschätze aus der Dritten Welt – Raubgut, Leihgabe oder Eigentum?» am 18. Dezember 1984. Zwölf Gäste und zwei Moderatoren diskutierten mehr als zwei Stunden live über Restitutionen und koloniale Provenienzen in (deutschen) Museen.

Tafel 15: Eröffnung der Ausstellung Schätze aus Alt-Nigeria – Erbe von 2000 Jahren im Pergamonmuseum in Berlin (Ost) am 1. April 1985. In der Mitte stehen Samson Emeka Omeruah, nigerianischer Bundesminister für Information, soziale Entwicklung, Jugend, Sport und Kultur, sowie Ernst Mecklemburg, stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates und Vorsitzender der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD). Er hält den Ausstellungskatalog in der Hand.

Tafel 16: Flugblatt der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, Juli 1985 (Vorderseite, Rekonstruktion).

Einleitung

Schon vor 40 Jahren diskutierte Europa über die Restitution kolonialer Museumsbestände an Afrika. Die Gespräche verliefen im Sand. Sie wurden vergessen oder besser gesagt: erfolgreich verdrängt. Das ist die vielleicht wichtigste Lektion aus der Arbeit, die ich 2018 mit dem senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron durchgeführt habe.[1] Wir gewannen nicht nur in Afrika selbst grundlegende Erkenntnisse; wir entdeckten auch in Paris und Berlin ganze Aktenkonvolute in Verwaltungs- und Pressearchiven, aus denen hervorgeht, dass schon einmal eine ausführliche Debatte um kolonialzeitliche Sammlungen in europäischen Museen geführt wurde. Sie erreichte ihren Höhepunkt zwischen 1978 und 1982, als wir beide noch Schulkinder waren.

Damals «strengten» in ganz Europa Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, Museumsleute und Kulturbeamte «ihre Intelligenz an», wie es der Generalinspektor der staatlichen Museen in Frankreich, Pierre Quoniam, 1981 formulierte, um eine faire und zeitgemäße Haltung in Sachen Restitutionen zu finden.[2] Angestoßen wurde der Prozess unmittelbar nach 1960 – dem sogenannten Afrikanischen Jahr, in dem 18 Kolonien unabhängig wurden – von afrikanischen Intellektuellen, Politikern und Museumsleuten. Ob in Lagos, Kinshasa oder Paris: An vielen Orten verschafften sich Stimmen Gehör, die für Restitutionen plädierten, die Rolle der Kultur im Selbstfindungsprozess von Gesellschaften betonten und sich für ein nicht nur westlich geprägtes Verständnis des Universalismus von Kunst einsetzten. Ihre Forderungen beschränkten sich auf einige wenige Objekte.[3]

Diese Stimmen fanden ab Mitte der 70er Jahre in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen einen weiten Echoraum. Man sprach über Restitutionen im Fernsehen und las darüber in der Zeitung. Der Kunsthandel war irritiert, Museumsvertreter stöhnten auf. So etwa der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Stephan Waetzoldt, der 1979 in einem Spiegel-Interview befand, es sei «unverantwortlich, dem Nationalismus der Entwicklungsländer nachzugeben».[4] David Wilson wiederum, von 1977 bis 1992 Direktor des British Museum in London, führte die üblichen juristischen Argumente gegen das Rückgabeprojekt ins Feld: «Alles, was wir besitzen, kam auf legalem Weg zu uns.»[5] Der Nationalismus der anderen und das gute alte Gewohnheitsrecht: Das waren schon damals die Argumente, mit denen in Europa versucht wurde, die Forderungen aus Afrika zu entkräften, die Debatte abzuwürgen und Lösungen zu verhindern.

Doch davon ließen sich auch damals Vertreter der Zivilgesellschaft, der Medien und der Politik in Afrika und Europa nicht beeindrucken, sie hielten am Thema fest. Archivrecherchen zeigen, dass sich die Mobilisierung für oder gegen Restitutionen vor 40 Jahren nicht einfach entlang nationaler oder kontinentaler Gegensätze (Afrika vs. Europa) vollzog und nicht alleine mit institutionellen Reflexen oder politischen Schablonen (Museen gegen Politik, Linke gegen Rechte) zu erklären ist. Die Grenzen verliefen anders: zwischen Generationen etwa, entlang realer oder eingebildeter Kenntnisse der afrikanischen Wirklichkeit, sogar zwischen den Geschlechtern – nicht selten waren es in Europa Frauen, die Solidarität mit den fordernden Ländern Afrikas zeigten. Doch auch die Bemühungen der Zivilgesellschaft scheiterten.

Es ist für Historikerinnen und Historiker kein Leichtes, die Geschichte verpasster Chancen, des Erstickens und Verdrängens historischer Optionen zu schreiben.[6] Schriftliche Quellen fehlen oft. Unterminierende Lobbyarbeit vollzieht sich meist außerhalb schriftlicher Koordinatensysteme. Im vorliegenden Fall jedoch lugt unter der Schicht des Vergessens erstaunlich viel Material hervor. Daran lässt sich ablesen, welche Akteure und Strukturen, welche Argumente und Pathosformeln es waren, die in den 70ern und 80ern das Projekt einer geordneten und fairen Rückgabe von Kulturgütern an die «Dritte Welt», wie sie damals genannt wurde, scheitern ließen.

