Denken Sie jetzt nichts! - Andrea Jolander - E-Book

Denken Sie jetzt nichts! E-Book

Andrea Jolander

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Das Vernünftige an der Vernunft ist die Unvernunft

Vergessen Sie langes Grübeln, hören Sie auf zu hadern und begeben Sie sich in die Hände Ihrer Intuition! Mit viel Humor erklärt Psychotherapeutin Andrea Jolander, warum spontane Entscheidungen meist die besseren sind und wie wir lernen, unsere Instinkte für uns zu nutzen.

In Las Vegas geheiratet, mal eben ein Auto gekauft: Das halten wir bestenfalls für unüberlegt, eher aber für ganz schön dumm. Doch die Entscheidung aus dem Bauch heraus ist nichts anderes als unser Unterbewusstsein, das aus dem Archiv lebenslanger Erfahrung schöpft und unserem bewussten Denken weit überlegen ist. Es bedarf nichts weiter als einer kleinen Inventur in Ihrem Archiv um zu wissen, wann Sie sich auf Ihr Bauchgefühl verlassen können. Lernen Sie, Ihr Unterbewusstsein zu nutzen. Ab jetzt gilt: Bauch schlägt Kopf!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 246

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Vergessen Sie langes Grübeln, hören Sie auf zu hadern und begeben Sie sich in die Hände Ihrer Intuition! Denn Ihr Gehirn weiß mehr, als Sie denken!

Psychotherapeutin Andrea Jolander erklärt, warum spontane Entscheidungen meist die besseren sind und wie wir lernen, unsere Instinkte für uns zu nutzen.

Die Bedienungsanleitung für Ihr Unterbewusstsein.

ANDREA JOLANDER

DENKEN

SIE

JETZT

NICHTS!

Warum wir instinktiv

die besten Entscheidungen

treffen

Copyright © 2015 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

unter Verwendung von shutterstock/ufuk sezgen

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-15688-6

www.heyne.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Unser Unbewusstes – Helfer und Lebensretter

Was Sinne und Instinkt vermögen

Unser Supergedächtnis oder Wer ist Herr im Oberstübchen?

Und was ist mit dem Schweinehund …?

… und mit der Disziplin?

Im Würgegriff der Normen

Wenn normal nicht mehr normal ist

Von Katzen und Selbstgesprächen

Die auf die Normen pfeifen

Was sollen denn die Leute sagen?

Die inneren Archive

Kurzschluss im Unbewussten

Das Licht geht an

Wie entsteht, was uns leitet

Sicherheit, Unsicherheit und Chaos

Zwischendurch ein Ü-Ei

Die dunkle Seite

Fluch und Erlösung

Die zwölfte Fee

Inventur im Archiv

Warum wir so wenig über uns selbst wissen

Dank

Vorwort

Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Freund, eher mit zwei linken Händen ausgestattet, erzählt Ihnen, er habe endlich in seiner Wohnung Bilder aufgehängt. Er sei ja nun nicht so der Held mit dem Hammer, aber letzten Endes habe er es doch geschafft, für alle Bilder den passenden Platz zu finden. »Aber was ganz anderes«, sagt er und hält Ihnen seinen tiefblauen Daumennagel unter die Nase. »Hast du eine Ahnung, was das sein könnte?«

Eine Freundin hatte sich schon lange vorgenommen, endlich einmal etwas für sich zu tun, und hat sich zu einem Step-Aerobic-Kurs angemeldet. Zum Fortgeschrittenenkurs, denn es soll schließlich auch etwas bringen. Eineinhalb Stunden lang ist sie am Abend zuvor ununterbrochen auf den Stepper rauf- und wieder vom Stepper runtergestiegen. »Wie war es denn?«, fragen Sie und bekommen zur Antwort: »Es war schon anstrengend, aber gut. – Aber weißt du, was total doof ist? Da hab ich mich endlich aufgerafft, wieder Sport zu machen, und ausgerechnet jetzt werde ich krank. Seit heute Morgen habe ich entsetzliche Schmerzen in den Waden.«

Sie haben recht. Diese Szenen klingen ausgesprochen unglaubwürdig. Natürlich habe ich sie mir ausgedacht. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass wir, was unseren Körper betrifft, so wenig Ahnung von Ursache und Wirkung haben. Wer es beim Sport übertreibt, kriegt Muskelkater, und der Daumen wird blau, wenn man sich ein paarmal kräftig mit dem Hammer draufgeschlagen hat.

Allerdings sind wir bei körperlichen Beschwerden viel eher bereit zu glauben, dass sie dem anderen Kummer verursachen, als wenn es sich um seelische Nöte handelt. Jemand erzählt beispielsweise, er wache immer mitten in der Nacht davon auf, dass sein linker Fuß sich anfühle, als sei gerade ein Lkw darübergefahren, und er sei damit zum Arzt gegangen. Der habe sofort wissend genickt und der Sache einen sehr langen lateinischen Namen gegeben. Jetzt müsse der Geplagte ein bestimmtes, völlig nebenwirkungsfreies Präparat einnehmen, und wenn er das vergesse, kämen die Beschwerden sofort wieder. Wahrscheinlich würde der Gesprächspartner sagen: »Was es nicht alles gibt!« Aber er würde nicht eine Sekunde daran zweifeln, dass etwas Derartiges wirklich existiert.

