Alice hinter den Spiegeln - Lewis Carroll - E-Book + Hörbuch

Alice hinter den Spiegeln Hörbuch

Lewis Carroll

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Beschreibung

Neu übersetzt - mit zahlreichen Illustrationen Nachdem Alice das Wunderland besucht hat, finden wir sie nun im Land hinter den Spiegeln. Wie sieht die Welt wohl auf der anderen Seite der Realität aus? Das vorliegende Buch ist eine komplette Neuübersetzung von Nadine Erler, die im Gegensatz zu den bisherigen Übersetzungen die englischen Eingennamen unangetastet gelassen hat - was dem Charme der Erzählung und ihren Figuren nur gut tut. Die Fortsetzung steht dem ersten Teil an Absurdität und Vergnügen in Nichts nach, mache mögen es auch als das reifste Werk Carrols bezeichnen. Der Roman erschien zur Weihnachtszeit 1871, wiederum mit den fantastischen Zeichnungen von John Tenniel versehen, die auch diese Ausgabe schmücken. Wir begegnen den skurrilen Figuren Tweedledum und Tweedledee, Humpty Dumpty und Walross und Zimmermann, die sich in Carrols unnachahmlichen, und hier vortrefflich übersetzen Sprachspielen ergehen. Das Walroß und der Tischler gingen Hand in Hand. Sie weinten über die Unmengen Sand. 'Man sollte den Sand beiseitefegen Denn das wäre ein wahrer Segen! Wenn sieben Mägde mit sieben Besen Ein halbes Jahr lang fegen würden Überwinden sie dann diese Hürden?' Das war es, was das Walroß sagte. 'Ich glaube nicht!' Das war es, was der Tischler klagte. Lewis Carroll (1832-98) war Dozent für Mathematik in Oxford, zeitweise arbeitete er auch als Fotograf und Diakon. Seine Erzählungen über die kleine Alice gehören zu den bekanntesten und meistzitierten Texten der englischen Literatur. Sie sind Klassiker der Nonsensliteratur und dienen vielen Schriftstellern und anderen Künstlern als Inspirationsquelle. Alice ist längst Bestandteil des Kulturkanons geworden. Null Papier Verlag

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Zeit:1 Std. 52 min

Sprecher:Denise Desombre
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Lewis Carroll

Alice hinter den Spiegeln

Illustriert und neu übersetzt

Lewis Carroll

Alice hinter den Spiegeln

Illustriert und neu übersetzt

(Through the Looking-Glass, and What Alice Found There)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Nadine ErlerIllustrationen: John Tenniel 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-74-9

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

1. Das Spie­gel­haus

2. Der Gar­ten der spre­chen­den Blu­men

3. Die Spie­gel-In­sek­ten

4. Tweed­le­dum und Tweed­le­dee

5. Wol­le und Was­ser

6. Hum­pty Dum­pty

7. Der Löwe und das Ein­horn

8. »Es ist mei­ne Er­fin­dung!«

9. Kö­ni­gin Ali­ce

10. Die Rote Kö­ni­gin wird ge­schüt­telt

11. Das Er­wa­chen

12. Wer hat es ge­träumt?

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Sa­gen des klas­si­schen Al­ter­tums

Grimms Mär­chen – Il­lus­trier­tes Mär­chen­buch

Ali­ce hin­ter den Spie­geln

und wei­te­re …

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1. Das Spiegelhaus

Eins stand fest: An al­lem war nur das schwar­ze Kätz­chen schuld. Das wei­ße Kätz­chen hat­te nichts da­mit zu tun, denn ihm hat­te die alte Kat­ze wäh­rend der letz­ten Vier­tel­stun­de das Ge­sicht ge­putzt, und das Kätz­chen hat­te ei­gent­lich wa­cker durch­ge­hal­ten). Es war also klar, dass es nichts mit dem Un­fug zu tun ha­ben konn­te.

