Alle verrückt außer ich - Andrea Jolander - E-Book

Alle verrückt außer ich E-Book

Andrea Jolander

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Beschreibung

Die Therapiecouch zum Aufklappen und Mitnehmen

Wie schaffe ich es, schlechte Gewohnheiten abzulegen? Was tun, wenn es immer wieder dieselben Situationen sind, die mich auf die Palme bringen oder verletzen? Wie umgehen mit einer Welt, die immer verrückter wird? Bin ich hochsensibel oder einfach nur empfindlich? Vieles, was uns im Alltag beschäftigt, muss nicht gleich in einer langjährigen Therapie bearbeitet werden, lässt sich aber mit professionellem Rat viel leichter einordnen. In ihrer gewohnt unterhaltsamen Art gibt Psychotherapeutin Andrea Jolander einfache und schnelle Überlebens-Tipps zu allem, was uns prägt, was uns schadet und was uns heilt.

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Seitenzahl: 252

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Wie schaffe ich es, schlechte Gewohnheiten abzulegen? Was tun, wenn es immer wieder dieselben Situationen sind, die mich auf die Palme bringen oder verletzen? Wie umgehen mit einer Welt, die immer verrückter wird? Bin ich hochsensibel oder einfach nur empfindlich? Vieles, das uns im Alltag beschäftigt, muss nicht gleich in einer langjährigen Therapie bearbeitet werden, lässt sich aber mit professionellem Rat viel leichter einordnen. In ihrer gewohnt unterhaltsamen Art gibt Psychotherapeutin Andrea Jolander einfache und schnelle Überlebenstipps zu allem, was uns prägt, was uns schadet und was uns heilt.

Andrea Jolander

ALLEVERRÜCKTAUSSERICH

Der Taschentherapeutfür den täglichen Wahnsinn

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die Verlagsgruppe Random House weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

Originalausgabe 04/2017

Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke, München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,unter Verwendung eines Motives von shutterstock / ESB Professional

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-20900-1V001

www.heyne.de

Inhalt

Vorwort

Neue Perspektiven

Love is all you need

Kommandozentrale Unbewusstes

Das Fundament der Persönlichkeit

Gefangen in der eigenen Welt

Blau ist grün und schwarz ist gold

Kein Schwein ruft mich an

Liebe macht blind

Ilsebill und fremde Betten

Sind Sie ein Smombie?

Wachsen

Von Schließmuskeln und Nach-Gehör-Einparkern

Haben Sie Ihre Impulse im Griff?

Fitness – die neue Religion

Sind Sie reif?

Vernünftig alt werden

Nabelschnüre und Helikopter

Selbsterziehung

Das ewige Kind

Von der Apfeltüte zu Kitty Genovese

Vorwort

Seit beinahe vierzig Jahren arbeite ich als Psychotherapeutin. In einer Psychotherapie erfahren Patienten, wie sie besser mit ihren Problemen fertigwerden können. Dabei geht es immer um sehr Individuelles, um etwas, das kein Ratgeberbuch der Welt erfassen könnte und das nur mit Unterstützung eines Psychotherapeuten erarbeitet werden kann.

In diesem Buch werden Sie folglich auch keine Tipps nach dem Motto »Wie gehe ich mit meinem Chef um?« finden.

Psychotherapeuten brauchen Zeit, um gemeinsam mit dem Patienten herauszufinden, was genau die Gründe dafür sind, dass ausgerechnet er mit ausgerechnet diesem Chef ausgerechnet diese Probleme hat.

Psychotherapie ist Maßanfertigung.

Daneben geht es in einer solchen Behandlung aber auch um das, was nichts mit der höchsteigenen Geschichte und Persönlichkeit zu tun hat, sondern was uns alle angeht. Um das, was uns prägt, was uns schadet und was uns heilt. Wer eine Psychotherapie macht, wird also nicht nur erwiesenermaßen gesünder, sondern auch ein ganzes Stück klüger.

Er lernt, neue Perspektiven einzunehmen. Hat er sich bisher meist von außen betrachtet und kritisiert, lernt er, mehr Mitgefühl für sich zu entwickeln. War er in sich selbst und seiner Sicht der Dinge gefangen, lernt er, dass Menschen die Welt unterschiedlich wahrnehmen. Er lernt, seine Impulse besser zu kontrollieren – oder auch mal fünfe gerade sein zu lassen. Und er lernt, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.

In diesem Buch habe ich versucht, möglichst viele der Informationen und Anregungen unterzubringen, die meine Patienten quasi nebenbei mitnehmen.

So erfahren Sie beispielsweise, ob Sie zu den Menschen gehören, die besser die Finger von Onlinespielen lassen sollten, wie Sie Ihren Kindern einen vernünftigen Umgang mit Geld beibringen können, ob Sie einen Seitensprung beichten sollten und wie viel Sport denn nun tatsächlich gesund ist.

