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Ein Kind bekommen, einfach so? Ohne Krankenhaus, Hebamme und Anleitung zum Pressen? Gelegentlich passiert es, dass das Baby schneller war als die Hebamme. Dann sind die Beteiligten zumeist erleichtert, dass trotzdem alles gut ausgegangen ist. Aber wie verhält es sich mit jenen Frauen, die ihr Kind ganz bewusst bei einer sogenannten "Alleingeburt" auf die Welt bringen und auf Standardvorsorgen während der Schwangerschaft sowie eine (technische) Überwachung durch professionelle Geburtshelfer verzichten? Sarah Schmid erklärt, wie die Geburt in Eigenregie zu einem glücklichen Ereignis werden kann. Und sie gibt Antworten auf wichtige Fragen rund um eine selbstverantwortete Schwangerschaft und Entbindung. Darunter: • Wodurch kann ich meine Gesundheit in der Schwangerschaft fördern? • Wie bestimme ich die Kindslage selbst und wie kann ich sie optimieren? • Weiß ich auch ohne Herztonkontrolle, ob es dem Baby gut geht? • Welche Maßnahmen sind sinnvoll, wenn die Geburt ins Stocken gerät? • Was tun, wenn die Nabelschnur bei der Geburt um den Hals gewickelt ist? • Wie reagiere ich richtig, wenn das Fruchtwasser grün ist? • Alleingeburt nach Kaiserschnitt oder bei Beckenendlage – geht das? • Kann ich auch alleine gebären, wenn die Schwangerschaft zu früh endet? In "Alleingeburt" vermittelt Sarah Schmid gesundes medizinisches Basiswissen und räumt gleichzeitig mit beängstigenden Geburtsmythen auf. Ihr Buch ist daher auch für all jene eine wertvolle Lektüre, die Schwangerschaft und Geburt im klassisch betreuten Umfeld planen oder selbst als GeburtshelferIn tätig sind. Mit im Buch: Zahlreiche Illustrationen zur besseren Verständlichkeit • Bebilderte Erlebnisberichte über die geplanten oder ungeplanten Alleingeburten von 30 Müttern • Tipps für die erste Zeit mit dem Neugeborenen "Trau deinem Gefühl, sei egoistisch und frage 1000 Mal nach, wenn es um die Geburt deines Kindes geht. Gute Geburten gibt es nicht in der Schnäppchentheke, sondern das Beste ist gerade gut genug!" (Caroline, 37, Alleingeburt nach Kaiserschnitt) "Gebären bedeutet, zur Frau werden und die brüllende Löwin in sich zu entdecken." (Beatrice, 36, zwei Alleingeburten) "Eine Geburt gehört zum Leben dazu und ist nichts, was überwacht werden muss!" (Sarah, 32, drei Alleingeburten)
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Seitenzahl: 520
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ein Schrei in der Nachtnicht wie das angstvolle Pfeifen eines Hasenoder das Klagen eines verwundeten Rehsein Ruf so alt wie die Zeitdas wilde Grollen einer Bärin in ihrer Höhlewie lauter Donner zwischen den Bergenungehemmt wie die stürmische Seeein Blitz, als berührte der Himmel die Erdedann Stilleund in der Stilledas leise Weinen eines Neugeborenen
Das obige Gedicht entstand während der Vorbereitung auf meine erste Alleingeburt.
Dieser Text steht genau auf dem Platz, wo unser Sohn wenige Wochen später (allerdings in der warmen Jahreszeit) geboren wurde.
Einleitung
Am Anfang…
Mein Weg zur Alleingeburt
Was dich erwartet
Über Verantwortung, Angst und Sicherheit
Verantwortung und die Ängste der anderen
Mit der eigenen Angst umgehen
Die Frage nach der Sicherheit
Ernährung als Schlüssel für eine gute Schwangerschaft und Geburt
Das Erfolgsrezept der Urvölker
Regel 1: Wenig und wenn, dann natürlicher Zucker
Regel 2: Sorgfältig zubereitetes Getreide
Regel 3: Das ganze Tier ist essbar
Regel 4: Fett ist das Beste
Regel 5: „Dreck reinigt den Magen!“
Regel 6: Heilmittel Sauerkraut
Regel 7: Rohmilch als tägliches Lebensmittel
Regel 8: Besondere Lebensmittel in Vorbereitung auf die Schwangerschaft
Wichtige Vitamine und Mineralstoffe für Schwangerschaft und Stillzeit
Kalzium und Vitamin D
Magnesium
Eisen
Zink
Vitamin B6
Vitamin B12
Folsäure
Schwangerschaft praktisch
Schwanger?
Was passiert in welcher Schwangerschaftswoche?
Über Launen und Empfindlichkeiten
Die beste Vorsorge
Eine gute Hebamme finden
Doula, Freundin, Ehemann – verschiedene Möglichkeiten der Geburtsbegleitung
Wenn man einen guten Frauenarzt braucht
Was steht im Mutterpass?
Der errechnete Entbindungstermin
Anamnese, allgemeine Befunde und Befunde im Schwangerschaftsverlauf
Screening auf sexuell übertragbare Krankheiten – Syphilis, HIV, Hepatitis B, Chlamydien
Screening auf Gestationsdiabetes – Glukosetoleranztest, Urintest
Röteln-Titer
Screening auf Gestose – Urintest, Blutdruckmessung, Gewichtskontrolle
Der Hb-Wert
Bestimmung der Blutgruppe und des Rhesusfaktors
Screening auf Chromosomen-Anomalien, Erbkrankheiten und Fehlbildungen
B-Streptokokken
Urintest auf weiße und rote Blutkörperchen
Gravidogramm: Kindslage, Fundusstand, Herztöne und weitere aktuelle Befunde
Ultraschall
Mögliche Begleitungsmodelle
Die lieben Wehwehchen
Übelkeit
Ischiasbeschwerden
Krampfadern
Symphyse und andere Fugen
Schwangerschaftsstreifen
Verstopfung
Muskelkrämpfe
Karies
Die Schwangerschaft in Eigenregie
Wie liegt das Baby?
Beckenendlage
Querlage und Schräglage
Weitere Orientierungshilfen zur Bestimmung der Kindslage
Wo liegt die Plazenta?
Geht es dem Baby gut?
Alleingeburt beim ersten Kind?
Sind es Zwillinge?
Blutungen
Wenn die Schwangerschaft früh endet
Vorbereitung auf die Geburt
Was brauche ich für eine Geburt in Eigenregie?
Dammmassage?
Traumatische und unschöne Erlebnisse bei früheren Geburten
Trockenübungen in Gedanken
Geburt praktisch
Ein Wort zu Beginn: Bessere und schlechtere Geburten?
Die ganz normale Geburt
Eröffnungsphase
Übergangsphase
Austreibungsphase
Nachgeburtsphase
Latenzphase(n)
Geburt an Land
Geburt im Wasser
Was wäre, wenn…
… ich über den Termin gehe, aber das Baby einfach nicht kommt?
… das Kind zu groß wächst?
… die Blase springt, aber keine Wehen einsetzen?
… die Geburt zu früh beginnt?
… die Wehen schmerzhaft sind, aber die Geburt nicht vorangeht?
… die Nabelschnur vorfällt?
… ich eine vordere Muttermundslippe habe, wie bei einer früheren Geburt?
… die Herztöne schlecht werden, ohne dass ich es merke?
… das Fruchtwasser grün ist?
… die Schultern stecken bleiben?
… die Nabelschnur um den Hals gewickelt ist?
… das Baby nicht atmet?
… das Baby Fruchtwasser einatmet?
… die Nachgeburt auf sich warten lässt?
… ich nach der Geburt stark blute?
Geburt und Schmerz
Dammschutz, Dammschnitt und Dammriss
Die Nabelschnur durchtrennen – wie, wann und womit?
Die Plazenta untersuchen
Freie Geburt unter erschwerten Umständen
Wenn dich niemand unterstützt
Selbstbestimmte Geburt bei Beckenendlage
Selbstbestimmte Geburt nach Kaiserschnitt
Wenn es das Krankenhaus sein muss
Plan B – Der Notfallplan
Die rechtliche Seite
Ein Kapitel von Männern für Männer
Unser gemeinsamer Weg zur Alleingeburt
„Angstfrei zu sein gelang mir nicht.“
Wenn die Hebamme Fehler macht – ein Interview
Wenn das Baby da ist
Die erste Stunde mit dem Neugeborenen
Stillen und Familienbett
Tragen, Pucken und Beruhigen
Schub lass’ nach!
Pipi und Kacka
Die alte und die neue Form
Der Wochenfluss
Hormone und Gefühle
Die wohlgemeinten Ratschläge der anderen
Behördenkram: Die Anmeldung des Kindes
Muttersein in Eigenregie
Und wann kommt das nächste?
Alleingeburt – Mütter erzählen
Der Aufruf
Die ungeplante Alleingeburt: Wenn das Kind schneller ist
Die halb geplante Alleingeburt: Wenn es allein doch schöner ist
Die geplante Alleingeburt: Die eigene Freiheit und Gebärkraft feiern
Schwangerenvorsorge
Besonderheiten und Komplikationen
Alleingeburten mit Hindernissen
Kleine und stille Alleingeburten
Die Mütter aus diesem Buch
Ungeplante, halb geplante und geplante Alleingeburten
Alleingeburten mit Hindernissen
Kleine und stille Alleingeburten
Anhang
Empfohlene Literatur
Weiterführende Webseiten und Blogs
Quellenverzeichnis
Dank
Unser Leben auf dieser Welt beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Wir alle werden geboren und wir alle sterben irgendwann. Es gibt wohl kein Ereignis, das uns stärker in unserem Sein berührt als Geburt und Sterben, als der Anfang und das Ende unseres Lebens.