Und so putz­te Di­nah ih­ren Kin­dern das Ge­sicht: Erst pack­te sie das arme Ding mit ei­ner Pfo­te am Ohr, drück­te es zu Bo­den und schrubb­te ihm dann mit der an­de­ren Pfo­te das Ge­sicht, wo­bei sie das Fell ge­gen den Strich bürs­te­te. Sie be­gann bei der Nase, und jetzt hat­te sie sich wie ge­sagt das wei­ße Kätz­chen vor­ge­nom­men, das still­hielt und ver­such­te zu schnur­ren. Zwei­fel­los wuss­te es, dass al­les nur zu sei­nem Bes­ten ge­sch­ah.

Aber das schwar­ze Kätz­chen hat­te sei­ne Wä­sche schon frü­her am Nach­mit­tag be­kom­men, und wäh­rend Ali­ce zu­sam­men­ge­kau­ert in ei­ner Ecke des großen Lehn­ses­sels saß und im Halb­schlaf mit sich sel­ber sprach, hat­te es sich groß­ar­tig mit dem Woll­knäu­el amü­siert, das Ali­ce ei­gent­lich auf­wi­ckeln woll­te. Das Kätz­chen hat­te das Knäu­el vor sich her­ge­trie­ben und es wie­der ab­ge­wi­ckelt, und nun war die Wol­le ver­hed­dert und vol­ler Kno­ten über den Tep­pich dra­piert. In­mit­ten des Wirr­warrs jag­te das Kätz­chen sei­nen ei­ge­nen Schwanz.

»Oh, du fre­ches klei­nes Ding!« rief Ali­ce. Sie nahm das Kätz­chen auf den Arm und gab ihm ein Küß­chen, um ihm zu zei­gen, dass es in Un­gna­de ge­fal­len war. »Wirk­lich, Di­nah hät­te dir bes­se­re Ma­nie­ren bei­brin­gen sol­len! Das hät­test du, Di­nah, du weißt es ganz ge­nau!« füg­te sie hin­zu.

Sie sah die alte Kat­ze vor­wurfs­voll an und sprach so streng sie nur konn­te. Dann klet­ter­te sie wie­der auf den Stuhl, nahm das Kätz­chen und die Wol­le auf den Schoß und ver­such­te, das Knäu­el wie­der auf­zu­wi­ckeln. Aber sie kam nicht weit, weil sie die gan­ze Zeit re­de­te – manch­mal mit dem Kätz­chen und dann wie­der mit sich selbst.

Das Kätz­chen saß brav auf ih­rem Knie und tat so, als sähe es beim Wol­le­wi­ckeln zu. Ab und zu streck­te es eine Pfo­te nach dem Knäu­el aus, als wür­de es nur zu gern mit­hel­fen.

»Weißt du, was mor­gen ist, Kätz­chen?« be­gann Ali­ce. »Du könn­test es dir den­ken, wenn du oben mit mir am Fens­ter ge­ses­sen hät­test – aber da hat Di­nah dich ja ge­ra­de sau­ber­ge­macht. Ich habe ge­se­hen, wie die Jun­gen Rei­sig für das Freu­den­feu­er ge­sam­melt ha­ben – und dazu braucht man viel Rei­sig, Kätz­chen! Aber dann wur­de es kalt und fing an zu schnei­en, also muss­ten sie auf­hö­ren. Kei­ne Sor­ge, Kätz­chen, wir wer­den das Freu­den­feu­er mor­gen se­hen.«

Hier wi­ckel­te Ali­ce dem Kätz­chen die Wol­le zwei- oder drei­mal um den Hals, nur um zu se­hen, wie es aus­se­hen wür­de. Das Kätz­chen be­gann zu zap­peln, das Knäu­el fiel zu Bo­den und wi­ckel­te sich wie­der ab.