Was die Psyche betrifft, sieht es bezüglich der Kenntnis des Prinzips von Ursache und Wirkung allerdings meist eher so aus wie in den nachfolgenden Beispielen:

Eine Freundin, die schon öfter mal Durchhänger hatte, unternimmt einen Selbstmordversuch, und ihr Umfeld fragt sich: Hat sie denn gar nicht an ihre Kinder gedacht?

Ein Politiker, der lange über einen untadeligen Ruf verfügte, gerät plötzlich ins Zwielicht, und anstatt eine überzeugende Erklärung abzugeben, verstrickt er sich immer mehr in Ausreden und Lügen. Warum gibt er sein Fehlverhalten nicht einfach zu?

Wir lesen in der Zeitung von Eltern, die ihr kleines Kind immer wieder quälten und es schließlich verhungern ließen. Wie können Menschen so wenig Mitgefühl besitzen?

Im Fernsehen wird vom Amoklauf eines bislang unauffälligen und scheinbar angepassten jungen Mannes berichtet. Menschen legen am Tatort Blumen nieder und Zettel, auf denen immer wieder die eine Frage steht: Warum?

In einer Psychotherapie lernen Menschen, woran es ganz speziell bei ihnen gelegen hat, dass sie Symptome entwickelt haben, die sie selbst nicht verstehen. Aber darüber hinaus begreifen sie auch viel darüber, wie unser aller Psyche funktioniert, und sie sehen die Welt zukünftig mit anderen Augen. So wie der Absolvent einer Kunstschule einen Baum völlig anders betrachtet als ein normaler Spaziergänger.

Natürlich ist es schön, dass gelungene Psychotherapie so wirksam ist, dass Menschen anschließend gesünder und zufriedener sind und die Krankenkassen damit erwiesenermaßen locker wieder einsparen, was die Behandlung sie gekostet hat. Aber es ist nicht einzusehen, warum man erst nach einer Psychotherapie wissen sollte, warum man tickt, wie man tickt, und warum unsere Umwelt wiederum so ganz anders tickt. Und warum man erst dadurch wieder Zugang zu den Kräften bekommt, die in uns allen vorhanden sind.

Ursprünglich steht uns eigentlich alles zur Verfügung, was uns psychisch gesund und leistungsfähig sein lässt. Wir werden wohl nie in vollem Ausmaß begreifen können, wozu wir wirklich imstande sind. Wichtig ist es aber, zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, wie erstaunlich, kreativ und stützend das ist, was den innersten Kern unserer Psyche ausmacht, und wie selbst das, was wir als unverständlich, absurd oder störend empfinden, in Wahrheit mit den inneren Helfern in unserem Gehirn zusammenhängt, die unermüdlich, Tag und Nacht, bei der Arbeit sind, um uns zu stabilisieren und am Leben zu erhalten.

In diesem Buch möchte ich Ihnen etwas von dem vermitteln, was unsere Patienten über sich selbst und über die Welt lernen.

Ich habe in meiner langjährigen Arbeit als Psychotherapeutin immer wieder erlebt, wie allein das Wissen darüber, wie wir funktionieren, Patienten zu einer neuen, liebevolleren Einstellung sich selbst gegenüber verholfen hat. Sie haben begriffen, dass alles, was sie zuvor an sich ablehnten, einen Sinn ergibt und Ausdruck nicht der kränksten, sondern der gesündesten Teile in uns ist. Es ist nicht einzusehen, dass es sozusagen ein Geheimwissen sein sollte und dass man erst psychisch erkranken muss, um etwas davon zu erfahren.

Was Psychologen und Hirnforscher in den letzten Jahrzehnten herausgefunden haben, ist wahrlich revolutionär, denn es stellt alles auf den Kopf, was wir über uns zu wissen glaubten. Wenn etwas unser Weltbild infrage stellt, verunsichert uns das und macht möglicherweise zunächst sogar Angst. In der Tat schrieb der Leser eines Buches, das sich mit Hirnforschung beschäftigt, er habe einer Freundin begeistert davon erzählt, was er an spannenden Erkenntnissen über die gigantische Macht des Unbewussten gewonnen habe. Sie habe geantwortet, er solle sie bloß damit verschonen, ihr mache das alles Angst.

Aber keine Sorge: In dem, was ich Ihnen in diesem Buch aufzeigen möchte, liegt nichts Unheimliches. Angst ist völlig fehl am Platze, hier ist allenfalls Respekt vor uns selbst angesagt.