Um dem Erschütternden die Bedrohlichkeit zu nehmen, hat unsere Gesellschaft Rituale, Traditionen und Tabus eingeführt. Standardprozeduren, die uns Halt geben, wenn es eigentlich keinen Halt gibt. In diesem Buch soll es um das Gebären gehen und um die Zeit, in der wir Frauen „guter Hoffnung“ sind. Um diese Zeit, in der wir uns in Erwartung des Neuen vielleicht allzu gern im Meer des Lebens treiben ließen, wären da nicht all die Warnhinweise und guten Ratschläge, die wohlmeinende Menschen am Ufer aufgestellt haben.
Wenn Leute hören, dass eine Frau ihr Kind einfach so zur Welt gebracht hat – ohne Krankenhaus, ohne Hebamme, ohne fremde Hilfe, und das Ganze vielleicht auch noch mit voller Absicht –, dann staunen sie meist ungläubig.
Dass sich jemand so etwas traut! Ist das nicht kreuzgefährlich, geradezu verantwortungslos? Wie weiß die Frau denn überhaupt, was zu tun ist? Und was macht sie mit der Nabelschnur?
Weniger dramatisch, ja, erstaunlich banal, fällt die Reaktion des Gegenübers aus, wenn man obige Geschichte über die eigene Katze erzählt. Dabei hat sie genau dasselbe getan: ohne Krankenhaus, ohne Hebamme, ohne fremde Hilfe. Ganz allein. Und meist brachte sie dabei nicht nur ein Junges zur Welt, sondern gleich vier oder fünf auf einmal. In einer staubigen oder zumindest nicht keimfreien Ecke des Hauses. Sie hat nacheinander bei jedem ihrer Jungen die Fruchtblase aufgebissen und gefressen, die Nabelschnur durchgebissen und jedes Junge ordentlich abgeschleckt. Nach dieser herzlichen Begrüßung hat sich ein Junges nach dem anderen in Mamas warmem Fell verkrochen und schnell eine Zitze gefunden, an der es von nun an viele kuschelige Stunden verbringen wird.
Hat sie das nicht großartig gemacht, die Katzenmama? Sie hatte nie einen Mutterpass oder Entbindungstermin. Niemand hat jemals die Herztöne ihrer Babys abgehört oder ihre Wehen aufgezeichnet. Keiner hat kontrolliert, wie weit sie eröffnet ist. Keiner hat ihr gesagt, wann sie pressen muss. Niemand hat ihren Damm gehalten oder mit Kaffeeumschlägen gewärmt. Sie hat auch nicht vorher wochenlang ihren Damm massiert. Und sie wurde auch nie darin ausgebildet, wie man einen ganzen Schwung frisch geborener Katzenbabys versorgt. Trotzdem tut sie ganz instinktiv genau das Richtige. Und was hat sie dafür gebraucht? – Nichts. Außer ein ruhiges, trockenes Eckchen.
Nicht nur Katzen pflanzen sich auf diese Weise fort. Auch Vögel, Kaninchen, Mäuse, Füchse, Rehe, Affen, und Elefanten suchen für die Geburt ihres Nachwuchses einen geschützten Platz auf: ein Nest in einem Baum, eine Höhle, eine Felsnische, eine Mulde im Gras, oder aber sie sind umgeben von anderen Mitgliedern des Rudels oder der Herde. Dort gebären sie, vor Feinden und Störungen geschützt, ganz unspektakulär ohne technische Überwachung und ärztliche Hilfe ihre Jungen aus eigener Kraft. Die Alleingeburt ist also ein in der Tierwelt bewährtes Prinzip.
Nur wir Menschen fallen beim selbstständigen Gebären irgendwie aus dem Rahmen, und der moderne Mensch ganz besonders. Liegt es daran, dass uns der aufrechte Gang und die wachsende Intelligenz immer größere Köpfe beschert hat und unsere Geburten deshalb viel mühsamer sind?
Aber wie sind dann die unzähligen Berichte aus verschiedenen Naturvölkern (zu einer Zeit, als diese von der westlichen Zivilisation noch nahezu unberührt waren) zu erklären, die durchweg von schnellen, unauffälligen Geburten handeln und damit alle damaligen westlichen Beobachter verwunderten? Geburten allein in einer abgeschiedenen Hütte, Geburten allein nachts, Geburten nebenbei auf dem Acker, Geburten in Anwesenheit einer vertrauten, weisen Frau… Leichte Geburten schienen die Regel, nicht die Ausnahme gewesen zu sein.
Leichte Geburten, so gewinnt man den Eindruck, sind heutzutage selten. Gut geboren zu haben ist „Glückssache“, und vielleicht auch gar nicht so wichtig. „Hauptsache, das Kind ist gesund“, so ein oft gehörter Spruch.
Ist es der modernen Gesellschaft egal geworden, wie wir Frauen unsere Geburten erleben? Im Namen der Sicherheit und der Verantwortung für unser Kind gewährt man Frauen vielfach kein Recht mehr auf ein schönes, selbstbestimmtes Geburtserlebnis. Warum etwas riskieren und Mutter Natur vertrauen, wenn man mit teurer Technik, erfahrenen Ärzten und engmaschiger Überwachung alles viel besser in den Griff bekommt?
Meine erste Begegnung mit der modernen Geburtsmedizin hatte ich bereits, bevor ich das erste Mal schwanger wurde. Im Medizinstudium galt es nämlich, diverse Praktika im Krankenhaus (sogenannte Famulaturen) und später das Praktische Jahr zu absolvieren.
Da ich einmal Kinder haben wollte, nutzte ich die Gelegenheit und famulierte vier Wochen lang in der Gynäkologie/Geburtshilfe eines kirchlichen Krankenhauses. Ich war unvoreingenommen, neugierig und wartete mit Spannung auf jede Geburt, bei der ich dabei sein durfte. Einmal gab es sogar eine Zwillingsgeburt! Und einmal, aber auch nur einmal, war ich bei einer Geburt dabei, die aufrecht und nicht in (halber) Rückenlage stattfand. Ich sah mir an, wie die Säuglingsstation organisiert war, und assistierte bei Kaiserschnitten. Dabei musste ich mit dem Sauger das Fruchtwasser auffangen, sobald die Fruchtblase eröffnet wurde.
Die Ärzte dort waren alle recht nett. Unter den Hebammen gab es ganz verschiedene Typen. Eine junge Hebamme ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben, und bei ihr fand übrigens auch die eine aufrechte Geburt im Knien statt, bei der ich dabei sein durfte. Sie bekam immer ganz rote Wangen, wenn die Geburt kurz bevorstand, und musste den Muttermund gar nicht tasten, um zu wissen, dass die Frau vollständig eröffnet war. Dieses Gespür hat mir – inmitten aller Technik und Überwachung – imponiert.
Meine nächste Begegnung mit der Geburtshilfe hatte ich im Praktischen Jahr. Ich war inzwischen verheiratet, frisch schwanger mit unserem ersten Kind und durfte deshalb fast gar nichts Praktisches mehr machen, wie zum Beispiel Blut abnehmen. Zugucken war aber erlaubt, und das tat ich dafür umso genauer.
Diesmal führte mich mein Praktikum ins größte Krankenhaus der Stadt. Zwei Monate lang verbrachte ich auf genau der Geburtsstation, wo ich selbst einmal geboren worden war. Die Hebammen waren solche vom alten DDR-Schlag und im Kreißsaal herrschte nicht selten ein Feldwebelton. Die Frauen wurden angeschrien und beleidigt, wenn sie nicht so taten, wie die Hebammen verlangten. Ein ordentlicher Dammschnitt war Routine und oft sehr wohl schmerzhaft, obwohl den Frauen vorher etwas anderes erzählt worden war. Die Hebammenschülerinnen übertrumpften sich damit, wer von ihnen schon die meisten Dammschnitte gemacht hatte.
Es gab einige Szenen, die ich ganz schrecklich fand, und so fiel die Entscheidung zur Hausgeburt nicht schwer. Das Risiko, so gebären zu müssen wie im städtischen Krankenhaus, wollte ich nicht eingehen. Mein Mann war mit meiner Entscheidung einverstanden, da die Klinik von unserem Haus am Waldrand ohnehin nur fünf Minuten mit dem Auto entfernt lag und im Notfall prompt zu erreichen gewesen wäre.
Auf Empfehlung fand ich eine ältere, erfahrene Hebamme. Ich hatte mit ihr ein gutes Gefühl und dachte, dass nun ja nichts mehr schief gehen könne. Das PJ, wie Mediziner das Praktische Jahr nennen, war stressig. Mein erstes Tertial von vier Monaten absolvierte ich in der Notaufnahme. Es verlief zwar spannend und lehrreich, aber ich konnte kaum auf die Toilette gehen.
Für dieses Problem gab es zum Glück ein wunderbares Heilmittel, das zuverlässig und oft schon nach einer Viertelstunde wirkte: den Wald. Sobald ich dort spazieren ging, kam sozusagen alles in Bewegung. Und während ich durch den Wald streifte und sich in mir Entspannung breit machte, dachte ich immer wieder: Hier müsstest du gebären. Du verkriechst dich einfach, ohne dass einer weiß, wo du bist, und dann kommst du mit dem Baby zurück. Kein Trubel, kein Stress, keiner, der etwas von dir erwartet, verlangt oder auf die Uhr guckt. Das muss doch herrlich sein! Wenn ich hier so schön meine Verstopfung lösen kann, muss das doch auch ein hervorragender Ort sein, um das Baby herauszubekommen.
Während ich überlegte, kam ich zum Entschluss, dass mein Vorhaben in diesem Wald nicht umsetzbar war. Zu viele Jogger und Hundespaziergänger waren hier unterwegs, und es gab letztlich kein ruhiges, ungestörtes Örtchen. Trotzdem war der Gedanke so schön, dass ich ihm gern nachhing.