»Weißt du, Kätz­chen«, fuhr Ali­ce fort, als sie es sich wie­der be­quem ge­macht hat­ten, »als ich ge­se­hen habe, was du an­ge­stellt hast, war ich so böse, dass ich am liebs­ten das Fens­ter auf­ge­macht und dich in den Schnee ge­setzt hät­te! Und das hät­test du ver­dient, du sü­ßer klei­ner Nichts­nutz! Was hast du zu dei­ner Ver­tei­di­gung zu sa­gen? Un­ter­brich mich nicht!« sag­te sie und hob den Fin­ger. »Ich zäh­le all dei­ne Un­ta­ten auf. Ers­tens: Du hast zwei­mal ge­quiekt, als Di­nah dir heu­te Mor­gen das Ge­sicht ge­putzt hat. Du kannst es nicht leug­nen, Kätz­chen, ich habe dich ge­hört! Was sagst du?« (Sie tat so, als wür­de das Kätz­chen re­den). »Du hast ihre Pfo­te ins Auge be­kom­men? Nun, das ist dei­ne Schuld, weil du die Au­gen of­fen hat­test – wenn du sie zu­ge­knif­fen hät­test, wäre es nicht pas­siert. So, jetzt kei­ne wei­te­ren Aus­re­den, son­dern hör zu! Zwei­tens: Du hast Snow­drop am Schwanz weg­ge­zerrt, als ich ihr ge­ra­de die Schüs­sel Milch hin­ge­stellt hat­te! Was – du hat­test du Durst? Wo­her weißt du, dass sie nicht auch Durst hat­te? Und nun drit­tens: Du hast die gan­ze Wol­le ab­ge­wi­ckelt, als ich nicht hin­ge­se­hen habe! Das sind drei Strei­che, Kätz­chen, und du bist noch für kei­nen be­straft wor­den. Ich schie­be all dei­ne Stra­fen bis Mitt­woch auf. Stell dir mal vor, man wür­de mei­ne Stra­fen auf­schie­ben!« fuhr sie fort und sprach mehr mit sich selbst als mit dem Kätz­chen. »Was wür­de dann am Ende ei­nes Jah­res pas­sie­ren? Ich müss­te wohl ins Ge­fäng­nis, neh­me ich an, wenn es so­weit wäre! Oder – war­te mal – an­ge­nom­men, die Stra­fe be­stün­de je­des Mal dar­in, dass ich kein Abendes­sen be­kom­me! Dann müss­te ich an dem schreck­li­chen Tag auf fünf­zig Abendes­sen auf ein­mal ver­zich­ten! Also, das wür­de mir nicht viel aus­ma­chen! Ich wür­de lie­ber ver­zich­ten, als sie alle zu es­sen! Hörst du, wie der Schnee ans Fens­ter rie­selt, Kätz­chen? Wie schön und sanft das klingt! Als ob je­mand drau­ßen das Fens­ter von oben bis un­ten küs­sen wür­de. Ich fra­ge mich, ob der Schnee die Bäu­me und Fel­der lieb­t, weil er sie so lie­be­voll küsst? Und dann deckt er sie mit ei­ner wei­ßen De­cke zu, und viel­leicht sagt er: ›Schlaft jetzt, mei­ne Lie­ben, der Som­mer kommt wie­der.‹ Und wenn sie im Som­mer wie­der auf­wa­chen, Kätz­chen, zie­hen sie sich ganz in Grün an und tan­zen, wenn der Wind weht – oh, das ist sehr schön!« rief Ali­ce, ließ das Woll­knäu­el fal­len und klatsch­te in die Hän­de. »Und ich wünsch­te, es wäre wahr! Ich bin si­cher, dass die Wäl­der im Herbst schläf­rig aus­se­hen, wenn die Blät­ter braun wer­den. Kätz­chen, kannst du Schach spie­len? Lach nicht, mei­ne Lie­be, ich mei­ne es ganz ernst. Denn als wir ge­ra­de eben ge­spielt ha­ben, hast du zu­ge­se­hen, als wür­dest du al­les ganz ge­nau ver­ste­hen. Und als ich ›Schach!‹ ge­sagt habe, hast du ge­schnurrt! Also, es war ein gu­ter Zug, Kätz­chen, und ich hät­te wirk­lich ge­win­nen kön­nen, wenn nicht die­ser ge­mei­ne Sprin­ger ge­we­sen wäre, der mir al­les ver­dor­ben hat. Kätz­chen, wir wol­len spie­len, dass…«

Und jetzt wünsch­te ich, euch nur die Hälf­te der Din­ge er­zäh­len zu kön­nen die Ali­ce zu sa­gen pfleg­te. Sie be­gann im­mer mit ih­rem Lieb­lings­satz »Wir wol­len spie­len, dass…«.