Ich erinnere mich, dass eine meiner allerersten Patientinnen mir vor vielen Jahren gegen Ende unserer Therapie am Rande eine kleine Episode erzählte.

»Ich wollte mir vor ein paar Tagen etwas zum Anziehen kaufen«, berichtete sie. »Bisher war das meistens eine frustrierende Angelegenheit. Bei jedem einzelnen Teil habe ich mir endlos überlegt: Passt das zu mir? Steht mir das? Dieses Mal bin ich in den Laden, habe diesen Rock gesehen und wusste sofort: Das ist er. Das ist mein Rock.«

Natürlich war die Patientin ursprünglich nicht wegen ihrer Shopping-Probleme zu mir gekommen, nicht einmal deshalb, weil sie generell große Schwierigkeiten gehabt hätte, Entscheidungen zu treffen. Die Rock-Geschichte war lediglich ein Abfallprodukt einer erfolgreichen Therapie. Im Laufe der Behandlung hatte sie gelernt, sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen und es nicht durch ständiges Grübeln infrage zu stellen.

Im ersten Teil des Buches werden wir uns mit diesem Thema befassen, und Sie werden anschließend nicht nur wissen, warum ein gutes Verhältnis zum Unbewussten Zeit beim Shoppen sparen kann, sondern Sie werden generell in Zukunft mehr Hochachtung vor den Teilen Ihres Denkapparats haben, die Sie bisher sträflich unterschätzt haben.

Im zweiten Teil möchte ich Ihnen zeigen, wie wichtig – und wie gesund und sogar lebensverlängernd – es ist, sich selbst nicht gegen den Strich zu bürsten, indem man sich Normen selbst da anpasst, wo niemand es verlangt. Denn sonst entfremden wir uns von dem gesunden Maßstab, den wir alle in uns tragen, dem besagten Bauchgefühl.

Eine wichtige Rolle in der Psychotherapie spielt die Ursachenforschung. Im dritten Teil werden wir uns damit beschäftigen, wie unser Unbewusstes entstanden ist und womites zusammenhängt, dass unsere frühen Erfahrungen – unsere ganz, ganz frühen Erfahrungen – oft so prägend für unser Leben sind.

Im letzten Teil erfahren Sie, welche Möglichkeiten es schon heute für uns gibt, möglichst früh zu lernen, gesunde innere Impulse zu entwickeln, woher es kommt, dass dieses Wissen so wenig verbreitet ist, und warum Menschen tatsächlich oft erst psychisch erkranken müssen, um zu erfahren, was eigentlich jeder über sich wissen sollte.

Wie meine bisherigen Bücher wendet auch dieses sich in erster Linie an Menschen, die sich bislang in den Bereichen Psychologie, Psychotherapie und Hirnforschung noch nicht allzu ausgiebig getummelt haben. Aber selbst wenn Sie sich mit diesen Themen bereits intensiver befasst haben, ist unter Umständen die eine oder andere interessante neue Erkenntnis für Sie dabei.

Wer allerdings gern Sachbücher liest, die so stringent aufgebaut sind wie eine mathematische Formel, wird mit diesem Buch nicht unbedingt glücklich werden. Ich plaudere gern, mache zwischendurch auch mal einen Umweg oder bleibe an einer interessanten Wegmarke etwas länger stehen. Über zwei Drittel meines Lebens habe ich mich mit dem Unbewussten befasst. Das hinterlässt Spuren. Das Unbewusste hat es nicht so mit dem Strukturierten, es funktioniert eher assoziativ, also nach der Methode »ach, übrigens …«

Wenn Sie dieses Buch am Ende zugeklappt haben, werden Sie besser verstehen, warum die Menschen in Ihrem Umfeld und auch die, von denen Sie nur in der Zeitung lesen, sind, wie sie sind. Vor allem aber werden Sie dem, was Ihr Unbewusstes vermag, in Zukunft mit mehr Respekt begegnen. Und damit auch sich selbst.

Begleiten Sie mich also zunächst auf einen Besuch in Ihr faszinierendstes Körperteil: Ihr Gehirn.

Unser Unbewusstes – Helfer und Lebensretter

Was Sinne und Instinkt vermögen

Was Menschen imstande sind, körperlich zu leisten, soll hier kein Thema sein. Über unseren Körper wissen wir ja einigermaßen Bescheid, und wenn wir mehr über seine Leistungsfähigkeit erfahren wollen, blättern wir im Guinnessbuch. Nein, das, worum es hier gehen soll, spielt sich komplett in unserem Kopf ab.