Unser erstes Kind kam also nicht im Wald, sondern in unserer Mietwohnung zur Welt. Ich dachte, ich hätte alles für eine befriedigende Geburt getan, und war guter Dinge. Als ich über den errechneten Termin ging, weigerte ich mich standhaft, alle zwei Tage zum CTG (einem Gerät, das Wehen und kindliche Herztöne aufzeichnet) aufzukreuzen.
Meine Hebamme meinte, ich wäre der Typ, dem sie zutraut, die Geburt auch allein durchzuziehen und sie zu spät zu rufen. Ich hatte mir insgeheim auch offen gehalten, genau das zu tun. Aber weil wir nett sein wollten, riefen wir am Morgen, als die Wehen begannen, schon mal an, um Bescheid zu sagen, dass es heute was werden würde. Dann trafen zwei Dinge ein, die sich nicht im Voraus hatten berechnen lassen: Meine eigentliche Hebamme war bei einer anderen Geburt und eine Vertretungshebamme aus dem Geburtshaus kam vorbei, obwohl wir extra gesagt hatten, dass noch keiner zu kommen bräuchte.
Da war sie also, die Vertretungshebamme. Ich fühlte mich mit ihr nicht wohl und wollte eigentlich, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwindet. Sie war schon auf dem Weg nach draußen, wir hatten ihre Nummer, unter der wir sie erreichen konnten, und… plötzlich setzten bei mir die Wehen heftig ein! Sie blieb. Leider hatte ich nicht den Mut und die Nerven, sie rauszuschmeißen und dachte: Augen zu und durch.
Aber diese Rechnung ging nicht auf, wie sich schnell herausstellte. Ich war zwar bald vollständig eröffnet, eine zweite Hebamme wurde dazugerufen, wie das bei Hausgeburten oft üblich ist, wenn die Geburt kurz bevorsteht. Aber dann ging stundenlang nichts vorwärts. Nur Wehen und Schmerzen. SCHMERZEN! Dann irgendwann nach genauerem Tasten die Erkenntnis: hoher Geradstand!
Nun schwebte also auch noch das Damoklesschwert „Kaiserschnitt im Krankenhaus“ über mir. Inzwischen hatte ich die Geburt innerlich an die Hebammen abgegeben. Erst als ich merkte, dass sie auch nicht weiterwussten und ICH hier etwas tun musste, wenn ich nicht im Krankenhaus auf dem OP-Tisch landen wollte, nahm ich die Geburt wieder an mich. Wenn mein Körper wusste, wie er das Kind herausbekommen konnte, dann musste ich auf ihn hören und nicht auf die Hebammen mit ihren sich so wirkungslos anfühlenden Schaukellagerungen.
Ich lauschte also in meinen Körper hinein und fand es ganz angenehm, das Becken im Stehen hin und her zu bewegen und dabei meine Tochter aufzufordern, sich zu drehen. Glücklicherweise kam dann auch endlich MEINE Hebamme. Sie massierte eine angeschwollene Muttermundkante weg (sehr schmerzhaft, aber effektiv). Der Kopf des Babys hatte sich nun gedreht, und kurze Zeit später hielt ich sie im Arm. Völlig fertig, aber sehr, sehr froh!
Nach dem ersten Glücksrausch begann ich, die Geburt zu analysieren. Was war schief gelaufen? Wie hätte ich die vielen schmerzhaften Stunden vermeiden können? Woran lag es, dass das, was bis zum Eintreffen der Hebamme so unkompliziert verlaufen war, danach so schwierig wurde?
Ich las mich durch das Internet, informierte mich über Alleingeburten und der Aha-Effekt ließ nicht lange auf sich warten. Offenbar war ich nicht die Einzige, die sich von der Anwesenheit bestimmter Leute derart aus dem Takt bringen ließ, dass eine ungestörte Geburt nicht mehr möglich war. Fremde zu seiner Geburt einzuladen war wohl nicht selten ein Risiko an sich.
Gleichzeitig fragte ich mich: Wenn ich noch ein Kind bekäme, wie könnte ich meine Geburt dann wirklich gut machen? Wie konnte ich sicher sein, niemanden dabei zu haben, der mich hemmte, meinem Körper misstraute und mir mit seiner Angst die emotionale Kraft aussaugte, die ich zum Gebären brauchte?
Langsam wuchs in mir der Entschluss, dass das nächste Kind nur in Anwesenheit jener Menschen geboren werden sollte, die keine Angst vor dem Ereignis Geburt hatten. Ob ich so jemanden finden würde?
Kurz nach der Geburt unserer großen Tochter zogen wir nach Schweden um. Ein menschenleerer Wald begann nun direkt hinter unserem Haus und ich brauchte nur vor die Haustür zu gehen, um jede Verstopfung aufzulösen. Eines Tages, bei einem meiner Waldspaziergänge, fand ich ihn: den Platz, an dem unser Sohn später geboren werden sollte. Der Boden dort bestand aus weichem Moos, das von umgefallenen Fichten wie mit Wänden umgeben wurde. Daneben gab es ein plätscherndes Bächlein. Hier war der Wald noch wild, und kein Wanderer, Pilzsammler oder Jogger würde sich jemals hierher verirren. Ich war begeistert! Von nun an pilgerte ich immer öfter zu diesem Platz und malte mir aus, wie es wohl sein würde, hier zu gebären…
Als mein Mann endlich davon überzeugt war, dass die Wildnis ein guter Geburtsort sein könnte, führte ich auch ihn an diesen Platz.
Wie anders verlief diese zweite Schwangerschaft im Vergleich zu meiner ersten! Ich war einfach nur schwanger.
Die Vorsorgeuntersuchungen bei der Großen, vor allem aber der häufige Ultraschall, hatten mich oft verunsichert und irritiert. Jetzt aber war ich vollkommen frei und gestaltete selbst meine eigene Vorsorge. Ein unglaubliches, befreiendes Gefühl! Wenngleich mich angesichts des neuen, unbekannten Weges auch manchmal eine gewisse Unsicherheit überkam. Wo würde mich meine Entscheidung, mich um mich selbst zu kümmern, hinführen?
Aber mir ging es gut, und mein Baby bewegte sich in mir. Und so folgte ich freudig weiter dem eingeschlagenen Weg. Zuerst dachte ich noch daran, ab der und der Woche zur klassischen Vorsorge zu gehen. Aber als dann die besagte Woche kam, sträubte sich alles in mir. Ich hatte das Gefühl, meine selige Blase der guten Hoffnung könnte zerstört werden, wenn ich mich von jemand Fremdem vermessen und beurteilen lassen würde. Irgendwann ließ ich den Vorsorgeplan fallen und war glücklich darüber, dass ich den Vorsorgestress einfach boykottierte.
Die für mich perfekte Hausgeburtshebamme zu suchen hatte ich noch früher aufgegeben. Erstens gibt es in Schweden fast keine Hausgeburtshebammen, weswegen eine Hebamme von sehr weit anreisen hätte müssen, und zweitens hätte ich die rund 2.000 Euro an Kosten für die Geburt selbst tragen müssen. Und das auf die Gefahr hin, dass die Hebamme es zur Geburt gar nicht rechtzeitig schaffen würde. Der dritte Punkt freilich war der, dass ich die Hebamme auch noch von meinen Waldplänen hätte überzeugen müssen.
Also erlebte ich Schwangerschaft und Geburt ohne Hebamme. Und weil mir das so gut gefiel, entschied ich mich auch beim dritten und vierten Kind für genau diesen selbstbestimmten Weg.
Das Medizinstudium hat bei der Entscheidung, meine Schwangerschaften und Geburten in die eigenen Hände zu nehmen, eine untergeordnete Rolle gespielt. Meine Ausbildung hat mir aber vor allem dabei geholfen, die Geburtsmedizin in ihren Begrenzungen zu sehen und keine falschen oder überhöhten Erwartungen an sie zu stellen.
Tatsächlich sind längst nicht alle Geheimnisse über das Leben gelüftet. Weder hat man bisher vollständig verstanden, wie komplexe Prozesse im Körper wie beispielsweise das Immunsystem funktionieren, noch ist man gegenwärtig in der Lage, weit verbreitete Krankheiten wie Krebs oder Allergien garantiert zu heilen oder auszurotten.
Auch was die Geburt betrifft, scheint die Medizin noch einigen Nachholbedarf zu haben. Zwar wird versucht, das mangelhafte Verständnis des echten Geburtsprozesses durch ein Arsenal an Überwachungstechnik und Eingriffen wettzumachen, dabei wird der natürliche Geburtsprozess aber gleichzeitig erschwert oder verhindert. Und das nicht etwa, weil das Gebären so kompliziert ist, sondern weil der Geburtsprozess unberechenbar erscheint und deshalb selbst erfahrenen Geburtshelfern oft ihr Leben lang Angst macht – Angst, die mit allerlei Maßnahmen gedämpft werden muss.
Zum Glück kenne ich jemanden, der genau weiß, wie eine Geburt bei mir ablaufen muss: meinen Körper. Das hat er mir inzwischen schon viermal bewiesen.
Und deshalb werde ich mich für eine schöne, sichere Geburt immer zuerst auf mich selbst und meinen Körper verlassen. Ich will nicht, dass Fremde zweitklassige Entscheidungen für mich treffen, wenn ich selbst einen besseren Entschluss treffen kann.
Lies auf den folgenden Seiten, wie ich die Alleingeburten meines zweiten, dritten und vierten Kindes erlebt habe.
Meine erste Alleingeburt (zweites Kind)
Ein gutes Jahr nach der Geburt unserer Großen war ich wieder schwanger. Wir wohnten inzwischen in Schweden und in mir reifte der Wunsch, diese Geburt ohne Begleitung zu machen. Meinen Mann zu überzeugen war eine andere Sache. Er hatte seine Bedenken bis zum Schluss.