Erst ges­tern hat­te es eine lan­ge De­bat­te mit ih­rer Schwes­ter ge­ge­ben – und das nur, weil Ali­ce ge­sagt hat­te: »Wir wol­len spie­len, dass wir Kö­ni­ge und Kö­ni­gin­nen sind!«

Ihre Schwes­ter, die al­les sehr ge­nau nahm, hat­te ge­sagt, dass das nicht gin­ge, weil sie nur zu zweit sei­en, und zu­letzt hat­te Ali­ce geant­wor­tet: »Na ja, dann kannst du eine von ih­nen sein, und ich bin all die an­de­ren!«

Und ein­mal hat­te sie ihr al­tes Kin­der­fräu­lein fast zu Tode er­schreckt und plötz­lich ge­ru­fen: »Fräu­lein! Wir wol­len spie­len, dass ich eine hung­ri­ge Hyä­ne bin und Sie ein Kno­chen!«

Aber zu­rück zu dem, was Ali­ce zu dem Kätz­chen sag­te.

»Wir wol­len spie­len, dass du die Herz­kö­ni­gin bist, Kätz­chen! Weißt du, ich glau­be, wenn du dich hin­setzt und die Vor­der­bei­ne ver­schränkst, siehst du ge­nau­so aus wie sie. Jetzt sei lieb und ver­such es!«

Und Ali­ce nahm die Herz­kö­ni­gin vom Tisch und hielt sie dem Kätz­chen hin, da­mit es die Hal­tung der Kö­ni­gin nach­ma­chen konn­te. Aber es schei­ter­te dar­an, dass das Kätz­chen sei­ne Vor­der­bei­ne nicht rich­tig ver­schrän­ken woll­te.

Um es zu be­stra­fen, hielt sie es vor den Spie­gel, um ihm zu zei­gen, wie un­ge­zo­gen es war.

»Und wenn du nicht brav bist«, füg­te sie hin­zu, »ste­cke ich dich durch den Spie­gel und set­ze dich ins Spie­gel­haus. Wie fin­dest du das? Also, wenn du nur zu­hörst, Kätz­chen, und nicht so viel re­dest, er­zäh­le ich dir, wie ich mir das Spie­gel­haus vor­stel­le. Zu­nächst ist da das Zim­mer, das man im Spie­gel se­hen kann. Es sieht ge­nau­so aus wie un­ser Wohn­zim­mer, nur dass al­les auf der ver­kehr­ten Sei­te ist. Ich kann al­les se­hen, wenn ich mich auf einen Stuhl stel­le – al­les bis auf die Ecke hin­ter dem Ka­min. Oh! Ich wünsch­te, ich könn­te auch die Ecke se­hen! Ich möch­te so gern wis­sen, ob sie im Win­ter Feu­er ma­chen! Man weiß es nicht ge­nau, es sei denn, un­ser Feu­er qualmt, und dann sieht man den Rauch auch im Spie­gel­zim­mer – aber das ist viel­leicht nur eine Täu­schung, da­mit es so aus­sieht, als hät­ten sie auch ein Feu­er. Nun ja, die Bü­cher sind un­ge­fähr die glei­chen wie un­se­re, nur dass sie na­tür­lich in Spie­gel­schrift sind – das habe ich ge­se­hen, als ich eins von un­se­ren Bü­chern vor den Spie­gel ge­hal­ten habe. Wür­dest du gern im Spie­gel­haus le­ben, Kätz­chen? Ob sie dir dort wohl Milch ge­ben wür­den? Vi­el­leicht schmeckt Spie­gel­haus-Milch nicht, aber – oh, Kätz­chen! Da ist der Flur. Man kann nur ein klei­nes Stück­chen da­von se­hen, wenn man die Tür un­se­res Wohn­zim­mers weit of­fen lässt – und er sieht ge­nau­so aus wie un­ser Flur, so­weit man ihn se­hen kann, aber wer weiß, viel­leicht sieht es da­hin­ter ganz an­ders aus. Oh, Kätz­chen, wenn wir nur in das Spie­gel­haus hin­ein könn­ten! Ich bin si­cher, dass es da drin­nen so schö­ne Sa­chen gibt! Wir wol­len spie­len, dass man ir­gend­wie hin­ein­kom­men kann, Kätz­chen. Wir tun so, als wäre das Glas ein Sei­den­vor­hang, durch den wir hin­durch­ge­hen kön­nen. Also, ich glau­be, das Glas löst sich ge­ra­de in Ne­bel auf! Es wäre ganz ein­fach, hin­durch­zu­ge­hen…«