Wie alle meine Bücher richtet auch dieses sich an Menschen, die keine Experten in den Bereichen Psychologie, Psychotherapie und Hirnforschung sind und dennoch von den neueren Erkenntnissen dieser Fachrichtungen profitieren wollen.

In meinem Buch Denken Sie jetzt nichts habe ich mich mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung und der Bindungstheorie ausführlich befasst. Auch wenn Sie es bereits kennen, müssen Sie die nächsten Seiten, in denen ich sie noch einmal kurz zusammenfasse, nicht überblättern. Denn sonst erfahren Sie nicht, warum Rattenträume so spannend sind, und Ihnen entgehen die neuesten Erkenntnisse über die sogenannte Prüfungsangst.

Und, keine Sorge: Auch dieses Mal gibt es jede Menge Gedankensprünge, Abschweifungen und »Ach, übrigens«. Wie Sie es von mir gewohnt sind.

Neue Perspektiven

Love is all you need

Die derzeit aktuellen Werbespots eines bekannten Datingportals zeigen, was Paare, die sich gerade kennenlernen, in dieser Phase denken. Während ein Mann es als fürsorglich empfindet, dass die Neue ihm den Hemdkragen zurechtrückt, tadelt die Frau sich innerlich dafür, und während eine Frau schrecklich gern singt, sich das aber bisher nur unter der Dusche traute, ist der Mann froh, endlich eine gefunden zu haben, die mit ihm zum Karaoke geht.

Der Werbespruch dazu lautet: Was du nicht an dir magst, liebt ein anderer.

Ich bin kein ausgesprochener Werbeslogan-Fan, aber dieser Spruch gefällt mir richtig gut. Er zeigt nämlich genau das auf, was ich jeden Tag in der Praxis erlebe: Menschen machen sich das Leben dadurch schwer, dass sie pausenlos an sich selbst herumkritisieren.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen darüber, was genau für den Erfolg einer Psychotherapie ausschlaggebend ist. Ganz egal, wie man untersucht und welche psychotherapeutischen Schulrichtungen man anschaut – im Prinzip kommt immer wieder das Gleiche heraus: In jeder Behandlung ist das mit Abstand Wichtigste, dass der Patient seinen Therapeuten als warmherzig und unterstützend erlebt und dass der, selbst wenn er dem Patienten einmal etwas stecken muss, das etwas schwerer zu schlucken ist, dies immer mit Respekt tut. Als nicht hilfreich werden – wenig überraschend – Therapeuten empfunden, die kühl und unverbindlich auftreten.

Wenn Wertschätzung so aufbauend ist, ist es leicht zu verstehen, dass ein Mangel an Verständnis und ständige Kritik genau das Gegenteil bewirken. Ein solches Verhalten ist wenig unterstützend, sondern vielmehr destruktiv. Was den Umgang mit anderen angeht, ist uns das eigentlich klar. Dennoch ist genau das der übliche Umgangston, den viele Menschen mit sich selbst pflegen.

Stellen Sie sich vor, jemand hat sich ein exotisches Tier zugelegt, ohne sich im Entferntesten über dessen Bedürfnisse informiert zu haben. Er geht davon aus, ein Tier sei etwas zum Liebhaben, zum Streicheln, etwas, dem man kleine Kunststücke beibringen kann. Doch dieses Viech tut nichts von alledem. Es liegt einfach da und schnappt nach der Hand, sobald sie sich ihm nähert. Uns ist sofort klar, dass die Ursache in einem Mangel an Information darüber liegt, um was für eine Art von Tier es sich handelt und wie man am besten mit ihm umgeht.

Ich bin dafür, dass Tiere viel mehr Rechte haben sollten, als es aktuell der Fall ist. Aber ich bin auch der Meinung, Menschen sollten diese Rechte ebenfalls zugestanden werden. Ihr Verhalten sollte zunächst einmal als etwas gesehen werden, wofür es schon einen Grund geben wird, auch wenn wir ihn (noch) nicht kennen.

Man liest immer wieder, das Verhalten von Tieren solle nicht »vermenschlicht« werden, was heißt, man solle tierische nicht mit menschlichen Verhaltensweisen gleichsetzen. Dass wir diese Zweiteilung schaffen, hier Mensch, da Tier, verhindert andererseits aber, dass wir im Alltag menschliches Verhalten so neugierig und wertneutral betrachten, wie wir das bei einem Tier tun würden.

BEOBACHTEN Sie immer mal wieder, wie Sie mit sich selbst umgehen. Lernen Sie, Ihre Gedanken, Ihre Gefühle und Ihr Verhalten nicht ständig zu bewerten, sondern vielmehr freundlich und interessiert herauszufinden, was dahintersteckt.

Lernen Sie, die Grundhaltung einzunehmen, die auch ein Therapeut haben sollte: Seien Sie neugierig und respektvoll sich selbst gegenüber. Wenn Sie etwas verändern wollen, sollten Sie zunächst einmal verstehen, warum die Dinge bei Ihnen so sind, wie sie sind.