Am 1.7. war der von mir berechnete Termin. Nach einem Fehlalarm kurz vor Termin kamen erst eine Woche später wieder ein paar Wehen auf. Abends im Bett, am 8.7. gegen 11 Uhr, machte es dann in meinem Bauch „plopp“.
Ich klemmte mir ein Handtuch zwischen die Beine, schrieb zu Ende Tagebuch und dachte: Interessant, dass es diesmal so anfängt! Ich erzählte meinem Mann davon, und weil ich fühlte, wie immer mehr Fruchtwasser auslief, sprang ich schließlich in die Dusche, wo alles herausfloss.
Wir kicherten wie aufgeregte Teenager, aber da sonst nichts passierte, beschlossen wir, erst einmal ins Bett zu gehen und zu schlafen.
Schlafen konnte ich dann doch nicht mehr. Das Bauchbaby war wach und turnte, und die Wehen kamen alle 5 Minuten. Veratmen musste ich zwar nicht, aber Liegen war unangenehm. Ich wanderte durchs Haus.
Weil alle schliefen und ich niemanden wecken wollte, konnte ich dabei aber nicht recht entspannen. Gegen Mitternacht ging ich in den Garten. Dort war es still, duftete nach Blumen und unsere beiden Katzen schlichen um mich herum.
Ich besang die stärker werdenden Wehen, wanderte herum, besuchte meine Kaninchen oder saß auf dem Rand der Terrasse. Bald spürte ich an der zunehmenden Wehenstärke, dass es Zeit wurde, den Geburtsplatz aufzusuchen.
Mit dem Korb, der alles enthielt, was ich dachte zu benötigen, wanderte ich den 5-Minuten-Weg durch den Wald dorthin. Mit den umgefallenen Bäumen, runden Steinen und dem weichen Moos war mir dieser Ort schon vor Monaten für die Geburt wie gemacht erschienen.
Ich breitete die Picknickdecke aus, lauschte der Stille des Waldes und dachte mir, wie unwirklich sich dieser Moment anfühlte.
Die Wehen der Übergangsphase kamen bald und mein anfängliches Frösteln verflog. Keine Wehe konnte ich in derselben Stellung aushalten. Nach einer heftigen Übergangsphase und wenigen Presswehen wurde der Kopf geboren. Das Baby tat einen kräftigen Strampler in mir, ich spürte, wie die Schultern sich drehten und – flutsch – war er draußen.
Es war 3.19 Uhr auf meiner Uhr, so viel konnte ich an diesem frühen schwedischen Sommermorgen erkennen.
Ein Junge! Ich nahm ihn hoch, spürte sein Herz schlagen, rubbelte ihn ein bisschen. Er schrie nicht, sondern schaute interessiert um sich. Ich wickelte ihn in ein Handtuch, machte ein Foto und rief meinen Mann auf dem Handy an. Er kam kurz darauf und erriet bereits am Gesicht, dass wir einen Sohn hatten.
Wir wanderten zurück zum Haus. Nach nur wenigen Schritten kam die Plazenta, die ich hockend auf den Waldboden gebar.
Zu Hause duschte ich, dann kuschelten wir uns ins Bett und schliefen die restlichen Stunden bis zum Morgen.
Meine zweite Alleingeburt (drittes Kind)
Meine dritte Schwangerschaft, etwas über ein Jahr später, verlief wieder unauffällig und ich verzichtete, wie gehabt, auf die offizielle Vorsorge. Der rechnerische Termin war der 31. Mai.
Ich ging aber davon aus, wie zuvor deutlich über den Termin zu gehen. Deswegen maß ich den harmlosen Wehen, die ich am 30. und 31. tagsüber regelmäßig hatte, keine große Bedeutung bei. Falscher Alarm kurz vor Termin war mir von der zweiten Schwangerschaft her noch zu gut im Gedächtnis. Allerdings wurden die Wehen abends am 31. schon heftiger als noch am Vortag.
Als ich um 21 Uhr die Kinder ins Bett brachte, musste ich schon konzentriert atmen. Mein Mann übernahm die Kinder nach einer Viertelstunde. Ich beantwortete noch E-Mails und erzählte im Hausgeburtsforum von meinen harmlosen, aber regelmäßigen Wehen. Kurz nach 22 Uhr kam mein Mann runter. Er schlug vor, dass wir erstmal wie gewöhnlich duschen und ins Bett gehen und gucken, was in der Zwischenzeit passiert.
Im Bad fror und schwitzte ich gleichzeitig, meine Beine zitterten. Mein Mann war besorgt, ob das normal sei. Ich sagte: Ja, in der Übergangsphase ist das normal.
Der rationale Teil in mir hatte analysiert: Übergangsphase. Aber begriffen hatte ich es irgendwie trotzdem nicht. Das war doch viel zu früh. Die Wehen waren viel zu harmlos. Außerdem wollten wir noch Bauchfotos machen und am nächsten Tag hatte ich eine Einkaufstour geplant.
Wir beschlossen, schnell noch die Bauchfotos zu machen. Wir schafften drei Fotos, wobei ich noch wiederholte, dass mir eine Geburt heute, hier und jetzt eigentlich gar nicht passt. Beim letzten Foto rollte die erste Presswehe über mich. Ich merkte, dass ich gleich Stuhlgang haben würde, und sprang zur Toilette. An der Badtür die nächste Presswehe, die Fruchtblase platzte.
Jetzt hatte ich begriffen. Und ich wollte doch im Tipi gebären! Wir hatten es extra aufgebaut. Also lief ich los und griff unterwegs die Tasche mit den Geburtsutensilien, die ich erst im Laufe des Tages bereitgestellt hatte.
Ein paar Meter in den Garten rein die nächste Presswehe. Ein paar Schritte weiter die nächsten Wehe, bei der ich schon den Kopf fühlte. Das Tipi war kaum 15 Meter entfernt, aber ich konnte mich nicht mehr vom Fleck bewegen.
Endlich kam mein Mann. Er hatte Kohlen und Anzünder geholt, damit wir es im Tipi warm haben, und zum Glück hatte er in der Eile auch an die Videokamera gedacht. Schon war der Kopf geboren und mit der nächste Wehe der ganze kleine Mann. Ich ging in die Hocke und ließ ihn ins Gras gleiten. Es war 22.56 Uhr.
Ich nahm ihn auf und er guckte mich mit großen Augen an. Wir deckten ihn zu, als er sich über die Kälte zu beschweren begann. Dann saßen wir im Gras und staunten. Alles war so unwirklich schnell gegangen.
Schließlich gingen wir zum Haus zurück. Die Plazenta gebar ich noch auf dem Rasen. Dann duschte ich und wir kuschelten uns alle drei ins Bett.
Meine dritte Alleingeburt (viertes Kind)
Meine vierte Schwangerschaft, wieder gut ein Jahr später, verlief wieder problemlos und ohne offizielle Vorsorge.
Fünf Tage über Termin hatte ich ab dem Nachmittag immer mal eine deutliche Wehe, wie auch schon einmal ein paar Tage zuvor. Nachts nahmen die Wehen an Intensität zu, so dass ich sie beatmen musste. Die Abstände waren aber mit 15 bis 30 Minuten zu groß für eine baldige Geburt.
Ich zwang mich, im Bett liegen zu bleiben und zwischendurch zu schlafen. Gegen 2 Uhr nachts glaubte ich, dass ich es im Liegen nicht mehr aushalte. Ich begann, das Wohnzimmer vorzubereiten – für eine Draußengeburt war es jetzt, Ende April, noch deutlich zu kalt. Aber während ich räumte, kam keine einzige Wehe mehr. Also ging ich wieder ins Bett, wo die Wehen wie gehabt in großen Abständen aber kräftig wiederkamen.
Am Vormittag dasselbe. Ab und zu eine kräftige Wehe. Bald wurde es schwerer, die Kinder mit ihren vielen Forderungen zu bedienen und gleichzeitig meine Wehen zu beatmen. Ich ging immer wieder schnell ins Bad, schloss zu, beatmete die Wehe, und kam wieder raus, um den davor wartenden Jungs eine Banane zu geben, den Popo zu putzen und was sonst so minütlich mit kleinen Kindern anfällt. Jetzt kamen die Wehen dichter und wollten vertönt werden. Die Jungs begannen mich zu stören.
Dummerweise war die Oma ausgerechnet heute recht weit weg unterwegs. Bei einer Nachbarin, die sich angeboten hatte, einzuspringen, ging keiner ans Telefon.
Also schlug mein Mann vor, die Kinder zu nehmen und einfach wegzufahren, damit ich in Ruhe gebären konnte. So ein Vorschlag von meinem Mann! Ich war platt.
Aber wer sollte dann die Fotos machen und filmen? Unserer Großen hatte ich versprochen, dass sie bei der Geburt dabei sein durfte, aber jetzt reizte sie mich mit ständigen Diskussionen so sehr, dass ich sie mit den Jungs ausquartieren wollte.
Mein Mann erreichte schließlich eine andere Nachbarin. Gegen halb 12 brachte er die Jungs dorthin. Die Große versprach, lieb zu sein, und durfte im letzten Moment bleiben.
Endlich kehrte Ruhe im Haus ein. Ich wanderte wehend im Wohnzimmer auf und ab. Mein Mann war schnell wieder da und setzte sich mit der Großen und einem Buch hin. Bald zog es mich nach nebenan ins Spielzimmer. Ich wollte während der heftigen Übergangswehen unbeobachtet sein. Ich versuchte zu singen, was mir sonst immer so gut geholfen hatte, aber das ging diesmal gar nicht.