Alle Fähigkeiten, von denen hier die Rede sein wird, haben eines gemeinsam: Sie steuern unser Verhalten, ohne dass wir auch nur das Mindeste davon mitbekommen. Dieser Gedanke ist allenfalls zunächst etwas unangenehm. Je mehr Sie sich mit diesen Fähigkeiten beschäftigen, desto mehr werden Sie erkennen, dass sie uns nicht beherrschen, sondern uns dienen. Auch wenn diese Vorstellung manchem inzwischen politisch unkorrekt erscheinen mag: Fast jeder träumt am Ende eines langen, harten Arbeitstages irgendwann einmal davon, zu Hause von einem Heer von Dienstboten erwartet zu werden. Köchin, Gärtner, Hausmädchen, Putzfrau, Chauffeur – vielleicht noch ein Personal Trainer und ein Masseur? Es ist wohl tatsächlich am hilfreichsten, unsere im Verborgenen wirkenden Fähigkeiten so zu betrachten: als ein Heer von unsichtbar tätigen Helfern, die uns eine Menge Arbeit abnehmen, die uns vor Fehlern schützen und die manches sehr viel besser können als wir selbst.

Schauen wir uns das zunächst einmal in Bereichen an, die zumindest noch nicht unmittelbar etwas mit unserer Psyche zu tun haben. Beginnen wir mit einigen der Leistungen, die unsere Sinne imstande sind zu vollbringen, ohne dass wir es auch nur ahnen.

Nehmen wir als Beispiel einen Sinn, auf den die meisten von uns glauben, am ehesten verzichten zu können: unseren Geruchssinn. Wenn wir ein paar Tage lang schwer erkältet sind, nervt das zwar, aber hauptsächlich deshalb, weil die Nase verstopft ist und wir nicht gut Luft bekommen. Dass unser Geruchssinn brachliegt, merken wir allenfalls daran, dass selbst unsere Lieblingsspeisen nach nasser Pappe schmecken. Ansonsten vermissen wir ihn nicht übermäßig.

Was also soll der Großartiges leisten können?

Schon vor Jahren entdeckten Forscher, dass wir Menschen über eine äußerst nützliche Fähigkeit verfügen. Offenbar sind wir imstande, herauszufinden, welcher potenzielle Partner am besten zu uns passt, wenn es darum geht, dem gemeinsamen Nachwuchs die optimale genetische Ausstattung zu sichern und dafür zu sorgen, dass er möglichst selten krank wird. Mittlerweile weiß man auch, wie wir das bewerkstelligen. Allein mithilfe unseres Geruchssinns – allerdings ohne dass uns das auch nur annähernd bewusst wäre – können wir bestimmte Hormone erschnuppern, die diese Informationen transportieren. Frauen riechen beispielsweise lieber an T-Shirts von Männern, die mit anderen Immunvarianten ausgestattet sind als sie selbst, als an denen von Männern, die ihnen in dieser Hinsicht ähnlich sind. Je unähnlicher das Immunsystem eines Partners ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er ein gemeinsames Kind mit einem Schutz gegen Krankheiten ausstatten kann, über den wir selbst nicht verfügen. Da dieses Thema immer mal wieder durch die Medien geistert, könnte es sein, dass Sie an der Stelle sagen: »Äh, ich habe aber genau das Gegenteil gehört …«

Nee, das stimmt schon so. Zwar fliegen wir auf Menschen, deren genetische Ausstattung der unseren ziemlich ähnlich ist, und das nicht nur bei der Wahl eines Partners, sondern selbst bei der Wahl unserer Freunde. Was das Immunsystem betrifft, kann es unserem Näschen allerdings gar nicht unähnlich genug sein.

Da steht dann also möglicherweise ein Mensch vor uns, der uns überaus sympathisch ist, der freundlich ist und unseren Humor teilt. Nett sieht er auch noch aus. Trotzdem wird er nur der beste Kumpel oder die beste Kumpeline, aber nicht der Partner fürs Leben. Klar, dafür kann es auch psychische Ursachen geben. Denkbar ist aber auch, dass Nase und Gehirn gerade hinter unserem Rücken beschlossen haben: Nee, rein vom Immuntechnischen her wären gemeinsame Nachkommen jetzt nicht sooo die Idee.

Wir selbst ahnen nichts von dieser Fähigkeit, auch die Teilnehmer der Untersuchung wussten nichts davon. Da braucht es dann Blutuntersuchungen der Betreffenden und der Shirt-Träger, um festzustellen: Obwohl sie selbst nicht ahnen, dass sie es können – ihr Unbewusstes schafft es, ihnen diesbezüglich die besten Tipps zu geben.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, woher es denn dann kommt, dass wir uns so gern mit Parfums und Rasierwässern beduften? Schon seit Tausenden von Jahren experimentieren wir mit immer neuen Duftnoten. So weit kann es mit unserem Unbewussten ja wohl nicht her sein, wenn wir alles dafür tun, um diesen speziellen Instinkt nicht wirksam werden zu lassen!

Guter Einwand. Genau das hat die Forscher auch interessiert. Und was fanden sie heraus? Wir bevorzugen genau die Duftvarianten, die unseren Immunschutz-Hormoncocktail unterstützen und verstärken und finden die eklig, die es nicht tun.