Gehen Sie vor allem davon aus, dass es für alles, was Sie tun und denken, Gründe gibt. Nicht nur für das, was Sie an sich mögen, sondern auch für das, was Sie ablehnen.

Meist sind uns diese Gründe allerdings nicht bewusst. Also sollten wir uns zunächst mit dem befassen, was Psychotherapeuten und Hirnforscher das Unbewusste nennen.

Kommandozentrale Unbewusstes

Der weitaus größte Teil dessen, was in unserem Gehirn vor sich geht, entzieht sich komplett unserer Kontrolle. Dieses sogenannte Unbewusste umfasst beispielsweise

– die Regulierung unserer Körper- und Organfunktionen,

– unsere angeborenen Instinkte, die sehr viel mehr vermögen, als wir für möglich halten,

sowie

– ein riesiges Archiv, das alle unsere Erinnerungen beherbergt.

Das Interessanteste für Psychotherapeuten ist die Archivabteilung. Hier finden wir eigentlich immer Erklärungen dafür, warum Menschen tun, was sie tun.

Für manches hingegen ist die Instinktabteilung zuständig, darunter auch für vieles, das Sie vielleicht als Problem bewerten, das Sie bekämpfen sollten.

Spannend ist, wie häufig Forscher etwas, das lange als störend oder gar schädlich eingeschätzt wurde, schließlich doch als eigentlich nützlich enttarnen. Nehmen wir als Beispiel etwas, das viele Menschen als überaus unangenehm empfinden: das, was wir je nach auslösender Situation als Prüfungsangst oder Lampenfieber bezeichnen.

Die sogenannte Prüfungsangst oder das Lampenfieber haben nichts, wie Sie vielleicht annehmen, mit der natürlichen Angst vor einer nahenden Bedrohung zu tun. Vielmehr handelt es sich, objektiv betrachtet, um eine als störend empfundene Aufgeregtheit vor einem wichtigen Termin, bei dem wir uns mit etwas Gelerntem oder Geübtem anderen Menschen präsentieren. Es scheint schwer zu sein, sie abzulegen, denn man hört von Schauspielern, die bereits seit Ewigkeiten im Geschäft sind und die dennoch vor jedem Bühnenauftritt darunter leiden.

Dass es unendlich viele Tipps gibt, wie man sein Lampenfieber loswird, deutet nun auch nicht gerade darauf hin, dass es sich dabei um etwas Nützliches handeln könnte, ebenso wenig wie die nicht gerade freundlichen Wortbestandteile -angst und -fieber. Warum quält es uns ausgerechnet dann, wenn es um etwas wirklich Wichtiges geht?

Oder liegt das Problem vielmehr darin, dass wir diesem Phänomen einfach die falschen Namen gegeben haben?

In der Tat haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Menschen, die ohne Angst in eine Prüfung gehen, schlechter abschneiden als die ängstlichen. Sie empfehlen deshalb, diesen Zustand der erhöhten Aufgeregtheit in wichtigen Situationen als das zu verstehen, was er biologisch tatsächlich ist. Wir spüren, wie unser Körper sich auf solche Situationen vorbereitet, indem er aus allen Rohren feuert und Adrenalin pumpt, damit wir hellwach sind.

Natürlich können bei jedem Menschen auch noch andere Dinge eine Rolle spielen, die beispielsweise mit dem generellen Selbstwertgefühl oder mit Erfahrungen in früheren Situationen zu tun haben, also eher mit der Archiv- als mit der Instinktabteilung.

Allerdings können wir schon eine ganze Menge Druck aus dem Kessel nehmen, wenn wir uns bewusst machen, dass unser Gehirn auch in diesen Situationen eben nicht gegen uns arbeitet, sondern im Gegenteil durch Ausschüttung körpereigener Dopingsubstanzen alles dafür tut, uns so leistungsfähig wie möglich zu machen. Schließlich handelt es sich bei Adrenalin um ein Hormon, das für die Bereitstellung von Energiereserven sorgt, die uns in wichtigen Situationen topfit machen sollen.

BENENNEN Sie Ihre Prüfungsangst oder Ihr Lampenfieber um, finden Sie Ihren eigenen positiven Begriff für diesen Zustand, der dem gerecht wird, was sich wirklich in Ihrem Körper abspielt.

Das hilft Ihnen, sich in Zukunft vor Prüfungen oder Präsentationen nicht mehr als angstgeschütteltes Nervenbündel zu erleben, sondern vielleicht eher den Boxer vor sich zu sehen, der sich im Satinkapuzenmantel tänzelnd auf den Kampf vorbereitet, während Ihr Gehirn dazu den Soundtrack von »Eye of the Tiger« liefert.

Lassen Sie uns jetzt einen Ausflug in die Archivabteilung Ihres Gehirns machen.