Diese alte Restitutionsdebatte und das kollektive Vergessen ihrer Existenz ähneln in vielen Punkten der Klimadebatte, die auch schon Ende der 1970er Jahre geführt wurde. Der New Yorker Journalist Nathaniel Rich hat 2019 das Misslingen der damaligen Schritte rekonstruiert. In Losing Earth zeigt er, wie Wissenschaftler in den 80er Jahren versuchten, ihre alarmierenden Forschungsergebnisse den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft verständlich zu machen und sie zu Maßnahmen zu bewegen, wie sie jenseits parteipolitischer Grenzen mit Aktivistinnen und Aktivisten die Öffentlichkeit zu gewinnen suchten und wie ihre Bemühungen beinahe fruchteten – aber nur beinahe.[7] Rich stellt auch dar, wie es am Ende dazu kam, dass der Klimawandel rundweg geleugnet werden konnte, mit den bekannten Folgen bis heute. In seinem kürzlich erschienenen Buch Zeitenwende 1979 stellt der Historiker Frank Bösch fest: Im Jahr 1979 begann unsere Gegenwart.[8] Das gilt auch für die uns heute so neu vorkommende Frage der Restitution außereuropäischer Kulturgüter. Theoretisch und methodisch fühlt sich die vorliegende Rekonstruktion diesen Studien verpflichtet.

Welche Rolle spielten damals die Museen? Welche die Presse, die Politik und internationale Organisationen? Wer waren die Akteure, die in ihren Behörden und Dienstzimmern, am Telefon und in Gremien das Thema so erfolgreich von der Bildfläche verschwinden ließen? Welche Allianzen bildeten sich? Ab wann hörte man auf, offen über die koloniale Herkunft von Sammlungen zu sprechen? Kann man historische Mechanismen des Vergessens, des Verzichts und des Verschweigens überhaupt an Personen und Institutionen festmachen? Sicher ist, dass die Restitutionsdebatte der 70er und 80er Jahre so vollständig aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist, dass selbst der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2017 in einem Interview behaupten konnte: «Die Provenienz völkerkundlicher Bestände ist ein relativ neues Thema».[9]

Dabei ist nichts an diesem Thema neu. Allein im Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz finden sich für den Zeitraum zwischen 1972 und 1982 Tausende von Seiten über (nicht erfolgte) Restitutionen: Korrespondenzen, Aktenvermerke, Strategie- und Positionspapiere, Presseausschnitte und Stellungnahmen. Ähnliches gilt für Museums- und Kulturverwaltungen in Paris, London, Stuttgart, Brüssel usw. Die Archive sprechen eine deutliche Sprache: Die Idee unseres 21. Jahrhunderts, Kulturgüter, die während der Kolonialzeit en masse in die europäischen Museen gelangten, im Sinne einer postkolonialen und postrassistischen Solidarität zurückzugeben, ist alles andere als radikal oder bahnbrechend. Das alles gab es schon einmal. Die Wucht, mit der das Thema heute viele Gesellschaften erschüttert, gleicht daher der eines zurückkehrenden Bumerangs. Es ist die potenzierte Rückkehr von etwas Verdrängtem auf die historische Bühne, das sich nun nicht noch einmal ignorieren lässt. Restitutionen, Dekolonisierung, die Frage des Rassismus und der sozialen Gerechtigkeit gehen Hand in Hand.

Dieses Buch ist dem Verdrängten gewidmet. Es setzt 1965 mit einem der ersten Aufrufe zur Rückgabe von Kunst an Afrika ein und endet 1985 auf der Museumsinsel im damaligen Ost-Berlin, als das blockfreie Nigeria mit einer Ausstellung seiner archäologischen Schätze im Pergamonmuseum gastierte – und nach zwei Jahrzehnten Kampf jede Hoffnung auf Restitutionen verloren hatte. Das Buch bemüht sich erstmalig, aus der Fülle des in unzähligen europäischen Archiven und afrikanischen Publikationen verstreuten Materials die zusammenhängende Geschichte einer postkolonialen Niederlage zu schreiben. Einer geteilten Niederlage wohlgemerkt, denn die Verweigerung von Restitutionen an afrikanische Länder in den ersten Jahrzehnten ihrer Unabhängigkeit war durchaus kein Ruhmesblatt für Europa.