Warum eigentlich erstaunt uns die Tatsache überhaupt, dass wir über diese Fähigkeiten verfügen? Tieren trauen wir sie viel eher zu. Vielleicht haben Sie schon von Hunden gehört, die Brustkrebs erschnüffeln können. Ganz nebenbei: So schlecht sind wir Menschen in dieser Disziplin übrigens auch nicht, denn wir können im T-Shirt-Schnuppertest zumindest herausfinden, wer an einer bakteriellen Infektion leidet und wer nicht. Hätten Sie das gedacht?

Oder Sie haben von dem Kater gehört, der in einem amerikanischen Pflegeheim lebt und weiß, welcher Bewohner demnächst sterben wird, und der ihm in seinen letzten Stunden nicht von der Seite weicht. Nicht nur Tauben, auch Katzen finden von einem ihnen fremden Ort über weite Strecken nach Hause. Spatzen und Finken legen ihre Nester mit Zigarettenkippen aus, um Parasiten fernzuhalten. All diese Tatsachen erscheinen uns wie kleine Wunder, die wir letzten Endes darauf zurückführen, dass Tiere über mehr erstaunliche Eigenschaften verfügen, als wir bisher wussten.

Dass wir Menschen uns dergleichen Fähigkeiten nicht zutrauen, hängt wohl mit dem zusammen, was der Hirnforscher António R. Damásio als Descartes’ Irrtum bezeichnet. Descartes war ein französischer Philosoph des 17. Jahrhunderts, der den Lehrsatz prägte: Ich denke, also bin ich. Noch immer sind wir bereit zu glauben, dass unsere höheren Denkfähigkeiten uns als Menschen ausmachen und uns von den rein instinktgeleiteten Tieren unterscheiden. Wir unterliegen gern der irrigen Annahme, wir seien reine Vernunftwesen, und alle unsere Handlungen und Entscheidungen seien das Ergebnis bewusster Überlegungen. Nichts könnte falscher sein, wie wir noch sehen werden. Ohne unsere dienstbaren Geister, die wichtige Entscheidungen (wie die Wahl eines immuntechnisch günstigen Partners) für uns treffen, die diese Arbeit jedoch völlig unbemerkt verrichten, wären wir ziemlich aufgeschmissen.

Übrigens kriegen Nase und Gehirn hinter unserem Rücken noch ganz andere Dinge heraus, sogar über Menschen, denen wir in unserem Leben niemals begegnen werden. Auch beim folgenden Versuch spielt nicht ganz schrankfrische Oberbekleidung wieder eine Rolle. Allein aufgrund des Geruchs eines drei Tage getragenen T-Shirts konnten Versuchspersonen mit einer hohen Trefferwahrscheinlichkeit erkennen, ob ein Mann oder eine Frau das Kleidungsstück anhatte. Gut, da dieses Kunststück wiederum mit unserer Fähigkeit zusammenhängt, bestimmte Hormone zu erkennen, sollte das noch eine der leichteren Übungen sein. Die Teilnehmer dieses Experiments lagen darüber hinaus aber auch dann richtig, wenn es um das Alter und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften der T-Shirt-Träger ging, zumindest soweit diese mit einem besonders hohen und besonders charakteristischen Ausstoß bestimmter Hormone einhergehen. Natürlich waren sie der festen Überzeugung, einfach nur blind drauflos geraten zu haben.

Dass wir die Fähigkeit haben, allein mithilfe von Geruchspartikeln, die wir nicht bewusst wahrnehmen, geeignete von ungeeigneten Partnern zu unterscheiden, ist zwar recht spannend, allerdings ist es nicht weiter tragisch, dass diese Tatsache nicht bis in unser Bewusstsein vordringt. Hauptsache, es funktioniert. Andere Leistungen unseres Unbewussten nehmen wir zwar staunend, aber dennoch unhinterfragt hin, zum Beispiel die Tatsache, dass es vielen Menschen gelingt, auch ohne Wecker ziemlich exakt zu der von ihnen gewünschten Uhrzeit aufzuwachen.

Schwierig wird es dort, wo wir mit dem Wirken unseres Unbewussten zwar unmittelbar konfrontiert werden, es aber anzweifeln. Das tun wir pausenlos, weil wir nicht gelernt haben, dem zu vertrauen, was unter Umgehung unseres bewussten Denkens direkt aus dem tiefsten Inneren unseres Gehirns kommt. Instinkt ist nur eine der Bezeichnungen, die wir diesen Fähigkeiten geben könnten. Etwas, das wir wie erwähnt eigentlich eher bei Tieren vermuten. Klar, so ein bisschen Instinkt spielt auch bei uns Menschen noch eine Rolle, denken wir. Wenn wir etwas tun, das nicht nur völlig richtig war, sondern das uns möglicherweise sogar das Leben gerettet hat, über das wir aber nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde nachgedacht haben, sagen wir erstaunt: Das war jetzt rein instinktiv.