Dann die erste Wehe, die sich am Schluss schon nach Pressen anfühlte. Endlich!
„Jetzt kannst du filmen“, sagte ich zu meinem Mann. Abgestützt stehend ließen sich die Presswehen am besten bewältigen. Es war heftig, gewaltig und nicht ganz schmerzfrei.
Dann spürte ich den Kopf kommen und im nächsten Moment glitt unser Baby in meine Hände. Ein Mädchen! Die Kleine wurde ausführlich bewundert, nicht zuletzt von ihrer stolzen, großen Schwester.
Dann kam auch die Oma. Sie holte die Jungs von der Nachbarin, die ihre kleine Schwester eine Stunde nach der Geburt ebenfalls begrüßten.
Dies ist ein persönliches Buch. Ich werde dir von meinen Gedanken und Erfahrungen erzählen, und du wirst Einblick in die Gedanken und Erfahrungen anderer Alleingeburtsmütter und Alleingeburtsväter bekommen.
In diesem Buch findest du all jenes Wissen, das ich in Vorbereitung auf meine selbstbestimmten Geburten, aber auch auf der Suche nach Antworten auf die Fragen anderer Frauen aus verschiedenen Wissensquellen zusammengetragen habe.
Das, worüber ich schreibe, basiert unter anderem auf den Erfahrungen unzähliger Frauen, die ihre Geburtsberichte im Internet geteilt haben. Aber auch das niedergeschriebene Wissen und der Erfahrungsschatz von Hebammen und Ärzten, die es gewagt haben, in der Geburtshilfe sowie in anderen Bereichen neue Wege zu gehen, finden in dieses Buch Einlass. Hier sind, allen voran, Alfred Rockenschaub, Michel Odent, Weston Price, Gregory White, Grantly Dick-Read und Ina May Gaskin gemeint, um nur ein paar von ihnen zu nennen.
Erwarte dir von diesem Buch kein Rezept für eine Traumgeburt! Es ist vielmehr ein Buch, das dich zum Selberdenken, zum Neudenken, zum Querdenken und zum nicht-konformen Denken ermutigen will. Und dazu, gut informierte Entscheidungen zu treffen, die aus deinem Herzen kommen und sich nicht von Angst einschüchtern und verdrehen lassen.
Es soll dir helfen, deinem Körper und deiner Intuition über allen Stimmen, die von außen auf dich einstürmen, zu vertrauen.
Sei beruhigt: Es ist für eine Geburt in Eigenregie nicht notwendig, dass du den Inhalt dieses Buches auswendig lernst. Viele Details sind eingeflossen, damit du zu aufkommenden Fragen einfach nachschlagen kannst.
In diesem Buch will ich dich dazu ermutigen, die besten Entscheidungen für dich und dein Baby zu treffen – egal, wie sie aussehen mögen.
Dabei werde ich die moderne Medizin nicht komplett ausklammern, denn wir wollen sie dann nutzen, wenn wir sie brauchen oder ihre Hilfe explizit wünschen.
Je mehr Frauen gut informiert ihre Rechte einfordern, desto eher wird die Geburtshilfe eines Tages den Platz einnehmen, der ihr zusteht: als demütige Dienerin an Frau und Kind, und nicht als besserwissender Vormund.
In den vorliegenden Kapiteln beschränke ich mich auf die häufigsten Fragen zum Thema Schwangerschaft und Geburt in Eigenregie.
Sollten für dich nach der Lektüre noch Fragen offen sein, so zögere nicht, deine eigenen gründlichen Recherchen anzustellen, bis alle Fragen beantwortet sind und du ein sicheres Fundament hast, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.
Als ich vor über acht Jahren meinen ersten positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, gab es für mich keine Frage, was nun als Nächstes zu tun sei: Selbstverständlich machte ich einen Termin bei der Frauenärztin aus! Ich fragte mich nicht, warum ich das tat und ob ich das brauchte, sondern ich tat es, weil ich gelernt hatte, dass man es eben tut.
„Das kann ich aber nicht verantworten!“
Bei diesem Satz meiner Frauenärztin wurde mir die Veränderung, die für mich mit dem bloßen Eintritt der Schwangerschaft stattgefunden hatte, das erste Mal so richtig bewusst. Ich saß der Gynäkologin gegenüber und hatte ihr eben mitgeteilt, dass ich die weitere Schwangerschaftsvorsorge bei einer Hebamme machen wollte. Die ärztlichen Besuche waren mir von Anfang an unangenehm gewesen und ich hatte diese Frauenärztin einfach deshalb ausgewählt, weil sie meinem damaligen Wohnort am nächsten war. Aber nun fühlte ich mich von ihrer Art bevormundet und hatte die Nase voll. Eine Hebamme versprach mehr Einfühlungsvermögen, auch wenn ich in dem Moment noch gar keine Hebamme hatte. Ich musste einfach weg von dieser Frau.
Der Satz „Das kann ich aber nicht verantworten!“ überraschte mich und sollte mir noch lange in den Ohren klingen. Wieso fühlte sie sich für die von mir getroffene Wahl verantwortlich? War nicht ich, ob schwanger oder nicht, verantwortlich für meine eigenen Entscheidungen?
Offenbar wussten plötzlich andere Menschen ganz genau, was gut für mich war: Ich sollte keine Kisten mit mehr als fünf Kilogramm Gewicht heben. Ich sollte kein rohes Fleisch, keine rohen Eier, keine Rohmilchprodukte und keinen Ostseefisch essen. Ich sollte im Krankenhaus kein Blut mehr abnehmen und auch sonst am besten keinem Patienten zu nahe kommen. Ich sollte zu bestimmten Terminen einen Arzt aufsuchen, mein Blut untersuchen lassen und meinen Bauch mit Ultraschall beschallen lassen. Die Liste war in Wahrheit noch viel länger.
Es stand nicht in Frage, ob ich das alles auch wollte oder sinnvoll fand, sondern man hatte in weiser Voraussicht bereits beschlossen, was für mich als Schwangere gut und notwendig war. Von mir erwartete man nur noch, dass ich mich dankbar fügte. Solange ich das tat, war alles gut. Doch sobald ich auch nur eine kleine Blutabnahme verweigerte oder mein Interesse an einer Hausgeburt andeutete, gab es Stress. Augenscheinlich war offiziell nicht mehr ich für meine Schwangerschaft verantwortlich, sondern andere: allen voran meine Frauenärztin, und später meine Hebamme. Verantwortlich sein bedeutet, dass der, der die Verantwortung trägt, am Ende dafür geradesteht, wenn etwas schiefgeht. Und am möglichen Unglück einer werdenden Mutter und ihres Kindes wollte niemand schuld sein.
Ich tat also, was von mir erwartet wurde: Trug keine schweren Kisten (außer, es guckte niemand zu), nahm kein Blut ab, achtete auf meine keimfreie Ernährung, ging brav zu jedem Arzt- und Hebammentermin und sprach nur vorsichtig und im geschützten Umfeld über meine Hausgeburtspläne. Man will ja niemandem einen Schrecken einjagen.
Und da sind wir beim Thema Angst. Noch mehr bei den Frauenärzten als bei den Hebammen ist der Fokus der Vorsorge auf die Suche nach Krankhaftem gerichtet. Damit geht als unvermeidliche Begleiterin die Angst einher. Schlägt das Herz noch? Weist die Nackenfaltenmessung auf einen Chromosomendefekt hin? Sind die Laborwerte und allerlei Tests in Ordnung?Sind die Organe angelegt? Ist genug Fruchtwasser da? Ist das Kind zeitgerecht entwickelt?
Die immer ausgefeiltere Technik gibt Antworten auf Fragen, die sich unseren Großmüttern so nie gestellt haben. Sie suggeriert uns Sicherheit und Kontrolle über eine Sache, die zu einem bestimmten Grad immer ungewiss sein wird und sich über weite Strecken unserem Einflussbereich entzieht.
Die Ängste der anderen beeinflussen jede Schwangerschaft auf die eine oder andere Weise. Am tückischsten allerdings sind die Ängste des geburtshilflichen Personals. Leute dieser Sorte tarnen sich gern mit diversen Ratschlägen, die manchmal in geschmackloser Manipulation oder Drohungen münden, wenn eine Frau gegen bestimmte Maßnahmen Widerstand leistet. Sie wird dann bisweilen als verantwortungslos und ihr Kind gefährdend hingestellt, und es wird auch mal zu Hause hinterher telefoniert, nur weil sie, ein paar Tage über dem errechneten Entbindungstermin, die Einleitung verweigert oder den geplanten Kaiserschnitt bei Beckenendlage ablehnt.
Angst wird in der Geburtshilfe gern gegen uns Frauen eingesetzt, damit wir uns den vorgegebenen Normen anpassen und so die Ängste der Gesellschaft und nicht zuletzt der Geburtshelfer lindern. Sitzt man einem Angst-Arzt gegenüber und bekommt eine beunruhigende Diagnose präsentiert, sollte man sich nie zu vorschnellen Entscheidungen drängen lassen oder bei Drohungen klein beigeben.
Besser ist es, im Fall des Falles eine Nacht darüber zu schlafen und mit einer erfahrenen Hebamme zu sprechen. So kann man sein Gemüt abkühlen lassen und noch einmal in Ruhe nachdenken, was in der entsprechenden Situation wirklich das Beste für einen selbst und das Kind ist. Hängt man als Schwangere erst einmal am Wehentropf oder liegt auf dem OP-Tisch, ist es zu spät, um zurückzurudern.
Niemand zwingt eine Schwangere, während der Zeit der guten Hoffnung auch nur ein einziges Mal zum Arzt oder zur Hebamme zu gehen oder ein bestimmtes Krankenhaus für die Geburt aufzusuchen. Jede Frau ist frei, darüber zu entscheiden, wenngleich in manchen Ländern (z.B. in Österreich) finanzielle Einbußen mit der absoluten Selbstbestimmung in Schwangerschaftsfragen verbunden sind.