Die enthält wie gesagt alles, was wir je erlebt haben. Sie dürfen sie sich nicht als Bibliothek vorstellen, die ordentlich nach Abteilungen und Unterabteilungen gegliedert ist. Stattdessen funktioniert sie scheinbar chaotisch, nämlich durch Verknüpfungen. Wir erleben zwei Dinge gleichzeitig, und unser Gehirn verknüpft sie miteinander. Jede Hirnzelle kann zehntausend Verknüpfungen mit anderen Hirnzellen eingehen und ist über lediglich zwei Stationen mit jeder anderen verbunden.

Dass diese Verknüpfungen unbewusst ablaufen und dass noch weiter verknüpft und gesucht wird, wenn unser bewusstes Denken längst woanders ist, zeigt sich beispielsweise dann, wenn uns urplötzlich der Name eines Schauspielers einfällt, nach dem wir am Tag zuvor vergeblich gesucht hatten. Das Gleiche ist es, wenn wir jemandem begegnen, bei dem wir nicht wissen, woher wir ihn kennen. Dann können wir förmlich miterleben, wie unsere Erinnerung versucht, das Problem einzukreisen, indem es beispielsweise abcheckt, wie gut wir den anderen kennen, ob sich der Kontakt eher privat oder professionell anfühlt und Ähnliches. Daher kann es einige Minuten dauern, bis wir die Antwort auf die Frage serviert bekommen.

Sogar nachts wird in der Archivabteilung unermüdlich gearbeitet.

Träume sind nur ein kleiner, vergleichsweise unbedeutender Bereich dessen, was sich dann in unserem Gehirn abspielt. Der unbewusste Teil schiebt vierundzwanzig Stunden Schicht und ist selbst dann aktiv, wenn der bewusste Teil schläft. Er nutzt diese Zeit, um beispielsweise am Tag Gelerntes zu vertiefen und zu verfestigen.

Man hat herausgefunden, dass Ratten ein neu erlerntes Labyrinth im Schlaf mental immer wieder durchlaufen. Und zwar vorwärts, rückwärts, in Teilabschnitten und in zwanzigfacher Geschwindigkeit!

Bei uns läuft das nicht anders. Im Schlaf hat unser Gehirn Zeit, in Ruhe Dinge zu erledigen, bei denen der bewusste Teil – und Ablenkung von außen – nur stört.

LERNEN Sie, Ihren Schlaf oder Ruhezeiten wertzuschätzen und sie nicht als verlorene Zeit zu betrachten, die der Körper nun mal leider braucht, um sich zu regenerieren. Denn das gilt lediglich für den energieintensiveren bewussten Teil. Wir brauchen den Schlaf nämlich vor allem, weil unser Unbewusstes nachts Unmengen zu erledigen hat und in diesen Zeiten endlich einmal ungestört arbeiten kann.

Der Grund dafür, dass bewusstes Denken nur so einen geringen Teil von uns ausmacht, ist, dass es sehr viel Energie in Form von Zucker und Sauerstoff verbraucht. Energiesparen ist deshalb eine der ganz großen Aufgaben unseres Gehirns. Immerhin hat es davon eine ganze Menge, damit der Laden läuft.

Es hat keine Probleme damit, schier unendlich viel Wissen anzuhäufen. Dass wir neugierig auf die Welt sind und hoffentlich ein Leben lang bleiben, belastet unseren internen Speicher absolut nicht. Unser Gehirn macht einen klaren Unterschied zwischen neuen Informationen und neuen Handlungsabläufen. Neue Informationen findet es gut, denn sie können ihm helfen, noch besser für uns zu sorgen.

Was hingegen unseren Tagesablauf betrifft, greift es gern auf Routinen zurück. Was sich einmal als nützlich oder angenehm erwiesen hat, wird beibehalten. Alles, was automatisch abläuft, ohne dass wir neue Entscheidungen treffen müssen, kann das Unbewusste erledigen. Wir brauchen nicht mehr jeden Morgen darüber nachzudenken, wie Anziehen geht oder Kaffeekochen. Diese kleinen Unterprogramme laufen, einmal gestartet, automatisch ab und verbrauchen praktisch keine Energie, was günstig ist.

Gewohnheiten zu ändern und neue zu etablieren, die wir – ob berechtigt oder nicht – für besser oder gesünder halten, benötigt hingegen immer wieder neue Entscheidungen und verbraucht damit Energie.

Gehe ich heute ins Fitnessstudio oder nicht? ist so ein Beispiel.

Setzt das Unbewusste einem solchen Eingriff in seine Ablaufpläne Widerstand entgegen, neigen viele Menschen dazu, sich selbst zu beschimpfen und dabei Begriffe wie innerer Schweinehund zu gebrauchen. Ich halte es für keine gute Idee, etwas zu beschimpfen, dessen Funktionsweise man nicht versteht. Erheblich zielführender ist es, die Sprache dieses Systems zu erlernen und dafür zu sorgen, dass von uns erwünschtes Verhalten möglichst schnell zur Routine wird.