1965

Bingo

Im «Afrikanischen Jahr» 1960 erlangten 18 bisherige Kolonien in Afrika ihre Unabhängigkeit und damit den Status von Mitgliedern der Vereinten Nationen. Am 14. Dezember 1960 verabschiedete die UN-Vollversammlung in New York die «Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker».[1] Darin bekannte sich die Weltorganisation zum Recht der Selbstbestimmung aller Völker, auch und ausdrücklich in kultureller Hinsicht: «Kraft dieses Rechts bestimmen sie frei ihren politischen Status und verfolgen frei ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung», hieß es in Paragraph 2. Mit möglichen Hinhaltetaktiken der Kolonialmächte, insbesondere mit strukturellen Vorbedingungen für die Entlassung in die Unabhängigkeit, befasste sich Paragraph 3: «Unzulängliche politische, wirtschaftliche, soziale oder bildungsmäßige Vorbereitung darf niemals ein Vorwand für die Verzögerung der Unabhängigkeit sein». Die Resolution forderte ein rasches und bedingungsloses Ende der Kolonisation. Sie wurde zu einem Schlüsseldokument der Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika.

Diese Bewegungen waren nicht neu. Seit mehreren Jahrzehnten schon befassten sich hochkarätige schwarze Intellektuelle, Künstler und Publizisten – darunter auch einige Frauen – in den Hauptstädten des anglo- und frankophonen Afrika sowie in London, Paris und den USA mit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zukunft kolonialer Subjekte und Territorien. Im April 1955 fand in Indonesien die Konferenz von Bandung statt, die mit über tausend Repräsentanten von 23 asiatischen und sechs afrikanischen Staaten der Entkolonialisierung einen entscheidenden Impuls gab – im Lagerdenken des Kalten Krieges formierte sich damals außerhalb der bestehenden Blöcke die zu einem feststehenden Begriff gewordene «Dritte Welt», die Bewegung der «Blockfreien». Im September 1956 veranstaltete die panafrikanische Zeitschrift Présence Africaine in Paris den «Ersten Weltkongress schwarzer Künstler und Schriftsteller», auf dem eine Reihe prominenter schwarzer Denker von James Baldwin und Richard Wright über Aimé Césaire, Frantz Fanon und Édouard Glissant bis hin zu Léopold Sédar Senghor und Amadou Hampâté Bâ die politischen und kulturellen Folgen der Kolonisation thematisierte und Visionen für eine postkoloniale Weltordnung formulierte.[2] Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Idee einer möglichen kulturellen Einheit aller Schwarzen, jenseits von Landesgrenzen und ethnischen Unterschieden. «Man kann das Problem der schwarzen Kultur in der heutigen Zeit nicht stellen, ohne das Problem des Kolonialismus aufzuwerfen, denn alle schwarzen Kulturen entwickeln sich in der Gegenwart in diesem besonderen Zustand, in dem sie kolonial oder halbkolonial oder parakolonial sind», brachte Aimé Césaire das Verhältnis zwischen Kolonialismus und kultureller Entfaltung auf den Punkt.[3]

Ein damaliger Bericht im Spiegel weckt ungute Erinnerungen daran, mit welch reflexhafter Bevormundung und Selbstgerechtigkeit solche Gedanken in Europa von der breiten Öffentlichkeit rezipiert wurden. Unter dem Titel «Neger Kongress. Der erste Zahn» kommentierte der Verfasser des Artikels die in Anführungszeichen gesetzte Idee einer schwarzen Kultur: «Alle Teilnehmer der Tagung vereinte […] der Glaube an die Existenz einer ‹schwarzen Kultur›. Die Existenz einer solchen ‹schwarzen Kultur› war für die dunkelfarbigen Geistesarbeiter und Künstler aus Senegal und Madagaskar, Kamerun und Martinique, aus den Vereinigten Staaten und Nordafrika so sehr ein Faktum, daß die Kongress-Teilnehmer sogar, ganz nach weißem Muster, eine ‹Krise der schwarzen Kultur› diagnostizierten. Die Schuld an der Unterentwicklung einer eigenständigen Negerkultur schoben die Delegierten aber ziemlich einmütig der jahrhundertelangen Weißenherrschaft in den Siedlungsräumen der Neger zu».[4] Der Artikel endet ohne nennenswertere Analyse mit einem vermeintlichen Zitat aus der Pariser Presse: «Die erste große Krise der schwarzen Kultur ist vielleicht vergleichbar der Reaktion eines Kindes, das sein erstes Zähnchen bekommt.»[5]

Das war 1956. Damals kursierte der Ausdruck «Neger» noch in der medialen Öffentlichkeit, erst Mitte der 1960er Jahre verschwand er allmählich aus den Zeitungen.[6] Doch selbst nach der Dekolonisation und selbst in anderen Wörtern blieb die zu überwindende kulturelle Kluft zwischen den theoretisch und literarisch begründeten Bestrebungen afrikanischer Intellektueller auf der einen und dem arroganten Habitus vieler Akteure in Europa auf der anderen Seite tief – unfassbar tief aus heutiger Perspektive. Das ist der Hintergrund, vor dem sich ab 1960 die Restitutionsdebatte abspielte. Wie der Spiegel neigten viele in der breiten Öffentlichkeit noch dazu, den in Afrika und den afrikanischen Diasporen weltweit behaupteten Glauben an eine eigene Kultur zu bespötteln. Andererseits wusste man im europäischen und amerikanischen Kunsthandel, in Museen und Kulturverwaltungen sehr genau, dass es eine solche Kultur gab und was man an ihr hatte, nicht zuletzt in materieller und ökonomischer Hinsicht.