Wenn man als Frau das erste Mal schwanger wird, beginnt man nicht bei null. Das Bild vom Kinderkriegen wurde schon lange vorher geprägt. Durch unsere eigene Geburt, die Erzählungen unserer Eltern, Freunde, Leute um uns herum und nicht zuletzt durch die Medien meinen wir zu wissen, wie eine Geburt abzulaufen hat. Automatisch sind dabei auch die Ängste unserer Umgebung irgendwie zu unseren eigenen Ängsten geworden.
Wie viel Vertrauen eine Frau in ihren weiblichen Körper und seine Fähigkeit zu gebären mitbringt, kann sehr verschieden sein. Wer selbst zu Hause geboren wurde und vermittelt bekommen hat, dass die Geburt etwas Schönes ist, das man aus eigener Kraft erreichen kann, der wird womöglich mit einem ganz anderen Mut an die Sache herangehen als eine Frau, deren Mutter keine weiteren Kinder mehr wollte, weil ihre erste Geburt so traumatisch verlief.
Wenn wir uns mit den Ängsten der anderen beschäftigen, kommen wir nicht umhin, unseren eigenen Ängsten zu begegnen. Von Natur aus neigen wir dazu, diesen Schritt zu vermeiden. Wir fürchten uns davor, unseren Ängsten ins Gesicht zu sehen. Wir wollen am liebsten nicht hinsehen und lieber bei jemandem Unterschlupf suchen, der uns verspricht, die Gefahr von uns fernzuhalten. Deshalb sind die Versprechungen und Angebote der Geburtsmedizin auch so verlockend.
Es ist bequem, die Verantwortung einfach abzugeben. Doch wer eine selbstbestimmte Geburt will, muss sich seinen Ängsten stellen. Das bedeutet, sie nicht einfach zu ignorieren oder zu verleugnen, sondern sie anzuschauen. Dabei lohnt es, auf folgende Fragen eine Antwort zu finden: Was genau macht mir Angst? Warum macht mir gerade das Angst? Wie wahrscheinlich wird das eintreten, was ich fürchte? Was tue ich, wenn das, was ich fürchte, tatsächlich eintritt? Diesen Weg zu gehen lohnt sich, und am Ende stellt man womöglich fest, dass alles weit weniger gefährlich war als angenommen.
Wer sich seiner Sache sicher ist, der wird in der Regel auch weniger von den Ängsten anderer berührt. Zum Beispiel würde heute keiner mehr Angst davor haben, bei einer Segeltour am Ende der Welt abzustürzen – selbst wenn einer daherkäme und genau das behauptete. Das liegt daran, dass wir inzwischen ohne Zweifel wissen, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist.
Um möglichst viele falsche Vorstellungen und Unsicherheiten zu beseitigen, werde ich in einem späteren Kapitel ausführlich auf die ganz spezifischen Sorgen und Ängste eingehen, die sich beim Gedanken an eine selbstverantwortete Schwangerschaft und vor allem Geburt auftun.
Zum Beispiel: Woran merke ich konkret, dass es meinem Kind gut geht, wenn es mir kein Arzt/keine Hebamme bestätigt? Was ist, wenn das Baby bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals hat? Und was mache ich nach der Geburt mit der Nabelschnur und mit der Plazenta? Was ist, wenn das Baby bei der Geburt stecken bleibt oder ein anderer plötzlicher Notfall eintritt? Für mich persönlich hat allein durch die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen die Geburt ihre Unwägbarkeit und Unabsehbarkeit fast vollständig verloren.
Im ersten und letzten Drittel der Schwangerschaft sind Frauen bedingt durch die hormonalen Veränderungen besonders empfänglich für alle möglichen konkreten und diffusen Ängste. Auch dann, wenn intellektuell gesehen alle Fragen bereits zufriedenstellend beantwortet wurden. Sogar in meiner vierten Schwangerschaft überkamen mich an manchen Tagen heftige Ängste, ohne dass es dafür einen offensichtlichen Anlass gab.
Allen, denen es ähnlich geht, möchte ich sagen: Diese Ängste sind zwar lästig, aber ziemlich normal und ganz einfach ein Teil des Mutterwerdens. Man darf diesen Ängsten gelassen ins Gesicht sehen und sagen: „Ich kenne euch schon. Ihr seid haltlos und verschwindet wieder. Und bis dahin kann ich euch aushalten.“
Das Aushalten ist nicht immer leicht, und ich kann verstehen, dass viele Frauen Sicherheit darin suchen, dass ihnen ihr Arzt oder ihre Hebamme bestätigt, dass alles in Ordnung ist. Gleichzeitig werden wir so aber Getriebene unserer Angst und gelangen schnell in eine Abhängigkeit von der Bestätigung anderer, die wir eigentlich gar nicht wollen. Auch im Hinblick auf eine selbstbestimmte Geburt ist es hilfreich, wenn wir lernen, mit den Ängsten in uns besonnen umzugehen.
In solchen Phasen der Schwangerschaft, in denen ich selbst innerlich nicht stabil war, vermied ich es, meine Ängste mit jemandem zu teilen, von dem ich annahm, dass er diese Ängste ebenfalls hegte. Alles, was er oder sie sagen würde, hätte meine Unsicherheit nur verstärkt.
Hier gelangen wir an ein Thema, das bis ins Herz unserer Existenz hineinreicht. Es ist gut, wenn man sich dann in dieser Welt geliebt, gewollt und beschützt weiß – egal, was Menschen sagen oder denken. Wenn man einen verlässlichen inneren Anker hat, fällt es leichter, mit den tiefsten Unsicherheiten und Ängsten des Menschseins zu leben, ohne davon kopflos umhergetrieben zu werden.
Angst ist eine schlechte Ratgeberin, heißt es. Wenn irgend möglich sollten wir daher keine wichtigen Entscheidungen treffen, solange wir blind von Angst und Panik getrieben werden. Was auch immer uns aufwühlt: Es ist besser, erst einmal zur Ruhe kommen und so nüchtern wie möglich zu betrachten, wovor wir da eigentlich Angst haben. Für gewöhnlich sieht die Situation dann schon nicht mehr so schlimm aus und es findet sich meist ein Weg, den wir bei der ersten panischen Flucht gar nicht gesehen haben.
Angst ist nicht per se schlecht. Sie kann auch als Warnsignal in besonderen Situationen und vor drohenden Gefahren dienen. Deshalb ist es wichtig, seine Ängste anschauen, bewerten und unterscheiden zu können. Droht wirklich Gefahr? Handelt es sich um irrationale Ängste? Was, außer meiner Angst, deutet darauf hin, dass etwas nicht stimmt?
Unter der Geburt, kurz vor der Austreibungsphase, spielt die Angst eine natürliche Rolle. Die in diesem Moment freiwerdenden Hormone sorgen für einen Ausnahmezustand, der auch als Angst erlebt werden kann. Hier ist zwar keine Gefahr im Verzug, aber die Angst ist häufig Teil des natürlichen Prozesses, der es möglich macht, dass eine Frau ihr Kind loslassen und gebären kann. Diese Phase ist allerdings in der Regel kurz und mit Einsetzen der Presswehen verwandelt sich die Angst in Mut und Entschlossenheit, das Kind jetzt zur Welt zu bringen.
In manchen Fällen, wenn also wirklich etwas nicht stimmt, wie zum Beispiel bei einer sehr seltenen Narbenruptur nach vorangegangenem Kaiserschnitt, erlebt die Frau nicht nur die häufig vorkommende kurze, wache Angst der Übergangsphase, sondern Angst und Unruhe dauern an, gepaart mit anderen, vom normalen Geburtsverlauf abweichenden Symptomen.
Um eventuell aufkommende Angst während der Geburt richtig einschätzen zu können, ist es also von Vorteil, die Aspekte eines normalen Geburtsverlaufs zu kennen.
„Ein Frauenarzt/eine Hebamme hat nicht umsonst lange gelernt. Sein/Ihr Wissen und seine/ihre Erfahrung kannst du dir gar nicht mal schnell anlesen. Er/Sie ist darauf spezialisiert, Geburten zu begleiten, da kann man doch erwarten, dass er/sie seinen Job auch gut macht. Warum willst du es also mühevoll und risikoreich selbst versuchen?“
So, oder so ähnlich, könnte es eine Schwangere zu hören bekommen, die während Schwangerschaft und Geburt keine medizinische Begleitung wünscht. Ein Medizinstudium dauert gut sechs Jahre. Die Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe gibt noch einmal fünf Jahre hinzu.
Auch eine Hebamme durchläuft eine Ausbildung von drei bis vier Jahren (je nach Land) und hat mit dem Abschluss ihrer Ausbildung bereits vielen Babys auf die Welt geholfen.
Wie kann sich dann also jemand, der doch vollkommen ahnungslos ist, anmaßen, sein eigenes Baby ohne professionelle Hilfe auf die Welt zu bringen?
Mein Glück war, dass ich durch das Medizinstudium bereits vor meiner ersten eigenen Geburt die Möglichkeit hatte, bei einigen Geburten im Krankenhaus dabei zu sein. Nicht, dass ich dabei die besten Techniken und Griffe gelernt hätte, aber ich konnte beobachten, wie Babys heutzutage auf die Welt gebracht werden.
Dabei erlebte ich auch, wie Frauen zu Einleitungen und Kaiserschnitten gedrängt wurden und wie man ihnen, ohne sie darüber zu informieren, während der Geburt Medikamente verabreichte. Ich begegnete Hebammen vom alten Schlag, die auch nicht davor zurückschreckten, die Frau mit physischer Gewalt zum Liegen zu zwingen (Hauptsache, das CTG schreibt fehlerlos), sie zu beleidigen („Reingekommen ist es doch auch!“) oder gegen ihren im gleichen Moment geäußerten Willen einen Dammschnitt zu verpassen. Es kam nicht selten vor, dass man einer Gebärenden in der Pressphase die Ellenbogen schmerzhaft und mit aller Kraft in den Bauch drückte.