Geschätzt zwischen 30 und 50 Prozent unseres Tagesablaufs werden durch Gewohnheiten bestimmt. Ob sie nun nützlich oder schädlich sind – auf jeden Fall sind sie schwer wieder loszuwerden. Gewohnheiten sind wie Spurrillen im Gehirn. Wir haben einmal die Entscheidung getroffen, etwas zu tun, und dieses Verhalten hat sich durch ständige Wiederholungen automatisiert. Mit dem blanken Vorsatz werden wir es nur höchst selten ändern können, und dafür gibt es gute Gründe. Die Teile unseres Gehirns, die für Entscheidungen zuständig sind, schlummern nämlich, wenn wir in solchen automatisierten Abläufen stecken.

Jedes dieser Unterprogramme besteht aus drei Teilen: Es startet mit einem auslösenden Reiz, läuft dann ab und endet mit einer Belohnung.

Am Anfang sind es noch die Eltern, die uns loben, wenn wir uns die Zähne putzen. Irgendwann ist das Zähneputzen zur Gewohnheit geworden, und wir brauchen keine Belohnung mehr. Das Gehirn selbst schüttet zur Belohnung zufrieden machende Substanzen aus, wenn wir solche Tätigkeiten durchführen.

Anfangs- und Endpunkte markieren die Zeitspanne, während der das Gehirn sich ausruhen kann, zumindest von dem energieintensiveren bewussten Denken. Solche automatisierten Tätigkeiten liebt unser Gehirn auch deshalb, weil es in dieser Zeit prima an neuen Ideen herumtüfteln kann. Unsere besten Ideen, die scheinbar aus dem Nichts kommen, haben wir, während wir etwas tun, das wir schon tausendmal getan haben.

Wie können Sie es also beispielsweise schaffen, tatsächlich regelmäßig Sport zu treiben?

(Zu der Frage, ob Fitness aus der Sicht der Wissenschaft tatsächlich etwas mit Gesundheit zu tun hat, kommen wir später.)

Wenn Sie damit anfangen wollen, setzen Sie sich keine Ziele, bei denen Ihr Unbewusstes nicht mitzieht. Bürsten Sie sich, was Bewegung betrifft, vor allem nicht gegen den Strich. Was Sie schon im Schulsport gehasst haben, wird wahrscheinlich auch jetzt nicht Ihre große Leidenschaft werden.

ÜBERLEGEN Sie zuerst, ob Sie eher ein Draußen- oder ein Drinnenfan sind. Fragen Sie sich auch, ob Sie Motivation durch andere brauchen oder es hassen, wenn jemand Ihnen das Tempo vorgibt. Und dann erinnern Sie sich an Ihre frühere Lieblingsdisziplin. Vielleicht würde das oder etwas Ähnliches Ihnen ja wieder Spaß machen.

Der Vorsatz Ich will jede Woche zweimal ins Fitnessstudio gehen wird sehr wahrscheinlich scheitern, das zeigt die Statistik. Die Mehrzahl der Leute, die dort angemeldet sind, geht nicht mehr hin, obwohl ihr Vertrag weiterläuft. Die Studios verdienen ihr Geld also nicht mit den paar Hanseln, die dort schwitzen, sondern mit der größeren Menge derer, die sich einmal angemeldet hatten und nun mit schlechtem Gewissen zu Hause auf dem Sofa liegen. Es gelingt uns folglich nicht einmal dann, ein neues Verhalten zu verfestigen, wenn wir dafür zahlen müssen. Nicht weil irgendein innerer Schweinehund nicht mitzieht, sondern weil das Gehirn nicht einsieht, warum es seine Routinen ändern soll.

Wenn Sie etwas ändern wollen, reicht es nicht, nur einen Entschluss zu fassen. Sie müssen Ihr Verhalten in kleinen Schritten ändern, bis es zur Gewohnheit geworden ist.

WENN Sie zu Hause ein Fahrradergometer stehen haben, das Sie immer wieder vorwurfsvoll ansieht, weil es nur als Kleiderständer dient, beginnen Sie mit dem Plan, jeden Tag eine Minute lang zu radeln.

Eine Minute ist nun wirklich machbar, egal, wie heftig der Tag ist. Oder berühren Sie wenigstens einmal am Tag mit dem Po den Sattel. Wenn Sie schon mal draufsitzen, ist es erheblich einfacher, den Plan durchzuführen, ein paar Minuten zu radeln.

Versuchen Sie aber nicht, Ihr Gehirn auszutricksen, indem Sie sich insgeheim vornehmen, doch jeden Tag eine halbe Stunde zu fahren, und sich dann ärgern, wenn es nicht geklappt hat. Damit kriegen Sie es garantiert nicht dazu, zu kooperieren. Es steht nämlich auf Abläufe, die mit einer Belohnung enden, nicht mit einer Beschimpfung. Wichtig ist es also, nicht mit sich zu hadern, wenn es tatsächlich bei einer Minute bleibt. Ihre Tagesform ist nicht immer gleich, und das Unbewusste hat seine Gründe, an manchen Tagen weniger Lust aufs Radfahren zu haben als sonst. Beispielsweise, weil es mit der Abwehr eines Infekts beschäftigt ist, wovon Sie vielleicht gar nichts mitbekommen. Wenn Sie sich jedes Mal beschimpfen, wenn Sie Ihren Plan nicht einhalten, verlieren Sie schließlich ganz die Lust daran.