Bei die­sen Wor­ten stand sie schon auf dem Ka­min­sims, ob­wohl sie kaum wuss­te, wie sie dort hin­ge­langt war. Und wirk­lich, das Glas ver­schwamm und lös­te sich auf, wie ein leich­ter silb­ri­ger Ne­bel.

Im nächs­ten Au­gen­blick hat­te Ali­ce das Glas durch­schrit­ten und sprang mit ei­nem Satz leicht­fü­ßig in den Spie­gel­raum. Zu­erst sah sie nach, ob im Ka­min ein Feu­er brann­te, und sie freu­te sich sehr, als sie sah, dass es ge­nau­so hell fla­cker­te wie das, das sie zu­rück­ge­las­sen hat­te. Also ist es hier ge­nau­so warm wie ne­ben­an, dach­te Ali­ce – ja so­gar wär­mer, weil kei­ner mir sagt, dass ich vom Feu­er weg­ge­hen soll. Oh, es wird lus­tig, wenn sie mich im Spie­gel se­hen und nicht an mich her­an­kom­men!

Dann sah sie sich um. Sie fand al­les, was man vom al­ten Zim­mer aus se­hen konn­te, all­täg­lich und un­in­ter­essant, aber al­les üb­ri­ge war ganz an­ders. Die Bil­der an der Wand ne­ben dem Ka­min schie­nen zum Bei­spiel ganz le­ben­dig zu sein, und die Uhr auf dem Ka­min­sims (wie man weiß, kann man sie im Spie­gel nur von hin­ten se­hen) hat­te das Ge­sicht ei­nes klei­nen al­ten Man­nes und grins­te Ali­ce an.

Die­ses Zim­mer ist nicht so or­dent­lich wie un­se­res, dach­te Ali­ce bei sich, als sie sah, dass in der Ka­mi­na­sche ei­ni­ge Schach­fi­gu­ren la­gen. Aber im nächs­ten Au­gen­blick hock­te sie sich mit ei­nem klei­nen über­rasch­ten »Oh!« hin und starr­te die Fi­gu­ren an. Sie gin­gen näm­lich paar­wei­se auf und ab!

»Das sind der Rote Kö­nig und die Rote Kö­ni­gin«,1 sag­te Ali­ce (sie flüs­ter­te, um die Fi­gu­ren nicht zu er­schre­cken), »und da sit­zen der Wei­ße Kö­nig und die Wei­ße Kö­ni­gin auf dem Feu­er­ha­ken! Und da ge­hen zwei Tür­me Arm in Arm – ich glau­be, sie hö­ren mich nicht«, fuhr sie fort und beug­te sich tiefer hin­ab, »und ich bin fast si­cher, dass sie mich nicht se­hen. Ich habe ir­gend­wie das Ge­fühl, dass ich un­sicht­bar bin –«

Da be­gann et­was auf dem Tisch hin­ter Ali­ce zu quie­ken, und sie wand­te den Kopf ge­nau im rich­ti­gen Mo­ment, um zu se­hen, wie ei­ner der Wei­ßen Bau­ern um­fiel und an­fing, um sich zu tre­ten. Sie war­te­te ge­spannt, was als nächs­tes pas­sie­ren wür­de.