Ich selbst habe so etwas auch einmal erlebt. Auf der Autobahn wurde ich von einem Kleinlaster geschnitten, dessen Fahrer den Blick in den Spiegel oder gar aus dem Fenster wohl für stark überschätzt hielt. Mein Wagen kam ins Schleudern und ich sah die Mittelplanke bereits auf mich zukommen. Ich konnte nur noch denken: Das war’s jetzt wohl.

Das Erstaunliche war allerdings, dass ich nicht in Panik geriet. Im Gegenteil. Von einem Moment auf den anderen waren meine Emotionen komplett abgeschaltet. Es gelang mir, den Wagen wieder in den Griff zu bekommen. Erst nachdem ich die nächste Ausfahrt genommen hatte, kehrten meine Gefühle – der nachträgliche Schrecken, unversehens in Lebensgefahr geraten zu sein, aber auch die Wut auf den rowdyhaften Fahrer – wieder zurück, und ich musste erst einmal rechts ranfahren und eine Pause einlegen. Die Sache liegt etwa dreißig Jahre zurück. Bis auf den heutigen Tag bin ich beeindruckt, wie mein Überlebensinstinkt mich gerettet hat, indem er sämtliche die Konzentration störenden Emotionen einfach abschaltete.

Dabei war das etwas, das ich erst im Nachhinein staunend registrierte. Was ich nicht wahrnahm, aber mittlerweile weiß, ist, dass mein Körper bereits reagierte und die richtigen Fahrmanöver ausführte, bevor in meinem Bewusstsein auch nur angekommen war, in welcher Situation ich mich befand. Die Information (Alarmstufe Rot! Lebensgefahr!) war in anderen Teilen meines Gehirns, dort, wo die Sehinformationen eintreffen, und dort, wo Bewegungen gesteuert werden, längst in Handlung umgesetzt worden. Der Teil, den wir Verstand oder bewusste Wahrnehmung nennen, kam hingegen erst 150 Millisekunden später gemütlich an den Ort des Geschehens geschlendert.

Sicher haben Sie in Ihrem Leben bereits ähnliche Erfahrungen gemacht. Dennoch gehen die meisten Menschen davon aus, dass der unbewusste Teil von uns normalerweise nicht viel zu sagen hat und üblicherweise im Tiefschlaf liegt. Das Gegenteil ist der Fall. Der unbewusste Teil ist der, der 24-Stunden-Schichten schiebt, selbst dann, wenn sich unser Verstand nachts für etwa sieben Stunden eine Auszeit nimmt. Während dieser Zeit wiederholt unser Gehirn wie ein braver Schüler beim Vokabellernen unermüdlich neu erworbenes Wissen und verfestigt es. Wer stolz darauf ist, dass er nur wenig Schlaf braucht, weiß offensichtlich noch nicht, dass die Schlafzeiten ihn erheblich klüger machen als die Wachzeiten.

Auch psychische Verletzungen und Kränkungen versucht unser Gehirn im Schlaf zu reparieren, hauptsächlich in der Phase, in der wir besonders intensiv träumen. Allerdings erinnern wir uns am nächsten Morgen nur vage bis gar nicht daran. Nicht nur die Muskulatur wird während der Traumphasen gehemmt, damit wir nicht anfangen, herumzuturnen und nachzuspielen, was auf unserer inneren Leinwand gerade abläuft. Es sind außerdem die Hirnbereiche abgeschaltet, die für die Informationsspeicherung verantwortlich sind.

Wer will, kann aber auch lernen, seine Träume bewusst zu steuern. Vor Kurzem habe ich von einem Programm gehört, bei dem Leistungssportler die Fähigkeit erwerben, in ihren nächtlichen Traumphasen Bewegungsabläufe zu wiederholen und damit zu optimieren. Ihr Traum-Ich trainiert, während der Körper tief und fest schläft. Das tut es sonst zwar auch, aber diese Sportler lernen, dabei zuzusehen.

Da wir meist keine Ahnung davon haben, was in unserem Oberstübchen so alles geleistet wird, gehen wir davon aus, dass das Unbewusste sich erst dann meldet, wenn es ans Eingemachte geht und blanke Reflexe gefordert sind. Tja, da können wir dem alten Herrn Descartes die Hand reichen.

Nichts könnte abwegiger sein. Richtig ist vielmehr, dass das, was wir Verstand nennen, eher der Teil von uns ist, der sich nur einbildet, der Chef zu sein. Aber, wie wir bereits wissen: Die Arbeit machen in Wahrheit die anderen.

Grund genug, uns noch ein wenig mehr dem zu widmen, was man Instinkt nennt.

Darin, dass wir unsere instinktiven Fähigkeiten leugnen oder auch nur den Kontakt zu ihnen verloren haben, liegt ein ganzes Stück menschlicher Arroganz. Dabei ist es eigentlich ganz logisch: Tiere treffen alle Entscheidungen ihres Lebens, ohne groß darüber nachzudenken. Wobei Forscher inzwischen auch an dieser Sichtweise ihre Zweifel haben, da immer mehr dafür spricht, dass auch Tiere denken können.