Versuchen Sie, sich das Strampeln so kurzweilig wie möglich zu gestalten. Manche Menschen basteln sich einen Halter für ihr Tablet oder für ein spannendes Buch, das nur auf dem Rad gelesen werden darf, andere legen sich eine Serie zu, die sie schon immer schauen wollten und die ebenfalls nur während des Sportelns konsumiert werden darf.

Machen Sie das am Anfang nur so lange, wie es sich gut anfühlt. Mit jedem Tag, an dem Sie auf das Ding klettern, vertiefen Sie diese Spurrille in Ihrem Gehirn.

Sie wollen aber tatsächlich lieber ins Fitnessstudio? Dann sorgen Sie für einen auslösenden Reiz, indem Sie beispielsweise die Sporttasche schon mit zur Arbeit nehmen.

Sich vorzubeten, Sport sei gesund, und dabei zu hoffen, das allein werde als Motivation ausreichen, wird eher nicht klappen. Ihr Gehirn ist sowieso ständig damit beschäftigt, Sie gesund zu erhalten. Überreden können Sie es folglich nicht. Schaffen Sie also Routinen.

Ein beeindruckendes Beispiel hierfür habe ich vor längerer Zeit in einer Fernsehsendung gesehen, in der es darum ging, übergewichtigen Jugendlichen beim Abnehmen zu helfen.

Gezeigt wurde eine junge Frau, die eine Rundumversorgung bekam, nicht nur eine Ernährungsberaterin, sondern auch einen netten, knackigen Personal Trainer. Er holte sie am ersten Tag zu Hause ab und erklärte, er wolle erst einmal mit ihr darüber reden, was sie denn im Bereich Sport und Bewegung bisher getan habe. Während sie sich unterhielten, gingen sie in gemütlichem Spaziertempo die Straße hinunter. Nach einiger Zeit fragte die junge Frau, wann es denn mit dem Programm losgehe.

»Wir haben schon angefangen«, sagte der Trainer. »Wir sind jetzt fünf Minuten gegangen. Jetzt gehen wir wieder zurück, dann sind wir zehn Minuten gegangen.«

Er werde sie jeden Tag abholen, und jeden Tag würden sie ein klein wenig länger spazieren gehen, und irgendwann würde sie dieses Programm allein fortführen. Wenn sie bei jeweils einer halben Stunde Hin- und Rückweg angekommen sei, sei die Endstufe erreicht.

Man kann sich gut vorstellen, dass es für jemanden, der sich bisher nur bewegt hat, wenn es unbedingt erforderlich war, einen gewaltigen Unterschied macht, jeden Tag eine Stunde zu Fuß zu gehen. Und das auf eine Weise, bei der das Unbewusste keinen Verdacht schöpft, man wolle ihm hier irgendwelche neuen Mätzchen beibringen. Sondern auf eine Weise, die ganz allmählich die Spurrille vertieft, die beinhaltet, jeden Tag das Haus zu verlassen und zu laufen.

Weil wir gerade beim Laufen sind: Wie sieht es eigentlich mit dem sogenannten Gehirnjogging aus? Können wir damit unsere geistige Leistungsfähigkeit tatsächlich verbessern?

Einige Zeit ging man davon aus, dass dies durch bestimmte Übungen erreicht werden könnte. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Gedächtnistraining nur genau den winzigen Teilbereich verbessert, den wir gerade trainieren, dass unser Gedächtnis insgesamt aber nicht leistungsfähiger wird.

Wenn Sie sich also beispielsweise, um Ihr Gedächtnis zu schulen, vor einer Reise dazu zwingen wollen, auf Listen zu verzichten und sich alles zu merken, werden Sie damit nur erreichen, dass Sie am Urlaubsort eine neue Nagelschere kaufen müssen, weil Sie Ihre zu Hause vergessen haben. Machen Sie lieber Listen und entlasten Sie damit den inneren Speicher.

WENN Sie tatsächlich etwas für Ihr Gehirn tun wollen, so empfehlen Wissenschaftler, sich eine neue Sprache anzueignen oder ein Instrument zu erlernen. Bleiben Sie ein Leben lang neugierig und hören Sie nie mit dem Lernen auf.

Noch ein Tipp für den Fall, dass Sie sich etwas merken wollen, ohne es aufzuschreiben, weil Ihnen vielleicht unterwegs noch etwas einfällt, das Sie besorgen wollen.

NUTZEN Sie die Vorliebe Ihres Gehirns für Verknüpfungen. Mit anderen Worten: Bauen Sie sich eine Eselsbrücke.