»Das ist die Stim­me mei­nes Kin­des!« rief die Wei­ße Kö­ni­gin. Sie rann­te am Kö­nig vor­bei und rem­pel­te ihn da­bei so hef­tig an, dass er um­fiel und kopf­über in der Asche lan­de­te. »Mei­ne teu­re Lily! Mein ge­lieb­tes Kätz­chen!« Und sie be­gann, mit hek­ti­schen Be­we­gun­gen das Ka­min­git­ter hin­auf­zu­klet­tern.

»Mein ge­lieb­ter Haus­dra­chen!« sag­te der Kö­nig und rieb sich die Nase, die er sich bei sei­nem Sturz ge­sto­ßen hat­te. Es war sein gu­tes Recht, ein biss­chen är­ger­lich auf die Kö­ni­gin zu sein, denn er war von Kopf bis Fuß mit Asche be­su­delt.

Ali­ce woll­te un­be­dingt hel­fen, und da die arme klei­ne Lily einen re­gel­rech­ten Schrei­krampf hat­te, hob sie die Kö­ni­gin has­tig auf und stell­te sie ne­ben ihre krei­schen­de klei­ne Toch­ter auf den Tisch.

Die Kö­ni­gin schnapp­te nach Luft und setz­te sich. Der Weg in luf­ti­ge Hö­hen hat­te ihr den Atem ver­schla­gen, und zu­nächst konn­te sie die klei­ne Lily nur schwei­gend um­ar­men. Als sie wie­der et­was zu Atem ge­kom­men war, rief sie dem Wei­ßen Kö­nig, der schmol­lend in der Asche saß, zu: »Denk an den Vul­kan!«

»Was für ein Vul­kan? Wo?« frag­te der Kö­nig und sah ängst­lich ins Feu­er, als er­war­te er ihn am ehe­s­ten dort.

»Er – hat – mich in die Luft ge­jagt«, keuch­te die Kö­ni­gin, die im­mer noch et­was aus der Pus­te war. »Sieh zu, dass du her­auf­kommst – aber so wie ge­wöhn­lich – lass dich nicht in die Luft spren­gen!«

Ali­ce be­ob­ach­te­te den Wei­ßen Kö­nig, der lang­sam das Tisch­bein er­klomm.

Schließ­lich sag­te sie: »Hör mal, so wird es Stun­den dau­ern, bis du auf dem Tisch bist. Soll ich dir nicht lie­ber hel­fen?« Aber der Kö­nig nahm kei­ne No­tiz von der Fra­ge – es war klar, dass er sie we­der hö­ren noch se­hen konn­te.

Also hob Ali­ce ihn sehr be­hut­sam auf und trans­por­tier­te ihn lang­sa­mer als die Kö­ni­gin, da­mit er kei­nen Schreck be­kam. Aber be­vor sie ihn auf den Tisch setz­te, woll­te sie ihn ein biss­chen ab­stau­ben, denn er war über und über mit Asche be­deckt.

Hin­ter­her sag­te sie, dass sie nie im Le­ben so ein Ge­sicht ge­se­hen hat­te wie das des Kö­nigs, als er von un­sicht­ba­ren Hän­den hoch­ge­ho­ben und ab­ge­staubt wur­de. Er war viel zu ver­blüfft, um zu schrei­en, aber er riss Au­gen und Mund sperran­gel­weit auf, bis sie so la­chen muss­te, dass er ihr fast aus der Hand ge­fal­len wäre.

»Oh! Bit­te schnei­de nicht sol­che Gri­mas­sen, mein Lie­ber!« rief sie und ver­gaß ganz, dass der Kö­nig sie nicht hö­ren konn­te. »Ich kann dich kaum noch hal­ten vor La­chen! Und sperr den Mund nicht so weit auf, du ver­schluckst dich noch an der Asche! So, ich glau­be, jetzt bist du sau­ber ge­nug!« füg­te sie hin­zu, strich ihm die Haa­re glatt und stell­te ihn ne­ben die Kö­ni­gin auf den Tisch.