Seitdem sind keine zehn Jahre vergangen. Trotzdem hoffe ich sehr, dass einige der Szenen, die ich in meiner Ausbildung beobachten musste, heute, wenn noch nicht ausgestorben, dann wenigstens selten sind. Insgesamt hat sich die Situation für die Frauen seit Beginn der klinischen Geburtshilfe sicherlich deutlich verbessert und man geht heute in der Regel respektvoller mit Gebärenden um, als es noch vor beispielsweise 50 Jahren der Fall war.
Nichtsdestotrotz basieren auch heute noch die wenigsten der aktuell üblichen geburtshilflichen Routinemaßnahmen auf wissenschaftlichen Untersuchungen, die den Sinn und Nutzen derselben belegen würden. Im Gegenteil.
Inzwischen wissen hoffentlich alle Mediziner und Hebammen, dass eine aufrechte Position die Geburt erleichtert und vereinfacht. Trotzdem findet der Großteil der Klinikgeburten immer noch in einer Position statt, die für den Geburtsverlauf schlichtweg hinderlich ist. Viele Saugglockenentbindungen und auch Kaiserschnitte könnte man sich wohl sparen, würde man die Frau während der Geburt „umdrehen“ und ihrem Steißbein nach hinten Raum geben, damit das Baby durchgelassen werden kann.
Stattdessen wird die Gebärende auf ihren Steiß gesetzt bzw. gelegt. (Die halbsitzende Position verspricht ja eine halbwegs aufrechte Haltung und lässt sich auf modernen Gebärbetten doch recht zügig in die klassische Steinschnittlage (Rückenlage mit den Beinen in der Luft bzw. in je einer Halterung) verwandeln.) Wenn sich das Baby dann aufgrund der physiologisch ungünstigen Position wie erwartet schwertut, dann helfen Saugglocke, Wehentropf und Kristellern. Kristellern (nach dem Gynäkologen Samuel Kristeller [1820–1900] benannt, der die Methode 1867 beschrieb) bedeutet übrigens, dass ein Geburtshelfer auf dem Höhepunkt der Wehe von oben auf die Gebärmutter drückt, um das Kind herunterschieben zu helfen.
Ursprünglich wurde die Methode angewandt, um bei Vielgebärenden mit schlaffer Bauchdecke und einer Rektusdiastase (Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln) der Gebärmutter unter der Wehe einen Widerstand zu bieten, der durch das Fehlen der Muskulatur an dieser Stelle nicht mehr ausreichend gegeben war.
Diesen Handgriff zwischen den Wehen anzuwenden, galt zu Zeiten Kristellers als Kunstfehler. (Rockenschaub 2005) Heutzutage gibt es kaum noch Frauen mit einer ausgeprägten Rektusdiastase, da diese sich im fraglichen Umfang normalerweise erst durch mehrere Schwangerschaften ausbildet. Obwohl Studien keinen messbaren Nutzen des Handgriffs zeigen, wird fleißig kristellert, sobald den Geburtshelfern die Austreibungsphase nicht schnell genug geht. (Schulz-Lobmeyr 1995)
Um bei einer Wehe die Muskeln der Bauchdecke zu überwinden, braucht es eine gewisse Gewalt, die auch bedenkenlos eingesetzt wird. Oder man drückt von außen, ganz gegen die einstigen Regeln, auch zwischen den Wehen, wenn die Bauchmuskeln entspannt sind. Alfred Rockenschaub, langjähriger Geburtshelfer und ehemaliger Leiter der Ignaz-Semmelweis-Frauenklinik in Wien, Lehrer und Dozent, bringt unverblümt auf den Punkt, was er von einem solchen Vorgehen hält:
„Was sich hierbei [beim Kristellern] heute vielerorts immer noch abspielt, ist eher dem Kapitel Gewalt gegen Frauen als dem Kapitel Geburtshilfe zuzuordnen.“ (Rockenschaub 2005)
Betrachtet man auf die Weise eine geburtshilfliche Routine-Maßnahme nach der anderen, bleibt kaum etwas übrig, das wissenschaftlich begründet wirklich sinnvoll ist. Wie viel echte Ahnung haben also die hochgelobten Geburtshilfeprofis? Oder rechtfertigen allein die reifen Erstgebärenden mit schweren und großen Kindern die steigenden Kaiserschnittraten und viele andere Interventionen?
Eine Geburtsmedizin mit einer Kaiserschnittrate von über 30 Prozent kann man doch nur als Desaster oder Dilettantismus bezeichnen. Das hieße nämlich im Umkehrschluss, dass früher 30 Prozent aller Babys und/oder Mütter bei der Geburt gestorben sein müssten. Aber war das so?
Vor noch nicht allzu fernen Zeiten, genauer gesagt im Jahre 1993, als die Kaiserschnittrate in Deutschland noch bei 16,9 Prozent lag, betrug die Müttersterblichkeit (die als ein wichtiges Maß für die Qualität der Geburtshilfe gilt) 5,5 pro 100.000 Geburten. Für das Jahr 2010 ergeben sich, trotz einer Kaiserschnittrate von inzwischen 31,9 Prozent, keine augenscheinlichen Veränderungen: Die Müttersterblichkeit lag laut Statistischem Bundesamt in diesem Jahr bei 5,5 pro 100.000 Geburten.
Die Erfassung der Müttersterblichkeit ist, darüber muss man sich allerdings im Klaren sein, kein leichtes Unterfangen (aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Abgrenzungen und lückenhafter Erfassung) und die in den Statistiken angegebenen Zahlen sind in der Regel zu niedrig angesetzt. (Welsch 2010)
Beunruhigend ist auch, dass sich in einigen Industrieländern (USA, Kanada, Dänemark) wieder ein Anstieg der Müttersterblichkeit verzeichnen lässt. So ist die Müttersterblichkeit in den USA zwischen 1990 und 2008 um 42 Prozent gestiegen, trotz oder sogar wegen der hohen Kaiserschnittrate. (Hogan 2010)
Sind unsere ausgeklügelten Vorsorgeprogramme und die hoch ausgebildeten Profis bei über 30 Prozent aller Frauen nicht in der Lage, eine natürliche Geburt zu erreichen? Bekommen wir mit immer mehr Technik-Einsatz und aktiver Geburtsleitung gleichzeitig immer weniger natürliche Geburten? Ist es möglich, dass dadurch sogar wieder mehr Mütter sterben? Offenbar ja.
Beispielsweise ist die Müttersterblichkeit durch Fruchtwasserembolien in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Das ist nicht verwunderlich, da Fruchtwasserembolien gehäuft nach Kaiserschnitten und Einleitungen auftreten. Im Jahr 2011 wurden beispielsweise 8 von 12 direkten mütterlichen Sterbefällen durch Fruchtwasserembolien verursacht. (Rath 2014)
Dabei muss ein Blick in die Tierwelt geradezu schockieren. Abgesehen von ein paar überzüchteten Rassehaustieren kommt dort nie Ultraschall oder CTG zum Einsatz. Aber nicht nur die Technik und externe Geburtsleitung bleiben außen vor, wenn Katze, Kuh und Reh gebären. Aus hygienischer Sicht sind solche Geburten die reinste Katastrophe.
Da bekommt Mieze ihre Jungen in einer staubigen Ecke unter dem Sofa auf einer alten Zeitung und das Kälbchen fällt direkt in den Mist. Steril abnabeln? Fehlanzeige. Nabelschnüre werden abgebissen oder reißen ab und kurze, blutige Nabelstümpfe hängen offen in die „bakterienverseuchte“ Umgebung. Kaum ein Junges dürfte das überleben, wenn man von klinischen Gesichtspunkten ausgeht.
Umso erstaunlicher ist, dass Todesfälle oder Fälle schwerer geburtsbedingter Tierbehinderungen dennoch selten sind. Ich bin mit Kaninchen und Katzen aufgewachsen. Jedes Jahr gab es mindestens einen Wurf Kaninchen und einen Wurf Kätzchen. Oft auch mehr. Kaninchenbabys starben, wenn überhaupt, dann aufgrund von unerfahrenen Müttern, die ihre Jungen nicht ins warme Nest zu packen wussten oder im Übereifer nicht nur die Nachgeburt fraßen, sondern Teile ihrer Jungen gleich mit.
Im Normalfall aber überlebten Mutter und Babys die Geburt schadfrei. Und das, obwohl kein Profi anwesend war und der Mutter eine entsprechende Ausbildung fehlte. Rein intuitiv tat die Tiermutter alles, um ihren bis zu zwölf Jungen sicher und rasch auf die Welt zu helfen und sie danach in einem kuscheligen Nest zu platzieren. Dies alles geschah in der Regel nachts, und am nächsten Morgen entdeckten wir Menschen dann die Überraschung.
Es stellt sich also die folgende Frage: Wenn Tiere über dieses angeborene Wissen verfügen, warum sollten wir Menschen dieses Wissen dann nicht auch besitzen? Könnte intuitives Verhalten nicht auch für uns Menschen eine sichere Geburt ohne den üblichen technisch-(pseudo)wissenschaftlichen Überbau ermöglichen?
Ließen sich beide Fragen mit „ja“ beantworten, bleibt allerdings offen, was mit diesem angeborenen Wissen in uns passiert ist. Haben wir es im Laufe der Menschheitsgeschichte vielleicht verloren? Und ist es uns verstandes- und angstgesteuerten Menschen überhaupt noch möglich, auf dieses Wissen zuzugreifen und uns von der echten, eigenen Intuition leiten zu lassen?