Brauchen Sie noch Milch, stellen Sie sich beispielsweise vor, dass im Laden gleich hinter der Tür eine riesengroße Milchflasche steht. Schon haben Sie eine Verknüpfung zwischen »In den Laden gehen« und »Milch kaufen« geschaffen. Das funktioniert bedeutend besser als Auswendiglernen.

Meine Praxis liegt in einer Gegend, in der ich praktisch alles, was neben der Arbeit zu besorgen ist, vorher oder in der Mittagspause erledigen kann. Oft reicht es aus, dass ich auf einer gedachten kleinen Straßenkarte markiere, wohin ich muss, beispielsweise Bank, Schuster, Bäcker, Zeitungskiosk, und mir die Zahl der Anlaufstellen merke. Rufe ich die ab, poppt automatisch mental die Karte hoch, und am Bestimmungsort das, was dort üblicherweise zu erledigen ist. Eine Liste brauche ich nur, wenn ich irgendwo mehrere Dinge erledigen muss, die von der üblichen Routine abweichen.

Wenn man seinen internen Speicher überfordert, ist man nicht unbedingt immer selbst schuld daran. Mit ihren jugendlichen Kindern kriegen Eltern meines Erachtens auch deshalb so oft Krach, weil die pausenlos den Speicher der Eltern überlasten. Man möchte gern etwas an den Nachwuchs delegieren, von dem man meint, der könne sich darum nun langsam selbst kümmern, beispielsweise, wenn er am nächsten Tag etwas außer der Reihe in die Schule mitbringen muss. Man fragt immer wieder nach, ob er sich darum gekümmert hat, und bekommt immer ein genervtes »Jaja, mach ich schon noch!« zur Antwort. Natürlich wird er sich nicht darum kümmern, was auch damit zusammenhängt, dass im jugendlichen Gehirn gerade Straßensperrung infolge umfangreicher Umbauarbeiten besteht und dass die Gedächtnisabteilung stark unterbesetzt ist.

Also muss die Mutter immer wieder als externe Festplatte herhalten. Was wiederum dazu führt, dass aus dem Speicher des mütterlichen Hirns dieser Vorgang nicht gelöscht werden kann, um den Speicherplatz wichtigerer Verwendung zuzuführen. Was wahnsinnig nervt und immer wieder zu Familienzoff führt.

Einen besseren Tipp als nur zu hoffen, dass diese Zeit der Prüfungen für das Familienklima bald vorbei ist, habe ich auch nicht, außer vielleicht den folgenden.

HÄNGEN Sie einen großen Zettel an eine gut sichtbare Stelle, auf der alles steht, was der Jugendliche zu erledigen hat. Lassen Sie ihn durchstreichen, was getan worden ist. Ein Vermerk im gemeinsamen Familienkalender hätte ungefähr so viel Effekt, als ob Sie das Ganze Ihrem Kaktus auftragen.

Erziehung ohne Konsequenzen funktioniert so wenig wie Lernen ohne Fehler. Wenn Sie für Ihr Kind – gleich welcher Altersstufe – immer die Kohlen aus dem Feuer holen, lernt es nur eins: Es ist immer jemand da, der die unangenehmen Dinge für mich erledigt. In der Folge wird es für ein Leben ohne persönlichen Assistenten unvorbereitet sein. Lassen Sie es auch einmal Konsequenzen spüren, also ohne das für die Schule notwendige Teil dort auflaufen, das zu Hause gut lesbar auf der persönlichen To-do-Liste des Betreffenden stand. Setzen Sie sich im nächsten ruhigen Moment mit ihm hin und überlegen Sie gemeinsam, was ihm noch effektiver helfen könnte, sich an das zu Erledigende zu erinnern. Wobei Mama muss halt dran denken keine der ankreuzbaren Optionen ist.

Das Fundament der Persönlichkeit

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle: Haben denn die Hirnforscher jetzt in der Psychologie das Ruder übernommen? Früher hatten die Psychologen es doch immer mit der Kindheit?

Die Antwort lautet: Das haben sie immer noch, sogar mehr denn je. Denn in einem sind Hirn- und Bindungsforscher sich völlig einig: Die wichtigsten Dinge geraten in unser inneres Archiv bereits zu einer Zeit, an die niemand von uns sich erinnern kann, weil unser Gedächtnis damals noch nicht genügend ausgereift war, nämlich in den ersten eineinhalb Jahren. Entscheidende Grundsteine unserer Persönlichkeit werden dann gelegt, und was in dieser Zeit zwischen uns und den Menschen geschieht, die uns am nächsten stehen, kann darüber entscheiden, ob wir das Leben mit seinen Aufgaben meistern werden oder daran scheitern, und sogar, wie körperlich robust oder anfällig wir sein werden.

Die Hirnforscher erklären dies damit, dass sich – je nach Umgang der Eltern mit ihrem Kind – bereits in dieser frühen Phase entscheidet, ob bestimmte Hirnregionen wachsen oder verkümmern. Bereits mit neun Monaten erreicht die Entwicklung der erwähnten Verknüpfungen von Nervenzellen im Gehirn ihren Höhepunkt. So aufnahme- und lernfähig wie in dieser ersten Zeit werden wir nie wieder in unserem Leben sein.