Der Kö­nig fiel so­fort hin­ten­über und blieb reg­los auf dem Rücken lie­gen. Ali­ce war et­was er­schro­cken über die Fol­gen ih­rer Tat. Sie sah sich um, ob es ir­gend­wo im Zim­mer Was­ser gab, mit dem sie ihn wie­der­be­le­ben konn­te. Aber sie fand nur ein Glas mit Tin­te, und als sie da­mit zu­rück­kam, war er schon wie­der zu sich ge­kom­men. Er und die Kö­ni­gin flüs­ter­ten auf­ge­regt mit­ein­an­der – so lei­se, dass Ali­ce kaum hör­te, was sie sag­ten.

Der Kö­nig sag­te: »Ich ver­si­che­re dir, mei­ne Lie­be, ich habe den Schock bis in die Spit­zen mei­nes Bar­tes ge­spürt!«

Worauf­hin die Kö­ni­gin sag­te: »Du hast doch gar kei­nen Bart!«

»Die­sen schreck­li­chen Au­gen­blick«, fuhr der Kö­nig fort, »wer­de ich nie, nie ver­ges­sen!«

»Doch, das wirst du«, sag­te die Kö­ni­gin, »wenn du kei­nen Ein­trag in dein Ta­ge­buch machst.«

Ali­ce sah in­ter­es­siert zu, wie der Kö­nig ein rie­si­ges Ta­ge­buch aus sei­ner Ta­sche hol­te und an­fing zu schrei­ben. Plötz­lich kam ihr eine Idee: Sie griff über sei­ne Schul­ter hin­weg nach dem Blei­stift und be­gann für ihn zu schrei­ben.

Der arme Kö­nig sah ver­wirrt und un­glück­lich aus. Er kämpf­te eine Wei­le wort­los mit dem Stift, aber Ali­ce war stär­ker als er, und zu­letzt japs­te er: »Mei­ne Güte! Ich brau­che wirk­lich einen dün­ne­ren Blei­stift. Mit die­sem wer­de ich über­haupt nicht fer­tig – er schreibt al­les mög­li­che, das ich gar nicht will –«

»Was schreibt er denn?« frag­te die Kö­ni­gin und warf einen Blick auf das Buch (in das Ali­ce ge­schrie­ben hat­te: »Der Wei­ße Läu­fer rutscht den Feu­er­ha­ken hin­un­ter. Er ver­liert das Gleich­ge­wicht.«). »Das ist wirk­lich kei­ne No­tiz über dei­ne Ge­füh­le!«

Auf dem Tisch lag ein Buch. Wäh­rend Ali­ce da­saß und den Wei­ßen Kö­nig be­ob­ach­te­te (denn sie mach­te sich im­mer noch ein we­nig Sor­gen um ihn und hat­te schon das Tin­ten­fass griff­be­reit, um es über ihm aus­lee­ren zu kön­nen, falls er wie­der in Ohn­macht fiel), blät­ter­te sie es durch, um eine Stel­le zu fin­den, die sie le­sen konn­te.

»Aber es ist in ei­ner Spra­che ge­schrie­ben, die ich nicht kann«, sag­te sie zu sich selbst.

Und das stand in dem Buch:

Sie grü­bel­te eine Wei­le dar­über, bis ihr end­lich die Er­leuch­tung kam: »Ach, es ist na­tür­lich ein Spie­gel­buch! Und wenn ich es vor einen Spie­gel hal­te, sehe ich die Wor­te rich­tig her­um!«

Die­ses Ge­dicht las Ali­ce:

Der Plap­per­schreck

Im Weg­wärts ist es end­lich Gril­lig, Und das ist nur recht und bil­lig! Schlak­ti­ve Spi­ral­wür­fe ei­ern Und fei­ern!