Mitunter zeigen sie auch Fähigkeiten, die wir ihnen nicht ohne Weiteres zugetraut hätten, weil wir diese Eigenschaften eher für rein menschlich halten. Krähen sind imstande, Autos als Nussknacker zu verwenden, indem sie Walnüsse auf viel befahrenen Kreuzungen ablegen und in aller Ruhe die nächste Rotphase abwarten, um sich dann an den Nusskernen gütlich zu tun. Beim Laubenvogel legt das Männchen hübsche Gärten an, aus keinem anderen Grund als dem, dass die Weibchen darauf abfahren. Manche Unterarten verwenden zu diesem Zweck sogar ausgefranste Zweige als Pinsel und nutzen natürliche Farbstoffe, um die tragenden Teile auch noch hübsch blau anzumalen. Ein Männchen, das imstande ist, nicht nur ein Haus zu bauen, sondern sich auch noch als Gärtner und als Dekorateur zu betätigen, käme sicher auch bei den Weibchen unserer Spezies nicht schlecht an.

Warum bewundern wir bei Tieren ihre Fähigkeit, immer genau zu wissen, was im jeweiligen Moment das exakt Richtige für sie ist? Warum halten wir uns hingegen so oft für Wesen, die pausenlos falsche Entscheidungen treffen und denen jeglicher Instinkt abhandengekommen ist? Das ist nicht nur reichlich unlogisch – es ist auch komplett falsch.

Dass unser Instinkt die Herrschaft übernimmt, billigen wir ihm wie erwähnt allenfalls dann zu, wenn es um wirklich Existenzielles geht. Dazu gehört bei allen Lebewesen auch die Erhaltung der Art. Zumindest in Mitteleuropa gilt als wissenschaftlich gesichert, dass der Mensch als Gattung nicht schon fix und fertig auf der Erde auftauchte, sondern dass wir tierische Vorfahren haben, die den Umgang mit ihrem Nachwuchs völlig instinktiv bewerkstelligten. Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn uns diese Instinkte komplett verloren gegangen wären.

An dieser Stelle zwei Beispiele aus dem Bereich, der tatsächlich eher dem Instinktiven zuzuordnen ist und den man intuitives Elternverhalten nennt.

Es handelt sich um Verhaltensweisen, die frischgebackene Eltern – und nicht nur diese – gegenüber dem Nachwuchs zeigen, und zwar nicht nur hierzulande, sondern überall auf der Welt. Zum einen neigen sie dazu, wenn sie mit Säuglingen sprechen, dies in einem Abstand von etwa zwanzig Zentimetern zu tun und dafür zum anderen eine bestimmte Sprache zu benutzen, die allgemein als Babysprache bekannt ist. Niemand hat diesen Eltern je gesagt, sie sollten bitte zwanzig Zentimeter Abstand Nase – Nase abmessen, wenn sie mit ihrem Kind kommunizieren, weil das dem Punkt des schärfsten Sehens bei Säuglingen entspricht. Nein, sie wissen es instinktiv.

Die sogenannte Babysprache, von Fachleuten mit dem englischen Ausdruck Motherese bezeichnet, war einige Zeit etwas in Verruf geraten. Wissenschaftler hatten den Verdacht, man werde Kinder damit eher doof quatschen, sprich, ihre Sprachentwicklung nicht ausreichend fördern, wenn man sie benutzt. Zum Glück hat sich auch hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir – wiederum instinktgesteuert – das absolut Richtige tun, wenn wir mit kleinen Kindern auf diese Weise sprechen. Die Babysprache, die Erwachsene benutzen, zeichnet sich dadurch aus, dass die Stimme höher ist als gewöhnlich, mit stärkeren Betonungen und längeren Pausen. All dies trägt dazu bei, dass sie für das Kind nicht nur besser wahrnehmbar ist, sondern dass es auch begreift: Jetzt bin ich gemeint. Später, wenn das Kind einzelne Worte nachzuahmen beginnt, gehen die Eltern irgendwann von allein dazu über, die Sprechversuche der Kinder zu korrigieren, indem sie sie wiederholen, allerdings mit richtiger Aussprache.

Mittlerweile bin ich bereit, bei allen möglichen Verhaltensweisen, die zunächst unverständlich erscheinen, davon auszugehen, dass unser Unbewusstes – in diesem Fall die Instinktabteilung – sich schon etwas dabei denkt. Denn Sinnloses gibt es im Bereich des menschlichen Verhaltens nicht, zumindest nichts, das keine Ursachen hat. Hier ein Beispiel, das man durchaus der Abteilung des instinktiven Elternverhaltens zuordnen könnte.