Intuitiv zu handeln bedeutet, ohne formelle Bildung oder angestrengtes Nachdenken auch in komplexen Situationen richtig handeln zu können. Aus dem sprichwörtlichen Bauch heraus. Und ganz offensichtlich ist sie auch in uns modernen Menschen immer noch angelegt, die Intuition, also das angeborene beziehungsweise ohne unser bewusstes Zutun erworbene Wissen.
Hier ist eine der typischen Geschichten, die ich in dieser oder ähnlicher Form immer wieder zu hören bekomme, und die unser Problem mit der Intuition gut auf den Punkt bringt:
„Eigentlich wollte ich schon die erste Geburt zu Hause machen – tief innen habe ich gespürt, dass ich in mein Badezimmer gehen und alleine dort bleiben möchte. Doch dann war das, was von außen kam, stärker, und der allgemeine Glaube, ins Krankenhaus zu gehen, wurde übermächtig. Aus der gefühlten Alleingeburt wurde leider ein Kaiserschnitt, weil ich – wie ich zu spät feststellte – vor Publikum nicht gebären kann. Nach vorzeitigem Blasensprung und einem im Krankenhaus durchgeführten Einleitungsexperiment mittels Wehentropf bekam ich starke Darmkrämpfe und die Geburt ging nicht weiter. Anstatt mich in Ruhe zu lassen, dachte man, die Aktion mit dem Wehentropf würde eine Reaktion bewirken – bei mir aber nur jene, dass das Kind eben nicht geboren werden wollte. In der damaligen Situation fühlte ich mich absolut unsicher und meiner Kräfte beraubt, und es dauerte Jahre, bis ich den Kaiserschnitt annehmen und mir meine Fehler eingestehen konnte. Zum Glück habe ich bei den folgenden beiden Geburten meiner Intuition getraut und bin zu Hause geblieben. Beim zweiten Kind stand mir meine Hebamme bei, beim dritten Kind dann wollte ich alles selber in die Hand nehmen und plante die Geburt von vornherein als Privatgeburt mit dem Baby und mir.“ (Caroline, 37, Mutter von drei Töchtern)
Es kann schnell passieren, dass die leise Stimme der Intuition ignoriert wird, wenn die Stimmen von außen lauter und eindringlicher sind. Manchmal zwingen uns diese fremden Stimmen auch ihren Willen auf, indem sie uns Angst einjagen.
Angst davor, dass etwas Schlimmes passieren könnte, wenn wir unserer inneren Stimme vertrauen würden, Angst davor, aus den sozialen Normen zu fallen und geächtet zu werden. Angst davor, andere zu enttäuschen. Angst, aufgrund unserer abweichenden Wahl nicht mehr geliebt zu werden. Angst, wir könnten uns grundlegend irren und schmerzhaft auf die Nase fallen – und das mit Kind im Bauch, also einem potentiell großen Opfer. Dabei ist die Intuition, dieses innere Wissen, von dem wir nicht genau wissen, wo wir es herhaben, ein äußerst kraftvolles Werkzeug. In der Schule, an Universitäten, über Bücher, das Internet und zahlreiche andere Quellen eignen wir uns rationales Wissen an, um über die für uns notwendigen Dinge im Leben Bescheid zu wissen.
Aber erst die Intuition hilft uns, einzuschätzen, welches Wissen in welcher Situation wirklich relevant ist. Sie hilft uns, zu entscheiden, was wir in einer bestimmten Situation tun sollten und ob etwas für einen selbst richtig oder falsch ist. Im Idealfall arbeitet die Intuition mit dem Wissen, das wir uns angeeignet haben oder das vorbewusst ist, Hand in Hand. Es lässt uns schneller und sicherer entscheiden, als wenn wir lange nachdenken würden.
Damit unsere Intuition eine verlässliche Quelle für unser Handeln bei der Geburt sein kann, müssen wir sie allerdings trainieren. Wir müssen gelernt haben, ihre Stimme zu erkennen und ihr zu vertrauen. Und welche Zeit in unserem Leben eignet sich dafür besser als die neun Monate der Schwangerschaft?
Während der Zeit der Schwangerschaft kann jede Frau ganz praktisch üben, in sich hineinzuhören:
Was brauche ich?
Was will ich?
Womit fühle ich mich wohl oder unwohl?
Bewegt sich mein Baby wirklich weniger oder geht es ihm gut und schläft es nur?
Sind das harmlose Übungswehen oder muss ich mir Sorgen machen?
Zu warten und Unsicherheit auszuhalten ist keine leichte Übung. Aber am Ende können wir mit einiger Bestimmtheit das tun, was wir wirklich wollen.
In meiner ersten unbegleiteten Schwangerschaft war ich mir beispielsweise nicht sicher, ob und wann ich vielleicht doch zur Hebamme gehen sollte. Zuerst setzte ich mir eine bestimmte Schwangerschaftswoche als Grenze, aber ich verschob die Grenze jedes Mal weiter nach hinten, weil ich mich mit dem Gedanken, mich vermessen und beurteilen zu lassen, einfach nicht wohl fühlte.
Gleichzeitig war ich unsicher, weil ich einen Weg gewählt hatte, der niemand anderem in den Sinn zu kommen schien. War ich verrückt und würde ich bald für meinen Leichtsinn bezahlen? Betrog mich mein gutes Gefühl für mich selbst und das vitale Baby in mir vielleicht doch?
Hätte ich einen Termin vereinbart, wäre dieses Gefühl der Unsicherheit erst einmal beseitigt gewesen. Dafür hätte ich mich aber in eine Situation hineinmanövriert, in die ich absolut nicht hineinwollte. Ich habe die Unsicherheit schließlich ausgehalten, in dem Wissen, dass die meisten Frauen der Menschheitsgeschichte, genau wie ich, einfach schwanger gewesen sind und gesunde Babys geboren haben.
„Aber halt mal!“, werden mich hier manche unterbrechen. „Waren früher die Mütter- und Säuglingssterblichkeit nicht ungleich höher? Sterben in Afrika nicht noch immer ungleich mehr Mütter und Kinder? Wir sollten froh und dankbar für den Segen der modernen Medizin sein!“
In manchen Aspekten ist die moderne Medizin bestimmt ein Segen. Aber es gibt Dinge, die im Hinblick auf die Sicherheit von Geburten noch wichtiger sind als eine medizinische Versorgung: sauberes Trinkwasser, genug zu essen, die Abwesenheit von Krieg und Unruhen und eine warme, trockene Wohnung. Je mehr es in einem Land an diesen Dingen mangelt, umso häufiger enden auch Geburten in Komplikationen und Tod, und umso mehr wird vielleicht auch – neben vielem anderen – die moderne Medizin benötigt, um den Schaden in Grenzen zu halten.
Um die Qualität der Geburtshilfe zwischen den einzelnen Ländern vergleichen zu können, kann, wie bereits erwähnt, die Müttersterblichkeit herangezogen werden. Diese wird von der WHO folgendermaßen definiert:
„Tod einer Frau während der Schwangerschaft oder 42 Tage nach Schwangerschaftsende, unabhängig von der Dauer der Schwangerschaft oder dem Ort, an dem sie stattfindet oder die Maßnahmen, die in Bezug auf sie getroffen wurden, jedoch nicht, wenn die Todesfälle auf Zufälle oder Versagen (um welches oder wessen Versagen es sich dabei handelt, wird hier nicht formuliert, Anm. der Autorin) zurückzuführen sind.“ (Weltgesundheitsorganisation WHO)
Die Ursachen für mütterliche Todesfälle weltweit sind vielfältig, meist aber eine direkte Folge von Armut, Krieg, Mangelernährung und aufgrund dessen dringend benötigter, aber meist fehlender medizinischer Versorgung. Viele Frauen verbluten außerdem als Folge von unsachgemäß durchgeführten Abtreibungen, was sich teilweise gravierend auf die Geburtsstatistiken auswirkt.
Je ärmer das Land und je schlechter die Lebensbedingungen, desto höher die Mütter- und Säuglingssterblichkeit. Während in den Industrienationen eine von 3.800 Frauen bei der Geburt stirbt, ist es in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara eine von 39. 99 Prozent aller mütterlichen Todesfälle ereignen sich derzeit in Entwicklungsländern. (Deutsche Stiftung für Weltbevölkerung 2012)
Aus dem Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert sind in Europa ebenfalls hohe Sterblichkeitsraten von Neugeborenen und frisch entbundenen Müttern zu verzeichnen. Besonders hohe Zahlen erreichten auch die deutschen Gebärhäuser des 19. Jahrhunderts, wo Ärzte und Medizinstudenten an mittellosen Frauen die praktische Geburtshilfe üben durften. Geschah dies als Nebenbeschäftigung zum Präparieren von Leichen, endete das Wochenbett für die Mutter nicht selten tödlich. Erst die Erkenntnisse über Bakterien, moderne Hygienevorschriften und Antibiotika haben ein Gebären im Krankenhaus möglich gemacht, ohne dass Mutter und Kind dabei in Lebensgefahr geraten.
Aus weiter zurückliegenden Epochen und anderen Kulturen fehlen leider verwertbare Zahlen, was historische Geburtshilfe angeht. Es gibt allerdings viele Berichte von Forschern und Ethnologen (vorwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts), die übereinstimmend von schnellen, unkomplizierten Geburten bei primitiven Völkern berichten.
Heute ist die Müttersterblichkeit bei uns im Vergleich zu früher sehr niedrig, was wir vor allem auf gute Lebensbedingungen, aber auch auf modernes Wissen und die Medizin zurückführen können. Dabei spielt es bei uns keine Rolle, ob die Geburt im Krankenhaus stattfindet oder zu Hause.