Mit dem Trend, Chinesischunterricht bereits im Kindergarten zu erteilen, hat das allerdings absolut nichts zu tun, im Gegenteil. Dafür viel damit, wie geborgen ein Kind sich fühlt, wie zuverlässig es seine Mitmenschen zu einer Zeit erlebt, in der es noch ganz und gar auf sie angewiesen ist, aber auch, wie gut sie ihm dabei helfen, mit den heftigen Gefühlen umzugehen, die es bewegen.

Ein Grund für die große Bedeutung unserer allerersten Lebensjahre ist also, dass dies die für die Hirnentwicklung wichtigste Zeit ist. Ein weiterer Grund ist, dass für diese Entwicklung die Beziehung zu anderen Menschen immens bedeutsam ist. Hier kommen die Bindungsforscher ins Spiel.

Menschen gehören zu den Säugetieren, die zu Beginn ihres Lebens noch eine ganze Zeit lang extrem hilflos sind. Viel mehr noch als ein Fohlen oder Kälbchen, die zur Not versuchen können, ein anderes Muttertier für sich zu interessieren, falls das eigene sie nicht ausreichend versorgt. Deshalb sind Menschenkinder noch stärker darauf angewiesen, dass jemand gut auf sie aufpasst, dass ihnen also eine gute Bindungsbeziehung angeboten wird, in der sie sich sicher fühlen können und nicht durch Vernachlässigung oder Gewalt bedroht sind. Und dass sie in einer solchen Beziehung das bekommen, was sie brauchen, um aus einem unangenehmen Gefühl wieder herauszukommen, aus Hunger, Schmerz, Einsamkeit beispielsweise, oder dem Wunsch nach Anregung.

Bereits bei eineinhalbjährigen Kindern lassen sich deutlich die Folgen solcher guten oder weniger guten Erfahrungen erkennen. In Langzeituntersuchungen haben Forscher darüber hinaus festgestellt, wie sich die unterschiedlichen Bindungserfahrungen dieser ersten Zeit im Erwachsenenalter auswirken.

Man unterscheidet dabei vier Bindungsformen:

Gut die Hälfte der untersuchten Kinder ist sicher gebunden. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Bedürfnisse richtig erkannt werden, dass man liebevoll mit ihnen umgeht und dass ihnen geholfen wird, wenn es ihnen nicht gut geht. In Kindergarten und Schule können sie Probleme mit anderen Kindern besser lösen, und im Erwachsenenalter fällt es ihnen leichter, gute und dauerhafte Partnerschaften und Freundschaften einzugehen. Außerdem verfügen sie später über eine erheblich robustere Gesundheit.

Die zweitgrößte Gruppe ist die der unsicher-vermeidend gebundenen Kinder. Häufig handelt es sich dabei um Kinder, die schon früh »vernünftig« sein mussten. Bindungsforscher sind der Meinung, in den ersten eineinhalb Jahren könne ein Kind noch nicht verwöhnt werden, sondern es brauche im Gegenteil das Erleben von Verlässlichkeit, was auch bedeutet: Wenn das Kind auf sich aufmerksam macht, sollte jemand parat sein, um sich mit ihm zu beschäftigen bzw. es zu trösten. Werden diese Bedürfnisse nicht befriedigt, besteht die Gefahr, dass der Pegel des Stresshormons Cortisol steigt, und zwar dauerhaft, wenn das Kind diese negative Erfahrung immer wieder machen muss.

Also vergessen Sie den Rat, egal ob er von Ihrer Oma oder gelegentlich auch noch von manchen Autoren kommt, man müsse einen Säugling auch mal schreien lassen, damit er das Durchschlafen lerne, sonst schaffe er es nie, sich selbst zu beruhigen. Wenn Sie diesem Rat folgen, wird das Kind tatsächlich irgendwann aufhören zu schreien. Aber nicht, weil es sich beruhigt hat, sondern weil es resigniert und aufgehört hat, darauf zu hoffen, dass auf dieser Welt Hilfe zu bekommen ist. Kinder dieses Alters sind noch gar nicht imstande, ihre Gefühle selbst zu regulieren.

Als Erwachsene werden die unsicher-vermeidend gebundenen Kinder wahrscheinlich Probleme haben, ihre Gefühle konkret zu benennen. Möglicherweise werden sie dennoch nie auffällig und sehen daher auch keinen Grund, eine psychotherapeutische Praxis aufzusuchen. Dafür landen ihre Angehörigen bei uns, weil sie darunter leiden, dass der Betreffende keine Gefühle zeigen kann.

Die nächstgrößere Gruppe ist die der unsicher-zerrissen gebundenen Kinder. (Die Fachleute nennen diese Bindungsform unsicher-ambivalent