Auffallend viele Mütter neigen zu etwas, das in den Augen ihrer Kinder so entsetzlich peinlich ist, dass sie sie in diesem Augenblick am liebsten erwürgen möchten. Da bringt man zum ersten Mal jemanden mit, in den man sich unsterblich verliebt hat, und stellt ihn oder sie zu Hause vor. Und Mutter hat nichts Besseres zu tun, als schon nach kürzester Zeit die allerallerpeinlichste Geschichte aus der frühen Kindheit ihres Sohnes oder ihrer Tochter aufs Tapet zu bringen.

Das geschieht so häufig, dass ich angefangen habe, mir Gedanken darüber zu machen. Dass die Mutter ausgerechnet diesen kritischen Moment gewählt haben sollte, um sich für all die durchwachten Nächte der Säuglingszeit ihres Sprösslings zu rächen oder dafür, dass er sich in der Pubertät mitunter absolut unmöglich aufgeführt hat, erscheint mir aus naturwissenschaftlicher Sicht unwahrscheinlich. Schließlich wünschen sich Menschen in der Regel Enkel. Warum also sollten sie ausgerechnet die vergraulen wollen, die ihnen dazu verhelfen könnten? Zumal sie das genannte Verhalten offenbar bevorzugt bei den netteren Kandidaten an den Tag legen. Das ergibt biologisch gesehen keinen Sinn.

Wie wäre es also mit dieser Erklärung: Mütter testen auf diese Weise unbewusst, wie der Neuzugang auf Geschichten von einem Wesen reagiert, das noch klein und nicht gerade pflegeleicht ist? Sollte er darüber hämisch lachen, kapiert der eigene Sprössling gleich, dass der oder die Angebetete ungeeignet ist, Nachwuchs großzuziehen. Macht er hingegen ein Gesicht, das Menschen üblicherweise beim Anblick von Babypandas zeigen, sieht die Sache schon anders aus. Möglicherweise testen Mütter damit unbewusst auch gleich mit, ob der potenzielle Partner in uns nur den toughen Erwachsenen liebt oder ob er sich auch für den kleinen, bedürftigen Teil in uns erwärmen kann?

Wie gesagt, nur eine Hypothese. Aber Sie werden selbst merken: Wenn man sich erst einmal auf den Gedanken einlässt, dass Menschen nicht einfach nur ein Bündel irrationaler und unbegreifbarer Verhaltensweisen sind, sondern dass es vernünftige Begründungen für eigentlich alles gibt, fängt man an, neugierig zu werden und nach Erklärungen zu suchen, statt nur mit den Schultern zu zucken.

Damit haben wir jetzt schon einen wichtigen Teil der Fähigkeiten unseres Unbewussten entdeckt, nämlich dass unsere im Geheimen wirkenden Instinkte sehr viel mehr vermögen, als wir ihnen auch nur im Entferntesten zugetraut hätten. Wie wir sie nennen, ob Instinkt, Bauchgefühl oder Unbewusstes, ist dabei ziemlich gleichgültig. Jedenfalls handelt es sich um etwas, das uns zur Verfügung steht, bevor unser Denkmotor auch nur anfängt, warmzulaufen.

Das kann man ja noch irgendwie akzeptieren. Dass bei Dingen, wo es ans Eingemachte geht, zum Beispiel um das Überleben des Nachwuchses oder auch »nur« um unser eigenes, einige Dinge klappen müssen, auch ohne dass wir sie mühsam erlernen mussten. Aber die meisten Entscheidungen treffen wir schließlich bewusst, und ohne dass unser Gehirn einfach tut, was ihm einfällt! Oder?

Tja – wie sage ich es jetzt möglichst höflich, ohne Sie allzu sehr zu schocken?

Ich fürchte, das entspricht nicht so ganz der Wahrheit. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.

Nur 5 Prozent dessen, was sich in unserem Gehirn abspielt, bekommen wir bewusst mit. Bei den Entscheidungen, die wir glauben, bewusst zu treffen, lügen wir uns allerdings meist in die Tasche.

Hier sind wir bei einer wesentlichen Erkenntnis angelangt, die zu Sigmund Freuds Zeiten noch so revolutionär klang, dass kaum jemand bereit war, sie zu glauben. Mittlerweile ist sie allerdings keine Glaubenssache mehr, sondern unumstößliche hirnorganische Tatsache: Der größte Teil dessen, was sich in unserem Kopf abspielt, geht komplett an unserer Wahrnehmung vorbei.

Das Einzige, was sich seit Sigmund Freuds Zeiten geändert hat, ist das Ausmaß dessen, was wir als unbewusst bezeichnen. Freud stellte sich noch vor, es handele sich dabei um alles, was uns unangenehm oder was verboten ist – und zu seiner Zeit begreiflicherweise viel mit Sexualität zu tun hatte. Die moderne Hirnforschung versteht unter dem Begriff unbewusst allerdings sehr, sehr viel mehr, nämlich alles, was sich in unserem Kopf abspielt, ohne dass es in unser Bewusstsein gelangt. Wie gesagt sind das geschätzte 95 Prozent.